Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 586»
Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-000-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Davis J. Harbord
Die Wilden von der „Empress of Sea“
Wo sie auftauchen – fliegen die Fetzen …
März 1598 – die Schebecke der Arwenacks ankerte in einer versteckten Bucht nördlich von Lissabon. Die Kerle feierten an diesem Abend, daß sich die Schiffsbalken bogen. Gründe hatten sie genug. Der eine war der, daß sie ihren Profos aus den Klauen der unheiligen „Mönche“ vom Rio Tejo befreit hatten. Der andere Grund beruhte auf dem schlichten Argument des Profos, die Crew müsse unbedingt von dem Rotwein und dem Rum probieren, den er in der Kneipe in Lissabon eingekauft hatte, bevor er von den Mönchen überfallen worden war.
Die Kerle hauten also auf die Pauke, was das Zeug hielt, und sie lobpreisten ihren Profos ob der Güte des Rotweins und des Rums.
Wer die Sprache auf die alte „Empress of Sea“ – jenes Wunderschiff des Old Donegal O’Flynn – brachte, war später nicht mehr zu klären, aber für den Profos war es das Stichwort, den alten Zausel grinsend zu fragen, wo der „Torfkahn“ eigentlich abgeblieben sei.
Und da begann Old Donegal den Faden zu spinnen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Donegal Daniel O’Flynn – der Kapitän der „Empress of Sea“ weiß nicht, daß er mit seiner Mannschaft die letzte Fahrt antritt.
Sir John Killigrew – der Vizeadmiral von Cornwall hängt sein Fähnchen nach dem Wind und kassiert dann die Beute.
Philip Hasard Killigrew – der „Bastard“ verfolgt ein Ziel: Falmouth zu verlassen, denn er will nicht unter Strolchen leben.
Henry Tregwin – der Burghauptmann auf Arwenack Castle hält sich für besonders gerissen, aber sein Burgherr ist noch besser.
O’Leary – Sir Johns Bootsmann versucht sich an Philip Hasard Killigrew, danach muß er einen Zahn ausspucken.
Brian Wolfe – der Decksälteste der „Empress“-Crew läßt die Hölle los, wenn sein Kapitän angegriffen wird.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
1.
2. September 1576, nachmittags, Falmouth in Cornwall.
Der Wächter auf Pendennis Point, der äußersten Spitze auf der Landzunge, an der die Hafenstadt liegt, stieß in das Signalhorn, und es klang wie das urige Brüllen eines Leitbullen für seine Herde.
Die Frauen, Kinder und alten Leute in Falmouth zuckten zusammen und lauschten. Und sie zählten, denn wenn der Wächter fünfmal in das Horn, stieß, dann hatte er spanische Schiffe gesichtet, die auf den Hafen zuhielten.
Das bedeutete, sofort mit Kind und Kegel, Sack und Pack in die Burg zu flüchten – Arwenack Castle, wo die Killigrews seit Urväter Zeiten hausten und nun die Pflicht hatten, Hafen und Stadt zu verteidigen.
Aber der Wächter stieß nur dreimal in sein Horn, und damit kündigte er die Rückkehr John Killigrews an, des Vizeadmirals von Cornwall.
Richtig! Vor fünf Tagen war Sir John mit seinen drei Karavellen ausgelaufen – und einer vierten Karavelle, nämlich der „Empress of Sea“ des Kapitäns Donegal Daniel O’Flynn. Denn da hatten Agenten spanische Handelsschiffe auf dem Weg nach Irland gemeldet.
Wenn solche Meldungen auf Arwenack Castle eintrafen, gab es für Sir John aus der alten Seeräubersippe der Killigrews kein Halten. Nicht einmal eine knackige und noch so raffinierte Dirne hätte den alten lüsternen Bock im Bett noch fesseln können – er wäre sogar im Untergewand auf sein Flaggschiff, die „Arwenack Castle“, gestürmt, um sofort auslaufen zu können.
Sie kehrten also zurück, und das war fast noch schlimmer, als wenn der Wächter einen spanischen Flottenverband im Anmarsch gemeldet hätte.
Die Mütter ehrbarer Jungfrauen verfügten ihre Töchter sofort und energisch hinter die Sicherheit verschließbarer Türen, ebenso natürlich die kleinen Mädchen und Jungen, die in ihrer kindlichen Unbefangenheit nicht unbedingt Zeugen dessen sein mußten, was Sir John und seine Kerle alles in den Hafenkneipen anstellten, wenn sie als beutebeladene Sieger heimkehrten.
Nun ja, und da war Kapitän O’Flynn mit seiner fünfzehnköpfigen Crew von rauhbeinigen, salzwassergetränkten Gesellen, die von den Falmouther Bürgern „die Wilden von der ‚Empress of Sea‘“ genannt wurden. Wenn sie nicht gerade dem Teufel beide Ohren absegelten, dann waren sie der Schrecken der Kneipenwirte von Falmouth oder Penzance oder Truro, und auch sie sorgten dafür, daß die Jungfrauen der genannten Häfen nicht als solche ihr Leben beendeten – mitnichten.
Nur gab es da einen sehr feinen, aber bedeutenden Unterschied der „Empress“-Crew zu Sir Johns Kerlen auf den drei Karavellen. Die Gesellen des Kapitäns O’Flynn waren in ihrem Kern von lauterem Gold, zwar wild, aber alles in allem anständige Burschen. Denn sie sorgten für jene Jungfrauen, die es nicht mehr waren und nach neun Monaten das Ergebnis zärtlicher oder rauschender Nächte zur Welt brachten.
Darauf pochte schon der eiserne Kapitän O’Flynn, der nicht zuließ, daß ein Mädchen in Schande von seinen Eltern verstoßen wurde. O nein, wenn ein solcher Fall eingetreten war, dann hämmerte er mit seinem Holzbein an die Tür des betreffenden Elternhauses und erstickte jeglichen Protest mit einem Säckchen voller Goldmünzen, das er auf den Tisch des Hauses knallte – mit der Maßgabe, es nutzbringend für den neuen Erdenbürger und seine Mutter anzulegen.
Klar war er ein Schlitzohr und hatte die Münzen bei allen seinen Kerlen einkassiert – bei allen, wohlgemerkt, weil sie sich manchmal über die Vaterschaft nicht einig waren. Und – aber das wußte keiner – auch aus seiner Privatschatulle hatte er dem Säckchen nicht eben wenig hinzugefügt.
Natürlich hatte er auch Ehen gestiftet, dieser kauzige gute Geist der „Empress of Sea“, der sieben Söhne und eine Tochter hatte und Witwer war. Bei der Geburt seines jüngsten Sohnes – Donegal Daniel O’Flynn – war seine Frau gestorben.
Damals, vor sechzehn Jahren, hatte er sich tagelang im Haus der O’Flynns im Hafen eingeschlossen und mit sich gehadert. Damals auch waren seine Haare weiß geworden.
Eins stand jedenfalls fest: Die O’Flynn-Sippe war in Falmouth geachtet, insbesondere Kapitän O’Flynn. Und es gab nicht wenige Mütter und Väter in Falmouth, die insgeheim ihren Töchtern einen Mann und werdenden Vater aus der „Empress“-Crew wünschten, weil sie sicher waren, daß diese Tochter – ob verehelicht oder nicht – keine arme Kirchenmaus sein würde.
Das war eben der sehr feine, aber bedeutsame Unterschied zu Sir John, zu seinen drei Ferkelsöhnen und zu den Besatzungen seiner drei Karavellen. Wenn die „Empress“-Gesellen „die Wilden von der ‚Empress of Sea‘“ genannt wurden, so hießen die Kerle von den drei Karavellen „die Wüsten von Arwenack Castle“. Das besagte schon alles.
Es gab da nur eine Ausnahme. Das war der vierte Sohn von Sir John und Lady Anne – Philip Hasard Killigrew, der in der stürmischen Neujahrsnacht vor zwanzig Jahren angeblich von Lady Anne geboren worden sein sollte, aber man hatte nicht gesehen, daß sie gesegneten Leibes gewesen war, und es ging das Gerücht um, er wäre ein Findelkind und einziger Überlebender einer deutschen Hanse-Kogge, die in dieser stürmischen Nacht im Hafen Schutz gesucht hatte, aber vom Burghauptmann von Arwenack Castle und seinen Kerlen auf Anstiften Lady Annes hin überfallen, ausgeplündert und später nach Irland verkauft worden wäre.
Fest stand jedenfalls, daß Philip Hasard Killigrew das genaue Gegenteil von seinen drei Ferkelbrüdern war – äußerlich und charakterlich.
Noch etwas ist an dieser Stelle anzumerken.
Zwar war Kapitän O’Flynn ein freier Mann, aber Sir John konnte ihm als von der Königin eingesetzter Vizeadmiral von Cornwall Befehle erteilen, wenn es um die Sicherheit und Verteidigung der englischen Küste ging, die häufig genug – besonders in letzter Zeit – Ziel spanischer Angriffe gewesen war.
Es gab da gewisse Beziehungen – auch merkantiler Art – zwischen Spanien und Irland. Die Achillesferse dieser Beziehungen war der Seeweg von Spanien nach Irland und umgekehrt, der nämlich auf der Höhe der Scilly-Inseln seinen neuralgischen Punkt hatte. Denn dort pflegten die Schnapphähne von Cornwall auf der Lauer zu liegen und zuzuschlagen.
Die Order Ihrer Majestät der Königin für die Sicherheit der Küste legte Sir John sehr großzügig aus. Auf gut englisch gesagt, gab sie ihm die Möglichkeit, nach Lust und Laune dem einträglichen Geschäft des Seeraubs nachzugehen. Insofern konnte er dem Kapitän O’Flynn jederzeit befehlen, ihm mit seiner „Empress of Sea“ zwecks „Sicherung“ der kornischen Küste zur Verfügung zu stehen.
Das heißt – wenn jemand dumm fragte –, die „Empress of Sea“ wurde von Sir John zum „Wachdienst“ vor der Küste eingesetzt, tatsächlich aber diente sie dazu, seinen eigenen Verband von drei Karavellen zu verstärken, wenn spanische Schiffe gemeldet wurden, die es zu rupfen galt.
Nun war der Kapitän O’Flynn ein sehr eigensinniger Mann, dem es ganz gewaltig stank, von Sir John, diesem Kotzbrocken, herumkommandiert zu werden. Hinzu kam die Tatsache, daß sich der Sir in brenzligen Situationen bei Gefechten auf See tunlichst mit seiner verdammten „Arwenack Castle“ zurückzuhalten pflegte und die „Empress of Sea“ mit ihren Draufgängern an Bord die Kastanien aus dem Feuer zu holen hatte.
Im krassen Mißverhältnis dazu stand die andere Tatsache, daß Sir John bei der späteren Verteilung der Beute keineswegs Zurückhaltung übte, sondern den Löwenanteil stets für sich beanspruchte.
Das heißt, Kapitän O’Flynn und seine Kerle durften die Knochen hinhalten, aber die süßesten Früchte erntete Sir John. Und geradezu unerträglich war die Großmäuligkeit von dem Sir, seinen drei Ferkelsöhnen und den Rabauken auf den drei Karavellen, wenn sie – zurück vom Beutezug – an Land herumstrunzten, was sie mal wieder für tolle Hechte gewesen seien. Natürlich waren sie es gewesen, die dem „Feind“ das Fürchten beigebracht und das Gefecht auf Biegen und Brechen durchgeschlagen hatten.
Seltsamerweise waren jedoch die Wilden von der „Empress of Sea“ mit Narben bedeckt, und gleiches galt für ihren Dreimaster, dieses alte Schlachtroß, das deutlich sichtbar die Spuren vieler Kämpfe trug – allein das Schanzkleid war Hunderte von Malen geflickt worden, von den Spieren gar nicht zu reden.
Demgegenüber konnte man bei den Maulhelden Sir Johns wenig entdecken, was auf wilde Kämpfe hindeutete, und seine drei Karavellen sahen auch nicht so aus, als seien sie das Ziel feindlicher Kanonenkugeln gewesen, die „Arwenack Castle“ schon gar nicht.
Dafür jedoch war die „Empress of Sea“ ein Schmuckstück an Sauberkeit, was man von den drei Killigrew-Karavellen nun keinesfalls behaupten konnte – und auch nicht von ihren Kerlen. Die richteten sich wiederum nach ihrem „Vorbild“, dem Vizeadmiral, der mit seinem schmutzigen und bekleckerten Hemd, dem speckigen Lederwams, den schmutzigen Hosen und dem ungewaschenen Hals eher einem Räuberhauptmann glich.
Die Bürger von Falmouth waren nicht blind, und ihre Sympathien lagen eindeutig auf seiten Kapitän O’Flynns und seiner Mannen, auch wenn sie eine wilde Bande waren. Den Vizeadmiral und seine wüste Horde samt den drei Ferkelsöhnen hätten sie am liebsten zum Teufel gewünscht – mit Ausnahme des Philip Hasard Killigrew.
Die ehrbaren Jungfrauen, die Mädchen und Jungen von Falmouth verschwanden also nach dem dreifachen Hornsignal des Wächters in den Häusern, was die Jungfern, Buben und Mädchen allerdings nicht hinderte, neugierig, aber versteckt aus den Fenstern zum Hafen zu lugen, wo sich wieder einiges abspielen würde. Und die Jungfern seufzten verhalten. Oder sie kicherten, weil es so schön prickelnd war, die Mannsbilder zu beobachten, unter denen nicht nur wilde und wüste, sondern auch prächtige Kerle waren.
Der prächtigsten einer war Philip Hasard Killigrew.
Von Arwenack Castle indessen zogen an die zehn Burgknechte hinunter zum Hafen. Sie führten einige Maultiere mit sich, auf denen Tragegestelle verzurrt waren. Denn sicher brachte Sir John wieder Beute von See mit, reiche Beute, denn der Vizeadmiral ließ nichts aus, was irgendwie in Talerchen umzusetzen war.
Vor drei Monaten hatte er bei den Scillies ein nach Irland segelndes Handelsschiff aufgebracht, das kistenweise weibliche Bekleidung geladen hatte – Unterhemden, Strümpfe aus gestrickter Seide mit Strumpfbändern, Korsetts, die wahren Lederharnischen glichen, Leibchen, Reifengestelle, Unterröcke, Oberkleider, Halskrausen, Bandagen und Hütchen!
Olala!
Sir John, seine Ferkelsöhne und die Kerle der „Arwenack Castle“ waren schon betrunken gewesen, als das Flaggschiff an die Pier gesteuert wurde – mit einem wüsten Bums, versteht sich.
Und sie hatten sich mit der Beute kostümiert! Die hatten ausgesehen wie eine Horde wilder Affen und sich auch so auf geführt. Sogar an den langen Rahruten der Karavelle hatten sie Unterröcke vorgeheißt.
Die waren mit der neusten Mode aus Spanien umgegangen wie die Wandalen. War ja genug an Bord. Aber es war schon eine Schande. Sir John hatte auf der Pier einen obszönen Tanz aufgeführt, bekleidet mit Korsett, ausgepolstertem Busen, in Seidenstrümpfen und mit einem verrückten Hütchen auf seinem rothaarigen Kürbisschädel. Er war so blau gewesen, daß er fast von der Pier ins Hafenbecken gestürzt wäre.
Die Hafenhuren hatten vor Wonne gekreischt.
Oben auf Arwenack Castle hatte Lady Anne Killigrew, geborene Wolverstone, erbittert das Fenster zugeschmettert, durch das sie mit einem Spektiv die Ankunft ihres Gatten beobachtet hatte.
Sie hatte nichts – nicht einmal eine Bandage – von dem Beutegut erhalten. Was Sir John in seinem Suff nicht an die Hafenhuren verschenkt hatte, das war von ihm, als man ihn wieder als einigermaßen nüchtern bezeichnen konnte, zu Höchstpreisen an Mister Applewhite verhökert worden. Mister Applewhite handelte in Falmouth mit allem, was überhaupt zu verkaufen war – und sei es Läuseblut als Wundermittel für die Stärkung der Manneskraft.
Aber bei modischer Bekleidung aus Spanien brauchte Mister Applewhite wegen der Höchstpreise Sir Johns nicht das Zittern oder Schlaganfälle zu kriegen. Die wurde er sogar los, wenn er das Doppelte draufschlug. Die ging weg wie Dünnpfiff.
Was für die irischen Weiber gut sein sollte, das sollte man den kornischen Ladys vorenthalten? Nichts da! Und die kornischen Ehemänner – jene, die betucht waren – griffen zu, um ihre besseren Ehehälften modisch gekleidet zu sehen. Man mußte doch zeigen, wer man war.
Was würde es wohl diesmal sein?
Aus dem Haus Kapitän O’Flynns huschte ein etwa fünfzehn- bis sechzehnjähriger Junge, hellblond, langschädelig, schmaler Mund, festes, etwas trotziges Kinn, gerade Nase, aber noch ein wenig stupsig. Auffallend waren seine hellen Augen in dem schmalen, sommersprossigen Gesicht.
Er verhielt, als die Maultiere mit den Burgknechten die Hafengasse versperrten. Ein Funkeln trat in seine hellen Augen. Er schob die Hände in die Hosentaschen und spuckte verächtlich zur Seite. Als ihn der Blick eines Burgknechtes streifte, starrte er unbeteiligt in den Himmel.
Kaum waren Maultiere und Knechte an ihm vorbei und am Ende der Gasse, nahm er die Hände aus den Taschen. Jetzt hatte er in der Rechten eine Steinschleuder und in der Linken einen Kieselstein. Er blickte sich kurz um, war aber unbeobachtet, legte den Stein in die Schleuder, schwang sie und schoß den Kiesel ab.
Auf den Treffer wartete er nicht. Er glitt um die Ecke, nahm die Beine in die Hand und fegte durch eine andere Gasse hinunter zum Hafen.
Der Kiesel traf die linke Hinterhand des letzten Maulesels. Das Tier protestierte mit einem schrillen Trompetenton, warf den Kopf hoch und sprang mit einem wilden Satz dem vor ihm trottenden Maultier fast aufs Kreuz. Der Kerl, der das getroffene Tier am kurzen Zügel geführt hatte, wurde umgerissen und mitgeschleift, weil er den Zügel nicht losließ. Er brüllte wie am Spieß, was sich keineswegs auf Tier und Mensch beruhigend auswirkte.
Kurz, der Treffer mit dem Kiesel erzielte genau die Folgen, die das hellhaarige Bürschchen beabsichtigt hatte. Eine Art Stampede brach unter den Viechern aus.
Sie tobten los, bockten vorn und hinten, verstärkten die Trompetenmusik des getroffenen Tieres, überrannten ihre Betreuer, keilten nach allen Seiten und fegten dorthin, wo Platz war – hinunter zum Hafen. Im Nu verteilten sie sich. Zwei donnerten über die Pier, setzten von dort auf den Strand und fegten am Ufer entlang, drei schlugen sich seitwärts ins Dünengelände, zwei andere wiederum durchbrachen einen Zaun am Hafenrand und zertrampelten einen Gemüsegarten, in dem Kohl angepflanzt war, und eins verfing sich hoffnungslos in einem ausgespannten Fischernetz, das dabei zum Teufel ging.
Das Bürschchen hieß Donegal Daniel O’Flynn und saß zu diesem Zeitpunkt bereits mit Unschuldsmiene auf einem steinernen Poller am Rand der Pier, wo die „Empress of Sea“ ihren Liegeplatz hatte. Es drehte Däumchen und spähte mit scharfen Augen seewärts, von wo die vier Karavellen, hart am Wind liegend, auf die Hafeneinfahrt zuhielten.
Am Hafen erschienen humpelnd und fluchend die Burgknechte. Sie waren arg zerbeult und zerrupft. Und schon begann das Theater. Die erste, die loszeterte, war die alte Odelia Footmaker, die Haare auf den Zähnen und einen Knüppel in der Faust hatte. Ihr gehörte der Gemüsegarten. Er war sozusagen ihr ein und alles.
Furchtlos ging sie die beiden Maultiere an und drosch sie mit ihrem Knüppel aus dem verwüsteten Garten, und dann waren die Burgknechte an der Reihe.
„Ihr Saukerle!“ schrie sie empört und schwang den Knüppel. „Seid ihr zu dämlich, auf eure Mistviecher aufzupassen? Meine Kohlpflanzen sind zerstört, und wer ersetzt mir den Schaden?“
„Scheiß auf deinen Kohl“, sagte einer der Kerle. Er hieß Dudley, und ihm unterstanden die Maultiere auf Arwenack Castle.
Er hatte kaum ausgesprochen, da knallte ihm Odelia Footmakers Knüppel an den Hals, und er geriet ins Trudeln, ganz abgesehen davon, daß er Schwierigkeiten mit dem Luftschnappen hatte. Die alte Footmaker drosch weiter drauflos, und als Dudley keuchend und würgend an Donegal O’Flynn vorbeitorkelte, streckte dieser blitzschnell den linken Fuß vor.
Dudley stolperte, konnte sich nicht mehr fangen und sauste kopfüber ins Wasser.
„Danke, Dan“, sagte Odelia Footmaker.
„Gern geschehen, Ma’am“, sagte Donegal Daniel O’Flynn artig und schielte nach links, wo Dudley im Wasser herumzappelte und noch mehr Atemnot hatte, weil ihm Wasser in die verkehrte Kehle geraten war – der blöde Hund! Jeder wußte, daß man das Maul schließen mußte, wenn man ins Wasser fiel, aber Dudley hatte es aufgerissen.
Donegal Daniel O’Flynn kalkulierte kühl die eigenen Chancen. Wenn Dudley wieder auf der Pier erschien – dazu mußte er erst an Land schwimmen –, würde er abzischen müssen und konnte nicht die Leinen von der „Empress“ wahrnehmen, wie er es immer tat, wenn das Schiff seines Vaters einlief.
Aber es bestand keine Gefahr. Auf dem Plan war Barry Burnaway mit seinen drei Söhnen erschienen – alle vier Klötze von Kerlen. Den Burnaways gehörte die Schaluppe im Hafen – und mehrere Dorys, mit denen sie Fischfang betrieben. Es war ihr Netz, in das der Maulesel gerast war.
Während Odelia Footmaker bereits die anderen Burgknechte attackierte, die vor der tobenden Alten zurückwichen und nicht wußten, was sie tun sollten, weil Dudley fehlte, bauten sich die vier Schränke am Strand auf, um diesen in Empfang zu nehmen. An ihren grimmigen Mienen war abzulesen, daß es kein freundlicher Empfang sein würde.
Dudley war viel zu durcheinander, um das zu bemerken. Außerdem hatte er Stroh im Kopf, was aber auch kein Wunder war, denn wer bei Sir John diente, mußte ein bißchen blöd im Kopf sein. Das Wunder war nur, daß sich die Kerle von Arwenack Castle für weiß was Besonderes hielten und das auch ständig herauskehrten.
Als Dudley an Land watete, versperrte ihm Barry Burnaway den Weg zur Pier und hielt ihm die offene Hand hin.
„Du schuldest mir zehn Pfund für das zerrissene Netz, Dudley“, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die jetzt grollend klang.
Zu ihm konnte Dudley nicht sagen: Scheiß auf dein Netz! Aber er war blöd genug, zu sagen: „Das kannst du ja wieder flicken. Im Winter tut ihr doch sowieso nichts anderes.“
„Was wir im Winter tun oder nicht, geht dich eine feuchte Qualle an, Dudley“, sagte Barry Burnaway und schob ihm die mächtige Faust mitten ins Gesicht, mit Dampf, versteht sich. Dudleys Nase nahm eine andere Form an. Sie war ein Zinken gewesen. Jetzt glich sie einem Pfannkuchen. Im übrigen flog er dieses Mal rücklings ins Wasser. Und er jaulte den Himmel über Falmouth an, verschluckte sich prompt im Wasser und erlitt einen Erstickungsanfall.
Zu diesem Zeitpunkt machten die vier Burnaways Front zu den anstürmenden Kerlen, die sich entschlossen hatten, Dudley zu Hilfe zu eilen. Sie waren noch blöder als Dudley, denn statt sich jetzt herumzuprügeln, wären sie besser schleunigst auf die Suche nach ihren Maultieren gegangen. Die Karavellen standen nicht mehr weit vor der Hafeneinfahrt, und Sir John liebte es ganz und gar nicht, auf so etwas Lausiges wie seine Knechte zu warten.
Der jüngste Sproß des Kapitäns O’Flynn feixte bis zu den Ohren und schaute interessiert zu, wie die Burgknechte von den vier Schränken abgetakelt wurden. Klar doch, die Burnaway-Sippe hatte oft genug mit der O’Flynn-Sippe in Fehde gelegen. Die Burnaways fischten seit Generationen, und die O’Flynns fuhren seit Generationen über See, um in anderen Häfen einzukaufen, was es im eigenen Land nicht gab. Wo Kapitän O’Flynn überall mit seiner „Empress of Sea“ gewesen war, das lag bereits jenseits der bekannten Horizonte.
Die O’Flynns wagten eben mehr.
Aber die Burnaways waren auch keine Chorknaben. Donegal Daniel O’Flynn hatte bei ihnen anmustern wollen, aber das hatte der Alte strikt verboten – aus welchen Gründen auch immer.
Es hinderte Donegal Daniel O’Flynn nicht, für die Burnaways Sympathie zu empfinden, als jetzt die Fäuste flogen. Wenn es gegen „die da oben“ von Arwenack Castle ging, dann gab es zwischen den Sippen von „denen da unten“ in Falmouth keine Fehden mehr. Dann hielten „die da unten“ eisern und wie Pech und Schwefel zusammen.
Die Burnaways am Strand standen wie eine Mauer, und wenn sie sonst Fischgründe abräumten, dann räumten sie jetzt „die da oben“ ab. Vier Männer gegen neun Burgknechte – es focht sie nicht an.
Als die „Arwenack Castle“ in den Hafen einlief, lagen die neun Kerle wie ausgemergelte Mehlsäcke am Strand, einen zehnten Mehlsack warf Barry Burnaway verächtlich hinzu, nachdem er Dudleys Pfannkuchen noch einmal verbreitert hatte. So flach war noch nie ein Pfannkuchen gewesen.
Tasuta katkend on lõppenud.