Loe raamatut: «Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)», lehekülg 4

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6.2 Berufswahlmotive

In Bezug auf die Berufswahlmotive wurde zunächst (Abschnitt 6.2.1) untersucht, welche Gründe für die Wahl der beruflichen Grundbildung von weiblichen und männlichen Jugendlichen in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik in der Berufslehre ausschlaggebend sind (zweite Frage). Diese Analysen stützten sich auf die retrospektiven Gründe, die die Befragten für die Wahl der Berufslehre kurz vor Ende der Berufslehre angegeben haben (Tabelle 1). Anschließend wurde eruiert (Abschnitt 6.2.2), welche Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn von weiblichen und männlichen Jugendlichen in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik des gewählten Berufs ausschlaggebend sind (dritte Frage). Dabei wurden die Angaben der Gründe für die bevorstehende Wahl der Berufslaufbahn in die Analyse einbezogen.

6.2.1 Retrospektive Gründe für die Wahl der Berufslehre

Bei Betrachtung der deskriptiven Ergebnisse zu den Gründen, welche Jugendliche retrospektiv für die Wahl der Berufslehre als relevant erachten (Tabelle 2), zeigt sich, dass intrinsische Motive von Jugendlichen am stärksten gewichtet werden (eigene Interessen und Erfüllung). Zu den Gründen mit mittelmäßiger Relevanz gehören die antizipierte Passung (Anforderungsprofil der Berufslehre und Kompromissbereitschaft), extrinsische Motive (Einkommen, Arbeitszeiten, Möglichkeit der Anschlusslösung und Verfügbarkeit der Arbeitsstellen) sowie soziale Motive wie Ratschläge aus dem sozialen Umfeld. Zu den eher unwichtigen Gründen für die Wahl der Berufslehre gehören die Geschlechtstypik der Ausbildung (antizipierte Passung) und die Erfüllung der Elternerwartungen (soziale Motive).[4]

Tabelle 2: Deskriptive Ergebnisse zu den retrospektiven Gründen für die Wahl der Berufslehre


Bitte beurteilen Sie, wie wichtig die folgenden Kriterien bei der Wahl einer Berufslehre aus Ihrer heutigen Sicht sein sollen. Worauf sollte eine Person bei der Wahl einer Berufslehre achten? Wie wichtig ist/sind im Rückblick bei der Wahl einer Berufslehre …
Rang Item N M SD
1 … die eigenen Interessen? 121 5.38 .89
2 …, dass die Arbeit erfüllend ist? 120 5.08 .89
3 … Ihre schulischen Fähigkeiten? 1120 4.56 1.01
4 …, dass Sie auch für Berufe offen sind, die nicht die erste Wahl sind? 120 4.22 1.07
5 … die Höhe des Einkommens? 121 3.98 1.08
6 … die erhaltenen Ratschläge von Bekannten, Kolleginnen und Kollegen? 121 3.90 .90
7 … ein lückenloser Übergang – Hauptsache eine Anschlusslösung nach der 9. Klasse? 121 3.81 1.36
8 … flexible Arbeitszeiten? 117 3.80 1.25
9 … die Anzahl verfügbarer Arbeitsstellen? 121 3.59 1.26
10 … die Erfüllung der Elternerwartungen? 119 2.87 1.32
11 … die Geschlechtstypik des Berufs, der Ausbildung? 120 2.44 1.19
Anmerkung: Likert-Skala: 1 = überhaupt nicht wichtig bis 6 = sehr wichtig; N = Anzahl; M = Mittelwert; SD = Standard-Abweichung

Bei den Angaben, welche Gründe kurz vor dem Abschluss der beruflichen Grundbildung für die Wahl der Berufslehre relevant sein sollten, unterscheiden sich Frauen und Männer dahingehend, dass es für Frauen wichtiger ist, einer erfüllenden Arbeit nachzugehen (N = 120; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1276, p ≤ .05), während Männer einen lückenlosen Übergang nach der Schule stärker gewichten (N = 121; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 2111, p ≤ .05).

Werden Frauen und Männer innerhalb derselben geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung miteinander verglichen, zeigt sich, dass Männer in geschlechtstypischen Passungen sowohl einem lückenlosen Übergang nach dem 9. Schuljahr (N = 87; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1063.50, p ≤ .05) als auch der Offenheit gegenüber Berufen, welche nicht ihre erste Wahl sind (N = 87; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1055.50, p ≤ .05), eine größere Relevanz beimessen als Frauen in geschlechtstypischen Passungen. Frauen und Männer in geschlechtsneutralen Passungen oder für sie geschlechtsuntypischen Passungen unterscheiden sich nicht in der Begründung der Wahl der Berufslehre voneinander.

Schließlich unterscheiden sich Frauen untereinander lediglich in Bezug auf die Relevanz, die sie der Offenheit gegenüber Berufen beimessen, welche nicht erste Wahl sind (Kruskal-Wallis-Test: χ² (2, N = 77) = 6.73, p ≤ .05). Insbesondere für Frauen in geschlechtstypischen Passungen scheint dieser Grund relevant zu sein, gefolgt von Frauen in geschlechtsneutralen Passungen. Frauen in geschlechtsuntypischen Passungen messen diesem Grund am wenigsten Relevanz bei. Männer hingegen unterscheiden sich auch unter Berücksichtigung der geschlechtsbezogenen Passung in keinem der erfragten Gründe voneinander.

6.2.2 Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn

Analog zu den retrospektiven Gründen für die Wahl der Berufslehre beziehen sich die wichtigsten Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn (Tabelle 3) auf die intrinsischen Motive (eigene Interessen, Erfüllung und Fähigkeitserweiterung). Zu den Gründen mit mittelmäßiger Relevanz gehören extrinsische Motive (Karrierechancen, Einkommen im Beruf und während der Ausbildung, Möglichkeit eines lückenlosen Übergangs, Länge des Arbeitsweges, Verfügbarkeit der Arbeitsstellen, Kosten für die Ausbildung, Ansehen des Berufs und flexible Arbeitszeiten), die antizipierte Passung (Erfahrungen in der Berufslehre, Möglichkeit, Work-Life-Balance zu haben, Anforderungsprofil des Berufs und Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen) sowie soziale Motive (Ratschläge aus dem sozialen Umfeld sowie Möglichkeit, neue Freunde zu gewinnen). Die unwichtigen Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn bleiben die gleichen wie für die Wahl der Berufslehre (Abschnitt 6.2.1): die Erfüllung der Elternerwartungen (soziale Motive) und die Geschlechtstypik des Berufs (antizipierte Passung).[5]

Tabelle 3: Deskriptive Ergebnisse zu den Gründen für die Wahl der Berufslaufbahn


Bitte beurteilen Sie die Wichtigkeit der folgenden Kriterien bei Ihrer Wahl der Berufslaufbahn. Wie wichtig ist/sind Ihnen bei der Wahl der Berufslaufbahn …
Rang Item N M SD
1 … die eigenen Interessen? 113 5.38 .72
2 …, dass die Arbeit erfüllend ist? 112 5.22 .73
3 …, dass sie neue Fähigkeiten erlernen können? 112 5.13 .68
4 … die gemachten Erfahrungen in der Berufslehre? 112 4.95 .82
5 …, dass Sie neben der Ausbildung oder dem Beruf noch genügend Freizeit haben, um andere Dinge zu tun? 112 4.95 .86
6 … Ihre schulischen Fähigkeiten? 113 4.79 .87
7 … mögliche Karrierechancen? 111 4.68 1.10
8 … ein lückenloser Übergang? 112 4.51 .99
9 … die Höhe des Einkommens? 112 4.41 1.00
10 … die Länge des Arbeitsweges? 111 3.95 1.16
11 … die Anzahl verfügbarer Arbeitsstellen? 111 3.91 1.20
12 … anfallende Kosten für die Ausbildung? 111 3.90 1.10
13 … die erhaltenen Ratschläge von Bekannten? 113 3.89 .99
14 … fehlendes Einkommen während der Ausbildung? 112 3.88 1.21
15 … das Ansehen des Berufs? 113 3.84 1.21
16 … die erhaltenen Ratschläge von Kolleginnen und Kollegen? 112 3.81 .91
17 … flexible Arbeitszeiten? 113 3.81 1.15
18 … neue Freunde zu gewinnen? 111 3.65 1.27
19 … die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen? 112 3.54 1.48
20 … die Erfüllung der Elternerwartungen? 112 2.80 1.29
21 … die Geschlechtstypik des Berufs, der Ausbildung? 112 2.65 1.25
Anmerkung: Likert-Skala: 1 = überhaupt nicht wichtig bis 6 = sehr wichtig; N = Anzahl; M = Mittelwert; SD = Standard-Abweichung

Frauen und Männer unterscheiden sich hinsichtlich der Relevanz, die sie vier Gründen für die Wahl der Berufslaufbahn beimessen: Die gemachten Erfahrungen in der Berufslehre sind für Frauen wichtiger als für Männer (N = 112; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1100, p ≤ .05). Die Karrierechancen (N = 111; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1824.50, p ≤ .01), die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen (N = 112; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 2017, p ≤ .001), und die Höhe des Einkommens (N = 112; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1772.50, p ≤ .05) sind demgegenüber Männern für die Wahl der Berufslaufbahn wichtiger als Frauen.

Werden Frauen und Männer innerhalb derselben geschlechtsbezogenen Passung miteinander verglichen, wird deutlich, dass sich Frauen und Männer in einer jeweils für sie geschlechtstypischen Passung in Hinblick auf die Gewichtung von drei Gründen für die Wahl der Berufslaufbahn unterscheiden: Erfahrungen in der Berufslehre (N = 78; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 416.50, p ≤ .01) sowie die vorangegangenen schulischen Fähigkeiten (N = 79; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 478, p ≤ .05) sind für Frauen in geschlechtstypischen Passungen wichtiger als für Männer in geschlechtstypischen Passungen. Die Relevanz der Karrierechancen (N = 78; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 854.50, p ≤ .01) sowie die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen (N = 78; exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 1055.50, p ≤ .001), werden dagegen von Männern in geschlechtstypischen Passungen höher eingeschätzt als von Frauen in geschlechtstypischen Passungen. Es gab keine Unterschiede in der Begründung der Wahl der Berufslaufbahn zwischen Frauen und Männern in geschlechtsneutralen oder geschlechtsuntypischen Passungen.

Schließlich unterscheiden sich Frauen untereinander einerseits in Bezug auf die Relevanz, einer erfüllenden Arbeit nachgehen zu können (Kruskal-Wallis-Test: χ² (2, N = 73) = 6.37, p ≤ .05), und andererseits bezüglich der Wichtigkeit, neue Fähigkeiten erlernen zu können (Kruskal-Wallis-Test: χ² (2, N = 73) = 12.57, p ≤ .01), nach dem Passungstyp voneinander. Der Bonferroni-Post-Hoc-Test zeigt, dass für Frauen in geschlechtstypischen Passungen die Relevanz einer erfüllenden Arbeit signifikant höher ist als für Frauen in geschlechtsuntypischen Passungen (z = 33.32, p ≤ .05). Weiter schätzen Frauen in einer geschlechtstypischen Passung die Wichtigkeit des Erwerbs neuer Fähigkeiten höher ein als Frauen in geschlechtsneutralen (z = 13.26, p ≤ .05) und Frauen in geschlechtsuntypischen Passungen (z = 36.26, p ≤ .05). Keine signifikanten Unterschiede in der Begründung der Wahl der Berufslaufbahn gibt es bei Männern im Zusammenhang mit geschlechtsbezogenen Passungen der gewählten Laufbahn.

6.3 Zufriedenheit

Im Folgenden wird zunächst (Abschnitt 6.3.1) die berufsbezogene Zufriedenheit von männlichen und weiblichen Jugendlichen bei der Wahl der beruflichen Grundbildung im Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik der Berufslehre analysiert (vierte Frage). Alsdann wird untersucht (Abschnitt 6.3.2), inwiefern sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit bei der Wahl der Berufslaufbahn unterscheiden und welche Rolle dabei die berufliche Geschlechtstypik des gewählten Berufs spielt (fünfte Frage).

6.3.1 Zufriedenheit im Beruf während der Berufslehre

Die Variable Zufriedenheit mit dem Beruf (Tabelle 1) wurde mittels der Scale-Split-Methode dichotomisiert. Die Chi-Quadrat-Tests zeigen, dass sich Frauen und Männer nicht signifikant bezüglich der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf voneinander unterscheiden. Im Weiteren gibt es keine signifikanten Unterschiede in der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf zwischen Frauen und Männern innerhalb derselben geschlechtsbezogenen Passung.

Ein signifikanter Unterschied zeigt sich jedoch beim Vergleich der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf unter Frauen in den unterschiedlichen geschlechtsbezogenen Passungen der Berufslehre: Frauen, die unzufrieden mit dem gewählten Beruf sind, befinden sich überproportional häufig in einer geschlechtsuntypischen Passung in der beruflichen Grundbildung (χ²(2, 77) = 8.49, p ≤ .05). Männer unterscheiden sich nicht untereinander in Zusammenhang mit der geschlechtsbezogenen Passung der Berufslehre.

6.3.2 Zufriedenheit im Beruf nach dem Übergang von der Berufslehre in den Beruf

Bei Betrachtung der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf nach dem Eintritt in das Erwerbsleben zeigt sich, dass mehr Männer und dementsprechend weniger Frauen zufrieden mit dem ausgeübten Beruf sind (χ²(2, 371) = 8.84 p ≤ .05). Werden dieselben geschlechtsbezogenen Passungen miteinbezogen, wird ersichtlich, dass mehr Männer in einer geschlechtstypischen Passung im Beruf und dementsprechend weniger Frauen in einer geschlechtstypischen Passung im Beruf mit ihrem gewählten Beruf zufrieden sind (χ²(2, 201) = 6.27, p ≤ .05).

Abschließend wurde eine multivariate zweifaktorielle Varianzanalyse gerechnet, um das Vorhandensein eines Interaktionseffektes zwischen dem Geschlecht und der geschlechtsbezogenen Passung in Bezug auf die Zufriedenheit im Beruf direkt nach dem Übergang von der Berufslehre in den Beruf zu prüfen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interaktion der beiden Faktoren signifikant ist (F(2, 248) = 5.30, p ≤ .01) (Abbildung 2).


Abbildung 2: Interaktionseffekt zwischen dem Geschlecht und den geschlechtsbezogenen Passungen in Bezug auf die Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf

Abbildung 2 zeigt, dass Männer in geschlechtstypischen Passungen direkt nach der Berufslehre am unzufriedensten im Beruf sind. Weiter kann festgestellt werden, dass trotz der geringeren Zufriedenheit bei Männern in den geschlechtstypischen Passungen ihre Zufriedenheit im Beruf sowohl bei den geschlechtsneutralen als auch bei den geschlechtsuntypischen Passungen höher ist als bei den Frauen in denselben Passungstypen.