The Outlaw

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Sari: The Outlaw #1
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Carl Taylor half John auf den Percheron, wofür sie einen Stuhl nutzten. John hatte Mühe, sich mit dem höheren Gewicht im Sattel zu halten.

»Er wird herunterfallen und sich das Genick brechen«, prophezeite Claire Taylor.

»Du klammerst«, stellte Milton Smith fest. Er begutachtete ihr Antlitz. »Du willst nicht, dass er geht. Du hast Angst, zurückgelassen zu werden. Was ist passiert?« Hoffnung flammte in ihm auf. Hoffnung auf eine Familie mit Tochter und ihrem Gemahl und weiteren Enkelkindern.

»Sam war hier«, flüsterte sie.

Milton Smith versteinerte. »Wegen William?«

»Wegen uns.«

Sie schwiegen sich eine Weile ein.

»Was hat er gesagt?«

»Nicht viel. John schlug ihn nieder. Dann holte ihn der Marshal. Jetzt ist er verschwunden.«

Milton Smith grübelte. »Tot?«

Claire Taylor wusste es nicht. »Porter hat ihn nicht mehr gesehen.«

»Porter«, wiederholte Milton Smith geringschätzig.

»Vater, Porter beschützt uns, wenn«, sie schluckte, »wenn all die anderen ignoranten Sturköpfe im Leben von mir und Carl nicht dazu in der Lage sind.«

»Ich bin noch da.«

»Vater«, sie lächelte liebevoll, »willst du deinen Schürhaken werfen, wenn sie auf dich schießen?«

Er schüttelte sachte den Kopf. »Aber ich bin immer für euch da.«

»Das weiß ich.«

Sie beobachteten John, der kleine Runden im hinteren Außenbereich der Werkstatt trabte.

»Wenn Sam hier war«, sinnierte Milton Smith, »wird der Andere bald kommen.«

Claire Taylor schwieg.

Ihr Sohn schnürte noch eine volle Feldflasche mit Adams Ale am Sattel fest. »Pass auf ihn auf«, wisperte er dem Percheron zu, »und pass auf dich auf, Witwenmacher. Du trägst keine Rüstung.«

John ritt vom Hof.

Direkt auf der First Street begegnete er 3 Reitern, die neu in der Stadt schienen. Sie trugen allesamt Sterne mit 6 Zacken und Punkten daran – eine Zacke mehr als die Marshals.

»Sheriff«, grüßte John, seinen Hut lupfend.

Der County Sheriff, mit faltigem Gesicht, kauzigen Brauen, grauem Schnauzer und ernster Miene, begleitet von seinen 2 Deputys, grüßte gestisch zurück, auch wenn er den freundlichen Ritter nicht kannte.

Im Galopp ging es dem Weg nach, den John aus seinem Gedächtnis abrief, basierend auf der Strecke, die er von Emma Mayors Verfolgung gespeichert hatte. Diesmal schaffte er es bis zu dem Felsenvorsprung seiner vormaligen, verhängnisvollen Rast, ehe es dämmerte. Aber er ritt nicht hinauf, sondern stieg am Flusslauf, hunderte Fuß darunter, ab, schälte sich aus der verstärkten Kleidung und suhlte sich am Uferwasser. Auch der Percheron gönnte sich einige Schlucke.

John war völlig durchgeschwitzt. Die übliche Sommerhitze hatte ihn in der Rüstung gekocht – fast den ganzen Tag, unterbrochen von kleineren Trinkpausen und Schattenaufenthalten an Rinnsalen, in Oasen und unter Pinien.

Nahezu nackt und nass warf er die Plattenkleidung über den Sattel. Ohne den Kaubohneneinfluss hätte er die Eisenteile in Paradise City wohl nicht bereits angelegt, vielmehr erst, wenn er die Schweine in Whiteland gerochen hätte.

Nach der ersten Kaubohne seit Stunden lief er gemeinsam mit seinem Rappen an den Zügeln den kantigen, kargen Bruchberg hinauf. Dort konnte er in die umliegenden Täler schauen. Mit der rückwärtigen Sonne erspähte er schließlich dünne, graue Rauchfäden – Paiute, Trapper oder Whiteman. 2 von denen hätten ihn längst gesichtet, wahrscheinlich schon vor einigen Meilen. Die einen hätten ihn mit Pfeilen durchbohrt; die anderen mit Kugeln, außer, er war Teil eines perfiden Spiels.

Er schnallte das Eisenkorsett wieder um und band die Eisenkleidung, bis auf das große Rückenteil, zusammen und mit einem Seil an den Sattel. Dann stieg er auf und ritt los. Die Eisenkleidung schabte über den Boden; das große Rückenteil nutzte er vorsichtshalber als Schild.

Nach einer weiteren Stunde, als die Sonne schon unterm Horizont war und er sich sowie sein Percheron über alle Grenzen getrieben hatte – körperlich, mental, territorial -, kam er den Rauchfäden so nahe, dass er tatsächlich Schweine roch – Schweine, deren Schlamm, deren geräucherte und gekochte Endprodukte. Er ritt weiter, bis er die durch ein paar Fackeln rar erleuchtete Farm erreichte – ein sagenumwobener Ort, den nur Whiteman und deren Pferde kannten. Das Klappern seines Eisens kündigte ihn rechtzeitig an, damit man ihn nicht schon aus der Ferne über den Haufen schoss. Jemand, der so kühn war, musste nach dem Ansinnen ausgequetscht werden, ehe eine Kugel den Wagemut bestrafte. Sein ursprünglicher Plan bestand darin, mit seinem kümmerlichen, fremdartigen Erscheinungsbild, seine Abkehr von Paradise City zu begründen, und sich auf Robert Whites Angebot der Mitgliedschaft zu berufen.

Zwischen Schweinen, Zäunen, Fackeln und Hütten stieg John mit schmerzendem Hintern ab. Das Eisenschild klemmte er in den Sattel. Umgehend schnipste er eine Kaubohne in seinen Mund.

»Hast du eine für mich?«, fragte jemand.

John drehte den Kopf.

Jesse Periwinkle stand einige Yards neben ihm, zwar bewaffnet, aber nichts in der Hand außer Schweinefutterresten, die an getrockneten Schlammüberbleibseln klebten.

Auf der Farm zählte John 6 weiße Pferde, aber nur ein Reiter stellte sich ihm entgegen. Er gab dem Stellungshalter eine seiner wenigen Kaubohnen ab. Die Gewissheit, dass er das Versteck der White Horses entdeckt hatte, beflügelte ihn und betäubte seine Schmerzpunkte.

»Cheers«, sagte der Beschenkte und genoss den kurzen Rausch. »Wo bekommt man sowas?«

»In der Stadt.«

»Welche Stadt?«

John behielt die zwielichtige Umgebung im Auge. Dass er lediglich mit Stiefeln, Unterhose, Eisenkorsett und Hut auftauchte, schien niemanden zu stören.

»Paradise.«

Jesse Periwinkle verschluckte sich annähernd. »Paradise City?«

John nickte.

»Ding-Dang! Kommst du von dort?«

John nickte.

»Dann bist du«, der Kauz überlegte, was er preisgeben konnte, »jemandem begegnet?«

»Wem?«

Jesse Periwinkle blickte sich um. Dann kratzte er sich am Ohr. Erst jetzt schien er John so wahrzunehmen, wie man einen halb nackten Mann mitten im Nirgendwo wahrnimmt. »Bist du echt?«

John legte den Kopf schief.

Jesse Periwinkle rieb sich die Augen. Er schaute zur Hütte, in den grauen Nachthimmel, zu den Fackeln. »Bin ich auch eingeschlafen? Es fühlt sich alles so real an. Kannst du mich mal kneifen?«

John haute ihm die Faust ins Gesicht. Jesse Periwinkle fiel bewusstlos um.

In Ruhe schaute John sich um, während die Schweine grunzten. 2 der weißen Pferde ruhten sich aus und schienen frisch gewaschen zu sein, noch nicht ganz trocken. Wahrer Wurstgeruch vermischte sich bei anschwellenden Windbrisen mit dem Dysphemismus von Wurst. 4 kleine Holzkreuze zierten 4 frische Gräber hinter der Hütte.

In der Hütte, die der Niedergeschlagene häufig angestarrt hatte, hörte John 2 Personen schlafen – schnarchend und pfeifend atmend: eine Säge und ein verstopfter Kamin. Er nahm sich eine der Fackeln und schlich leise hinein, wo er diesen kleinen Bastard aus dem Bordellstockwerk und den ominösen Onkel Sam ertappte. Der kurzgeratenen Säge, Ben Copper, hätte man diesen knatternden Luftaustausch nicht zugetraut. Sam White klang kränklicher. Zusammen mit einigen Atemaussetzern hätte man Angst um dessen Gesundheit haben können. John nahm ein Seil, zerschnitt es in 2 Hälften und band beide Hänflinge an deren Betten fest, dass sie sich nicht selbst befreien könnten. Danach naschte er noch von den Vorräten – eingelegte Pfirsiche, Dosentomaten, Kekse.

Draußen verzurrte er den weggetretenen Jesse Periwinkle am Zaun, mit Händen und Füßen – ohne Stiefel und Strümpfe – ins Gehege zu den Schweinen. Ein kleiner Nachtsnack für die Wutzen, sofern sie denn wöllten.

Mit den ersten Rufen aus der Hütte, von den Schmalhanswursten, die aufzuwachen schienen, erkundete John weiter. Als er dachte, das Außenklosett gefunden zu haben, und die löchrige Tür öffnete, stutzte er. Ein schmutziges Weib, mit verkrusteten Haaren im Gesicht, lag gefesselt, geknebelt und mit Augenbinde in diesem dunklen Verschlag. Es stank nach frischem Urin, alter Seife und abgestandenem Blut. John zog sie heraus. Er kannte das dreckige, durchnässte Kleid. Als er ihre langen Haare aus dem Gesicht streifte, ihr alle Entwürdigungen entfernte und sie mit der Fackel anleuchtete, traf ihn der Schlag.

»Johnpot«, murmelte er.

»Hilfe«, piepste Emma Mayor mit brüchiger Stimme, heftig blinzelnd wegen der Helligkeit der Fackelflammen, mit geröteten Augen und blutigem Schritt, aufgesaugt von Kleid und Unterrock.

John füllte mehrmals einen Wassereimer über die Handpumpe am Brunnen und kippte das kalte, klare Nass über sie. Sie schrie und ruderte mit den Gliedmaßen, aber letztlich war es genau das, was sie brauchte für den Moment. Dreck, Schlamm, Urin, Blut, Schweiß, Tränen und Kot wurden abgespült.

Er verknüpfte. Sie hatten nicht genug Zeit, um zurückzureiten, denn die Nacht brach herein. Aber sie konnten auch nicht hierbleiben, weil er nicht wusste, wann der Rest der Bande zurückkam. Immer wieder dachte er an die 200 Bucks Kopfgeld für Emma Mayor. Während er die Möglichkeiten durchging, hängte er sich ein paar geräucherte Würste an den Sattel. Seine Feldflasche füllte er auf.

Die wütenden Rufe von Ben Copper und Sam White brachten ihn immer wieder aus dem Gedankenkonzept. Als er es nicht mehr aushielt, da sie sich gegenseitig anzuspornen schienen, stürmte er in die Hütte und verpasste beiden einen Knebel, wofür er die Strümpfe von Jesse Periwinkle verwendete. Dazu hatte er sich einen knackigen Spruch überlegt, den er beiden servieren konnte, aber ihre verblüfften Gesichter, als er sie knebelte, genügten fürs Erste. Sie schienen sich gut an ihn erinnern zu können.

 

»Du bist ein schlaues Mädchen«, sagte er zu Emma Mayor, die sich noch damit beschäftigte, Haare und Kleidung zu ordnen und überhaupt zu verstehen, dass sie lebte. »Es sind etwa 100 Meilen bis Paradise und der Mond schickt uns schon Kälte und Finsternis. Hast du eine Idee?«

»Die kommen erst morgen wieder«, antwortete Emma Mayor gebrochen.

»Die White Horses?«

Sie bejahte.

John verstand nun, was Jesse Periwinkle gefaselt hatte. »Die White Horses sind in Paradise?«

»Ja.«

John wurde schlecht. Möglicherweise wegen der Kombination aus Verletzung und Anstrengung. Möglicherweise durch den Fakt, dass die White Horses gerade Paradise City rot malten. Es ging ihm weniger um die Stadt. Vielmehr dachte er an Mademoiselle Mallory, an Claire und Carl Taylor, und an Milton Smith, die alle der Horde schutzlos ausgeliefert waren. Sherman Mayor konnte sich dagegen ganz gut selbst beschützen. Er hatte schließlich einige Männer, Gewehre und tausend Bisons, dazu Stacheldraht und genug Geld.

Doch John konnte daran nichts ändern.

Immerhin waren er und Emma Mayor für die Nacht in Sicherheit. Geweckt wurden sie nur einmal, als Jesse Periwinkle laut aufschrie, da die Schweine an seinen Fingern knabberten. Sein Wimmern ging dann wieder im Grunzen der Säue und im Gesang der Kojoten unter.

Der Sheriff

»Trinke deinen Whiskey immer mit der Waffenhand,

um deine freundliche Gesinnung zu zeigen.«

*aus Wild West Whim-Wham, New York City, 1888

Der Sheriff

»Teilt euch auf«, befahl Robert White seiner nicht vermummten Bande, als sie über die Gleise ritten und Paradise City in der Abenddämmerung enterten, begrüßt von den bereits brennenden Fackeln an den Fassaden der First Street und den baumelnden Petroleumlampen dazwischen.

Er selbst hatte sich den Schnauzbart abrasiert und seine weiße Augenklappe gegen schwarzen Ruß getauscht, den er sich über die vernarbte Augenhöhle gerieben hatte. Die tiefe, schiefe Hutkrempe und sein nach vorn abgeknickter Kopf schattierten den blinden Zeugen seines einstigen Beinahetodes.

Auch alle Pferde der White Horses glänzten nicht mehr weiß. Staub, Schlamm und aufgetragener Ruß minderten den optischen Wert der Herde und machten sie unauffälliger.

Sie teilten sich auf. Tom Black, Harry Cobalt und Pete Mustard steuerten schnurstracks auf den Saloon zu, der seinen Zweck zu allen Seiten mit großen, fad farbig gemalten Holzschildern anpries. Bill Plum und Luke Celery trabten zur Kirche, auf Geheiß von Frank Brown, der ihnen mit einem dezenten Kopfnicken die Richtung vorgab. Henry Gray zögerte noch, da Viola Finch keine Anstalten machte, von Robert Whites Seite zu weichen. Er begehrte seine Trophäe, wollte ihr zeigen, was ein Whiteman mit Yankee-Flittchen anstellte, doch Robert Whites Schutzschatten und der geschenkte Revolver schreckten ihn ab. Also machte er seinen eigenen Stiefel, ziellos in die Stadt reitend.

Robert White blieb mit Viola Finch und Frank Brown hinter den Gleisen stehen. Er schaute zur Dame. Seine Hände ruhten auf dem Sattelhorn.

»Muss ich befürchten, dass du mich auslieferst?«

Viola Finch suchte seinen Blick. »Warum sollte ich?«

Die Rauchschwaden circa 50 Meilen östlich pulsierten noch.

Er zeigte darauf. »Das, und die 1000 Bucks.«

Sie schmunzelte und holte ein Buch aus ihrer Tasche. Sie blätterte darin herum. Selbstgeschriebene Zeilen endeten bei der Hälfte, als unbeschriebene Seiten dominierten. Der Graphitstift entjungferte eine dieser leeren Seiten.

Robert White sondierte neugierig die Schreibutensilien. »Dein Tagebuch?«

»Nein«, murmelte sie und schrieb die ersten Sätze zu Ende. »Dein Tagebuch, Boss«, betonte sie demütig.

Frank Brown hob die Augenbrauen. Seine Hand fuhr zur Bibel, dem Gegenteil von der Niederschrift über den Teufel, die Viola Finch gedachte anzufertigen. Im Augenwinkel visierte er die Kirche an.

Robert White lächelte. »Was bist du, Ms. Finch?«

»Ein Schreiberling«, lächelte sie zurück.

»Welche Zeitung?«

Sie negierte. »Keine Zeitung. Meine eigenen Geschichten«, proklamierte sie stolz. Ihre großen Brüste drückte sie heraus. Das Kleid spannte und dehnte sich.

Robert White machte einen abfälligen Ton. »Ein verblendetes Weib.« Er reichte seine Hand: »Gib mir den Revolver wieder, du kannst ja schon zu Tode langweilen, da brauchst du keine Waffe.« Sein Kopf deutete auf Frank Brown: »Genau wie er mit seinem Buch.«

Sie verzog das Gesicht. Dann legte sie ihm ihr Buch in die Hand. »Sieh es dir an.«

Abgeneigt nahm er den zerschlissenen Einband und blätterte darin herum. Das abendliche Zwielicht erschwerte das Prozedere. »Kannst du davon leben?«

Damit schien er einen Nerv zu treffen. Viola Finch versank im Sattel, in der Ferne nach dem Silberbaum mit Goldsaum suchend.

Er musterte sie, ihr nun etwas abgerittenes Kleid, ihre vom Galopp ein wenig zerzausten Haare, ihr müdes, hungriges Antlitz. »Wie kannst du dir eine Zugfahrt leisten?«

Sie sah verlegen weg.

Er hörte nicht auf, sie mit seinem Auge zu durchleuchten. »Du bist arm wie eine Kirchenmaus«, stellte er fest, nonverbale Bestätigung erntend. Eine Hand ging zur Waffe. Der Lederschutz war schnell entfernt. »Über was schreibst du genau?«

»Lese es doch, Boss.«

Er zog seine Waffe, spannte den Hahn und zielte auf sie – alles innerhalb einer Sekunde. »Halte mich nicht zum Narren, du verdammte Hure! Es ist schon zu dunkel und deine Sauklaue kann man nicht entziffern. Also, über was schreibst du genau? Und hör auf, mich Boss zu nennen!«

Frank Brown dirigierte sein Pferd vor die beiden, um Viola Finch das Entkommen zu erschweren und um Robert Whites Revolver vor den Augen der Städter zu verdecken.

Viola Finch wusste nicht, wen oder was sie fixieren sollte. Unschlüssig wechselte sie zwischen Robert White, seiner Mündung, seinem wiehernden Gaul und Frank Brown umher.

»Ich schreibe Geschichten.«

»Das sagtest du bereits«, knurrte Robert White.

Dann brach sie in Tränen aus. »Er hat mich benutzt.«

»Wer?«, fragte Frank Brown vorsichtig, als Robert White nicht reagierte.

»Mein Verleger«, wimmerte sie. »Dieser Dreckskerl hat mir alles genommen. Sacramento war meine letzte Hoffnung.«

»Der Elefant?«, warf Robert White gefühllos ein.

Viola Finch lächelte unter Tränen. »Ja, der Elefant. Besser gesagt, der Goldrausch oder der Wilde Westen. Irgendetwas, um nicht im Hurenhaus zu enden.«

Die Männer lachten kalt.

»Der Goldrausch ist längst vorbei, Mädchen«, sagte Frank Brown.

»Wilder Westen?«, hakte Robert White nach. »Treiben wir es wilder als die Yankees in den Alten Staaten?«

Viola Finch nickte auf ihr Büchlein in Robert Whites Hand. »Hier ist das Klima rauer. Es gibt mehr Schießereien und das Gesetz wird von denen geschrieben, die am Ende noch stehen.«

Wieder lachten die Männer.

Robert White steckte seinen Revolver ein und warf das Buch zurück zur Schriftstellerin.

»Und darüber«, er zeigte um sich, das triste Land, die tote Stadt, die stinkenden Rüpel, »wollen die Yankees lesen?«

»Mit ein paar Umformulierungen, ja.«

»Umformulierungen?«, bohrte Robert White skeptisch weiter.

Viola Finch suchte nach Worten. »Mehr Romantik, weniger Huren. Das Gute siegt über das Böse.«

»Märchen«, spuckte Robert White abfällig aus.

»Mädchen«, sagte Frank Brown, »du bist hier in der Hölle gelandet. Hier gibt es nichts Gutes.«

»Aber du kannst über mich schreiben«, schlug Robert White diabolisch grinsend vor.

Viola Finch nickte eifrig. »Ja, Boss. Genau das will ich.«

Er überging ihren abermaligen Fauxpas der Anrede. »Schreib alles auf. Jede Kugel, jeden Toten, jede Rauferei, jeden Fluch. Schmücke es noch aus«, untermalte er mit ausschweifender Handgeste, »und dichte dazu, wo das Böse nicht böse genug ist. Verkauft sich das?«

Sie zweifelte. »Dafür muss ich erst einen Verleger finden.«

»Gibt es die nicht in Sacramento?«

»Schon, aber ich glaube nicht, dass ich ohne Happy End einen Verleger finde.«

Robert White feixte. »Gibt es hier denn kein Happy End?«

Ihre Schultern tanzten. »Das Böse gewinnt eigentlich niemals. Die Leser brauchen das Gute, um Hoffnung zu schöpfen.«

Robert White schüttelte den Kopf. »Entweder du schreibst das, was ich will, oder«, sein Zeigefinger sägte an seinem Hals.

Viola Finch schlug das Buch auf, grapschte ihren Graphitstift und nickte. Dann machte sie sich Notizen, um die Geschichte über Robert White und die White Horses schreiben zu können.

»Wild West Whim-Wham«, diktierte Robert White mit Blick zu den Sternen, die langsam am Abendhimmel herausstachen.

Sein Schreiberling verstand nicht.

»Der Titel«, klärte er auf.

»Warum nicht ›Robert White und die White Horses‹?«, entgegnete Viola Finch überrascht.

Er lächelte überlegen. »Wenn du so schreibst, wie du denkst, wird das nichts. ›Robert White & seine White Horses‹ ist natürlich der Untertitel.«

»Ach, bist du jetzt auch ein Schreiberling?«, fragte sie frech und fing sich eine harte Ohrfeige ein, die sie ohnmächtig in den Sattel sinken ließ.

Frank Brown musste sie noch stützen, dass sie nicht herunterfiel. Er sah seinen Boss an.

»Ich hasse freche Huren«, erklärte Robert White und ritt voraus.

Frank Brown folgte ihm, Viola Finch und ihr Whitey an den Zügeln eskortierend.

In Paradise City war mehr los als sonst. Immerhin tummelten sich dutzende Fremde in der Stadt, kürzlich erst nach einem 50-Meilen-Marsch angekommen.

Vor Taylor‘s Clothes schickte Robert White seinen Adjutanten nach gegenüber zum Saloon, um aufzupassen, dass sich seine Whiteman angemessen verhielten, wenn sie nach William Emeralds Verbleib fragten. Er selbst stieg ab, holte die Dame vom Pferd, schulterte sie und betrat das Textilgeschäft. Ein kleines Glöckchen an der Tür läutete, als die Tür es touchierte. Er legte Viola Finch auf ein abgegriffenes, durchgesessenes, verblasstes Polstersofa und schaute aus dem Fenster – neben dem Saloon befand sich das Haus des City Marshals. Mehr Pferde als üblich, wie in den sonst regelmäßigen Berichten von William Emerald, warteten davor auf ihre Reiter – Sheriffpferde, wie Robert White erstaunt feststellte, oder Armeepferde. Im Fackellicht glänzende Sättel mit Taschen für Gewehre. Dazu Seile und Ketten. Außerdem sehr gepflegte Pferde, vergleichbar zu den Whiteys. In Nordnevada hatte niemand so gepflegte Pferde wie die White Horses. Ansonsten verfügten einzig Rothäute, Sheriffs und Kavalleristen der US-Armee über entsprechend Muße und Zeit für die Pflege ihrer Pferde.

Hinter ihm knarzten Holzfußbodendielen. Er drehte sich um, ohne die Waffe zu ziehen. Claire Taylor stand ihm gegenüber, paralysiert.

»Robert«, hauchte sie entrüstet.

»Claire«, lächelte er. Nach einem Moment distanzierter Freude zeigte er auf Viola Finch. »Bist du immer noch Krankenschwester?«

Claire Taylor konnte sich nur schwer von seinem Anblick lösen. Schließlich schenkte sie der Ohnmacht einen Blick. »Sie atmet noch«, attestierte sie erleichtert aus der Ferne. Das Hämatom an der Schläfe fiel ihr auf. Abwesend starrte sie auf Robert Whites Hand.

»Das sehe ich auch«, sagte er. »Wird sie jetzt noch schwachsinniger?«

»Weil du sie geschlagen hast?«

Sein Grinsen bejahte.

»Nein, ich denke, sie wird in ein paar Minuten wieder zu sich kommen und genauso schwachsinnig sein wie zuvor, wenn sie sich mit dir abgibt«, meinte Claire Taylor, sich keinen Schritt nähernd. »Was machst du hier?«, zürnte sie verhalten, mit aufeinandergepressten Lippen.

Robert White spreizte seine Arme: »Kein Zucker?«

Claire Taylors Augen huschten nach hinten, wo die Schrotflinte auf ungebetene Gäste wartete. Sie würde sich schneller eine Kugel einfangen als sie die Schrotflinte erreichen könnte.

 

»Dafür hast du doch William«, schmetterte sie ihm stattdessen entgegen.

Robert Whites Freude starb. Er senkte seine Arme und brummte cholerisch. »Wo ist er?«

»Hast du es noch nicht gehört?«

Er trampelte auf den Boden, fluchte und wedelte unterstützend mit den Armen. »Nein, zum Teufel!«

Claire Taylor grinste einseitig, sich vorsichtig, Inch um Inch, nach hinten schiebend, um irgendwann an die Schrotflinte zu gelangen. »Er ist tot.«

Robert White schaute sich um – halb leere Kleiderständer, zerschnittene Stoffe, zerkratzte Spiegel, spärliches Nähzeug, ausgefranste Fäden. Er brauchte etwas, um sich abzureagieren. Schleunigst. Ehe er den Laden oder die Besitzerin auseinandernahm. Schließlich beugte er sich zur somnolenten Viola Finch, packte ihren Schopf und vergrub seine Nase darin, um einen sehr tiefen Zug zu holen. Das Aroma der Frau beruhigte ihn fürs Erste. Als er sich wieder aufstellte, stand ihm Claire Taylor mit der Schrotflinte gegenüber.

»Heißt man so die Familie willkommen?«, scherzte Robert White leichtfertig.

Claire Taylor spuckte auf den Boden. »Du gehörst nicht dazu!«

»Ach nein?« Er inspizierte den Laden, wanderte umher, fühlte die Stoffe. Die Mündung der Schrotflinte verfolgte ihn. »Wo ist Carl?«

Sie schwieg. Ihre Augen warfen Feuer.

Er näherte sich ihr, bis er direkt vor der Mündung stand. »Wo ist Carl?«, wiederholte er zorniger. Seine Kiefer schlugen aufeinander.

Claire Taylor schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte sie nur.

»Nein, was?«, forschte Robert White anmaßend nach. Er stand press an der Mündung und lehnte sich dagegen, Waffe und Frau nach hinten zwingend.

»Nein! Er ist nicht hier!«

»Wirklich?« Robert White sah zum Vorhang, der den Verkaufsraum vom Hinterzimmer, dem Wohnraum, trennte. Der Vorhang, der noch leicht schwang, weil jemand eine Schrotflinte hervorgeholt hatte. »Carl?«, rief er nach hinten, ohne Antwort.

Viola Finch wimmerte leise. Sie erwachte allmählich.

»Soll der Junge ohne Vater aufwachsen?«, nahm Robert White den Lauf in die Hand und schob die Schrotflinte beiseite.

Claire Taylor stemmte sich dagegen, konnte aber weder den Lauf aufs Ziel gerichtet halten noch ihre Position vor dem Vorhang halten. »Du bist nicht …«, geiferte sie unvollständig.

»Carl?«, rief Robert White erneut. »Komm nach vorn, Junge. Dein Vater will dich sehen.«

Plötzlich flog der Vorhang beiseite und Carl Taylor stand mit großen Augen im Rahmen. »Vater?« Doch dann versiegte seine Euphorie, als er Robert White sah.

»Mein Junge«, sagte dieser selig. »Schön, dich zu sehen. Du wächst und wächst. Wo soll das noch hinführen?«

Mutter und Schrotflinte bäumten sich gegen ihn auf.

»Verschwinde!«, kam Milton Smith aus dem Hinterzimmer, zerrte Carl Taylor zurück, quetschte sich an seiner Tochter vorbei und baute sich vor Robert White auf, einen Eisenstab in der Hand.

Robert White lächelte. »Die ganze Familie.«

Milton Smith fauchte.

»Ich hätte mir ein herzlicheres Wiedersehen gewünscht.« In Sekundenbruchteilen griff Robert nach dem Eisen, riss es dem alten Mann aus der Hand, zog ihm damit eins über und schlug Claire Taylor die Schrotflinte aus der Hand.

Milton Smith ging keuchend zu Boden und Claire Taylor schrie kurz auf, als der Eisenstab ihre Handknochen brach.

Danach vergrub sich Robert Whites Hand in Claire Taylors Hals. Sie gurgelte. Er drückte fest zu.

»Immer noch diese kleine, verdammte Hure«, keifte Robert White.

»Loslassen!«, schrie Carl Taylor mit der Schrotflinte in der Hand.

»Willst du deinen Vater erschießen?«

Carl Taylor sah verwirrt zu seiner Mutter. Diese wehrte sich gegen die Hand an ihrem Hals, vergeblich.

»Nur zu«, ermutigte Robert White. »Noch ein Mann, den deine Mutter auf dem Gewissen hat und wieder einer weniger, der dir beibringen kann, ein Mann zu sein.«

Als Carl Taylor den Lauf absenkte, warf Robert White Claire Taylor zur Seite und schnappte sich die Schrotflinte, um die Patronen zu entnehmen und beides in getrennte Ecken zu schmeißen. Dann klatschte er in die Hände. »So, wenn das geklärt wäre, würde ich mich über eine warme Suppe und ein paar Cracker freuen. Oder hat die Geschäftsfrau die Hausfrau verdrängt?«

Hinter ihm kritzelte es auf Papier. Er drehte nur seinen Kopf.

Viola Finch schrieb etwas in ihr Buch, halb benommen, halb fläzend auf dem Polstersofa, im Beisein der Petroleumlampen.

Robert White kniete sich, um auf Augenhöhe mit Carl Taylor zu sein, der verängstigt und doch angestachelt visuell zwischen Mutter und Großvater pendelte, die beide angeschlagen auf dem Boden lagen, vor Schmerz stöhnend.

»Mein Junge, sag mir, kannst du schon reiten?«

Carl Taylor nickte.

»Wie ist dein Faustschlag?« Er hielt ihm eine Hand als kompaktes Segel, als Boxsack, hin.

Der Junge fühlte sich herausgefordert. Er schlug in die dargebotene Hand und brachte Robert White zum Taumeln. Dieser lachte.

»Hervorragend! Und deine Schießkünste?« Er reichte ihm seinen Revolver, doch Claire Taylor ging rechtzeitig dazwischen.

»Genug!«, sie warf sich in die Bresche zwischen ihrem Sohn und dem Eindringling. »Was willst du, Robert?«

»William oder Carl«, sagte er und lächelte düster. »Was kannst du mir geben, Weib?«

»William«, sagte Claire Taylor sofort, sich mit der gebrochenen Hand irgendwie behauptend.

Robert White überlegte, zog es künstlich in die Länge. »Führt mich zu ihm.« Er reichte Claire Taylor eine Hand und packte Carl Taylor mit der anderen. »Ein kleiner Abendspaziergang? Fördert den gesunden Schlaf.«

In Ermangelung einer Rettung gab Claire Taylor ihre ungebrochene Hand.

Sie ließen den stöhnenden Milton Smith auf dem Boden zurück und gingen zur Tür. Bei Viola Finch stoppte Robert White. »Wenn der Alte uns verpfeifen will, knall ihn ab.«

Die Schreiberin nickte eilig und holte ihren Revolver, mit der einen Patrone in irgendeiner Kammer der Trommel, umständlich aus der Tasche, kaum den Eindruck erweckend, sie könne damit umgehen, geschweige denn, einen alten, wütenden Mann aus der Nahdistanz erschießen.

Mit Mutter und Sohn an der Hand flanierte Robert White durch die Stadt. »Zwei Kugeln für euch, solltest du mich in die Irre führen«, flüsterte er ihr zu, als sie am Büro des City Marshals vorbeikamen.

Auf dem Friedhof, im Dämmerlicht der städtischen Fackeln hinter ihnen, an einem frisch zugeschütteten Grab hielten sie inne. Robert White schaute sich ablehnend um. »Was sollen wir hier, Weib? Willst du dir dein Erdloch aussuchen?«

»William«, zeigte Claire Taylor auf den frisch vertikutierten Boden. Sie fädelte sich langsam aus seiner Hand. In ihrem Geist überschlugen sich die Fluchtstrategien. Sie suchte den Blickkontakt zu ihrem Sohn, der sich ebenfalls aus dem Griff befreien konnte, weil Robert White grantig auf das Grab starrte.

»Lauf!«, rief sie ihrem Jungen zu, der flugs die Flucht ergriff. Sie wollte noch nach dem Revolver im Holster des Mannes greifen, scheiterte aber.

Im selben Moment wurde sie von Robert White am Schopf gepackt, zu Boden gezerrt und kranial überstreckt. »Was soll das, Weibsstück? Wieso tust du mir das an?« Er schaute Carl Taylor hinterher, der wie von der Tarantel gestochen über eine der Brücken, die über den ausgetrockneten Dead Creek führten, zurück in die Stadt rannte.

»Wo wird er wohl hinrennen?«, grübelte Robert White gespielt. »Wird er seine Mutter opfern, um den Marshal zu informieren? Oder wird er die Schrotflinte holen und das Gesetz selbst in die Hand nehmen?« Bei der zweiten Frage schwoll seine Brust an und sein Kinn reckte sich nach vorn oben. Stolz übermannte ihn.

Claire Taylor kämpfte nicht gegen ihn an. Sie versuchte nur, nicht umzufallen, um ihre gebrochene Hand zu schonen, die sie dann hätte zum Abfedern verwenden müssen.

»Rusty hat mir von einem gewissen John berichtet«, schwenkte Robert White um, den Lauf des Jungen beobachtend. »Merkwürdig, denn einen gewissen John durfte ich auch erst neulich kennenlernen. Wer ist dieser Depp?«

Doch sie verweigerte eine Aussage, woraufhin sie herumgewirbelt und härter gepackt wurde. Sie schrie auf, jammerte und verfluchte ihn.

»John!«, verlangte Robert White ruppig Auskunft.

»Nur ein Rancher von Sherman Mayor«, japste sie letztlich.

»Der Bisonbaron?«

»Ja.«

Er warf sie zu Boden, wo sie sich noch abrollen konnte, ohne ihre verletzte Hand zu belasten.