Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 261»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-597-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
1.
Sand, nichts als Sand, wohin das Auge blickte – die Wüste war ein Meer ohne Wasser, wie die Araber sagten, eine unendlich weite Stätte der Trostlosigkeit und der Verzweiflung. Hier, im Kanal des Todes, hatten die Seewölfe alle ihre Hoffnungen begraben, und Philip Hasard Killigrew war ein Kapitän ohne Schiff.
Man schrieb den 20. Mai 1592.
Der Sandsturm war vorbei. Jetzt, da das Auge wieder klar zu erkennen vermochte, welches Bild ihm die Umwelt bot, wurde es auch dem letzten Mann der Crew auf erschütternde Weise deutlich: Die „Isabella VIII.“ war unrettbar verloren.
Immer weiter war sie eingeweht, immer tiefer gesunken in dem tückischen Mahlstrom, der auf dem Grund des Kanals der Pharaonen zu arbeiten schien. Der Sand war ihr Ende, die Wüste fraß sie auf.
Die Männer, die beiden Söhne des Seewolfs und selbst Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockten in der Kapitänskammer zusammen, dem letzten Zufluchtsort, der einzigen Insel, die noch aus den gewaltigen Sandmassen aufragte. Bis über die Bleiglasfenster stiegen die Dünen jetzt jedoch schon auf, die Zeit drängte, bald würde auch das Achterkastell der „Isabella“ ganz zugeschüttet sein.
Hasard hielt mit seinen Männern Kriegsrat.
„Wir können nicht zu Fuß den Rückweg durch die Wüste antreten“, sagte er. „Das haben wir schon mehrfach festgestellt, und so ist es auch. Dan und Batuti, ihr wäret fast umgekommen, als ihr nach dem Roten Meer suchtet. Uns allen würde es so gehen, und wir können uns nicht darauf verlassen, einer Karawane zu begegnen, die uns hilft.“
„Du meinst also, wir sollten ein Floß bauen?“ fragte Ben Brighton. „Ob das Wasser im Kanal wohl noch ausreicht, um es zu tragen?“
„Das ganz bestimmt“, erwiderte der Seewolf. „Aber ich hatte eigentlich weniger an ein Floß gedacht als vielmehr an unsere beiden Beiboote.“
„Die freizulegen, dürfte ein verdammt hartes Stück Arbeit sein“, sagte Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle.
„Ein Floß zu bauen, nimmt aber auch viel Zeit und Mühe in Anspruch“, ließ sich Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, vernehmen. „Ich meine, eins kommt aufs andere heraus.“
„Fangen wir sofort an“, sagte der Seewolf. „Verlieren wir keine Zeit mehr. Wir graben die Jollen aus, so schnell es geht, und noch bei Tageslicht pullen wir den verdammten Kanal zurück.“
„Vielleicht können wir sogar segeln“, brummte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Der Wind wäre günstig, oder?“
„Ja“, sagte Hasard. „Wir müssen um jeden Preis den Delta-Arm des Nils erreichen, den wir bei der Herfahrt passiert haben. Ihr könnt euch doch noch daran erinnern, nicht wahr? Der Arm lag vor dem Kanal der Pharaonen.“
„Natürlich“, sagte Ben Brighton. „Ali Abdel Rasul versicherte uns, daß er bis zum Mensaleh-See hinaufführe. Aber wer will sich jetzt noch darauf verlassen?“
„Wir können uns darauf verlassen“, erwiderte Hasard. „Ich habe noch einmal die Karten überprüft. Der Arm fließt tatsächlich bis in den See, und damit ist der Weg zum Mittelmeer offen, wie ihr wißt.“
Ben, Shane, Carberry und ein paar andere standen ruckartig auf.
„Sir“, sagte der Profos. „Wenn wir das schaffen und endlich wieder Seeluft schnuppern – Hölle, ich mag mir gar nicht ausmalen, wie schön das wäre!“
„Dann los“, sagte Hasard. „Wir haben diese eine Chance, und wir müssen sie nutzen.“
Sie erhoben sich alle und verließen die Kammer. Allein dies wurde ihnen fast zur Qual, denn der Sand hatte auch den Zugang zur Kammer jetzt so weit zugedeckt, daß sie ihn mit vier, fünf Mann aufstemmen mußten. Lautlos und heimtückisch kroch der Sand heran, er war ein unberechenbarer Feind. Beinah hätte er den letzten Schiffsraum, der ihnen noch als Aufenthaltsort verblieben war, in ein schreckliches Gefängnis verwandelt.
„Der Teufel soll dieses verdammte Ägypten holen“, sagte Old O’Flynn. „Hierher kehre ich nie wieder zurück.“
Er hatte ja schon seinerzeit im Mittelmeer das Unheil prophezeit und nie versäumt, den Seewolf auf seine dunklen Ahnungen hinzuweisen. Doch Hasard hatte nicht auf ihn hören wollen. In Kairo hätten sie um ein Haar ernsthaft Streit miteinander gekriegt, doch schließlich hatte der Alte klein beigegeben.
Ob Old O’Flynn nun tatsächlich in die Zukunft blicken konnte oder nicht, ob seine Visionen und Gesichter etwas Wahres bargen oder doch nur Hirngespinste waren – egal, es war passiert, sie saßen in der Klemme wie noch nie und konnten nichts mehr daran ändern.
Nie hatte der Seewolf eine schmählichere Niederlage erlitten, nie hatte man ihn auf gemeinere Weise um ein Schiff gebracht. Jeden Höllensturm, jedes Gefecht hätte er akzeptiert, nicht aber die Falle des Ali Abdel Rasul, in die er mit Blindheit geschlagen, getappt war.
Ali war seinen eigenen Teufeleien erlegen. Doch das verhalf Hasard zu keinerlei Genugtuung. Weiterhin quälte er sich mit Selbstvorwürfen. Wie hatte er nur so verblendet sein können, so leichtfertig?
Jetzt, da er immer wieder darüber herumgrübelte, erschien es ihm unbegreiflich. Zwar hatte ihn sein Entdeckerdrang dazu getrieben, in den Kanal der Ptolemäer und schließlich in den Kanal der Pharaonen zu fahren, um durch den Kanal des Necho in den Großen und Kleinen Bittersee und danach ins Rote Meer zu gelangen, doch er hätte frühzeitig ahnen müssen, daß Alis Gerede von einem Seeweg nach Indien nur eine Mär gewesen war.
Teuer mußte er für diesen Fehler bezahlen. Die „Isabella VIII.“ war schon jetzt ein Wrack, dem Untergang endgültig geweiht, hier endeten alle ihre Fahrten und Abenteuer. Zweimal hatte sie die Welt umrundet und ausgerechnet hier sollte sie so unrühmlich abdanken.
Und die Schätze aus den Gräbern der Pharaonen, die Hasard bei der Reise durch Ägypten zusammengetragen hatte? Die lagen jetzt – zusammen mit Ali Abdel Rasul – unter den Felsen begraben, und da würden sie auch bleiben, denn mitnehmen konnten Hasard und seine Männer nur das Allernötigste. Eines Tages konnte man zurückkehren, um den immensen Schatz zu heben – doch wer wußte schon, ob sich eine entsprechende Expedition jemals zusammenstellen ließ und man den Platz wiederfinden würde? Die Wüste wanderte und sah überall gleich aus. Vielleicht würden die gewaltigen Dünen bald auch die Felsen völlig zudecken.
Der Seewolf befand sich in einem verheerenden Zustand der Niedergeschlagenheit. Es würde einiger Zeit bedürfen, um mit der ganzen Sache ins Reine zu gelangen. Vor sich selbst stand er zunächst wie ein Versager da, er ersparte sich nicht die schärfste Kritik.
Gemeinsam mit den Männern stieg er vom Achterdeck auf den Sandhaufen hinunter, der das Hauptdeck überlagerte.
Sie bückten sich und begannen mit den Händen zu graben.
Es war eine scheußliche Plackerei, die nur unter viel Schimpfen und Fluchen voranging. Sie alle wühlten mit ihren Händen, zweiundzwanzig Männer und zwei Jungen, ja, selbst Arwenack ahmte „seine Menschen“ nach und grub mit seinen Vorderpfoten – doch immer wieder rutschte Sand in die Tiefe ab und drohte das entstehende Loch ganz zuzuschütten.
So und nicht anders mußte es Sisyphus ergangen sein, jenem legendären Straßenräuber der alten griechischen Sage, der in der Unterwelt zur Strafe für seine verübten Schandtaten einen immer wieder zurückrollenden Stein auf einen Berg schieben mußte – eine sinnlose Anstrengung, eine vergebliche Arbeit.
Doch die Männer schufteten verbissen weiter und gönnten sich keine Ruhepause. Hasard stieg schließlich in die Grube hinunter und setzte seine Anstrengungen von unten fort, was eigentlich noch mühsamer war, denn er konnte den Sand nicht einfach zur Seite oder nach hinten fortschaufeln, sondern mußte ihn erst hochwerfen zum Rand des Loches, wo Ben, Shane, Carberry, die O’Flynns und die anderen ihn in Empfang nahmen und weiter fortbeförderten.
Endlich stieß Hasard auf einen Widerstand unter seinen Füßen.
„Hört auf zu lästern“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich glaube, wir haben doch die richtige Stelle erwischt. Wenn ich mich nicht gewaltig irre, stehe ich auf dem Dollbord einer unserer Jollen.“
Diese Nachricht wurde mit Jubel begrüßt, sie gab den Männern einen zusätzlichen Anreiz und spornte sie zu schnellerem Arbeiten an.
Ben und Ferris sprangen zu Hasard hinunter und unterstützten ihn. Bald waren in gemeinsamem Bemühen zwei Duchten und ein Stück des Dollbordes freigelegt, und schon wenig später wurden die Konturen des Bootes sichtbar.
Der Sand lastete schwer auf der Jolle, es war keine leichte Sache, sie halbwegs freizugraben. Selbst mit vereinten Kräften konnten die Männer sie nicht herausziehen, es war, als hielte der Klammergriff eines Giganten das Boot fest.
Endlich aber ragte die Jolle wie das noch nicht fertiggestellte Werk eines Bildhauers aus den Sandmassen hervor, und jetzt konnten die Männer anpakken und unter lauten Hauruck-Rufen das Fahrzeug zu sich heranzerren.
Sobald sich das Boot am Ufer des zugewehten Kanals befand, begannen die Männer, auch die zweite Jolle auszugraben. Wieder dauerte es verhältnismäßig lange, bis sie wenigstens das Holz unter sich fühlten, doch dann ging es schneller mit der Arbeit voran, wozu vielleicht auch Carberrys Gebrüll beitrug. Er bediente sich der schönsten Flüche aus seiner riesengroßen Sammlung, auf englisch und auch auf spanisch, und fast war es für wenige Augenblicke wieder so, als purre er die Crew durch sein Wettern an die Schoten und Brassen, um das nächste Segelmanöver an Bord der „Isabella“ durchzuführen.
Als endlich auch das zweite Boot dem Sand abgerungen war, teilte Hasard seine Mannschaft in zwei Gruppen, und so hoben sie die Jollen an und transportierten sie zu jener Stelle des Kanals, wo dieser noch Wasser führte.
Hasard rechnete überschlagsmäßig nach, wie lange es wohl gedauert hätte, den aus dem Sand ragenden Teil des Achterkastells auseinanderzumontieren und aus den Planken ein Floß zu bauen. Ferris Tucker hatte recht, sie hätten dazu genauso lange, wenn nicht noch länger gebraucht. Im Endeffekt war es weitaus günstiger, zwei Jollen, statt eines so primitiven Behelfsfahrzeugs zu haben. Folglich hatte er die richtige Entscheidung getroffen.
Sie ließen die Boote zu Wasser und hatten es geschafft. Jetzt konnten sie den noch verbleibenden Teil des Nachmittags dazu nutzen, wenigstens noch ein Stück in westlicher Richtung voranzugelangen.
Hasard ordnete die Gruppen neu. „Ich leite die eine Abteilung“, sagte er zu den Männern. „Ben die andere. Hasard und Philip, ihr bleibt bei mir, außerdem begleiten mich Dan O’Flynn, Shane, Gary Andrews, Batuti, Matt Davies, Ed Carberry, Stenmark, der Kutscher und Blacky. Ben, du hast also Ferris, Pete Ballie, Al Conroy, Smoky, Sam Roskill, Bob Grey, Will Thorne, Old Donegal, Jeff Bowie, Bill und Luke Morgan unter deinem Kommando.“
„Aye, Sir“, sagte sein Erster Offizier und Bootsmann.
„Und was wird aus Arwenack?“ fragte Philip junior, einer der Zwillinge.
„Der bleibt natürlich bei uns“, erwiderte Dan O’Flynn.
Der Schimpanse hockte denn auch schon zwischen Dan und Batuti auf dem Sand und wartete darauf, daß man in die Boote kletterte. Sir John, der Papagei, saß wie üblich auf der Schulter des Profos’, und somit war von vornherein geregelt, welcher Gruppe er zugeteilt war.
Die Männer stiegen in die Boote und begannen, die Masten zu richten. Die Reise konnte losgehen, sie warteten nur noch auf das Kommando des Seewolfs.
Die Boote legten vom Ufer ab und glitten nach Westen davon. Bei dem beständig wehenden Nordwind setzten die Männer die Segel, eine zügige Fahrt war ihnen vorerst gesichert. Jede Jolle verfügte über ein trapezförmiges Großsegel und eine Fock, die für einen recht beachtlichen Schub sorgten.
„Bei halbem Wind westwärts“, sagte der Kutscher. „Das hört sich fast poetisch an, nicht wahr?“
„Du mit deinen schlauen Sprüchen“, brummte Carberry. „Bete lieber, daß wir nicht absaufen, das ist viel wichtiger.“
Allerdings – beide Boote waren ziemlich überfüllt und hatten starken Tiefgang, hart an der Grenze des Zumutbaren. Irgendwie ging dies alles aber doch, und so begannen einige der Männer schon aufzuatmen, da ihnen der anstrengende, an Kraft und Nerven zehrende Marsch durch die Wüste erspart blieb.
Sie alle aber warfen immer wieder wehmütige Blicke zur „Isabella“ zurück. Allmählich wurden die Konturen des noch aus dem Sand aufragenden Achterkastells kleiner, bald würden sie ganz verschwunden sein. So ließen sie ihre „Old Lady“, die „alte Tante“, wie sie sie immer liebevoll genannt hatten, zurück in einem Grab, das sie bis in alle Ewigkeit versiegeln und erhalten würde, luftdicht abgeschlossen wie die Gräber der Pharaonen. Aus war der Traum von einer ruhmreichen Entdeckung und Erforschung des kürzeren Seeweges nach Indien und von einer aufsehenerregenden Heimkehr nach England. Nie wieder würde das stolze Schiff unter vollem Zeug über die Weltmeere segeln, und dieser Gedanke erfüllte die Seewölfe mit Trauer.
Sie fühlten sich mit ihrem Schiff verwachsen, es war ihr treuer Gefährte auf großer Fahrt gewesen, hatte ihnen Schutz und Verteidigung in oft ausweglos erscheinenden Situationen geboten. Mit der „Isabella“ waren sie mehrfach in der Neuen Welt gewesen, mit ihr hatten sie die gesamte Südsee durchkreuzt, waren im geheimnisvollen China gewesen, im rätselhaften Südland, in Indien und Afrika – und nun mußten sie sie aufgeben.
Ihre Stimmung war miserabel, ihr Tun erschien ihnen wie ein Verrat. Die Enttäuschung über den Verlust ihres Schiffes saß ihnen tief in den Knochen – und die Wut über sich selbst, weil sie einem Phantom nachgejagt und einem ausgekochten Schlitzohr aufgesessen waren.
So war es nicht Hasard allein, der sich wegen dieser Niederlage am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Auch die Crew bereitete sich die bittersten Vorwürfe.
Dreck, dachte Blacky, verfluchter Mist, man hätte Hasard rechtzeitig warnen müssen. Aber wir, was haben wir getan? Ein bißchen gemurrt haben wir, aber dann sind wir doch alle auf den Bastard Ali Abdel Rasul reingefallen.
Wie die blutigen Anfänger haben wir uns benommen, dachte Smoky grimmig, da hat es auch nichts mehr genutzt, daß wir Ali, diesen Hund, nach Strich und Faden verprügelt haben und er jetzt endlich verreckt ist.
Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße, sagte sich Matt Davies im stillen, und es genügt nicht, kräftig mit den Beinen zu strampeln und mit den Armen zu rudern. Hier wieder rauszukommen, wird noch verdammt teuer. Aber wir Affenärsche haben ja selbst schuld.
Dies alles wollte erst einmal verkraftet sein, und ihre Gefühle lagen im heftigen Widerstreit miteinander.
Hasard, der auf der achteren Ducht seiner Jolle saß und die Ruderpinne bediente, drehte sich noch einmal um und sandte einen letzten Blick zur „Isabella VIII.“ zurück. Eine Hand schien sich um sein Herz zu schließen, eiskalt und erbarmungslos, doch er wehrte sich dagegen und schüttelte sie ab.
Rasch wandte er sich wieder seinen Männern zu.
„Hört mal her“, sagte er. „Ich weiß, wie euch zumute ist, aber ihr solltet den Kopf nicht hängen lassen.“
„Mir ist zum Heulen zumute, ehrlich, Dad, Sir“, sagte Philip junior.
„Mir auch“, pflichtete sein Bruder ihm sofort bei.
„Aber dazu besteht kein Grund“, sagte der Seewolf mit fester Stimme. „Haltet euch vor Augen, daß nunmehr endgültig die Heimreise nach England beginnt. Nur daran sollt ihr denken, an nichts anderes. Alles andere hat keinen Sinn.“
„Aye, Sir“, murmelten die Männer.
„Und wir alle sind doch fest entschlossen, in England eine ‚Isabella IX.‘ auf Stapel legen zu lassen, eine neue ‚Lady‘, ein besseres und größeres Schiff als unsere echte ‚Isabella‘, nicht wahr? Oder hat jemand was dagegen?“
„Verdammt, nein, Sir!“ rief Big Old Shane. „Ich will auf der Stelle von dieser Ducht kippen und in dem Scheißkanal hier ersaufen, wenn es nicht unser aller Verlangen ist, so bald wie möglich wieder ein anständiges Schiff unter die Füße zu kriegen.“
„Jawohl“, sagte auch Ferris Tukker.
„Und wenn wir auch die Schätze nicht mitnehmen konnten, sind wir doch andererseits auch nicht mittellos“, sagte Hasard und klopfte mit der Hand gegen den Gürtel, den er wie alle anderen um die Hüften trug.
„Richtig!“ rief Ben Brighton vom anderen Boot herüber. Ihm gelang sogar ein Lachen. „Jeder von uns trägt ein kleines Vermögen, und damit wäre unsere Heimreise nach England schon so gut wie gesichert!“
„Ho!“ schrie der Profos. „Also haben uns die Pharaonen, diese halbverwesten Stockfische und eingewickelten Mumien, am Ende doch noch was genutzt! Beim Henker, Männer, wir könnten uns sogar eine kleine Flotte bauen lassen, wenn wir wollten!“
Die Männer stießen Pfiffe aus und johlten. Jawohl, es war noch nicht alles verloren, sie brauchten sich selbst nicht aufzugeben, und es hatte keinen Zweck, die Dinge in einem zu sentimentalen Licht zu sehen. Schließlich war die „Isabella VIII.“ kein Wesen, sondern nur ein großer Kasten aus Holz und Eisen, der irgendwann sowieso gesunken wäre, im Sturm oder in einer Schlacht.
Die Männer berührten ihre breiten, von Will Thorne genähten Ledergürtel, deren Innentaschen Perlen und Goldstücke bargen. Diese Geste brachte Glück, und sie würde ein gutes Omen für die Zukunft sein.
Diese Ansicht teilte sogar Old Donegal Daniel O’Flynn, der sonst das, was vor ihnen lag, gar nicht schwarz genug malen konnte.
Die „Isabella VIII.“ versank im Sand, sie war von den davonsegelnden Booten aus nun nicht mehr zu erkennen. Somit gehörte ein Stück „Seewölfe-Geschichte“ der Vergangenheit an, doch neue Abenteuer warteten auf Hasard und seine Männer, und er konnte noch froh sein, daß es keine Verluste in den Reihen seiner Crew gegeben hatte.
2.
Die Dunkelheit rückte mit großen Schritten an und warf sich auf das Land Ägypten, als wolle sie es überraschen und überwältigen. Der Wind aus Norden nahm bald zu und pfiff über die Dünen und kahlen Felsen der Wüste. Er trieb wieder feinen Sand in die harten und verkniffenen Gesichter der Männer, und unwillkürlich duckten sie sich auf den Duchten ihrer Boote, denn sie befürchteten den Ausbruch eines neuen Sandsturms.
Wie so ein Sandsturm verlief, hatten sie ja nun schon zur Genüge erlebt. Nach einem neuerlichen „Wüstenorkan“, wie Carberry das Wetter nannte, stand ihnen nicht der Sinn, aber sie wußten natürlich, daß sie den Unbilden der Natur keinen Einhalt gebieten konnten.
Es nahte jedoch kein Sandsturm, sondern in dieser Nacht vom 20. auf den 21. Mai wurden sie von den Ausläufern eines schweren Wetters erreicht, das von Norden her gegen die nordafrikanische Küste brandete. So war der Andrang der Sandmassen relativ gering. Richtig beängstigend war der Vormarsch der Dünen nur, wenn er aus der Wüste heraus erfolgte, also von Osten oder von Süden.
Rasch legte sich die Unruhe der Männer, es bestand keine Gefahr, daß auch dieser Teil des Kanals zuwehte, vorläufig jedenfalls nicht. Vielmehr konnten sie die Ausläufer des Sturmes wahrnehmen und mit ihren Booten unter Höchstfahrt nach Westen segeln, so schnell, wie sie in ihren kühnsten Erwartungen nicht zu hoffen gewagt hatten.
„Geigt voran die Kähne!“ schrie Carberry im Jaulen des Windes. „Vorwärts, vorwärts, nutzen wir’s aus! So eine Gelegenheit kriegen wir so schnell nicht wieder!“
„Stimmt genau“, meinte im zweiten Boot Ferris Tucker und grinste. „He, Ben, weißt du eigentlich, wie weit es noch bis zu der Gabelung ist, an der wir den Seitenarm des Nils passiert haben?“
„In Meilen natürlich nicht“, erwiderte Ben Brighton.
„Etwa siebzig, achtzig Meilen!“ schrie Hasard aus seinem Boot herüber. Er hatte jedes Wort verstanden. „Wenn wir weiterhin Glück mit dem Wind haben, sind wir morgen abend bereits in dem Delta-Arm!“
„Na, Gott sei Dank“, sagte der Kutscher. „Wenn wir den erst mal erreicht haben, geht alles viel leichter. Dann haben wir die Strömung, für den Fall, daß der Wind mal wieder einschläft.“
„Und wir brauchen kaum einen Finger zu krümmen“, meinte Dan O’Flynn. „Das wird so ein richtiger Spaziertörn, bei dem wir uns endlich mal wieder ausruhen können.“
„Sag das nicht zu früh“, warnte Gary Andrews.
„Hör auf“, sagte Stenmark. „Wir werden ja wohl nicht immer vom Pech verfolgt sein.“
„Bestimmt nicht“, brummte Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia. „Morgen wird schöner Tag, Ägypten vergessen, Seewölfe hauen ab.“
„Holla!“ rief Big Old Shane. „Du hast dich wohl in den Entfernungen vertan, was? So schnell, wie du denkst, gelangen wir hier nicht heraus!“
„Aber Batuti riecht schon Salzluft“, sagte der schwarze Riese.
„Das ist der Sand, der dir in den Nasenlöchern sitzt!“ rief Blacky.
„Sand nicht salzig“, gab der schwarze Herkules empört zurück.
„Wieso?“ sagte Stenmark erstaunt. „Hast du ihn auch schon im Mund, daß du ihn schmecken kannst?“
„Blöder Hund“, sagte Batuti.
Die anderen lachten. Die Stimmung besserte sich, ab und zu wurden endlich wieder Witze gerissen. Die Boote schoben sich schneller voran, und mit jedem Yard rückte das ersehnte Ziel näher. Bald schien man die Salzluft des Mittelmeers wirklich zu spüren. Schließlich wehte der Wind ja aus Norden.
Hasard schöpfte neue Zuversicht, er hatte die berechtigte Hoffnung, daß nun doch noch alles gut wurde.
Zu dieser selben Zeit bahnte sich auf dem Mittelmeer, vor der Küste nur wenige Meilen vor Damiette an der östlichen Nilmündung, ein Drama an. Ein holländischer Handelsfahrer, der nach Beirut wollte, war in den Sturm geraten, der ihn unbarmherzig auf Legerwall trieb.
Die „Zeland“ – so hieß das Schiff – konnte sich trotz aller verzweifelten Bemühungen seiner Mannschaft nicht mehr freisegeln und geriet immer dichter an die Küste. Da nutzte es nichts, daß sich der Kapitän die Seele aus dem Leib brüllte, daß der Bootsmann selbst aufs Hauptdeck stürzte und mit anpackte, daß der Profos auf die Mannschaft einhieb: Die „Zeland“ war verloren, ihr Schicksal schon jetzt besiegelt.
Der Seegang zerschlug die Oberdecksluken. Die Schreie der entsetzten Männer gellten durch die Nacht. Brecher ergossen sich rauschend in die Frachträume und spülten alles und jeden fort, der ihnen im Wege war.
Das eingedrungene Wasser war mit den Pumpen beim besten Willen nicht mehr zu lenzen, die Männer mußten es aufgeben, gegen die Fluten anzukämpfen. Die furchtbaren Schreie nahmen zu und wurden im Brüllen der See hier und da erstickt – Männer wurden über Bord gerissen und ertranken, ohne daß ihre Kameraden etwas für ihre Rettung tun konnten.
Wie ein krankes Riesentier taumelte die „Zeland“ nun in den Fluten. Mit ihrem Wasserballast wurde sie immer schwerer und unhandlicher. Der Rudergänger konnte den Kolderstock kaum noch dirigieren, das Schiff drohte quer zu treiben. Immer stärker krängte es nach Backbord.
Schließlich geschah das Unvermeidliche: Die „Zeland“ ging auf Tiefe. Mit einem wüsten Ruck setzte ihr Kiel auf und wühlte sich in Sandbänken fest. Der Fockmast und der Besanmast knickten wie lächerliche Hölzchen weg, nur der Großmast überstand das Toben und Tosen und ragte noch über das kochende Wasser hinaus.
Für die Achterdecksleute und die Mannschaft schien es keine Chance mehr zu geben, alle waren zum Sterben verdammt.
Todesschreie wehten durch die Nacht und verklangen ungehört an der Küste. Niemand nahm die Tragödie der „Zeland“ zur Kenntnis, kein Schiff verließ Damiette, um den in höchster Not Schwebenden Beistand zu leisten.
In den Dörfern des Deltas nahe der Küste duckten sich die Fellachen und die Fischer tiefer unter ihre Decken und flehten zu Allah, daß der Sturm bald vorbei sein möge und keinen Schaden anrichte. Kein Mensch wagte sich in die Nacht hinaus, in der Scheitan höchstpersönlich zornschnaubend seine Peitsche zu schwingen schien.
Jack Finnegan, Decksmann der „Zeland“, wurde von den sprudelnden Fluten aus dem Vordeck gespült, stieß sich am Schott den Kopf und drohte die Besinnung zu verlieren. Heftig bewegte er sich in dem dunklen Naß, um sich mit der Auftriebskraft zur Oberfläche nehmen zu lassen. Fast schluckte er einen großen Schwall Wasser, so groß war in diesem Moment seine Angst vor dem Ertrinken.
O Lord, er hatte Angst, ja, wahrhaftig – vielleicht zum erstenmal in seinem bewegten, abenteuerlichen Leben saß ihm die Furcht wie ein Gespenst im Nacken. Er schämte sich dessen nicht, denn er wußte nur zu gut, wie ihm geschah, wenn sein verzweifeltes Unternehmen nicht gelang. Er dachte an seine Mutter und an seinen Vater, betete zum Himmel, verfluchte sich selbst und streckte seine Hände nach oben, um sich irgendwo festzuhalten oder ein drohendes Hindernis abzuwehren.
Er konnte gegen den Hauptmast geworfen werden oder sich in den Wanten verstricken, beides bedeutete den sicheren Tod. Er konnte sich den Schädel einstoßen oder durch ein Fall, eine Brasse oder eine Schot erwürgt werden, wenn er sich daran verfing. All dies schoß ihm durch den Kopf, während er durch die wogenden Fluten wirbelte.
Er hatte keine Macht mehr über sein Leben und war Zufall und Willkür überlassen.
Was war aus den anderen geworden, aus Paddy Rogers zum Beispiel, seinem Landsmann, mit dem er sich so gut verstanden hatte? Finnegan gab jede Hoffnung auf, noch mit irgend jemandem zusammenzutreffen. Es war aus, für sie alle aus, es wäre ein Wunder gewesen, wenn es ihm gelang, die eigene Haut zu retten.
Plötzlich brach das Wasser über ihm auf. Er schoß ein Stück über die Oberfläche hinaus und sank dann wieder zurück. Sein Keuchen und wildes Atemholen wurden um ein Haar wieder durch die Fluten unterbunden. Dann aber gelang es ihm, sich durch angestrengtes Wassertreten zu halten, und endlich füllten sich seine Lungen wieder, bevor es endgültig zu spät für ihn war.
Seine Hände krallten sich mit einemmal in etwas Widerspenstiges. Die Wanten, durchzuckte es ihn. Er klammerte sich mit aller Kraft daran fest, fluchte, japste, schloß Mund und Augen unter einem herandonnernden Brecher, wurde durchgeschüttelt und sah seinen Tod mit grinsendem Antlitz aus der Finsternis emporsteigen und mit einem scharfen Säbel nach sich schlagen – und doch ließ er die Wanten des Großmastes nicht los.
Das Wasser rauschte über die Kuhl der „Zeland“, der Spiegel senkte sich wieder. Finnegan vermochte in den Wanten hochzuklettern. Er biß die Zähne zusammen und klomm hoch, so schnell er konnte. So schaffte er es, der Urgewalt des nächsten Brechers zu entgehen. Orgelnd rollten die Wassermassen dicht unter seinen Beinen vorbei.
Er atmete auf und dankte in seinem Herzen Gott, daß er ihm geholfen hatte. Sein Grab hatte schon im Vordeck sein sollen, wo er, halb eingekeilt zwischen Schott und Niedergang, plötzlich nicht mehr weitergekonnt hatte, während alle anderen schreiend entwichen waren, aber dann hatte ihn das eindringende Wasser aus seiner Lage befreit.
Hölle und Teufel wollten ihn nicht, noch schien seine Stunde nicht geschlagen zu haben. O Jesus, dachte er, dies ist wirklich eine Gabe des Himmels, ich werde das nie vergessen.
Er war nie ein allzu gläubiger Mann gewesen, doch jetzt beschloß er, für alles geradezustehen, was er an Sünden verbrochen hatte. Kein Whisky mehr, dachte er, kein Brandy, kein Rum und auch keine Weiber – von heute an wirst du ein anständiger Mensch, Jack Finnegan, du Satansbraten. Keine Schlägereien mehr, kein Fluchen, das alles ist vorbei.
Er hatte ähnliche Vorsätze allerdings schon einmal gefaßt, das war 1586 bei einem schweren Sturm im Atlantik gewesen, als er noch Moses auf einem Seelenverkäufer aus Bristol gewesen war, der bei Brest seinen Geist aufgegeben hatte. Damals war es ihm nicht ganz so schlimm ergangen wie in dieser Nacht, aber er hatte sich fest vorgenommen, sich fortan in die Abgeschiedenheit eines Klosters zurückzuziehen und fromm zu werden.
Daraus war dann aber doch nichts geworden. Brest und dessen Hafenkneipen waren daran schuld gewesen, die hübschen Mädchen und der gute französische Wein.
Finnegan hing wie ein Affe in den Wanten und versuchte, noch höher zu klettern. Seine Rettung war die Marsplattform, dort konnte er sich gegen das schlimmste Wüten des Wetters behaupten.
Plötzlich vernahm er im Heulen und Brausen einen schwachen Ruf. Er hob den Kopf und sah undeutlich zwei Gestalten, die auf der anderen Seite des Großmastes wie nasse Säkke von den Wanten der Steuerbordseite herabbaumelten.
Sie hangelten da herum und trachteten, sich höher hinaufzubringen, genau wie er. Also war er nicht der einzige Überlebende des Unglücks! Er lachte rauh auf und sagte sich: Beim Donner, nicht nur du bist so zäh wie eine Katze, Jack, alter Freund, es gibt noch mehr harte Burschen auf diesem Teufelskahn.
„He!“ schrie er. „Wer seid ihr?“
Er konnte beim besten Willen nicht erkennen, um welche Kameraden es sich handelte, dazu war es zu dunkel, außerdem verschlechterten Gischt und Regen die Sicht erheblich.
Tasuta katkend on lõppenud.