Loe raamatut: «Eine Geschichte des Krieges», lehekülg 14

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Querverweise

Die Zeit der Bürgersoldat*innen78

Technologie ist nichts ohne Strategie132

Guerilla und Aufstandsbekämpfung236

Der Bombenkrieg, vom Boden aus betrachtet568

Aus Ruinen767

1Maclyn P. Burg / Thomas J. Pressley (Hg.), The Great War at Home and Abroad, Manhattan, Kan 1999, S. 81.

2»Fighting a Gas Attack in the Trenches«, in: Popular Science Monthly 91, Nr. 4 / 1917, S. 580.

Michael Neiberg
Technologie ist nichts ohne Strategie1

Technologischer Vorsprung verschafft einer Armee Überlegenheit. Doch er allein bringt keinen Sieg. Alles hängt von der Art des Gebrauchs ab, den Armeeführung und Staat davon machen.

Eine Geschichte von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt berichtet von einem amerikanischen Offizier, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen Indianerhäuptling gefragt habe, was er von der modernen Artillerie der US-Armee halte. Dieser habe geantwortet, er finde das schon sehr beeindruckend, doch keiner seiner Krieger sei so dumm, auf seinem Pferd still davor sitzen zu bleiben. In dieser Fabel steckt die einfache, aber entscheidende Idee, dass der bloße Besitz einer Technologie für sich genommen nicht so wichtig ist wie der Gebrauch, den eine Gesellschaft davon macht, sowie die Art und Weise, wie die Gegenseite darauf reagiert. In der Geschichte haben sich nur wenige Soldat*innen nicht von überlegener tödlicher Technologie in gegnerischer Hand beeindrucken lassen. Ausnahmen bilden der »Geistertanz«, jene Sioux-Bewegung der 1880er Jahre, und der Boxeraufstand in China, die beide auf einem religiös-chiliastischen System beruhten, das seinen Anhänger*innen spirituelle Unantastbarkeit durch die Waffen des Westens versprach. In beiden Fällen handelte es sich um Versuche, die Technologie des Gegners mit immateriellen Mitteln zu kontern.

Im Krieg versucht jeder, überlegene Waffensysteme des gegnerischen Lagers zu umgehen, auch wenn es vorkommt, dass eine Minderheit den extremen Weg der Sioux oder Boxer einschlägt. Der preußische Philosoph Carl von Clausewitz, der in einer Zeit relativer Stabilität der technologischen Entwicklung schrieb, fasst den Krieg als Konfrontation zweier Willen. Die Technologie spielt kaum eine Rolle in seiner detaillierten Analyse der napoleonischen Zeit. In dieser Epoche verfügte jedes Lager über einen technologischen Vorteil, den das gegnerische Lager nicht erlangen oder ausgleichen konnte. In den Augen von Clausewitz lag der Schlüssel zum Sieg weniger in der Technologie selbst als in ihrer Verwendung durch die Heerführer und Staaten im Rahmen eines strategischen Gesamtplans.

Nichtsdestotrotz ist die Frage der technologischen Überlegenheit von Bedeutung, insbesondere in symmetrischen Auseinandersetzungen zwischen Armeen, die dieselbe Doktrin, dieselbe Philosophie und dieselbe Art, Feldzüge durchzuführen, teilen. In diesen Fällen kann ein technologischer Zugewinn die Balance kippen lassen. Denken wir an die Atombombe, mit der die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg den Konflikt mit Japan beendeten, an die schweren Langstreckenbomber B-29 Superfortress, die die beiden Atombomben abwarfen, oder auch an die »Turingbomben«, mit deren Hilfe die Briten die Geheimkommunikation der Deutschen entschlüsselten.

Allerdings unterscheiden Technologiehistoriker zwischen Veränderungen, die infolge einer technologischen Entwicklung eintreten, und solchen, die aus einer technologischen Revolution resultieren. Erstere beruhen auf allmählichen Verbesserungen, die an bestehenden Technologien vorgenommen werden. So bescheiden diese Veränderungen manchmal erscheinen, ihre Folgen können beachtlich sein. Die Kombination des amerikanischen Jagdflugzeugs P-51 Mustang mit dem britischen Merlin-Motor von Rolls-Royce zum Typ P-51-D während des Zweiten Weltkrieges bietet ein gutes Beispiel. Es entstand dadurch ein dynamisches Fluggerät mit einer Geschwindigkeit und einem Aktionsradius, die es ermöglichten, die alliierten Bomber von ihren Stützpunkten im Vereinten Königreich bis zu den Zielen in Deutschland zu begleiten. Es ließe sich auch die Entwicklung und Kombination des Radars und der Luftnavigationssysteme im Laufe des Krieges anführen. Hierbei handelt es sich um Verbesserungen und mithin nicht um radikale Veränderungen.

Revolutionäre Veränderungen hingegen beschreiben die Entwicklung völlig neuartiger Technologien. Die Atombombe ist der bekannteste Fall, ebenso dazu gehört die Ersetzung der Propellerflugzeuge durch Düsenflugzeuge ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Solche Revolutionen bringen Risiken mit sich und sind äußerst kostspielig. Die Dreadnought-Schlachtschiffe, die Großbritannien 1906 vom Stapel laufen ließ, machten die anderen im Gebrauch befindlichen Kriegsschiffe obsolet. Daraus entstand ein regelrechter Rüstungswettlauf um die neue Technologie. 1914 waren weltweit neunzig dieser Schiffe einsatzfähig oder im Bau. Sie revolutionierten nicht nur die Schiffstechnologie, sondern auch die globale Strategie, da sie mit Öl statt mit Kohle fuhren. Dies bedeutete einen unvorhergesehenen Vorteil für die Vereinigten Staaten, die während der zwei Weltkriege Zugang zu gleichsam unbegrenzten Ölreserven hatten – im Unterschied zu Deutschland, dem nichts dergleichen zur Verfügung stand.

Stahl und fossile Brennstoffe

Das Ende des 19. Jahrhunderts erlebte mit der zweiten industriellen Revolution, die sich im Wesentlichen in den Vereinigten Staaten und Westeuropa vollzog, den Anfang großer Veränderungen. Zunächst einmal verschaffte die Verwendung der Kohle und anderer fossiler Brennstoffe den Industriellen eine größere materielle Macht als zur Zeit der ersten industriellen Revolution, die auf Wind- und Wasserkraft sowie Muskelkraft von Tieren beruht hatte. Nun konnte man Waffensysteme, die bis dahin in Handwerksbetrieben hergestellt worden waren, in Massenproduktion fertigen. Zweitens erlaubte Bessemers Verfahren zur Stahlherstellung (1856 von Henry Bessemer patentiert) die Massenproduktion eines zugleich formbaren und festen Materials, das sich aus diesem Grund ideal für die Rüstungsindustrie eignete. Für alle in Gebrauch befindlichen Waffen, von Bajonetten bis zu Schiffsrümpfen, ersetzte der Stahl das leichter zerbrechliche Eisen, die teurere Bronze und das weichere Holz. 1910 waren die Vereinigten Staaten und Deutschland die weltgrößten Stahlproduzenten mit zusammengenommen größerem Output als der ganze Rest der Welt. Die Deutschen bewiesen allerdings größere Zielstrebigkeit bei der Bemühung, diese Produktionskapazität für ihre Streitmacht zunutze zu machen; bald verschafften sich jedoch auch die Vereinigten Staaten militärische Vorteile daraus.

Dank der Verwendung austauschbarer Teile, einer amerikanischen Erfindung, war es schließlich möglich, verschiedene Varianten derselben Technologie mit genauen Spezifikationen herzustellen und auf diese Weise Reparatur und Distribution effizienter zu gestalten. Das amerikanische Massenfertigungssystem, wie es bezeichnet worden ist, erlaubte die Serienproduktion von Gewehren, die größere Reichweite und Präzision hatten, weniger kosteten und besser handhabbar waren als die alten Musketen mit glattem Lauf. Diese neuen Gewehre, deren Munition, die Minié-Geschosse, ebenfalls in Massenproduktion gefertigt wurde, erhöhten die Schlagkraft der Infanterie und der Kavallerie. Die Artillerie optierte ebenfalls für gezogene Läufe und ersetzte die Bronze durch Stahl, was ihr eine größere Zerstörungskraft verschaffte. Die Folge davon war eine beträchtliche Umwälzung, die sich im Zeitraum zwischen 1815 und 1861 vollzog. Zugleich führte die Ausweitung der Kampfzone zu einer Zunahme der Kriegsopfer, weil die neuen Technologien den Abwehrkampf begünstigten.

Der gezogene Lauf, der die Schussgenauigkeit verbessert, bleibt bis zum heutigen Tag, mehr als anderthalb Jahrhunderte nach Beginn seiner Massenfertigung, das tödlichste Stück Militärtechnologie, das es gibt. Seine ungebrochene Vorherrschaft im militärischen Bereich gibt David Edgerton recht, für den die technologische Innovation weniger wichtig ist als die Dauer ihrer Verwendung. Auch wenn sich die Entwicklung von Waffen mit gezogenen Läufen langsamer vollzog als die von Flugzeugen und Schlachtschiffen, hat sich ihre Letalität als folgenreich erwiesen. Im Krieg zählt der Grad an Perfektion, zu dem man es bei einer technologischen Entwicklung bringt, weniger als ihre wirksame Einsetzbarkeit bei der Kriegführung.

Im Amerikanischen Bürgerkrieg konnte der Norden über den relativ langen Zeitraum des Krieges gegenüber dem Süden einen Vorteil daraus ziehen, dass er über mehr Fabriken und besseren Zugang zu Kohle und Eisen verfügte. Zu Kriegsbeginn besaßen die Unionsstaaten 110 000 Fabriken und die Konföderierten lediglich 18 000, die zudem mit Ausbruch der Feindseligkeiten ihre aus den Nordstaaten kommenden Arbeiter*innen und ihren Zugang zu den Kohlelagerstätten und Eisenvorkommen des Nordens und Mittleren Westens verloren. Während der Auseinandersetzung produzierte Pennsylvania allein vierzehn Mal mehr Eisen als alle Südstaaten zusammen, und die Industrieproduktion in New York war viermal so hoch wie die des gesamten Südens. So stellte der Norden im Laufe des Krieges 1,7 Millionen Gewehre her und der Süden so gut wie keine.

Dasselbe galt für nichtmilitärische Technologien wie die Eisenbahn. 1861 durchzogen 35 500 Kilometer Gleise mit einheitlicher Spurweite die Unionsstaaten, während die Konföderierten lediglich über 14 500 Kilometer Gleise verfügten, die zudem unterschiedliche Spurweiten aufwiesen. Der Krieg unterzog ihre Haltbarkeit einer harten Prüfung, die ihre Konstrukteure nicht vorausgesehen hatten. Doch während der Norden die Kapazitäten besaß, sie instand zu halten, das Netz weiter auszubauen und den Fuhrpark auszutauschen, war der Süden dazu nicht in der Lage. Im Norden war aufgrund seiner Industrie auch ein ausgefeiltes Bankensystem entstanden, mit dessen Hilfe er seine Entwicklung finanzieren konnte. Der technologische Vorteil der Unionsstaaten spielte quantitativ wie qualitativ eine zentrale Rolle für ihren Sieg. Er verschaffte ihnen den Spielraum, sich von gewissen Anfangsfehlern und fragwürdigen strategischen Entscheidungen wieder zu erholen.

Wenige Historiker vertreten einen technologischen Determinismus, das heißt die Idee, dass die Technologie allein den Ausgang eines Krieges entscheiden könne. Allerdings nicht so weit entfernt von dieser Position ist Dennis Showalter in seinem vielsagend betitelten Buch über die deutschen Einigungskriege (1864–1871), Railroads and Rifles. Während Dänemark, Österreich und Frankreich ihre Bemühungen auf Befestigungsarbeiten konzentriert hatten, investierte Preußen in die Eisenbahn. Dadurch konnte es Truppen und Nachschub mit einer Geschwindigkeit verfügbar machen, die seine Gegner unvorbereitet traf. Außerdem verfügte Preußen über das Dreyse-Zündnadelgewehr, ein schneller und präziser Hinterlader mit Metallpatronen, der eine beispiellose Kadenz von zehn bis zwölf Schuss pro Minute erreichte.

Doch selbst ein Historiker wie Showalter gesteht zu, dass diese Technologien Preußen nicht zum Sieg verhalfen, weil sie ihm eine erdrückende Überlegenheit verschafften, sondern weil es Preußen besser als seinen Gegnern gelang, sie in eine bereits bestehende Doktrin und Strategie zu integrieren. Die preußische Führung hatte eine klare Vorstellung davon, was sie bewerkstelligen wollte, und wusste sich zu zügeln, sobald das Ziel erreicht war. Die Eisenbahn und Gewehre ermöglichten ihr den Sieg bei Königgrätz gegen die Österreicher am 3. Juli 1866 und den Sieg von Sedan gegen Frankreich am 1. September 1870, doch es war ihre strategische Überlegenheit, durch die sie, mit den Siegen auf dem Schlachtfeld im Rücken, ihr Ziel einer Vereinigung der nördlichen Provinzen mit Bayern zu einer einzigen Nation unter ihrer Befehlsgewalt erreichen konnte.

Die Technologien der zweiten industriellen Revolution halfen den europäischen Ländern auch dabei, Ende des 19. Jahrhunderts Afrika zu kolonialisieren. Dampfschiff und Eisenbahn erlaubten den europäischen Armeen, tiefer ins Innere des afrikanischen Kontinents vorzustoßen, als es ihnen zuvor möglich gewesen war. Mit der industriellen Produktion von Medikamenten konnten sie Krankheiten behandeln, von denen sie zuvor noch in großer Zahl dahingerafft worden waren. Besonders das Maschinengewehr verschaffte ihnen einen entscheidenden Vorteil gegenüber den vorindustriellen afrikanischen Gesellschaften. Über die ersten Maschinengewehre, die 550 Schuss pro Minute abfeuern konnten, dichtete der britische Schriftsteller Hilaire Belloc 1898: »Whatever happens we have got / the maxim gun, and they have not«2 (»Was immer geschieht, wir haben schlicht / das Maxim-Gewehr, und sie haben’s nicht«). Das Maxim-Maschinengewehr und andere Waffen machten es beispielsweise möglich, dass die Briten am 2. September 1898 in der Schlacht von Omdurman im Sudan 10 000 Afrikaner töteten und 13 000 weitere verwundeten, während sie selbst nur 47 Tote und 383 Verwundete zu verzeichnen hatten. Diese schockierende und blutige Diskrepanz war es, die Belloc zu seinem Gedicht inspirierte. Dennoch erklärt die Technologie nicht automatisch den Sieg Westeuropas in Afrika. Am 22. Januar 1879 gelang es einer lediglich mit Lanzen bewaffneten, aber effektiv geführten Armee von Zulu-Kriegern bei Isandhlwana, die mit modernen Waffen ausgerüsteten Truppen vernichtend zu schlagen. Einen ähnlichen Ausgang nahm die Schlacht von Adua am 1. März 1896, als ein seinerseits mit moderner Technologie ausgestattetes italienisches Kontingent von äthiopischen Truppen besiegt wurde, die zwar nur Gewehre und Lanzen trugen, aber zahlenmäßig überlegen waren. Die Technologie verschafft einem Lager nur dann einen Vorteil, wenn seine Anführer*innen in günstiger Umgebung guten Gebrauch davon machen.

Wenn die Technologie die Strategie bestimmt

In symmetrischen Kriegen bleibt die technologische Überlegenheit nicht lange erhalten. Aufgrund der technischen Entwicklung selbst kommt es nur selten vor, dass eine Seite langfristig einen bedeutenden Vorteil behält. Um das einzusehen, genügt das Beispiel des Fortschritts im Flugzeugbau während des Ersten Weltkrieges. Im Sommer 1915 entwickelten die Deutschen ein neues Jagdflugzeug, den Eindecker Fokker E. I – die beste Maschine ihrer Art, die je existiert hatte. Ein System, das das Maschinengewehrfeuer mit dem Propellerschlag synchronisierte, erlaubte es, in schnellerer Abfolge und mit größerer Präzision zu schießen. Über einen Zeitraum von wenigen Monaten, den die Alliierten als »Fokker-Plage« bezeichneten, beherrschten die Deutschen den Himmel über der Westfront und schlugen damit das gegnerische Lager, das nun die andere Seite des no man’s land nicht mehr aufklären konnte, gewissermaßen mit Blindheit, während sie ihrer eigenen Artillerie einen viel umfassenderen Überblick über die Front verschafften. Durch Überfliegen der alliierten Linien waren sie in der Lage, ihre Artillerie genauer auszurichten und den gegnerischen Truppen schwere Verluste zuzufügen, insbesondere in der Schlacht um Verdun. Im Frühling 1916 jedoch verschoben neue Flugzeuge wie die französische Nieuport 11 und die britische Airco DH.2 von de Havilland, die beide zum Kampf gegen den deutschen Eindecker entworfen und gebaut waren, den Vorteil wieder auf die Seite der Alliierten. Trotzdem bedeuteten beide keinen radikalen technologischen Fortschritt.

Es kommt auch vor, dass eine Seite versucht, den technologischen Vorsprung der Gegenseite anderweitig auszugleichen. Nachdem die Deutschen in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erst spät begriffen hatten, dass sie den Vorsprung der britischen Seestreitkräfte mit ihren Dreadnought-Schlachtschiffen nicht würden einholen können (das Vereinigte Königreich verfügte 1914 über dreiundvierzig Schiffe dieser Art, Deutschland hingegen nur über vierundzwanzig), entwickelten sie Unterseeboote, die unentdeckt unterhalb der gegnerischen Schlachtschiffe navigieren und sie mittels Torpedos oder zu diesem Zweck entwickelter Spezialminen versenken konnten. Die Dreadnoughts waren derart kostenintensiv, dass Großbritannien nicht das Risiko eingehen wollte, sie auf See zu verlieren. Daher nahm es in der Schlacht von Gallipoli 1915 davon Abstand, sie einzusetzen, als es seine Schlachtschiffe der vorangegangenen Generation von den Minen in die Luft gesprengt sah. Dadurch waren die Alliierten gezwungen, eine Anlandung auf der Halbinsel Gallipoli zu versuchen. Weder Großbritannien noch Deutschland wollte sich mit seinen Schlachtschiffen vorwagen. Eine Ausnahme bildete lediglich Jütland (31. Mai – 1. Juni 1916). Ebenso zögerten die Pilot*innen des Ersten Weltkrieges, mit ihren neuesten Flugzeugmodellen die feindlichen Linien zu überfliegen, da sie fürchteten, bei Abschuss der Gegenseite die jüngsten technischen Fortschritte preiszugeben.

Infolgedessen waren es eher gelegentlich die technologischen Erfordernisse, die die Militärstrategie bestimmten. 1940 marschierten die Deutschen teilweise deswegen in Norwegen und Frankreich ein, um die Tausenden Kilometer Küstenstreifen zur Errichtung von U-Boot-Basen zu nutzen, ihre in Einzelteilen auf dem Landweg transportierten U-Boote vor Ort zu montieren und zu Wasser zu lassen, ohne dass Großbritannien dies verhindern konnte, wobei sie vom besetzten Frankreich aus den Ärmelkanal, den Atlantik und die baskische Küste erreichen konnten. Die Suche nach Wegen, um die Ölversorgung für ihre Panzer und Flugzeuge sicherzustellen, erklärt auch die Entscheidung der Deutschen, 1942 das Wolgatal anzugreifen, bis sie die verheerende und entscheidende Niederlage bei Stalingrad erlitten.

Auch die Strategien des Luftkrieges zielten darauf, den Gegner von seinen technologischen und industriellen Ressourcen abzuschneiden. Strategische Bombardements als bewusste Methode wurden zum ersten Mal im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Intensiv studiert wurden sie in den 1930er Jahren an der Air Corps Tactical School der US-Luftwaffe in Maxwell Fields in Alabama. 1942 hatte das amerikanische Militär den Langstrecken-Bomber B-17 entwickelt, der die Durchführung einer Luftkampagne ermöglichte, um die Deutschen von dem Öl, Sprit und Schmiermittel abzuschneiden, das diese für ihre Technik benötigten. Zu den amerikanischen Innovationen gehörten das Norden-Bombenzielgerät, mit dem eine größere Präzision bei Bombenabwürfen erreicht wurde, sowie bessere Navigationsinstrumente. Mit dem Verlust von fast 600 Soldat*innen und einem Viertel der beteiligten Maschinen erlebte die amerikanische Luftwaffe eines ihrer größten Desaster im Krieg am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt, als sie vergeblich versuchte, die deutsche Kugellager-Produktion zu zerstören, eine scheinbare zweitrangige, aber für Benzinfahrzeuge unverzichtbare Technologie.

Technologische Innovationen zeigen nicht immer die erhoffte Wirkung. Oft bergen sie Risiken oder erfordern beträchtliche Investitionen in die Infrastruktur. Im Zweiten Weltkrieg investierte Deutschland massiv in Technologien wie das Strahlflugzeug Me 262 und die Raketen V1 und V2, von denen sich die Nationalsozialist*innen den Sieg erhofften. Doch diese Maschinen benötigten Flugfelder, Abschussrampen und Treibstoffmengen, über die die Deutschen nicht verfügten. Auch benötigten sie längere Zeit bis zur Serienreife. Außerdem konnte keine Technologie das Land aus seiner globalen Unterlegenheit retten, die sich aus Schwächen seiner Industrie, unzureichenden Ressourcen und einer mörderischen Ideologie ergab und die es zur Niederlage verurteilte.

Während des Zweiten Weltkrieges scherzten Amerikaner*innen gerne, ihr Land liefere keine Lösungen für die Probleme, sondern zerquetsche diese schlicht unter seiner großen Macht. Zwischen 1943 und 1945 erreichte die amerikanische Flugzeugproduktion die beeindruckende Zahl von 231 977 Maschinen, fast das Doppelte der Achsenmächte zusammen. Dieses Produktionsniveau erlaubte den Vereinigten Staaten, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen und zusätzlich noch die Alliierten über das »Leih- und Pachtgesetz« mit Industrieprodukten zu versorgen.

In symmetrischen Kriegen kann ein qualitativer technologischer Vorsprung auch vernichtende Wirkung haben. So mündete die technologische Überlegenheit des Westens über die irakischen Streitkräfte Saddam Husseins in der Operation Desert Storm 1991 in einen schnellen Sieg der Koalition. Die amerikanische Luftmacht erwies sich als unaufhaltsam. Die »Revolution im Militärwesen« verband die amerikanische Militärtechnologie mit den satelliten- und lasergesteuerten Lenksystemen, die die Luftbombardements präziser und verheerender machten. Amerikanische Militärs führten Journalist*innen ein Video vor, das eine Bombe dabei zeigte, wie sie in die Lüftungsöffnung eines Gebäudes eindrang: ein Beweis der Präzision und der technischen Vollkommenheit ihrer Waffen. Doch im asymmetrischen Krieg, den sie 2003 gegen den Irak führten, entpuppte sich dieselbe Technologie als sehr viel weniger entscheidend.

Der Unterschied zwischen den beiden Kriegen im Irak 1991 und 2003 zeigt in überzeugender Weise, dass nicht die Technologie allein den Sieg bringt, wenn es an den anderen zum Erfolg notwendigen Elementen fehlt. In seinem einflussreichen Buch Aufstieg und Fall der großen Mächte hat Paul Kennedy die Idee betont, dass in den großen symmetrischen Kriegen die Technologie und die industrielle und ökonomische Fähigkeit zu ihrer Entwicklung über Sieg und Niederlage entschieden. Doch auch er wischt andere bestimmende Elemente nicht beiseite. Der Krieg bleibt ein Tun von Menschen, eine politische Handlung. Im Fall des Krieges von 1991 hatten die Vereinigten Staaten begrenzte politische Ziele und einen so weit entgegenkommenden Gegner, dass er ihnen leichte Ziele für ihre neuen Präzisionswaffen bot. 2003 wiederholte sich dieses Szenario lediglich über die ersten Tage des Konflikts, obwohl sich dieser im Wesentlichen auf demselben Terrain abspielte.

Die Technologie kann einen Vorteil bringen, aber nur, wenn sie bewusst eingesetzt und in den Dienst des wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Gefüges der kriegführenden Nation gestellt wird. Man darf die Bedeutung der Kultur und der Ideologie nicht vergessen. So vernachlässigten die Nationalsozialist*innen die Physik, in der sie eine »jüdische Wissenschaft« sahen. Dies ist ein Schlüsselelement zur Erklärung ihres Unvermögens, bei der Entwicklung wichtiger Technologien wie dem Radar und der Kernenergie konkurrieren zu können. Eine Reihe von Wissenschaftler*innen, die den Alliierten bei der Erlangung atomarer Technologie und bei anderen technologischen Durchbrüchen halfen, hatten aus Deutschland fliehen müssen, weil sie selbst oder ihre Ehepartner jüdisch waren.

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