Loe raamatut: «Eine Geschichte des Krieges», lehekülg 22

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Ein Erwartungshorizont

Die ersten Friedensvereine entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die revolutionären Wirren und auf die Konflikte, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Amerika und Europa in Blut getränkt hatten. Auf moralische Erneuerung bedachte amerikanische und britische Quäkergruppen machten es sich zur Aufgabe, im Namen christlicher Werte für Frieden einzutreten. Seit Thomas von Aquin hatte die Kirche der Realität der menschlichen Gewalt mittels der Doktrin des gerechten Krieges Rechnung getragen. Mit ihr ließ sich der zeitliche Umfang der Kriege begrenzen, indem sie einem Hochschaukeln der Gewalt entgegenwirkte und die Häufigkeit der Konflikte verringerte. Die »Freundesgesellschaften« der Quäker hingegen betrachteten den Krieg als den Lehren Jesu Christi fundamental entgegengesetzt; infolgedessen konnte er ohne Ansehung des Kontexts nur zu verurteilen sein. Ihr Pazifismus war bedingungslos. Dieser prinzipielle Standpunkt übt bis heute einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des pazifistischen Denkens und Handelns im angelsächsischen Raum aus, insbesondere was die Kriegsdienstverweigerung betrifft.

Die Friedensideen der Quäker erreichten Kontinentaleuropa im Laufe der 1820er Jahre. Die Vereine setzten sich im Wesentlichen aus Gebildeten und der bürgerlichen Elite zusammen, beides Gruppen, die auf Ansehen bedacht waren, kaum zu Radikalismus neigten und die Leidenschaften und die Disziplinlosigkeit der Massen fürchteten. Sie glaubten an die Moral und die Werte, die die Religion einimpft, an die Erziehung der Völker und an die fortschreitende Annäherung der Gesellschaften an ein Glücksideal. Die gesellschaftlichen und politischen Unruhen des 19. Jahrhunderts brachten dieses geordnete Bild allerdings durcheinander. Das Friedensthema tauchte tatsächlich in diesem Jahrhundert, das die Entwicklung von Utopien so begünstigte, mit neuem Nachdruck auf. Zu dem religiös inspirierten moralischen Pazifismus gesellte sich ein Friedensdiskurs, der sich auf radikalere soziopolitische Theorien stützte. Der Sozialismus versprach am Ende einer vollständigen Umgestaltung der sozioökonomischen und politischen Verhältnisse Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, das heißt wirklichen Frieden. Auch die Liberalen sprachen von Frieden: Die um Richard Cobden gescharten Verfechter des Freihandels behaupteten, dass die Zunahme des Handels, die allgemeinen Wohlstand fördern würde, das ideale Mittel sei, um die ökonomischen Rivalitäten, aus denen die Kriege entsprängen, zu verringern. Selbst die Nationalisten schrieben ihren Kampf dem symbolischen Feld des Friedens ein: Die Kriege würden aufhören, wenn jede Nation ihre Unabhängigkeit erlangt habe, was auf die Gefahr hin zu erreichen sei, dass ein (letzter) Befreiungskrieg gegen den Besatzer geführt werden müsse. Der gemeinsame Nenner dieser Internationalismen war: Sie dachten den Frieden nicht als ethischen Ausgangspunkt, aus dem sich das Handeln ergab, sondern vielmehr als einen Endpunkt, einen Erwartungshorizont.

Wann ist ein Krieg ein gerechter Krieg?

Man muss bei diesen »Friedenstraditionen« (Nigel Young), die im 19. Jahrhundert auftauchten, bedenken, dass sie weder einen gemeinsamen Ursprung noch dieselben Ansichten über die sozialen und politischen Probleme hatten, von den Mitteln zu deren Lösung ganz zu schweigen. Um die Jahrhundertmitte existierten bereits mehrere »Pazifismen« nebeneinander. Victor Hugo zögerte nicht, sie in bunter Mischung zu seiner berühmten Rede von 1849 vor dem Pariser Kongress der Freunde des Weltfriedens einzuladen: Neben der Gründung der Vereinigten Staaten von Europa erklärte er seinen Glauben an den ungehinderten Fortschritt der Menschheit zu Freiheit und Brüderlichkeit, pries den christlichen Frieden und applaudierte der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Dabei offenbart sich bei Hugo eine tiefe Überzeugung von der Überlegenheit der christlichen Zivilisation, die den Auftrag habe, ihr Licht in die ganze Welt zu tragen, was die nachhaltige Gleichgültigkeit der Friedensapostel dieser Zeit gegenüber der Gewalt illustriert, die in den Kolonialterritorien im Namen der »zivilisatorischen Mission« verübt wurde. Nur eine Handvoll Aktivist*innen wie die Pazifistin und Feministin Eugénie Niboyet (1796–1883) verurteilten die Kolonialherrschaft im Namen des Kampfes gegen alle Ungleichheiten.

Die ursprüngliche Vielfalt des pazifistischen Denkens anzuerkennen ist entscheidend, wenn man seine Entwicklung im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte verstehen will. Obwohl Friedens- und Pazifismushistoriker*innen seit Langem versuchen, Typologien (vom absolutesten und fanatischsten Pazifismus bis zum liberalen Internationalismus) zu etablieren, ist es immer noch üblich, die Bewegung als einheitlich zu betrachten – besonders wenn es darum geht, sie zu diskreditieren. Der Begriff »Pazifist« selbst tauchte erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf und wurde von denen, die er beschreiben sollte, oft zurückgewiesen, da das Adjektiv schnell zu einem Stigma wurde – die Pazifist*innen wurden im Allgemeinen als naive Träumer*innen oder gefährliche Idealist*innen dargestellt. Im Interesse größerer Klarheit sollte das Attribut »pazifistisch« den Aktivist*innen der radikalsten Strömung der Bewegung vorbehalten bleiben und für die Anhänger*innen aller anderen Positionen der Ausdruck »Friedensvertreter*innen« verwendet werden (im Englischen spricht man von peace advocates oder seltener von pacificists, im Französischen von promoteurs de la paix), wobei sich die Trennlinie anhand der Einstellung zu Krieg und Gewalt bestimmt.

Für den kompromisslosen Pazifismus spielt der Kontext keine Rolle, er verurteilt den Krieg in allen seinen Formen: Dieser zweifellos anerkennenswerte moralische Purismus verdammt seine Verfechter*innen zur Marginalität oder sogar zum Sektentum. Die Friedensvertreter*innen, die mit Abstand am weitesten verbreitete Variante des Pazifismus, missbilligen ihrerseits im Allgemeinen jeden Einsatz von Gewalt, erkennen aber an, dass Krieg manchmal notwendig ist – dass er manchmal »gerecht« ist, um hier die christliche Terminologie aufzugreifen, und zwar wenn es um einen Überfall, um legitime Verteidigung, um den Kampf gegen ein ungerechtes Regime usw. geht. Ihre Position zum Krieg hängt also von den Umständen ab. Das ist ihre Achillesferse: Wie kann man sicher wissen, dass ein Krieg gerecht ist? Kann man eine Bevölkerung nicht auch über die wirklichen Gründe eines Krieges täuschen? Diese uneindeutige Haltung ist der Tribut, der an den Realismus zu zahlen ist, insofern die Legitimität des Friedensdiskurses ihnen zufolge einen gewissen Pragmatismus verlangt.

Die große Herausforderung für die Friedensvertreter*innen besteht in der Tat darin, davon zu überzeugen, dass ihre Mission nicht einfach Selbstbetrug ist, sondern im Gegenteil Hand und Fuß hat. Wenn man den Krieg nicht ein für alle Mal aus der Welt schaffen kann, ist es doch möglich, mit rationalem Handeln, mit gemeinsamen Regeln und Praktiken den Frieden zu unterstützen. Nun gab es Ende des 19. Jahrhunderts konkrete Anzeichen dafür, dass man sich bereits auf dem Weg zum Frieden befand. Tatsächlich kamen sich die Völker täglich näher: Kommunikation, Transport, Bildung machten überall Fortschritte; regelmäßig wurden neue internationale Gruppen und Vereinigungen gegründet. Die Friedensvereine florierten in Frankreich, in Italien, in Österreich und sogar im militaristischen Deutschland, wo es zur Jahrhundertwende fast zweihundert davon gab. Das Völkerrecht trug dieser Revolution Rechnung. Juristen ergründeten die Mittel zur friedlichen Beilegung justiziabler Differenzen zwischen Staaten dank Werkzeugen wie Schiedsgerichten und Schlichtung. Ein französischer Verein, »La Paix par le droit« (Frieden durch Recht), wurde 1887 genau zu dem Zweck gegründet, solche Praktiken zu fördern. Es fanden internationale Treffen statt, um sie in institutionalisierte Form zu bringen, wie das 1899 und 1907 in Den Haag der Fall war. Mit seinem Testament stiftete Alfred Nobel einen Preis, der genau zur Unterstützung dieser Initiativen vorgesehen war, und der erste Friedensnobelpreis ging 1901 an Henry Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes, sowie an Frédéric Passy, den unermüdlichen Friedensaktivisten und Gründer unter anderem der Interparlamentarischen Union. Zur gleichen Zeit vertraten Essayist*innen wie Norman Angell die Auffassung, dass in einer wirtschaftlich verflochtenen Welt der Krieg selbst bei einem Sieg eine Kostenfalle sei: Welche Regierung würde mit klarem Kopf einen derart riskanten Weg für ihr Volk einschlagen? Mehr brauchte er nicht, um in seinem Bestseller von 1911, The Great Illusion, das zukünftige Obsoletwerden des Krieges vorherzusagen. Die Zukunft gehörte entschieden dem Frieden. Und dennoch brach im August 1914 der Krieg aus, und französische, deutsche, britische Verfechter*innen des Friedens schlossen die Ränge mit ihren nationalen Armeen.

Das »Recht auf Frieden«

Über den »Gesinnungsumschwung« der Pazifist*innen 1914 ist viel geschrieben worden. Er ist die Erbsünde, an die nur die zweite Sünde fünfundzwanzig Jahre später heranreichen sollte, als man ihnen vorwarf, durch ihre unbedachten und sinnlosen Reden, durch ihre Weigerung, der Bedrohung durch Hitler ins Auge zu sehen, kurz durch ihren Willen zum Appeasement, den Zweiten Weltkrieg mitverursacht zu haben. Versuchen wir, die Situation besser zu verstehen.

Im Sommer 1914 stellten sich die deutschen, französischen, britischen Sozialist*innen hinter ihre jeweiligen Regierungen und gaben diesen Rückendeckung für den Kriegseintritt ihres Landes. Einige Wochen zuvor hatten sie über die Gelegenheit, einen Generalstreik zu organisieren, diskutiert, um einen europaweiten Krieg zu verhüten. Am 31. Juli 1914 beschleunigte der Mord an Jean Jaurès, Galionsfigur des europäischen Sozialismus, Fahnenträger des Friedens, den Zusammenbruch der internationalistischen und pazifistischen Bewegung. Die deutschen Sozialist*innen stimmten in Reaktion auf die Generalmobilmachung in Russland als Erste für den Krieg, ihre Einschätzung war, dass das Zarenregime bekämpft werden müsse, um den Sozialismus in ihrem eigenen Land besser retten zu können. Als Nächstes folgten die französischen, dann die britischen, die sich auf die Völkerrechtsverletzung nach dem deutschen Einmarsch in Belgien beriefen. Insgesamt blieb nur eine kleine Minderheit der europäischen Sozialist*innen bei ihren Vorkriegspositionen. Die anderen hatten sich entschlossen, ihr Vaterland zu verteidigen. Doch handelte es sich um einen Verrat der Pazifist*innen?

In Wahrheit war der Sozialismus 1914 nur ein Internationalismus des Friedens unter vielen. Frieden und Sozialismus in eins zu setzen wäre reduktionistisch. Außerdem hatten in diesem europaweiten und bald auch weltweiten Krieg fast alle, ob berechtigt oder nicht, das Gefühl, dass ihre Nation angegriffen wurde. Aus Sicht der Friedensvertreter*innen ist es aber gerechtfertigt, gegen einen Angreifer zu den Waffen zu greifen. Frieden und Patriotismus widersprechen sich nicht zwangsläufig. Allerdings ist offensichtlich, dass der Erste Weltkrieg die pazifistische Bewegung ernsthaft auf die Probe stellte und vorübergehend aus dem Tritt brachte. Nichtsdestotrotz verbreitete sich das Friedensideal während des Krieges in bis dahin ungekanntem Ausmaß. Zwar hat der Flächenbrand den übertriebenen Optimismus seiner Anhänger*innen offenbart, doch zugleich hat der Konflikt das Nachdenken über die Mittel zur zukünftigen Verhütung einer solchen Katastrophe noch aktueller und notwendiger gemacht. In Amerika vertrat Präsident Woodrow Wilson ab August 1914, dass sein Land, für das er sich nachdrücklich eine neutrale Position wünschte, gewissermaßen für das Friedensideal bürge: Es falle den Vereinigten Staaten zu, die Werte der internationalen Eintracht und des Völkerrechts zu wahren, bis die europäischen Mächte zur Vernunft kämen. Trotz Kriegseintritt seines Landes im April 1917 veränderte sich der Diskurs des amerikanischen Präsidenten über den Frieden nicht grundsätzlich. Im Gegenteil präzisierte er nach und nach seine Vision für den Frieden, bis er zu dessen Galionsfigur auf globaler Ebene wurde. Auch Papst Benedikt XV. in Rom rief zu dauerhaftem Frieden, Abrüstung und Aufbau einer internationalen Organisation zur Beilegung der Differenzen auf. Im Vereinten Königreich prangerten verschiedene Vereinigungen wie die League of Nations Society, die Bryce Group, die Union of Democratic Control die »europäische Anarchie« (Titel einer Monografie G. Lowes Dickinsons von 1915) an und riefen die Staaten dazu auf, ihr Verhalten zu ändern und internationalen Frieden zu stiften. Eine angesehene amerikanische Vereinigung, die League to Enforce Peace, wurde im Sommer 1915 auf derselben Grundlage ins Leben gerufen. Je länger sich der Krieg hinzog, desto mehr Zustimmung gewann die Idee einer drakonischen Umgestaltung der internationalen Beziehungen. Mehrere Hundert Konzepte für einen dauerhaften Frieden wurden veröffentlicht, während der Konflikt wütete. Das ist das Paradox eines »Großen Krieges für den Frieden«1.

Die Nachkriegszeit markierte den Beginn des Massenpazifismus. Diese neue Größenordnung wurde oft aus der tiefen Ablehnung der Gewalt erklärt, rührt aber ebenso sehr aus einer tiefgreifenderen Entwicklung her, die mit den Konzepten der Staatsbürgerschaft und der Menschenrechte zusammenhängt. Präsident Wilson beschwor von den Vereinigten Staaten aus unermüdlich die neue Macht der Weltöffentlichkeit – heute würde man von »internationaler Zivilgesellschaft« sprechen –, die nach seiner Überzeugung zukünftig mit ihrem ganzen Gewicht die Handlungen der Staaten beeinflussen würde. Die Bürgerinnen und Bürger hatten von nun an bei den internationalen Fragen ein Wörtchen mitzureden. Gefordert wurde dieses »Recht auf Frieden« auf Grundlage der Anstrengungen, zu denen die Bevölkerung während vier Jahren bereit gewesen war: Es war unvorstellbar, dass das Opfer von Millionen von Menschen, nachdem der Konflikt einmal zu Ende war, lediglich auf Gebietsveränderungen und finanzielle Kompensation hinausliefe. So kam nach 1918 eine unerhörte Sehnsucht nach Frieden auf, die von Millionen von Menschen und Tausenden von nationalen wie internationalen Vereinigungen getragen war. Zahlreiche dieser Vereinigungen bestanden aus früheren Kämpfern, die die Schlacht am eigenen Leib erfahren hatten und genau aus diesem Grunde lautstarker denn je ihre Stimme gegen den Krieg erhoben.

Die internationalen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit boten jedoch ein trauriges Bild. Die Beendigung des Krieges nahm viel Zeit in Anspruch, während der durch den Konflikt hervorgerufene Hass und die Gewalt in verschiedenen Formen fortbestanden. Der mangelnde Erfolg des Idealismus Wilsons und des Völkerbundes, die fragile Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, die ideologischen Spannungen zwischen Demokratien und autoritären Regimen: so viele Anzeichen einer desolaten Nachkriegszeit, die nur selten vom Aufblitzen des Pazifismus durchbrochen wurden wie bei der Unterzeichnung des Briand-Kellog-Paktes 1928, der den Krieg »gesetzwidrig« machen sollte. Das ist der Grund, weshalb im Nachhinein die »Illusion des Friedens«, die sich nach dem Ersten Weltkrieg über die gesamte Welt ausbreitete, so viel kommentiert wurde. Ein verpfuschter Frieden? Wir müssen aufhören, die Entscheidungsträger von 1919 und die Friedensvertreter*innen für alle Probleme der Zeit verantwortlich zu machen, denn es waren vor allem die durch den Krieg hervorgerufenen Streitfragen, die die Nachkriegszeit unterminierten. Der Massenpazifismus erschien infolgedessen als tief empfundene Abwehrreaktion gegen die Gewalt des Krieges und der Nachkriegszeit, gespeist zunächst aus der Absurdität eines Konflikts, dessen Sinn sich dem Verstand entzog, und dann aus kleinkarierten und dem neuen Geist widersprechenden nationalen Politiken. Die Periode spiegelt letztendlich die labile Position von Staaten, die das Wort »Frieden« lediglich im Munde führten, deren Handeln damit aber nicht in Einklang stand. Nichts zeigt diese Dissonanz deutlicher als die Konferenz zur Abrüstung und Rüstungsbeschränkung, die 1932 in Genf stattfand.

Die seit Mitte der 1920er Jahre vorbereitete Konferenz wurde als Höhepunkt eines Jahrzehnts der staatlichen Friedensbemühungen präsentiert. Auf die moralische Abrüstung, die die Friedenserziehung der neuen Generationen zum Ziel hatte, sollte nun die materielle Abrüstung folgen. Die Konferenz weckte erstaunliche Erwartungen in der Öffentlichkeit, Tausende Briefe und Petitionen strömten nach Genf. Vergebene Mühe: Eröffnet in einer Atmosphäre, die durch den kürzlichen Einmarsch Japans in die Mandschurei bereits verdüstert war, versandete die Konferenz in den ersten Wochen in endlosen technischen Diskussionen zwischen Experten, deren Hauptaufgabe nicht darin bestand, die Abrüstung zu fördern, sondern darin, die Aufrüstung der jeweils von ihnen vertretenen Nationen zu rechtfertigen. Die »Machtübernahme« Hitlers im Januar 1933 und der folgende Rückzug Deutschlands von der Konferenz und aus dem Völkerbund schwächten die Friedensbemühungen weiter. Die Verhandlungen schleppten sich in geradezu allgemeiner Gleichgültigkeit über Monate hin. Der geringe Glaube der Staaten, dass die Abrüstung umgesetzt würde, ließ keinen Zweifel mehr aufkommen: Der »absolut letzte Krieg« würde nicht der letzte bleiben, die 1914 bis 1918 Geopferten waren sehr wohl umsonst gestorben. Der bereits seit Ende des Ersten Weltkrieges in der Entstehung befindliche »Pazifismus neuen Stils« (Norman Ingram), der in den 1930er Jahren an Fahrt aufnahm, reagierte auf diese düstere Erkenntnis: Er lehnte den Ansatz der legalistischen und moderaten Pazifist*innen ab, die seit dem 19. Jahrhundert die Herstellung des Friedens durch graduelle Entwicklung der rechtlichen Normen postuliert hatten. Die Zurückweisung der Mäßigung erklärt auch, dass ein Teil der Friedensaktivist*innen Ende der 1930er Jahre angesichts der Bedrohung durch Hitler die Flucht nach vorne antrat.

In dieser Zeit des Massenpazifismus war die Vielfalt an Motiven so groß wie die Vielfalt an Mobilisierungsformen: ehemalige Soldaten, kommunistische Aktivist*innen oder Umstands-Pazifist*innen, die sich aus ideologischen Gründen, Angst oder schlicht politischem Kalkül gegen einen etwaigen Konflikt mit Hitler-Deutschland aussprachen und gar dem schändlichen Münchner Abkommen von 1938 applaudierten. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen fand nachhaltig Eingang insbesondere in die angelsächsischen Länder, als Mahatma Gandhis Gewaltfreiheitslehre zunehmend Anhänger*innen im Westen fand: War Registers’ International machte es sich zur Aufgabe, Gandhis Worte über seine diversen nationalen Ableger zu verbreiten. Vereinigungen wie die Peace Pledge Union im Vereinten Königreich forderten von ihren zukünftigen Mitgliedern, der Unterstützung des Krieges und der Beteiligung daran auf alle Zeiten zu entsagen: Ende der 1930er Jahre hatten mehr als 130 000 Briten und Britinnen einen Eid auf diese Form von absolutem und gewaltfreiem Pazifismus abgelegt.

Die Ratlosigkeit bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war umso größer, als durch das pazifistische Ideal über zwanzig Jahre lang Massen mobilisiert worden waren. Wie immer drängte der Krieg den Friedensdiskurs vollständig an den Rand, gerade in den direkt beteiligten Ländern. Andernorts, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, wandte sich der Aktivismus entschieden isolationistischen Positionen zu: Zum Preis nationaler Abschottung, so die Einschätzung, ließ sich der Frieden wahren – bis das Land mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 selbst zum Angriffsziel wurde. In Europa verursachte der Krieg eine schwere Gewissenskrise, in der die grundsätzliche Beziehung der pazifistischen Lehre zur Gewalt und zum Handeln hinterfragt wurde. Wäre es im Namen des Weltfriedens nicht besser, dem Nationalsozialismus möglichst bald Einhalt zu gebieten, bevor er die Welt im Blut ertränkte? Zwei Intellektuelle von Weltruf, Bertrand Russell und Albert Einstein, die in den 1930er Jahren einen starken ethischen Pazifismus vertreten und der Verweigerung aus Gewissensgründen positiv gegenübergestanden hatten, unterstützten den Kampf der Alliierten. Manche entschieden sich vorübergehend für Schweigen und Isolation; andere fürs Handeln, ohne jedoch ihre Prinzipien zu verleugnen, indem sie gewaltfreien Widerstand gegen die nationalsozialistische Unterdrückung in Form von Solidaritäts- und Unterstützungsnetzwerken für Jüdinnen und Juden und andere Verfolgte organisierten. Wieder andere stellten sich weiterhin kompromisslos gegen den Krieg.

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