Wie Menschenbilder Personen und Unternehmen verändern

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Wie Menschenbilder Personen und Unternehmen verändern
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HANS ROSENKRANZ

Dr. oec. publ., Wirtschaftspädagoge, Organisationspsychologe und Familientherapeut. Integriert Coaching, Organisationsentwicklung, gruppendynamisches Training, Psychotherapie, Kunst und Sport zu ganzheitlichem Energiemanagement. Gründer und Gesellschafter der Team Dr. Rosenkranz GmbH.

Wie Menschenbilder Personen und Unternehmen verändern

Hans Rosenkranz

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Hans Rosenkranz

ISBN 978-3-8442-5146-3

Vorwort zur Neuauflage
Wie Menschenbilder Personen und Unternehmen verändern

Menschen, Gruppen und ganze Nationen tendieren dazu, Vorstellungen und Annahmen vom Menschen zu entwickeln und sie als Leitbilder und Führungsrichtlinien ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Auch wenn sie nicht explizit formuliert sind, kommen sie in der Organisation von Wirtschaftsunternehmen und von anderen Institutionen und im Verhalten ihrer Mitglieder zum Ausdruck. Die von den Gründern und ihren wichtigsten Mitgliedern geschaffenen Ideen haben sich manifestiert und strahlen auf jene aus, die mit der Organisation in Verbindung stehen. Sie sind wie die Geister, die der Zauberlehrling rief und nicht mehr los wird: Sie prägen die Gedankenkultur, die Produkte und Leistungen des Unternehmens. Die Folge ist, dass wir uns - bewusst oder unbewusst - durch vorgedachte Vorstellungsfelder vom Menschen bewegen. Um nicht zu Opfern einer fremdbestimmten, von uns nicht akzeptierten Gedankenkultur zu werden, stellt sich uns die Herausforderung, der eigenen Intention bewusst zu werden und sie aktiv einzubringen. Eine Ziel- und Handlungstheorie, die auf einer humanistischen Wertekultur basiert, wird durch gruppendynamisches Managementtraining, Aktionslernen und ganzheitliche Organisationsentwicklung unterstützt, wie sie seit 40 Jahren an meinem Institut praktiziert wird.

Die ursprüngliche Absicht dieser Arbeit war es, die wirtschaftspädagogische Bedeutung des Gewinnmaximierungsprinzips nach dem Menschenbild des Homo oeconomicus zu untersuchen. Mein Interesse hat sich dann mehr auf die differenzierten Menschenbilder der formalen und informalen Organisation von Unternehmen gerichtet und welche Wirkungen mit ihnen induziert sind. Bei diesen Organisationsphänomenen kommt das Spannungsverhältnis von Verstand, Gefühl und Intuition zum Ausdruck. Dieses fasziniert mich als Unternehmensberater, Familientherapeut und Managementtrainer nach wie vor.

Die Wirtschaftskrise als Schaubühne des Homo oeconomicus war für mich der Auslöser, diese Arbeit als E-Book zu veröffentlichen. Sie wurde 1969 als Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt und 1973 mit Veränderungen als UTB-Taschenbuch beim Reinhardt Verlag unter dem Titel „Soziale Betriebsorganisation unter anthropologischen und pädagogischen Aspekten“ veröffentlicht. Ich habe keine weiteren Änderungen vorgenommen.

München, im März 2013

Vorwort zur Erstauflage

Ein Kennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft sind der große Bedarf an neuen Ordnungen und Organisationen, aber auch die mit ihnen verbundenen Chancen und Gefahren für den Menschen.

Traditionelle Organisationen und Institutionen verfallen und andere treten an ihre Stelle. Im Wandel der Zeit hat der Wirtschaftsbetrieb als beherrschende Institution Funktionen für den Menschen übernommen, die weit über die rein ökonomische Aufgabe hinausgehen. Der Wirtschaftsbetrieb und wesentliche Aspekte seiner Organisation rücken aufgrund dieser Entwicklung immer mehr in das Interesse der Wissenschaften vom Menschen.

Mit Aussagen, wie der Mensch wirtschaftet und organisiert, wird auch die Frage beantwortet, wer er ist. Und da die Anthropologie als Lehre vom Menschen sich für alle Lebensbedingungen interessiert, wendet sie sich auch den Erscheinungen der Betriebsorganisation zu.

Absicht der vorliegenden Arbeit ist, die formale und informale Organisation des Wirtschaftsbetriebes als Thema der Anthropologie zu behandeln. Zu diesem Thema liegt noch keine Arbeit vor, obwohl in Formalität und Informalität existentielle Kategorien des menschlichen Lebens überhaupt zum Ausdruck kommen.

Nach einem Einführungskapitel zu den anthropologischen Aspekten dieser Schrift und einem Kapitel über die Aufgaben des Wirtschaftsbetriebes und seiner Organisation aus anthropologischer Sicht wird in Kapitel III gefragt, was das Phänomen der formalen und informalen Organisation vom Wesen und Bild des Menschen auszusagen vermag.

In einem IV. Kapitel wird die allgemeine anthropologische Frage nach dem Menschen um die pädagogische Frage nach der Erziehung des Menschen erweitert. Speziell wird der Einfluss der formalen und informalen Betriebsorganisation auf die Betriebserziehung im Lichte wissenschaftlicher Meinung dargestellt.

Mit der Frage nach der Bedeutung der Betriebsorganisation für die Erziehung ist ein wesentliches Problem der jungen Disziplin Betriebspädagogik aufgegriffen, das in der wissenschaftlichen Diskussion bisher vernachlässigt worden ist.

Die Arbeit will auch einen Beitrag zur Theorie der Betriebserziehung leisten, in dem sie den Erziehungsprozess als polar gegliederten Entscheidungsprozess auffasst, der durch die Menschenbilder der formalen und informalen Organisation beeinflusst ist.

Die Betriebspädagogik ist wie jede andere Wissenschaft vom Menschen auf interdisziplinäre Forschung angewiesen und kann nicht fachlich isoliert werden. Die Anthropologie bietet sich hierfür in Analyse und Synthese wieder besonders an.

München, im Jahr 1973

Inhaltsverzeichnis

I. Die anthropologischen Betrachtungsweisen in dieser Arbeit

1 1. Die Darstellung einzelner Beiträge zur Theorie der formalen und informalen Organisation

2 2. Die Analyse der Theorie der formalen und informalen Organisation mit Hilfe anthropologischer Modellvorstellungen

3 3. Die Interpretation der Theorie der formalen und informalen Organisation

II. Die Aufgaben des Wirtschaftsbetriebes und seiner Organisation abgeleitet aus der Sicht der Anthropologie

1 1. Die individual- und sozialökonomische Aufgabe des Wirtschaftsbetriebes

2 2. Die Bedeutung der Betriebsorganisation für den Menschen

III. Das Bild vom Menschen in wissenschaftlichen Aussagen über formale und informale Organisation des Wirtschaftsbetriebes

1 1. Konzeption und Merkmale der formalen und informalen Betriebsorganisation

2 2. Das formale und informale Zielsystema) Der methodische Ansatz zur Analyse von Zielen in der Betriebsorganisationb) Die Entstehung formaler und informaler Ziele in der Betriebsorganisationc) Formale und informale Ziele in Organisationsmodellen

3 3. Das formale und informale Normensystem

4 4. Das hierarchische System

5 5. Das formale und informale Rollensystem

6 6. Das formale und informale Kommunikationssystem

7 7. Das formale und informale Gruppensystem

8 8. Das formale und informale Führungssystem

9 9. Typische Auffassungen vom Wesen des Menschen, ihre formalen und informalen Komponenten und ihre Wechselbeziehungena) Die Vorstellung vom Menschen als Organismusb) Die Vorstellung vom Menschen als Mechanismus (homo oeconomicus)c) Die Vorstellung vom Menschen als Entscheidungssubjekt (kybernetisches System)d) Die Vorstellung vom Menschen als homo sociologicuse) Die Vorstellung vom Menschen als konfliktträchtigem Wesen (psychological man)

10 10. Das formale und informale Menschenbild in den Systemen der Betriebsorganisation

IV. Der Einfluss der Betriebsorganisation und ihrer Menschenbilder auf die Betriebserziehung (auf das Werden der Person)

1 1. Auffassungen über die Wirkungen der Menschenbilder der Betriebsorganisation auf den Menschen

2 2. Menschenbilder im Erziehungsprozess (als Entscheidungsprozess)

3 3. Aspekte eines kategorialen Zielsystems der Betriebserziehung

4 4. Wissenschaftliche Aussagen über Wirkungen der formalen und informalen Betriebsorganisation und ihrer Menschenbilder auf die Betriebserziehung (auf das Werden der Person)a) Prämissen der folgenden betriebspädagogischen Modellbetrachtungb) Wirkungen auf die Entfaltung von Rationalität und Emotionalitätc) Wirkungen auf die Entfaltung von Sozialität und Individualitätd) Wirkungen auf Leistung und Zufriedenheite) Wirkungen auf Ordnung und Freiheit

5 5. Annahmen über die künftige Entwicklung der formalen und informalen Betriebsorganisation und die mit ihnen verbundenen Konsequenzen für die Betriebserziehung

V. Maßnahmen zur Betriebserziehung (Erzieherverhalten) im Rahmen der formalen und informalen Organisation der Wirtschaftsbetriebe

1 1. Direkte und indirekte Maßnahmen

2 2. Beispiele zu direkten Maßnahmena) Die Rollenerziehungb) Die Kommunikationserziehungc) Die Gruppenerziehungd) Die Laboratoriumsmethode

3 3. Die Gestaltung der Betriebsorganisation als indirekte Maßnahmen zur Betriebserziehung

Zusammenfassung und Ergebnis

Literaturverzeichnis

I. Die anthropologischen Betrachtungsweisen in dieser Arbeit

Barnard stellt am Anfang seiner Untersuchung »The Functions of the Executive« fest, dass das Studium der Organisation und des menschlichen Verhaltens in Organisationen nicht auf einige so einfache Fragen verzichten kann wie: »What is an individual?« »What do we mean by a person?« »We answer them implicitly in whatever we say about human behavior« (Barnard 1956, S. 8). Die Beschäftigung mit dem Menschen ist in dieser Auffassung nicht nur Voraussetzung der Wissenschaften, die sich mit der betrieblichen Organisation befassen. Sie gibt den Organisationswissenschaften und ihren Aussagen anthropologischen Charakter (Portmann 1960, S. 12)1.

 

Mit den Fragen: Wie der Mensch im Betrieb wirtschaftet, organisiert, wie er sich verhält und wie er erzogen wird, beantworten die Betriebspsychologie und -Soziologie, die Betriebswirtschaftslehre, die Betriebspädagogik und andere Disziplinen auch anthropologische Fragen. Über das Wie des Menschen erfahren wir aber nur etwas, indem wir auch fragen, wer er ist (Habermas 1958, S. 19). Diese weite Auffassung von der Anthropologie rechtfertigt sich aus der Eigenart des Forschungsgegenstandes Mensch, der in seiner Vielfalt — als Wesen, »das wünscht und hofft, denkt und will, fühlt und glaubt, um sein Leben bangt und in allem den Abstand zwischen Vollkommenheit und seinen Möglichkeiten erfahren muss« (Pleßner 1953a, S. 117) — nur durch ein umfassendes methodisches Instrumentarium erforscht und erkannt zu werden vermag. Von dieser Erkenntnis her kommt Pleßner (1953a) zur Überzeugung, dass »jedem Aspekt, von dem aus der Anspruch erhoben werden kann, dass in ihm menschliches Wesen erscheint, ob der physische, psychische, geistig-sittliche oder religiöse, der gleiche Wert für die Aufdeckung des ganzen menschlichen Wesens zuzubilligen ist« (Pleßner 1953b, S. 270 f.)2.

Dieser wissenschaftstheoretische und -methodische Ansatz wird als sogenanntes »Prinzip der offenen Frage« dieser Arbeit zugrundegelegt. Eine methodisch offene Haltung entspricht dem interdisziplinären Charakter des Themas und der Auffassung, dass lediglich eine ganzheitliche, zugleich aber auch analytische Betrachtungsweise das Attribut anthropologisch verdient (Dörschel 1962a, S. 87). Als anthropologisch sind die empirischen Beiträge der einzelnen Wissenschaften vom Menschen zu bezeichnen, ebenso aber auch die Analyse der in wissenschaftlichen Theorien und kulturellen Objektivationen zugrundeliegenden Auffassungen und Bilder vom Wesen des Menschen sowie ihr Vergleich und ihre Beurteilung von einem ganzheitlichen Menschenbild her.

Die methodisch-anthropologischen Grundlagen, die für das Thema dieser Untersuchung infolgedessen von Bedeutung sind, lassen sich nach drei Richtungen unterscheiden.

1. Die Darstellung einzelner Beiträge zur Theorie der formalen und informalen Organisation

Dabei wird auf die Entstehung und die weitere Entwicklung dieser Theorie eingegangen. Die Entwicklung der Theorie von formaler und informaler Organisation hat bei der sogenannten Hawthorne-Studie begonnen, auf die im Folgenden immer wieder Bezug genommen wird.

Im Rahmen der Hawthorne-Untersuchung wurden »Methoden und Techniken anthropologischer Feldarbeit“ angewandt, die über Elton Mayo von der Kultur- und Sozialanthropologie übernommen worden waren (Stirn 1952, S. 32). Sozial- und Kulturanthropologie haben auf die Entwicklung der Theorie der formalen und informalen Organisation auch über die amerikanischen soziometrischen Community-Studien (Pflaum 1953, S. 21) sowie über den sozial- und kulturanthropologischen Funktionalismus Einfluss genommen (Stirn 1952, S. 54). Dieser besagt, dass sozial-kulturelle Bewegungen im Zusammenhang mit einer größeren Einheit stehen und nur als Teil von ihr verstanden werden können. Eine gewisse Ähnlichkeit hat im Ansatz auch die Gestaltpsychologie Lewins, wonach seelische Vorgänge und ihr Ausdruck im Handeln im Ganzen der Person zu sehen und zu begreifen sind (Francis 1965, S. 41; Stirn 1952, S. 56). Auch in der personalistischen Pädagogik gelten die Idee und die Forderung, die Ganzheit der Person bei Maßnahmen der Erziehung und der Forschung zu beachten, als anthropologisches Leit- und Sinnmotiv (Dörschel 1962b, S. 28f; Baumgardt 1967a, S. 64).

2. Die Analyse der Theorie der formalen und informalen Organisation mit Hilfe anthropologischer Modellvorstellungen

Als solche werden das Polaritäts-, das Schichten- und Rollenmodell betrachtet. Ihr gemeinsames Merkmal ist, dass sie als empirisch-anthropologisch fundiert gelten. Zum anderen dienen sie als Kriterien und Aspekte anthropologischer Analyse.

Aus der menschlichen Veranlagung »zum Denken in Dualismen, in Paaren und Gegensatzbegriffen« (Pflaum 1953, S. 8) und aus der bipolaren Struktur menschlicher Seinsweise selbst (Schlieper 1962, S. 34) werden polare Kategorien gewonnen (z.B. die Kategorien des Subjektiven und des Objektiven, des Heteronomen und Autonomen, des Individualen und Sozialen usw.) und mit ihrer Hilfe menschliche Seinsbereiche analysiert (Baumgardt 1967a, S. 64 ff; 1967b, S. 25 ff; 1967c, S. 180 ff)3.

Es kann als Vorteil einer polaren Betrachtungsweise gelten, dass aufgeworfene Probleme von zwei gegensätzlichen Positionen her gesehen werden. Dadurch ist der Gefahr vorgebeugt, einseitig Züge des Menschen zu verabsolutieren. Das Denken in Polaritäten wird dadurch zwar zu einer analysierenden, aber doch ganzheitlichen Sichtweise.

Auch in der Unterscheidung nach formaler und informaler Organisation kommt die polare Struktur menschlicher Seinsweise zum Ausdruck. Formale und informale Organisation sind daher selbst als spezielles Polaritätsmodell zu begreifen, in dessen Einheit die Wirklichkeit, in dessen Trennung nur ein Aspekt der Wirklichkeit erscheint.

Zur Erkenntnis seiner selbst ist der Mensch darauf angewiesen, die komplexe Wirklichkeit mit Begriffen aufzugliedern, die einmal seinen sprachlichen Möglichkeiten, zum anderen seinem Bedürfnis nach Anstauung entgegenkommen. Für eine anthropologische Analyse der Betriebsorganisation gewinnen Schichtenmodelle, wie sie z.B. von Rothacker (1953) und Lersch (1962) aufgestellt worden sind, hohe Bedeutung. Dies beweist die Untersuchung von Arthur Mayer, der die betriebliche Realität unter schichtentheoretischen Gesichtspunkten untersucht, wobei das Formale und das Informale jeweils unterschiedliche Affinität zu einzelnen Schichten tragen. In einer weiteren Differenzierung nach Gesellungs-, Führungs-, Unterordnungs-, Fürsorge-, Nachahmungs- und Geltungsstreben, unter dem Gesichtspunkt der Neugier und des Spieltriebs analysiert er die Vielfalt der Motive, die auf die soziale Ordnung des Betriebes Einfluss nehmen. Seine These geht dahin, dass Betriebsprobleme ihre sicherste Klärung vom Persönlichkeitsproblem her erfahren (Mayer 1951, S. 102 f, 222).

Möglichkeiten eines Rollenmodells liegen in der Analyse menschlichen Lebens, nämlich wie der Mensch »zu sich, zur Gesellschaft, zu Natur und Gott ein Verhältnis findet« (Pleßner 1953c, S. 181). Die soziale Rolle ist nach Dahrendorf lediglich ein Bild der Erwartungen der Gesellschaft an das Verhalten der Menschen (Dahrendorf 1967a, S. 128 ff). Menschliches Verhalten ist aber nicht nur durch mitmenschliche Bedingungen bestimmt, sondern auch durch kulturelle und durch spontan-individuelle. Eine anthropologische Analyse formaler und informaler Rollen in der Betriebsorganisation ist daher nicht nur auf ein begriffliches Instrumentarium zur Bestimmung sozial-vorgeprägten Handelns, sondern auch auf Begriffe zur Kennzeichnung individuell-eigenständigen Handelns und seiner Wirkung auf Organisationen angewiesen. Zur Kennzeichnung des Gegenpols der sozialen Rolle könnte reales Verhalten, das Erwartungshaltungen des Individuums an sich selbst und gegen die Umwelt entspringt, als individuale Rolle, als Wunschrolle (Lersch 1965, S. 165), als Persönlichkeitsbegriff der Rolle (Fend 1969, S. 133) oder im Sinne von Wurzbacher und Scharmann als Personalisation bezeichnet werden (Scharmann 1966a, S. 70 ff; Wurzbacher 1963).

3. Die Interpretation der Theorie der formalen und informalen Organisation

Im Sinne von Lersch, der sich an Windelband anlehnt, übernimmt die Anthropologie als Philosophie die Aufgabe des Zusammen- und Zuendedenkens von Tatsachen (Lersch 1957, S. 16). Als »Synthese der wesentlichsten Aussagen über den Menschen« ist sie dann nicht »Grundwissenschaft«, sondern »Gipfel- und Abschlusswissenschaft« (Mayer 1951, S. 12).

Eine methodische Konkretisierung dieser Art philosophisch-anthropologischen Vorgehens nimmt Bollnow (Bollnow 1965, S. 30 ff) in Anlehnung an Pleßner vor, indem er drei sich wechselseitig ergänzende und sich überschneidende Prinzipien erläutert, die im Folgenden dieser Arbeit zugrundeliegen.

 a) Die anthropologische Reduktion: Die objektiven Gebilde der Kultur, in dem konkreten Fall, die Wirtschaft, der Wirtschaftsbetrieb, die Organisation des Wirtschaftsbetriebes in der Differenzierung nach formaler und informaler Organisation, und die Betriebserziehung werden rückbezogen auf den Menschen als ihren Initiator und Schöpfer.

 b) Das Organon-Prinzip wird als die zur anthropologischen Reduktion inverse Operation betrachtet. Menschliches Leben wird von seinen kulturellen Objektivationen her verständig gemacht. Einmal werden also die kulturellen Gebilde vom Menschen her verstanden, zum anderen der Mensch von seinen Kulturschöpfungen her.

 c) In einem weiteren Verfahren werden Phänomene des menschlichen Verhaltens, die u.a. auch im Organisationsbereich des Betriebes auftreten, anthropologisch interpretiert.

Anthropologische Darstellung, Analyse und Interpretation ermöglichen eine Betrachtungsweise des Wirtschaftsbetriebes, seiner Aufgaben und seiner Organisation, bei der der Mensch Ausgangs- und Endpunkt aller Überlegungen ist.

1 «Wer vom Menschen spricht, auch wenn er von der Zoologie herkommt, betritt anthropologischen Boden und muss sich dessen bewusst sein.«

2 Zur Interpretation des Prinzips der offenen Frage siehe Loch (1963).

3 Diese Methode wird besonders von Johannes Baumgardt gepflegt.

II. Die Aufgaben des Wirtschaftsbetriebes und seiner Organisation abgeleitet aus der Sicht der Anthropologie
1. Die individual- und sozialökonomische Aufgabe des Wirtschaftsbetriebes

Lange Zeit betrachtete man die Aufgaben und Ziele des Wirtschaftsbetriebes und die Entscheidungen über ihre Setzung häufig und überwiegend als »autonome Wahlhandlungen«, die durch »autoritäre Vorgabe« charakterisiert sind (Heinen 1968, S. 18 f).

Erst in den letzten Jahren kommt man davon ab, grundsätzlich die Kategorien der Gewinnmaximierung »im weitesten Sinne« axiomatisch als Zielfunktion des Betriebes zu setzen (Kirsch 1968, S. 882f). Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre hat mit dem Tabu gebrochen, die Entstehung von Zielen im Betrieb und den Zielentscheidungsprozess nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen zu machen. Sie geht von der Annahme aus, »dass zwischen den individuellen Zielen der an der Organisation »Unternehmung« beteiligten Individuen bzw. Gruppen und der Formulierung der Ziele der Unternehmung ein Zielentscheidungsprozess gleichsam »zwischengeschaltet ist« (Kirsch 1968, S. 883). Die Frage nach den Zielen des Betriebes wird zum programmatischen Ansatz (Heinen 1968, S. 95 ff).

Mit diesen Voraussetzungen ist eine anthropologisch bedeutsame Entwicklung eingeleitet. Denn mit Reflexionen über Ziele und Aufgaben des Wirtschaftsbetriebes und ihrer Entwicklung sieht man sich auf den Menschen als individuales und soziales Wesen, als originäre Quelle allen wirtschaftsbetrieblichen Handelns zurückverwiesen.

Die Anthropologie versteht die Aufgabe des Wirtschaftsbetriebes vom Menschen her. Sie fragt, was in den Phänomen Wirtschaftsbetrieb vom Wesen des Menschen zum Ausdruck kommt und welche Aufgaben infolgedessen der Wirtschaftsbetrieb für den Menschen wahrnimmt.

 a) Unter individualanthropologischem Aspekt wird gefragt, wie Wirtschaften in Betrieben (als funktioneller Aspekt des Wirtschaftsbetriebes) im Aufbau der Person verankert ist. In der individualen Struktur der Person werden die Gründe für wirtschaftliches Handeln im Betrieb gesucht.

 b) Unter sozialanthropologischen Perspektiven ist zu fragen, welche Aufgaben der Betrieb für die Menschen als Gruppe und als Gesellschaft zu erfüllen hat.

Der Wirtschaftsbetrieb, so findet sich häufig in Lehrbüchern der Betriebswirtschaftslehre, nimmt seine Aufgaben vorwiegend unter dem Wirtschaftlichkeitsprinzip wahr, einem Sonderfall des sogenannten Rationalprinzips. Rational menschliches Verhalten ist Begrenzungsfaktoren unterworfen (Heinen o. J., S. 58 ff). Objektive Rationalität ist daher eine Idealvorstellung, die in der Wirklichkeit nicht vorzufinden ist.

 

Rationales Verhalten kennzeichnet zweckmäßiges Verhalten. Aus begriffskritischen Gesichtspunkten bedarf Rationalität immer des Bezuges auf eine Zielvorstellung, die durch rationales Verhalten erreicht werden soll. Menschliches Verhalten kann individual oder subjektiv rational sein, wenn es an den Zielen des Individuums ausgerichtet ist; es kann organisatorisch-, gruppen- oder sozial-rational sein, wenn es an den Zielen der Organisation, einer Gruppe oder eines sozialen Gebildes orientiert ist (Simon 1955, S. 53 f). Häufig beruht auch sogenanntes irrationales Verhalten auf nicht erkannter subjektiver Rationalität (Friedmann 1952, S. 330).

Unter anthropologischen Aspekten ist rationales Verhalten lediglich ein Teilaspekt individual- und sozialökonomischen Verhaltens in Betrieben. Diese These ist zu erläutern in einer anthropologischen Analyse mit Hilfe des Schichtenmodells der Person. Wenn Wirtschaften als System menschlichen Handelns definiert wird oder wie bei Krasensky (1952, S. 4) als »Sonderfall aus dem menschlichen Handlungsaggregat«, liegt dem die Leitbildvorstellung vom Menschen als handelndem Wesen zugrunde, wobei unter Handeln die »auf Veränderung der Natur zum Zwecke des Menschen gerichtete Tätigkeit« (Gehlen 1961, S. 17) verstanden wird. Wirtschaften ist als primär »bedarfsdeckende« Verhaltensweise (Baumgardt 1967b, S. 25) charakterisiert, deren »letzte Ursprünge als Ausdruck der Daseinsgebundenheit des Menschen unwandelbar in der vitalen Triebwirklichkeit« liegen (Ziegenfuss 1943, S. 6). Bezeichnet man wie Herder und Gehlen den Menschen als organisches Mängelwesen (Gehlen 1962, S. 84), so erfüllt wirtschaftliches Tun mängelausgleichende Funktionen zur Selbsterhaltung des Menschen. Denn Wirtschaften ist eine Möglichkeit diese Mängel zu kompensieren. Sie ist die Fähigkeit, »die der dringendsten Notwendigkeit entspricht, diese rohe Natur, und zwar jederlei beliebige Natur, wie immer sie beschaffen sein möge, so zu verändern, dass sie ihm lebensdienlich wird« (Gehlen 1961, S. 18).

Die Wirtschaft in ihrem Wesen ist nicht nur durch die egoistische Vitalfunktion der Selbsterhaltung zu erklären. Sie kann auch, wie Dörschel es tut, »als von Hilfswillen und mitfühlender Phantasie getragene Vorsorge für die Lebenserhaltung und Lebensanpassung« (Dörschel 1965, S. 97) verstanden werden. Wirtschaften wird in dieser Auffassung durch emotional-soziale Funktionen erweitert. Über die Vitalschicht hinaus sind nunmehr Seiten des Menschseins angedeutet, die im Schichtenbild der Person dem endothymen Grund angehören.

Die Person befreit sich aus vitaler Gebundenheit durch Wirtschaften. Sie entwickelt höhere Bedürfnisse und fördert dadurch einen evolutiven Prozess der Höher- und Weiterentwicklung menschlicher Kultur (Nell-Breuning 1962, S. 164, Ziegenfuss 1943, S. 6).

»Darstellungen der Wirtschaft gehen häufig davon aus, dass der Mensch, in dem er wirtschaftet, ein Verhältnis zu Sachen herstelle. Nicht, dass die Gegenstände des Wirtschaftens »Sachen« sind, ist das, was wir uns zum Verständnis der Wirtschaft klar machen müssen, Ausgangspunkt ist vielmehr, dass die Sachen und Nichtsachen, über die die meisten Menschen wirtschaftlich zu disponieren wünschen, geschätzt und begehrt werden und im Verhältnis zum Bedarf knapp sind, dass überdies ihre Beschaffung als solche Leid und Freud bereiten und zum Beruf werden kann und dass die wirtschaftlichen Handlungen Beziehungen zu anderen Menschen stiften, die nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar geschätzt werden und ihrerseits sowohl Freud wie Leid spenden können« (Weisser 1956, S. 995).

Schließlich ist das Wirtschaften im Aufbau der Person auch durch den personellen Oberbau repräsentiert. Er ist die regulierende und kontrollierende Instanz, die bewusst den Ausgleich zwischen der objektiven Knappheit der Güter und Leistungen und den subjektiven körperlich-geistigen Bedürfnissen des Individuums herbeiführt. Der personelle Oberbau ist die Verstandesschicht, die Ratio-Schicht im Schichtenaufbau der Person.

Setzt man »ratio« gleich dem Schelerschen Geistbegriff (Scheler 1962, S. 38 ff), so ist die Fähigkeit, Denken und »Nein« sagen zu können, das den Menschen über das Tier stellende Kriterium und zugleich die Möglichkeit aus der Stellung des biologischen Mängelwesens zum Beherrscher der Natur und zum Schöpfer von Kultur zu werden, die sich im Wirtschaften als kulturellem Handeln, im Wirtschaftsbetrieb als kultureller Institution, sichtbar darstellt.

Wechselt man von der Individualbetrachtung wirtschaftlichen und wirtschaftsbetrieblichen Handelns zur Sozialbetrachtung, von einer funktional anthropologischen zu einer institutional anthropologischen Betrachtungsweise, so bietet sich der Vergleich des Aufbaus der Person mit dem Aufbau des Betriebes an. »Auch er besitzt einen rationalen Oberbau« ein Ich und einen »endothymen Grund« ein Es« (Mayer 1951, S. 102). Aus dieser Modell-Vorstellung ergeben sich anthropologische Ansatzpunkte zur Erklärung des betrieblichen Geschehens (Fischer 1949, S. 19; Thoms o. J., S. 10).

Als wesentlich ist dieser Betrachtungsweise zu entnehmen, dass Wirtschaften und wirtschaftsbetriebliches Handeln im Ganzen des Individuums und des sozialen Gebildes »Wirtschaftsbetrieb“ integriert sind. Die durch die gesamte Geschichte zu verfolgende Diskriminierung wirtschaftlichen Handelns und des »Ökonomischen Menschen« in einer zweifelhaften Über- und Unterordnung von Werten, beruht zumeist auf zwei Unterstellungen:

 a) Wirtschaften wird isoliert auf eine Schicht der Person zurückgeführt, z.B. Wirtschaften als reine Vitalfunktion oder als reine Rationalfunktion.

 b) Man unterstellt verschiedene Schichtenwertigkeiten und ordnet ihnen zugleich auch die Lebensbereiche zu.

Die Anthropologie unterscheidet zwar analysierend Schichten im Aufbau der Person; sieht aber die Schichten und ihre Funktionen für menschliches Handeln immer im Zusammenhang der ganzen Person. Das in der Betriebswirtschaftslehre häufig zugrundegelegte Prinzip der Wirtschaftlichkeit als Sonderfall des allgemeinen Rationalprinzips reicht daher auch nicht aus, um die meisten betrieblichen Zusammenhänge anthropologisch zu deuten. Nichtsdestoweniger kommt ökonomisch rationalem Verhalten unter der Zielstellung Gewinn- und Erwerbsstreben eine primäre Finalität im Betrieb zu. Nach herrschender Meinung liegen im individuellen Erwerbsstreben als rationalem Verhalten Chance und Gefahr einer auf Unternehmerinitiative und auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung. Fehlformen wirtschaftsbetrieblichen Verhaltens können sowohl in der Verabsolutierung von subjektiv rationalen wie auch organisatorisch rationalen Vorstellungen gesehen werden.

Die stürmische Entwicklung der Sozialwissenschaften vom Menschen (Sozialpsychologie und Soziologie) einerseits und die Integration der sozialen Bedingungen des Menschen in betriebswirtschaftlichen Modellen andererseits hat zu einer neuen und realistischeren Betrachtung des Wirtschaftsbetriebes geführt. Der Wirtschaftsbetrieb ist nicht mehr nur Stätte der Arbeit, der Leistung und des harten wirtschaftlichen Wettbewerbes; er wird nun auch als Feld sozialer Interaktion und Kommunikation und als Lebensraum (Neuloh 1960, S. 304) gesehen, in dem man sich wohlfühlen muss. Aspekte des Zusammenlebens, Zusammenarbeitens, des sozialen Konfliktes, der Herrschaft, der Hierarchie und des sozialen Wandels gewinnen an Interesse und kennzeichnen die sozialanthropologische Dimension des Wirtschaftsbetriebes. Der Mensch wird nicht mehr nur als rational-individuales Wesen mit homo-oeconomicus Eigenschaften erkannt. Er wägt auch nicht dauernd Vorteil und Nutzen ab, sondern sein Handeln ist vielfach bestimmt von sozio-emotionalen Bedürfnissen, die aus der originären Kraft des Es ihre Verbindlichkeit erhalten.

Der Wirtschaftsbetrieb ist aus individual- und sozialanthropologischer Sicht ein ganzheitliches Gebilde mit mannigfachen Aufgaben für den Menschen, die weit über die rationalökonomische Zielsetzung hinausgehen. Der Wirtschaftsbetrieb gewinnt »eine so zentrale Stellung im öffentlichen Leben, dass er geradezu als Inbegriff und Sinnbild unserer Zeit erscheint« (Mayer 1961, S. 4). Je mehr die traditionellen Institutionen im Wandel der Zeit an verbindlicher und menschenstützender Wirkung verlieren, wachsen dem Wirtschaftsbetrieb weitere Funktionen für den Menschen zu, denen er sich nicht entziehen kann, wenn er als Gemeinschaft (Fischer, G., Krasensky, H., Litt. Th., u.a.) gelten soll, die dem Gemeinwohl zu dienen hat (Schlieper 1963, S. 110).