Loe raamatut: «Dominic Thiem»
Egon Theiner
DOMINIC THIEM
ZWISCHENBILANZ
Gewidmet all jenen, für die Sport und Tennis –
ob aktiv oder passiv – Teil ihres Lebens ist.
Und gewidmet all jenen, die Stars wie
Dominic Thiem als Bereicherung und Inspiration
für das eigene Leben empfinden.
IMPRESSUM
Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.
1. Auflage
© 2020 egoth Verlag GmbH
Untere Weißgerberstraße 63/12
1030 Wien
Autor: Egon Theiner
Cover: MARKO DJURICA/REUTERS/picturedesk.com; Umschlag-Rückseite: GONZALO FUENTES/REUTERS/picturedesk.com; S. 1 ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/picturedesk.com; S. 2 Frank Franklin II/AP/picturedesk.com; S. 4 Wigglesworth, Michael/Action Press/picturedesk.com; S. 4 Seth Wenig/AP/picturedesk.com; S. 4 Seth Wenig/AP/picturedesk.com; S. 5 Seth Wenig/AP/picturedesk.com; S. 6 CHRISTIAN HARTMANN/REUTERS/picturedesk.com; S. 6 ANDREJ ISAKOVIC/AFP/picturedesk.com; S. 6 Andreas Gora/dpa/picturedesk.com; S. 7 DAVID GRAY/AFP/picturedesk.com; S. 7 Bai Xuefei Xinhua/Eyevine/picturedesk.com; S. 8 EXPA/APA/picturedesk.com; S. 8 CHRISTOPHE SIMON/AFP/picturedesk.com; S. 10 Harald Jahn/picturedesk.com; S. 11 GLYN KIRK/AFP/picturedesk.com; S. 12 HANS PUNZ/APA/picturedesk.com; S. 12 GEORG HOCHMUTH/APA/picturedesk.com; S. 13 Johann Groder/EXPA/picturedesk.com; S. 13 EXPA/APA/picturedesk.com; S. 14 Alberto Pezzali/AP/picturedesk.com; S. 16 Pressesports/EXPA/picturedesk.com; S. 16 CHRISTOPHE ARCHAMBAULT/AFP/picturedesk.com; S. 17 PHILIPPE LOPEZ/AFP/picturedesk.com; S. 18 Mark J. Terrill/AP/picturedesk.com; S. 23 VINCENT KESSLER/REUTERS/picturedesk.com; S. 23 GEORG HOCHMUTH/APA/picturedesk.com; S. 28 GEORG HOCHMUTH/APA/picturedesk.com; S. 33 Jürgen Hasenkopf/dpa Picture Alliance/picturedesk.com; S. 34 Eibner/EXPA/picturedesk.com; S. 37 Robert Parigger/APA/picturedesk.com; S. 38 Karl Schöndorfer/picturedesk.com; S. 44 JASON SZENES/EPA/picturedesk.com; S. 49 ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/picturedesk.com; S. 49 GONZALO FUENTES/REUTERS/picturedesk.com; S. 51 ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/picturedesk.com; S. 51 GONZALO FUENTES/REUTERS/picturedesk.com; S. 53 ERIKA TANAKA/APA/picturedesk.com; S. 54 Johann Groder/EXPA/picturedesk.com; S. 56 laPresse/EXPA/picturedesk.com; S. 59 GONZALO FUENTES/REUTERS/picturedesk.com; S. 59 Halden Krog/AP/picturedesk.com; S. 63 HANS PUNZ/APA/picturedesk.com; S. 74 Alastair Grant/AP/picturedesk.com; S. 78 EXPA/APA/picturedesk.com; S. 80 Vianney Thibaut/EXPA/picturedesk.com; S. 85 Pressesports/EXPA/picturedesk.com; S. 88 Stefan Adelsberger/EXPA/picturedesk.com; S. 90 ERIC FEFERBERG/AFP/picturedesk.com; S. 96 ERIC FEFERBERG/AFP/picturedesk.com; S. 100 KENZO TRIBOUILLARD/AFP/picturedesk.com; S. 102 SZ Photo/SZ-Photo/picturedesk.com; S. 108 Jason DeCrow/AP/picturedesk.com; S. 111 Wolfgang Eilmes/dpa/picturedesk.com; S. 112 NICOLAS ASFOURI/AFP/picturedesk.com; S. 116 Mark J. Terrill/AP/picturedesk.com; S. 119 HANS PUNZ/APA/picturedesk.com; S. 123 DAVID GRAY/AFP/picturedesk.com; S. 130 THOMAS SAMSON/AFP/picturedesk.com; S. 134 Muylaert, Sebastien/Action Press/picturedesk.com; S. 136 KENZO TRIBOUILLARD/AFP/picturedesk.com; S. 138 Pressesports/EXPA/picturedesk.com; S. 142 Zhu Wei Xinhua/Eyevine/picturedesk.com; S. 149 MARKO DJURICA/REUTERS/picturedesk.com; S. 161 Frank Franklin II/AP/picturedesk.com; S. 165 u. 167 Seth Wenig/AP/picturedesk.com; S. 176 ROBERT JAEGER/APA/picturedesk.com; S. 186 Pressesports/EXPA/picturedesk.com; S. 230 MARKO DJURICA/REUTERS/picturedesk.com; S. 233 DAVID GRAY/AFP/picturedesk.com
Redaktion: Egon Theiner, Markus Hornig, Florian Pölliger
Projektleitung: Sonja Franzke | vielseitig.co.at
Lektorat: Margot Bacher | korrigiermich.at
Umschlag- und grafische Innengestaltung: José Coll | B.A.C.K. Grafik & Multimedia GmbH
Printed in the EU
Gesamtherstellung: egoth Verlag GmbH
ISBN (Print): 978-3-903183-39-1
ISBN (E-Book): 978-3-903183-79-7
Inhalt
Einleitung: Der misslungene Versuch einer nüchternen Hommage
1993–2011
2012–2013
Auf der Suche nach Größe
2014–2015
2016–2017
Ganz bei sich
2018
Es geht nur um den nächsten Punkt
2019
Thiems Technik
2020
Ball für Ball zu den Millionen
Statistik: Eine Karriere in Zahlen
Statistik: Eine Karriere Spiel um Spiel
Ein Vorbild für uns alle
Autor / Quellen
Der misslungene Versuch einer nüchternen Hommage
So abwechslungsreich ich mein Leben auch erachte – es hat eine Konstante: den Sport. Nichts gibt mir mehr Befriedigung, als mich zu bewegen, und nichts ist spannender, als in den Stadien oder vor dem Fernseher zu sitzen und den Könnern und Könnerinnen ihres Fachs bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten zuzusehen. Meine Augen leuchten vor Freude und Enthusiasmus, wenn ich Rafael Nadal zum 13. Mal die French Open gewinnen sehe, wenn ich an die Heldentaten eines Thomas Muster zurückdenke, wenn ich mich an John „You can’t be serious!“ McEnroe erinnere. Aber nicht nur Tennis – mein Herz geht für jeden Sport und ihre Hauptdarsteller und -darstellerinnen auf.
Vor einigen Jahren ist auch Dominic Thiem auf meinem persönlichen Radar aufgetaucht, interessiert habe ich seine Entwicklung aus der Ferne beobachtet, mich immer wieder mit jenen unterhalten, die mehr wissen und verstehen, und mein Bild wurde immer kompletter. Seinen Sieg bei den US Open prognostizierte – wie viele andere – auch ich. Schon klar. Im Nachhinein ist es immer leicht, sich als Prophet ausgegeben zu haben. (Vorhergesagt habe ich, dass er auch in Paris gewinnen wird – so viel zu meiner Treffsicherheit als Wahrsager.)
Jedenfalls war mir – einem ehemaligen Sportjournalisten, einem aktuellen Sachbuchautor und Verleger – klar, dass die Karriere des Dominic Thiem in Buchform aufgearbeitet und präsentiert werden sollte. Der Niederösterreicher ist 27 Jahre alt, das mag zu jung sein für eine Autobiografie oder eine von ihm selbst mitgestaltete autorisierte Biografie, nichtsdestotrotz ist in seinem Leben schon dermaßen viel passiert, das nach Sortierung und unaufgeregter Einordung verlangt. An einer umfassenden Darstellung des Lebens- und Karriereweges des Tennis-Stars sowie einer sporthistorischen Einordnung seiner Leistungen fehlt es – diese Lücke will vorliegendes Buch schließen und damit auch das Informationsinteresse der Allgemeinheit befriedigen.
Die Idee war, das Buch im Geiste des römischen Geschichtsschreibers Tacitus zu verfassen, sine ira et studio, also (sinngemäß) frei von Leidenschaft und Aufregung. Doch weil ich persönlich fasziniert bin von den Erfolgen und den Entwicklungen Thiems, ist es schier unmöglich, leidenschaftslos und neutral zusammenzustellen, was einer der weltbesten Tennisspieler erreicht hat und quasi desinteressiert zu interpretieren, wie und warum ihm dies gelungen ist.
Obschon dies nur eine Zwischenbilanz ist, steht bereits fest, dass die Performance von Dominic Thiem – länderbezogen auf Österreich, fachsportlich bezogen auf Tennis – von sporthistorischer Bedeutung ist. Aufgrund seiner Siege geht er in die heimische und internationale Sportgeschichte ein, aufgrund seiner Lebensführung ist er ein für uns alle nachahmenswertes Beispiel. Thiem ist nicht nur Grand-Slam-Sieger, er ist auch Lehrmeister.
So ist dieses Werk eine Verbeugung vor einem der größten Sportler, die Österreich je gehabt haben wird. Es ist ein Buch, das erzählen und erklären soll, und hoffentlich auch motivieren und inspirieren wird.
Viel Spaß beim Lesen.
Egon Theiner, im November 2020
1993 bis 2011
Marktgemeinde Lichtenwörth / Österreich
Die 2742 Einwohner zählende Marktgemeinde (Stand 1.1.2020) war vor Christi Geburt Teil des keltischen Königreiches Noricum, unter den Römern lag die Gegend in der Provinz Pannonia. Urkundlich erstmals erwähnt wurde Lichtenwörth in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Darin überlässt der Salzburger Erzbischof Adalbert III. dem Kloster Vorau 1174 alle Pfarrrechte und einen Teil der Zehnte, die innerhalb der Grenzen des Gebietes „Lutunwerde“ entrichtet werden. Im gleichen Jahrhundert wird eine Burg errichtet, die „Feste Lichtenwörth“ wird erst um 1490 zerstört. Auf der „Insel“, wo sich diese Burg befand, wurde später ein bischöflicher Hofgarten angelegt. Heute ist die Insel mit dem so genannten Villateich öffentlich zugänglich und wird sowohl als Veranstaltungsplatz als auch als Naherholungsgebiet genutzt.
Der Name Lichtenwörth (früher Lutunwerde) bedeutet „eine Siedlung auf einer Insel oder auf einer Bodenerhebung inmitten eines Sumpfes“.
1747 wurde unter der Regentschaft von Maria Theresia die Metallwaren- und Messingnadelfabrik (samt Drahtzug) Nadelburg durch ein zugunsten von Johann Christian Zug, Inhaber eines Kupferhammers zu Lichtenwörth, ausgestelltes landesfürstliches Privileg gegründet. Die Nadelburg fällt in den Ursprung der Industrialisierung in Österreich und ist für die Industrie-, Kultur- wie Sozialgeschichte entsprechend bedeutsam. Gemäß der von Manfred Wehdorn 1984 publizierten Wertanalyse zählt die Arbeitersiedlung, die nach einem einheitlichen Grundplan in Theresianischer Zeit errichtet wurde, zweifellos zu den ältesten, noch weitgehend einheitlich erhaltenen Anlagen dieser Art in Europa.
1992 wurde Lichtenwörth vom Niederösterreichischen Landtag das Marktrecht verliehen, politisch halten sich schwarz und rot die Waage. Aktuell sitzen im 21-köpfigen Gemeinderat zehn SPÖ-Vertreter, neun von der ÖVP (Wir alle sind Lichtenwörth). Zukunft Lichtenwörth (ZL) und FPÖ haben jeweils einen Sitz. Den Bürgermeister stellt mit Manuel Zusag die ÖVP. Es gibt zwei Kindergärten, eine Volksschule, eine Mittelschule, eine Musikschule. Und den Tennis Club Lichtenwörth.
An der Katholischen Pfarrkirche Lichtenwörth zum Heiligen Jakobus der Ältere wird rund 500 Jahre gebaut. Begonnen wird bereits im 14. Jahrhundert mit dem Bau der Kirche in gotischem Stil, doch Überfälle und Geldmangel verhindern eine zeitnahe Fertigstellung. Diese erfolgt erst 1889. Als ein Wahrzeichen von Lichtenwörth zählt auch das Adlertor, das als eines der drei Zugänge zur Arbeitersiedlung und in gutem Zustand erhalten ist.
Auf der Wikipedia-Seite steht unter Lichtenwörth, Persönlichkeiten: Dominic Thiem (* 1993), Tennisprofi
Ebendort, in Lichtenwörth, wächst Dominic Thiem auf. Geboren wird er am 3. September 1993 in Wr. Neustadt, er kommt etwas überraschend. Mutter Karin studiert Ökologie im ersten Abschnitt, Vater Wolfgang ist Grundwehrdiener und steht kurz vor der Abrüstung. Die finanzielle Situation des Pärchens ist, nun ja, nicht rosig. „Als wir erfuhren, dass wir ein Kind bekommen, sind wir zunächst aus allen Wolken gefallen“, erinnert sich Karin Thiem in einem News-Interview zurück. Von einem Moment auf den anderen ändert sich das Leben schlagartig. Wichtig ist vor allem, regelmäßiges Einkommen zu generieren. Die beiden besinnen sich auf das, was sie können: und das war unter anderem auch Tennis spielen. Die Prüfungen zu Tennislehrwart und Tennistrainer sind rasch geschafft, und da der Sport – Thomas Muster und Co. sei Dank – boomt, bringen es Karin und Wolfgang Thiem bei mehreren Vereinen auf bis zu 60 Stunden Tennistraining.
I am from Lichtenwörth
Die Aktivitäten der Eltern hinterlassen nicht immer, aber zumeist, ihre Spuren beim Nachwuchs. So ist Dominic als Baby dabei, wenn Vater Wolfgang in das Finale der Klubmeisterschaft einzieht. Schon mit einem Jahr und ein paar Monaten soll er mit einer Fliegenklatsche einem Luftballon hinterhergestolpert sein, und mit dem Großvater Luftballonturniere gespielt haben. Während seine Eltern ihrem Beruf nachgehen, sitzt er im Korb, in dem auch die Tennisbälle liegen, und wirft einen nach dem anderen heraus. Bälle gehören somit von Anfang an zu seinem Leben, und Parallelen mit anderen späteren Stars tun sich auf, zu Andre Agassi beispielsweise, oder auch Serena Williams.
Mit zwei schlägt Dominic die ersten Bälle über das Netz, mit vier gibt es für ihn nur mehr ein Spielgerät: das Tennisracket. Seinen Vater nennt er „Trainer“, und wenn er mit ihm auf den Platz geht, hat er drei Schläger dabei, für alle Fälle. Wolfgang freut es, dass er sich um seinen Sohn kümmern kann, immer dann, wenn Pausen entstehen, während (oder zwischen) seinen Trainerstunden, spielt er mit Dominic ein paar Bälle und verbringt so sehr viel Zeit mit ihm. Bei einem Strandurlaub in Griechenland simuliert das Kind fortwährend Vor- und Rückhandschläge, und Passanten werden sich wohl ihren Teil gedacht haben. Wenn weder Eltern noch Großeltern daheim Zeit für den Kleinen haben, schlägt er stundenlang Bälle gegen die Hauswand.
Dominic ist immer noch ein Kind, als Vater Wolfgang bei Günter Bresnik in dessen Tenniszentrum in der Baumgasse in Wien vorstellig wird. Bresnik ist so etwas wie der Übervater der österreichischen Tennisszene, er hat seit Mitte der 1980er-Jahre mit Spielern wie Boris Becker, Henri Leconte, Patrick McEnroe zusammengearbeitet, er hat Horst Skoff und Stefan Koubek betreut, war Kapitän der österreichischen Davis-Cup-Mannschaft und Sportchef des Österreichischen Tennisverbandes. Der Australier Bob Brett, selbst eine Legende unter den Tennis-Trainern, inspiriert ihn. Kurzum, Bresnik ist jemand, von dem man nur lernen kann.
Das erste Gespräch zwischen Wolfgang Thiem und Bresnik ist für Ersteren ernüchternd. Er habe keinen Job für Familienväter, sagt der Ältere dem Jüngeren, und sagt im Buch Die Dominic Thiem Methode: „Fahr nach Hause. Kümmere dich um deine eigene Tennisschule und deine Familie“.
Am nächsten Tag steht Wolfgang Thiem wieder da, er habe mit seiner Frau geredet, meint er, sie hätte mit Scheidung gedroht, ihm aber letztlich zugestanden, machen zu dürfen, was er wolle.
Es ist ein Schritt, den beide nicht bereuen. Wolfgang Thiem ist in der Früh der erste auf dem Platz und am Abend der letzte, der ihn verlässt. Immer konzentriert, immer ernst, immer zuverlässig, sei es im Training, oder bei Turnieren im In- und Ausland, wohin er mit den Spielern der Tennis-Akademie fährt. Und er saugt Wissen auf wie ein Schwamm. Doch der Lohn ist bescheiden, wahrscheinlich geht dieser für den Treibstoff drauf, das der Pendler auf der Strecke Wr. Neustadt – Wien benötigt, vermutet Bresnik. Es liegt hauptsächlich an Mutter Karin, Geld zu verdienen, um die Familie durchzufüttern, und es liegt besonders an ihr, sich um die Erziehung von Dominic zu kümmern.
„Einmal in meinem Leben möchte ich ein Grand-Slam-Turnier gewinnen.“ (aus einem Volksschulheft Dominic Thiems)
Dass der Junge aber weiterhin seinen Vater auf den Tennisplatz begleitet, liegt auf der Hand, und da wie dort, spielt Wolfgang mit seinem Sohn. Er fordert ihn, er arbeitet an dessen Technik, doch er legt immer großen Wert darauf, dass das spielerische Element nicht zu kurz kommt. Bresnik sieht zuweilen zu, ihm gefällt, was er beobachtet – einen, der gut unterrichtet, und einen, der euphorisch lernt.
Es ist nun nicht so, dass Dominic Thiem mit einer besonderen Begabung für den Tennissport auf die Welt gekommen wäre. Er ist nicht größer oder schneller als andere, er kann nicht höher springen, er zeichnet sich auch nicht durch überragendes Ballgefühl aus. Analysiert Bresnik. Aber egal. Wie sagt Albert Einstein? „Genie ist 1 % Talent und 99 % harte Arbeit …“ Diesen Satz unterschreibt der Startrainer: Talent ist folglich überbewertet.
Es kommt, wie es kommen muss. Bresnik beginnt, mit Dominic zu trainieren, und ist fasziniert vom Tatendrang des Buben, der nicht still stehen kann und der immer Schläger und Ball mit sich trägt, sei es auf dem Platz, sei es auf dem Weg in die Kantine. Die harte Arbeit, die Dominic auf sich nimmt, die Aufmerksamkeit mit der er den Anweisungen zuhört und die Ernsthaftigkeit, die er in seine Ausführungen legt, hat ihren Kern im Spieltrieb – und im Willen, sich zu verbessern. Andere Kinder ärgern sich, wenn ihnen ein Schlag nicht gelingt. Dominic behält seine Konzentration, er spielt und spielt und spielt. Stundenlang, und mit dem Feuer der Begeisterung in seinen Augen. Wenn er etwas Neues gelernt hat, auch das erkennt Bresnik, dann verlernt er es nicht mehr, und macht so die Arbeit des Trainers einfacher.
Nur was du gerne machst, machst du auch gut: Die Liebe zum Tennis ist die Basis von Dominic Thiems Karriere.
Wir müssen an dieser Stelle einen Schritt zurück machen und über zwei Personen sprechen, denen Dominic Thiem nach seinem Triumph bei den US Open gedankt hat und die einen wichtigen Anteil an der Entwicklung des Tennisspielers aus Lichtenwörth haben: seine Großeltern.
Auf nationalem Niveau gewinnt er quasi alles, was er in seiner Altersklasse gewinnen kann, er hat Vereinbarungen mit Ausrüstern, erhält Anerkennungspreise. Auch bei Bundesliga-Spielen der Herren zeigt er auf, allerorts wird er als Supertalent und Wunderkind tituliert, das erste Mal berichten Medien über ihn, da geht er noch in die Volksschule. Es mehren sich die Fahrten ins Ausland. Im Sommer 2003 schafft es der noch nicht ganz Zehnjährige Dominic in das Finale von Pula in Kroatien. Er ist der Jüngste im Feld, aber es reißen ihm die Saiten beider Schläger. Dennoch gewinnt er das Match mit einem geborgten Racket. Mit dabei ist Opa Josef Müllner, er ist Coach, Kameramann, Chauffeur, Mädchen für alles. Jahrelang ist dieser mit dem Jungen von Turnier zu Turnier, in Bosnien, in Slowenien, in Kroatien, und so weiter unterwegs. Das Hotel „Atom“ in der Slowakei ist ihm noch in lebhafter Erinnerung, so ein richtiger Ostblock-Bau mit der Ausstrahlung längst vergangener Jahrzehnte. In Kroatien machen die Eltern Dominics ähnliche Erfahrungen. „Da haben wir in Hotels gewohnt, wo Kakerlaken herumgelaufen sind und ich am liebsten zehn Jogginganzüge beim Schlafen angezogen hätte“, erzählte Wolfgang Thiem dem Kurier.
Ein Satz, der alles verändert
Günter Bresnik erkennt, dass da was Großes entsteht, spielt fast täglich zwischen 12 und 14 Uhr mit ihm. Liebe trifft auf Gegenliebe: So sehr Dominic spielen will, so sehr bemüht sich Bresnik, selbst sein Bestes zu geben. Die Eltern lassen den Startrainer gewähren, was dieser sehr zu schätzen weiß. Einem Arzt würde man ja auch nicht reinpfuschen in dessen Arbeit, meint er einmal – der Vergleich entbehrt nicht einer gewissen Tiefe, eigentlich hätte der Wiener und Sohn aus einem Ärztehaushalt ja tatsächlich Arzt werden sollen (und hat an der Universität Wien auch acht Semester Medizin studiert).
Günter Bresnik hat in den Jahren zuvor schon genügend Gelegenheit gehabt, Dominic Thiem zu analysieren. Eine gute Vorhand, eine schlechte Rückhand, eine Spielanlage, die auf den Fehler des Gegners wartet. Fürchterlich anzuschauen eigentlich, aber erfolgreich. „Er gewann sich mit jedem Sieg tiefer in eine Sackgasse“, schreibt er in Die Dominic Thiem Methode. Thiem würde mit 15, 16 Jahren noch erfolgreich sein, doch er war ein Sieger mit Ablaufdatum.
So sehr der Trainer mit dem Schützling zufrieden ist und die hervorragende technische Grundausbildung, die die Eltern Dominic beigebracht haben, honoriert, so sehr ist Bresnik mit der beidhändigen Rückhand unzufrieden. Sie passt nicht in das Gesamtbild, sie ist mehr ein Stoß als ein Schlag. Doch gerade diese Rückhand gilt als des Spielers wichtigster „Schlag“, damit macht er keine Fehler und kann den Ball ein ums andere Mal über das Netz bringen. Als Thiem im Frühjahr 2005 von einem Turnier in Auray in Frankreich zurück nach Hause kehrt – beim wohl wichtigsten europäischen Turnier der U12-Klasse ist er unter die letzten 16 gekommen –, fällt jener Satz, der aus einem „Wunderkind“ tatsächlich einen Weltstar machen wird.
„Kleiner, ab jetzt machen wir’s gescheit.“
Damit soll nun Schluss sein. Bresnik verlangt von Dominic Thiem eine komplette Neuausrichtung seines Spieles. Bälle dürften nicht mehr „geschupft“ werden, auf jede Kugel müsse eingedroschen werden. Mehr noch, die Rückhand darf nicht mehr beidhändig, sondern muss einhändig gespielt werden.
Wenn der (vermeintlich) stärkste Schlag fehlt, dann wird alles schwieriger. Dominic verliert gegen Spieler, die er „vorher“ noch leicht bezwungen hat. Er fährt mit Erstrundenniederlagen im Gepäck und verheultem Gesicht nach Hause. Bei den Trainingseinheiten wird er belächelt und bedauert. Hinter vorgehaltener Hand sagen die so genannten Insider, dass ihn Bresnik kaputt gemacht hat, ruiniert, schade um den Jungen. Sie übersehen das große Ganze. Günter Bresnik geht es nicht darum, dass der „Kleine“, wie er ihn nennt, in den Jugendklassen brilliert, es geht ihm darum, ihn auf das Erwachsenen-Tennis mit all dessen Problemen auf und neben dem Platz vorzubereiten. Da gilt nur: Volle Post! Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Irgendwann, mutmaßen jene, die alles besser zu wissen glauben, wird Dominic daran zerbrechen.
Er tut es nicht, und dies aufgrund mehrerer Faktoren. Zuerst einmal weiß der Trainer haargenau, was er tut. Bresnik lässt Thiem Bälle schlagen, mit der Vorhand, mit der Rückhand, die weit im Out landen. Egal, für ihn ist die Wucht wichtig, die Schnelligkeit. Bresnik arbeitet daran, aus Dominic einen ganz anderen Spieler zu machen. Aus einem, der abwartend und zögerlich agiert und auf den Fehler des Gegners wartet, soll einer werden, der auf jeden Ball so draufschlägt, als wäre es der letzte des Spiels, der das Match diktiert. Aus einem, der scheu der Konfrontation aus dem Weg geht und sich bei Netzrollern entschuldigt, weil es ihm tatsächlich leid um den Gegner tut, soll einer werden, der den Kampf aufnimmt und mit Körpersprache und Spielstil den anderen signalisiert: Was du kannst, kann ich besser. Bresnik fordert Thiem heraus, immer wieder, treibt ihn somit aus der eigenen Komfortzone hinaus, verankert ein neues Credo: gewinnen wollen – und nicht: nicht verlieren wollen.
Dass Bresnik den Spieler nach seinen Vorstellungen formen kann, dass er ihn die einhändige Rückhand schlagen sieht, wie es Boris Becker oder Stefan Edberg oder Gaston Gaudio taten, das kann er auch deshalb, weil Wolfgang und Karin Thiem ihm ganz vertrauen. Du weißt, was du tust, wir vertrauen dir, kommunizieren sie ihm. Doch am allerwichtigsten ist, dass Dominic dieses Spiel mitspielt. Er bleibt lern- und wissbegierig, er will sich verbessern, und er wird es.
Nach jedem Tief kommt wieder ein Hoch, die Arbeit Bresniks trägt Früchte, Dominic beginnt wieder zu gewinnen. Nicht immer, aber immer häufiger. Seine Turniere bringen ihn in die ganze Welt, die Reisen gehen ins Geld. Ohne jegliche finanzielle Unterstützung vonseiten des Österreichischen Tennisverbandes muss die gesamte Familie zusammenstehen, um Dominics Karriereverlauf zu stützen. Ein Tennisjahr verschlingt locker 50.000 bis 100.000 Euro, und wir sprechen hier für Spesen für einen 15-Jährigen. Die Großeltern verkaufen eine Eigentumswohnung, das Geld kann gut gebraucht werden. In der Zwischenzeit hat auch Dominics sechs Jahre jüngerer Bruder Moritz, geboren 1999, ernsthaft mit dem Tennissport begonnen. „Diese Zeit hat mich doch ein wenig verbittert“, sagt Karin Thiem einmal. Und: „Wenn du den Weg gehen willst, zu dem Dominic und wir uns entschlossen haben, darfst du nicht nach links oder rechts schauen, sonst wirst du wahnsinnig.“ Es gibt keine Wochenendausflüge, kaum Freizeit, keine Urlaube, die Thiems schränken sich ein, wo es nur geht. Ein kleiner Skifahrer, der Talent besitzt, kann sich durch die Jugendkader des ÖSV kontinuierlich nach oben wedeln; ein leidlich begabter junger Kicker findet stets in Nachwuchsakademien Unterschlupf; das Familienunternehmen Thiem mit seinem adoleszenten Hauptakteur, das gewinnt nicht dank, sondern trotz des Österreichischen Tennisverbandes kontinuierlich an Flughöhe.
Doch nicht nur die Finanzen sind ein Thema, auch die Vereinbarkeit von Schule und Sport: Das klappt nicht, besonders dann nicht, wenn das Lehrpersonal zum allergrößten Teil eher, nun ja: uneinsichtig ist. Fehlstunden aufgrund des Trainings in der 50 Kilometer entfernten Südstadt und aufgrund von Turniereinsätzen bedeuten den Weltuntergang. Dominic schlägt sich die Nächte mit Schulbüchern um die Ohren, im Turnen bekommt er eine Zwei, weil er vielleicht gut Tennis spielen mag, aber nicht schön schwimmen kann, im Zeichnen erhält er aufgrund der vielen Absenzen „nicht genügend“. In der sechsten Klasse bricht Dominic Thiem ab und entscheidet sich für den Tennissport, seine große Liebe. Eine schulische Ausbildung, sagt er, kann man nachholen, eine Sportlerkarriere aber nicht aufschieben. Selbstverständlich geschieht all dies in familiärer Eintracht, und wer sagt, dass es keinen Plan B gäbe, der irrt vielleicht. Eine Ausbildung zum Tennisprofi öffnet eine Reihe von beruflichen Perspektiven. Sollte es mit der Karriere nicht so ganz klappen, könnte man als Trainer oder Trainingspartner oder Touring-Coach immer noch in der Szene verbleiben. Plan A ist ein sehr guter Plan!
Die Thiems stehen mit der Entscheidung, Tennis als Trumpf-As zu sehen, recht alleine da, einige Freunde und Bekannte wenden sich ab, können die Vorgangsweise nicht nachvollziehen. Doch innerhalb der Familie herrscht dieses Urvertrauen, die Frage, ob der Weg vielleicht falsch ist, wird nie gestellt.