Loe raamatut: «Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht», lehekülg 9

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Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Lösung

Lösung
Aufgabe 1: Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit Grundrechten und Grundfreiheiten
A. Die Zwangsmitgliedschaft
I. Die einfachrechtlichen Voraussetzungen

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Die Pflichtmitgliedschaft ergibt sich aus § 2 IHKG. Insoweit knüpft das IHK-Gesetz bei ausländischen juristischen Personen an die Gewerbesteuerveranlagung[1] sowie an die, unionsrechtlich unproblematische, gesellschaftsrechtlich begründete[2], Pflicht zur Eintragung von Zweigniederlassungen bei ausländischem Sitz an. Der Umfang der Geschäftstätigkeit ist demgegenüber irrelevant[3]. Diese Voraussetzungen liegen bei L vor: Sie wurde zur Gewerbesteuer veranlagt und ist in das deutsche Handelsregister eingetragen.

II. Vereinbarkeit der Zwangsmitgliedschaft mit den Grundrechten
1. Sachlicher Schutzbereich: Das einschlägige Grundrecht

Die Zwangsmitgliedschaft könnte gegen Grundrechte verstoßen. L rügt eine Verletzung der Berufsfreiheit, es kommen aber auch Art. 9 Abs. 1 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht in Betracht.

a) Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)

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Die Zwangsmitgliedschaft könnte einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen. Selbstverständlich unterfällt die Ausübung eines Gewerbes durch L in sachlicher Hinsicht[4] diesem Grundrecht, so dass man auch eine an die berufliche Betätigung anknüpfende Zwangsmitgliedschaft und die daraus resultierende Verpflichtung zur Beitragszahlung an Art. 12 Abs. 1 GG messen könnte. Da die Mitgliedschaft in einer Kammer lediglich die Berufsausübung betrifft, wäre die Maßnahme als Berufsausübungsregelung einzuordnen[5]. Nach hM schützt Art. 12 Abs. 1 GG allerdings nicht gegen bloß mittelbare Beeinträchtigung des Berufs. Erforderlich sei vielmehr, dass der Maßnahme subjektiv oder zumindest objektiv eine berufsregelnde Tendenz zukomme[6]. Sofern die Verbindung zum Beruf ,,nicht unmittelbar, sondern vielmehr nur locker und mittelbar“[7] ist, soll Art. 12 Abs. 1 GG nach dieser Auffassung nicht einschlägig sein. Da die Zwangsmitgliedschaft weder die Art und Weise der Berufsausübung regelt noch eine berufspolitische Zielrichtung verfolge[8], fehle es an dieser besonderen Verknüpfung, sodass Art. 12 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung als Maßstab ausscheidet. Für das Merkmal der „objektiv berufsregelnden Tendenz“ spricht vor allem angesichts der Erweiterung des Eingriffsbegriffes der Umstand, dass ansonsten der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG konturenlos zu werden droht[9]. Folgt man dieser Rechtsprechung, ist Art. 12 GG also nicht einschlägig.

Hinweis:

Die Schutzbereichsbegrenzung bei Art. 12 GG durch das Tatbestandsmerkmal der objektiv-berufsregelnden Tendenz ist lediglich eine Frage der Grundrechtskonkurrenz[10], entscheidet also gerade nicht über die Frage des Eingriffs. Im vorliegenden Fall zeigt sich außerdem, dass es auch in seiner Reichweite problematisch ist, ließe sich doch die berufsregelnde Tendenz sehr wohl bejahen. Immerhin dienen die Bestimmungen über die Selbstverwaltung von Berufsgruppen gerade der Regelung des beruflichen Bereichs, die für das einzelne Mitglied gar mit (Partizipations)Vorteilen an der normativen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für die Berufsbetätigung gegenüber der üblichen „Fremdverwaltung“ verbunden sein soll (vgl dazu sogleich). Daher lässt sich ein spezifischer Bezug zu Art. 12 Abs. 1 GG mit entsprechender Begründung sehr wohl bejahen.

b) Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit)

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Daneben macht L aber auch eine Verletzung ihrer Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG geltend. Dieser schützt nicht nur die positive, sondern auch die negative Vereinigungsfreiheit, also die Freiheit, einer Vereinigung fern zu bleiben bzw aus ihr auszutreten[11]. Da L gemäß § 2 IHKG automatisch Mitglied der IHK geworden ist und sich dieser Mitgliedschaft auch nicht durch einen Austritt entziehen kann, könnte dieses Grundrecht tatsächlich betroffen sein. Fraglich ist allerdings, ob der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG öffentlich-rechtliche Vereinigungen überhaupt einschließt. Einerseits geht es auch in dieser Situation um die Abwehrdimension der Grundrechte und es macht aus der Sicht der Betroffenen keinen Unterschied, ob es sich um eine Pflichtmitgliedschaft in privat- oder in öffentlich-rechtlichen Organisationen handelt[12]. Andererseits schützt die positive Vereinigungsfreiheit nur privatrechtliche Zusammenschlüsse, nicht aber die Gründung einer staatlichen Vereinigung. Geht man (mit der hM) davon aus, dass die negative Vereinigungsfreiheit nicht weiter reichen kann als die positive[13], ist Art. 9 Abs. 1 GG nicht einschlägig[14].

c) Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)

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Damit kommt allenfalls ein Eingriff in das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Betracht. Bereits die Mitgliedschaft in einer Kammer als solche ist nicht nur rechtlich vorteilhaft und stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG dar; entsprechendes gilt auch für die Beitragspflicht[15].

2. Persönlicher Schutzbereich: Grundrechtsberechtigung

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Voraussetzung ist allerdings, dass L sich auch auf dieses Grundrecht berufen kann. Da es sich um eine Kapitalgesellschaft handelt, ist Maßstab insoweit Art. 19 Abs. 3 GG, der insbesondere verlangt, dass die juristische Person „inländisch“ zu sein hat. Für die Frage der Grundrechtsfähigkeit kommt es in Übereinstimmung mit der für das internationale Gesellschaftsrecht maßgeblichen Sitztheorie[16] darauf an, ob sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall, es handelt sich um eine ausländische juristische Person. Die Tatsache, dass sie über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügt, spielt also für Art. 19 Abs. 3 GG keine Rolle; allerdings ist nach der Rspr des BVerfG der Anwendungsbereich der Grundrechte auf juristische Personen aus dem EU-Ausland zu erstrecken (s. dazu bereits ausführlicher Fall 2)[17]. Im Ergebnis kann sich daher L auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen.

Hinweis:

Folgt man dem BVerfG kommt es auf die Frage, inwieweit sich L als juristische Person des EU-Auslands auch auf das „Deutschengrundrecht“ des Art. 12 GG berufen kann (dazu Fälle 2, 4, zudem näher unten Rn 86) nicht an.

3. Rechtfertigung

Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn er aufgrund eines formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehenden Gesetzes erfolgt[18].

a) Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 2 IHKG

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Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zum Erlass des IHKG ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG iVm Art. 72 Abs. 2 GG. Fehler im Gesetzgebungsverfahren sind nicht ersichtlich.

b) Materielle Verfassungsmäßigkeit des § 2 IHKG

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Damit das Gesetz materiell als verfassungsgemäß eingestuft werden kann, muss es insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranken-Schranke entsprechen. Hierzu ist erforderlich, dass die Kammer legitime öffentliche Aufgaben wahrnimmt und ihre Errichtung – gemessen an diesen Aufgaben – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht[19]. Öffentliche Aufgaben sind dabei solche, „an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss“[20]. Die Aufgaben der IHK ergeben sich aus § 1 IHKG. Bei der IHK handelt es sich angesichts der in § 1 IHKG spezifierten Aufgaben weniger um „berufsständische Selbstverwaltung“ als um generelle Wirtschaftsförderung und Interessenvertretung[21]. Da es für die erforderliche Geeignetheit der Maßnahme aufgrund der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers genügt, wenn durch die Zwangsmitgliedschaft das angestrebte Ziel einer möglichst effektiven Aufgabenwahrnehmung zumindest gefördert werden kann, begegnet auch die Eignung keinen Bedenken. Die Übertragung der Aufgaben auf eine aus der Wirtschaft heraus gebildete und damit besonders „sachnahe“ Einrichtung stellt sich sogar in besonderer Weise als geeignet dar. Da sich andererseits dieses Ziel nur dann erreichen lässt, wenn die betroffenen Kreise möglichst umfassend repräsentiert werden, erscheint eine Pflichtmitgliedschaft auch als erforderlich. Die Maßnahme müsste schließlich auch angemessen sein (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn), dh die Intensität des Eingriffs darf nicht außer Verhältnis zur Wertigkeit des angestrebten Ziels stehen. Die Pflichtmitgliedschaft und die damit verbundene Beitragspflicht sind aufgrund der Koppelung an Art, Umfang und Leistungsfähigkeit des Gewerbebetriebs als relativ geringer Eingriff für die betroffenen Mitglieder zu werten. Vor allem ist auch zu berücksichtigen, dass die Pflichtmitgliedschaft nicht nur negative Folgen für den Betroffenen nach sich zieht, sondern auch die Möglichkeit zur Partizipation an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet. Gerade dies ist aber bei der IHK anders, die angesichts ihrer heterogenen Mitgliederstruktur viel weniger gemeinsame Interessen vertritt als andere Kammern: Allerdings sieht § 1 Abs. 1 IHKG die besondere Aufgabe gerade im Ausgleich der Einzelinteressen. Aufgabe der IHK ist also nicht die Artikulation einer „einzigen Gesamtauffassung einer homogenen Gruppe“[22]. Außerdem besteht ihre Aufgabe in einer Beratung ihrer Mitglieder. Angesichts des weiten gesetzgeberischen Spielraums bei der Schaffung von Selbstverwaltungseinrichtungen bestehen daher keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Aufgabenzuweisung. Aus diesem Blickwinkel fördert insbesondere eine Pflichtmitgliedschaft in besonderer Weise das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, indem sie die „Voraussetzungen für eine partizipative Ermittlung des Gesamtinteresses nach § 1 Abs. 1 IHKG“ sichert[23]. Allerdings muss der Gesetzgeber auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die IHK diesen Anforderungen an den Binnenpluralismus gerecht wird; insoweit bedarf es bei der IHKG daher im Ergebnis einer Ergänzung der rudimentären gesetzlichen Regelungen[24]. Allerdings stellen diese Lücken, die sich möglicherweise auch durch Auslegung schließen lassen, die Pflichtmitgliedschaft nicht als solches in Frage.

III. Die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten
1. Einschlägige Grundfreiheit

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Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften müssen sich wegen den damit verbundenen Auswirkungen auf den gemeinsamen Binnenmarkt auch am Unionsrecht messen lassen. Der Bearbeitervermerk beschränkt die Prüfung auf die Grundfreiheiten. Hierbei kommen insbesondere die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit als Maßstab in Betracht. In sachlicher Hinsicht erfasst Art. 49 AEUV die selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Dauer, einschließlich der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften. Die Dienstleistungsfreiheit dagegen schützt typischerweise auf eine kürzere Dauer angelegte Tätigkeiten. Da L sich mit der Errichtung der Zweigniederlassung in Deutschland dauerhaft wirtschaftlich in einen fremden Mitgliedsstaat integriert, ist der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.

Hinweis:

Die Grundfreiheiten werden zunehmend durch spezielleres Sekundärrecht verdrängt (dazu näher die Fälle 5, 8). Auf dieses ist in der Klausur selbstverständlich nur dann einzugehen, wenn der Sachverhalt entsprechende Hinweise enthält bzw die einschlägigen Bestimmungen abgedruckt werden. Vorliegend könnten die Dienstleistungs- und die Berufsanerkennungsrichtlinie in Betracht kommen. Erstere befasst sich für die Niederlassung im Aufnahmestaat jedoch nur mit Genehmigungserfordernissen (Art. 9 ff DLR), letztere gilt nur für die sog. „reglementierten Berufe“. Diese sind in Art. 3 Abs. 1 lit. a BerufsanerkennungsRL legaldefiniert. Ein reglementierter Beruf liegt also nur dann vor, wenn die Aufnahme oder Ausübung einer beruflichen Betätigung direkt oder indirekt durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation gebunden ist. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Die Frage einer Zwangsmitgliedschaft in der IHK ist daher sekundärrechtlich nicht geregelt[25] und – wie im Bearbeitervermerk vorgesehen – allein an den Grundfreiheiten zu messen.

Auch der persönliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit müsste eröffnet sein. Nach dem Wortlaut des Art. 49 AEUV erfasst sie nur natürliche Personen. Durch Art. 54 Abs. 1 AEUV werden diesen allerdings Gesellschaften gleichgestellt, sofern sie nach den Rechtsvorschriften eines der Mitgliedsstaaten gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Dies ist bei L als einer nach englischem Recht gegründeten privaten Kapitalgesellschaft mit Sitz in England der Fall. Der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet.

2. Eingriff: Maßnahme gleicher Wirkung

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§ 2 IHKG könnte in die Niederlassungsfreiheit eingreifen. Eine Diskriminierung liegt nicht vor, da die Pflichtmitgliedschaft allein an die Steuerpflicht und eine inländische Betriebsstätte anknüpft. Auch ihre Modalitäten differenzieren nicht zwischen In- und Ausländern. Allerdings könnte eine Maßnahme gleicher Wirkung vorliegen. Nach der, auch auf die Niederlassungsfreiheit übertragbaren Dassonville-Formel des EuGH fallen darunter alle Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, „die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“[26].

Ob auf der Grundlage dieser Formel die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, ist allerdings umstritten. In der deutschen Literatur wird dies teilweise verneint. Die Mitgliedschaft begründe neben der Beitragspflicht keine besonderen Pflichten, die sich auf die Berufstätigkeit auswirken würden. Die Beitragspflicht als solche sei dagegen zu unspezifisch, um als Beschränkung der beruflichen Betätigung qualifiziert zu werden[27]. Hinzu komme, dass die Mitgliedschaft nicht Voraussetzung einer Niederlassung ist, sondern dieser nachfolgt, das Beschränkungsverbot im Rahmen der Niederlassungsfreiheit in Übertragung des Grundgedankens der zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten „Keck-Rechtsprechung“ aber auf die Sicherstellung des Marktzutritts zu reduzieren sei. Maßnahmen, die die Ausübung der spezifischen Tätigkeit nach erfolgter Niederlassung betreffen, seien dagegen lediglich am Diskriminierungsverbot zu messen[28]. Schließlich belaste die Pflichtmitgliedschaft als solche die Betroffenen nicht, sondern begünstige sie vielmehr durch Zuweisung von Partizipationsrechten in der Selbstverwaltungskörperschaft. Daher liege keine Maßnahme gleicher Wirkung vor.

Diese Auffassung begegnet aber erheblichen Bedenken[29]. Zum einen können nach der weiten Dassonville-Formel neben solchen Hürden, die vor einer Niederlassung zu überwinden sind, auch zwingende belastende Rechtsfolgen die Niederlassung unattraktiv machen und damit dem Beschränkungsbegriff unterfallen. Zum anderen steht der Umstand, dass mit der Mitgliedschaft auch eine Begünstigung (in Form der Partizipationsrechte) verbunden ist, dem Charakter als Beschränkung nicht entgegen[30]. Im Ergebnis ist daher die Begründung der Pflichtmitgliedschaft als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen.

3. Rechtfertigung: zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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Dieser Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein, Nachdem die Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV nicht einschlägig sind, müsste er dazu einen mit dem AEUV zu vereinbarenden Zweck verfolgen, auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dazu müsste die Pflichtmitgliedschaft geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Zwecks zu gewährleisten und nicht über das dafür erforderliche Maß hinauszugehen[31]. Die Pflichtmitgliedschaft soll eine unmittelbare Partizipation der Mitglieder an der berufsständischen Interessenvertretung ermöglichen; dies steht im Einklang mit dem EU-Recht, das ebenfalls möglichst bürgernahe Entscheidungsverfahren fordert[32]. Die Pflichtmitgliedschaft ist zur Verfolgung dieses Zweckes geeignet und erforderlich: Eine „basisdemokratische“ Repräsentanz des Berufsstandes ließe sich bei freiwilliger Mitgliedschaft kaum erreichen, zumindest nicht gewährleisten. Gleichzeitig zeichnet sich die Selbstverwaltung durch Sachnähe, Kompetenz und Unabhängigkeit aus und stellt im Verhältnis zur Aufgabenwahrnehmung durch unmittelbar staatliche Behörden wohl auch das mildere Mittel dar. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Zwangsmitgliedschaft ist schließlich im engeren Sinne verhältnismäßig, also zumutbar. Sie bedeutet – auch bei Berücksichtigung der Beitragspflicht als Hauptlast der Kammerzugehörigkeit – keine schwerwiegende Belastung, zumal die Mitgliedschaft die Chance zur Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet[33].

Andererseits darf nicht übersehen werden, dass es sich bei den von der Pflichtmitgliedschaft in der IHK betroffenen „Gewerben“ regelmäßig nicht um „regulierte Berufe“ im Sinne des Unionsrechts handelt, so dass ihre „Beaufsichtigung“ nicht dieselbe Relevanz besitzt wie beispielsweise bei den freien Berufen und beim Handwerk[34], so dass man sehr wohl die Auffassung vertreten könnte, dass sich jedenfalls die Zwangsmitgliedschaft in einer IHK als unverhältnismäßig darstellt. Dies könnte vor allem auch deswegen gelten, weil es gerade bei eher losen Kontakten zu einer bestimmten Region, wie sie etwa bei Betriebsstätten ausländischer Unternehmen häufig bestehen, gerade an der für das Kammerrecht prägenden „örtlichen Radizierung“ ihrer Interessen fehlt. Erst recht gilt dies, wenn (bei verschiedenen Betriebsstätten) Mehrfachmitgliedschaften bestehen. Im Ergebnis sind daher im Rahmen einer Klausur mit der entsprechenden Begründung unterschiedliche Ergebnisse gleichermaßen vertretbar.

B. Der Kammerbeitrag

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Nach § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Als Beiträge im rechtlichen Sinne müssen sie daher dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz genügen, was aber im vorliegenden Fall nicht zu problematisieren ist[35]. Auch die unmittelbare Anknüpfung der Beitragslast an die – ihrerseits verfassungskonforme – Pflichtmitgliedschaft in § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden[36]. Als problematisch könnte sich allenfalls die Differenzierung zwischen ins Handelsregister eingetragenen und sonstigen Mitgliedern erweisen. Während letztere nach § 3 Abs. 3 S. 3–4 IHKG sowohl als Existenzgründer als auch allgemein bei geringem Einkommen privilegiert werden[37], scheidet dies bei ins Handelsregister eingetragenen Gesellschaften – und damit auch im vorliegenden Fall bei L – aus. Allein der Hinweis darauf, der Gesetzgeber habe eine solche Differenzierung gewollt[38], kann eine Begründung nicht ersetzen. Der Hinweis auf den geringen Betrag, der konkret fällig wurde, könnte eine Diskriminierung nicht rechtfertigen.

Maßstab könnte zum einen Art. 3 GG, zum anderen aber auch das Unionsrecht sein. Bei Art. 3 GG räumt das BVerfG dem Gesetzgeber weite Spielräume zur Differenzierung ein. In der Tat dürfte das Problem geringer Einkünfte sich weniger bei den ins Handelsregister eingetragenen IHK-Zugehörigen als bei anderen Fällen stellen[39]. Trotz der formalen Anknüpfung an die Rechtsform kann man dies in der Sache als ein generalisierendes Leistungsfähigkeitskriterium qualifizieren. Dies könnte einen sachgerechten Grund für die Differenzierung darstellen. Das Unionsrecht sieht aber nicht nur eine Pflichtmitgliedschaft (jedenfalls wenn sie mit Kosten verbunden ist), sondern auch jegliche Differenzierung, die an die Rechtsform anknüpft als problematisch an[40].

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