Der Kaiser und das "Dritte Reich"

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Der Kaiser und das "Dritte Reich"
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Jacco Pekelder, Joep Schenk und

Cornelis van der Bas

Der Kaiser

und das

»Dritte Reich«

Die Hohenzollern

zwischen Restauration und

Nationalsozialismus

Aus dem Niederländischen

von Gerd Busse


Unter Mitarbeit von

Maartje Collaris, Sjoerd van Hoenselaar

und Suzanne Ros


www.huisdoorn.nl



Diese Publikation erfolgte mit finanzieller Unterstützung des

Nederlands Letterenfonds



Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Die niederländische Originalausgabe erschien unter dem Titel:

De Keizer en het Derde Rijk. De familie Hohenzollern en het

nationaalsocialisme. Soesterberg: Uitgeverij Aspekt, 2020.


Für die deutsche Ausgabe

© Wallstein Verlag, Göttingen 2021

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf

Umschlagfoto: Ex-Kaiser Wilhelm II. zwischen seinem Sohn Kronprinz

Wilhelm (links) und seinem ältesten Enkelsohn Wilhelm (rechts)

Sammlung Huis Doorn, HuDF-1248


ISBN (Print) 978-3-8353-3956-9

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4623-9

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4624-6

Inhalt

Vorwort

EINLEITUNG Der Kaiser, die Prinzen und das »Dritte Reich«

Eine aktuelle Debatte

Die Angelegenheit aus Sicht des Museums Huis Doorn

Einordnung und Quellen

Sechs Hohenzollern: von Wilhelm II. zu Georg Friedrich

KAPITEL 1 Wilhelm II. und Hermine im Exil in den Niederlanden

Wilhelm der Letzte

Hoffnung auf Wiederherstellung der Monarchie

Hitlers Aufstieg aus der Perspektive Huis Doorns

Glückwunschtelegramme

Wilhelm II. und der Antisemitismus

Letzte Euphorie und Beisetzung unter dem Hakenkreuz

KAPITEL 2 August Wilhelm, zwischen Volk und »Führer«

Vom »Künstler« zum Rekruten Hitlers

Von der Frontgemeinschaft zur Volksgemeinschaft

Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten

Hitlers Wegbereiter

Schmähliches Ende

KAPITEL 3 Wilhelm, Cecilie und das Erbe der Macht

»Der Schlächter von Verdun«

Cecilie und der Bund Königin Luise

Über Mussolini zu Hitler

Ein Kaiser neben Hitler?

Propagandist des Naziregimes

Der Tag von Potsdam

Der Kronprinz und das Telegramm

KAPITEL 4 Louis Ferdinand, Georg Friedrich und der Kampf um das Gedenken

Unerwartete Erben

Vermittler zwischen Ford und dem »Dritten Reich«

Feindvermögen: der Kampf um Huis Doorn

Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und das Gesetz aus dem Jahr 1994


Stammbaum der Familie Hohenzollern

Quellen

Literatur

Bildnachweis

Personenregister

Autoren und Übersetzer

Anmerkungen

Vorwort

Der Zusammenhang zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg ist ein vieldiskutiertes Thema. Hätte es ohne den Ersten Weltkrieg einen Zweiten gegeben? Wäre der Nationalsozialismus in den 1930er Jahren derart einflussreich geworden, wenn Deutschland nach 1918 nicht sein Trauma als Verlierer hätte verarbeiten müssen?

Diese Fragen stellen sich regelmäßig in den Gesprächen, die wir in Huis Doorn mit den Besucherinnen und Besuchern unseres Museums führen, dem kleinen Schloss, in dem der abgedankte Kaiser Wilhelm II. von 1920 bis zu seinem Tod im Jahr 1941 lebte. Das Museum Huis Doorn ist der einzige Ort in den Niederlanden, an dem an beide Weltkriege erinnert wird. Von Doorn aus verfolgte Wilhelm die Entwicklungen in seinem einstigen Vaterland, so auch den Aufstieg Adolf Hitlers. Hier empfing er neben seiner Familie zahlreiche Monarchisten, darunter auch aktive Politiker. Mit ihnen wurde über Politik gesprochen. Wie standen der Ex-Kaiser selbst und seine Familie eigentlich zum aufkommenden Nationalsozialismus?

Die Mitglieder seiner Familie waren durchaus empfänglich für den Gedanken, dass der Nationalsozialismus zur Wiederherstellung der Monarchie beitragen könnte, so dass auch das häufig Gegenstand der Gespräche in Doorn war, wie wir aus Tagebuchaufzeichnungen des kaiserlichen Adjutanten Sigurd von Ilsemann wissen.[1] Mit der vorliegenden Veröffentlichung möchte Huis Doorn einen Einblick geben, welche Verbindungen in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg bestanden und wie sie funktionierten.

Die Frage nach dem Ausmaß der Unterstützung des Nationalsozialismus durch die Nachkommen Wilhelms II. ist auch relevant im Zusammenhang mit der derzeit in Deutschland geführten Diskussion zwischen Georg Friedrich Prinz von Preußen und der Bundesregierung sowie den Ländern Berlin und Brandenburg um die von der Familie geforderte Rückgabe von Kunstgegenständen und dem Wunsch nach einem Wohnrecht unter anderem für Schloss Cecilienhof in Potsdam. Für Huis Doorn besteht kein Grund, in dieser Auseinandersetzung eine bestimmte Position einzunehmen, doch die Fakten, die in dieser Debatte ins Feld geführt werden, könnten im Rückblick auf die Vergangenheit durchaus relevant sein. Deshalb wird im Folgenden hin und wieder auf die zu diesem Komplex veröffentlichten wissenschaftlichen Gutachten zurückgegriffen.

Mit Blick auf eine seriöse Behandlung des Themas und eine wissenschaftlich fundierte Betrachtung des Untersuchungsgegenstands hat Huis Doorn Wert auf die Zusammenarbeit mit einer renommierten wissenschaftlichen Institution gelegt und konnte für dieses Projekt die Unterstützung der Universiteit Utrecht gewinnen. Das Projekt ist nun abgeschlossen, und wir können zufrieden feststellen, dass es gelungen ist, mit der Ausstellung und dem Buch dazu die Öffentlichkeit über die komplexen Fragen rund um die Familie Hohenzollern und das »Dritte Reich« zu informieren.


Museum Huis Doorn, im Sommer 2020

Herman Sietsma, Geschäftsführender Direktor

EINLEITUNG
Der Kaiser, die Prinzen
und das »Dritte Reich«
Eine aktuelle Debatte

»Nur weil ein kaiserlicher Nachfahre Eigentumsansprüche erhebt, darf der Staat Bundesrepublik, dürfen die Länder nicht nachgeben.« (Wolfgang Thierse, SPD, ehemaliger Bundestagspräsident) »Der Prinz ist Bürger der Bundesrepublik. Für ihn gelten die gleichen Rechte wie für uns beiden.« (André Schmitz, SPD, ehemaliger Kulturstaatssekretär von Berlin) »Die Familie Hohenzollern muss lernen, dass die Zeit von Reiterstandbildern für Adelssprösslinge vorbei ist.« (Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke) »Was mich persönlich beunruhigt, ist dies völlig offene antiadlige Ressentiment.« (Alexander von Schönburg, Journalist und Autor)[2]

 

Vier Zitate aus einer Fernsehsendung über die ehemalige deutsche Kaiserfamilie, die seit 2019 plötzlich erneut im Zentrum einer großen, öffentlich ausgetragenen Debatte steht. Wohlgemerkt, die Abdankung Wilhelms II. (1859-1941), des letzten deutschen Kaisers und Königs von Preußen, liegt inzwischen ein ganzes Jahrhundert zurück.

Der ungewollte Urheber der ganzen Aufregung war Wilhelms Ururenkel Georg Friedrich Prinz von Preußen (geb. 1976). Das Oberhaupt der Hohenzollerndynastie hatte eine Entschädigungsforderung seines Großvaters an die Bundesrepublik Deutschland weiterverfolgt, bei der es um die Konfiszierung von Kunstgegenständen und sonstigem Eigentum in den Jahren nach der Abdankung ging. Die Forderung betraf vor allem ehemalige Besitztümer im Osten Deutschlands, die nach dem Ende des Krieges 1945 von den sowjetischen Besatzern beschlagnahmt worden waren. Georg Friedrich verlangte eine finanzielle Entschädigung sowie die Rückgabe bestimmter Güter. Außerdem forderte er ein Aufenthaltsrecht in einer Reihe von Gebäuden, die früher der Familie gehört hatten oder die ihr zur Verfügung gestellt worden waren. Darunter befand sich auch Schloss Cecilienhof am Jungfernsee in Potsdam bei Berlin, der Ort, an dem während der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 die Nachkriegsordnung in Europa festgelegt worden war.

Bereits seit 2014 gab es Verhandlungen zwischen der Familie Hohenzollern, der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesländer Berlin und Brandenburg. Dabei ging es unter anderem um einzelne, wichtige Museen, die in ihren Sammlungen viele der zurückgeforderten Gegenstände beherbergen und außerdem Leihgaben der Hohenzollern ausstellen. Beispielsweise werden in Schloss Charlottenburg in einer Vitrine preußische Kronjuwelen präsentiert, von denen sich nur ein Teil in Staatseigentum befindet. Die weitere Präsentation dieser Gegenstände in den Museen hängt vom Ausgang der Verhandlungen ab.

In den Medien und in der Politik war die Empörung über die Forderungen Georg Friedrichs groß. An sich befindet sich der Prinz jedoch im Recht. Ein Gesetz aus dem Jahr 1994 – also aus der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 – macht es im Prinzip möglich, dass Erben Entschädigungen für zwischen 1945 und 1990 konfiszierte bewegliche Güter oder deren Rückgabe fordern können. Das Gesetz gilt allerdings nicht für Schlösser und andere Immobilien. Doch es erhoben sich moralische Bedenken gegen die Tatsache, dass die Familie des abgedankten Kaisers auf die Staatskasse zugreifen wollte. So fragte sich etwa Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, warum der deutsche Steuerzahler für die sogenannten Eigentumsrechte einer Familie aufkommen solle, die bereits vor etwa hundert Jahren üppig entschädigt worden sei.[3] 1926 war tatsächlich mit der Familie eine sehr großzügige gesetzliche Regelung bezüglich der Aufteilung des königlich-preußischen und des kaiserlich-deutschen Erbes zwischen dem Staat und den Hohenzollern getroffen worden.

Außerdem ist noch keineswegs entschieden, ob die Familie überhaupt Restitutionsansprüche hat. Das Gesetz aus dem Jahr 1994 sieht nämlich Ausnahmen vor. Eine Rückgabe soll dann nicht stattzufinden, wenn der Erblasser dem nationalsozialistischen Regime »erheblichen Vorschub« geleistet hat. Im Fall der Hohenzollern konzentrierte sich die Diskussion auf die Haltung Kronprinz Wilhelms (1882-1951), des Familienoberhaupts zum Zeitpunkt der Niederlage Deutschlands 1945. Hatte er Adolf Hitler bei der Eroberung der Macht geholfen oder nicht?


Die Wehrmacht bewacht das Eingangstor zum Landsitz Huis Doorn, dem Exilsitz des Ex-Kaisers Wilhelm II., 30. Mai 1940.


Noch bevor die Angelegenheit an die Öffentlichkeit drang, kam es wegen dieser Frage zum Streit zwischen den Verhandlungsparteien. Unabhängig voneinander suchten sie jeweils die Unterstützung von Fachhistorikern, was zu vier Gutachten führte, in denen die Haltung des Kronprinzen untersucht wurde. Zwei der Gutachten sprachen den Kronprinzen frei von Schuld, die beiden anderen verwiesen ihn dagegen auf die Anklagebank. Ende 2019 beschäftigte sich der Satiriker und Fernsehmoderator Jan Böhmermann in einer seiner Sendungen mit den Forderungen und stellte die Gutachten online. Die vielen Geschichten und Bilder, die die (engen) Beziehungen des Kronprinzen sowie anderer Familienmitglieder mit den Nationalsozialisten belegen, waren nun allgemein zugänglich. Für die Hohenzollern war der Schaden groß, der Ruf der Familie litt darunter.

Zudem war die Rückgabe- bzw. Entschädigungsforderung durch die ungewollte Publizität zum politischen Streitthema geworden. Vor allem die Partei Die Linke wurde aktiv: Sie stellte Anfragen im Bundestag und reichte im Sommer 2019, im Vorfeld zur Landtagswahl in Brandenburg, eine Petition gegen eine mögliche Restitution ein. Das sorgte dafür, dass der politische Spielraum schwand, um zu einer pragmatischen Lösung der Frage zu gelangen. Die Verhandlungen gerieten in eine Sackgasse.

Die Angelegenheit aus Sicht des Museums Huis Doorn

Das Museum Huis Doorn, der Exilsitz des letzten Hohenzollernkaisers, versteht es als seine Aufgabe, ein breites Publikum über die oben genannte Debatte zu informieren und sie ihm deutlich zu erklären. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass das Museum seit Jahr und Tag mit Fragen zur Beziehung zwischen Wilhelm II. und dem Nationalsozialismus konfrontiert wird, andererseits ist dem Museum Huis Doorn sehr wohl bewusst, dass es der Debatte mit seiner eigenen Sammlung und dem einzigartigen niederländischen Blickwinkel wichtige Aspekte hinzufügen kann.

Die vorliegende Veröffentlichung Der Kaiser und das »Dritte Reich« resultiert aus dieser Aufgabenstellung. Sie ist das wichtigste Ergebnis einer in den Jahren 2019 und 2020 durchgeführten Untersuchung des Museums Huis Doorn zusammen mit zwei Historikern und drei Geschichtsstudentinnen bzw. -studenten der Universiteit Utrecht.

In der Untersuchung ging es zum Ersten um die Frage, welche Beziehungen zwischen den Hohenzollern und der Ideenwelt, den Führungsfiguren und der breiteren Bewegung des Nationalsozialismus in den Jahren 1919 bis 1945 tatsächlich bestanden. Zweitens haben die Forscher nach Dokumenten gesucht, die Auskunft darüber geben, ob die Hohenzollern Adolf Hitler auf seinem Weg zur Macht unterstützt haben. Lassen sich beispielsweise Hinweise darauf finden, dass sie den Nationalsozialisten explizit und öffentlich ihre Unterstützung bekundet oder ihnen symbolisch, finanziell oder organisatorisch Beistand geleistet haben? Natürlich dürfen dabei die Hinweise nicht ignoriert werden, die auf das Gegenteil schließen, also Rivalität oder Feindseligkeit den Nazis gegenüber erkennen lassen. Schließlich geht es auch um die Motive der Hohenzollern bei ihrer eventuellen Unterstützung Hitlers und dessen Handlangern. Waren sie ausschließlich durch Opportunismus geprägt, etwa den Wunsch nach einer Wiederherstellung der Monarchie? Oder lässt sich auch von einer gewissen ideologischen Überzeugung und somit einer ideologischen Verwandtschaft zum menschenverachtenden Gedankengut der Nationalsozialisten, einschließlich des genozidalen Antisemitismus, sprechen?

Einordnung und Quellen

Die Forschungsfragen sind eingebettet in eine Reihe breiterer geschichtswissenschaftlicher Debatten. Das betrifft erstens den Aufstieg Hitlers vor 1933. War er vor allem die Folge des Wahlerfolgs der Nationalsozialisten und des von ihnen geschickt betriebenen Dehnens der demokratischen Spielregeln? Oder gelangten sie hauptsächlich auf Betreiben der alten antidemokratischen Eliten an die Macht, Eliten, die – zu Unrecht – glaubten, Hitler vor ihren Karren spannen zu können? In letzterem Fall geraten die Hohenzollern als Repräsentanten der alten, autoritären Ordnung ins Blickfeld.

Zweitens geht es um die Zeit der Festigung der nationalsozialistischen Herrschaft. Lange haben Historiker den Terror und die Indoktrination betont, mit denen das Regime die Bevölkerung unter der Knute hielt. In jüngster Zeit hat sich der Blickwinkel jedoch auf die eher freiwillige Unterstützung des Naziregimes durch breite Bevölkerungsschichten verschoben. Aus einer bei jedem Einzelnen unterschiedlichen Mixtur aus Überzeugung und Opportunismus begrüßten sie die nazistische Idee einer »Volksgemeinschaft«, für die sie fast wie selbstverständlich einzutreten bereit waren. Inwieweit spielten Terror und Indoktrination einerseits und das Volksgemeinschaftsdenken andererseits eine Rolle bei der Positionierung der Hohenzollern gegenüber dem Nationalsozialismus?

Schließlich geht es auch um die entscheidenden Debatten über die Art und die Auswirkungen des nationalsozialistischen Antisemitismus, der zum größten Verbrechen des Regimes, der Ermordung von Juden in einem nie dagewesenen Umfang, geführt hat. Dabei muss auf die unterschiedlichen Formen des Antisemitismus hingewiesen werden. Zunächst einmal gibt es den traditionellen, vor allem religiös, kulturell beziehungsweise sozial motivierten Antisemitismus, der auf Ausgrenzung zielt. Daneben existiert ein rassenideologisch unterlegter, auf die Vernichtung der Juden gerichteter Hass. Ebenfalls spielt die Diskussion zwischen »Intentionalisten« und »Funktionalisten« über die Ursachen des Holocaust, also des industriell betriebenen Mordes an den Juden, eine Rolle. War der Völkermord gewissermaßen vorprogrammiert, weil die Absicht zur Ermordung der Juden einen so zentralen Platz in Hitlers Ideologie einnahm? Oder war er eher eine Folge der Struktur des Naziregimes und der Funktion seiner Institutionen, die den Holocaust von der politischen Führung bis in alle übrigen Gliederungen des Regimes ausführten? Und wo lassen sich die Hohenzollern auf der Skala antisemitischer Ideen und Taten verorten?

In diesem Buch geht es uns in allererster Linie darum, den aktuellen Kenntnisstand über die Verbindungen zwischen der Hohenzollerndynastie und den Nationalsozialisten darzustellen: Was ist gesichert, und worüber gibt es noch Diskussionen? Dabei stützen wir uns vor allem auf bereits erschienene geschichtswissenschaftliche und journalistische Werke beziehungsweise Quellenpublikationen zur ehemaligen kaiserlichen Familie und deren Mitgliedern sowie, unter anderem, zu den oben genannten Aspekten des Nationalsozialismus. Schließlich wurden auch Quellen aus der Sammlung des Museums Huis Doorn sowie aus niederländischen und deutschen Archiven zu Rate gezogen. Hier und da fügen diese Quellen dem bisherigen Kenntnisstand neue Akzente hinzu und ermöglichen es, auch frühere Versuche der Hohenzollern, wieder zu ihrem ehemaligen Besitz zu gelangen, kurz zu beleuchten.

Sechs Hohenzollern: von Wilhelm II. zu Georg Friedrich

Im Folgenden wird in vier Kapiteln das Verhältnis der Hohenzollern zum Nationalsozialismus als politisches und später als historisches Phänomen beleuchtet. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit Wilhelm II. und seiner zweiten Gemahlin Hermine, einer Prinzessin Reuß aus der älteren Linie (1887-1947), die aus der Ferne, vom Exil aus, ihre Position gegenüber dem Nationalsozialismus als einer erstarkenden Bewegung und später als beherrschender Kraft bestimmen mussten. Bekannt ist, dass der Kaiser sich lange nicht mit dem Verlust des Throns abfinden wollte, und verschiedene seiner Anhänger in Deutschland unterwegs waren, um seine Interessen dort zu vertreten. Auch wissen wir, dass Hermine mehrfach nach Deutschland reiste, um sich für die Wiedereinführung der Monarchie starkzumachen. Wie sehr brachte das den Ex-Kaiser und seine »Kaiserin« in die Nähe der Nationalsozialisten, und wie reagierten sie später, nach der Machtübernahme durch Hitler, auf die Exzesse des Regimes, soweit diese damals schon erkennbar waren?

 

Im zweiten Kapitel wird die nachfolgende Generation in den Blick genommen, und zwar in der Person des vierten Sohnes Wilhelms, August Wilhelm (1887-1949), im Familienkreis auch »Auwi« genannt. Auwi trat schon in den 1920er Jahren mit rechtsextremen antirepublikanischen Kreisen in Kontakt und wagte danach, über die obersten Chargen der NSDAP, den Schritt hin zu den Nationalsozialisten. Seine Biographie gibt aus dem Grund auch erhellende Einblicke in das gesamte rechte politische Spektrum im Deutschland der Zwischenkriegszeit: das breite Milieu aus einander teilweise verstärkenden beziehungsweise unterstützenden, zugleich aber auch heftig miteinander rivalisierenden Gruppierungen und Parteien. Obwohl sie im Großen und Ganzen dieselben Feindbilder teilten (Juden, Marxisten, Liberale) und ein vergleichbares Ideal der einen, glorifizierten deutschen Nation pflegten, bedeutete das nicht, dass Hitlers Anspruch auf die Führerschaft von allen in diesem Milieu akzeptiert wurde. Wo stand August Wilhelm in diesem Streit, und wie ging die Sache schließlich für ihn aus?


»Führer kamen, Führer gingen …« Karikatur aus der sozialdemokratischen Tageszeitung »Het Vrije Volk«, 30. Dezember 1946. Otto von Bismarck, Wilhelm II. und Hitler werden in eine Reihe gestellt.


Das dritte Kapitel konzentriert sich dann auf seinen ältesten Bruder Kronprinz Wilhelm und dessen Gemahlin Cecilie Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin (1886-1954). Obwohl sie in einer unglücklichen Ehe gefangen waren, versuchten beide Eheleute, wenn auch auf jeweils eigene Weise, die Wiederherstellung der Monarchie zu befördern. Kronprinzessin Cecilie nutzte jahrelang ihre Arbeit für einen reaktionären Frauenbund als Plattform, um sich für eine Rückkehr zur Monarchie einzusetzen. Der Kronprinz entwickelte, bis 1923 noch aus der Verbannung in den Niederlanden, seine eigenen Aktivitäten, die ihn mitten in die Rivalitäten der Rechten führten und schließlich in unmittelbare Nähe zur NSDAP-Spitze brachten. Im Jahr 1932 schien er abwechselnd Rivale und Bündnispartner Hitlers gewesen zu sein. 1933 unterstützte er den soeben ernannten Reichskanzler Hitler beim propagandistischen »Tag von Potsdam«, dem Ereignis, bei dem die alte, konservativ-monarchistische Rechte sich mit dessen Machtposition zu versöhnen schien.

Im Mittelpunkt des vierten und letzten Kapitels stehen zwei Vertreter der späteren Generationen der Hohenzollern. Zunächst geht es um den zweiten Sohn Kronprinz Wilhelms, Louis Ferdinand (1907-1994), der ab 1933 als Erbfolger galt. Anders als sein Vater hielt er Distanz zu den Nationalsozialisten, obgleich auch er nicht gegen sämtliche Ausprägungen ihrer Ideologie immun war. Nach dem Krieg entwickelte Louis Ferdinand sich zu einem engagierten Paterfamilias, der, wann immer es möglich war, die Rückgabe oder eine Entschädigung für enteigneten Besitz verlangte. So erhob er gleich nach dem Tod seines Vaters Anspruch auf das vom niederländischen Staat konfiszierte Huis Doorn – vergeblich, wie sich zeigen sollte. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 forderte er die ehemaligen, von den Sowjets beschlagnahmten Besitztümer zurück. In all diesen Jahren machte er kein Geheimnis daraus, dass sein eigentliches Ziel die Wiederherstellung der Monarchie war. Mit seinem Enkelsohn Georg Friedrich (geb. 1976) endet das Buch. Er übernahm nach dem Tod Louis Ferdinands die Funktion des Sprechers der Familie und bekräftigte deren Forderung nach Rückgabe des 1945 von der Sowjetunion beschlagnahmten Besitzes.

Zum Ende dieser Einleitung nun noch ein paar Anmerkungen, beginnend mit Namen und Adelstiteln. Mit dem Haus Hohenzollern sind im Weiteren nur Mitglieder der brandenburg-preußischen Linie dieses alten Adelsgeschlechts gemeint. Wir wissen selbstverständlich, dass es auch eine südwestdeutsche, schwäbische Linie der Familie gibt, die jedoch in diesem Buch keine Rolle spielt.

Verwirrend mag sein, dass die brandenburg-preußischen Mitglieder der hier besprochenen Familie Hohenzollern, anders als ihre fernen Verwandten aus dem schwäbischen Zweig, den Namen »Hohenzollern« heute nicht mehr als Teil ihres offiziellen Familiennamens führen. Das ist auf die Verfassung der Weimarer Republik zurückzuführen. Deren Verkündung am 14. August 1919 bedeutete zugleich auch die Abschaffung der Standesprivilegien des deutschen Adels. Obwohl Adelstitel damit ihre Funktion verloren, wurde per Gesetz bestimmt, dass sie auf Wunsch noch Teil des bürgerlichen Nachnamens sein konnten, also »Graf«, »Herzog«, »Prinz«, und so weiter für die Männer, sowie »Gräfin«, »Herzogin« und »Prinzessin« für die Frauen. Für die Mitglieder des alten, in Preußen regierenden Hauses Hohenzollern lautete der allgemeine Familienname nun »Prinz von Preußen« beziehungsweise »Prinzessin von Preußen«.

Lediglich die Hohenzollern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung von Weimar als Erstgeborene einen Titel geführt hatten, durften diesen bis zu ihrem Tod beibehalten. Dass Wilhelm II. sich »Kaiser« und sein ältester Sohn Wilhelm »Kronprinz« nennen ließ, war also rechtmäßig. Auch andere Mitglieder des brandenburg-preußischen Zweigs der Familie Hohenzollern wurden und werden in Deutschland jedoch noch häufig mit dem Titel »Prinz« und »Prinzessin« bezeichnet und angesprochen. Diese Gewohnheit haben auch wir im Folgenden beibehalten.

Schließlich möchten wir noch darauf hinweisen, dass die Anmerkungen nahezu ausschließlich auf die Quellen der Zitate sowie auf Archivmaterial verweisen. Außerdem gibt es am Ende des Buchs eine umfangreiche Literaturliste.