Loe raamatut: «Eine Geschichte des Krieges», lehekülg 6

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»Keine Schlacht, kein Urteil«

Die Erzählung, die das 19. mit dem 18. Jahrhundert und Napoleon mit Friedrich in Verbindung brachte, spielte die Folgen des Ausbruchs der Französischen Revolution für die Kriegführung und für das internationale System herunter. Dank der Möglichkeiten, die sich durch die Wehrpflicht eröffneten, erwiesen sich die Revolutionsarmeen wie Napoleons Heere als fähig, mehrere Schlachten in Folge und sogar manchmal parallel zu bewältigen, was in den vorangegangenen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts unmöglich gewesen war. Napoleons Einsatz der Schlacht bedrohte die Monarchie als System, was bei Friedrich dem Großen nie der Fall gewesen war. Der Frieden von Tilsit 1807 besiegelte dessen Niederlage, und es schien klar, dass die Schlacht für den Kaiser mehr Zweck als Mittel war, eine Form der Legitimierung eines Regimes, das von der ständigen Fortführung seiner Eroberungen abhing. Damit eröffnete sich die Perspektive eines nicht endenden Krieges. Doch 1815 hatte sich Frankreich erschöpft: Sein Streben nach gloire, das Napoleon bewusst beschworen hatte, war ihm verloren gegangen. Der Krieg hatte sogar die Bindung der Franzosen an die Revolution geschwächt, auf die sich der Kaiser während der Herrschaft der Hundert Tage berufen hatte, um wieder an ihre Wurzeln anzuknüpfen. Nach Waterloo akzeptierte das Land wegen Wellington, einem ausländischen Heerführer, die Restauration und die Rückkehr der Bourbonen auf den Thron. Ruhm und revolutionärer Elan wurden vom Willen zum Frieden übertrumpft. Ironischerweise war es genau dieser Friedenswille, der Waterloo zu einer Entscheidungsschlacht machte.

In den Kursen, die der spätere Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte von 1918, Ferdinand Foch, im Jahr 1901 an der École supérieure de guerre gab, erläuterte er die in General Jean Colins Analyse enthaltenen doktrinalen Elemente: »Die Entscheidung durch die Waffen ist das einzige Urteil, das zählt, denn sie allein bringt einen Besiegten und einen Sieger hervor; sie allein verändert die Situation zwischen den Parteien, von denen die eine zur Herrin ihrer Handlungen wird, während sich die andere dem Willen des Gegners unterwerfen muss. Keine Schlacht, kein Urteil: Nichts ist vollbracht.«9 Die Schlacht war zum Selbstzweck geworden, so dachte man in Frankreich und in ganz Europa. Die militärischen Denker des frühen 20. Jahrhunderts betrachteten die Dinge auf eine Weise, die im krassen Gegensatz zu der Perspektive stand, die ihre Vorgänger im 18. Jahrhundert zur Auseinandersetzung mit der Strategie veranlasst hatte. Für die meisten von ihnen, von Moritz von Sachsen bis Antoine-Henri Jomini, hatte die Schlacht als Reich des Zufalls und der Unwägbarkeiten gegolten, weil alles geschehen und eine kleine Panne leicht alle Pläne vereiteln konnte. Die Strategie, die zu einem wissenschaftlichen Herangehen zwang, hatte für sie gerade den Reiz besessen, diese Risiken zu verringern. Dennoch waren einige zu der Einschätzung gelangt, dass man sich davor hüten müsse, sich auf Schlachten einzulassen. 1914 hingegen sahen die Generäle die Schlacht in völlig anderem Licht: Für sie galt es, die Schlacht zu suchen, statt sie mit Zurückhaltung zu betrachten.

Die Deutschen Einigungskriege bewiesen, dass das aus den Napoleonischen Kriegen abgeleitete Ideal, ein kurzer Feldzug mit einer Entscheidungsschlacht am Ende, in der Praxis verallgemeinert werden konnte. In einem 1912 vom Großen Generalstab Preußens veröffentlichten, mit Die Schlacht betitelten Teilband der Kriegslehren Helmuth von Moltkes d. Ä. schreibt dieser: »Die Strategie hat die Mittel, die die Taktik braucht, zur rechten Zeit und am rechten Ort bereit zu halten. Der strategische Zweck bestimmt den vorbedachten Entschluß zum Gefecht.«10 Diejenigen beispielsweise, die den Triumph Moltkes 1866 über Österreich studierten, betonten prinzipiell den Sieg bei Königgrätz, vernachlässigten aber sowohl die Tatsache, dass die besiegte Nation den Ausgang der Schlacht akzeptiert hatte (in einer Weise, die an die Praktiken des 18. Jahrhunderts anknüpfte), als auch die Entschlossenheit Bismarcks, sie dazu zu nutzen, Frieden zu suchen und den Krieg nicht zu verlängern. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg entwickelten die Deutschen die Gepflogenheit, ihres Sieges bei Sedan am 1. September 1870 zu gedenken, als ob sie dadurch den Krieg gewonnen hätten. Es stimmt, dass Napoleon III. abgedankt hatte, die halbe französische Armee getötet oder verwundet war und die andere Hälfte in Metz belagert wurde. Doch der Krieg ging weiter. Frankreich hatte eine provisorische Regierung eingesetzt und die Bevölkerung zur Verteidigung der Nation mobilisiert.

Die anderen Kampfformen, das Ausweichen, die Guerilla oder das bewusste Hinauszögern des Krieges, nahmen nur eine nebensächliche Stellung im konventionellen militärischen Denken ein. Während Europäer Anfang des 19. Jahrhunderts noch irreguläre Kriege führten, insbesondere gegen Napoleon in Spanien, in der Schweiz, in Italien und in Russland, schien dieses Modell am Ende des Jahrhunderts eher die Kolonialkriege zu beschreiben. Außerdem reagierten die Reiche auf die irregulären Kriege nicht damit, dass sie die eigenen Streitkräfte an die des Gegners anpassten. Stattdessen setzten sie auf die Schlacht, den regulären Krieg, um die irregulären Formen des Krieges zu neutralisieren. Da die Schlacht die disziplinierten und ausgebildeten Truppen gegenüber der aufständischen Bevölkerung begünstigte, empfahl ein Theoretiker wie Charles E. Callwell, Verfasser eines offiziellen britischen Lehrbuchs mit dem Titel Small Wars, seinen Lesern, den Gegner möglichst schnell zur Konfrontation zu zwingen, um die zermürbenden Wirkungen eines längeren irregulären Krieges zu vermeiden. Eine Methode dafür bestand darin, dem Gegenüber die Subsistenzmittel zu nehmen, seine Felder zu zerstören oder seine Dörfer ohne Ansehen des Alters und Geschlechts der Bewohner*innen anzugreifen.

Verdun, die Schlacht an der Somme: Was waren die Ziele?

In Europa waren die Militärexperten noch mit einer anderen Herausforderung konfrontiert: der Auswirkung der Industrialisierung auf das Schlachtfeld. Der Einsatz von Hinterladern, Maschinengewehren und Schnellfeuerartillerie ließ das Erreichen eines schnellen und entscheidenden Sieges noch ungewisser werden. Nun war es möglich, mittels Massenheeren und einer Bewaffnung aus Massenproduktion das Prinzip einer Nation in Waffen zu realisieren. Colin schloss sein Buch über Les grandes Batailles de l’histoire mit einem Kapitel über die Schlacht der Zukunft. 1913 verfasst, kündigte sich darin großenteils an, was im Verlauf des Ersten Weltkrieges Wirklichkeit werden sollte: Die Schlachten würden sich zeitlich und räumlich ausdehnen und wären nun durch Methoden geprägt, die dem Belagerungskrieg zugehörten, in welchem die Artillerie mit hoher Reichweite dominierte; es würde schwer werden, aus Durchbrüchen Nutzen zu schlagen; schließlich würde dem Material eine wichtigere Rolle zukommen als dem Militärpersonal. Dennoch scheute Colin davor zurück, ganz mit der Vergangenheit zu brechen: »Soweit es sich um Schlachten zwischen Armeen handelt, deren Kraft beschränkt ist und die sich frei auf dem Kriegsschauplatz bewegen, sind die Ausdehnung der Fronten und einige Details in der Kriegführung die einzigen Besonderheiten der Schlachten der Zukunft. Die allgemeine Form bleibt in etwa dieselbe wie zu Moltkes, Napoleons, Friedrichs Zeiten.«11

Die von Colin geäußerten Vorbehalte waren gewichtig, doch auf der anderen Seite der deutsch-französischen Grenze wusste Alfred von Schlieffen, 1891 bis 1905 Chef des preußischen Generalstabs, etwas darauf zu antworten. Er schrieb in »Der Krieg in der Gegenwart«, einem 1909 veröffentlichten Aufsatz: »Nicht auf die örtliche Berührung, sondern auf den inneren Zusammenhang, darauf kommt es an, dass auf dem einen Schlachtfeld für den Sieg auf dem anderen gefochten wird.«12 Dies lief darauf hinaus, die Idee der Schlacht nach dem Modell von Waterloo, also einem Ereignis von einem, höchsten zwei Tagen Dauer auf einem abgesteckten Terrain, mit der des militärischen Feldzugs zu verbinden. So konnten die anderen 1815 im Verlauf der »Herrschaft der Hundert Tage« geschlagenen Schlachten als ein Ganzes aufgefasst werden.

Colin und Schlieffen äußerten jeweils eine weitere wichtige Annahme über den nächsten Krieg, den ihre jeweiligen Länder führen würden: Beide gingen davon aus, dass ihre Armeen in der Lage wären, zu manövrieren und somit direkt in die Schlacht einzutreten, indem sie die Marschlinie verließen. So würden Strategie und Taktik verschmelzen, was ja 1866 und 1870 geschehen war, und das Oberkommando würde die Kontrolle über die Ereignisse behalten. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten Ausbildung und militärische Schriften den Fokus auf die Rolle der Vorhut gelegt oder darauf, wie man mit dem Gegner in Kontakt kommt, wie man den Kampf gegen ihn eröffnet und ihn festsetzt. Die Ereignisse von 1914 schienen diese Erwartungen anfangs noch zu bestätigen. An allen Fronten waren die Armeen in Bewegung; sie manövrierten über gewaltige Räume, und das über Wochen. Die auf diese Manöver folgenden Schlachten – vor allem Tannenberg in Ostpreußen Ende August und an der Marne in Frankreich Anfang September – wurden zu »Entscheidungsschlachten« erklärt. Man stellte sich also vor, dass sich das Konzept der Schlacht allmählich entwickeln würde, statt sich von Grund auf zu wandeln.

Im Weiteren wurden Angriffe, jedenfalls an den französischen, russischen und italienischen Fronten, von festen Positionen aus unternommen, um Möglichkeiten zum Manövrieren zu schaffen. In diesem Sinn folgten sie mit ihrer Strategie implizit Clausewitz. Die taktischen Durchbrüche sollten zu einem strategisch nutzbaren Vorrücken der Armeen führen, sodass die Schlacht den Kriegszielen dienen würde. In Wirklichkeit handelte es sich in den meisten Fällen um Misserfolge, die zudem von den Angreifern antizipiert wurden. Um Enttäuschungen vorzubeugen, neigten sie jedoch dazu, sich bedeckt zu halten. In den beiden Großschlachten von 1916, bei Verdun und an der Somme, machten sich die Befehlshaber nicht einmal mehr die Mühe, klare Ziele an ihre Untergebenen auszugeben.

Bei Verdun scheint Erich von Falkenhayn (allerdings besteht darüber kein Konsens) den Plan gehabt zu haben, die französische Armee in eine Schlacht zu verwickeln, die einen anderen Frontabschnitt geschwächt hätte, und so die Gelegenheit zu einem Durchbruch zu schaffen. Douglas Haig wiederum versuchte an der Somme, die Bedingungen für einen Durchbruch am selben Frontabschnitt zu schaffen. Zu diesem Zweck positionierte er eine Reservearmee unter dem Kommando von Hubert Gough im Rücken der von Henry Rawlinson befehligten 4. Armee, die am 1. Juli 1916 den Hauptangriff führen sollte.

Wenn diese Hypothesen stimmen, wurden mit diesen beiden Schlachten kaum mehr als ihre ersten Ziele erreicht. Mit der Zeit dehnten sie sich immer weiter aus, und so wurden aus den anfänglichen Schlachten – zumindest zeitlich gesehen – regelrechte Feldzüge. Verdun begann im Februar und endete im Dezember 1916, die Schlacht an der Somme zog sich von Juli (oder Juni, wenn man sie mit den Artilleriebombardements beginnen lässt) bis November desselben Jahres. Doch selbst diese Chronologien sind willkürlich. Schlachten sind zeitlich und räumlich begrenzt. Aber die Schlacht um Verdun und die Schlacht an der Somme auf das Jahr 1916 zu beschränken bedeutet, über die Tatsache hinwegzusehen, dass die Frontabschnitte zwischen 1914 und 1918 Schauplatz kontinuierlicher Kämpfe waren. Als Douglas Haig am 29. Dezember 1916 eine Depesche über den Ausgang der Auseinandersetzungen an der Somme verfasste, schrieb er eingangs von einem »Offensivfeldzug« statt von einer Schlacht. Anfangs teilte er diesen in drei, später in vier Phasen ein. Der entsprechende Band der offiziellen britischen Geschichte des Ersten Weltkrieges geht noch weiter und spricht – im Plural – von den Schlachten an der Somme, fünf an der Zahl, die zwischen Juli und November 1916 stattfanden.

Eine Reihe elementarer Fragen, auf die die Schlachten des 19. Jahrhunderts befriedigende Antworten geliefert hatten, wurde so für die Schlachten von 1916 grundsätzlich problematisch. Als Erstes: Was waren ihre Ziele? An bestimmten Abschnitten der Westfront – die Hügel östlich von Ypern, der Bergrücken von Vimy, der Höhenzug Chemin des Dames – bildete das Terrain selbst das Ziel. Doch an der Somme hatten die Alliierten nichts dergleichen vor sich, was übrigens Émile Fayolle, Kommandeur der 6. Armee, nicht müde wurde, gegenüber Foch, dem Oberbefehlshaber der Armeegruppe Nord, zu wiederholen. Denn wohin sollten die Alliierten vorrücken, selbst wenn ihnen ein Durchbruch gelingen sollte? Auch die Benennung dieser Schlacht (jedenfalls im Englischen und Französischen) ist bezeichnend für die geografische Unbestimmtheit, die sie kennzeichnet, da »Somme« sowohl den Fluss – der auch nicht zu den größeren Flüssen Frankreichs gehört – als auch das Département bezeichnet. Nun spielte der Fluss für die Briten nur eine marginale Rolle in der Schlacht, da er durch den französischen Abschnitt floss. Im Fall von Verdun durchschnitt der Fluss – die Maas – das Schlachtfeld, was den Charakter der Kämpfe prägte. Trotzdem wurde die Schlacht paradoxerweise nach einer Stadt benannt, die zwar befestigt war, aber tatsächlich kein militärisches Ziel darstellte, auch wenn sie den Anschein erweckte. Die Schlacht an der Maas nach Verdun zu benennen war aus operativer Perspektive irreführend. Anfang 1916 konnte Joffre, und zwar zu Recht, nicht glauben, dass die Stadt ein Ziel für die Deutschen darstellen könne. Er war so wenig von ihrem militärischen Nutzen überzeugt, dass er sie als unmittelbare Reaktion auf den deutschen Angriff gleich aufgab. Doch sie war 1914 zu einem Symbol geworden, sodass seine Entscheidung aus politischen Gründen rückgängig gemacht wurde. Es waren die Kämpfe selbst, die der Schlacht um Verdun ihre gesamte Bedeutung gaben, doch selbst dann widerstrebte es Falkenhayn und Joffre, noch mehr Divisionen dafür einzusetzen. Die Deutschen hatten sich diesen Abschnitt für einen Angriff ausgesucht, weil er beherrscht werden konnte; die Franzosen sahen in ihrer geplanten Offensive auf Somme die Priorität. Paradoxerweise bemühten sich beide Lager darum, die Schlacht um Verdun zu begrenzen, und begriffen daher nicht, dass es sich dabei um einen Vorläufer des totalen Krieges handelte.

Möglicherweise hat Kronprinz Wilhelm von Preußen, der Oberkommandierende der 5. deutschen Armee, die Stadt Verdun zum Ziel erkoren – was uns zu der Frage führt, wer tatsächlich die Operationen bei Verdun und an der Somme leitete. Bei Waterloo hatte sich Napoleon die Schlacht mit Wellington geliefert. Bei Verdun war der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte über die ganze Schlacht der Kaiser, doch sein direkter Beitrag beschränkte sich auf die Ernennung des Chefs des Großen Generalstabs. Ende August 1916 willigte Wilhelm II., wenn auch widerstrebend, ein, Falkenhayn, der die im Allgemeinen mit seinem Namen verbundene Schlacht begonnen hatte, durch Paul von Hindenburg zu ersetzen. Der tatsächliche Kopf hinter dem Angriff der 5. Armee war wahrscheinlich nicht der Sohn des Kaisers, sondern Konstantin Schmidt von Knobelsdorf, sein Generalstabschef. Auf französischer Seite erinnert sich die Öffentlichkeit vor allem an die Rolle Philippe Pétains, der allerdings am Ende durch Robert Nivelle ersetzt wurde; und beide waren Joffre untergeben. Zumindest an der Schlacht um Verdun nahmen die verschiedenen nationalen Armeen getrennt teil, während es sich an der Somme um eine gemeinsame französisch-britische Offensive handelte. Hauptverantwortlicher war Joffre, der im Dezember 1915 die Konferenz von Chantilly geleitet hatte, auf der die alliierte Strategie für 1916 beschlossen worden war. Hätte man gefragt, wer an der Somme das Kommando hatte, hätten die meisten Briten Douglas Haig genannt, doch was ist mit Rawlinson, dem Kommandeur der 4. Armee, oder mit den Franzosen, insbesondere Foch, dem Kommandeur der Armeegruppe Nord, und Fayolle?

Das Fehlen klarer geografischer Ziele und einer kohärenten Kommandostruktur entzog diesen beiden Schlachten die konzeptuelle Einheit, die Schlieffen 1909 als wesentlich für die moderne Schlacht angesehen hatte. Die Konsequenz war, wie es die offizielle französische Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg sah, dass diese zwei Großschlachten sich oft in Detailkämpfen verloren, wodurch ihre Leitlinien tendenziell verschleiert wurden. Die Taktik überwog die Strategie, das Gefecht die Schlacht. So endeten die beiden Schlachten, in Somme im November und bei Verdun im Dezember, ohne dass eines der Lager einen klaren Sieg verzeichnen konnte. Die Witterungsbedingungen, der Zustand des Terrains, immer kürzere Tage und die Erschöpfung der Truppen erklären in ihrer Kombination, weshalb und wann die Kämpfe stoppten, ohne dass man das Gefühl hatte, es wäre ein klares Resultat erreicht worden.

Ein Abnutzungskampf

Wie sind diese Schlachten zu den Kriegszielen ins Verhältnis zu setzen, und was waren ihre strategischen Funktionen? In seinen Memoiren nach dem Krieg versicherte Falkenhayn, sein Ziel sei es gewesen, der französischen Armee möglichst große Verluste zuzufügen, welches er sogar 1915 in einer »Weihnachtsdenkschrift« festgehalten habe. Doch das Original dieses Dokuments konnte nicht aufgefunden werden, obwohl sogar die Historiker des Reichsarchivs danach suchten, bevor die preußischen Militärarchive durch die alliierten Bombardements im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurden. Wenn dies seine Intention gewesen sein sollte, dann ist zumindest sonderbar, dass sich keine Spuren davon in den operativen und taktischen Plänen für den Angriff der 5. deutschen Armee oder in deren anfänglicher Umsetzung finden.

Fast dasselbe ließe sich zu Douglas Haig in Somme sagen. Auch er brachte in seiner Depesche vom 29. Dezember 1916 klar den Abnutzungskampf zur Sprache, mit dem er die deutsche Armee zu erschöpfen versucht hatte. Doch die Dokumente stützen seine Behauptung nicht: Bis einschließlich Juli 1916 hatte er den Plan, mit der Schlacht einen Durchbruch zu erreichen. Außerdem ist wie schon im deutschen Fall allein die Tatsache, dass über Haigs Absichten so viel diskutiert werden konnte, ein Indikator für Unklarheiten in der Schlachtplanung. Rawlinson, der Haig unterstellt war, wollte eine Schlacht mit begrenzten Zielen führen. Daraus resultierte eine Art Kompromiss, ein ständiges Zaudern zwischen Durchbruch und Abnutzungsschlacht, das sich über die ganze zweite Jahreshälfte 1916 hinzog.

Am Ende der Schlacht um Verdun und der Schlacht an der Somme war mangels anderer Ziele tatsächlich die Erschöpfung des Gegners zum Ziel geworden. Die Heerführer und mit ihnen die offiziellen Historiker des Krieges versuchten, die Verluste in beiden Lagern zu evaluieren, um zu einer Einschätzung zu kommen, wer gewonnen und wer verloren hatte, und zwar gerade weil es ihnen nicht gelang, das Ergebnis der Auseinandersetzungen in Form von Gebietsgewinnen oder politischen Vorteilen auszudrücken. Von Abnutzungsschlacht zu sprechen war in diesem Sinne eine Form, die Niederlage zu rationalisieren. Dass über den Umfang der Verluste an Menschenleben sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen bis heute Unklarheit besteht, unterstreicht auch noch einen anderen Sachverhalt: 1916 gelang es weder der Offensive noch der Defensive, die Oberhand zu gewinnen. Man dachte, dass die beträchtliche Zunahme der Feuerkraft der Verteidigung einen substanziellen Vorteil verschaffen würde, weil der Angreifer viel schwerwiegendere Verluste würde hinnehmen müssen. Doch das war nicht der Fall. Die Verteidiger mussten ihre Stellungen unter fürchterlichem Artilleriebeschuss halten. Die deutschen Truppen verloren mehr Soldaten in Somme, wo sie sich in Verteidigungsstellung befanden, als bei Verdun, wo sie – zumindest für die erste Hälfte der Schlacht – im Angriff waren.

Der Angreifer hätte die Initiative nutzen und seine Kräfte auf einen entscheidenden Punkt des Schlachtfeldes konzentrieren können sollen. In Wirklichkeit war ihm dies nur selten möglich, weil die Armeeführung, die Kontrolle über die Operationen, die Kommunikation und die Ausbildung nicht den Problemen gewachsen waren, die durch Massenheere aufgeworfen werden. Die Abnutzungsschlacht gehörte vielleicht nicht zum anfänglichen Plan, doch indem Falkenhayn und Haig sie zur Rationalisierung ihrer Handlungen anführten, verschärften sie nur die Kritik derer, die in ihnen Mörder statt Heerführer sahen. Diese Kontroversen vernachlässigen allerdings einen wichtigen Punkt: Die Abnutzungsschlacht verursachte beträchtlich geringere Verluste als der Bewegungskrieg 1914. Und relativ zum Umfang und zur Dauer der Kämpfe waren die Verluste bei Verdun und in Somme geringer als bei Waterloo. Das Bitterste ist jedoch, dass bei Verdun und in Somme beide Lager fast gleich viele Soldaten verloren. Die ganze Idee eines Abnutzungskrieges hatte auf taktischer und operativer Ebene überhaupt keinen Sinn.

1923 veröffentlichte ein britischer Offizier namens Frederick Ernest Whitton The Decisive Battles of Modern Times, bei dem schon im Titel das Werk Edward Creasys anklingt, auf dessen prägenden Einfluss dann auch im Vorwort verwiesen wird. Whitton untersucht darin Vicksburg, Königgrätz, Mars-la-Tour, Tsushima und die Schlacht an der Marne, der er 1917 schon einen langen Text gewidmet hatte. Andere Schlachten des Ersten Weltkrieges ließ er in seinem Werk jedoch außen vor, weil er überzeugt war, dass der Wendepunkt des Krieges bereits nach wenigen Wochen erreicht war. Er war übrigens nicht der Einzige, der sich unschlüssig zeigte, wie man an die Schlacht um Verdun und die Schlacht an der Somme, aber auch an die anderen Schlachten des Ersten Weltkrieges herangehen sollte. Drei Jahre später erschien British Battles of Destiny von Boyd Cable, der an ein ziviles Publikum gerichtete Texte über das Leben an der Front im Ersten Weltkrieg und dann in den 1920er Jahren Filmskripte verfasst hatte, deren Handlung während des Krieges spielte. Wie Creasy sechzig Jahre zuvor ließ er sein Werk mit Waterloo enden: In seinen Augen war es noch zu früh, um die Folgen des Krieges von 1914–1918 zu beurteilen.

Whitton und Cable waren keine Autoren von großem Format, doch aus ihren Büchern wird etwas Grundlegendes ersichtlich. Die aus dem 19. Jahrhundert überkommene Definition der Schlacht hatte ihre Geltung verloren. Auch Hervé Drévillon beendete sein Buch Batailles von 2007 mit der Schlacht an der Marne. Nach 1914, erklärte er, war die Idee einer direkten und entscheidenden Konfrontation an einem klar umschriebenen Ort und in einer begrenzten Zeit obsolet geworden. Douglas Haig, der 1916 statt von Schlacht von Feldzug sprach und damit zu denen gehörte, die mit einer Änderung der Definition den Anfang machten, argumentierte in seiner letzten Depesche von 1919, als er sein Kommando über die British Expeditionary Force abgab, ähnlich. Er beschrieb darin die Kämpfe, die zwischen der Schlacht an der Somme im Juli 1916 und der Schlacht an der Somme im November 1918 stattfanden, als »eine einzige große Schlacht«13. Um die Schlacht mit ihrem Resultat in Verbindung zu bringen, musste Haig sie räumlich und zeitlich (mehr als zwei Jahre) ausdehnen. Doch mit seinem Bemühen, innerhalb der Grenzen des vertrauten Vokabulars Rechenschaft über die großen Veränderungen zu geben, die sich an der Natur des Krieges vollzogen hatten, schuf er Verwirrung. Damit war er nicht alleine: Auf diese Weise überzeugte sich die deutsche Armee davon, 1918 nicht auf dem Schlachtfeld besiegt worden zu sein, da es an der Westfront zu keiner letzten und entscheidenden Schlacht gekommen war.

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