Marionette des Teufels

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Marionette des Teufels
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Von Dagmar Isabell Schmidbauer

Marionette des Teufels

Kriminalroman

Imprint

Marionette des Teufels

Dagmar Isabell Schmidbauer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2011 Dagmar Isabell Schmidbauer

www.der-passau-krimi.de Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

Prolog

Aufgeregt wanderten die Augen der hübschen Frau durch den kleinen Raum, in dem sie sich an diesem Tag mit einem Mann verabredet hatte, von dem sie nicht wusste, zu was er fähig war. Es war der schmuddeligste Ort im Haus, kein Vergleich zu den anderen Zimmern, die für die Gäste vorgesehen waren. Als sich ihre Blicke trafen, erstarrte Sibylle. Er hatte sie gemustert, hatte ihre Figur einer eingehenden Prüfung unterzogen und schien jetzt sein Urteil zu fällen. Nervös strich sie sich eine Strähne ihrer dunklen Haare hinters Ohr und wartete. Er mochte Mitte dreißig sein, trug einen tadellosen Anzug und passte damit eigentlich sehr gut zu diesem Haus. Sie überlegte kurz, ob sie das Fenster öffnen sollte. Ihr war heiß und ihre Hände schwitzten, weshalb sie sie an ihrem Kittel abwischte. Noch wusste sie nicht genau, was er von ihr erwartete, aber sie beruhigte sich mit der Überlegung, dass, solange sie mit ihm nur in diesem Zimmer blieb, nichts Schlimmes passieren konnte. Erst als ein kleines Lächeln über sein Gesicht huschte, begann sie sich zu entspannen.

Während er sie noch immer ansah, zog er einen Geldschein aus seiner Brieftasche und hielt ihn ihr entgegen. Sibylle lächelte jetzt ein wenig verschämt und blickte kurz zur Tür, bevor sie den Schein in die Tasche ihres Kittels steckte. Er hatte sie gekauft, das wurde ihr in diesem Moment klar, und sie wusste noch immer nicht, ob sie das, wofür er sie bezahlt hatte, auch wirklich geben wollte. Doch als sie sich gleich darauf ein wenig umdrehte, um ihm einen Platz auf dem abgewetzten Sofa anzubieten, raschelte das Papier verführerisch in ihrer Tasche. So einfach konnte Geldverdienen sein, dachte sie und setzte sich zu ihm.

„An was haben Sie denn gedacht?“, fragte sie, nachdem er noch immer nichts sagte und sie die Spannung nicht mehr aushalten konnte.

„Erzählen Sie einfach“, forderte er und sah sie abwartend an.

„Erzählen?“ Wieder dieser scheue Blick zur Tür, aber es war noch zu früh, noch würde niemand kommen, um nach ihr zu fragen.

Der Mann sah jünger aus, als er vermutlich war. Was vielleicht auch daran lag, dass er großen Wert auf sein Äußeres legte. Sein Anzug, in einem dezenten Grau, saß perfekt. Dazu trug er ein helles Hemd und sauber geputzte Schuhe. Die Krawatte war mit einem sehr ordentlichen Knoten gebunden. Sibylle mochte es bei Männern, wenn sie sich Zeit nahmen und auf ihr Äußeres achteten. Sein Parfüm war teuer, ließ aber Raum für seinen eigenen Duft. Unsicher griff er in das Innenfach seines Sakkos und holte einen weiteren Geldschein hervor. Die Frau lächelte verlegen, schob erneut eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr, bevor sie nickte und auch diesen Geldschein rasch verschwinden ließ.

„Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“ Sie wollte höflich sein.

„Nein, vielen Dank. Aber jetzt erzählen Sie doch!“, drängte er. Auf der Suche nach einem Anfang wanderte ihr Blick erneut durch den kleinen Raum. Vor ihnen stand ein niedriger Tisch aus billigem Holz, bedeckt mit Brandflecken längst verglühter Zigaretten. An einer der Wände hing ein Schränkchen mit einigen Gläsern und Flaschen, in der Ecke hinter der Tür ein blauer Arbeitskittel, an dem schon lange ein Knopf lose herunterhing. Auf dem Boden davor stand ein Paar schmutzige Straßenschuhe auf einem löchrigen Putzlappen. Bisher hatte sie das alles nie so genau betrachtet. Aber bisher war auch noch kein Fremder hier hereingekommen.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, wich sie erneut aus. Die Haarsträhne fiel wieder in ihr Gesicht, was ihm zu gefallen schien.

„Haben Sie Angst?“

„Nein.“

„Ist es Ihnen peinlich?“

„Nein.“ Sie lächelte und er schüttelte belustigt den Kopf.

„Die wenigsten Menschen können sich das hier so richtig vorstellen. Es ist schon anders als anderswo“, erklärte sie voller Ernst und musste dann doch selbst über ihr Wortspiel lachen. „Wenn man hier arbeitet, muss man sich einfach von der Vorstellung lösen, dass es Dinge gibt, für die sich niemand begeistern kann“, fügte sie schnell als Erklärung hinzu. Und er nickte, von ihrer Heiterkeit angesteckt, noch immer lächelnd.

„Also bekommt man hier alles?“

„Na ja, im Prinzip schon.“

Und dann begann sie, aus ihrem Alltag zu erzählen.

„Als ich hier anfing, da dachte ich, es ist ein Job wie jeder andere. Wissen Sie, ich hatte keine große Wahl, war froh, überhaupt Arbeit gefunden zu haben. Aber dann habe ich Sachen gehört und auch gesehen, die konnte ich mir bis dahin gar nicht vorstellen.“ Sie machte eine Pause und suchte nach den passenden Worten.

„Ich meine, dass jemand Spaß an so was haben soll und, na ja, dass jemand einfach mitmacht, weil er Geld dafür bekommt.“ Sie dachte an das Geld in ihrer Tasche und wurde unsicher.

„Was für Dinge sind das?“

„Ja, wie soll ich sagen? Ziehen Sie die Grenzen dort, wo Sie Ihrer Fantasie im Traum Grenzen setzen und Sie wissen, wo es aufhört.“

Sibylle hatte, während sie das sagte, auf die Löcher des Putzlappens gestarrt, jetzt riss sie sein lautes Räuspern aus ihrer Versunkenheit. Sie sah ihn an und spürte eine Verlegenheit, die sie ihm vorher nicht zugetraut hatte. Er schien über ihre Aussage nachgedacht zu haben. Vielleicht zog er auch in diesem Moment für sich selbst diese Grenze.

„Und was ist bei all dem Ihr Job?“ Er machte eine Handbewegung in den Raum hinein.

„Ich räume auf und mache die kleinen Schweinereien weg.“

„Die kleinen Schweinereien.“ Er fand das nett.

„Ja, natürlich! Das ist ja mein Job.“

Sibylle straffte sich. Sie hatte das, was sie hier tat, schon oft verteidigen müssen und so fuhr sie auch gleich fort. „Wenn ich Freunden von meinem Job erzähle, dann rümpfen die erst mal die Nase. Und so was kannst du?, fragen sie. Aber dann werden sie neugierig und wollen, dass ich erzähle. Genau wie Sie.“

„Sehen Sie, es ist einfach interessant.“

Sie überging seinen Einwand und erzählte weiter. „Sie fragen dann, was ich bei der Arbeit anhabe, ob ich auch nackt sein muss und ob die Männer mich auch begrapschen.“

Sie sah ihn an, wollte wissen, wie er darauf reagierte.

„Und? Tun sie das?“ Seine Augen ruhten auf ihren Lippen, sie waren sehr sinnlich, wie er fand.

„Nein, natürlich nicht!“

„Beides nicht?“

„Sehen Sie mich doch an!“ Sie strich über ihren Kittel.

„Eben, daher die Frage.“ Als er sie ansah, zog er kurz die Augenbrauen nach oben, woraufhin Sibylle rot wurde. Komplimente hatten sie schon immer unsicher gemacht.

„Aber glauben Sie mir doch, es ist ein ganz normaler Job!“

„Das wäre jetzt eine hübsche Überschrift: ein ganz normaler Job.“

„Im Grunde ist es wirklich nichts anderes.“

„Aber für die Männer ist das hier natürlich schon etwas ganz Besonderes?“

„Ich denke schon. Es ist einfach ihr Abend.“

„Sie haben eine hübsche Art, Dinge zu formulieren.“

„Finden Sie?“

„Aber ja doch“, er nickte zur Bekräftigung. „Wie sieht denn so ein Männerabend aus?“

Wieder warf sie einen raschen Blick zur Tür. Sie wäre gerne aufgestanden und hätte nachgesehen, ob jemand draußen stand, denn er hatte eine tiefe Stimme und sprach nicht gerade leise. Bestimmt konnte man ihr Gespräch draußen mithören.

„Na ja, das ist ganz unterschiedlich. Jeder so, wie er es mag.“ Dann beugte sie sich ein bisschen zu ihm hinüber und fügte hinzu. „Nicht, dass Sie glauben, hier gebe es doppelte Spiegel oder Kameras oder so. Aber ich habe tatsächlich erst kürzlich bei einer solchen Inszenierung zugesehen.“

„Ach!“ Sein Ohr war jetzt ganz nah bei ihren Lippen – sie hätte sogar flüstern können und er hätte es noch gehört.

Eigentlich war es schön, dass er so interessiert war und sie so ernst nahm. Denn seit Tagen suchte sie jemanden, dem sie von ihrem Erlebnis erzählen konnte. Es hatte sie tief berührt, aber sie hatte einfach nicht die richtigen Freunde, um sich darüber auszusprechen. Am Ende würden sie ihr gar nicht glauben. Warum sie ausgerechnet diesem Mann vertraute, wusste sie selbst nicht.

„Die Tür war nur angelehnt, da konnte ich gar nicht anders“, begann sie und entschuldigte sich gleich für ihre Neugierde. Der Mann neben ihr nickte und blickte dabei gebannt auf seine Schuhspitzen. Es war gut, dass er sie nicht ansah, da erzählte es sich leichter.

„Was sie vorher getan haben, weiß ich natürlich nicht, aber als ich hineinschaute, lag der Mann in einem der Betten, die mit schwarzer Satinwäsche bezogen sind. Eines der Mädchen war bei ihm, fuhr ihm über die Haare und sagte: Aufstehen! Zeit für deine Lektion! Er setzte sich verschlafen auf und rieb sich die Augen. Dabei trug er einen Pyjama, der mit großen Teddybären bedruckt war. Die Statur des Mannes war gewaltig und, na ja, er war auch nicht mehr ganz jung und auch nicht ganz schlank. Es sah ein wenig grotesk aus. Das war wohl auch der Grund, warum ich nicht einfach weitergegangen bin. Nachdem er aus seinem Scheinschlaf erwacht war, kniete das Mädchen vor ihm nieder und knöpfte ihm erst die Pyjamajacke und dann die Hose auf und holte seinen …, Sie wissen schon was heraus.“

 

Die junge Frau sah ihren Zuhörer an und der nickte, noch immer in den Anblick seiner Schuhe versunken. „Auf einmal begann sie mit ihm zu schimpfen, sagte streng: Hab ich dir nicht gesagt, dass du mehr an dir arbeiten musst, was soll ich mit so einem schlappen Kerlchen anfangen? Los, steh auf! Und er stand gehorsam auf und sie zog ihm den Pyjama aus und führte ihn zu einem Balken mitten im Zimmer.“

Sie hatte ihrer Stimme den Tonfall des Mädchens gegeben, und als ihr auffiel, wie enthusiastisch das wirken musste, hielt sie irritiert inne.

„Sie erzählen sehr anschaulich“, sagte er und sah sie kurz an. Sein Blick verriet seine Begeisterung. „Erzählen Sie weiter!“

Sie räusperte sich und suchte den Anschluss.

„Dort band sie ihn mit den Armen über dem Kopf und an den Beinen so fest, dass er ihr ausgeliefert war. Dann ging sie zu einem Tischchen und malte in aller Ruhe ihre Lippen in einem leuchtenden Rot aus. Er sah ihr dabei genau zu und sie lächelte ihn verführerisch an, während sie wieder und wieder ihre Lippen übermalte. Gefällt dir das Rot?, fragte sie, und er nickte schüchtern. Als sie kurz darauf wieder vor ihm kniete, war ihre Stimme nicht mehr so streng, aber sie ermahnte ihn trotzdem immer weiter. Du musst jeden Tag an ihm arbeiten! Versprichst du mir das? Jeden Tag. Und dann nahm sie ihn in ihre Hände und erklärte und zeigte ihm, was er machen sollte, wenn er übte. Und während sie noch redete, wurde er tatsächlich immer größer und sie schien langsam richtig zufrieden mit ihm zu sein, denn auf einmal öffnete sie ihren Mund und redete nicht mehr, sondern …, na ja, sie hatte ihn sich ja extra so schön angemalt.“ Ihr Zuhörer war ganz unruhig geworden, denn sie musste ihm gar nicht erst sagen, was das Mädchen mit dem wehrlosen Mann machte. Er wusste es längst und er musste sich sehr beherrschen, um sich das Ganze nicht allzu bildlich vorzustellen.

„Glauben Sie, dass er seine Lektion gelernt hat?“, fragte er und sah sie verschmitzt an. Er wusste, dass ihr klar war, wie es jetzt in ihm brodelte.

„Ich weiß es nicht. Ich habe die Tür geschlossen, weil jemand den Flur entlang kam“, behauptete sie, um seiner Frage auszuweichen.

„Kam er wieder?“

„Warum wollen Sie das wissen?“, fragte Sibylle überrascht zurück.

„Wäre doch interessant zu erfahren, was er sich beim nächsten Mal gewünscht hat. Er hat es sich doch gewünscht, oder?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete sie unsicher und dachte daran, wie es für ihn ausgegangen war. „Vielleicht nicht so.“

„Wie meinen Sie das?“

„Na ja, ich weiß ja nicht, ob die Männer wirklich ein Drehbuch schreiben oder ob sie das nur kurz mit den Mädchen absprechen und die dann nach ihren eigenen Vorstellungen handeln“, erklärte sie und wich ihm damit erneut aus.

„Kannten sie den Mann? Ich meine, würden Sie ihn wiedererkennen?“

„Das geht jetzt aber wirklich zu weit. Sie wissen doch, ich darf nichts über die Gäste sagen, sonst bin ich nämlich meinen Job los und es wäre mir auch lieber, wenn sie über das, was ich ihnen gerade erzählt habe, nicht schreiben.“ Er nickte, was sie als Versprechen auffasste. „Außerdem kennt man sich hier nicht, verstehen Sie? Selbst wenn man sich erkennen würde, so spricht man einfach nicht davon. Hier will jeder lieber unerkannt bleiben!“

„Ja, das kann ich gut verstehen.“

Er machte eine Pause und blickte sich dabei ein wenig im Raum um. Vielleicht hätte er jetzt doch gern etwas getrunken. „Erzählen Sie mehr von Ihrem Job. Er scheint doch sehr interessant zu sein.“

„Ich weiß nicht. Meinen Sie wirklich?“ Er nickte und sah wieder auf ihre Lippen, bis sie zu lächeln begann.

Irgendwie war es schön, hier mit ihm zusammenzusitzen, dachte sie, seinen Blick erwidernd. „Ich beginne am späten Nachmittag. Da ist dann genug Zeit für die Grundreinigung. Im Tageslicht sieht auch alles ganz anders aus. Wenn dann die Mädchen kommen, kümmern die sich um die Zimmer. Sie holen sich eins von den großen Handtüchern vom Stapel und den Schlüssel. Und wenn dann alles gut geht, Sie wissen schon, dann bleibt alles schön sauber. Wird einer aber ein bisschen wilder, kann es natürlich auch mal sein, dass das ganze Bett abgezogen werden muss und dann legen sie den Schlüssel separat zurück. Der Rest ist mein Job. Aber das ist ja nicht schlimm.“

„Und die Mädchen sind sehr hübsch? Tragen schwarze Strümpfe und Strapse und sind alle sehr üppig oben rum?“, ein wenig unbeholfen zeigte der Mann mit seinen Händen, wie er sich das vorstellte.

„Sie sehen zu viele Filme“, lachte Sibylle herzhaft, was dem Mann ebenfalls ein entspanntes Lächeln abrang. „Wir haben richtig üppige Frauen und wir haben auch ganz dünne. Manche verdienen sich ein paar Euros dazu, indem sie auf dem Laufsteg Dessous vorführen und andere sind völlig unscheinbar. Aber in dem, was sie tun, sind sie einfach spitze. Heißt es. Die Männer mögen ja auch ganz unterschiedliche Dinge. Den Busen zeigen allerdings alle. Ich glaube, das ist Bedingung. Daran sind die Kunden schon sehr interessiert, die wollen ja schließlich etwas anfassen können. Viele sind verheiratet und möchten hier das, was sie zu Hause nicht bekommen. Wobei ja wohl doch die meisten Männer davon träumen, eine schöne Frau zu besitzen oder von ihr verführt zu werden.“

„Gibt es auch Frauen, die sich hinter einer Maske verstecken?“

„Nein. Ich glaube, das hat keine nötig.“

„Ich dachte da auch mehr an das Geheimnisvolle. An das Wechseln ihrer Identität!“

„Also, wenn es zum Spiel gehört bestimmt.“

„Und die Frauen machen das alle hauptberuflich oder haben die noch einen anderen Job?“

„Na, ich glaube nicht, dass die nebenbei noch putzen gehen.“ Sie überlegte und fügte dann hinzu. „Aber wenn Sie das genau wissen wollen, sollten Sie lieber eines der Mädchen fragen.“

Er nickte kurz und wechselte dann das Thema. „Treffen Sie oft auf Kunden?“

„Wir versuchen, es zu vermeiden. Niemand will schließlich gern an so profane Dinge wie das Saubermachen erinnert werden.“

„Ja, natürlich.“

Auf einmal waren vor der Tür Schritte zu hören. „Ich glaube, wir sollten jetzt lieber aufhören, ich möchte nicht, dass Sie hier von jemandem gesehen werden.“

Sie stand auf, zum Zeichen, dass Schluss war, und im gleichen Moment wurde ihr klar, dass es vielleicht ohnehin ein Fehler gewesen war, hier mit ihm zu sprechen.

„Ja, ich verstehe. Wäre es Ihnen denn recht, wenn ich noch einmal wiederkomme?“ Er stand ihr gegenüber, ein bisschen größer als sie und sah sie fast bettelnd an. „Oder vielleicht könnten wir uns ja auch woanders weiter unterhalten?“ Die junge Frau streifte mit ihren Händen über den billigen Putzkittel. Dabei spürte sie die Geldscheine in ihrer Tasche und wurde leichtsinnig.

„Warum eigentlich nicht?“

Es war wirklich schön mit ihm, aber andererseits hatte sie ihn noch immer nicht gefragt, wie er ausgerechnet auf sie gekommen war.

Wochen später …

Die letzten Stunden hatte Sophia damit zugebracht, alles aufzuräumen, zu putzen und wegzuschaffen, was man in ihrer Wohnung nicht finden sollte. Dann hatte sie ein Bad genommen, ihre langen blonden Haare gewaschen und die Fußnägel lackiert. Doch jetzt, nachdem sie alles erledigt hatte und es, außer zu warten, so gar nichts mehr zu tun gab, spürte sie, wie die Nervosität von ihr Besitz ergriff. Wie ein gejagtes Tier lief sie in der Wohnung herum: Berührte kurz ihre Geige, wusste aber, dass sie jetzt nicht spielen konnte, legte sich aufs Bett und stand gleich darauf wieder auf, schaltete den Fernseher an und wieder aus. Sie wollte sich etwas zu Essen machen, hatte aber keinen Hunger. Schließlich nervte sie sogar das Ticken der Uhr in der Küche, weshalb sie energisch die Küchentür schloss.

Sophia fühlte sich allein auf der Welt. Allein mit diesem Gefühl der Unruhe, das sie seit einiger Zeit nicht mehr losließ und dem sie sich auf keinen Fall ausliefern durfte. Nicht heute. Nicht jetzt. Nicht in diesem wichtigen Moment.

Sie überlegte, dass sie etwas anziehen sollte, was angemessen war, verschob es dann aber auf später. Es blieb ihr noch genug Zeit, bis ihr Besuch kommen würde.

Stattdessen ging sie zum Fenster und blickte hinunter auf die Postackerstraße. Dort herrschte um diese Zeit kaum Verkehr, denn es war bereits dunkel und die Straßenlaternen brannten. Doch das gelbe Licht wurde vom Nebel fast gänzlich verschluckt.

Als sie im Schlafzimmer an ihrem Spiegel vorbei kam, sah sie, wie blass und fahl sie war. Trotz ihrer erst zweiunddreißig Jahre, zeigten sich bereits die ersten Fältchen um die Augen. Sie sah genauer hin, lächelte und hoffte, sie würde sich in den nächsten Jahren irgendwie an sie gewöhnen. Und dann dachte sie an ihren bevorstehenden Triumph und wie sie ihn auskosten würde. Auf das, was heute vor ihr lag, hatte sie schließlich ihr ganzes Leben gewartet.

Als es dann tatsächlich klingelte, war sie zunächst verwirrt und gleich darauf erleichtert. Zumindest bis zu dem Moment, bis sie bemerkte, dass sie noch immer den alten Bademantel trug. Sie musste im Sessel sitzend eingeschlafen sein und jetzt fehlte ihr die Zeit, um sich noch etwas Seriöseres anzuziehen. Nun, dann musste es eben so gehen, entschied sie, stand auf und ging in den Flur, um die Haustür zu öffnen. Doch als sie auf den Türöffner drücken wollte, sah sie durch die Milchglasscheibe der Wohnungstür, dass ihr Besucher bereits heraufgekommen war.

Während sie sich in Erinnerung rief, wie sie sich später, wenn alles vorüber war, eine kleine Schwäche erlauben durfte, floss ein zufriedenes kleines Lächeln über ihr Gesicht. Später, dachte sie und besann sich. Dann zog sie den Gürtel ihres Bademantels fester und öffnete die Tür.

„Du?“ Sophia kannte den Mann vor ihrer Tür und ließ ihn herein, damit zumindest die Alte, die ein Stockwerk tiefer wohnte, nichts von seinem Besuch mitbekam. Ein Fehler, wie sich jedoch bald herausstellen sollte. Denn an diesem Tag ging es ihm nicht um die üblichen Höflichkeitsfloskeln, die er sonst bei ihren Begegnungen parat hatte. Kaum hatte er das Wohnzimmer erreicht, da wurde er auch schon zudringlich, legte seine Hände auf ihren Körper und versuchte den Bademantel über ihre Schultern zu streifen. Abwehrend zog die Frau den Gürtel fester um ihren schlanken Körper und bereute es nun doch sehr, dass sie sich nicht rechtzeitig angezogen hatte.

„Sophia, wir beide“, begann er gerade erneut doch sie wandte sich gleich unwirsch ab. Er roch nach Alkohol, nach Kneipe und war unrasiert.

„Was soll das denn jetzt?“, fragte sie und fügte mit fester Stimme hinzu, „ich glaube es wird Zeit, dass du wieder gehst!“

„Aber du kannst mich doch nicht einfach wegschicken. Nicht nach allem, was passiert ist.“

„Passiert ist?“ Sie sah ihn fragend an. „Was ist denn schon groß passiert? Du hast dich übernommen, das ist passiert! Und jetzt kommst du zu mir, damit ich dein elendes Spiel mitspiele.“ Den letzten Teil spuckte sie ihm geradezu vor die Füße und schob ihn dann energisch von sich, als er versuchte, sie zu umarmen.

„Geh jetzt und vergiss alles, was du dir in deinem kranken Hirn ausgedacht hast!“, riet sie ihm und dachte, damit sei zumindest diese Geschichte ausgestanden. Aber da irrte sich Sophia gewaltig, denn der Mann, der an diesem Abend zu ihr gekommen war, war in Not, er hatte sich gut auf dieses Zusammentreffen vorbereitet und war daher auch nicht bereit, so schnell aufzugeben.

„Aber meine Schöne, vor uns liegt doch eine wunderbare Zukunft“, versuchte er ihr erneut zu erklären. Doch sie hatte längst die Geduld verloren und wurde langsam böse. „Vor mir liegt eine wunderbare Zukunft! Vor dir dagegen liegt gar nichts mehr. Du hast deine Zukunft bereits hinter dir, und du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich mit dir diesen Abstieg antrete?“

Er wollte etwas antworten, wollte von ihr hören, dass sie nur Spaß machte. Aber Sophia hatte sich längst in Rage geredet, beschimpfte ihn ohne Punkt und Komma. Und er schwieg, wusste auch gar nicht, was er noch sagen sollte. Dafür wechselte ganz langsam sein Gesichtsausdruck – eben noch Glück und Hoffnung, dann Unverständnis, Enttäuschung und jetzt Zorn. Kalte Wut überzog sein Gesicht. Er bettelte nicht mehr, stand nur still da und wusste auf einmal, dass er getäuscht worden war.

„Jetzt verschwinde endlich!“, fauchte Sophia ihm gerade entgegen, dabei war ihre Stimme so kalt wie das Wasser der Donau. Vielleicht hätte sie ihn nicht einfach so abfertigen sollen, ihm stattdessen erklären, warum jetzt alles anders war.

Vielleicht hätte das aber auch gar nichts an seinem Entschluss geändert. Denn letztlich griff er ja nicht bewusst nach der Glaskugel, die neben ihm im Regal lag, sondern packte nur das Erstbeste, das ihm in die Finger kam, um sie zum Schweigen zu bringen. Er hätte ihr auch einfach den Mund zuhalten können. Aber er war sich nicht sicher, ob das ausgereicht hätte. Sicher wusste er nur, dass er das, was sie zu ihm gesagt hatte, nicht hören wollte. Das war alles.

 

Sophia bemerkte die schwere Glaskugel in seiner Hand und nahm die Aufwärtsbewegung seines Armes wahr. Als sie realisierte, was er vorhatte, wurden ihre Augen für einen kleinen Moment ganz groß, doch ihr Gehirn war nicht mehr in der Lage, diese Informationen sinnvoll zu verarbeiten. Zu schnell ging alles auf einmal. Ihre vollen Lippen öffneten sich, aber ihr fehlte die Kraft, um etwas zu sagen. Schon sackte ihr leichter Körper schwer in sich zusammen. Sie hatte noch nicht einmal gezuckt, keine Zeit gefunden, um aufzuschreien. Auf einmal ging alles ganz, ganz schnell.

Niemals würde sie erfahren, dass es ihm Leid getan hatte, nachdem alles vorüber war.

Er hatte sie aufs Bett gelegt und die Spuren, die er hinterlassen hatte, beseitigt. Später dann, laut und drängend, begann das Telefon zu läuten. Durch die tödliche Stille schien es noch lauter als sonst, so als wollte der Anrufer damit nicht nur auf sich aufmerksam machen, sondern eine Tote zum Leben erwecken. Auf dem Display erschien keine Nummer, denn der Anrufer hatte sie unterdrückt. Vielleicht war es Zufall, vielleicht wollte er auch einfach unerkannt bleiben und damit verheimlichen, dass er eines von Sophias Geheimnissen kannte.

***