Loe raamatut: «Zart und frei», lehekülg 3

Font:

Kurzer historischer Rückblick

Im vorigen Kapitel war bereits von Susan Faludis Buch Backlash die Rede, das den Antifeminismus in Folge der zweiten Welle der Frauenbewegung umfassend beschreibt. Doch Antifeminist*innen begleiten den Feminismus seit seiner Entstehung als politische Bewegung: Die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm schrieb 1902 in Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung: »Die Frauenfrage in der Gegenwart ist eine akute geworden. Auf der einen Seite werden die Ansprüche immer radikaler, auf der anderen die Abwehr immer energischer.« Hans Blüher, einer der ersten Aktivisten und Geschichtsschreiber der Wandervogelbewegung sah sich selbst als Begründer des »modernen Antifeminismus« und gab in seinem 1915/16 erschienenen Aufsatz »Was ist Antifeminismus?« dazu folgende Bestimmung: Es handele sich um den »Kampf gegen den Feminismus, der die Frau zu ihrem Schaden mißdeutet«. Zudem sei der Antifeminismus getragen vom » Wille[n] zur Reinheit der Männerbünde«. Eine Definition, die an Aktualität nichts verloren hat.

Wie im Backlash in den Achtzigerjahren wurde auch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein vermeintlicher Geburtenrückgang beklagt, der dem deutschen Volk schade. Schon damals zeigte sich die enge Verbindung von Antifeminismus und rassistischer Denkweise – worauf ich gleich noch einmal gesondert eingehe –, so etwa in der deutschnationalen, völkischen und antisemitischen Ausrichtung des 1912 gegründeten »Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation«. Der Nationalsozialismus machte den Antifeminismus als Widerstandsbewegung in Deutschland dann überflüssig, schließlich war er als Teil der Nazi-Ideologie hegemonial geworden. Dazu sei angemerkt, dass dies keinesfalls den Schluss zulässt, Frauen seien nicht gleichermaßen Täter*innen gewesen. Manche Historiker*innen, die den patriarchalen Charakter des Nationalsozialismus beschrieben, verschleierten die Möglichkeit der Täterinnenschaft der deutschen Frauen, die als Krankenschwestern und Sozialarbeiterinnen, oder mit einem Tatprofil, das dem der Männer entsprach, wie etwa als SS-Aufseherinnen in KZs, den Genozid an Jüd*innen mit verantworteten. Diese Täter*innenschaft wurde von den Feminist*innen der zweiten Welle schließlich breit thematisiert.

Als Reaktion auf die zweite Welle des Feminismus entwickelte sich in Deutschland erstmals eine Szene, die sich explizit antifeministisch organisierte und bis heute ihre Wirkung entfaltet. In den Achtziger- und Neunzigerjahren schlossen sich Männer zu sogenannten Männerrechtsgruppen zusammen, die einen zentralen Aspekt in die antifeministische Argumentation neu aufnahmen: das Bild des Mannes als Opfer des Feminismus, der benachteiligt werde, seit die Feminist*innen die »Femokratie«, die Bevorteilung der Frau, auch auf staatlicher Ebene durchgesetzt hätten. Frühere Antifeminist*innen hatten vehement an der Vorstellung der natürlichen Vorherrschaft der Männer festgehalten, die neuen antifeministischen Männerrechtler sahen diese durch die Erfolge der zweiten Frauenbewegung nun tatsächlich bedroht, durch Gleichstellungsmaßnahmen, die sie fortan als staatlich verordnete Umerziehung verunglimpften.

Spätestens in den frühen Nullerjahren begann die Szene der Maskulinisten sich vor allem über Online-Foren, Vereinswebseiten und Blogs zu vernetzen, wie etwa im Forum »WGvdL« (Abkürzung für: Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land?), der bestbesuchten Webseite der antifeministischen Männerrechtsbewegung, auf dem Femokratie-Blog und im WikiMANNia, einer maskulinistischen Online-Enzyklopädie. Die Seiten greifen meist auf internationale Provider zurück, die darauf spezialisiert sind, illegale und strafbare Inhalte zu hosten. Auf diese Weise entziehen sie sich bisher trotz »Verharmlosung des Nationalsozialismus, Urheberrechtsverletzungen, Drohungen, Rassismus, gepaart mit Chauvinismus und Sexismus« der juristischen Verfolgung, wie etwa Hinrich Rosenbrock ausführlich belegt hat.

Dezidiert maskulinistische Positionen fanden um den Jahrtausendwechsel auch schon Eingang in konservative Zeitungen wie den Focus: Vor allem der Journalist Michael Klonovsky, der später als Berater von Frauke Petry in Erscheinung trat, schrieb ab 2003 gegen die vermeintliche Benachteiligung von Männern an. Mehrmals monatlich ging es in seinen Texten um »feministische Benachteiligungspropaganda«, die sozialistisch-kommunistisch, also totalitär, sei und Männer dressiere, sie zu »Schrumpfmännern« mache, zu »mutlosen und chronisch verunsicherten Befindlichkeitskrüppeln«, wie er schrieb. Auch der Frankfurter Allgemeinen galt »der Feminismus« als Bedrohung. Darauf komme ich weiter unten zurück, wenn ich auch die Gleichsetzung von Feminismus und sozialistischer Diktatur genauer beleuchte. Einige Parteistiftungen hatten zeitweise ebenfalls wenig Berührungsängste zu Männerrechtlern, wie sich etwa auf der Tagung »Ein Männeraufbruch ist überfällig« der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigte.

Der 22. Juli 2011 markierte für manche dieser Allianzen – zumindest in der Öffentlichkeit – einen Bruch: Der Norweger Anders Behring Breivik tötete an jenem Tag 77 Menschen, überwiegend Teilnehmer*innen eines Zeltlagers der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF – aus einer rassistischen Gesinnung heraus, wie es meist hieß. In seinem Manifest wurde ein weiteres, zentrales Motiv für sein Attentat deutlich: sein Frauenhass, sein Hass auf den Feminismus, der in Form der »Political Correctness« die sogenannte abendländische Kultur fundamental angreife.

Die Äußerungen aus seinem Manifest kursierten im Anschluss an das Attentat auf verschiedenen Blogs. Sie machten die Radikalität und Brutalität mancher Maskulinisten deutlich, genau wie die enge Verbindung, sowohl personell als auch ideell, zwischen Antifeminist*innen und der rechten Szene. Dass sich in der Folge einige gemäßigte Männerrechtler von der selbst ernannten »Bewegung« distanzierten und jene seitdem tatsächlich öffentlich weniger in Erscheinung trat, bedeutet nicht, dass sie an Wirkmächtigkeit verlor.

Die Maskulinisten haben eine größere Strömung gefunden, in der sie nun aufgehen: Die Neue Rechte bietet dem Antifeminismus eine Heimat – und das Wiedererstarken einer globalen feministischen Bewegung durch #MeToo verleiht ihm dabei neuen Auftrieb.

2.1Rechtsruck gegen den Feminismus

»Ich will als Mann auch mal das Recht haben zu weinen«, sagt Martin Sellner und grinst. »Scherz beiseite.« Nein, weinen will er natürlich nicht – er ist als Mann schließlich zu anderem geboren. Im Gegensatz zur Frau, wie Sellner, Videoblogger und Chefstratege der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, auf Youtube erklärt. Er interviewt eine Kollegin von den Identitären, die bestätigen soll, was er eh schon weiß: Dass Frauen von Natur aus emotionaler sind als Männer. Dass sie sich deshalb als Politikerinnen nicht eignen. Und vielleicht nicht einmal als Wählerinnen. Denn sie würden sich mit Bildern von Flüchtlingskindern manipulieren lassen. Deshalb würden sie dann die Parteien wählen, die »die Grenzen aufreißen«, was dazu führe, dass sie »vergewaltigt werden und Schleier tragen müssen«. Hätten Frauen nicht mitgewählt in Europa in den vergangenen zwanzig Jahren, gäbe es keine »Masseneinwanderung«, keine »Islamisierung«. Schuld an allem Übel ist also der Feminismus, weil er die Frauen entgegen ihrer Natur vom Herd getrennt hat – das ist die Quintessenz von Sellners Videos zur »Frauen-Frage«.

Und das ist die Ansicht, die er mit seinen Verbündeten in Deutschland und in den USA teilt, mit Politiker*innen und Aktivist*innen von der AfD und der Altright-Bewegung. Manche der rassistischen Männerrechtler gehen sogar so weit, die »White Sharia« zu fordern: »Wir wollen, dass Frauen wieder den Status haben, den sie im 19. Jahrhundert hatten, bevor der Feminismus unsere Zivilisation ruinierte«, hieß es etwa im Daily Stormer, einer der Webseiten der Alt-Right-Bewegung.

»Männlichkeit ist kein soziales Konstrukt«, lautete einer der zentralen Wahl-Slogans der AfD, auf dem Plakat illustriert mit einer Ritterrüstung: Der Mann ist stählern, unzerstörbar. Er soll endlich wieder seiner Natur entsprechen dürfen, das fordert auch Björn Höcke, wenn er ruft: »Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft!«

Dazu muss der Gegenpart, die Frau, ebenfalls wieder auf den Platz, den die Natur ihr bereithält: Auf dem Plakat wiegt sie ein Baby im Arm. In dieser Ordnung ist klar, wer das Sagen hat. Deshalb fand Frauke Petry auch die #MeToo-Bewegung falsch: Die Frau sei nun mal von Natur aus das schwächere Geschlecht. Darüber brauche man sich nicht zu beschweren.

Sexismus und Frauenverachtung sind eine entscheidende Triebkraft der Neuen Rechten. Der Hass auf den Feminismus und den vermeintlichen »Gender-Wahn« verbindet all jene, die sich im »Kulturkampf« wähnen. Genauso wichtig wie die Schließung der Grenzen scheint der AfD die Abschaffung der Gender Studies zu sein, die die kulturelle Bedingtheit von Männlichkeit und Weiblichkeit erforschen.

Ihr Nationalismus und der Antifeminismus hängen in dreierlei Hinsicht zusammen. Sellners Lamento zeigt den ersten Argumentationsstrang auf: Frauen und Männer seien von Natur aus für unterschiedliche Dinge geeignet, Männer für das Rationale, die Politik. Wenn Frauen durch den Feminismus und durch den Genderwahn gleichgestellt würden mit Männern, wenn also die vermeintlich unterschiedliche Veranlagung von Männern und Frauen hinterfragt werde und Frauen Zugang zu den gleichen Bereichen wie Männer bekämen, dann habe das für die Gesellschaft, für das Volk gravierende Folgen, weil es vor allem in der Politik, im Wettstreit der Nationen, rationale Kälte brauche, über die Frauen nicht verfügten, weil sie stattdessen eben »die Grenzen aufreißen«. Zu viel widernatürlicher Einfluss von Frauen auf die politische Sphäre, auf den Staat, gefährde die Nation, das Volk, das die Frauen nicht zu schützen wüssten.

Dass faschistische Männer Frauen mit unkontrollierbaren Fluten und Strömen assoziieren, mit all dem, was die Nation und die männliche Identität bedrohe, hat Klaus Theweleit schon 1977 im Buch Männerphantasien dargelegt. Anhand von über 250 Romanen und Schriftstücken aus den Zwanzigerjahren analysierte er die furchterregenden Frauenbilder und Fantasien faschistischer Freikorps-Soldaten. Ein Pendant zu den Männlichkeitseinübungen der Soldaten von damals findet sich heute im digitalen Raum, wo sich deutschsprachige Nazis nach militärischer Hackordnung organisieren und ihre misogynen Gewaltfantasien ausleben, auf »Reconquista Germanica« etwa, aber auch in diversen Facebook-Gruppen. »Diese Nutte gehört totgebumst und zerhackt«, hieß es da über die Bundessprecherin der Linksjugend, oder zu einem Bild einer Frau mit einem vermeintlichen Migranten: »Abartig«, »Verräterin der weißen Rasse«. In dieser bis zum Topos der »Rassenschande« reichenden Argumentation wird die Frau mit Eigenschaften verbunden, die sie zu einer permanenten Bedrohung für die innere Ordnung der Volksgemeinschaft machen.

Doch der Feminismus verweichliche auch die Männer, sodass auch sie die Nation nicht mehr ordnungsgemäß verteidigen könnten. Das ist der zweite Aspekt, in dem der Nationalismus und der Antifeminismus zusammenfinden: Demzufolge unterjoche der Feminismus Männer, untergrabe deren vermeintlich natürliche Souveränität und gefährde damit jeweils die Nation, die von einem starken Mann geführt werden müsse. Auf diese rechtsradikale Annahme verständigen sich Maskulinisten verschiedener Gruppierungen zunehmend, wie Anfang 2020 eine Studie aus Deutschland, der Schweiz und den USA zeigte, für die mit spezieller Software 38 Millionen Posts in Foren der sogenannten Manosphere, der Sphäre der Männerrechtler im Internet analysiert wurden. Viele gehen so weit, eine Verschwörung hinter den Vorgängen zu vermuten: Der Attentäter von Halle etwa, ein radikaler Antifeminist, behauptete in seinem Bekennervideo, geheime, nämlich jüdische Mächte hätten den Feminismus erfunden, um den westlichen Mann zu schwächen und dann die Völker des Westens auszurotten. Der Attentäter ist dem Spektrum der Incels zuzuordnen, also denjenigen, die sich als »involuntary celibates«, als »unfreiwillig Enthaltsame« bezeichnen und glauben, dass Frauen ihnen ihr Recht, das vermeintlich männliche Recht auf Sex verweigerten und deshalb bestraft werden müssten. Auch der Attentäter von Toronto, der 2018 mit seinem Auto zehn Menschen ermordete, war Incel und berief sich wiederum auf Elliot Rodger, der seinerseits sechs Menschen und sich selbst tötete, nachdem er zuvor erklärt hatte, dass er einen »Krieg gegen Frauen« führe, da diese ihm den Sex verweigert hätten. Die erwähnte Studie zeigt, dass Incels im Netz an Einfluss gewinnen. Gleiches gilt für die Männerrechtler der Bewegung »Men Going Their Own Way« (MGTOW), die sich zur Revolte gegen die »Femokratie«, die vermeintliche Herrschaft der Frauen, organisieren. Beide bekommen Zulauf aus der Szene der Pick-Up-Artists, jener cis Männer, die anderen cis Männern in Workshops beibringen, wieder »männlicher« zu werden, das heißt: Frauen ins Bett zu kriegen, wann immer ihnen danach ist. Die Soziologin Franziska Schutzbach schrieb schon 2017, das Phantasma von einer Wiederaneignung dominanter Männlichkeit in der Pick-Up-Szene wirke wie eine Einstiegsdroge in rechtsnationale Weltanschauungen: Männer, die sich vom angeblich grassierenden Feminismus kleingehalten fühlen, schlussfolgern, dass die Verweichlichung des westlichen Mannes zur Schwächung nationaler Souveränität und zur baldigen Machtübernahme durch Muslim*innen oder Jüd*innen führe. Auch die anonymen, mit »NSU 2.0« unterzeichneten Drohschreiben richteten sich zunächst ausschließlich gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen und/oder sich feministisch und gegen Nazis engagieren. Neben Todesdrohungen enthielten sie sexistische Schmähungen und Vergewaltigungsfantasien.

Der Feminismus, der Frauen angeblich gegen deren Natur aus der Sphäre des Privaten herausreißt, gefährde den Erhalt der vermeintlich überlegenen Völker, des deutschen Volkes zumal, also erstens, weil Frauen in den Augen der Rechten den Außenschutz des Staates zersetzen, und zweitens, weil sie die Souveränität des Mannes und damit der Nation untergraben. Und schließlich, weil sie getrennt vom Herd zu wenig Kinder bekommen und so die deutsche Kleinfamilie nicht ordnungsgemäß reproduzieren.

Das ist der dritte Punkt, in dem sich die nationalistischrassistische und die antifeministische Argumentation wechselseitig bedingen: der Kampf für die deutsche Kleinfamilie. Einwanderung dürfe nur durch den Geburtskanal deutscher Frauen stattfinden, twitterte der Berliner AfD-Abgeordnete Andreas Wild. »Neue Deutsche? Machen wir selber«, hieß es auf einem AfD-Plakat, das eine weiße, schwangere Frau zeigte; und im Wahlprogramm stand, die AfD wolle die Geburtenrate »unter deutschstämmigen Frauen« erhöhen. Die völkische Ideologie dieser Partei basiert auf der Verbindung von Rassismus und Sexismus, auf jenen beiden Denkweisen, denen gemein ist, die Menschen in vermeintlich natürliche Kategorien mit fest zugeschriebenen Eigenschaften zu unterteilen, die den Ausschluss und die Ausbeutung der herabgestuften Gruppen legitimieren. Der Kampf gegen alles, was das traditionelle Familienmodell und damit den Erhalt des deutschen Volkes bedrohen könnte, ist zentral für die AfD: »Gender-Wahn«, Feminismus und Homo-, Bi- und Pansexualität. Und auch: Schwangerschaftsabbrüche.

Jede Frau, die abtreibt, zerstört vermeintlich die Nation, das Deutsche und das Christentum, das schließlich wegen der angeblich fortschreitenden Islamisierung bedroht sei.

»Rund 100 000 Kinder, die jedes Jahr das Licht der Welt nicht erblicken, sind in meinen Augen ein Skandal. Diese Kinder fehlen […] in der Geburtenrate des Landes«, schrieb Birgit Kelle anlässlich der Neuregelung des Paragrafen 219a im Magazin Focus. Kelle ist Autorin der Bestseller Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn und GenderGaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will.

Das gefällt der sogenannten Lebensschutz-Bewegung, einer Bewegung aus christlichen Fundamentalist*innen, die Abtreibung mit dem Holocaust vergleichen und sich mit dem Erfolg der AfD bestätigt fühlen. Gender-Mainstreaming-Praktiken seien ein staatliches Mittel zur »Umerziehung« aller »gegen die Natur«, sagt etwa Gabriele Kuby, eine der zentralen Figuren des christlich-fundamentalistischen Arms der Neuen Rechten, im Interview mit der Jungen Freiheit.

»Es wird an der heterosexuellen Vereinigung zur Zeugung des Menschen gerüttelt und damit das Fundament der Familie zerstört. […] Kinder kann man prägen. Wenn das Familienministerium die Schaltstelle der Gender-Ideologie ist, dann sollte es uns alarmieren, dass der Staat mit dem massiven Krippenausbau nun bereits nach den einjährigen Kindern greift.«

Einerseits sollen sich staatliche Institutionen heraushalten (etwa aus der Kindererziehung), andererseits müsse der Staat sich einmischen, um institutionalisierte Privilegien heteronormativer Lebensweisen zu verteidigen, wie etwa die Ehe als exklusive Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die keinesfalls durch die sogenannte Ehe für alle herabgewürdigt werden dürfe.

Der Kampf für die vermeintlich natürliche Familie dient den Rechten als Bindeglied zu all jenen christlichfundamentalistischen Kräften, die sich bis in die Mitte der Gesellschaft hinein als »besorgte Eltern« organisieren. Sie kämpfen etwa dagegen, dass ihre Kinder in der Schule erfahren, dass es verschiedene sexuelle Orientierungen gibt, wie Verhütung funktioniert und was sich im Körper tut, wenn er Lust erfährt. Passend heißt es im AfD-Wahlprogramm: »Unsere Kinder« müssten geschützt werden gegen die von der Schule beförderte »Frühsexualisierung«, bei der »sexuelle Vielfalt« und »Homosexualität« propagiert würden.

Hier zeigt sich, dass alle Lebens- und Liebesformen, die nicht dem binären, hierarchischen Geschlechterverhältnis entsprechen, in denen sich also nicht jeweils ein Mann und eine Frau möglichst schnell zum monogamen Paar zusammenfinden und sich die Frau – auch sexuell – unterordnet, in den Augen der rechten Antifeminist*innen zur Gefahr für die Kinder und die gesamte Gesellschaft werden.

Am eindrucksvollsten vertritt diese Thesen Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Compact-Magazins, der auf den Demos der »besorgten Eltern« sprechen darf. Da behauptet er dann etwa, wie auf Youtube immer noch zu sehen, in Berlin fänden an Schulen Übungen statt, »wie man den besten Puff leitet«, Schüler*innen würden dazu angehalten, Orgasmen pantomimisch darzustellen, und Zehnjährige dazu aufgefordert, ihre »Lieblingsstellung vorzuführen«. So werden die Ängste all jener »besorgten Eltern« weiter geschürt, denen sexuelle Bildungsarbeit, die auf Erkenntnissen aus der Präventions- und Gesundheitsforschung basiert, ohnehin schon suspekt ist.

Rechtspopulist*innen und rechtsextreme Akteur*innen greifen für ihre antifeministische Propaganda Vorurteile auf, die auch in konservativen Kreisen der gesellschaftlichen Mitte zu finden sind (wie in der Kampagne gegen sexuelle Früherziehung in Baden-Württemberg). Sie tarnen ihre Ablehnung pluraler Familien- und Lebensformen mit anschlussfähigen, aber umgedeuteten Begriffen, mit der Forderung etwa, dass »Gleichberechtigung wieder Chancengleichheit bedeuten« müsse, wie es im Grundsatzprogramm der AfD 2016 hieß.

Henning von Bargen und Barbara Unmüßig, die beide im Rahmen ihrer Arbeit am Gunda-Werner-Institut zu Antifeminismus bzw. Antigenderismus forschen, warnen davor, ihn als altbekanntes Phänomen abzutun oder ihn zu ignorieren, in der Hoffnung, ihn damit zu bekämpfen. Letzteres sei als Strategie sinnvoll gewesen, als der Antifeminismus nur von ein paar radikalen Maskulinisten ausging, die ihre Thesen von Männerdiskriminierung und Staatsfeminismus vorwiegend im Internet verbreiteten und noch wenig Einfluss auf den politischen Mainstream hatten. Heute aber, da der antifeministische Rechtsruck sich hierzulande im Einfluss etwa auf die Neuregelung des Paragrafen 219a ausdrückt, der weiterhin die ärztliche Verbreitung von Informationen über Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, und sich rechte Parteien und reaktionäre Gruppierungen auch international miteinander vernetzen und sich z. B. bei Kampagnen gegen Gleichstellungbestrebungen für LGBTIQ-Personen im Europäischen Parlament gegenseitig unterstützen, sehe die Situation anders aus.

In den letzten Jahren zeigten sich in all den Ländern, die auch parlamentarisch nach rechts gerückt sind, bereits die Erfolge der Anti-Gender-Bewegung in der Politik, wie etwa im US-Bundesstaat Alabama, wo Abtreibung fast vollständig und selbst im Fall einer Vergewaltigung verboten wurde; wie etwa in Brasilien, wo seit Jair Bolsonaros Wahlerfolg im Herbst 2018 homo- und transfeindliche Übergriffe wieder zunehmen; wie etwa in Polen, wo ganze Gebiete zu LGBTIQ-freien Zonen erklärt werden und also nur heterosexuelle cis Männer und cis Frauen willkommen sind, wie in der Einleitung schon erwähnt.

Diese Entwicklung ist auch deshalb so gefährlich, weil der neue Antifeminismus, die Angst vor sogenannter Gender-Ideologie und damit der Einsatz für die traditionelle Familie als »Scharnier« und »Kitt« zwischen dem rechten Rand und der gesellschaftlichen Mitte fungiert.

Tasuta katkend on lõppenud.

15,99 €