Loe raamatut: «Leben im Stadtstaat»
Dian Schefold, geboren 1936, Schulen und Studium bis zur Promotion (Dr. jur.) in Basel, mit Aufenthalten an der Freien Universität Berlin und am Schweizerischen Institut in Rom. Ab 1964 an der Freien Universität Berlin, dort Habilitation und Professor für öffentliches Recht 1970-1980, 1980-2001 an der Universität Bremen. Zahlreiche Gastprofessuren an italienischen Universtäten, 2001-2011 Mitglied und Vizepräsident des Group of Independent Experts of Local Self-government des Europarats.
Forschungsschwerpunkte: Italienisch-deutsche Verfassungsvergleichung, neuere Verfassungs- und Theoriegeschichte, Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung, Parteienrecht.
Veröffentlichungen u.a.:
Volkssouveränität und repräsentative Demokratie in der schweizerischen Regeneration 1830-1848 (1966)
Einleitung zu Hugo Preuß, Gesammelte Schriften Bd. 2: Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie (2009)
Bewahrung der Demokratie. Ausgewählte Aufsätze (2012)
Contributi comparatistici in fase di crisi finanziaria (2013)
Ein jüdischer Gründervater der deutschen Demokratie: Hugo Preuß (2018).
Dian Schefold
Leben im Stadtstaat
© E-Book-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Susanne Schmidt, Leipzig
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
eISBN 978-3-86393-568-9
Auch als gedrucktes Buch erhältlich, ISBN 978-3-86393-109-4
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VORWORT
Der hier vorgelegte Text hat eine doppelte Funktion. Zunächst ist er ein Erfahrungsbericht, der Eindrücke aus verschiedenen Lebensphasen autobiographisch festhält. Daneben dokumentiert er daran geknüpfte Beobachtungen und Überlegungen und will dazu beitragen, eine Theorie des Stadtstaats zu entwickeln.
Dabei wird allerdings kein apriorischer Begriff des Stadtstaats zugrunde gelegt, sondern der Stadtstaat abhängig von den konkreten Erfahrungen beschrieben. Dies bestimmt die Darstellung. Da es um verschiedene Lebensphasen geht, stehen die Eigenheiten der Stadtstaaten in den Phasen, in denen ich sie erlebt habe, im Vordergrund. Natürlich wird versucht, auch deren Genese zu berücksichtigen und aus der Distanz auch die weitere Entwicklung nach dem Ende meiner Basler und Berliner Lebensphase einzubeziehen. Aber wie hinsichtlich der behandelten Stadtstaaten, bestimmen und beschränken auch hinsichtlich der beschriebenen Epochen die eigenen Erfahrungen die Darstellung.
Zu den Erfahrungen gehören auch persönliche Eindrücke und Gespräche. Für alle mir dabei zuteilgewordenen Anregungen und Belehrungen bin ich dankbar, und mir liegt daran, über die Literaturnachweise in den Fußnoten hinaus diesen Dank auszusprechen. Ich kann nicht alle nennen, deren Rat die folgenden Ausführungen bereichert hat. Stellvertretend erwähnt seien zwei Gesprächspartner, die mir geholfen haben, Lücken bei der Darstellung zurückliegender Lebensphasen zu schließen. Insofern danke ich für Basel Andreas Rapp, lic.iur., Basel/Bern, für Berlin Priv.-Doz. Dr. Otmar Jung, Berlin, aber darüber hinaus allen Kollegen und Freunden, die die für den Stadtstaat charakteristische Öffentlichkeit der Diskussion und meine Teilnahme daran gefördert haben.
Gewidmet ist diese Schrift Monica Schefold, die mich in allen darin erwähnten Lebensphasen begleitet, angeregt und zur Überwindung fachlicher Grenzen ermutigt hat.
Dian Schefold
INHALT
I.Drei Stadtstaaten: Basel, Berlin, Bremen
II.Vergleichsgesichtspunkte
1. Kleinräumigkeit und bürgernahe Regierung.
a) Volksvertretung und Abgeordnetenzahl.
b) Ergänzung durch Elemente direkter Demokratie.
2. Verwaltungsvereinfachung durch Einstufigkeit.
a) Gliedstaatliche und kommunale Verwaltung als Einheit:
b) Basel.
c) Berlin: de facto Zweistufigkeit.
d) Bremen.
3. Ausgliederungstendenzen.
a) Zünftisch-korporatistische Traditionen.
b) Selbstorganisation der bürgerlichen Gesellschaft.
4. Stadtstaat und Universität.
a) Basel.
b) Berlin.
c) Bremen.
5. Rücksicht auf örtliche Belange? Die bremischen Beiräte.
6. Stadtstaat und Gemeinden.
a) Basel.
b) Bremen.
7. Stadtstaat und Umland.
a) Basel.
b) Berlin.
c) Bremen.
8. Der Stadtstaat im Bund.
III.Der Stadtstaat als Ort von Verfassungskultur
1. Stadtstaaten und Flächenstaaten im Bundesstaat.
2. Vielfalt durch Stadtstaaten.
3. Der Beitrag der Stadtstaaten.
4. Verfassungskultur und Städtegeist.
I.DREI STADTSTAATEN: BASEL, BERLIN, BREMEN
Die hier dargestellten Überlegungen beruhen auf eigenem Erleben. Ich habe, bis ich 28 Jahre alt war, in Basel gelebt, dann 16 Jahre (1964-1980) in Berlin (West) und seitdem in Bremen. Alle drei Lebensmittelpunkte sind Stadtstaaten. Das ist mir in Basel früh bewusst geworden. Ich habe danach in Berlin die Situation als in mancher Hinsicht vergleichbar empfunden. In Bremen erschien und erscheint mir die Stadtstaatlichkeit noch eindeutiger bestimmend. Was haben die drei Stadtstaaten für Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Inwiefern prägen sie das Leben der Bewohner, mit besonderen Chancen, aber auch besonderen Belastungen?
Ich möchte das nicht generell und von einem vorgegebenen Typus des Stadtstaats her beantworten. Der Begriff des Stadtstaats ist schillernd und wird unterschiedlich verwendet, von der griechischen Polis über die mittelalterlichen, im Reichstag des Heiligen Römischen Reichs vertretenen Städte und die Gegensätze zwischen städtischen und ländlichen Orten in der Alten Eidgenossenschaft bis zu den modernen staatlichen und gliedstaatlichen Städten ohne Umland. Da mag die Thematik uferlos erscheinen.1 Insgesamt hätte sie heute in Deutschland jedenfalls auch Hamburg, in Europa etwa Stadtstaaten wie Wien und Brüssel, vielleicht auch die Zwergstaaten in der Art von San Marino oder Monaco einzubeziehen, weltweit etwa Washington, Singapur und Hongkong. Größenordnungen, Rahmenbedingungen – Unabhängigkeit, unterschiedliche Typen von Bundes- oder Regionalstaatlichkeit – und Fragestellungen wären insofern zu heterogen. Daher beschränke ich mich auf die Bereiche, die ich aus eigener Erfahrung kenne, und versuche einen Überblick über Chancen und Risiken des Lebens in den drei Stadtstaaten Basel, Berlin und Bremen zu geben. Ich wähle acht Fragenkreise aus2 und behandle sie aufgrund dessen, was ich dazu mitbekommen habe.
Insofern sind auch die drei hier interessierenden Stadtstaaten freilich sehr verschieden: Historisch durch die Position Bremens als Freie Reichsstadt, deren Reichsfreiheit bis auf die Barbarossa-Urkunde von 1.186 zurückgeführt werden kann und im Linzer Diplom 1.640 bestätigt worden ist.3 Berlin genoss eine Sonderstellung als Hauptstadt Preußens und später des Reichs. Als eigentlicher Stadtstaat wurde es erst nach dem Zweiten Weltkrieg und durch das Besatzungsregime ausgestaltet, und nach der Wiedervereinigung Deutschlands hat es als Hauptstadt eine Sonderstellung.4 Meine Heimatstadt Basel, der 1.833 von seinem Landgebiet, dem heutigen Kanton Baselland, getrennte Kanton Basel-Stadt,5 hat ein Gebiet von nur 37 km2 und hatte in meiner Jugendzeit und heute etwa 190.000 Einwohner – eine Zahl, die sich, wegen Raummangels, kaum erhöht hat. Das Berlin in der Zeit der Teilung, West-Berlin, hatte auf etwa 480 km2 damals knapp 2,2 Mio. Einwohner, das Land Bremen auf 404 km2 etwa 660.000 Einwohner. Basel-Stadt ist daher nicht nur bei weitem der kleinste, sondern auch der mit über 5.100 Einwohnern pro km2 am dichtesten bevölkerte Stadtstaat, dichter als das von Werner Hegemann als das „steinerne“ bezeichnete Berlin,6 das im Westen knapp 4.600 Einwohner pro km2 aufweist, vor allem im Osten aber noch große Freiflächen besitzt. In Bremen dagegen entfallen nur ca. 1.620 Einwohner auf einen km2, so dass von einer grünen Stadt gesprochen werden, eine erhebliche Landreserve konstatiert werden kann.
Die Enge Basels beruht auf der Kantonstrennung von 1833 und ist ein Trauma, nicht nur gegen Süden, wo die Stadt nahtlos in den Speckgürtel der basellandschaftlichen Nachbargemeinden – mit kantonal geregelten, niedrigeren Steuersätzen – übergeht, sondern auch gegenüber der deutschen und französischen Grenze. Ich vergesse den hohen Stacheldrahtzaun zu Nazi-Deutschland nicht, und ebenso wenig die seit den 1950er-Jahren kaum mehr kontrollierte Freizügigkeit zu den badischen und elsässischen Nachbarn, die ein Stück Europa vorweggenommen und mich geprägt hat, schweizerische Absage an die EWG hin oder her. Der Stadtstaat an der Grenze gehört in sein Umland.
Andererseits aber ist er sich seiner Eigenart bewusst. Er hat sein eigenes Bildungssystem, das wir 1960 mit der damals 500-jährigen Universität gefeiert haben, und das auch auf das Humanistische Gymnasium ausstrahlte, das mich zunächst geprägt hat. Waren die Lehrer an dessen Oberstufe, damals „Paedagogium“ genannt, bis weit ins 19. Jahrhundert die Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität – was Friedrich Nietzsche, als ganz junger Mann 1869 als Griechisch-Professor nach Basel berufen, vor Probleme stellte und in Konflikte brachte7 –, so hatte ich auch in meiner Schulzeit etliche Universitätsprofessoren als Lehrer. Der Historiker Adolf Gasser, der 1943 mit seinem Buch „Gemeindefreiheit als Rettung Europas“8 die kleinräumige Demokratie verteidigte – eine Parallele zu Leopold Kohr und E.F. Schumacher liegt nahe – weckte mein Interesse für die lokale Selbstverwaltung und damit für eine Grundlage der Stadtstaatlichkeit. Ich begann Jean-Jacques Rousseau zu lesen und nahm den „citoyen de Genève“ als solchen wahr. Die griechische und zunächst auch römische Geschichte lernten wir anhand der Polis kennen – dem Ort der Entfaltung lokaler (noch so unvollkommener) Demokratie und zugleich, für Platon, Modell zur Explikation der Politeia, des gerechten Gemeinwesens. Der große Basler Historiker Jacob Burckhardt hatte diese Polis beschrieben und in Verbindung zu seiner Heimatstadt gebracht.9 Der „Städtegeist“, den der aus Basel stammende Historiker und Diplomat Carl Jacob Burckhardt damals (1952) in seinem Nürnberger Vortrag rühmte,10 hatte hier seine Grundlage. Direkt daran schloss mein Jura-Studium in Basel an, mit der Vermittlung einerseits der gemeindlichen Selbstverwaltung, andererseits des Aufbaus des Bundesstaats auf unterschiedlich strukturierte Gliedkörperschaften, den Stadtkanton zwischen den Flächen-Kantonen. So präzis mein Lehrer Max Imboden die Struktur des demokratischen Bundesstaats erfasste, er ließ, ebenso wie sein Lehrer Zaccaria Giacometti,11 den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Kantonsverfassungen Raum. Dabei bot für Basel damals auch eine eigenständige Presse Diskussionsforen.
Daher nahm ich auch Berlin als Stadtstaat wahr, erst 1957 als Student, dann seit 1964 als Assistent und seit 1970 als Hochschullehrer. Früh interessierte ich mich für die Zweistufigkeit der Zentral- und der Bezirksebene und begann zu ahnen, dass hier der damalige ehrenamtliche Stadtrat Hugo Preuß aus seinem Konzept städtischer Selbstverwaltung und städtischen Amtsrechts eine für die Reichshauptstadt passende Verfassungsform zu entwickeln versucht hatte.12 Allerdings schreckte mich schon damals die bürokratische Aufblähung des Verwaltungsapparats, und nach den politisch spannungsreichen Jahren, im weltpolitischen wie im universitären Bereich, lockte ein Wechsel.
In der Tat wirkte Bremen auf mich als besser funktionierendes städtisches Gemeinwesen. Ich nahm die jahrhundertealte reichsstädtische und die – vielleicht, auch unter dem Eindruck von 1848, zu optimistisch gesehene – republikanische Tradition im Deutschen Bund und Deutschen Reich wahr,13 erfuhr von deren Entwicklung zur Räterepublik, aber auch zu deren Unterdrückung durch die an sich doch auch die Republik bejahende Reichsregierung, schließlich von der bis 1933 standhaften Verteidigung gegen den Nationalsozialismus.14 Insofern sah ich im heutigen Bundesland Bremen weniger die Neugründung, als die Anknüpfung an die Tradition, und dass diese jetzt mit einer Universität verbunden wurde, betonte die Verwandtschaft mit Basel und erleichterte mir, heimisch zu werden.
1Begründet deshalb das Desiderat bei Peter Häberle, Die Zukunft der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen im Kontext Deutschlands und Europas, JZ 1998, S. 57 (65 mit Fn. 61), nach einer Stadtstaaten-Theorie; zu den dort gegebenen Literaturhinweisen ist namentlich Konrad Hummler/Franz Jaeger (Hrsg.), Stadtstaat – Utopie oder realistisches Modell?, Zürich 2011 nachzutragen.
2Dabei versteht sich, dass weitere Vergleichsgesichtspunkte von Interesse sind, etwa das Staatskirchenrecht und das städtische Baurecht.
3Dazu Peter Kalmbach/Christoph Schminck-Gustavus, in: Fischer-Lescano/Rinken u.a. (Hrsg.), Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Baden-Baden 2016, E 1 Rdnr. 4, 10, S. 77, 81. Aufschlussreich auch die Beiträge in Konrad Elmshäuser (Hrsg.), Der Stadtstaat. Bremen als Paradigma, Bremen 2005.
4Dazu Ernst R. Zivier, Berlin: Stadtstaat, kreisfreie Stadt oder Bundesbezirk? Recht und Politik 39, 2003, S. 81 ff. und dann die Neufassung des Art. 22 GG durch die Föderalismusreform, Gesetz vom 28.8.2006 (BGBl. I, S. 2034) und die daran anschließenden Überlegungen, dazu Wolfgang Bey/Thomas Flierl (Hrsg.), Die neue Hauptstadtdebatte, Berlin 2007 (mein Beitrag S. 40 ff.).
5Dazu Kurt Eichenberger, Die Lage des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, in: Eichenberger u.a. (Hrsg.), Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel 1984, S. 1 (14 f. mit Fn. 25), der Basel als Stadtstaat im Sinn einer Stadt ohne Umland, aber nicht als historische Stadtrepublik versteht.
6Werner Hegemann, Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt (1930), Ausgabe: Ullstein Bauwelt Fundamente, Berlin 1963.
7Dazu Eduard His, Basler Gelehrte des 19. Jh., Basel 1941, S. 307, fußend auf Johannes Stroux, Nietzsches Professur in Basel, Jena 1925.
8Adolf Gasser, Gemeindefreiheit als Rettung Europas, Basel 1943, 2. Aufl. 1947, kommentierte Neuausgabe durch Ulrich Mentz unter dem Titel „Gemeindefreiheit in Europa“, Baden-Baden 2004.
9Vgl. die umfassende Biographie von Werner Kaegi, Jacob Burckhardt, 7 Bde. Basel 1947-1982, wo im abschließenden Band 7 (1982) auf die Ausführungen zur Griechischen Kulturgeschichte S. 111 ff. ein Kapitel über „Das Leben im Stadtstaat“ folgt. Kaegi betont auch, gestützt namentlich auf Emil Dürr, Jacob Burckhardt als politischer Publizist, Zürich 1937, die Verbindung von historischer und politischer Darstellung durch Burckhardt.
10Carl Jacob Burckhardt, Städtegeist, in: Vier historische Betrachtungen, Zürich 1953, S. 74-105.
11Zaccaria Giacometti, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Zürich 1941.
12Eindrücklich insofern die Widmung Hegemanns (zit. Fn. 6) „Dem Andenken von Hugo Preuß“, S. 7 f., dazu Christoph Müller, Einleitung, in: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Tübingen 2012, S. 52 mit weiteren Nachweisen in Fn. 268.
13Dian Schefold, Hundertfünfzig Jahre Bremische Verfassung, in: Jahrbuch der Juristischen Gesellschaft Bremen 2000, S. 7 ff., jetzt auch in: Dian Schefold, Bewahrung der Demokratie. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 2012, S. 406 ff.
14Dazu Holger G. Hasenkamp, Die Freie Hansestadt Bremen und das Reich 1928-1933, Bremen 1981, und meine Rezension AÖR 108, 1983, S. 462 ff.
Tasuta katkend on lõppenud.