The Outlaw

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Sari: The Outlaw #1
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»Zwei Männer und der Whiskey«, bezifferte Frank Brown die Verluste. »Dein Rachedurst wird die White Horses zerreiben.«

Robert White verdrängte die Luft zwischen sich und Frank Brown. »Mein Rachedurst bestätigt, dass ich der Anführer bin. Pass auf, dass du dich nicht weiter im Ton vergreifst, sonst wirst du George Gesellschaft leisten, bis die Schlangen über euch herfallen.«

»Was hast du nur an William, dass dich sein Fehlen so aus der Bahn wirft?«, hauchte Frank Brown skeptisch.

»Das ist nicht deine Sache, Frank. Schlag dein schlaues Buch auf und zeig ihm, wo Halifax liegt.«

Das Feuer kam näher, griff auf die nächsten, mit Whiskey gefluteten, Waggons über.

»Rusty!«, holte er seinen Bruder zu sich. »Schnapp dir Ben und reite nach Paradise City. Ich will endlich wissen, was mit William ist und wer für diese ganze verdammte Scheiße verantwortlich ist.«

Sam White deutete auf Emma Mayor. »Sollen wir sie mitnehmen?«

Robert White überlegte. »Nein. Die kleine Hure brauche ich als Faustpfand. Außerdem seid ihr ohne das quengelnde Kind schneller und unauffälliger.«

Sam White holte Ben Copper zu sich, ein ebenso kurzgeratener Mann jungenhaften Antlitzes ohne Bart. Geringe Körpergröße und geringes Gewicht der beiden eigneten sich hervorragend für schnelle, pferdschonende Ritte. Würde der Pony Express noch bestehen, wären die beiden ideale Kandidaten. Telegrafen machten die berittenen Boten zügig überflüssig und beendeten die unrentable Quälerei von Mensch und Tier.

»Ach, und Rusty«, ergänzte Robert White im Vertrauen, »sieh nach den beiden.«

Sam White wusste, wovon sein Bruder sprach. Familie unter sich, die über Familie sprach.

Die 2 leichten Reiter ritten los, um noch vor Anbruch der Dunkelheit die 50 Meilen bis Paradise City zu schaffen, vorbei an der wankenden, schwankenden Horde, die die Stadt bereichern würde.

»George kann den Schlangen entkommen«, säuselte Frank Brown, nachdem er Benanntem ein paar schöne Psalmen um die Ohren geschmissen hatte.

Robert White musterte den Verletzten aus der Distanz. »Ihm fehlt schon die Farbe und zu viel Blut ist außerhalb seines Körpers. Ich bin kein Arzt, aber das überlebt er nicht. Oder willst du den Krüppel pflegen, am Leben halten und schließlich, nach Tagen der Aufopferung, aufgeben müssen?«

Frank Brown blickte zu Boden.

»Dachte ich mir«, antwortete Robert White selbst. Er schritt auf seine Bande zu. »Whiteman! Phil ist tot und George wird ihm folgen, vielleicht nicht heute, aber in den nächsten Tagen. Wer will sich die Last aufbürden und George in den Tod begleiten?«

Niemand meldete sich. Einzig Charlie Mauve, der Phil Hunter gerade im Sattel verschnürte, horchte auf.

»Will keiner von euch den Sterbenden mit eingeweichtem Gras füttern, ihm den Wazoo abwischen und vor hungrigen Kojoten beschützen? Will keiner von euch hier bleiben, gekocht von der Sonne und dem brennenden Zug, und George den giftigen Schlangen übergeben, mit Glück nicht selbst zu den Schlangen rutschen?«

Erneut meldete sich keiner. Robert White zog seinen Revolver und drückte den Abzug nach hinten. Der Schlagbolzen krachte ins Leere. Die Kugel fehlte. George Bone zuckte kurz, mit dem Lauf vor der Visage und dem Nachhall der leeren Waffe in den Ohren. In aller Ruhe lud Robert White den 6-Schüsser nach.

»Bitte!«, flehte George Bone kreidebleich, »Es ist nur eine Fleischwunde. Morgen bin ich wieder auf den Beinen.« Dazwischen schleuderte blutiger Auswurf aus seinem Rachen.

»Ich!«, rief Charlie Mauve schließlich.

Robert White drehte sich zum Meuterer um. Sein Blick glich einem Todesurteil. »Geh nach Halifax, du verdammter Idiot! Bist du die Heilsarmee?«

»Ich bin kein Knochensammler!«

Die Whiteman hielten die Luft an, hinter ihren Halstüchern.

Robert White erzeugte eine künstliche Pause, seinen Revolver fertig ladend und die unerbittlichen Sonnenstrahlen genießend. »Okay«, sagte er dann, half George Bone hoch, der selig lächelte und erleichtert schnaufte, stützte ihn und zwang ihn in den ersten Waggon, der noch kein Feuer gefangen hatte, aber nur einen brennenden Waggon davon entfernt war.

»Nein, bitte!«, bettelte George Bone plötzlich wieder verzweifelt, als er realisierte, was ihm bevorstand.

Aber Robert White lud ihn im Waggon ab. Rauchschwaden aus den hinteren Waggons waren bereits vorgedrungen und nebelten die Szenerie ein.

»Wenn du dich aus dem Zug robbst, fängst du dir eine Kugel ein«, drohte Robert White bösartig und verdünnisierte sich, den wimmernden George Bone im Angesicht des herankriechenden Feuers, im Beisein dutzender Leichen, zurücklassend.

Draußen trat ihm Charlie Mauve entgegen. »Du Scheusal!«

Robert White schlug ihm mit der Faust gegen das Nasenbein, das dadurch knackte. Sofort schossen Blutfäden aus den Nasenlöchern. Charlie Mauve krümmte sich und hielt die Hände vors Gesicht. Hernach bekam er noch einen Fußtritt gegen die Schläfe und fiel gänzlich zu Boden. Dann kniete sich Robert White auf den weichen Hals, wodurch er wichtige Arterien und die Luftröhre abklemmte. Charlie Mauve hechelte, röchelte, keuchte, doch der Druck ließ nicht nach. Er bäumte sich auf, versuchte, sich dagegen zu stemmen, aber es half nichts. Er erstickte, bevor er das Bewusstsein verlor. Die anderen Whiteman sahen tatenlos zu.

Robert White holte Charlie Mauves Revolver aus dem Holster, klickte - von allen ungesehen - die Trommel seitlich heraus, ließ die Patronen, bis auf eine, in seiner Hand verschwinden, klickte die Trommel mit der einen Kugel nach einer schnellen Drehung wieder ein und reichte Viola Finch den Revolver, was Henry Gray verwundert quittierte und zum Schutz selbst Hand an seinen Waffengriff legte.

»Können Sie damit umgehen, Ms. Finch?«, fragte Robert White.

Viola Finch nahm den Revolver etwas ungeschickt entgegen, erstaunt über dieses Geschenk. Trotzdem bejahte sie.

»Sollte Sie ein Kojote belästigen«, er schaute zu Henry Gray, »drücken Sie ab.«

Henry Gray entfernte sich ein paar Yards und behielt sie im Auge, mit der Hand stets an der Waffe, in ihrem reizenden Rücken. Derweil holte Robert White den toten Phil Hunter wieder aus dem Sattel, um ihm im Staub, neben Charlie Mauve, verwesen zu lassen.

Viola Finch hatte ein Pferd und eine Waffe, aber sie hegte keinen Gedanken an Flucht, denn das versprochene Abenteuer im Westen begann gerade. Allein ihre Kleiderauswahl kontrastierte den Fortgang ihrer Geschichte. Der angewärmte, nach Whiskey, Urin, Zündplättchen und Eisen duftende Revolver fühlte sich ausgesprochen gut an in ihren Fingern. Sie rubbelte über das teils zerkratzte Metall.

Währenddessen fing auch der erste Waggon mit George Bone darin Feuer. Als dessen Schreie nach einem selbstbestimmten Schuss starben, machten sich die White Horses auf den Weg zu ihrer Schweinefarm, mit 2 Solopferden und 2 hübschen Damen im Schlepptau, weg von der lodernden Lok.

Die Hure

»Man kann nie sagen, in welche Richtung die Gurke spritzt.«

*aus Wild West Whim-Wham, New York City, 1888

Die Hure

Porter Point und Dave Star, beide schmutzig und verschwitzt mit 5-Zack-Stern und obligatorischem Schnauzbart für Ordnungshüter, schaufelten frisch ausgehobene Erde auf einen in schwarze Tücher eingehüllten Leib in einem 6 Fuß tiefen Grab auf dem Friedhof von Paradise City, wo einfache Holzkreuze ungeordnet einen Acker akupunktierten. Prediger Godfrey Parson stand daneben und stierte lustlos in die Ferne, wo die Sonne im Westen unterging, Bibel und Kreuzkette vorm Bauch haltend. Unter seiner Kutte quoll der Kilt hervor.

»Howdy!«, grüßte Sam White vom weißen Pferd aus, respektvoll von außerhalb des Friedhofes, in Begleitung von Ben Copper, der lediglich kurz an der Hutkrempe zog. Beide hoben sich leicht aus dem Sattel, um einen Blick in die Grube zu erhaschen, ohne Erfolg.

Die Deputy City Marshals unterbrachen die Arbeit, stützten sich auf ihre Schaufeln und betrachteten die Fremden.

»Gott sei mit euch!«, grüßte Godfrey Parson zurück. »Wenn ihr unser Silber sucht, muss ich euch enttäuschen. Hier gibt es nichts mehr davon. Aber im Saloon findet ihr vorzüglichen Ersatz, wie das Wiesel im Hühnerstall.«

Sam White lächelte. »Wir suchen einen Freund.«

Porter Point und Dave Star schauten sich eindringlich an. Die Hände von Porter Point rutschten langsam zu seinem Revolver an der Hüfte.

»Schon gut«, zähmte Sam White, der den Weg der Hand mitbekam. »Wir wollen keinen Ärger. Wenn wir unseren Freund gefunden haben, sind wir weg und kommen nie wieder.«

»Seid ihr Whiteman?«, fragte Porter Point argwöhnisch. Er spannte den Hahn, behielt den Revolver aber noch im Holster.

Dave Star musterte die beiden weißen Pferde und versuchte, eins und zwei zusammenzuzählen. Er hatte gezuckt, als sein Partner den Hahn spannte.

»Sagt uns einfach, wer die Schlangen beehrt, und ihr werdet uns nie wieder sehen«, wich Sam White aus.

»William Emerald«, gestand Godfrey Parson schnell.

Sam White und Ben Copper wechselten Blicke.

Porter Point holte seinen Revolver aus dem Holster, ohne anzulegen. Dave Star tat es ihm gleich, aufgescheucht, aber er hatte Mühe, die Waffe sauber aus der Lederhülle zu bekommen. Er wirkte sehr nervös.

»William Emerald?«, bohrte Sam White nach. »Seid ihr sicher?«

»Ja«, antwortete der Prediger, um die Situation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

 

Sam White stöhnte nachdenklich.

»Ein Whiteman«, sagte Porter Point hoch konzentriert. »Wer sollte nach einem Whiteman suchen und keinen Stern tragen?«

Sam White legte den Kopf schief, immer noch beide Hände an den Zügeln. »Gab es sonst noch totes Fleisch in letzter Zeit?«

»Gott sei Dank, nicht«, erwiderte Godfrey Parson erleichtert. »Paradise City ist zwar arm, aber friedlich. Hier gibt es nichts, wofür es sich zu sterben lohnt.«

»Kann man hier wenigstens was trinken und sein Pferd ruhen lassen?«, schaltete sich Ben Copper ein.

»Im Saloon«, grinste Godfrey Parson. »Heaven Hell. Direkt daneben sind Ställe.«

Ben Copper drehte schon ab.

»Dies ist keine gesetzlose Stadt«, ergänzte Porter Point und pochte auf seinen 5-Zack-Stern.

Sam White nickte despektierlich und folgte seinem Kompagnon.

Während Ben Copper einen Abstecher ins Heaven Hell machte, schlich sich Sam White in das Gässchen zwischen Taylor‘s Clothes und Smith‘s Hardware, um leise an der Seitentür des Textilgeschäftes zu klopfen. Ein Junge mit Schrotflinte in der Hand öffnete ihm.

»Carl?«, fragte Sam White gespielt erstaunt.

»Onkel Sam?«

Sam White breitete die Arme aus und freute sich. »Komm her, mein Junge! Gee, bist du groß geworden.«

Sie umarmten sich umständlich, wegen der Schrotflinte.

»Was machst du denn hier, Onkel Sam?«

»Psch«, bat Sam White um weniger Euphorie und leisere Töne. »Ich wollte mal nach dir und deiner Mutter schauen.«

Carl Taylor drehte sich unsicher um. »Ich soll niemanden hereinlassen.«

Sam White sah verdutzt über die Schultern des Jungen, konnte allerdings nichts sehen. »Auch nicht deinen Onkel?«

»Niemanden«, wiederholte Carl Taylor, wenig überzeugt.

Doch sein Onkel schubste ihn liebevoll hinein und trat selbst ein. Im nächsten Moment bekam er einen Fausthieb verpasst und fiel bewusstlos zu Boden.

»Niemanden«, wiederholte John, der sich auf einer wuchtigen Holzkrücke stützte und dessen Torso in ein Eisenkorsett gezwängt war.

»Was ist hier los?«, kam Claire Taylor um die Ecke. Ein erschrockener Ton drang aus ihrer Kehle, als sie den Mann am Boden sah. Sie schien paralysiert.

Auf Johns Anweisungen band Carl Taylor den Eindringling mit Seilen fest und verpasste ihm Augenbinde sowie Knebel.

»Wer ist das?«, fragte John, zwischen Sohn und Mutter pendelnd.

Claire Taylor schüttelte kaum merklich ihr Haupt, als John nicht zu ihr sah, um ihrem Sohn zu zeigen, dass er den Onkel nicht verraten durfte.

»Kundschaft«, schwindelte sie.

John beäugte sie. »Recht aufdringlich.«

Sie wippte entschuldigend mit den Schultern.

Plötzlich pochte es an der Vordertür.

»Kundschaft?«, forschte John nach.

Claire Taylor schluckte.

»City Marshal Ed Five hier!«, kam es von der Vordertür. »Aufmachen!«

John schickte Claire Taylor nach vorn und blieb mit Sam White und Carl Taylor im Hinterzimmer. Er schnallte sich sein Brustholster um und prüfte den Colt Thunderer darin.

»Guten Abend«, hörte man Claire Taylor nervös, nachdem ein Türglöckchen ringelte.

»Guten Abend, Claire«, sagte Porter Point mit samtweicher Stimme.

Ed Five brummte nur. »Uns ist zu Ohren gekommen, dass sich ein paar Parasiten herumtreiben.«

Claire Taylor zog theatralisch Luft ein. »Gibt es Ärger?«

»Den versuchen wir zu verhindern«, entgegnete Ed Five griesgrämig. »Dürfen wir uns mal umschauen? Alleinstehende Geschäftsfrauen sind ein leichtes Ziel.«

Claire Taylor lachte verächtlich. »Trauen Sie einer Frau nicht zu, den Abzug zu drücken, Marshal?«

Der machte einen Laut, der dies bestätigte.

»Wir sorgen uns nur um dich, Claire«, erklärte Porter Point besorgt.

»Gibt es keine anderen Frauen, die sie beschützen müssen, Marshal?«

Stiefelsohlen stampften durch das Geschäft.

John blickte zu Sam White, der sein Bewusstsein wiedererlangte. Carl Taylor zeigte er den Zeigefinger vorm Mund. John kniete sich vor den Fremden mit Augenbinde.

»Kein Wort!«, trichterte er ihm ein.

Sam White willigte nonverbal ein, die Klappe zu halten, dies jedoch keinesfalls kooperativ, wie man an seinem Murren und seiner Körperspannung ablesen konnte.

John nahm ihm den Knebel aus dem Mund, immer auf der Hut vor dessen Zähnen, die ihn beißen könnten.

»Wirst du gesucht?«, fragte er.

Sam Whites Schultern zuckten.

»Soll ich mal fragen?«

»Nur zu«, flüsterte Sam White kämpferisch. »Kennen wir uns?«

John musterte ihn. »Nein.«

»Deine Stimme kommt mir bekannt vor. Nimm mir die Augenbinde ab!«

»Sei still!«, forderte John.

»Wirst du gesucht?«, grinste Sam White.

John bewegte sich schwerfällig, angesichts der Verletzung und des engen Eisenkorsetts, als er ihm wieder den Knebel mit Widerstand in den Mund schob.

»Nicht!«, hörte man Claire Taylor, bevor die näherkommenden Stiefel innehielten. »Mein Sohn schläft dahinten.«

»Jetzt schon?«, hakte Ed Five ungläubig nach.

»Er ist krank«, log sie.

»Was hat er? Ich höre ihn weder husten noch jammern«, bohrte der City Marshal tiefer.

Ein zugezogener Vorhang trennte die beiden Räume. Des City Marshals Hand legte sich an den Saum, um aufzuziehen.

»Boss«, redete Porter Point auf den City Marshal ein, »Wenn der Junge krank ist, braucht er Ruhe. Wir sollten nicht weiter stören. Vielleicht finden wir die beiden tatsächlich im Heaven Hell.«

»Allan hätte uns darüber unterrichtet«, wollte Ed Five nicht nachgeben.

»Allan ist ein viel beschäftigter Mann. Der Saloon ist voll und er wittert Trunkenbolde, denen er das Geld aus der Tasche ziehen kann. Da wird er nicht an uns denken, wenn zwei Fremde einkehren«, versuchte es Porter Point weiter.

Ed Five zog den Vorhang beiseite. »Ich will dem Jungen meine besten Genesungswünsche aussprechen.«

Er trat ins Hinterzimmer und erblickte Carl Taylor gebückt unterm Tisch, John mit Schmerzen und einen der Gesuchten, gefesselt, geknebelt und mit Binde vor den Augen.

Ed Five lachte. »Da nimmt uns jemand Arbeit ab.« Er grüßte John mit einem Kopfnicken. »John, der dem Teufel ins Gesicht spuckt.«

»Marshal«, grüßte John zurück.

Porter Point und Dave Star kamen hinzu. Dahinter Claire Taylor mit der Hand vorm Mund, um ihre Machtlosigkeit zu kaschieren.

»Trägst du jetzt Weiberklamotten?«, sondierte Ed Five abfällig das Korsett um Johns Torso.

John klopfte auf das Metall. Ding, ding, ding. »Der neueste Schrei aus den Alten Staaten.«

Ed Five schüttelte den Kopf. »Du bist zu oft vom Pferd gefallen, John. Ich sollte dich gleich mit einsperren, damit du nichts Dummes mehr anstellst.«

Er schickte seine Deputys zu Sam White. Sie bestätigten die Identität, nachdem sie Augenbinde und Knebel entfernt hatten, und hievten ihn gemeinsam hoch, um ihn mitzunehmen.

»Was wird mir vorgeworfen?«, stichelte Sam White aufrührerisch.

»Störung der Totenruhe, Pferdediebstahl und Mitglied einer kriminellen Bande«, zählte Ed Five auf.

»Sie verwechseln mich«, erwiderte der Delinquent vehement.

»Das soll der Richter entscheiden«, winkte Ed Five ab und seine Deputys samt Häftling hinaus.

»Was passiert mit Onkel Sam?«, begehrte Carl Taylor auf, wurde jedoch gleich wieder von seiner Mutter zur Ruhe ermahnt.

»Onkel Sam?«, bohrte der City Marshal nach, mit den Blicken auf Claire Taylor geheftet.

Diese verjagte Mücken. »Für Carl heißen alle Männer Onkel Sam

»Recht vertrauensselig«, kritisierte Ed Five den Buben und dessen Erziehung.

»Er hat ein schlechtes Gedächtnis, kann sich keine Namen merken«, flunkerte die Mutter.

Ed Five wollte nicht näher darauf eingehen. Er widmete sich John: »Die Sache mit William Emerald ist noch nicht vergessen. Du kannst nicht einfach einen Whiteman zum Sterben in die Stadt bringen. Wir haben nicht genug Männer, um die Trunkenbolde im Zaum zu halten. Wie sollen wir mit schießwütigen Gesetzlosen umgehen, die nichts als Rache kennen?«

»Soll ich Onkel Sam Gesellschaft leisten?«

Ed Five lachte launig. »Du scheinst Glück zu haben, wenn du die Nacht überstehst«, ging er auf dessen Zustand ein. »Ich will keinen Toten zum Frühstück in meiner Zelle. Hast du Emma gefunden?«, fragte er beiläufig.

»Ja.«

Ed Five wurde blass. »Ist sie hier?«

John bewegte den Kopf in der Horizontalen.

»Das da?«, deutete der City Marshal auf das Eisengerüst, das John stützte und schützte.

Johns Kopf ging in die Vertikale über.

»Wirst du es weiter versuchen?«

Die Vertikale setzte sich fort.

Ed Five atmete schwer ein und aus. »Überleg dir das. Du wirst uns alle unter die Erde bringen. Und für was? 200 Bucks? Ich dachte, Sherman Mayor bezahlt so gut auf seiner Ranch?«

»Ich habe Pläne.«

Ed Five lachte bitter. »Die hatte ich auch. Und nun sieh mich an. Ich bin der Marshal einer ausgetrockneten Wüstenstadt, die statt Silber einzig Whiskey zu bieten hat. Die Leute leben von Tag zu Tag, ohne Zukunft. Allein die Bisons bringen Geld ein, aber auch nur für den Baron und seine Lakaien«, nickte er zu John. »Ich stehe auf der Gehaltsliste einer Regierung, die uns im Stich lässt, und auf der Abschussliste aller Gesetzlosen im Umkreis. Meine Frau ist tot und meine Kinder suchen an der Westküste nach ihren Träumen.«

»Klingt nach einem traurigen Dasein«, meinte John desinteressiert.

Der City Marshal knurrte, nachdem er sich wieder aus seiner Melancholie befreien konnte. »Pass auf, John!«, warnte er. »Wenn du vor der Bande herreitest und sie in die Stadt lockst, werde ich zuerst auf dich schießen.«

»Ich werde Emma bei mir haben.«

Ed Five zögerte. »Dann bete, dass du nicht für ihren Tod verantwortlich bist, denn Sherman wird dich nicht für sich arbeiten lassen, wenn du seine Tochter auf dem Gewissen hast. Schlimmer, er wird dich jagen lassen und erst mit deinem abgeschlagenen Kopf auf seinen Beinen Ruhe geben.« Er ging.

»Onkel Sam?«, fragte John Claire Taylor aus, weder Lügen noch Ausreden duldend.

Doch Claire Taylor wehrte sich mimisch.

John blickte zu ihrem Sohn, der mit sich rang, wollte er doch weder Mutter noch John noch Sam White enttäuschen.

»Onkel Sam«, rückte Carl Taylor schließlich mit der Sprache heraus, lediglich wiederholend, was bereits gesagt worden war.

»Der Bruder von Clay?«, konkretisierte John skeptisch, doch er ahnte bereits, dass das Auftauchen dieses Fremden mit William Emeralds Tod zu tun hatte. Whiteman.

Mutter und Sohn schauten sich traurig an.

»Ja«, log sie erneut. »Der Bruder von Clay.«

»Komisch«, sagte John. »War Clay ein Whiteman?«

Claire Taylor biss sich auf die Lippe. »Wieso stellst du neuerdings so viele Fragen, John?«

John nahm seine Sachen, legte etwas vom Kopfgeld auf den Tisch und humpelte hinaus. Wie er an Claire Taylor vorbeikam, blieb er stehen: »Danke«, hauchte er ehrlich, mit einem Klopfen auf das Eisenkorsett.

Sie nickte, den Tränen nahe, und ließ ihn ziehen.

John schlurfte über die First Street, vorbei an Kindern, Kutschen und Kübeln, vorbei an Männern, Mägden und Mätressen, über Sand, Staub und Steine, hinüber zum Heaven Hell, 2 weiße Pferde passierend, die Stufen hinauf in den Saloon, wo er durch die Ausgelassenheit und über Späne schnurstracks zur Treppe trottete. Joy Sin stand ihm im Weg. Am Geländer lehnte eine doppelläufige Flinte. Sie hielt die Hand auf. Ihre engen, verquollenen Augen löcherten ihn. Er konnte und wollte sie nicht anschauen, dafür verabscheute er ihre gelbhäutige Rasse zu sehr. Trotzdem gab er ihr den Rest des irrtümlichen Kopfgeldes für William Emerald.

Sie zählte das Geld ab. »Deine Schulden und heute«, sagte sie mit starkem, zischelndem, näselndem Akzent.

Die Passage war frei. Er schaffte sich nach oben.

Vor einer verschlossenen Tür hielt er inne.

»Kimama?«, rief er verhalten durch die Tür.

Einen Augenblick später öffnete sie sich und ein Hänfling plusterte sich auf.

»Kimama?«, griente der verächtlich, mit einem perfiden Grinsen zu den Wangen gezogen.

 

John schwieg.

»Darf ich vorbei?«, raunte der Schmalhans ungeduldig, erschöpft, erleichtert.

Der Geruch von Seife, Parfüm, Männlichkeit, Eisen und benutzten Laken strömte aus dem dunklen Zimmer, das mit Vorhängen an den Fenstern vor dem Tag geschützt wurde.

John mühte sich zur Seite. Die Wunde beeinträchtigte ihn, verursachte Schmerzen. Er stöhnte leise.

Als der Hänfling an ihm vorbei war, blieb dieser stehen und stierte auf das auffällige Eisenkorsett unter Weste und offenem Hemd. »Kennen wir uns?«

»Nein«, murmelte John.

»Deine Stimme«, grübelte der Kurzgeratene.

»Verpiss dich!«, antwortete John, ohne sich umzudrehen. Stattdessen trabte er ins Zimmer.

»Wir sehen uns wieder«, giftete Ben Copper ungehalten, ging aber hinunter, um sich dem Fusel zu widmen.

John haute die Tür zu und setzte sich aufs Kanapee, unter Schmerzen.

»Ich komme gleich«, rief Mademoiselle Mallory aus einer Nische, wo Wasser rauschte und Mieder zwickte.

John schälte sich aus dem Korsett. Haken, die man aneinanderpressen musste, um sie zu lösen - eine einengende Prozedur. Darunter kam blutiges Textil zum Vorschein.

»Hey, Dainah Bozheena«, trat die Schönheit aus dem Winkel mit Kettengerassel und erschrak, als sie ihn so sah. »Dainah Bozheena, was ist passiert?«

Sie ging zu ihm und untersuchte seine Wunde. Eine Eisenkette hatte ihren Knöchel im Griff, angeschlagen irgendwo im Boden. Sie trug aufreizende Kleidung, zu wenig für die Gesellschaft, selbst zu wenig für Geselligkeit. Ihre Aufmachung – Stoffmangel, viel Haut, Farbe im Gesicht – machte sie zu dem, was sie war: eine Hure.

»Nur ein Streifschuss«, schmälerte John keuchend.

»Leg dich«, zwang sie ihn auch physisch in die Liegeposition aufs Kanapee. Ohne die Verletzung und ihre Sorge wäre dies das Vorspiel gewesen.

Dann zog sie ihn aus, wusch ihn mit einem Lappen und rieb auf seine nässende Naht eine Mixtur, die sie vorher anrührte – mit Kräutern aus verschiedenen Bottichen und Gesang von fremder Zunge. Anschließend ließ sie ihm ein Bad ein, dessen Wasserspiegel unterhalb der Verletzung blieb, entzündete Kerzen, die nebelten, half ihm beim Einstieg und legte seinen Colt Thunderer griffbereit neben die Wanne auf einen Hocker. Das Wasser färbte sich grün von der Mixtur und rot von seinem Blut, aber er genoss es – das warme Wasser, das sich um seine Beine und seinen Po schmiegte -, ohne die Augen zu schließen, die auf die Tür gerichtet waren.

Mademoiselle Mallory streichelte ihn, seifte ihn ein und rasierte ihm die Stoppeln aus dem Gesicht. Dabei sang sie wieder die fremden Zeilen, die er nicht verstand, mit fremder Notation sowie Rhythmik, die seiner Kultur widersprachen. Als seine Barthaare um ihn herumschwammen und sein Gesicht frisch geglättet war, schob sie ihm eine schwarze Kaubohne in den Mund.

Selig nahm er das Präsent entgegen. Mit jedem Kauen verflüchtigten sich die Schmerzen ein wenig mehr. Zusammen mit dem Kerzenrauch, ihrem Gesang und dem Tanz, den sie vor seinen Augen vollführte, tauchte er ab in eine Trance.

Sie drehte sich, fächerte die Arme, wie in Zeitlupe. Sie spreizte die Finger, verborg ihr Gesicht, fuhr sich durch die Haare, zerzauste die schwarzen Strähnen, wackelte mit dem Popo und schlängelte sich wie eine stehende Schlange. Ihre Gesichtsbemalung mit den kunstvollen Schlangen auf Stirn, Kinn, Mundwinkel, Hals und Jochbein untermalte die traumatische Essenz.

Als John mit offenen Augen träumte, sah er tausend Bisons auf sich zukommen - weiße Bisons, die Geistern ähnelten. Er spürte die Erschütterungen des Bodens. Das Beben. Und an der Spitze der Herde flatterte ein Schmetterling. Hinter sich vernahm er ängstliche Schreie, Schüsse, Peitschen und Pferde, Hufe, Wagenräder und Rufe. Er fühlte die Hektik in seinem Rücken, ließ sich davon aber nicht vereinnahmen. Stattdessen sah er nur die weiße Herde auf sich zukommen, wie eine Dampflok. Schließlich wurde er überrannt, jedoch nicht umgerissen. Vor seiner Nasenspitze hatte sich der Schmetterling postiert, als würde dieser ihn anstarren, warnen, anleiten oder anstacheln, und schützen. Zwischen den wütenden, weißen Geisterbisons roch er den starken Geruch der Tiere – ihr grasiger Atem, ihre herbe Verdauung, ihre derbe Lederhaut, die Natur, die Witterung, der sie ausgesetzt sind. Immer mehr rauschten an ihm vorbei. Wind. Sturm. Wie 2 Züge, die rechts und links vorbeischießen. Hinter ihm wurden Menschenkörper zertrampelt, Häuser umgerissen, wurde Handwerk zerschmettert. Und dann flog der Schmetterling in ihn hinein. Der Traum zersprang.

Mademoiselle Mallory endete mit Gesang und Tanz.

Neben Johns Colt Thunderer landeten weitere Kaubohnen, aus den Händen der bezaubernden, rassigen Rothaut.

Johns apathischer Blick fixierte sich wieder, nach mehrmaligem Zwinkern. Er starrte sie sehnsüchtig an. Sie schüttelte nur mit dem Skalp.

»Schlag es dir aus dem Sinn«, sprach sie. »Ich sehe mich, aber nicht dich. Uns gibt es nicht zusammen.«

»Dein Pow-Wow«, stöhnte er, nicht überzeugt.

»Nenn es nicht Pow-Wow, Dainah Bozheena. Es ist der Geist meines Stammes, der mir die Bilder zeigt. Es liegt an mir, die Bilder mit Leben zu füllen. Die Bilder zeigen den Ursprung, das Vergangene und das Kommende.«

»Ich sehe auch Bilder.«

Mademoiselle Mallory hob erstaunt die schwarzen Brauen, wodurch sich die Schlangen auf ihrer Stirn falteten.

»Wir beide, Kimama, auf meinem Bungu der Sonne hinterher zum Pazifik. Hinter uns die Weißen, die Schwarzen, die Roten und die Gelben, und keiner kann uns einholen. Sie stolpern und zanken sich, fallen und sterben. Nur wir erreichen den Ozean.«

»Wie geht es weiter?«, wollte sie wissen, John den Nacken massierend, auf dem Rand der Wanne sitzend.

»Ein Schiff, das uns fortbringt.«

»Nur wir zwei und dein Bungu?«, schwelgte sie für einen kurzen Augenblick hoffnungsvoll. »Wohin?«

John zuckte mit den Schultern. »Noch eine«, deutete er auf die Kaubohnen.

»Nein, du hattest schon eine, Dainah Bozheena. Ich töte meine Männer nicht.«

»Männer?«, spuckte John eifersüchtig aus.

»Tu nicht so. Machen wir uns nichts vor.« Sie rasselte mit ihrer Fußkette, wehmütig, zurück auf dem Boden. »Ich bin genauso ein Sklave wie du. Nur, dass man bei mir sieht, dass ich ein Sklave bin.«

John atmete laut aus.

»Nein, Dainah Bozheena. Es ist zu viel.«

»1000 Bucks.«

»Und dann? Willst du jeden töten, der uns verfolgt?«

»Ja.«

»So viele Kugeln hast du nicht.«

Es kehrte Ruhe ein. Für einen Moment.

»Nein, Dainah Bozheena. Auch das ist nicht dein Weg. Es klebt schon zu viel Blut an deinen Händen. In der Hölle wirst du jeden wiedertreffen und sie werden dir den Tod grausam machen.«

Er grummelte nur und blickte zur Tür. »Wer war das?«

Mademoiselle Mallory schaute ebenfalls zur Tür, schwermütig, entwürdigt. »Einer der Männer, die ich nicht mag.«

»Neu in Paradise?«

»Seit wann stellst du so viele Fragen?« Sie pustete Luft aus, fiel etwas in sich zusammen. »Ich habe ihn zum ersten Mal gesehen.«

John erinnerte sich an die ungewöhnlichen, reinweißen Pferde vorm Saloon, die aus der Masse der dunklen, gescheckten und gemusterten Rösser hervortraten. Er verknüpfte sein Kopfgeld mit Onkel Sam und dem Gerede der Marshals über die Whiteman.

Die Whiteman.

Eine Bande Gesetzloser aus dem östlichen Grenzland, hörte man. Skrupellose Schurken, die ihre Pferde inniger liebten als Frauen und Whiskey. Kaltblütige Banditen, die zum Vergnügen raubten, vergewaltigten und mordeten. Und keiner wusste, wer sie waren, trugen sie doch stets ein Halstuch vorm Gesicht. Einzig Robert White, der Anführer, war bekannt und wurde gesucht, aber weder Marshal noch Sheriff trauten sich ins Grenzland, wo zwischen Paiute, Kojoten und Schlangen Whiteman herumgeisterten. Keiner wusste, wo genau sie lebten. Das Territorium war viel zu groß. Tausende Männer wären nötig gewesen, um das Gebiet abzusuchen – Schluchten, Wildwasser, Klippen, Bruchberge. Dazu hungrige Tiere, Hitze im Sommer und Schneestürme im Winter. Weitere tausend Männer bräuchte man, um die Paiute in Schach zu halten, mit ihnen Pfeife zu rauchen und Feuerwasser und Feuereisen gegen Mustangs und Squaws zu tauschen. Selbst die Pacific Salt Lake Railroad Company machte einen Bogen um das Areal, einen Umweg und Mehrkosten in Kauf nehmend, Hauptsache, die Schienen verliefen weit genug weg von den Whiteman und den Paiute. John hatte Glück. William Emerald ging ein und aus in der Stadt. John musste nur den richtigen Moment abwarten und mit dem Gewehrschaft zuschlagen – mehrfach. Emma Mayors Reaktion erklärte auch, warum ein Whiteman ein- und ausging: er kokettierte mit ihr. Und dann traf John die Whiteman, oder sie fanden ihn. William Emeralds Pferd hatte Emma Mayor und ihn zu den Whiteman geführt. John kannte nun den Weg, aber er war sich nicht sicher, ob er überhaupt in der Nähe ihres Lagers war oder ob es noch dutzende Meilen in irgendeine Richtung gewesen wären.