Seewölfe - Piraten der Weltmeere 297

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 297
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-694-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Es war wieder Ruhe eingekehrt an diesem Teil der bretonischen Küste beim Pointe de Penmarch, jener kühn in den Atlantik ragenden Landspitze im Süden der langgezogenen Bucht von d’Audierne.

Aber diese Ruhe war trügerisch.

Das wußten auch die dreizehn Männer, die mit zwei Booten an Land gepullt waren, um das zu vollenden, was vor dem Pointe de Penmarch auf See begonnen hatte, nämlich die Zerschlagung und Vernichtung der Piratenhorde des Yves Grammont.

Dieser hartnäckige Schlagetot hatte es tatsächlich geschafft, mit ein paar von seinen Kerlen die „Fidelity“ zu entern, die unterbemannt und noch dazu auf eine Sandbank vor dem Pointe de Penmarch gelaufen war.

Die paar Männer auf der „Fidelity“ unter George Baxter, dem kahlköpfigen Profos, hatten Grammont und seinen Schnapphähnen zwar einen erbitterten Kampf geliefert, dann aber das Feld räumen müssen.

Es war ihre einzige Chance gewesen, zu überleben, denn die „Hornet“ unter Philip Hasard Killigrew und „Eiliger Drache über den Wassern“ waren aufgetaucht. Baxter, Ray Hoback, Le Testu, Montbars und Albert hatten sich auf die „Hornet“ retten können. Ein paar andere waren vielleicht an Land geschwommen, um dem Massaker durch die Piraten zu entgehen.

Die Falle, die Grammont den Seewölfen gestellt hatte, als sie mit der „Hornet“ an die „Fidelity“ heransegelten, um Hilfe zu leisten, war nicht zugeklappt, denn Baxter hatte die Seewölfe warnen können, daß Grammont jetzt an Bord der „Fidelity“ wäre.

Dafür waren die Seewölfe beigegangen, nunmehr die „Fidelity“ regelrecht abzutakeln. In mehreren Anläufen hatten sie die Galeone zusammengeschossen, bis ihre letzten Reste schließlich in die Luft geflogen waren. Gleichzeitig hatte Arne, Stellvertreter des Wikingers Thorfin Njal, die „Louise II“ – auch eine Galeone der Piraten Grammonts – mit dem Schwarzen Segler verfolgt und dicht vor der Küste von Pointe de Penmarch ebenfalls zu den Fischen geschickt. Das heißt, die „Louise II“ war aufgebrummt und brannte aus.

Um nach Überlebenden der „Fidelity“-Crew, aber auch nach Grammont und seinen letzten Schnapphähnen zu suchen, hatte Hasard einen Trupp unter Führung des Wikingers, Jerry Reeves’ und Jean Ribaults an Land geschickt. Zu diesem Kommando gehörten ferner George Baxter, Stoker, Mulligan, Le Testu, Montbars, Eike, Arne, Olig, der Boston-Mann und Nils Larsen.

Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet, denn der Oberschnapphahn Yves Grammont war gut für jegliche Art von Überraschung, auch wenn er sich schwimmend und wahrscheinlich ohne Waffen an Land gerettet hatte.

Mit zwei Kerlen hatte er sich von der „Fidelity“ abgesetzt, kurz bevor sie in die Luft geflogen war. Aber auch von der brennenden „Louise II“ waren Kerle an Land geschwommen. Die Männer des Landetrupps mußten also damit rechnen, daß die kleine Gruppe Grammonts von diesen Kerlen verstärkt wurde.

Ferner konnte durchaus sein, daß Grammont wie überall an der bretonischen Küste auch hier Verbündete hatte. Oder er hatte hier einen Schlupfwinkel, vielleicht sogar ein Depot, aus dem er sich und seine Kerle mit Waffen versorgen konnte.

Wie gesagt, Grammont war für jede Art von Überraschung gut, und er war ein zäher Knochen, was er wieder einmal unter Beweis gestellt hatte, als er die „Fidelity“ geentert und zäh bis zum letzten verteidigt hatte.

Dieser Mann hatte schwere Schläge von den Engländern unter Hasard und zuletzt von der Crew des Wikingers einstecken müssen, dennoch schien er weit davon entfernt zu sein, die Flagge zu streichen und zu kapitulieren.

Ja, es konnte durchaus sein, daß dieser bretonische Oberschnapphahn, der bisher auf Rechnung der Spanier britische Schiffe überfallen hatte, dazu überging, aus lauter Wut über seine Schlappen auf eigene Faust gegen die Engländer zu arbeiten, sobald die Seewölfe, die sich als eine zu harte Nuß für ihn erwiesen hatten, wieder abgezogen waren. Zuzutrauen war ihm eine solche Reaktion.

Das war also der Grund, warum Hasard einen Landetrupp zur Küste geschickt hatte, während die „Hornet“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ draußen vor den Sandbänken ankerten.

Außerdem sollten sich die Männer nach einem geeigneten Baum umsehen, denn die „Hornet“ brauchte einen neuen Fockmast, weil der alte beim Sturm außenbords gegangen und sein letzter Stummelrest beim Gefecht mit den Piraten zerschossen worden war. Überhaupt, so ganz ungerupft war die „Hornet“ bei den letzten Gefechten auch nicht geblieben, wobei allerdings von allen Schäden der Verlust des Fockmastes am meisten zählte.

Immerhin – jetzt ging es auf das Ende des Raids vor den Küsten der Bretagne hin, von wo aus Yves Grammont im Sold Spaniens seine wilden Überfälle auf englische Schiffe unternommen hatte.

Lucio do Velho, der eigentliche Drahtzieher dieser Überfälle, und zwei seiner Agenten, nämlich Bonano und Quintaval, befanden sich im Vordeck von „Eiliger Drache über den Wassern“ hinter Schloß und Riegel. Dort auch lagerte wohlverwahrt an Bord die Truhe mit den Geldern, die do Velho als Kriegskasse gedient hatten, um Grammonts Unternehmungen zu finanzieren. Außerdem enthielt diese Truhe ein Dokument, das Hasard als Beweis dienen würde, den spanischen König als den Urheber der Störaktionen gegen die englischen Schiffe zu entlarven. Dieses Dokument war fast wichtiger als die Gelder in der Truhe, denn es legte Zeugnis ab von den aggressiven Absichten Spaniens gegen England.

Aber auch die „Hornet“ hatte Gefangene an Bord – in der Vorpiek den verräterischen Easton Terry und zwei französische Soldaten sowie im Laderaum den Lieutenant mit den restlichen achtunddreißig Soldaten, deren Aufgabe es gewesen war, die in Concarneau überrumpelten und gefangengenommenen Seewölfe auf dem Seeweg und mit der „Hornet“ nach Brest zur Verurteilung zu bringen. Aber die Seewölfe unter Hasard hatten den Spieß wieder umdrehen können.

Und noch etwas befand sich auf der „Hörnet“: eine Schatulle Yves Grammonts, schön gefüllt mit Golddublonen. Auch deswegen war Yves Grammont so versessen darauf, es den Seewölfen doch noch heimzahlen zu können. Als sein Flaggschiff, die „Louise“, von den Seewölfen geentert worden war, hatten sie diese Schatulle natürlich mitgehen lassen. Grammont war fast wahnsinnig geworden vor Wut, als er diesen Verlust bemerkt hatte. Nichts trifft einen Schnapphahn härter, als wenn man ihm das nimmt, was er sich selbst zusammengeräubert hat.

Alles zusammengenommen, stand die Sache für die Seewölfe gar nicht so schlecht.

Jedenfalls fand das Thorfin Njal, der jetzt dem Landetrupp vorausstapfte – ein Klotz von Kerl, ein Riese, der mit seinem Kupferhelm, der Fellkleidung und den um die Waden geschnürten Riemensandalen wie ein Monster aus grauer Vorzeit wirkte.

Zu diesem Eindruck trug auch der riesige Byhänder bei, ein Schwert, das er mit beiden Fäusten im Kampf zu führen pflegte, als handhabe er eine übergroße Axt. Dieses Monstrum nannte er sein „Messerchen“, was echt untertrieben war, denn das Ding war schon für zwei ausgewachsene Männer schwer genug.

Jetzt steckte dieses „Messerchen“ in der gehämmerten Scheide an der linken Hüfte Thorfin Njals, und die Spitze dieser Scheide schleifte durch den Sand, eine Furche ziehend wie ein Pflug. Diese Furche hätte getrost als Laufgang für einen Maulwurf dienen können – oder als Saatrinne für Kartoffeln, die Francis Drake nach Europa gebracht hatte.

Dann war ein „Kling!“ zu hören, und der Riese stoppte, drehte sich um und starrte Jean Ribault an, der hinter ihm marschierte und ihn angrinste.

Die ganze Kolonne hielt an.

„Was war das?“ fragte der Riese grollend. „Hast du es gehört?“

Jean Ribault nickte und grinste weiter. Er sagte: „Du bist mit deinem Piekser gegen einen Stein gestoßen.“

Der Riese runzelte die mächtige Stirn unter dem Kupferhelm. „Mit wem?“

Jean Ribaults Grinsen wurde geradezu unverschämt. „Mit deinem Piekser, mein Guter!“ Er deutete auf die Furche. „Schau dir mal den Graben an, den du mit deinem Piekser aushebst. Kannst du das Ding nicht höher schnallen? Bei jedem Stein, der dir im Weg liegt, stößt du mit deinem Piekser dagegen, und dann gibt’s ein Boing! Das ist auf zehn Meilen zu hören. Da weiß der liebe Grammont wenigstens gleich, wer im Anmarsch ist, nicht wahr?“

„So! Aha!“ Der Riese ruckelte an dem Wehrgehänge und zerrte es über den Bauchnabel.

Die Männer hinter Jean Ribault waren am Grinsen.

Der Riese sagte: „Und wie hast du mein Messerchen genannt?“

„Piekser!“

„Das ist kein Piekser, sondern ein Messerchen, verstanden?“

„Und wo ist da der Unterschied?“

 

„Das ist ein Schwert!“ brüllte Thorfin Njal. „Bei Thor! Schon mein Urahn führte es, als er gen Island segelte.“

„Aha“, sagte Jean Ribault ungerührt. „Dann sieh mal zu, daß du ein paar kleine Thorfins in die Welt setzt, damit das gute Stück der Familie erhalten bleibt. Du kommst jetzt in die Jahre, mein Guter. Da mußt du zusehen, daß die Sippe nicht eingeht.“

Der Riese kratzte sich am Kupferhelm, und es war gut, daß sich Edwin Carberry und Ferris Tucker auf der „Hornet“ befanden und dieses Kratzen nicht mit ansehen mußten. Sie wären wieder mal aus der Haut gefahren.

Aber dann rupfte der Muskelberg an seinem rötlichgrauen Bart und murmelte: „Mal sehen.“

Er drehte sich abrupt um und stampfte weiter. Sein „Messerchen“ schleifte nicht mehr durch den Sand.

Was dieses „mal sehen“ bedeuten sollte, war Jean Ribault nicht so recht klar, aber sicherlich hatte er den Riesen auf die Idee gebracht, an seine Nachkommenschaft zu denken, die es noch nicht gab. Wenn er Hasards Zwillinge betrachtete, wurde der Ausdruck in seinem Gesicht stets recht träumerisch, das war Jean Ribault bereits aufgefallen.

Dann sieh mal zu, dachte Jean Ribault und lächelte. Vielleicht wartet ja schon so eine blonde und große Gudrun auf dich da oben im eisigen Norden.

Sie waren nicht den drei Spuren im Sand gefolgt, die Yves Grammont und seine beiden Kumpane zurückgelassen hatten. Diese Spuren führten auf ein Gehölz hinter der Strandzone zu. Nein, sie hatten die direkte Richtung dorthin gemieden und marschierten in einem Bogen auf das Gehölz zu.

Daß sie alle dreizehn mehr oder weniger zusammenblieben, hatte seine Richtigkeit. Wenn sie sich allerdings über den ganzen Strand breit verteilt hätten, wäre ihr rechter Flügel an die Landzunge gestoßen, die wallartig oder wie ein Damm in die See ragte und eine weitere Bucht abschirmte, die von See her nicht einzusehen war.

Aber sie konzentrierten sich auf das Gehölz, in dem Grammont und seine beiden Kumpane verschwunden waren. Und so entging ihnen die Gruppe, die hinter dieser Landzunge lag und sie beobachtete. Auch die einmastige Schaluppe, die in der Bucht ankerte, wäre ihnen aufgefallen, zumal sie mit einem Bug- und einem Heckgeschütz armiert war.

In der Gruppe der Beobachter jedoch hätten sie eine alte Bekannte entdeckt – ein blondes, langbeiniges und ausnehmend hübsches Wesen namens Lucille, ein Wesen, dessen Tätigkeit darin bestand, Männer um den kleinen Finger zu wickeln und ihnen zwecks Bereicherung der eigenen Geldkatze den Kopf zu verdrehen. Die Liebe spielte da ihre uralte Rolle, und man hätte nicht behaupten können, die hübsche Lucille wäre in diesem Metier eine Anfängerin. Nein, ganz und gar nicht.

In dem Netz, das sie ausgeworfen hatte, um reich zu werden, zappelte dieses Mal ein Fisch namens Jean-Luc Martier, seines Zeichens Hafenkapitän von Concarneau, jetzt aber finster entschlossen, diesem Titel und der damit verbundenen Tätigkeit zu entsagen und statt dessen auf einen Schlag reich zu werden, was es ihm wiederum ermöglichen würde, fürderhin ein faules, aber lustvolles Leben an der Seite der schönen Lucille zu führen.

In diesem Netz hatten zuvor bereits Albert, der „Bucklige“ von Quimper, Yves Grammont, zeitweise auch Easton Terry und – mehr zweckgebunden – Lucio do Velho gezappelt. Auch den Küstenwolf Le Marocain hatte sie in dieses Netz verstrickt, aber der weilte nunmehr bereits in der Hölle.

Das blonde Engelchen verfügte über das seltene Geschick, immer wieder einen Dummen zu finden, der ihr ihren Traum vom Reichwerden erfüllen sollte. Natürlich setzte sie dafür alle ihre Reize ein, über die sie in bestrickender Weise verfügte.

Jetzt also lag sie mit Jean-Luc Martier und zehn Soldaten hinter der Landzunge in guter Deckung und beobachtete den Landetrupp. Und es war für alle nicht schwer zu erraten, daß die dreizehn Männer, die mit den beiden Jollen gelandet waren, hinter Grammont und seinen Kumpanen her waren, die sich schwimmend an Land gerettet hatten.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, hatte Jean-Luc Martier gemeint. Und darauf lauerten die zwölf nun, wobei sich Martier durchaus darüber im klaren war, daß es ihm keineswegs behagen würde, mit diesen dreizehn Kerlen aneinanderzugeraten, vor allem nicht mit diesem wüsten, behelmten Riesen, der offenbar aus der wilden Zeit der Wikinger übriggeblieben war. So etwas sollte es ja geben, und der Teufel mochte wissen, wie das Geschlecht dieser Nordlandleute die Jahrhunderte überdauert hatte.

Freilich hatte er überhaupt nichts dagegen, wenn sich dieser Riese und seine Leute und die Kerle Grammonts gegenseitig umbrachten – je mehr, desto besser, vor allem bei dem Landetrupp, denn das würde sein eigenes Vorhaben begünstigen, das in seinem Kopf bereits bestimmte Formen annahm.

Thorfin Njal indessen und seine Mannen rückten unverdrossen auf das Gehölz zu und ahnten nichts von jener Gruppe hinter der Landzunge.

Die zehn Soldaten dieser Gruppe wiederum ahnten nichts von den Absichten des Hafenkapitäns, dem sie auf Anordnung des Stadtkommandanten von Concarneau – René Douglas – unterstellt worden waren, zwecks Ausrottung der Piraten Grammonts, die ja in der Festung wie die Vandalen gewütet hatten.

Nein, diese zehn Soldaten wußten nicht, daß Jean-Luc Martier ein ganz besonderes, privates Süppchen kochen wollte, bei dem ihm die Piraten Grammonts völlig gleichgültig waren. Sie fanden diesen „Ausflug“ per Schaluppe sehr abwechslungsreich, zumal sich bisher keine kriegerischen Verwicklungen ergeben hatten.

Und sie hatten gar nichts dagegen, statt dessen in einer Dünenmulde auf dem Bauch zu liegen und sich genüßlichen Gedanken zu widmen, die allesamt mit jener Person zu tun hatten und um sie kreisten, die in ihrer Mitte lag – Lucille, dem blonden Engelchen, das ein Satansbraten war. Diese Gedanken der zehn Soldaten waren recht sündig.

Die zwölf Männer unter Thorfin Njal drangen in das Gehölz ein und bahnten sich einen Weg durch den Verhau, der aus verfilzten Dornenhecken, Buschgestrüpp und krüppeligem Nadelholz bestand. Als sie einen Wildpfad fanden, zog sich der Trupp auseinander, und es war der Profos George Baxter, der am Schluß marschierte und plötzlich ein entsetzliches Stöhnen hörte, ein Stöhnen, das ihm durch Mark und Bein ging.

Er blieb stehen und schaute nach rechts, von wo er das Stöhnen zu hören meinte. Aber da verbaute ihm eine Hecke die Sicht. Auch Stoker und Mulligan, die sich vor ihm befunden hatten, waren stehengeblieben und lauschten.

„Mann, was ist das denn?“ stieß Mulligan hervor. Der Schiffszimmermann der „Fidelity“ war grob und ungeschlacht, aber das täuschte. Im Grunde hatte er ein schlichtes und einfaches Gemüt – ein sympathischer Kerl, hatten die Seewölfe gefunden, und sie hatten weiß Gott einen Blick für einen guten Mann.

In Mulligans Frage schwang leichtes Entsetzen mit. Für die Welt der Geister, Kobolde und Spukwesen war er recht empfänglich.

Stoker, der ehemalige Decksälteste der „Fidelity“-Crew, war da hartgesottener. Das Stöhnen regte ihn nicht weiter auf. Manche hielten ihn für dumm, aber auch das stimmte nicht. Jetzt hatte er einen lauernden Ausdruck im Gesicht, während er lauschte.

Baxter wandte den Kopf und blickte Mulligan aus seinen harten blauen Augen an.

„Könnte ein Verwundeter aus unserer Crew sein“, sagte er verhalten. Und entschlossen fügte er hinzu: „Ich schau mal nach.“

„Ja, tu das“, sagte Mulligan. „Wir warten.“

Baxter nickte, umging die Hecke und drang tiefer in den Verhau ein.

Mulligan stand der Schweiß auf der Stirn …

2.

Der Stör rülpste laut und vernehmlich. Die Suppe, die er sich aus der Kombüse des Schwarzen Seglers geholt hatte, war nicht zu verachten.

Cookie, der dicke und träge Koch auf „Eiliger Drache über den Wassern“, war, was die Zubereitung der Speisen für die Crew betraf, zwar kein besonderes Kirchenlicht, aber dieses Süppchen hatte er ausnahmsweise einmal nicht vermasselt.

Der Stör saß vor dem Schott zu dem Vordecksraum, in dem Lucio do Velho, Bonano und Quintaval eingesperrt waren, und löffelte voller Genuß die Muck mit der Suppe leer. Anschließend wischte er sie mit dem Zeigefinger sauber, und zwar derart gründlich, daß sie wie abgewaschen und besser aussah, als er sie von Cookie in Empfang genommen hatte.

Denn Cookie gehörte nicht zu den Saubersten auf „Eiliger Drache über den Wassern“, und seine Töpfe und Pfannen klebten mitunter prächtig zusammen. Für die Kakerlaken stellten sie ein Paradies dar, aber selbst diese fleißigen Tierchen schafften es nicht, die klebenden Essensreste zu verputzen, obwohl sich inzwischen ganze Armeen in Cookies Kombüse angesammelt hatten.

Der Stör mit seinem beängstigend langen Gesicht sann über das Süppchen nach und gelangte zu dem Schluß, sich noch einen Nachschlag zu holen, ehe die anderen Kerle den Suppentopf leerten.

Solche gelungenen Süppchen mußte man voll auskosten, nicht wahr? Wer wußte schon, was der Dicke bei der nächsten Mahlzeit zusammenpanschen würde!

Der Stör rappelte sich auf, legte das Ohr ans Schott und lauschte. Da drinnen rührte sich nichts.

„Alles klar bei euch?“ fragte er leutselig und gutgelaunt, denn das Süppchen in seinem Magen war so recht dazu angetan, ein angenehmes Wohlbefinden zu erzeugen.

Dieses Wohlbefinden konnte auch nicht erschüttert werden, als der Spanier Quintaval, dieses ausgemergelte Buschgespenst mit den dürren Skeletthänden, die Frage des Störs mit einer Unanständigkeit beantwortete, die besagte, was der Stör ihn könne. Es war eine Aufforderung, ihm doch, bitte sehr, jenen Teil des Körpers zu reinigen, auf dem man zu sitzen pflegt.

Mit leerem Magen hätte sich der Stör jetzt in den Vordecksraum gestürzt und das Gerippe des Señor Quintaval ein bißchen durchgeschüttelt und zum Klappern gebracht. Aber da er einen vollen und somit wohligen Magen hatte, sah er von einer solchen Maßnahme ab und revanchierte sich nur damit, daß er den Señor Quintaval „eine abgemagerte Wildsau“ nannte, der er keineswegs den Gefallen tun werde, der Aufforderung zwecks Reinigung Folge zu leisten.

Als die drei Kerle in dem Vordecksraum wild und ausgiebig fluchten – sogar Lucio do Velho, der sonst sehr auf vornehme Etikette hielt –, grinste der Stör zufrieden.

Er hätte nicht mehr gegrinst, wenn er das Schott entriegelt und den Vordecksraum betreten hätte. Denn seine drei Gefangenen, die er bewachen sollte, hatten sich bereits ihrer Fesseln entledigt und waren bereit, über ihn herzufallen.

Lucio do Velho stand knapp zwei Schritte vor dem Schott, um den Stör in Empfang zu nehmen, und Bonano hatte sich rechts des Schotts aufgebaut, das nach draußen aufging. Die „abgemagerte Wildsau“ Quintaval hatte links des Schotts Aufstellung genommen, und beide – Bonano und Quintaval – lauerten nur darauf, sich über den eintretenden Stör zu stürzen.

Aber der war offensichtlich zu stur oder zu abgebrüht, um auf die grobe Aufforderung Quintavals zu reagieren.

Als der Stör seine Suppe holte, hatten sie zwar schon an den Scharnieren der Tür gearbeitet, um sie zu lokkern und dann aufzubrechen, aber dann hatten sie diese Tätigkeit einstellen müssen, als der Stör zurückgekehrt war und sich vor das Schott gesetzt hatte, um die Muck leerzulöffeln. Sie hatten deutlich gehört, wie der Kerl geschmatzt, gegrunzt und gerülpst hatte.

Natürlich hätten sie sich jetzt zu dritt gegen das Schott werfen können – in der Hoffnung, es aufzubrechen. Aber Lucio do Velho hatte abgewinkt. Er hatte den Eindruck gehabt, daß die Scharniere noch hielten. Und er wollte auf Nummer Sicher gehen.

Deshalb hatte er gehofft, Quintavals freundliche Aufforderung würde den Stör verlocken, das Schott zu öffnen und den Raum zu betreten.

Fehlanzeige!

Darum brüllte er jetzt wutentbrannt und als keineswegs mehr beherrschter Kavalier: „Und du bist ein in Felle gewickeltes, stinkendes Wildsau-Ferkel, das sich im Dreck suhlt und vor Wonne grunzt, wenn es sich mit Schlamm zudecken kann!“

„… mit Schlamm zudecken kann“, wiederholte der Stör draußen vorm Schott und fand das furchtbar lustig, wobei er ganz vergaß, daß er mal wieder in seine alte Angewohnheit zurückgefallen war, das nachzuplappern, was er gerade gehört hatte. Er kicherte, dieser Stör, klopfte gegen das Schott und rief: „Das ist wirklich gut, ihr Schneckenfresser! Das muß ich mir merken!“

Richtig fröhlich war der Stör und keineswegs beleidigt, daß er mit einem grunzenden und sich suhlenden Wildsau-Ferkel verglichen wurde. Und somit war Lucio do Velhos psychologische Kriegführung mit dem Ziel, den Stör zu reizen und in den Raum zu locken, wiederum fehlgeschlagen. Nicht zu fassen war das!

 

Da ging do Velho aufs Ganze und brüllte: „He, du stinkender Fellaffe, was sagst du, wenn wir unsere Fesseln gelöst haben und nur darauf warten, daß du das Schott öffnest, damit wir dir den dreckigen Hals umdrehen können?“

Lucio do Velho setzte damit wirklich alles auf eine Karte, denn sie hatten nichts mehr zu verlieren und konnten nur noch gewinnen, aber er erzielte beim Stör nichts weiter als einen Heiterkeitserfolg.

Der Stör wieherte wie ein altes Schlachtroß und hielt die Behauptung do Velhos für einen herrlichen Witz.

„Ho-ho!“ grölte er. Und: „Ha-ha! Was ihr doch für Schelme seid!“

Und damit zog er ab, um sich noch ein Süppchen zu holen. Lucio do Velho war nahe daran, hysterisch zu werden. Bonano nahm’s gelassener.

„Ein selten dämlicher Hund“, sagte er und lauschte an dem Schott. „Er haut ab, um sich offenbar noch einen Schlag Suppe zu holen. Los, Quintaval, versuchen wir’s wieder mit den beiden Türscharnieren!“

Sie benutzten – wie schon zuvor – die Dorne ihrer Gürtelschnallen, um das Holz, in das die Scharniere eingelassen waren, aufzusplittern und spanweise abzuheben. Quintaval arbeitete an dem oberen Scharnier, Bonano an dem unteren. Lucio do Velho ging indessen nervös auf und ab. Für solche Sachen fühlte er sich nicht zuständig, obwohl es recht eigentlich um sein Leben ging.

Denn er war der Drahtzieher der Aktionen gegen die englischen Schiffe. Er hatte Grammont angeworben und finanziert. Wenn die Seewölfe ihn nach England brachten und er vor ein Gericht gestellt wurde, mußte er damit rechnen, zum Tode verurteilt zu werden. Bei Bonano und Quintaval dagegen konnte es durchaus sein, daß sie mit Kerkerstrafen davonkamen.

Aber dieses Verhalten war typisch für den Portugiesen, der sich der spanischen Sache verschrieben hatte und sich mehr als Spanier denn als Portugiese fühlte. Er war recht überheblich, dieser Lucio do Velho – immer noch, trotz der Niederlagen, die sich aneinanderreihten, seit die Seewölfe vor den Küsten der Bretagne aufgetaucht waren. Zwar hatten sie in den vielen Kämpfen und Gefechten die „Fidelity“ verloren, dafür aber kämpfte jetzt die Crew dieses verdammten Schwarzen Seglers an ihrer Seite – und die verstanden ihr Handwerk.

„Geht das nicht schneller?“ nörgelte Lucio do Velho. Er hatte seine Wanderung unterbrochen und sah zu, wie die beiden schwitzten.

Bonano warf ihm von unten herauf einen schiefen Blick zu und sagte: „Sicher geht’s schneller, falls Sie die Güte haben würden, mitzuhelfen!“

Dieser schlanke und sehnige Mann, der im Range eines Kapitäns stand und dem spanischen Kriegsministerium angehörte, hatte allmählich gründlich die Schnauze voll. Vor allem war ihm aufgegangen, daß es Lucio do Velho, dem er, wie auch Quintaval, unterstellt war, ganz gewaltig an echten Führerqualitäten mangelte. Ihm war schleierhaft, warum die königliche Regierung diesem Mann eine solch delikate Aufgabe anvertraut hatte. Und längst hatte er erkannt, daß do Velho weiter nichts als ein Schauspieler war, der zwar zu blenden verstand, aber wenn es hart auf hart ging, die Übersicht verlor und meistens falsch reagierte.

Die Aufforderung zur Mithilfe wies Lucio do Velho entrüstet zurück. Er fand das unzumutbar. Allerdings war er in dieser Beziehung verwöhnt, denn bislang hatte ihm der hündisch ergebene Ignazio die Dreckarbeiten abgenommen. Nur war Ignazio von einer der Flaschenbomben der Seewölfe zerrissen worden und weilte nicht mehr unter den Lebenden. Offenbar hatte Lucio do Velho die Absicht, Bonano und Quintaval mit diesem Tölpel gleichzustellen.

Bonano fauchte: „Wenn Sie Quintaval und mir nicht helfen wollen, dann seien Sie doch wenigstens so freundlich, an der Tür zu lauschen, ob der Posten zurückkehrt.“

„Sie haben mir keine Befehle zu geben“, schnarrte Lucio do Velho von oben herab. „Merken Sie sich das!“

„Das war kein Befehl, sondern eine Empfehlung!“ stieß Bonano hervor. „Im übrigen sitzen wir in einem Boot, falls Sie das noch nicht kapiert haben sollten. Da gebietet es schon die Kameradschaft, daß alle mit anpakken!“

„Wollen Sie mir Belehrungen erteilen?“ fragte Lucio do Velho mit arrogant hochgezogenen Augenbrauen.

In Bonano kochte die Wut hoch.

Bevor er lospoltern konnte, sagte Quintaval: „Geben Sie’s auf, Bonano. Dieser Mann ist unfähig, zu begreifen, was Sie meinen. Wenn ich je nach Spanien zurückkehren sollte, werde ich meiner vorgesetzten Dienststelle, der ‚Casa de Contratación‘, Bericht darüber erstatten, mit was für einem Narren wir hier haben zusammenarbeiten müssen. Im übrigen ist es kein Wunder, daß wir jetzt in der Patsche sitzen. Das haben wir diesem portugiesischen Esel zu verdanken!“

Das war starker Tobak, und Lucio do Velho reagierte entsprechend.

Hochrot im Gesicht zischte er: „Ich warne Sie, Quintaval! Das ist Defätismus, was Sie hier treiben! Sabotage! Destruktion! Hochverrat! Das wird Sie den Kopf kosten!“

Quintaval zuckte mit den Schultern und sagte trocken: „Der wackelt sowieso – und Ihrer am meisten, wenn es die Engländer schaffen, uns vor Gericht zu stellen. Aber das zu begreifen, reicht Ihr Hirn wohl nicht aus …“ Und dann sagte er: „Au!“ Da hatte er sich an einem Holzsplitter den linken Daumen aufgerissen, und weil der zu bluten anfing, steckte er ihn in den Mund und war kräftig am Nuckeln.

„Stellen Sie sich nicht so an!“ sagte Lucio do Velho höhnisch und bewies damit wieder einmal mehr, daß ihm, was Menschenführung betraf, einiges abging. Statt nun selbst das obere Scharnier weiter zu lockern, erklärte er: „Vergessen Sie Ihre Arbeit nicht, mein Lieber! Jede Sekunde ist kostbar …“ Er wollte noch mehr sagen, ließ es dann aber doch lieber sein, denn Quintaval und Bonano starrten ihn an, und was er in ihren Augen las, das war nackte Mordlust.

So weit hatte er es also gebracht – nämlich dahin, daß diese beiden letzten Männer, die er noch hatte, drauf und dran waren, ihm an die Kehle zu springen. Das waren eben keine Ignazios, die sich ducken und demütigen ließen und ihm dafür noch die Füße küßten.

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