99 Namen Gottes

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6 al-Muminder VERLÄSSLICHE, der Wahrer der Sicherheit


Glauben im tiefsten Sinn heißt nicht, etwas für wahr halten, glauben heißt, sich auf Gott als den VERLÄSSLICHEN zu verlassen. Im biblischen Hebräisch bezeichnet ein und dasselbe Wort Gottes felsenfeste Verlässlichkeit wie auch unser gläubiges Vertrauen auf Gott. Dieses Wort „Emunah“ (אֶמרּרׇה) kommt ebenso wie das Wort Al-Mu’min, der VERLÄSSLICHE, von einer Wurzel mit der Grundbedeutung „fest, stabil, zuverlässig“. Das Wort „Amen“ stammt auch vom selben Wortstamm ab und ist gleichsam das Siegel, das unser Glaube dieser Gegenseitigkeit von göttlicher Verlässlichkeit und menschlichem Sich-Verlassen aufdrückt.

So ist es auch kein Zufall, dass „Amen“ für alle drei Traditionen, die sich auf Abraham als den Vater ihres Glaubens zurückführen, ein ganz zentrales Wort wurde. Wenn die drei Amen-Traditionen, die jüdische, die christliche und die islamische, „Amen“ sagen, dann bekennen sie ihren Glauben an Gott, den VERLÄSSLICHEN, ihren gemeinsamen Glauben. So endet der 41. Psalm mit einem emphatischen Amen:

Gelobt sei der HERR, der Gott Israels,

von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen! Ja, Amen!

Ein christliches Kirchenlied verbindet „Amen“ ganz richtig mit der Treue Gottes, es beginnt mit den Worten:

Amen! Amen! lauter Amen

hat des treuen Gottes Mund.

Ewig führet er den Namen,

dass er aller Wahrheit Grund.

Und bei Muhammad al-Bukhari, einem Ausleger des Korans aus dem 9. Jahrhundert, lesen wir: „Wenn der Imam Amin sagt, so sagt Amin, denn wenn sein Amin mit dem Amin der Engel zusammentrifft, so werden ihm die vergangenen Sünden vergeben.“

Habe ich eigentlich Bekannte aus einer der anderen Amen-Traditionen? Könnte ich heute vielleicht Gelegenheit finden, mit einem von ihnen darüber zu sprechen, wie innig uns das Wort „Amen“ in unserem Glauben verbindet? Wenn ich nur Menschen meiner eigenen Tradition kenne, wie kann ich jemanden aus einer anderen Tradition kennenlernen? Das verlangt doch die Weltlage heute.


7 al-Muḥayminder BESCHÜTZER und Behüter


Wovor behütet mich denn eigentlich Gott, der BESCHÜTZER? Jedenfalls nicht vor Schicksalsschlägen. Von denen werden wir alle getroffen, ob wir uns unter Gottes Schutz stellen oder ob uns dieser Gedanke an göttlichen Schutz gar nicht kommt. Und doch bezeugen alle, die sich in der Hitze schwierigster Lebenslagen unter Gottes Schatten flüchten, dass dies den Kopf kühlt und das Atmen erleichtert. Worin besteht aber der Unterschied?

Ob wir uns von Gott beschützt wissen oder nicht, die äußeren Umstände bleiben die gleichen, aber die innere Haltung des Vertrauens bewährt sich. Und zwar nicht etwa deshalb, weil wir uns selber etwas vormachen und uns etwas einreden. Nein. Das Vertrauen auf Gottes Schutz bewährt sich, weil es uns vor Verzweiflung bewahrt.

Denn Verzweiflung macht uns blind für die Möglichkeiten, die uns trotz allem immer noch offenstehen, Vertrauen dagegen öffnet uns die Augen und lässt uns ungeahnte Auswege entdecken. Dadurch erweist sich Gott wirkkräftig als BESCHÜTZER. Gott wirkt nicht „von außen“ auf uns ein, sondern aus der innersten Tiefe des Geheimnisses, in dem unser Leben wurzelt.

Wer in meiner Umgebung hat es zurzeit besonders schwer und braucht Schutz? Es geht nicht darum, über den BESCHÜTZER zu reden, sondern schweigend gemeinsam in den schützenden Schatten des göttlichen Geheimnisses zu treten.


8 al-cAzīzder ALLMÄCHTIGE, der Ehrwürdige


Das ist wieder ein Gottesname, der leicht irreführen könnte. Schon beim Wort „Macht“, das hier anklingt, schwingen zu viele Ober- und Untertöne mit von Machtmissbrauch, Unterdrückung, Ausbeutung und dergleichen. Und dann gar noch Allmacht, uneingeschränkter Machtgebrauch? Der menschliche Urglaube ahnt zwar eine Machtfülle, auf die wir hinweisen wollen, wenn wir Gott den ALLMÄCHTIGEN nennen, aber mit menschlicher Herrschermacht hat sie nichts gemein.

Bei Menschen finden wir immer wieder die Liebe zur Macht. Bei Gott aber geht es um die Macht der Liebe. Nur diese verdient es, allmächtig genannt zu werden. Und warum? Weil es nichts gibt – wirklich absolut nichts –, was Liebe nicht verwandeln und zum Guten wenden kann. Macht ist also nicht nur einfach eine Eigenschaft Gottes, des ALLMÄCHTIGEN, sondern Gott ist Allmacht, weil Gott Liebe ist.

Fällt dir ein wirklich liebender Mensch ein? Das wäre jemand, von dem du – nicht durch Reden, sondern durch Beobachten – lernen könntest, warum Gott der ALLMÄCHTIGE genannt wird.


9 al-Ǧabbārder KRAFTVOLLE


Vielleicht sollten wir Gott nicht den KRAFTVOLLEN nennen, sondern einfach Kraft. Was immer uns bei diesem Gottesnamen vorschwebt, ist ja Bild, wertvolles Bild zwar, aber doch nur Bild. Und dieser Name, so sinnvoll er ist, bleibt doch wie alle 99 Namen nur ein Hinweis auf Gottes namenlose Wirklichkeit. Ja, selbst der Name „Gott“ ist nur ein Wort für das Unnennbare, auf das er hinweist. Wie erleben wir denn diese letztlich unnennbare Wirklichkeit, die wir „Gott“ nennen? Als Kraft, als Wirkkraft. Millionen Anonymer Alkoholiker sind Zeugen für eine „Höhere Kraft“, der sie sich anvertraut haben und die ihnen möglich macht, was sonst unmöglich erschiene.

Jeder Mensch weiß, was mit Lebenskraft gemeint ist: auf allen Ebenen, vom körperlichen bis zum höchsten geistigen Bereich. Erleben wir nicht auch in unserer eigenen Lebenskraft eine „höhere Macht“? Und je mehr die Naturwissenschaft erforscht, wie Lebendiges „funktioniert“, desto geheimnisvoller wird uns Ursprung und Wesen der Lebenskraft. Letztlich schreiben wir also nicht Gott eine Eigenschaft zu, wenn wir ihn den KRAFTVOLLEN nennen, sondern weisen staunend auf jene „Höhere Kraft“ hin, die in uns wirkt und uns doch immer unergründlich bleibt.

Kannst du dir heute Zeit nehmen, um lange und still etwas Lebendiges anzuschauen: ein schlafendes Kind, einen Baum, deine eigene Hand? Sprich dabei still die Worte „der KRAFTVOLLE“ vor dich hin und erwäge, was du dir darunter vorstellst.


10 al-Mutakabbirder ERHABENE, der Vornehme, der Stolze


Was erlebst du als erhaben? Schneebedeckte Berggipfel? Einen uralten Olivenbaum? Das hoch oben verdämmernde Mittelschiff eines gotischen Domes? Und was erlebt unsere Seele bei der Begegnung mit Erhabenem? „Da grüßt sie mit Entzücken, was wahrhaft, ernst und groß“, sagt Eichendorff. Um Größe geht es also, um Ernst und Echtheit, wenn wir Gott den Namen „der ERHABENE“ geben. Größe heißt hier, dass wir uns demütig fühlen vor dem ERHABENEN.

Demütig, jedoch keineswegs gedemütigt, ganz im Gegenteil: Wir fühlen, dass gerade in dieser Demut unsere höchste Würde liegt. Denn die Begegnung mit Erhabenem erfüllt uns mit feierlichem Ernst, aber nichts ist dabei theatralisch, alles ist echt. Ja, wie „echt“ wir selber sind, hängt davon ab, ob und wie tief Erhabenheit uns zu berühren vermag. Nur wenige andere Gefühle weisen so unmittelbar auf Unaussprechliches, Letztes hin. Ebendarum nennen wir Gott den ERHABENEN.

Hast du manchmal Gelegenheit, unter dem Sternenhimmel zu stehen? Jedenfalls kannst du die Augen schließen und dir bewusst machen, dass es so viele Sterne im Weltall gibt wie Sandkörner an allen Stränden der Erde zusammen. Stehst du bei diesem Gedanken nicht vor dem ERHABENEN?


11 al-Ḫāliqder SCHÖPFER


Dieser Gottesname bildet eine Dreiheit mit den beiden folgenden. Ihre Bedeutungen sind ineinander verflochten. Es ist deshalb nicht so wichtig, den Ursprung und den Formenden säuberlich vom SCHÖPFER abzugrenzen. All diese Namen sind wie die berußten Glasscherben, die Kinder bei einer Sonnenfinsternis vor ihre Augen halten, damit sie nicht geblendet werden, wenn sie in die Sonne schauen: Das namenlose Licht, das durch Gottesnamen auf uns einströmt, lassen sie uns nur erahnen.

 

Die Ahnung, die sich im Namen SCHÖPFER ausdrückt, steigt in uns auf, wenn wir die Schönheit der Welt sehen und die Gesetzmäßigkeit entdecken, die alles bis ins Kleinste ordnet. Der Künstler in uns denkt unwillkürlich an die Kreativität eines überragenden Meisters und der Wissenschaftler in uns kann sich nicht genug wundern über die Kraft, die sich da ausdrückt. Was uns so beeindruckt, ist die Schaffenskraft einer höheren Wirklichkeit, die wir daher SCHÖPFER nennen. Wir dürfen aber dichterische Bilder nicht wörtlich nehmen. Auch das Bild vom SCHÖPFER nicht. Wir haben es schon gesagt: Gott wirkt nicht „von außen“ auf die Welt ein. Der Name SCHÖPFER weist auf die Größe des Geheimnisses hin, aus dessen kreativer Kraft alles, was es gibt, hervorgeht.

Auf welchem Gebiet bist du selber schöpferisch? Vielleicht willst du heute einen Kuchen backen oder das Fahrrad reparieren. Je mehr wir unsere eigene Schöpferkraft entdecken und sie als Begabung, also als Gabe und Aufgabe erleben, umso ähnlicher werden wir dem SCHÖPFER.


12 al-Bārider Schaffende, der URSPRUNG


Die Wortwurzel dieses arabischen Gottesnamens ist die gleiche wie die jenes hebräischen Wortes für „erschaffen“, das nur auf Gott angewandt werden kann. Wir Menschen können schöpferisch umgehen mit schon Erschaffenem, mit dem, was schon da ist. Aber wie kommt es, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts? Als Kinder konnten wir noch solche Fragen stellen und uns wundern. Aus solchem Wundern, das Platon den Anfang allen philosophischen Denkens nennt, steigt die Frage auf nach dem URSPRUNG allen Seins.

Hinter dem Wort URSPRUNG steht das Bild eines Sprunges. Was springt da? Das Sein springt aus Nicht-Sein ins Dasein. „Aus nichts wird nichts“, heißt es im Volksmund ganz richtig. Der Quell allen Seins ist aber nur insofern „Nichts“, dass er „nicht etwas“ ist. Er ist aber kein leeres Nichts. Dieses göttliche Nichts, das Angelus Silesius in seinem Zweizeiler „ein Nichts und Übernichts“ nennt, ist der mütterliche Urgrund, schwanger mit unbegrenzten Möglichkeiten. Der URSPRUNG ist dann der Sprung von Möglichkeit in die Wirklichkeit, aus reinem Möglich-Sein ins So-Sein.

Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts.

Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sieht’s.

Sieht was? Die göttliche Wirklichkeit in allem: das Große Geheimnis, das beide Pole des URSPRUNGS umfasst, das Sein und das Nicht-Sein und zugleich das Springen selber. Der Name Schöpfer verweist mehr auf das Sein, der Name URSPRUNG mehr auf das Springen aus dem Nicht-Sein. Ja, wir können lernen, in allem, was wir anschauen, zugleich das Große Geheimnis zu „sehen“, es wirklich zu spüren als Nichts, hinter dem Ursprung – als Hintergrund gleichsam. So können wir ja auch bei Musik die Stille mithören lernen, nicht als etwas Zusätzliches, sondern als Voraussetzung.

Als Kind warst du – wie alle Kinder es sind – ein kleiner Philosoph. Kannst du dir erlauben, zu dieser Einfalt (nicht Einfältigkeit!) zurückzufinden? Traue es dir doch zu, und dann lies nochmals aufmerksam diese Erwägung zum Gottesnamen URSPRUNG.


13 al-Muṣawwirder FORMENDE, der jedem Ding seine Form Gebende


Alle Namen, die wir Gott geben, sind wie Brücken zwischen Nennbarem und Unnennbarem. Wir müssen es schaffen, zugleich auf beide Brückenköpfe zu schauen. Nur ins unnennbare Licht zu schauen, das macht blind. Aber nur Nennbares zu sehen, ist Kurzsichtigkeit. Dass „Schöpfer“ und „Ursprung“, Sein und Nicht-Sein, ein und dieselbe letzte Wirklichkeit bezeichnen, geht uns nur dann auf, wenn beide uns zugleich begeistern und erschaudern lassen. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Im Strom erkennen wir die Quelle und in der Quelle den Strom, aber nur dann mit voller Wirkkraft, wenn wir uns der Strömung hingeben. Und diese Strömung ist eine FORMENDE: Sie greift ins Gestein wie ein reißender Wildbach. Durch alles, was uns widerfährt, durch „Schönheit und Schrecken“, formt uns der FORMENDE, und doch nur so, wie wir es zulassen. Wir sind mit dem Großen Geheimnis zuinnerst geeint. Wir erleben den FORMENDEN als unsere eigene innerste Sehnsucht zur Lebensgestaltung.

Fühlst du eine Stelle in deinem Inneren, wo sich etwas verändern will? Veränderung kann schmerzen. Aber wie gut, sich dessen bewusst zu werden, dass dein Leben nicht von äußeren Umständen getrieben seine Form erhält, sondern „wie es dir selber gefällt“.


14 al-Ġaffārder VERGEBENDE


Mit jedem Gottesnamen meinen wir letztlich den, auf den alles, was es gibt, hinweist, also den Geber. Es geht dabei um ein so uneingeschränktes Geben, dass selbstverständlich die höchste Form des Gebens mitgemeint ist, nämlich das Vergeben. Darum nennen wir Gott den VERGEBENDEN. Wir kommen aber nicht nur durch Nachdenken zu dieser Einsicht, sondern auch durch praktische Erfahrung. Sobald wir Leid, das uns zugefügt wurde, wirklich vergeben, ist es geheilt, nicht verschwunden, aber verwandelt: Was uns brannte, wärmt uns jetzt, wärmt unser eigenes Herz und das Herz dessen, der uns Leid zufügte.

Was bedeutet aber vergeben? Es bedeutet, so vollkommen zu geben, dass wir uns selber, also den Ankläger, wegschenken. Wir stehen dadurch dem Anderen, der uns leiden macht, nicht mehr gegenüber, sondern werden eins mit ihm. Indem dieser „Eine“ jetzt die Schuld „auf sich nimmt“, hebt er sie auf – im Vollsinn des Wortes „aufheben“. So macht es ja selbst der VERGEBENDE mit uns.

Wo brennt dich dir zugefügte und noch nicht vergebene Schuld? Willst du sie heute vergeben? Du darfst sicher sein zu erfahren, dass Vergebung verwandelt. Das gehört zum innersten Wesen der Wirklichkeit.


15 al-Qahhārder Alles-Bezwinger, die OBERHAND


OBERHAND ruft in unserer Vorstellung das Bild von Streitkämpfen wach, in denen eine Seite die OBERHAND gewinnt. Wenn aber OBERHAND als Name Gottes gebraucht wird, dann kann nicht die Rede sein von Kampf, und schon gar nicht von zwei Seiten. Gott ist ja auf beiden Seiten, auf allen Seiten. Und Gott braucht nicht zu kämpfen und zu siegen. Die letzte höchste Wirklichkeit hat von Anbeginn die OBERHAND und hat sie fraglos und selbstverständlich. Nur wir müssen kämpfen, vor allem gegen Gewalttätigkeit: Also müssen wir gewaltfrei kämpfen.

Können wir aber gegen Gewalt für Gewaltfreiheit einstehen und wirklich die OBERHAND gewinnen? Ja, aber nur dann, wenn wir die OBERHAND schon haben, das heißt, nur wenn wir uns vorbehaltslos auf die einzige, die göttliche OBERHAND verlassen. Manchmal zeigt sich der Sieg der Gewaltfreiheit sogar auf geschichtlicher Ebene, aber doch eher selten. OBERHAND weist über die Zeit hinaus. „Was hier wir sind“, und dazu gehört auch das, was wir hier erreichen, „kann dort ein Gott ergänzen“, heißt es bei Friedrich Hölderlin. Und dieser Gott hat nicht nur die Oberhand, sondern ist die OBERHAND.

Finden die folgenden Zeilen aus Rainer Maria Rilkes „Herbst“, in denen die OBERHAND von unten alles auffängt, bei dir ein Echo?

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: Es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.


16 al-Wahhābder Geber und Verleiher, der SICH ENTÄUSSERNDE


Manche Gottesnamen sind Ausdruck von Gefühlen, die durch eine Begegnung mit dem Großen Geheimnis in uns Menschen ausgelöst werden, ein Beispiel wäre etwa „der Erhabene“. Andere Namen entspringen mehr unserem Nachsinnen über Gott; dafür ist der SICH ENTÄUSSERNDE ein Beispiel. Mit dem Wort „Gott“ weisen wir ja auf die letzte Wirklichkeit hin, diese aber ist allumfassend. Wie könnte nun der Allumfassende etwas Begrenztes schenken? Gott schenkt also immer sich selbst: rückhaltlos, völlig und ganz. Nur das Fassungsvermögen der Gefäße, in die hinein Gott sich ausgießt, ist begrenzt. Und diese „Gefäße“ gibt es nur, weil Gott „einen Schritt zurücktritt“, um für die Schöpfung Platz zu machen, wie die chassidische Tradition es anschaulich ausdrückt. Nur dadurch, dass Gott sich selbst entäußert, wird es ja erst möglich, dass es „außer Gott“ überhaupt etwas gibt. Auch dass wir Gott Namen geben können, ist ja nur deshalb möglich, weil der SICH ENTÄUSSERNDE uns sein „Außen“ zeigt. In das Innere der letzten Wirklichkeit reicht kein Name hinein. Alles, was es gibt, wir selber eingeschlossen, ist Ausdruck dieses „Innen“ und Ort der Begegnung mit dem SICH ENTÄUSSERNDEN.

Kannst du dich an Augen erinnern, aus denen dich das Innerste eines dir lieben Menschen anstrahlte, sich dir ganz schenkte? Auf ein ähnliches, aber unendlich größeres Geschenk weist der Gottesname des SICH ENTÄUSSERNDEN hin.


17 ar-Razzāqder VERSORGER


Wann immer wir dazu neigen, uns Sorgen zu machen, sollten wir den VERSORGER anrufen. Wir sind doch niemals im Vollsinn Selbst-Versorger. Dennoch bleiben wir auch niemals unversorgt. Wir brauchen nur zurückzuschauen auf unser Leben, um das klar zu sehen. Der Mystiker und Dichter Kabir spricht vom VERSORGER als dem, „der dich im Mutterschoß strahlen ließ“. Er fragt: „Wie sollte der dich jetzt ganz verwaist herumlaufen lassen?“ Wer Gott den VERSORGER nennt, der verlässt sich darauf, dass das Leben uns immer genau das gibt, was wir im Augenblick brauchen. Es bedarf nur geringer Lebenserfahrung, um sich mit Überzeugung darauf zu verlassen. Oder glauben wir wirklich selber am besten zu wissen, was wir brauchen? Matthias Claudius drückt dieses Vertrauen auf den VERSORGER treffend aus:

Gott gebe mir nur jeden Tag,

so viel ich darf, zum Leben.

Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach,

wie sollt er’s mir nicht geben.

Kennst du jemanden, der sich zurzeit Sorgen macht um Lebensnotwendiges? Wie kannst du diesen Menschen die Fürsorge Gottes erfahren lassen? Sind wir nicht dazu bestimmt, selber die Augen und Hände des VERSORGERS zu werden?


18 al-Fattāḥder ÖFFNENDE


Unser Verständnis dessen, was mit diesem Gottesnamen gemeint ist, beginnt mit dem Staunen darüber, dass es überhaupt Raum gibt: Spielraum. Schon wenn wir „Sein“ sagen, meinen wir ja nicht nur die Fülle von allem, was es gibt, sondern das Im-Fluss-Sein des Daseins. Das Sein könnte ja auch wie hingegossen und in sich festgefroren existieren. Und doch gibt es überall Raum, um uns herum und in uns selbst – den Atemraum. Offenheit gehört zum Wesen der uns erfahrbaren Wirklichkeit. Und diese Offenheit ist Geschenk.

 

Darum nennen wir die göttliche Quelle, aus der uns dieses Geschenk der Offenheit zufließt, den ÖFFNENDEN. Und wie können wir uns dem ÖFFNENDEN dankbar erweisen? Indem wir uns zuversichtlich in diese Offenheit hineinwagen, tief einatmen, tief ausatmen und vorangehen: auf Überraschung zu. Der ÖFFNENDE ist der Gott der Überraschung. Denn erst dadurch, dass alles offen ist, wird Raum für Überraschung geschaffen. Darum ist der ÖFFNENDE auch der Gott der Hoffnung. Der ÖFFNENDE lässt uns Hoffnung erleben als unser vertrauendes Offensein für Überraschungen.

Eine praktische Übung: Geh und öffne eine Türe. Dann erinnere dich an all die Türen, die das Leben dir schon von deiner Geburt an geöffnet hat. Atme tief ein und sag beim Ausatmen dankbar der ÖFFNENDE.

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