Flucht und Neuanfang

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Flucht und Neuanfang
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Nähe zur Familie als Auswanderungsgrund

Ein glückliches Wiedersehen nach langer Zeit – Jakob zieht zu Josef

Flucht vor dem Hunger

Noch einmal von vorn anfangen – Rut und Noomi

Rückkehr ins Ungewisse – Die Frau aus Schunem

Flucht vor Unterdrückung

Ihr Schreien drang zu Gott – Der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten

In der Wüste

Hunger und Durst – Gott versorgt sein Volk in der Wüste

Organisation ist das halbe Leben – Jitros Rat

Gemeinsame Regeln als Basis des Zusammenlebens – Die Zehn Gebote und andere Lebensregeln

Mutlosigkeit und Versuchung – Das Goldene Kalb

Flucht vor Verfolgung

Brüderzwist – Jakob flieht vor Esau

Das Jesuskind als Opfer der Machtpolitik – Die Flucht nach Ägypten

Eine Christenverfolgung als Initialzündung – Die Gemeinde wird verfolgt

Letzte Zuflucht – Asylstädte für Totschläger

Krieg und Vertreibung

Der Verlust der Identität – Der Untergang des Nordreichs Israel

Ein Volk im Exil – Das Ende des Südreichs Juda

Jerusalem, wenn ich dich je vergesse ... – Klagelieder eines verschleppten Volkes

Jubel und Freude über das Ende des Exils – Die Heimkehr nach Jerusalem

Menschenhandel: Eine Form der Zwangs­migration

Ein Bruderzwist mit Folgen – Josef wird verkauft

Die Ablehnung von Einwanderern und Gesetze zu ihrem Schutz

Eine Lehre aus der eigenen Vergangenheit – Gesetze zum Schutz von Einwanderern

Religiöser Rigorismus und seine Kehrseite – Esra weist nichtjüdische Frauen aus

Eine hochgeschätzte Ausländerin in Israel – Rut

Rut ist mehr wert als sieben Söhne

Rut erscheint im Stammbaum von Jesus von Nazaret

Wenn Einwanderer erfolgreich sind

Zu viel des Guten – Isaaks Reichtum führt zu Streit

Lug und Betrug – und doch ein Happy End – Jakob bringt Laban und sich selbst zu Wohlstand

Eine beachtliche Karriere – Josef in Ägypten

Probleme von Einwanderern im fremden Land

Probleme innerhalb der Familie – Abraham und Lot

Der ewige Kampf um das Wasser – Isaak schließt Frieden mit den Nachbarn

Die letzte Ruhe – Abraham kauft eine Grabstelle in Kanaan

Probleme mit kriminellen Banden – Sodom und Gomorra

Sexuelle Belästigung: Ein Dauerproblem – Josef und die Frau von Potifar

Konflikte wegen der Religion – Daniel und seine Freunde – Ein Fall von Zwangs­assimilation

Frauen und Migration

Geschäftstüchtige Frauen

– Die Geschäftsfrau Lydia als Gastgeberin der Apostel

– Priszilla setzt sich zusammen mit ihrem Mann für den Glauben ein

– Auswanderer durch staatlichen Befehl – Vorkämpfer des Glaubens durch eigenen Entschluss(aus Apostelgeschichte 18)

– Paulus grüßt die Einwanderer Priszilla und Aquila (Römer 16,3-5; 2.Timotheus 4,19)

– Grüße von den Einwanderern Priska und Aquila (1.Korinther 16,19)

Sex und weibliche Schönheit

– Sarai im Harem des ägyptischen Pharao (1.Mose/Genesis 12,10-20)

– Rebekkas Schönheit und die Angst ihres Mannes um sein Leben (1.Mose/Genesis 26,1-11)

Familienzusammenführung – ein weiblicher Migrationsgrund – Rebekka geht in das Land ihres Mannes

Häusliche Sklaverei in fremden Ländern

– Hagar, die ägyptische Sklavin

– Ein Sklavenmädchen rettet seinen Herrn

Aufbruch in Gottes Auftrag

Ein Migrant wird zum Segen für alle Völker – Abraham

Ein Schafzüchter bricht auf, um Prophet zu werden – Amos

Neuanfang in der Großstadt – Die Jünger in Jerusalem

Der Glaube der Migranten

Drei Altäre für den einen Gott – Abraham, Isaak und Jakob

– Abraham (1.Mose/Genesis 12,4-9)

– Isaak (1.Mose/Genesis 26,23-25)

– Jakob (1.Mose/Genesis 28,18-22)

Der Glaube eines Verschleppten – Daniel

Nachwort: Gebet eines Migranten

Impressum

Vorwort

Die Bibel ist voller Geschichten über alle Arten von Migra­tion. Wir lesen von Männern und Frauen, die ihre Heimat verlassen, weil sie von Gott einen besonderen Auftrag erhalten haben. Andere werden aus ihrem Heimatland vertrieben oder fliehen vor Hunger, Unterdrückung, Krieg und Verfolgung. Die Geschichten sind sehr lebensnah erzählt und schildern das Schicksal der Flüchtlinge auf bewegende Weise. Die Aus- und Einwanderer in der Bibel machen ähnliche Erfahrungen wie heutige Migranten. Nie vergessen sie das Land ihrer Geburt. Es bleibt immer ein Stück ihrer eigenen Identität. Auch ihren Glauben lassen sie nicht hinter sich, sondern bewahren ihn.

Man kann die biblischen Geschichten über Migranten auf unterschiedliche Weise lesen. Entweder interpretieren wir sie als Erzählungen aus lang vergangener Zeit ohne weiteren Bezug zum heutigen Leben. Oder wir lesen sie vor dem Hintergrund der Erfahrung heutiger Migration. In diesem Buch haben wir uns für die zweite Möglichkeit entschieden. Denn so kann das Wort Gottes für uns lebendig werden. Es kann zu uns sprechen und uns als Christen für die Herausforderungen der weltweiten Migrationsbewegungen in unserer Zeit sensibilisieren. Aber vor allem möchten wir mit diesen Geschichten alle Migranten ermutigen und stärken.

 

Nach einer Statistik der Vereinten Nationen gibt es 230 Millionen Migranten auf der Welt. Große Menschengruppen fliehen in fremde Länder oder innerhalb eines Landes. Das ist nichts Neues. Dass Menschen an andere Orte vertrieben wurden, gab es schon immer. Geschichtliche Ereignisse und anthropologische Analysen zeigen, dass das Wandern zu den Wesensmerkmalen des Menschen gehört. Menschen verlassen ihren Heimatort und leben anderswo als Einwanderer. Freilich sind sie nun Fremde, und das tägliche Leben hat für sie sowohl gute als auch schlechte Seiten. So ist das schon seit jeher.

Schon das erste Glaubensbekenntnis in der Bibel nimmt Bezug auf die Flucht Abrahams nach Ägypten: »Mein Vorfahr war ein heimatloser Aramäer. Als er am Verhungern war, zog er mit seiner Familie nach Ägypten und lebte dort als Fremder.« (5Mose/Deuteronomium 26,5) Es gibt nur wenige wichtige Ereignisse in der Bibel, die nichts mit Wanderbewegungen zu tun haben, ob nun aus wirtschaftlichen Gründen, aus dem Wunsch, einem Familienmitglied nah zu sein, weil ein Krieg ausbricht oder aus anderen Gründen. Selbst Jesus Christus, der Sohn Gottes, kam aus Liebe zu den Menschen als Fremder auf die Erde (Philipper 2,6-7). Er wurde ein Mensch mit Fleisch und Blut, um uns den wahren Weg zu Gott zu zeigen. Wir erwarten im Glauben das versprochene Kommen der himmlischen Stadt auf die Erde am Ende der Zeit. Dies wird die ewige Stadt sein, in der es kein Weinen und kein Leid mehr geben wird. Denn Gott, ihr Herrscher, wird wie eine Mutter alle Tränen seiner Töchter und Söhne, der ewigen Migranten, abwischen.

In dem folgenden Zeugnis macht der Migrant Carlos deutlich, dass in jedem von uns etwas von einem Migranten steckt.

Meine Geschichte gleicht denen vieler anderer Menschen. Vor 29 Jahren kam ich in Caracas an. Ich kam von Argentinien, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Meine Familie und ich leben nun seit 13 Jahren in Israel. Wir haben Zeiten von Freude, Traurigkeit, Misserfolg und Erfolg durchlebt. Ich fühle mich gut. Wenn ich zurückschaue, ist da Heimweh nach dem Land, in dem ich geboren wurde. Wenn ich nach vorn schaue, hoffe ich auf Erfolg mit unserem Geschäft. Ich bin davon überzeugt, dass das Bedürfnis, unseren Horizont zu erweitern, etwas ist, das zu unserer DNA gehört, es liegt uns im Blut, auch in unserer Zeit. Es gehört zur Evolution. So haben wir unseren schönen blauen Planeten bevölkert. Alles verändert sich, aber wir ziehen weiter über die Erde. Ich träume von dem Tag, an dem wir einst reisen können, wohin immer wir wollen.1

Die meisten Menschen machen sich die Entscheidung zum Auswandern nicht leicht. Andere Sitten und Bräuche, die Notwendigkeit, eine neue Sprache zu lernen, Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden, Fragen der Religion und vieles anderes stellen große Herausforderungen dar. Wenn Menschen auswandern, ohne an dem Ort, an dem sie leben wollen, Bekannte oder Unterstützer zu haben, haben sie es besonders schwer. Wenn sie die bürokratischen Prozeduren bei den Einwanderungsbehörden nicht kennen, wird das Erlangen der nötigen Papiere viel Arbeit, Kosten und manche Enttäuschungen mit sich bringen. Außerdem müssen sie etwas über das Leben in dem Zielland wissen. Sie müssen wissen, welche Gewohnheiten Anstoß erregen und welches Verhalten gut ankommt. Sie müssen ehrlich, klug und scharfsinnig handeln, um als Fremde akzeptiert zu werden. Natürlich garantiert das noch nicht, dass sie glücklich sein und Erfolg haben werden. Aber sie werden mehr gute als schlechte Erfahrungen machen.

Um die biblischen Geschichten mit den Augen heutiger Migranten sehen zu können, muss man etwas über ihre Lebenswirklichkeit wissen. Dann kann das Wort Gottes Bedeutung bekommen und Leben verändern. Der Welt­entwicklungsbericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) über Migration und mensch­liche Entwicklung2 zeigt uns, dass viele Vorstellungen, die die Menschen über Migranten haben, falsch sind, zum Beispiel: »sie nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg«, »sie klauen« oder »sie liegen uns Steuerzahlern auf der Tasche«.

Die Forschung zeigt jedoch, dass im Allgemeinen beide Seiten profitieren, die Zuwanderer und die Einheimischen. Beide erweitern ihren Horizont und lernen Neues hinzu. Die Begabungen und Fähigkeiten der Einwanderer ergänzen die Ressourcen des Landes, in das sie gekommen sind. Wenn sie erfolgreich sind, helfen sie nicht nur sich selbst und ihren Familien in der Ferne, sondern auch der Gesellschaft, in der sie als Einwanderer leben. Sicher, es kommt nicht jeder voran. Einsamkeit, Zurückweisungen, ein fehlender Arbeitsplatz, Krankheit, Probleme mit den Behörden etc. sind belastende Faktoren, die es ihnen schwer machen, sich ihre Träume zu erfüllen. Wenn Vertriebene oder Flüchtlinge aus Kriegsgebieten kommen oder aus Gegenden, in denen die Gewalt grassiert, werden sie sich besonders schwertun. Sie haben ihre Heimat ja nicht freiwillig verlassen. Aber in der überwiegenden Zahl der Fälle ziehen die Menschen aus eigenem Entschluss fort, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Wie Ban Ki-Moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, es ausdrückt: »Migration ist ein idealer Weg, um Armut zu reduzieren und neue Möglichkeiten zu schaffen.«

Man könnte meinen, dass die großen Migrationsbewegungen von den armen Ländern in die reichen führen. Nach dem UNDP-Bericht gibt es allerdings mehr Menschen, die innerhalb eines Landes auf der Flucht sind oder umziehen (740 Millionen), als Menschen, die von einem armen Land in ein reiches ziehen (70 Millionen). Und nicht nur das, die Wanderbewegungen von einem reichen Land in ein anderes reiches Land sind mit 200 Millionen ebenfalls zahlreicher als die von einem armen in ein reiches Land. Diese Zahlen vermitteln uns eine ausgewogenere Sicht auf das Phänomen der Migration.

Tauchen wir nun ein in die faszinierende Welt der Bibel und lassen uns anrühren von den spannenden und bewegenden Geschichten, die sie zu erzählen weiß.

1 So in einem Artikel auf www.bbc.com/mundo am 9. März 2004.

2 Human Development Report 2009. Overcoming barriers: Human mobility and development (Weltentwicklungsbericht 2009. Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung). New York: UNDP, 2009: 2-5.

Die Nähe zur Familie als Auswanderungsgrund

Wenn Kinder erwachsen werden, ziehen sie oft weit weg von zu Hause. Die zurückgelassenen Familienmitglieder, insbesondere die Eltern, vermissen sie schmerzlich und können sie nicht vergessen. Manchmal wird ihre Sehnsucht so groß, dass sie sich sogar entschließen, ihnen hinterherzuziehen, um ihnen nahe zu sein. Sie haben Angst, sie könnten sie vor ihrem Tod nicht mehr wiedersehen. Und den Kindern, die weit weg wohnen, geht es genauso. Für sie kann es eine große Hilfe sein, in dem Land, in dem sie nun leben, enge Verwandte um sich zu haben.

Der Wunsch, nahe bei der Familie zu sein, hat aber noch einen anderen Aspekt: Selbst wenn sich Einwanderer in ihrer neuen Heimat gut schlagen und ihre Träume verwirklichen können, bleibt in ihnen doch häufig die Sehnsucht wach, in das Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Sie wollen nicht fern ihrer Heimat sterben, sondern dort beerdigt werden, wo auch ihre Eltern begraben sind. Genau so ging es auch Jakob, dem Stammvater des Volkes Israel.

Ein glückliches Wiedersehen nach langer Zeit
Jakob zieht zu Josef

Josef war einer der zwölf Söhne von Jakob. Als junger Mann war er von seiner Familie getrennt worden. Seine eifersüchtigen Brüder hatten ihn an Händler verkauft und Josef war in Ägypten gelandet. Sein Vater Jakob liebte ihn sehr. Aber die Brüder überzeugten ihn, dass ein wildes Tier Josef getötet habe. Als dann eine schreckliche Hungersnot in Kanaan herrschte und die Brüder nach Ägypten reisten, um dort Getreide zu kaufen, trafen sie Josef wieder. Er hatte es außerordentlich weit gebracht und war die rechte Hand des Pharaos geworden, des Königs von Ägypten. Josef war ein guter Mensch und verzieh seinen Brüdern. Diese kehrten nach Kanaan zurück und berichte­ten ihrem Vater, was sie erlebt hatten. Jakob war außer sich vor Freude, weil sein Traum, bei Josef zu sein und ihn in den Armen zu halten, plötzlich zum Greifen nah war.

In einer Vision versicherte Gott Jakob, dass es richtig sei, nach Ägypten zu ziehen. Und außerdem hatte er die Aussicht auf alle nötige Unterstützung für einen guten Neustart in Ägypten. Schließlich arbeitete sein Sohn für den Pharao! Nichtsdestotrotz bemühte er sich sehr, einige wichtige Dinge vor seiner Ankunft in Erfahrung zu bringen. Er schickte seinen Sohn Juda voraus, um seine Ankunft anzukündigen und ein Treffen zu vereinbaren.

Als Einwanderer hatte Josef in Ägypten viele Höhen und Tiefen durchgemacht, er war sogar falsch beschuldigt und ins Gefängnis geworfen worden. Aber jetzt war er rehabilitiert. Vielleicht hatte er immer schon davon geträumt, ­eines Tages seinen Vater wiederzusehen. Jetzt war die Zeit gekommen: Der Traum, seinen Vater zu umarmen, würde wahr werden.

So ging für Jakob und seine Familie alles gut aus. Doch wie bei vielen Einwanderern, so wurde auch bei Jakob der Wunsch, an der Seite seiner Vorfahren begraben zu werden, im Alter immer mächtiger. Lesen Sie die Geschichte, wie die Bibel sie erzählt. (Auszüge aus 1Mose/Genesis 45–47)

Die Brüder kamen ins Land Kanaan zu ihrem Vater Jakob und berichteten ihm: »Josef lebt! Denk doch, er ist Herr über ganz Ägypten!«

Aber ihr Vater rührte sich nicht; er glaubte ihnen nicht. Sie erzählten ausführlich, wie es ihnen ergangen war und was Josef ihnen aufgetragen hatte. Sie zeigten ihm auch die ­Wagen, die er für ihn mitgeschickt hatte.

Da endlich kam Leben in Jakob. »Kein Wort mehr!«, rief er. »Josef lebt noch! Ich muss hin und ihn sehen, ehe ich sterbe!«

Jakob machte sich auf den Weg; seinen ganzen Besitz nahm er mit. Als er nach Beerscheba kam, opferte er dort dem Gott seines Vaters Isaak Tiere von seinen Herden und hielt ein Opfermahl.

In der Nacht erschien ihm Gott und sagte: »Jakob! Jakob!«

»Ja?«, antwortete er.

Gott sagte zu ihm: »Ich bin Gott, der Gott deines Vaters. Hab keine Angst, nach Ägypten zu ziehen! Ich will deine Nachkommen dort zu einem großen Volk machen. Ich selbst werde mit dir gehen, ich werde dich auch wieder zurückbringen; und wenn du stirbst, wird dir Josef die Augen zudrücken.«

Von Beerscheba aus ging die Reise weiter. Die Söhne Jakobs setzten ihren Vater, ihre Frauen und ihre kleinen Kinder in die Wagen, die der Pharao mitgeschickt hatte. Mit ­ihren Herden und ihrem ganzen Besitz, den sie im Land Kanaan erworben hatten, kamen sie nach Ägypten, Jakob und seine ganze Familie, die Söhne und Töchter, die Enkel und Enkelinnen. Seine ganze Nachkommenschaft brachte Jakob mit sich nach Ägypten.

Jakob hatte Juda vorausgeschickt, um Josef seine Ankunft anzukündigen und ihn zu sich nach Goschen zu rufen. Josef ließ seinen Wagen anspannen und fuhr seinem Vater entgegen.

Als Jakob ihn sah, schloss er ihn in die Arme und weinte lange. »Jetzt sterbe ich gern«, sagte Jakob. »Ich habe dich wiedergesehen und weiß, dass du noch am Leben bist.«

Dann sagte Josef zu seinen Brüdern und ihren Angehörigen: »Ich gehe jetzt zum Pharao und melde ihm, dass ihr aus Kanaan zu mir gekommen seid. Ich sage ihm, dass ihr Viehhirten seid und eure Schafe, Ziegen, Rinder und euren übrigen Besitz mitgebracht habt.

Wenn der Pharao euch zu sich rufen lässt und euch nach eurem Beruf fragt, dann antwortet ihm: ›Wir sind von Jugend an Viehhirten gewesen wie unsere Vorfahren.‹ Dann wird er euch erlauben, hier in der Provinz Goschen zu bleiben.«

Die Ägypter haben nämlich einen Abscheu vor Schaf- und Ziegenhirten; sie gelten bei ihnen als unrein.

Josef ging zum Pharao und berichtete ihm: »Mein Vater und meine Brüder sind aus dem Land Kanaan hierhergekommen. Ihre Herden und ihren ganzen Besitz haben sie mitgebracht. Sie sind in der Provinz Goschen.«

 

Josef hatte fünf von seinen Brüdern mitgebracht und stellte sie dem Pharao vor.

»Was ist euer Beruf?«, fragte der Pharao, und sie antworteten: »Wir sind Schafhirten, großer König, wie es schon unsere Vorfahren waren.«

Weiter sagten sie: »Wir möchten gern eine Zeit lang als Gäste in Ägypten leben. Im Land Kanaan finden unsere Herden wegen der Dürre keine Weide mehr. Erlaube uns, mächtiger Herr, dass wir in der Provinz Goschen bleiben.«

Der Pharao sagte zu Josef: »Dein Vater und deine Brüder sind also zu dir gekommen! Ganz Ägypten steht dir zur Verfügung. Lass sie im besten Teil des Landes wohnen; sie können in Goschen bleiben. Und wenn unter ihnen tüchtige Leute sind, dann vertraue ihnen die Verantwortung für meine eigenen Herden an.«

Josef brachte auch seinen Vater Jakob zum Pharao. Jakob begrüßte den Herrscher mit einem Segenswunsch.

Der Pharao fragte ihn nach seinem Alter und Jakob erwiderte: »Hundertunddreißig Jahre lebe ich jetzt als Fremder auf dieser Erde. Mein Leben ist kurz und leidvoll im Vergleich zu dem meiner Vorfahren, die heimatlos wie ich auf dieser Erde lebten.«

Jakob verabschiedete sich vom Pharao mit einem Segenswunsch.

Wie der Pharao befohlen hatte, ließ Josef seinen Vater und seine Brüder in der Gegend von Ramses, im besten Teil des Landes, wohnen und gab ihnen dort Grundbesitz. Er sorgte auch dafür, dass seine Angehörigen Brot zugeteilt bekamen, jede Familie nach ihrer Kopfzahl.

Nun war also das Israel-Volk nach Ägypten gekommen und lebte in der Provinz Goschen. Sie waren fruchtbar, vermehrten sich und wurden sehr zahlreich.

Jakob lebte noch siebzehn Jahre in Ägypten und erreichte ein Alter von 147 Jahren. Als er sein Ende nahen fühlte, ließ er seinen Sohn Josef rufen und sagte zu ihm: »Wenn du gut zu mir sein willst, dann leg deine Hand zum Schwur zwischen meine Beine. Erweise mir Güte und Treue und begrabe mich nicht in Ägypten! Lass mich im Tod mit meinen Vorfahren vereint sein: Bring mich von hier weg und begrabe mich dort, wo sie begraben sind.«

Josef versprach ihm: »Ich werde deinen Wunsch erfüllen.«

»Schwöre es mir!«, sagte Jakob, und Josef schwor es ihm. Darauf verneigte sich Jakob anbetend auf seinem Bett.