Loe raamatut: «Eine Geschichte des Krieges», lehekülg 17

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»Der Staat lenkt die Wirtschaft«

Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise und ihre politischen Folgen entstanden in den 1930er Jahren Regime, die man besser als »Kriegsstaaten« denn als »Staaten im Krieg« beschreiben kann. In Japan und Italien, die beide imperiale Expansionsprogramme verfolgten, Ersteres in Asien, Letzteres in Afrika, zwangen die regionalen Konflikte den Staat dazu, größere Teile der Wirtschaft unter seine Kontrolle zu bringen, die Investitionen und den Handel zu steuern und Massenmobilisierungsprogramme zu starten, die die Bevölkerung in eine Gemeinschaft verwandelten, die sich der Kriegsunternehmung verschrieb. Nach Ausbruch des Japanisch-Chinesischen Krieges im Juli 1937 führte die japanische Regierung im März 1938 das nationale Mobilmachungsgesetz ein, womit sie anerkannte, dass der Staat in einem totalen Krieg die Organisierung der gesamten Ressourcen der Nation in die Hand nehmen können muss. In den darauffolgenden vier Jahren, bevor der Angriff auf Pearl Harbor den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten provozierte, verschärfte der japanische Staat zusehends die Kontrolle über die Arbeiter*innenbewegung, den Konsum, die Rationierung der Güter und Gerätschaften und den Schwarzmarkt, was auf nationaler wie lokaler Ebene einen immer weitergehenden Eingriff in das Alltagsleben der Bürger*innen bedeutete. Für Italien brachten der Krieg in Äthiopien 1935–1936, die Intervention in den Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 und die Besetzung Albaniens 1939 eine immer erdrückendere finanzielle Last für eine ohnehin schon fragile Wirtschaft mit sich und machten starke Eingriffe seitens des Staates erforderlich. Zur selben Zeit überzog Mussolini die Öffentlichkeit mit einer erdrückenden Militärrhetorik, die die endgültige »Militarisierung« der Italiener bewirken sollte.

Den Inbegriff des »Kriegsstaates« bilden indessen Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion. In beiden Fällen ruhte die Diktatur auf einer Konfliktkultur, in der der Krieg eine allgegenwärtige Realität darstellte – im sowjetischen Fall zur Verteidigung des ersten kommunistischen Regimes gegen den kapitalistischen Imperialismus (und die inneren Feinde); im deutschen Fall zur Berichtigung der vermeintlichen Ungerechtigkeit, die es durch den Friedensvertrag von 1919 erfahren hatte, und zur Sicherung von genügend »Lebensraum« für das deutsche Volk. Diese beiden Staaten definierten ihre Ziele in einer militarisierten Ausdrucksweise; Institutionen zur Förderung von Kriegsvorbereitungen wurden eingerichtet (die Zivilverteidigung beider Länder zusammengenommen umfasste 28 Millionen Mitglieder), während die Wirtschaften zunehmend auf Krieg ausgerichtet wurden.

In beiden Fällen erschien der Krieg als unvermeidlicher Kampf ums Überleben, in dem alle verfügbaren Ressourcen in Anspruch genommen werden mussten. Es »wird jeder Staat so lange wie möglich aushalten«, erklärte Hitler im Mai 1939 seinen Befehlshabern. Und: »Die Ansicht, sich billig loskaufen zu können, ist gefährlich; diese Möglichkeit gibt es nicht.«6 In der Sowjetunion wurden die militärischen Prioritäten ab dem zweiten Fünfjahresplan (1933–1938) durchgesetzt, sodass 1938–1939 ungefähr 13 Prozent des Nationalprodukts in die Kriegsvorbereitungen floss. Die beschleunigte Industrialisierung der 1930er Jahre schloss eine umfangreichere Planung durch den Staat ein, wobei man die Vorstellung hatte, dass die Kontrollinstrumente an den Kriegsstaat angepasst werden könnten. In Deutschland machte Hitler es zur Priorität, das Land wiederzubewaffnen und seine Wirtschaft so umzugestalten, dass eine drohende Wirtschaftsblockade unterlaufen werden könne. Der im Herbst 1936 beschlossene und von Hermann Göring umgesetzte zweite Vierjahresplan regulierte alle entscheidenden ökonomischen Variablen, von den Preisen und Devisen bis zu den Löhnen und Rationierungen. Die private Wirtschaftstätigkeit verschwand indes nicht gänzlich, sondern blieb in dem Maße bestehen, wie sie mit den staatlich definierten Zielen in Einklang stand. Es sei der Staat, der die Wirtschaft lenkt, wie ein nationalsozialistischer Ökonom erklärte. 1939 hatte sich Deutschland, obwohl der Krieg noch nicht begonnen hatte, eine Friedenswirtschaft zugelegt, die ganz einer Kriegswirtschaft glich: Fast ein Viertel des Nationalprodukts war Verteidigungsprojekten gewidmet, ein Drittel der industriellen Arbeitskräfte war zur Produktion von kriegsbezogenen Gütern herangezogen. Hitler wollte sichergehen, dass Deutschland seine Lehren aus der Niederlage von 1918 zog und als Staatsapparat hinreichend vorbereitet in Auseinandersetzungen ging, Konflikte größeren Ausmaßes mit eingeschlossen. Als Deutschland im September 1939 den Weltkrieg begann, hatte der deutsche Staat bereits eine Art Kriegsmobilmachung durchgesetzt. Der Kriegswirtschaftserlass vom 4. September erweiterte und verstärkte die staatliche Kontrolle über alle Aspekte des Wirtschaftslebens des Landes, worin sich die Situation fundamental vom deutschen Staat von 1914 unterschied.

1945 war die Situation irreversibel geworden

Im Weltkrieg übernahmen die wichtigsten Kriegsmächte das Konzept des »Kriegsstaates«, ab 1941 sogar die Vereinigten Staaten, wo vor dem Konflikt der Argwohn gegenüber dem Staat doch beträchtlich gewesen war und wo sich die institutionelle Erfahrung auf die Durchführung einer nationalen Kriegsunternehmung beschränkte. Die Ausweitung der Macht und der Zuständigkeiten des Staates manifestierte sich in der Entwicklung jeweils gerade passender Strukturen, die zu den aus Friedenszeiten verfügbaren Formen der Kontrollausübung hinzutraten. Neue Ministerien wie das Munitionsministerium (später Ministerium für Bewaffnung und Kriegsgerät) in Deutschland oder das Ministry of Economic Warfare und das Ministry of National Service in Großbritannien sowie neue staatliche Behörden entstanden. In Deutschland gab Hitler einem System von »Sonderbevollmächtigten« den Vorzug, die mit der Lösung bestimmter momentaner Probleme beauftragt waren: zum Beispiel der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz oder der Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz. In der Sowjetunion wurde im Juli 1941 ein Staatskomitee für Verteidigung geschaffen. Es war mit einem System von Unterkomitees ausgestattet, die für die Hauptbereiche der Kriegsunternehmung und die Zusammenarbeit mit den bestehenden Kommissariaten verantwortlich waren. Von allen Kriegsteilnehmern war die Sowjetunion der Staat, der am stärksten zentralisiert war, errichtet auf dem Modell lokaler und regionaler Organe der Kommunistischen Partei. Im Unterschied zu den Demokratien regierten die sowjetischen Behörden im Krieg durch einfache Dekrete. Um in Friedenszeiten auf Erfordernisse zur Mobilisierung reagieren zu können, war seit Langem ein Zwangs- und Sanktionssystem in Kraft. Doch Stalins Aufruf, die Sowjetunion in ein »Militärlager« zu verwandeln, war mehr als bloße Rhetorik. Arbeiter*innen, die unerlaubt ihre Arbeit verließen, wurden als Deserteur*innen angesehen und als solche behandelt.

In den Vereinigten Staaten stützte sich Präsident Roosevelt auf Behörden, die für spezifische Problembereiche eingerichtet worden waren. Am Ende des Krieges gab es 112 davon. Die wichtigste war für die Einteilung und Mobilisierung der Arbeitskräfte zuständig, andere verwalteten die Ölressourcen, den Transport, den Wirtschaftskrieg, den Schiffsverkehr und andere Schlüsselbereiche. Die Feindseligkeit, die die Amerikaner*innen dem Zentralstaat noch immer entgegenbrachten, zwang Roosevelt dazu, umsichtiger vorzugehen, als Hitler und Stalin dies mussten. Dennoch gelang es ihm, sich eine Form von Zwang zunutze zu machen – so sah sich der Direktor einer wichtigen Fabrik in Chicago, der sich weigerte, eine gewerkschaftliche Organisation der Arbeit zuzulassen, eines Tages in seinem Büro mit dem Generalstaatsanwalt in Begleitung bewaffneter Soldaten konfrontiert, die gekommen waren, um die Kontrolle über sein Unternehmen zu übernehmen. Anfang 1944 versuchte Roosevelt angesichts von Arbeitskräfteproblemen, einen National Service Bill einzuführen, der aber letztlich vom Kongress abgelehnt wurde. Von so manchen wurde die Niederlage des Präsidenten begrüßt, da sie annahmen, dass die Vereinigten Staaten so nicht in eine Diktatur abgleiten würden. Dennoch hatte sich 1945 der Eingriffsbereich des Zentralstaates derart ausgeweitet, dass die Situation irreversibel geworden war. Das mit den Herausforderungen einer Weltmacht und dem sich ankündigenden Kalten Krieg konfrontierte Nachkriegsamerika war mit einem im Vergleich zu 1941 deutlich gewachsenen Staatsapparat ausgestattet.

Von allen Lehren des Ersten Weltkrieges war die Notwendigkeit eines genauen makroökonomischen Bilds der verfügbaren Ressourcen und ihrer Verteilung die bedeutendste. Man rekrutierte Ökonomen, um nationale Rechenmodelle zu erstellen, die Mobilisierung der Arbeitskräfte, die Entwicklung des Konsums und die finanziellen Erfordernisse des Krieges zu berechnen. In der Sowjetunion ließ sich dieses Programm am leichtesten durchführen: Die Industrialisierung der 1930er Jahre war auf Grundlage einer nationalen Wirtschaftsplanung durchgesetzt worden, ideal für die Umwandlung in eine Kriegsökonomie, deren Hauptelement die Ressourcenzuweisung ist. In Deutschland ernannte der Wirtschaftsminister Walther Funk im Herbst 1939 ein »Professorenkomitee«, das Empfehlungen zur Kontrolle der ökonomischen Variablen im Krieg ausarbeiten sollte. Ziel war es, die Inflation zu bekämpfen (oder ihre Auswirkungen zu begrenzen), konstante Reallöhne zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass die Verwendung industrieller und finanzieller Ressourcen für die Kriegsunternehmung nicht die Lebensgrundlagen der Bürger*innen zerstörte: eine Mobilisierungsstrategie, die in den folgenden fünf Jahren weitgehend aufging.

Im Zweiten Weltkrieg nahm die deutsche Kriegsunternehmung auf ihrem Höhepunkt 70 Prozent des Sozialprodukts in Beschlag, ohne zu den verhängnisvollen Konsequenzen wie am Ende des Ersten Weltkrieges zu führen. Zum Teil ist das auf die ökonomische Ausbeutung der eroberten Gebiete und auf Tributzahlungen der besetzten Länder zurückzuführen. Wie in Deutschland stattete in Japan die Ausdehnung der Staatsmacht auf die neu eroberten Territorien den Staat mit einer wichtigen Reserve an Zwangsarbeiter*innen aus, die den Mangel an Arbeitskräften an der Heimatfront abmilderte.

In Großbritannien wurde John Maynard Keynes 1940 wie schon im Ersten Weltkrieg zum Berater im Schatzamt. Zusammen mit anderen renommierten Ökonomen arbeitete er an der Entwicklung von Kontrollmechanismen, um zu hohe Inflationsraten zu verhindern, stabile Löhne zu gewährleisten und die Produktion nicht notwendiger Güter auf ein Minimum zu reduzieren – Ergebnisse wurden ebenfalls dank der Ausdehnung des britischen Staates auf seine Kolonialgebiete erzielt. Das Ziel des Staates war, eine Wirtschaftsstrategie zu finden, die die Arbeitskräfte nicht von ihm entfremdete. Keynes empfahl daher die Einrichtung eines Steuerregimes, das dem Staat die bitter benötigten Einnahmen brachte und gleichzeitig mit dem »sozialen Gerechtigkeitsempfinden im Volk«7 konform ging. Nichtsdestotrotz gaben die National Service Acts von 1939 und 1941 dem Staat eine für demokratische Verhältnisse außerordentliche Rolle im Bereich der Wehrpflicht und der Zuweisung der Arbeitskräfte. Der Gewerkschaftsführer Ernest Bevin, der mit der Mobilisierung betraut wurde, gestand zu, dass er über eine beispiellose Macht verfügte. Da der Zuwachs an Entscheidungsbefugnissen des Staates im Unterschied zu den Diktaturen auf einem allgemeinen Konsens beruhen sollte, mussten die Sonderbefugnisse Bevins, damit er effektiv arbeiten konnte, mit den Gewerkschaften und Unternehmen ausgehandelt werden. Die Kriegsanstrengung beanspruchte ein Maximum von 55 Prozent des britischen Nationalprodukts, was weit über den Zahlen des Ersten Weltkrieges lag. Einzig den Vereinigten Staaten gelang es, ihre Streitkräfte und ihre Verbündeten mit Ausrüstung, Verpflegung, Rohstoffen und Waffen zu versorgen, ohne ein Wirtschaftsregime des »totalen Krieges« einrichten zu müssen. Obwohl der Zentralstaat ebenfalls nie da gewesene Befugnisse besaß, verstand Roosevelt, dass in einer Gesellschaft, in der man dem »Etatismus« einhellig mit Misstrauen begegnete, bestimmte Grenzen nicht überschritten werden durften. 1944 beanspruchten die Kriegsanstrengungen lediglich 42 Prozent des Nationalprodukts, doch die amerikanische Wirtschaft hatte Ausmaße, die den Aufwand der anderen Großmächte im Vergleich als schwach erscheinen ließen. In Großbritannien und in den Vereinigten Staaten wurde die Ausweitung des staatlichen Zugriffsbereichs nach 1945 nicht infrage gestellt, und zahlreiche Errungenschaften im Arbeitsrecht, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften, die Sozialhilfe und Kinder- und Jugendhilfe wurden beibehalten. Der Krieg hatte in diesem Sinne Einfluss auf die Entwicklung des Staates, so wie der Staat zur Durchführung des Krieges notwendig gewesen war.

Die Erfordernisse des Staates überstiegen im Zweiten Weltkrieg diejenigen im Ersten Weltkrieges bei Weitem. Selbst in den Demokratien konnte sich kein Bürger und keine Bürgerin der Verpflichtung entziehen. In Großbritannien wurden Frauen mobilisiert, um während der deutschen Luftangriffe die Feuerwachen zu beaufsichtigen. Die militanten Pazifist*innen, die sich verweigerten, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. In den Vereinigten Staaten nötigte im Dezember 1943 ein wilder Eisenbahnerstreik die Roosevelt-Regierung, Kontrolle über das gesamte Eisenbahnnetz zu übernehmen, um den Zugbetrieb sicherzustellen, bis die Angestellten gezwungen waren, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. In Deutschland, in der Sowjetunion und in Japan waren pazifistische Demonstrationen verboten. In Deutschland wurden Streikende in Konzentrationslager geschickt; in der Sowjetunion landeten echte und mutmaßliche Protestierende aller Art im Gulag. In der Praxis bestand ein breiter Konsens darüber, dass dieser Krieg um jeden Preis gewonnen werden müsse, sodass die vom Staat geforderten Vorrechte letztlich von der öffentlichen Meinung mitgetragen wurden. Die Situation war weit entfernt von den sozialen Protesten und der zunehmenden Desillusionierung von 1917–1918. Der »Kriegsstaat« wurde als unvermeidliche Konsequenz des modernen Krieges angesehen, was auch die Botschaften des Propagandaapparates bestätigten.

Die Überwachung der Meinung durch die Geheimpolizei und andere Mittel begann in den Diktaturen bereits in der Vorkriegsperiode, weitete sich nach 1939 aber auf alle kriegführenden Länder aus. Die britische Home Intelligence, das amerikanische Office of War Information (und andere) sammelten geheime Berichte über die öffentliche Meinung, um die staatliche Politik in verschiedenen Bereichen besser anpassen zu können und den sozialen Konsens zu wahren. Die polizeilichen Befugnisse wurden ebenfalls ausgeweitet, um auf Notfälle reagieren zu können, und es wurden besondere Verbrechen in Kriegszeiten definiert, um die Umsetzung der Dekrete des Staates zu garantieren. In Japan verhaftete eine Abteilung der Wirtschaftspolizei, die zur Bekämpfung des Schwarzmarkts geschaffen worden war, in den ersten fünfzehn Monaten ihres Bestehens zwei Millionen Delinquenten. In Deutschland konnten Verstöße gegen die Lebensmittelkontrolle mit Internierung in Lagern und in Extremfällen sogar mit dem Tod bestraft werden.

Die Armee erhält wieder ihre Stellung aus der Zeit vor 1914

Nach 1945 verschwand der Diskurs über den »totalen Krieg«. Die Militärstrategie beruhte nicht mehr auf der Ausbeutung aller Ressourcen des Staates, einerseits weil der Preis für die Bürger*innen und für die öffentlichen Finanzen zwischen 1939 und 1945 zu hoch gewesen war und andererseits weil es nicht mehr möglich war, schnell und zu geringen Kosten immer komplexere Waffen herzustellen – auf jeden Fall war die Vorbereitung eines konventionellen Krieges im Kontext der nuklearen Bedrohung obsolet geworden. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs weiteten die Großmächte hingegen die Vorrechte des Staates in anderen Bereichen aus. Das betraf, angeregt von den Erfahrungen, die während des Krieges mit Planung, Statistik und Gesundheitsversorgung gemacht wurden, beispielsweise die Bereiche Wohlfahrt und Wirtschaft. Nur den beiden Supermächten gelang es, das Profil eines »Kriegsstaates« zu bewahren, insofern sie einen großen Teil ihrer Ressourcen der Industrie und vor allem der militärischen Forschung und Entwicklung widmeten.

Doch selbst in diesen Ländern galt die Priorität dem Wirtschaftswachstum im zivilen Sektor und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Die Armee unterhielt wieder eine Beziehung zum Staat, wie sie sie vor 1914 gehabt hatte: Sie kümmerte sich um die Kriegsbereitschaft und kontrollierte die Rüstungsentwicklung, ohne sich in den zivilen Bereich einzumischen. Bei den meisten Großmächten markierte auch das Verschwinden der Wehrpflicht das Ende einer Epoche, in der der obligatorische Militärdienst jeden Bürger praktisch zu einem Soldaten gemacht hatte. Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Militärausgaben denen aller anderen Länder zusammen entsprachen, bereiteten sich die Streitkräfte von nun an mit Berufssoldat*innen und der verfügbaren Bewaffnung auf den Krieg vor, ohne den Staat um substanzielle Ressourcen aus dem nichtmilitärischen Sektor zu ersuchen.

Eine Ausnahme bildeten nach 1945 nur kleine Länder, die durch hohe Kriegsbereitschaft und ein starkes Engagement des Staates charakterisiert und in der Lage waren, eine moderne Bewaffnung für Interventionen in Regionalkonflikten zu produzieren oder zu kaufen. Das gilt beispielsweise für ein demokratisches Land wie Israel, das sich einer permanenten Sicherheitsbedrohung ausgesetzt sieht und im Krisenfall einen großen Teil der Gesellschaft mobilisieren muss, aber auch für Diktaturen, für die der Krieg oder die Aussicht auf Krieg zu zentralen Zielen geworden sind: der Irak unter Saddam Hussein, Nordkorea nach den 1950er Jahren und Nordvietnam während des Krieges gegen Südvietnam und dessen amerikanische Verbündete. Am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielten nichtstaatliche Akteure eine zentrale Rolle in den militärischen Auseinandersetzungen. Dies zeigt an, dass die Gewalt heute keines strukturierten Staatsapparates bedarf, solange die beteiligten Gemeinschaften ihre eigene Kohärenz aufweisen und Zugang zu entsprechenden Ressourcen besitzen. Der Staat existiert weiterhin als institutionelles System, das zur Kriegführung notwendige Ressourcen beisteuert, doch die Perspektive von Cyberkriegen und der verbreiteten Verwendung von Drohnen lässt auch die Annahme zu, dass die konventionellen zwischenstaatlichen Konflikte, die ihren Höhepunkt Mitte des 20. Jahrhunderts erreichten, von anderen Formen globaler Konflikte verdrängt werden könnten.

Richard Overy ist Professor an der University of Exeter. Er ist einer der wichtigsten Experten für den Zweiten Weltkrieg und das nationalsozialistische Deutschland. Er hat zahlreiche Werke verfasst, darunter The Bombing War (London 2013; dt.: Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945, Berlin 2014).

Literaturhinweise

Zur Rolle des Staates in der Zeit des totalen Krieges hat Cambridge University Press eine Reihe unverzichtbarer Arbeiten veröffentlicht: Stig Förster und Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification (1861–1871) (Cambridge 1997); Roger Chickering und Stig Förster (Hg.), Great War, Total War. Combat and Mobilization on the Western Front (1914–1918) (Cambridge 2000); dies. (Hg.), The Shadows of Total War. Europe, East Asia and the United States (1919–1939) (Cambridge 2003); dies. und Bernd Greiner (Hg.), A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction (1937–1945) (Cambridge 2005). Für einen stärker theoretischen Zugang zum Verhältnis zwischen der Formierung des Staates und dem Krieg siehe Bruce Porter, War and the Rise of the State. The Military Foundations of Modern Politics (New York 1994); Harrison Wagner, War and the State. The Theory of International Politics (Ann Arbor 2007); Douglas Lemke und Jeff Carter, »Birth Legacies, State Making and War«, The Journal of Politics 78, Nr. 2 / 2016, S. 497–511.

Zur Rolle des Staates bei der Mobilmachung und Organisation des Krieges ab dem Amerikanischen Bürgerkrieg siehe Joseph Dawson, »The First of the Modern Wars?«, in: Susan-Mary Grant und Brian Reid (Hg.), The American Civil War (Harlow 2000), S. 121–141; Mark Neely, »Was the Civil War a Total War?«, in: Stig Förster und Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War (Cambridge 1997), S. 29–52; John Horne (Hg.), State, Society, and Mobilization in Europe during the First World War (Cambridge 1997); David Edgerton, Warfare State: Britain (1920–1970) (Cambridge 2006); Mark Harrison und John Barber, The Soviet Home Front (1941–1945) (Harlow 1991); Richard Bessel, Nazism and War (London 2005); James Sparrow, Warfare State: World War II Americans and the Age of Big Government (Oxford 2011); Maury Klein, A Call to Arms. Mobilizing America for World War II (New York, 2013); Michael Barnett, Confronting the Costs of War. Military Power, State, and Society in Egypt and Israel (Princeton 1992).

Zur Mobilisierung der Wirtschaft und Gesellschaft als Hauptfunktion des Staates im Krieg siehe Stephen Broadberry und Mark Harrison (Hg.), The Economics of World War I (Cambridge 2005); Mark Harrison (Hg.), The Economics of World War II. Six Great Powers in International Comparison (Cambridge 1998); Hugh Rockoff, America’s Economic Way of War. War and the US Economy from the Spanish-American War to the Persian Gulf War (Cambridge 2012); Richard Overy, War and Economy in the Third Reich (Oxford 1994); Mark Harrison, Accounting for War. Soviet Production, Employment and the Defence Burden (1940–1945) (Cambridge 1996); Herbert Obinger und Carina Schmitt, »Guns and Butter? Regime Competition and the Welfare State during the Cold War«, World Politics 63, Nr. 2 / 2011, S. 246–270; Jytte Klausen, War and Welfare. Europe and the United States (1945 to the Present) (New York 1998). Bezüglich Propaganda und Mobilmachung siehe die nützliche Arbeit von Leila Rupp, Mobilizing Women for War. German and American Propaganda (1939–1945) (Princeton 1978). Siehe auch David Welch, Germany and Propaganda in World War I (London 2014); ders. (Hg.), Propaganda, Power and Persuasion. From World War I to Wikileaks (London 2014).

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