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Das Geheimnis der Partnerwahl

Das Geheimnis ist wirklich groß. Geheimnisvoll ist schon die Wahl des Ehepartners. Entscheidendes läuft unbewusst. Es geschieht mit uns. Vordergründig gibt es vielleicht viel Verbindendes, das uns anzieht. Wir haben ähnliche Interessen und gemeinsame Werte. Uns verbinden ähnliche Verletzungen aus der Vergangenheit. In der Tiefe aber halten wir unbewusst nach unserer Ergänzung Ausschau: Der Risikofreudige sucht die Sichere; die kreativ Chaotische ruft nach dem systematischen Ordnungsliebhaber; die Tempofreudige verknallt sich in den bedächtig Langsamen; der schweigsame Denker ist fasziniert vom warmen Wortwasserfall seiner Zukünftigen. Und umgekehrt! Und dann geschieht eine merkwürdige Entwicklung: Das ganz Andere, das mich einst an meinem Ehepartner fasziniert und angezogen hat, nervt jetzt plötzlich. Der Punkt der Anziehung ist gerade zum Punkt des Konfliktes geworden, der schmerzt. Im Abschnitt zur Charakterentwicklung (»Ko-Evolution«) ging es darum, wie wir darin reifen können, unsere Verschiedenheit anzunehmen und als Ergänzung zu betrachten.

Zwei unabhängige Jas

Wir werden diese unbewussten Prozesse der Partnerwahl nie ganz verstehen. Das Geheimnis ist groß. Jedoch ist es für eine reife Basis für eine gesunde Ehe wichtig, dass die Eheschließung auf zwei unabhängigen Jas gründet. Deren Zustandekommen ist ein Prozess, bei dem jeder Ehepartner einen individuellen Weg zurücklegt: Jeder Partner ist dabei in seinem Tempo prüfend, abwägend, fragend und betend unterwegs. Er horcht auf die Stimme seines Herzens und auf die Stimme Gottes. Er lernt, den Stimmen von Freunden und Verwandten oder der Gemeinde den angemessenen Stellenwert zu geben. Er macht die Erfahrung, unabhängig wählen zu müssen. (Und wenn er es jetzt nicht lernt, wird er diese verpasste Lektion irgendwann nachholen müssen.) Wollen wir frei bleiben, können wir unser Ja nicht vom Ja des anderen abhängig machen.

Auf dem Weg zu einer reifen Entscheidung begegnen wir möglicherweise unserer Angst, einen Fehler zu machen und später als Paar zu scheitern. Wir lernen dann vielleicht, Angst loszulassen und unser Grundvertrauen bei Gott zu stärken. Wir müssen uns auf eine Option unter vielen endgültig festlegen und entwickeln dabei den Mut, eine Entscheidung mit lebenslangen Konsequenzen zu treffen. Wir müssen alle Hintertürchen schließen; wer einen Bund schließt, bindet sich. Dabei wächst unsere Gesinnung auf dem Gebiet der Eindeutigkeit und Klarheit. Wir ahnen in diesem Entscheidungsprozess instinktiv, dass mit der Eheschließung Erfüllung und Lust, aber auch Verzicht und Leiden verbunden sind. Ich wähle also die Freude an einer verbindlichen Lebens- und Liebesbeziehung und den Schmerz, der ebenso damit verbunden ist. Diese Erkenntnis blitzt beim jungen Paar – wenn überhaupt – nur für einige Augenblicke auf. Meist erkennen wir die Trageweite unserer Entscheidungen erst viel später.

Entscheiden – eine Grundfertigkeit im Wahrnehmen der Führungsverantwortung

Entschiedenheit, die wir im Vorfeld einer Eheschließung gewinnen, wo wir prüfen, abwägen und endgültig beschließen, ist bedeutsam auch im Hinblick auf die Übernahme von Führungsverantwortung. Wir haben Mut und Vertrauen entwickelt, uns endgültig festzulegen und alle Notausgänge zu schließen. Wir haben gewählt und uns definitiv festgelegt. Punkt.

In einer multioptionalen Gesellschaft, in der man sich permanent mehrere Möglichkeiten offen lässt, ist dieser Schritt in die völlige Verbindlichkeit eine enorme Leistung. In einer Leitungsaufgabe müssen wir Entscheidungen treffen. Oft »makes or breaks« eine schwerwiegende Entscheidung einen Verantwortlichen. Wohl den Leitenden, die schon früh Mut und Vertrauen einüben konnten.

Einheit durch Ergänzung

Das Geheimnis der Ehe besteht darin, dass zwei eins werden und zugleich ganz sie selbst bleiben. Wie entsteht Einheit? Viele Ehepaare versuchen – besonders in der Anfangsphase –, Einheit herzustellen, indem sie die persönliche Eigenart und Originalität zugunsten der gemeinsamen Harmonie zurückstellen. Der seltenere Fall: Er gibt alle sportlichen Hobbys auf und wird vom wilden Mann zum gezähmten Häuslichen. Schon häufiger: Sie passt sich den Wünschen und der Dynamik ihres Mannes an und stellt eigene Anteile zurück.

Sollen wir wesentliche Teile von uns selbst zugunsten der Eheharmonie aufgeben? Geschieht dann unsere Paarentwicklung und die Stärkung unserer Einheit nicht auf Kosten unserer persönlichen Entwicklung? Unsere menschliche Lösung mit dem Ziel der Einheit ist Anpassung, Gleichmacherei, Uniformität. Oft weiß dabei einer von beiden nicht genau, was er letztlich will, und passt sich dem anderen einfach an.

Nach biblischem Denken entsteht Einheit ganz anders, nämlich durch das Zusammenführen von Gegensätzen im Sinne der Ergänzung. Unser Gott schuf den Kosmos in Polaritäten: Er schuf Tag und Nacht, Sommer und Winter, Mann und Frau. Dabei koordinierte Gott diese Gegensätzlichkeiten. Was für unsere große Welt gilt, gilt auch für die kleine Welt unserer Ehe: Paulus gebraucht für das Prinzip »Einheit durch Ergänzung« das Bild vom Körper, dessen verschiedenste Körperteile vom Kopf her koordiniert und zusammengefügt werden. Christus ist der Kopf der Eheleute, Koordination höherer Ordnung für ihr Miteinander, liebendes Gegenüber, das sie als Mann und Frau in ihrer Originalität aufeinander abstimmt.

Eigentlich geht es darum, dass sich Mann und Frau Christus zur Verfügung stellen und ihm sagen: »Da hast du mich! Ich möchte der Mann, die Frau für meinen Partner werden, wie du es dir gedacht hast; mache mich zu einem Geschenk. Baue du an unserer Einheit, wir können das nicht selber.«

Im praktischen Alltag stehen wir ja immer wieder vor ganz konkreten Fragen: Soll ich verzichten oder mich durchsetzen? Soll ich ein Bedürfnis zugunsten unseres Miteinanders zurückstellen? In diesen Fragen ist mein Blick in erster Linie auf Gott gerichtet und nicht auf meine Bedürfnisse oder die Forderungen des Ehepartners. Und so verzichtet die Frau auf den Gospelbrunch, den sie gemeinsam besuchen wollten, und entlässt ihren Mann zu seiner Biketour. Oder die Frau merkt, dass sie es ihrem Mann zumuten kann, mit den Kindern zwei Tage allein zu sein, und verreist mit ihrer Freundin zum Wellness-Wochenende. Wenn beide Ehepartner in Freiheit vor Christus ihr Tun und Lassen verantworten, wird das nicht nur ihre Einheit als Paar bauen, sondern auch ihre persönliche Entfaltung vorantreiben.

Teamfähigkeit

Team- und Ergänzungsfähigkeit sind angesichts von immer komplexeren Sachverhalten, die wir in unseren Organisationen zu bewältigen haben, eine Schlüsselkompetenz für Führende. Immer mehr wird Leitung von einem Gremium wahrgenommen. Der einsame, abgehobene Kapitän auf der Kommandobrücke ist nicht mehr die Symbolfigur des Leitens. Und wo kann Teamfähigkeit besser trainiert werden als in der Ehe?

Hier lerne ich, mich einzubringen oder zurückzunehmen, mich durchzusetzen oder zu verzichten. Was für ein inspirierender Führungsstil wird sich ergeben, wenn sich Führungskräfte als ergänzungsbedürftig und ergänzungsfähig erleben!

8»Was mit der Eheperson gemeint ist, ist nicht logisch erklärbar, aber intuitiv erfassbar und erlebbar, und viele Ehepaare können übereinstimmend antworten, wenn ich sie frage, wie es ihrer Eheperson gehe. Es ist hilfreich, die Merkmale einer Person auf sie zu übertragen: Sie wird von Gott geschaffen, und sie ›stirbt‹ beim Tod eines Partners; sie trägt einmalige, individuelle Züge; sie kann unentfaltet oder voll entwickelt sein; sie kann gesund oder krank sein; es kann ihr gut gehen, sie kann aber auch leiden.« Manfred Engeli, Finale Eheseelsorge – Konzepte und Praxis, 17.

Familie

Ehepaare, die Kinder haben, führen ein menschlich, fachlich, finanziell und geistlich anspruchsvolles Unternehmen. Bei Patchworkfamilien erhöht sich der Komplexitätsgrad noch erheblich. Aber beginnen wir von vorne: Durch die Geburt eines gemeinsamen Kindes wird ein Paar erweitert zu einer Familie. Es entsteht ein Familiensystem mit neuen Beziehungsmöglichkeiten. Alle Beteiligten bekommen neue Plätze. Die Liebhaberin und Ehefrau wird jetzt auch Mutter. Der Liebhaber und Ehemann wird jetzt auch Vater. Die Ehebeziehung bleibt zwar als die grundlegende Beziehung erhalten, sie prägt nachhaltig die Architektur, das Klima, die Qualität des Familiensystems. Zur Zweierbeziehung tritt indessen mit einem Kind eine weitere Quelle des Glücks und der Freude hinzu; Kinder sind wahrhaftig eine Gabe Gottes (Psalm 127,3; Luther).

Mit der Gabe eines Kindes entsteht andererseits aber auch zugleich eine neue Aufgabe: Grundlegende Bedürfnisse des ganz auf die Eltern angewiesenen Säuglings werden lauthals angemeldet und sollen gestillt werden. Der Säugling, der mit seinem Rhythmus den des inzwischen eingespielten Ehepaars durcheinanderbringt, braucht Schutz, Sorgfalt, Zuwendung, Liebe. Nicht nur ein größeres Geldkonto, auch ein größeres Liebes-, Gedulds- und Verzichtkonto wird für das Elternpaar notwendig. Das bringt viel inneres Wachstum der Eltern mit sich.

 

Familiensystem – ein lebendiger, fragiler Organismus

Mit jedem weiteren Kind verändert sich die Familie, sie wird reicher, vielschichtiger. Die Familie ist als System ständig in Bewegung, sie verändert sich von Monat zu Monat, Jahr zu Jahr. Wenn die Kinder älter und selbständiger werden, gar das Nest verlassen, wird das System wieder einfacher und durch die Familienarbeit werden weniger Kräfte gebunden. Wie viele »Stellenprozente« braucht es für eine ausreichende Abdeckung der Familienbedürfnisse? Reicht eine 50-Prozent-Stelle? Oder braucht es 120 Prozent? Jede Familie stellt ein originales Projekt dar, und jedes Ehepaar muss je nach Familienphase immer wieder miteinander vor Gott die Lösung auf folgende Fragen finden: Was braucht unsere Familie jetzt? Was ist unseren Kindern zuzumuten? Wo überfordern wir sie? Wo und wie stärkt unsere Zumutung an sie ihre Belastbarkeit? Was brauchen wir als Ehepaar, damit unsere Beziehung weiter wächst?

Warum gibt es in diesen Fragen keine Faustregel? Weil jede Familie ihr eigenes Maß an elterlichem Input braucht. Zudem stehen jeder Familie unterschiedliche Unterstützungssysteme zur Verfügung. Es macht einen Unterschied, ob eine Vollblutoma, ein Kindermädchen, eine Reinigungsfrau, ein Chauffeur und ein Gärtner verfügbar sind oder ob wir mutterseelenallein mit unseren drei Kindern in einer uns fremden Stadt Wurzeln schlagen müssen. Die Zahl der erforderlichen »Stellenprozente« ändert sich auch deswegen dauernd, weil die Familie ein lebendiger, zerbrechlicher Organismus und keine Maschine ist: Da erkrankt ein Kind ernsthaft; es treten unvorhergesehen schulische Schwierigkeiten ein; das Betreuungsangebot durch die Großmutter fällt weg; man erfährt plötzlich, dass man ungeplant ein weiteres Mal schwanger ist; der Arbeitgeber erhöht das wöchentliche Arbeitspensum; der Älteste kifft und hat die Berufsausbildung geschmissen.

Familie und Führungsverantwortung – gesteigerter Bedarf an Verfügbarkeit und Präsenz

Wir deuten es an dieser Stelle nur an: Einer der Konfliktpunkte bei der Übernahme von Leitungsverantwortung besteht für Ehepaare mit Kindern darin, dass zur bereits anspruchsvollen Erziehungs- und Familienarbeit eine Aufgabe (eigenes Unternehmen, Leitung einer Gemeinde etc.) hinzutritt, die in ihrer Dynamik einer Familie gleicht. Auch diese Aufgabe ist nur zum Teil planbar und mit viel Unvorhergesehenem verbunden: Ein verantwortlicher Mitarbeiter wechselt die Stelle; ein Konflikt im Team verlangt enge Begleitung, die wirtschaftliche Entwicklung erfordert die Anpassung des Businessplanes mit einschneidenden Maßnahmen, Wochenendklausursitzungen sind angesagt (während zuhause ein überforderter Ehepartner zu überleben versucht). Eine Familie zu haben, heißt, verfügbar und präsent zu sein. Leitungsverantwortung zu übernehmen, heißt, verfügbar und präsent zu sein. Beides zusammen verlangt einen gesteigerten Bedarf an Verfügbarkeit und Präsenz!

Familie – Ort der Geborgenheit und Erholung

Eine Familie setzt aber auch viele Kräfte frei und ist ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit. Natürlich, Familien- und Hausarbeit ist Arbeit; wir können uns, wenn wir aus dem Geschäft kommen, nicht einfach fallen lassen. Aber wir ziehen Schlips und Anzug aus, stülpen uns ein ausgewaschenes Shirt über und steigen in kurze Hosen, laufen barfuß über den Rasen.

In der Kleinkinderphase gab es für mich (Daniel) kein effizienteres Mittel zum Abschalten, als die Badewanne voll laufen zu lassen, mich mit zwei bis drei Kindern reinzusetzen und rumzuplantschen. Dabei generierte ich Geschichten – als Nebenprodukt regenerierte ich mich selbst. Das ganze Badezimmer stand in der Folge unter Wasser. (Wenn Sie mehr über die eheliche Dynamik infolge dieser jeweiligen Flutung eines Wohnungsteils erfahren wollen, blättern Sie zum Stichwort »Zusammenarbeit« …)

Familien- und Hausarbeit

Doch nochmals: die Familie ist auch ein Arbeitsplatz. Dafür müssen einigen von uns Männern erst einmal die Augen aufgehen. Derjenige, der auswärts einer Erwerbsarbeit nachgeht, sieht bei seiner Rückkehr in die Familie zunächst eher den Erholungs- und Regenerationsort. Fröhlich checkt er – seltener sie – ins Familienhotel ein, erwartet gar einen Willkommensdrink. Dabei stößt er aber auf eine Ertrinkende. Es knallt. (Die Explosion ist tatsächlich einem Cocktail entsprungen, allerdings nach dem Rezept Molotows. Das explosive Gemisch des Cocktails setzt sich aus zwei Bedürfnissen und zwei verschiedenen Ansprüchen zusammensetzt, geschüttelt und gerührt durch drei vitale Kinder.)

Bevor Sie sich nun beide hinsetzen und einen Plan aufsetzen, wie Sie Familien- und Hausarbeit neu aufteilen wollen, lesen Sie doch noch den nächsten Abschnitt. Ein Plan, der die Zuständigkeiten für erzieherische Aufgaben und die Arbeit im Haushalt verbindlich regelt, greift nur, wenn Sie beide in Ihrer Grundhaltung die Verantwortung auch für diesen Bereich des Zusammenlebens übernommen haben. Und zwar ganz. Von Herzen.

Gesinnung

Wir unterscheiden zwischen Verhalten im Sinne des konkreten Tuns und der Gesinnung, welche eine innere Haltung zum Ausdruck bringt. Das Tun ist sichtbar, die Gesinnung ist unsichtbar, verborgen im Herzen. Beides ist wichtig, die Früchte und die verborgene Wurzel, die sie hervorbringt.

Veränderung vollzieht sich in unserer Grundhaltung

Wir gehen davon aus, dass Gottes Ressourcen vor allem in der Stärkung und Veränderung unserer inneren Haltung zum Tragen kommen. Auf der Ebene des Verhaltens kommen wir mit unserem Training und unserer Disziplin selber recht weit. Unser Ansatz setzt nicht dort an, wo wir uns neue Verhaltensweisen antrainieren. Nicht dass das schlecht wäre, durchaus nicht. Wir sehen unseren Ansatz jedoch darin, dass wir lernen, wie Gott uns ungute Haltungen abnehmen und uns seine Gesinnung ins Herz legen kann. Gott ist primär ein Herzenstherapeut und »Gesinnungsveränderer«, erst sekundär ein Verhaltenstherapeut. Paulus drückt das so aus: »Fügt euch nicht ins Schema dieser Welt, sondern verwandelt euch durch die Erneuerung eures Sinnes« (Römer 12,2).

»Einmal im Monat bringe ich meiner Frau einen Blumenstrauß mit.« Harald trifft diese Entscheidung und trägt diese Maßnahme der Verbesserung seiner Zuwendung an Eleonore auch gleich in seinen Terminplaner ein, immer am fünfzehnten des Monats. Wir freuen uns über Harald, denn: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«. Es gibt aber auch den etwas anderen Weg, der bei der Gesinnung ansetzt: »Gott, ich weiß kaum, was Liebe ist. Lehre mich. Stärke in mir, Gott, meine Liebesfähigkeit.« So bittet jemand um eine Gesinnungs- und Herzensveränderung. Als Folge davon geht er wacher und empfänglicher durch den Tag. Er macht zum Beispiel die Erfahrung, dass ihm bewusst wird: »Das war jetzt lieblos vor dir, kommentarlos und ohne Dank vom Tisch aufzustehen und sich vor den Fernseher zu setzen.« Oder er bekommt den Impuls, seine Frau in die Arme zu nehmen. Gute Haltungen münden immer in gute Handlungen: »Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich werde dir an meinen Werken den Glauben zeigen« (Jakobus 2,18).

Unsere Gesinnungen bestimmen unser Tun

Warum legen wir so viel Wert auf die Veränderung von Haltungen? Erstens weil Gott uns dazu einlädt, ungute Gesinnungen abzulegen und mit seiner Hilfe neue Haltungen »anzuziehen«. »Jetzt aber legt auch ihr dies alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerrede und üble Nachrede, die aus eurem Mund kommt. – So bekleidet euch nun mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld« (Kolosser 3,8.12).

Zweitens hat eine Veränderung in unserer Gesinnung den Vorteil, dass sie auf andere Lebensgebiete übertragbar wird. Wenn jemand barmherziger wird, wirkt sich das nicht nur in seiner Ehe aus, sondern auch in seinem Führungsverhalten oder in der Art und Weise, wie er Politikerinnen und Politiker beurteilt. Wenn Sie in Ihrer Ehe wahrhaftiger werden, gehen Sie auch im Führungsalltag Ihre Konflikte wahrhaftiger an.

Und der dritte Grund: Die in unseren Tiefenschichten wirksame Gesinnung ist letztlich mächtiger als unsere guten Vorsätze und theoretischen Erkenntnisse. In Stresssituationen übernehmen die tief in uns verankerten Haltungen die Führung, nicht unser Kopfwissen: »Das haben wir doch schon tausendmal diskutiert und klare Abmachungen getroffen, nichts hat sich geändert.« Sollten diese oder ähnliche Sätze bei Ihnen fallen, sollten Sie die Haltungen überprüfen, die dahinter stecken, allenfalls sabotieren diese aus dem Untergrund heraus die abgemachten Schritte zur Veränderung.

Halt

Ein »Halt!« gibt Halt. Das ist nicht nur in der Erziehung so. Klare Grenzen geben Sicherheit. Man weiß, woran man ist: Gute Zäune machen gute Nachbarn.

Wir haben auch als Person unsere Grenzen. Sie sind klar markiert, wie das Ufer einen See begrenzt: Innerhalb dieser klaren Grenzen verfügen die Wellen gleichwohl über einen gewissen Spielraum. (Das ist wichtig!) Die Grenzen betreffen unseren Leib, unsere Seele und unseren Geist.

Da sind die Grenzen meines Körpers: Wenn du mir weh tust, mich verwundest, besonders im Bereich des Geschlechts meine Grenze übertrittst, dann fühle ich mich verletzt, übergangen, missbraucht. Als Kind musste Theresa mit den Eltern immer nackt baden gehen; für sie war das eine Grenzüberschreitung.

Unsere Seele hat ihre Grenzen: Da ist mein Empfinden und da ist dein Empfinden. Seelische Grenzverletzungen passieren, wenn echte, für die Person und die Situation stimmige Gefühle übergangen, abgewürgt werden. Wir fühlen uns dann überfahren. Oder jemand versucht, unsere Gefühle zu manipulieren: »Schämt euch! Wie könnt ihr nur so laut lachen, wo doch Opa gestorben und noch nicht einmal begraben ist?«, schilt die trauernde Mutter ihre fröhlich spielenden Söhne.

Auch unser Geist, die Gott zugewandte Seite in uns, kann verletzt werden. Wir werden im Glauben zu Entscheidungen angehalten, bei denen wir uns selbst übergehen. Uns wird Angst eingejagt: Da möchte ein junger Bursche Bluejeans kaufen, aber für die Eltern, die zu einer sehr engen christlichen Gemeinschaft gehören, ist das »Teufelsstoff«. »Wenn du so weiter machst«, sagen sie ihrem »rebellischen« Sohn, »wirst du einmal bei der Entrückung aller Gläubigen von der Schule nach Hause kommen und keinen mehr von unserer Familie vorfinden, du bleibst allein zurück!« Ein geistlicher Übergriff.

Wir alle haben Grenzüberschreitungen erlebt. Leichte. Massive. Das Leben verletzt. (Wir bagatellisieren damit leiblich, seelische und geistliche Übergriffe nicht. Wir unterstützen aber auch deren Dramatisierung nicht. Wir haben kein Anrecht auf ein störungs- und verletzungsfreies Heranwachsen.) Grenzverletzungen verunsichern uns: Wo genau verläuft die Grenze um unsere Person? Wir haben auch Mühe, die Grenzen der anderen Personen zu erkennen und zu respektieren. Es scheint, der natürliche Instinkt dafür ist uns abhanden gekommen.

Cornwall I

Direkt unter meinem Fenster beobachte ich drei junge Möwen. Fliegen können sie noch nicht, sie laufen, rennen, hüpfen. Manchmal absolvieren sie eine »Bodenflugübung«, indem sie einen oder gar beide Flügel strecken. Jetzt hören sie von weitem den Schrei der Mutter. Alle drei beginnen aufgeregt zu piepsen. Die Mutter senkt sich im Steilflug zu Boden, die Jungen drängen sich um sie. Wer erlangt die beste Position, das rare Futter zu ergattern? Da, die Mutter öffnet ihren Schnabel, sie lässt einen Fisch zu Boden fallen, auf den sich die drei stürzen. Die Schnellste von ihnen verschlingt den Fisch im Nu. Dann hackt es auf seine langsameren Geschwister ein. Erst jetzt fällt mir auf, dass diese beiden etwas kleiner und schwächlicher sind. – Das Leben ist einfach ungerecht!

 
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