Loe raamatut: «Tod im Bankenviertel»
Detlef Fechtner
Tod im Bankenviertel
Börsen-Krimi
Alle Rechte vorbehalten · Societäts-Verlag
© 2020 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Bruno Dorn, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Bruno Dorn, Societäts-Verlag
Umschlagabbildung: Agatha Kadar/Shutterstock
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-395-7
Prolog
Es war ein dumpfes Geräusch, kurz, ohne jeden Nachhall. Der Körper war gleich zu Beginn des Sturzes in etwa 150 Metern Höhe gegen die Hauswand geschleudert und danach um die eigene Achse gewirbelt worden. Und er hatte sich auf halber Höhe so ineinander verdreht, dass Schultern und Knie wenig später fast synchron aufschlugen. Trotz der ungeheuren Wucht des Sturzes auf den ausgetrockneten Rasen konnte man den Aufprall nicht mehr vorne auf dem Reuterweg hören, erst recht nicht im Rothschildpark und wahrscheinlich noch nicht einmal nebenan in der Oberlindau. Aber dort war ohnehin niemand mehr unterwegs. Selbst in einer lauen Sommernacht wie dieser verirrte sich um vier Uhr morgens keine Seele mehr ins Frankfurter Bankenviertel – jedenfalls nicht an einem Wochentag. Wer morgens um acht bei der ersten Schalte mit Tokio und London hellwach sein muss, gönnt sich unter der Woche allenfalls einen After-Work-Club, aber spätestens um Mitternacht ist Schluss mit Party. Dann eilen die letzten Banker und Börsenhändler in ihre Westend-Altbauwohnungen, sinken in Himmelbetten oder auf Futons und träumen von fernen Inseln und von Frauen, die nach Lavendel duften. Oder, wenn’s schlecht läuft, von 200-Tage-Linien und Kurs-Gewinn-Verhältnissen.
Die Leiche lag unnatürlich gekrümmt auf der kleinen Grünfläche vor dem Heizungskeller des Bankhochhauses. Rechtsmediziner räumen beim freien Fall aus 20 Metern noch geringe Überlebenschancen ein, nicht aber bei einem Sturz vom Dachgeschoss der 47. Etage der Frankfurter Hypo-Union-Zentrale. Eine dichte Vogelbeerenhecke verhinderte, dass die Leiche zufällig von den Pendlern entdeckt werden konnte, die zwei Stunden später als erste die kleine Anlage Richtung U-Bahn durchquerten. Und dass Schüler des Bischof-Ketteler-Gymnasiums auf sie stoßen konnten, wenn sie um halb acht ihren Schulweg über den kleinen Trampelpfad hinter dem Bankhochhaus abkürzten, war ebenfalls ausgeschlossen. Schließlich war Mitte August, Ferienzeit. Folglich konnte nur einer der drei Haustechniker die Leiche finden, bei der routinemäßigen Kontrolle der Kälte- und Wärmezentrale der Bank gegen halb neun. Zu einer Uhrzeit also, zu der vorne im Foyer der Hypo-Union schon so viel Betriebsamkeit herrschte, dass selbst die Videoüberwachung keine echte Hilfe mehr für die anschließenden Ermittlungen sein würde. Zumindest konnte sich bis dahin jeder unbemerkt unter die Angestellten und Geschäftskunden mischen, die das Foyer am frühen Vormittag bevölkerten. Jeder konnte um diese Zeit unauffällig aus dem Gebäude verschwinden. Auch diejenigen, die etwas damit zu tun hatten, dass hinter der Hecke ein Toter lag. Sie hatten nichts dem Zufall überlassen.
1
Die Innenpolitik war da, der Außenhandel, die Devisenmärkte, das Bankenressort. Und wie immer am hinteren Teil des großen Konferenztisches auch Unternehmen & Bilanzen. Carl Stolberg faltete die aktuelle Ausgabe des Finanzblatts sorgfältig zusammen und legte sie auf den leeren Platz neben sich. Das war das unmissverständliche Signal des Chefredakteurs, mit der täglichen Blattmacher-Runde zu beginnen.
Stolberg, ein schlanker, stets exzellent gekleideter Mann von 58 Jahren, war vor zwölf Jahren zum Finanzblatt zurückgekehrt – an die Spitze jener Wirtschafts-Tageszeitung, bei der er 22 Jahre zuvor als Volontär angefangen hatte. Damals hießen Eon noch Viag und Veba, TUI noch Preussag und die Telekom noch Bundespost. Die Börse war damals noch komplett um die Ecke von der Hauptwache zu Hause, und im Handelssaal wurden die Geschäfte ausgerufen statt in Computer eingegeben. Stolberg war oft auf dem Parkett gewesen, zu einer Zeit, als Lärm und Schweißgeruch im großen Handelssaal noch mehr über die Stimmung im Markt aussagten als die Kurstafel.
Mittlerweile kam er kaum noch zum Schreiben, ab und zu eine Glosse oder einen Leitartikel, hin und wieder eine Personalie über Manager oder Minister, die er meistens schon Jahrzehnte persönlich kannte. Trotzdem war er das, was sie ein Nachrichtenschwein nannten. Hungrig, unaufhörlich wühlend, wenn es darum ging, eine Geschichte auszugraben.
„Bringen wir’s hinter uns“, eröffnete Stolberg die Blattmacher-Runde. Er wusste, dass es heute wieder einmal ein zähes Geschäft werden würde. Aus Sicht eines Wirtschaftsredakteurs sind die Sommermonate geprägt von der ständigen Angst vor der leeren Seite. Es gibt keine bedeutenden Deals, keine Jahresbilanzen, keine Sitzungen der Notenbanken. Das Börsengeschäft ist schleppend, lustlos, umsatzschwach. Nicht einmal die Politik liefert brauchbare Schlagzeilen. Niemand streitet, niemand droht, niemand streikt – es ist schlichtweg entsetzlich. Im August Zeitung zu machen, ist so spannend, wie auf einem Elternabend Protokoll zu führen. Im Grunde gibt es nichts, was es wert wäre, aufgeschrieben zu werden. Aber irgendwie muss man das Blatt ja füllen.
Jan Röber, der Blattmacher am Nachrichtentisch, gab sich erkennbar Mühe, irgendetwas Zeitungstaugliches zu bieten. In Südafrika verdichteten sich Spekulationen über eine Fusion zweier großer Goldminen. Drei deutschen Industrieunternehmen der zweiten Reihe drohten Herabstufungen ihrer Ratings. Und seit Tagen kursierten Gerüchte über Finanzierungsengpässe der Nordwestdeutschen Landesbank.
„Wenn wir selbst mal wieder einen Akzent setzen wollen, hätt’ ich was anzubieten“, meldete sich Sven Schlosser aus dem Kapitalmarktressort zu Wort. „Wir haben heute einen ziemlich großen Auflauf in der Alten Oper. Ein Fachkongress über Risikobewertung in der Bilanz, Value at Risk und solche Sachen“, berichtete er. „Das hat mächtig Sprengkraft für die Großbanken.“
„Fachkonferenz“, wiederholte Stolberg mit gedämpfter Stimme. Der Chefredakteur schien davon nicht gerade begeistert. „Irgendwelche Prominenz?“, fragte er zurück.
Schlosser zählte auf: „Vier Bankvorstände, der Vize der Finanzaufsicht – na ja, und Berenbrink als Stargast.“ Franz Berenbrink, der Bundesbank-Präsident – immerhin.
„Und wer ist für uns vor Ort?“, setzte Stolberg nach.
„Ich“, meldete sich mit selbstbewusster Stimme einer der Jungredakteure, die keinen Sitzplatz mehr am großen Tisch gefunden hatten und deshalb die Konferenz stehend oder an der Wand lehnend verfolgten. Es war Oskar Willemer, einer der wortwörtlich neuen Kräfte – denn er hatte seinen Job beim Finanzblatt erst vor vier Wochen angetreten.
Der Chefredakteur ließ sich langsam in seinen Stuhl zurückfallen, legte seine Stirn in Falten und seinen Zeigefinger an die Unterlippe. „Ich freue mich, lieber Herr Willemer, dass Sie bereits nach nach so kurzer Zeit bei uns derart motiviert Außentermine wahrnehmen. Man hat mir schon geflüstert, dass Sie mit viel Elan gestartet sind – wunderbar. Aber mal Hand aufs Herz: Sind Sie denn auch der Meinung, dass Ihre Berichterstattung über den Fachkongress auf die Titelseite gehört?“
Man sah Oskar an, dass ihm die Situation unangenehm war. Ehrlich gesagt hatte er sich noch keine großen Gedanken über seinen Tagestermin gemacht – und erst recht nicht erwartet, dass ihn der Chef vor versammelter Mannschaft darüber ausfragen würde. Um seinem Ressortchef nicht in den Rücken zu fallen, entschied sich Oskar für eine diplomatische Antwort: „Schlosser hat Recht, das Thema ist explosiv. Aber es sollte gewiss reichen, wenn wir das Wichtigste, was heute in der Alten Oper geschieht, auf Seite eins einspaltig anreißen. Zumal ich ohnehin die Geschichte über die Herabstufungen der deutschen Industriefirmen spannender finde, denn das heißt doch, dass deren Finanzierungskosten steigen.“
Stolberg war anzumerken, dass es ihm gefiel, wie der neue Kollege sich selbstbewusst, aber eben nicht überheblich präsentierte.
„Chapeau!“, sagte der Chefredakteur. „Genau so sollten wir es machen. Im Mittelfeld der Titelseite jeweils Einspalter für die Goldminen und für Willemer mit dem Bundesbankchef und seinen Freunden auf der Expertenkonferenz. Und Körber, du strickst uns bitte einen vierspaltigen Aufmacher. Arbeitstitel: Deutsche Firmen vor Problemen bei der Finanzierung. Mit Zitaten von den üblichen Verdächtigen. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Also macht euch schleunigst an dieselbe.“
Damit war die Konferenz beendet, ein lautes Stühlerücken verwandelte den Tagungsraum in einen belebten Marktplatz, Redakteure und Grafiker riefen sich quer durch den Raum Absprachen zu, während fast alle wieder eilig zurück an ihre Schreibtische drängten. Einzig Schlosser und Willemer blieben zunächst noch auf ihren Plätzen.
„Moment, Carl, wir müssen dich noch kurz sprechen“, rief Schlosser dem Chefredakteur zu.
Stolberg wartete geduldig, bis die Kollegen den Raum verlassen hatten und sich der Lärm vor der Tür gelegt hatte. „Nun, worum geht es?“
Dieses Mal ergriff Oskar direkt das Wort: „Vielleicht wissen Sie ja, Herr Stolberg, dass ich vor meinem Start in Ihrem Blatt Gerichtsreporter für die Frankfurter Nachrichten war. Deshalb interessiert es mich natürlich sehr, wie das Finanzblatt mit dem Toten umgeht, der heute Nacht aus dem Dachgeschoss der Hypo-Union gestürzt ist.“
„Ganz einfach“, entgegnete der Chefredakteur, „ich sehe keinen Grund für Berichterstattung. Natürlich wird der Selbstmord Gesprächsthema in den Handelsräumen sein. Aber ich sehe in der Tatsache, dass da jemand seinen Freitod im Bankenviertel inszeniert, keinen Anlass für eine seriöse Wirtschaftszeitung, darüber zu berichten.“
„Ich würde Ihnen gerne zustimmen, Herr Stolberg“, erklärte der Redaktions-Junior. „Aber ich gehe nicht davon aus, dass es Selbstmord war.“
Der Chefredakteur wurde hellhörig. „Mit wem haben Sie telefoniert?“, fragte er neugierig.
„Ich habe mit niemandem telefoniert“, antwortete Willemer, „aber ich habe nachgedacht. Und ich komme beim besten Willen auf keine logische Begründung für einen Selbstmord. Jemand, der so deprimiert ist, dass er seinem Leben ein Ende setzt, wird gewiss keinen gewaltigen Aufwand mehr betreiben. Es ist jedoch ein gewaltiger Aufwand, unerkannt in den 47. Stock eines Bankhochhauses zu gelangen, dort die Zugangstür zum Dachgeschoss aufzubrechen, um in dieser Höhe an die freie Luft zu gelangen und sich dann genau dort über das Geländer zu stürzen, wo man garantiert erst am Vormittag entdeckt wird.“
„Und warum“, konterte Stolberg, „sollte sich ein Gewalttäter der Gefahr aussetzen, entdeckt zu werden? Ihr Argument, lieber Kollege Willemer, mag ja gegen Selbstmord sprechen, aber es spricht genauso gegen Mord. Warum sollte der Täter sein Opfer, statt es irgendwo in einer stillen Ecke umzubringen, erst ins Zentrum des Bankenviertels lotsen, in die Hypo-Union locken und auf das Dach hochjagen“, fragte er stichelnd zurück.
Oskar Willemer schien vom Einwurf des Chefredakteurs unbeeindruckt. Er wandte sich ihm direkt zu: „Eine Drohung, ein Exempel. Der Mörder schickt damit ein Signal an andere, die er einschüchtern will – wie bei einem Mafia-Mord.“
Der Chefredakteur ging die paar Schritte zum Fenster und blickte auf das hochsommerliche Frankfurt. Hinter den Messehallen ragten die Bankhochhäuser in die Höhe: die Deutsche, die Commerzbank, die Morgan Chase – und natürlich auch die Hypo-Union. „Das klingt ja gruselig. Ist aber ziemlich spekulativ, ich weiß nicht, ob man’s schon in die Zeitung …“
„Nein, natürlich nicht“, fiel Schlosser ins Gespräch ein. „Das wäre ja schon sehr anmaßend, wenn man diese halbgaren Vermutungen ins Blatt schreiben würde. Aber: Ich würde dringend davon abraten, die Geschichte zu ignorieren. Gut möglich, dass dahinter eine Affäre steckt, die Frankfurts Banken noch einige Wochen in Atem hält. Und uns natürlich auch“, mahnte der Ressortleiter.
„Ja, gut möglich“, räumte Stolberg ein, der jedoch nicht wirklich überzeugt war und deshalb noch einmal nachsetzte: „Aber wenn man den Agenturmeldungen trauen kann, dann spricht doch einiges dafür, dass es ein Selbstmörder war. Keine Hämatome, keine Griffspuren, die auf Fremdeinwirkung hindeuten. Halt einer, der sich am Ende nochmal wichtigmachen wollte.“
Oskar schüttelte den Kopf. „Ich bitte Sie, Herr Stolberg: Keine auffälligen Griffspuren, keine Hämatome – tja, das wäre uns beiden doch wohl auch noch eingefallen, wenn wir Polizeisprecher wären und Spekulationen nicht noch anheizen wollten“, spottete der Jungredakteur und redete sich in Schwung. „Den Rechtsmediziner möchte ich sehen, der bei einem völlig zerschundenen Leichnam binnen weniger Minuten feststellen kann, ob es Spuren von Fremdeinwirkung gibt. Nein, nein, Herr Stolberg, wenn es einen ersten Hinweis gibt, über den es nachzudenken lohnt, dann ist es dieser hier“, sagte Willemer und las aus einem Stapel von Agenturmeldungen vor, die er ausgedruckt und mitgebracht hatte. „Hier bei apx steht: Der Tote konnte noch nicht identifiziert werden, da er weder Einlasschip noch Ausweis oder Papiere bei sich hatte. Keine Papiere! Dann erklären Sie mir bitte einmal, wie er ganz allein ohne Ausweise in diesen Hochsicherheitstrakt gekommen sein soll. Oder meinen Sie etwa, er hat die Papiere vor dem Sprung noch extra entsorgt, um es spannender zu machen?“
Ressortchef Schlosser war aufgestanden und ging auf den Chefredakteur zu. „Carl, der Junge hat Recht, diese Geschichte gehört auf jeden Fall ins Blatt. Vielleicht als Ecke ganz unten auf Seite eins. Und ich würde schon im Eingangssatz einflechten, dass es längst nicht sicher ist, ob es sich um Selbstmord handelt.“
„Titelseite untere Ecke“, wiederholte der Chefredakteur und blickte seinen Kollegen in die Augen. „Ja, überzeugt. Links unten auf der eins.“ Er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken, ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. „Sie haben mir jetzt richtig Angst eingejagt, Willemer. Die Vorstellung, dass da drüben im Bankenviertel ein skrupelloser Krimineller herumläuft, ist schon ziemlich schaurig.“
2
In der Eingangshalle der Alten Oper drängelten sich jede Menge Banker in ausgesessenen blauen oder anthrazitfarbenen Anzügen. Auch in den Bankentürmen gab es mitten im August so gut wie nichts zu tun. Da war jeder froh um ein wenig Abwechslung – und wenn es auch nur ein Fachkongress mit einem ausgesprochen unlustigen Thema war. Die hochsommerlichen Temperaturen forderten ihren Tribut. Es roch nach Schweiß – und nach süßlichen Rasierwassern, mit denen der Schweißgeruch zu überdecken versucht wurde.
Oskar Willemer war wie immer spät dran. Es war schon Viertel nach zehn, der Oberbürgermeister hatte bereits seine Grußworte gesprochen. Oskar wartete ungeduldig in der Schlange vor einem der Akkreditierungsschalter. Die meisten um ihn herum sahen tatsächlich so aus, wie er sich Banker vorstellte. Blau-weiße Hemden, goldene Armbanduhren, Seitenscheitel, Haargel, frischrasiert – seine Mutter würde sagen: geschniegelt. Keine Nickelbrillen, keine wilden Locken – und auch keine langen Koteletten, wie Oskar sie hatte. Und natürlich besaß in der ganzen Oper an diesem Vormittag auch niemand einen Dreitagebart wie er. Der hätte den anderen um ihn herum allerdings auch wirklich nicht gestanden. Bei Oskar hingegen passten die Bartstoppeln zum markanten, schmalen Gesicht. Mit seinen funkelnden grün-blauen Augen und dem vollen dunkelblonden Schopf war der schlanke 32-Jährige ohnehin einer, der es einfach hatte, Frauen zu gefallen. Selbst seine zerzausten Haare, die bei anderen ungepflegt gewirkt hätten, schienen ihn eher noch interessanter zu machen.
Endlich kam er an die Reihe. „Guten Morgen, ich bin leider nicht vorangemeldet, aber ich habe meinen Presseausweis dabei. Oskar Willemer vom Finanzblatt.“
„Tut mir leid, aber ohne vorherige Akkreditierung kommen Sie heute leider nicht rein. Wir haben erhöhte Sicherheitsstufe“, entgegnete ihm eine ganz in Gelb gekleidete Hostess ebenso freundlich wie bestimmt.
„Hören Sie“, versuchte es Oskar mit seinem freundlichsten Lächeln. „Ich verstehe absolut, dass Sie hier auf Nummer sicher gehen müssen, aber ich kann mich ausweisen und muss unbedingt …“
„Nein, tut mir leid“, fiel ihm die Hostess ins Wort. „Es besteht nicht die geringste Chance. Wenn Sie mir Ihre Visitenkarte geben, kann ich den Pressesprecher der Bankenaufsicht bitten, Ihnen die Reden zuzumailen. Mehr ist beim besten Willen nicht drin.“
Oskar ahnte, dass es die junge Frau mit dem gouvernanten Ton ernst meinte. Wahrscheinlich wäre das dann die erste Frankfurter Bankenkonferenz seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Beteiligung eines Korrespondenten des Finanzblatts.
„Ich bitte Sie inständig. Meine Zeitung schmeißt mich raus, wenn ich hier nicht reinkomme.“
„Und wir“, entgegnete ihm die Frau in Gelb ungerührt, „schmeißen Sie raus, sollten Sie es dennoch versuchen. Bitte haben Sie Verständnis. Ich würde ungern den Hausdienst bemühen.“
Oskar hatte nicht die geringste Lust, Bekanntschaft mit den Saaldienern zu machen. Ein Rausschmiss wäre für ihn noch peinlicher, als es die Situation ohnehin schon war. Er schnappte sich deshalb nur noch rasch ein Programm und verschwand nach draußen.
Am Brunnen vor der Oper machte er halt und kühlte sich die Hände. Verdammt nochmal, selbstverständlich war es seine schuld. Natürlich hatte ihm Ressortchef Schlosser aufgetragen, sich anzumelden. Aber da waren die vielen anderen Aufgaben gewesen, die er in seinen ersten Dienstwochen hatte erledigen müssen. Und darüber hatte er die Anmeldung schlicht vergessen.
„Mein lieber Kokoschinski, so lässt sich’s aushalten“, sagte eine heitere, tiefe Stimme.
Oskar blickte sich erschrocken um und entdeckte nur wenige Meter entfernt vom Opernbrunnen Benjamin, einen seiner ältesten Freunde und Rugby-Kumpel, der jetzt als Reporter für die Nachrichtenagentur Worldnews arbeitete.
„Erst mal ’ne Stunde Sonnenbad, dann die dreistündige Mittagspause. Und am späten Nachmittag schreibst du dann 80 Zeilen aus unserem Tickermaterial zusammen. Mannomann, du hast ein scheißfaules Leben, Oz.“
Oz war Oskars Spitzname in der Rugby-Mannschaft.
Benjamin Beckmann war der geborene Rugby-Stürmer. Ein groß gewachsener Kerl mit der Figur eines Tiroler Bauernjungen, mit kräftigen Oberarmen und Schenkeln, die in keiner Jeans genug Platz fanden. Dazu forsch im Auftritt, unverzagt, kühn. Zugleich war er der Prototyp des Agenturreporters. Ein Jäger und Sammler, der alle möglichen Informationen aufsaugte, um sie gefiltert wieder auszuspucken, wenn es dafür einen Anlass gab. Ständig unter Strom, nie abgeschaltet – ein Leben im Stand-by-Modus. Oft den Kragen verdreht, das Hemd hinten aus der Hose, den Schlips viel zu locker und stets ein wenig übernächtigt.
„Ich habe bereits drei Geschichten auf dem Draht“, gab Benjamin keine Ruhe. „Du hingegen hast dich wahrscheinlich eben erst aus dem Bett gepellt und machst trotzdem gleich mal Siesta am Opernbrunnen.“
Oskar war heilfroh, seinen Kumpel zu sehen. „Ben, du musst mich irgendwie in die Oper schleusen“, flehte er ihn an. „Das gibt sonst ein riesiges Ballyhoo beim Finanzblatt.“
Benjamin beruhigte seinen Rugby-Teamkollegen: „Keine Bange. Das kriegen wir schon hin. Worldnews hat wie immer vorsorglich Ersatzleute angemeldet. Du gehst einfach mit dem Ticket unseres Amerikaners rein, Tim O’Bowman.“ Mit diesen Worten legte er ihm freundschaftlich seinen Arm um die Schulter und führte ihn wieder Richtung Opern-Eingang. „Ich bin mir allerdings sicher, Oz, dass du das bereuen wirst. Spätestens beim zweiten Vortrag. Denn vergnügungssteuerpflichtig ist das ganz sicher nicht, was da geboten wird.“
3
Nowitzki und Vito hatten sich auf der kleinen Galerie im ersten Stock der Alten Oper eine Ecke gesucht, von der aus sie fast das ganze Foyer im Auge behalten konnten.
Nowitzki hieß nicht wirklich Nowitzki. Aber weil er alle anderen kopfhoch überragte und noch dazu fast die gleiche blonde Mähne hatte wie der erfolgreichste deutsche Basketballspieler, drängte sich dieser Spitzname nun einmal auf.
„Wir sind startklar“, flüsterte Vito in sein Handy. Auch sein Name war nur ein Spitzname, der in seinem Fall nicht einmal mit seiner Herkunft zu tun hatte. Geboren und aufgewachsen war Vito nämlich in Mannheim und nicht wie Vito Corleone aus den Pate-Filmen Francis Ford Coppolas auf der größten Insel des Mittelmeers. Ja, noch nicht einmal als Tourist war er auf Sizilien gewesen, denn sein Vater stammte aus Nordportugal. Seine Sommerurlaube hatte er stets in einem kleinen Dorf zwischen Braga und Porto verbracht, weit entfernt vom Süden Italiens. Aber mit seinen eng anliegenden weißen Anzügen und dem schwarzen Seitenscheitel hätte der kleinwüchsige und übergewichtige Sohn portugiesischer Einwanderer wohl tatsächlich jedes Casting für einen Mafia-Streifen bestanden. Er und Nowitzki bildeten ein ziemlich ulkiges Zweiergespann.
„Bisher läuft alles nach Plan. Wir haben oben im Presse-Arbeitsraum still und heimlich den Ton abgedreht. Keiner von den Presseheinis kann es sich leisten, da oben länger sitzen zu bleiben, solange hier unten Programm ist. Und jetzt sind wir wieder im Foyer“, berichtete Vito in sein Mobiltelefon. „Da vorne steht die ganze Bande Journalisten. Sollen wir losstarten?“
„Nein“, stoppte ihn sein Gesprächspartner in der Zentrale. „Ihr haltet die Füße still. Der Bundesbank-Chef erreicht in knapp zehn Minuten den Opernplatz, wird also voraussichtlich um Elfhundertzwanzig das Foyer betreten. Da müssen dann alle unsere Agenturreporter antanzen. Dann habt ihr oben etwa eine Viertelstunde, um ungestört abzuräumen“, gab der Mann aus der Zentrale den Fahrplan vor – und fragte zum zweiten Mal an diesem Tag die Zeit ab.
„Elfhundertacht Uhr“, antwortete Vito und stieß seinen Nebenmann an: „Hey, Nowitzki. Der Schatzmeister fragt nach einem Uhrenvergleich.“
Der Zwei-Meter-zehn-Hüne zog sein Handy und bestätigte: „Elfhundertacht.“
„Gut, dann setzt eure Hintern in ziemlich genau zehn Minuten in Bewegung“, lautete die Anweisung des Mannes aus der Zentrale, den sie Schatzmeister nannten. „Aber geräuschlos.“