Loe raamatut: «Der Schundfilm meines Lebens», lehekülg 3

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Auf meinem Bildschirm entsteht die erste Szene:

1 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Wohnzimmer, hell, gemütlich, mit großen Fenstern, dahinter Garten. SIBILLE, Mitte 30, hübsch, drall, blond, bügelt ein weißes Herrenoberhemd. Das Telefon klingelt. Beiläufig greift sie nach dem Hörer und flötet gut gelaunt:

SIBILLE: Sibille König, Hallo!

Sibille klemmt den Hörer zwischen Kopf und Schulter, während sie resolut weiterbügelt. Dann verändert sich ihre Miene: Erst guckt sie erstaunt, dann zeigt sich das nackte Entsetzen auf ihrem Gesicht.

Sibille vergisst das Bügeleisen und lässt es auf dem Hemd stehen. Erst dampft es nur, dann beginnt es zu qualmen.

Genau so! Und jetzt zoomt die Kamera ganz nah an das Bügelgerät heran, damit auch niemandem entgeht, was da gerade Schicksalhaftes geschieht. Ich schreibe:

NAH

Das Bügeleisen steht auf dem Hemd, vorne, in Brusthöhe, dort, wo sonst das Herz ihres Liebsten unter dem Stoff pocht!

Was für eine schaurig-kitschige Symbolik! Mann, ist das schlecht! Begeistert schreibe ich weiter.

2 AUSS. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Sibille stürzt Hals über Kopf aus der Haustür und rennt zu ihrem Fahrrad, das vor dem Haus steht.

3 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Um den Fuß des Bügeleisens herum brutzelt und schmurgelt es. Schwarzbraune Ränder zeigen, dass das Hemd definitiv nicht mehr zu retten ist ...

… und das Bügelbrett gleich auch nicht mehr, weil das als nächstes dem vergessenen heißen Eisen zum Opfer fällt. Später, wenn Sibille nach einem langen, tränenreichen Abend bei ihrer Freundin, zu der sie sich in ihrer Verzweiflung geflüchtet hat, zurückkehrt, werden von dem kleinen Häuschen am Stadtrand nur noch die Grundmauern stehen.

Na, es geht doch!

Obwohl – mir fällt ein, dass die Filmheldin eigentlich auch keine Freundin mehr haben darf. Schließlich ist sie richtig am Ar… ähm … sie steckt sozusagen kopfüber in der Sch…üssel und hat nichts und niemanden mehr, bei dem sie sich ausheulen kann. Nicht einmal ihren Hamster, denn den hat sie beim Bügeleisen zurückgelassen!

Ich streiche das mit dem Hamster. Das gibt nur wieder Ärger mit Tierschützern. Aber das Problem bleibt: Wie kriege ich es hin, dass Sibille nicht einmal mehr eine Freundin hat? Hm. Streiten die beiden? Aber wer streitet schon mit einer Frau, deren Mann gerade bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen ist?

Dazu fällt mir nichts ein. Frustriert lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Es ist wohl doch nicht so einfach, wie ich anfangs dachte. Einerseits brauche ich eine komplett überzogene Story, in der wirklich das ganze Leben der Heldin restlos in Bergen aus Schutt und Asche versinkt, andererseits sagte der Producer, dass die Geschichte wie aus dem Leben gegriffen sein soll – so, als könne das Ganze jedem jederzeit passieren. Wie soll das gehen?

Eine beängstigende Leere scheint sich erneut in meinem Kopf ausbreiten zu wollen und ich frage mich, wie es mir gelingen soll, mich in eine völlig unrealistisch katastrophale Situation hineinzudenken, wenn ich so etwas nicht kenne, weil in meinem Leben alles gut ist: Ich habe einen Partner, eine Wohnung, bin gesund und habe Freundinnen. Bei mir ist alles in bester Ordnung!

Jaja, gut, okay, es könnte besser laufen. Ein Drehbucherfolg, der mein Dasein durch Einkünfte bereichert, wäre schön, um nicht zu sagen notwendig. Doch ansonsten ist alles bestens! Fast würde ich sagen unspektakulär. Beinahe langweilig. In meinem Leben gibt’s keine Dramen, und eigentlich finde ich das auch ganz gut so! Als Vorlage für einen kitschigen Liebesfilm, wo die Heldin alles, außer den Hamster, weil sie keinen hat, verliert, ist es jedoch nicht zu gebrauchen. Doch wie kann dann eine ganz alltägliche Katastrophe aussehen, wenn zumindest bei mir Katastrophen nun einmal nicht alltäglich sind?

Stöhnend lasse ich meinen Kopf in die Hände fallen. So wird das nix! Ich muss anders an die Sache herangehen, und zwar muss ich mich fragen …

Genau! Ich muss mich fragen, was in meinem Leben passieren müsste, damit es zu einem katastrophalen Chaos wird. Jetzt. Hier. Von diesem Stuhl, dieser Wohnung, diesem Moment aus. Wie würde mein Leben in einem Film aussehen, wenn es hier und jetzt explodierte?

Ich schlucke. Was für eine Vorstellung! Doch es hilft nichts, da muss ich durch. Außerdem passiert es ja nicht wirklich. Ich muss es mir nur vorstellen!

Hm. Zunächst einmal würde ich vermutlich meinen Mann – beziehungsweise meinen Lebensgefährten, denn wir sind nicht verheiratet – verlieren.

Schmerzhaft verziehe ich das Gesicht. So etwas mag ich mir nicht einmal vorstellen! Sterben dürfte er auf gar keinen Fall. Aber was dann? Bliebe nur, dass er mich betrügt. Ich grinse in mich hinein, denn mein Konstantin hat nicht das geringste von einem Fremdgeher! Auch wenn er sehr attraktiv ist, groß und schlank, mit einem furchtbar sympathischen Lächeln, strahlend blauen Augen ... ich lächele glücklich vor mich hin ... so zeigt er trotzdem nicht die geringsten Ambitionen, das auszunutzen. An ihm ist so gar nichts Verwegenes, in seinem Blick ist nichts Verschlagenes und sein Verhalten ist kein bisschen geheimnisvoll. Kann so ein Mann eine Frau hintergehen? Niemals! Und außerdem glaube ich nicht, dass ein Mann, der es verdient, dass man ihn liebt, überhaupt in der Lage ist, eine so großartige Frau wie meine Filmheldin zu betrügen!

Doch leider zählen solche Spitzfindigkeiten nicht. Wenn der Mann der Hauptperson nicht sterben soll, dann muss er sie betrügen und verlassen. Punkt.

Erst zögernd, dann immer zuversichtlicher, entwickele ich die Handlung auf meinem Bildschirm: Sibilles Mann Karsten – Karsten König hört sich super an für eine TV-Romanze! – fängt ein Verhältnis an, wovon sie, Sibille, die alle nur liebevoll „Billie“ rufen, nichts ahnt. Dabei stellt er sich noch nicht einmal sehr geschickt an, um seine aushäusige Liebschaft zu verheimlichen. Die Zuschauerinnen werden ihm sofort auf die Schliche kommen! Sein abwesender Blick, wenn Sibille sich an ihn schmiegt, das verräterische Zusammenzucken, wenn sein Smartphone klingelt, und dann vergisst er auch noch, dass sie zu ihrem Jahrestag ins Theater gehen wollten. Viel zu spät kommt er heim, während sie vor dem Spiegel schon die Ohrringe anlegt, als letzten Handgriff, bevor sie startklar ist. Nölend fragt er, ob dieses Event, auf das sie sich so sehr gefreut hat, denn wirklich sein muss. Und während vor dem Bildschirm bei Prosecco und Schokolade die Stirn gerunzelt wird und jeder halbwegs versierten Zuschauerin klar ist, was die Uhr geschlagen hat, ist Sibille, die dusselige Kuh, beziehungsweise die naive Ehefrau, voll des Verständnisses für ihren hart arbeitenden Gatten und ahnt nichts. Dafür ist sie viel zu gutmütig, glaubt zu fest an die Liebe ihres Lebens und kann sich einen solchen Verrat von dem Mann, der ihr die ewige Treue geschworen hat, nicht vorstellen!

Während ich den treulosen Ehemann und seine treudoofe Gattin an meinem Rechner skizziere, schmunzele ich vor mich hin. So ein Blödsinn! Wie soll eine Frau so naiv sein, dass sie nicht merkt, wenn der eigene Mann sich umorientiert? Meinetwegen – in einem sinnentleerten Schundfilm ist das wohl möglich. Aber im wahren Leben würde jede Frau, die nicht ganz doof ist, ihrem Gatten schnell auf die Schliche kommen. Alleine schon deshalb, weil Frauen viel sensibler sind für Veränderungen im Verhalten oder im Tonfall ihres Liebsten, und erst recht für einen verräterischen Duft am oder einen Fleck auf dem Hemd! Außerdem sind sie misstrauischer, weil sie selbst auch viel gerissener sind, als Männer es mit ihrer fantasielosen Art sein können. Und da sich so eine Affäre nur selten in fünf Minuten zwischen Tür und Angel oder in der Besenkammer abspielt, braucht man Zeit und hinterlässt Spuren. Beides ist verräterisch und bringt die Sache unweigerlich ans Licht!

Missbilligend schüttele ich den Kopf. Doch trotz meiner Zweifel an der Logik der Geschichte muss ich Sibille so anlegen, dass sie selbst bei den gröbsten Schnitzern ihres Gatten zunächst nichts von seinen Umtrieben bemerkt. Nur die Zuschauerinnen werden ahnen, was da außerhalb des ehelichen Schlafgemachs vor sich geht!

Nach und nach baut sich die Handlung um die Heldin und ihren ehebrecherischen Gatten in meiner Vorstellung auf. Ich sehe die beiden vor mir, in ihrem schicken kleinen Häuschen in einer beschaulichen, von Bäumen flankierten und mit Kopfstein gepflasterten Straße. Das perfekte Paar in einer perfekten Umgebung. Sympathisch und bei Nachbarn und Kollegen gleichermaßen gut gelitten – jedenfalls sie.

Dann stelle ich mir Sibille vor, die nette, hübsche, beliebte kleine Blondine, wie sie wie jeden Tag das Haus verlässt, tief Luft holt um die morgendliche Frische zu genießen, bevor sie mit einem fröhlichen Gruß an den Rentner von nebenan, der gerade seine Rosen schneidet, aufs Fahrrad steigt und zur Arbeit fährt.

Fahrradfahren ist gut! Es zeigt Sibille umweltbewusst, naturverbunden und außerdem herrlich bescheiden.

Ihr Karsten ist da natürlich ganz anders! Gestresst und mit Blick auf seine teure Armbanduhr eilt er aus dem Haus, verschwendet keinen Blick an seine Umgebung und schon gar nicht an den alten Nachbarn von nebenan, der die Hand zum Gruß hebt und sogleich enttäuscht wieder sinken lässt, weil er realisiert, dass Karsten nur Augen für die Fernbedienung seiner Garage hat, in der sein Sportwagen auf ihn wartet. Nachlässig wirft der Ignorant seinen Mantel und die Aktentasche auf den Beifahrersitz und setzt mit so viel Schwung rückwärts aus der Garage, dass er fast eine junge Mutter mit Kinderwagen rammt, die gerade an seiner Einfahrt vorbeigeht. Die junge Frau und der Rentner schütteln nur den Kopf über so viel Rücksichtslosigkeit, während Karsten – ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, wie er nun einmal ist – nichts von all dem bemerkt. Mit aufheulendem Motor düst er die eben noch beschaulich friedliche Straße hinunter, die auch gleich darauf wieder in ihren Dornröschenschlaf versinkt.

Es leben die Stereotype! Hier reicht bereits eine kurze Szene, um alles über ein Paar zu wissen, weil es glücklicherweise schon tausende von Filmen mit arroganten Anzugträgern wie ihm und unschuldigen jungen Frauen wie ihr gibt. Eigentlich ist nun alles gesagt und den Rest kann man sich denken. Aber es gilt ja noch die verbleibenden achtundachtzig Minuten zu füllen, und das am besten so, dass die Geschichte, die jetzt sowieso schon jeder im Kopf hat, ohne nennenswerte Irritationen bis zum glücklichen Ende ablaufen kann.

Ich grinse in mich hinein. Man stelle sich einmal vor, dass tatsächlich die nächsten sechsundachtzig Minuten wie allseits erwartet ablaufen und erst ganz zum Schluss Sibille plötzlich die Kettensäge anwirft, um ihrem Gatten ihre Argumente zu verdeutlichen, oder Godzilla einen Gastauftritt hat. Für mich wäre das ein Grund, wieder mehr fernzusehen! Doch leider ist das undenkbar und deshalb wende ich mich seufzend dem klassischen Handlungsschema zu.

Die nächste Einstellung zeigt Sibille, als sie ihr Rad vor einem großen, gläsernen Bau in der Innenstadt abschließt. Hier arbeitet sie, und der Einfachheit halber wird sie sich auch hier verlieben, nämlich in ihren Chef. Und der ist ... Au ja, der ist der Chef der PR-Abteilung! Das ist gut! Da kann ich aus dem Vollen schöpfen – schließlich habe ich selbst jahrelang in so einer Krabbelgruppe für Verhaltensgestörte gearbeitet. Eine sich langsam am Arbeitsplatz entwickelnde Romanze dürfte für mich nicht schwer zu konstruieren sein!

Ich erinnere mich an die Ausführungen von Herrn Hansen und lasse Sibilles Vorgesetzten erst einmal recht unsympathisch und kaltschnäuzig daherkommen, weil sich das schickt für den männlichen Helden. Am Ende wird sich das natürlich als Missverständnis herausstellen, wenn er zum wahren Gentleman und liebestollen Romantiker wird, der alles für die Frau seines Herzens tun und sie auf Händen tragen wird. Wahre Helden machen das sogar dann, wenn die unwiderstehliche Heldin ein paar Kilo zu viel auf den Hüften hat!

Ich bin begeistert von meinen Ideen. So passt es!

Mit großem Engagement haue ich in die Tasten und der Bildschirm füllt sich mit Buchstaben. Ich schaue erst wieder auf, als ich einen Schlüssel im Schloss der Wohnungstür höre. Schockiert stelle ich fest, wie leicht es mir plötzlich gefallen ist, mich in das Geschehen hineinzudenken. Widerwillig muss ich zugeben, dass es mir sogar Spaß gemacht hat, diese völlig abgehobene Geschichte, die jedoch realitätsnah wie aus dem wahren Leben gestohlen daher kommen muss, aufzuschreiben.

Ich schaue auf die Uhr rechts unten am Bildschirmrand. Was, schon so spät? Es ist bereits nach zehn. Mist! Eigentlich wollte ich etwas zu Essen vorbereitet haben, wenn Konstantin nach Hause kommt. In letzter Zeit verwöhne ich ihn gerne mit Aufmerksamkeiten, weil er so viel arbeiten muss und am Ende eines langen Tages kaum noch in der Lage ist, auch nur ein einziges Wort von sich zu geben.

Schnell speichere ich meine Ideen ab und fahre den Rechner herunter. Dann laufe ich in den Flur, um den Helden meines eigenen Lebens zu begrüßen. Dankbar dafür, dass er weder Sibilles Mann noch ihrem Chef ähnelt, falle ich ihm um den Hals.

Kapitel 2

Ein paar Tage später habe ich die Welt von Sibille König fertig konzipiert mit Wohnung, Arbeitsplatz, Freunden, Nachbarn, der rührigen Besitzerin eines altmodischen Einkaufsladens an der Ecke und was sonst zu einer handelsüblichen Idylle dazugehört. Ich habe auch schon die ersten Szenen geschrieben, in denen die gute Billie noch in ihrer heilen Welt lebt und nichts ahnt von dem Unwetter, das sich über ihr zusammenbraut.

Für das Unheil gibt es jedoch bereits erste Anzeichen, die die Katastrophe erbarmungslos ankündigen und dem geneigten Publikum nicht entgehen werden. So arbeite ich mit Feuereifer daran, Karstens verräterisch lange Arbeitszeiten sowie sein plötzliches Interesse an Freizeitaktivitäten, die ihn immer öfter vom trauten Heim wegführen, auffällig unauffällig ins Drehbuch einzuflechten. Es macht mir riesigen Spaß, ihm plumpe Ausreden in den Mund zu legen für seine häufigen abendlichen Abwesenheiten und dass er immer weniger Zeit findet für gemeinsame Unternehmungen mit seiner Frau. Dabei ist es wirklich eine Herausforderung, für den Zuschauer offensichtlich zu machen, was Sibille keine klitzekleine Sorgenfalte auf die immer glatte Stirn zaubert! Das verdächtige Verhalten ihres Mannes beunruhigt sie keineswegs – jedenfalls nicht in Bezug auf ihre Beziehung. Sie sorgt sich nur um ihren Liebling, weil sie befürchtet, dass er sich wegen der schier endlosen beruflichen Verpflichtungen überarbeitet.

Darüber hinaus ist sie vollauf damit beschäftigt, sich über ihren Job und ganz besonders ihren Chef aufzuregen. Als Assistentin des permanent um die Welt jettenden PR-Managers eines international tätigen Konzerns hat sie alle Hände voll zu tun, seine Reisen, seine Termine und ganz besonders seine Affären mit diversen Fotomodellen zu koordinieren, die ihn wie Fliegen umschwärmen und ständig ausgetauscht werden, kaum dass Billie sich an ihren Namen gewöhnt hat.

14 INN. BÜRO – VORMITTAG

Sibille sitzt an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer ihres Chefs und tippt auf ihrer Tastatur. Ihr CHEF, 40, aalglatter Typ, lässig, schick und teuer gekleidet, rauscht herein.

SIBILLE (sieht kurz auf, lächelt): Guten Morgen, Chef. Hatten Sie ein schönes Wochenende?

CHEF (grinst): Das kann man so sagen! Ähm ... Blumen für die Dame wären schön.

SIBILLE (tippt bereits weiter): Geht klar, Chef!

Der Chef verschwindet in seinem Büro. Kurz danach öffnet er die Tür erneut.

CHEF: Ähm ... der Strauß geht übrigens an Betty und nicht an Lara. Habe ich Ihnen die Kontaktdaten schon gegeben?

Sibille nickt kurz.

CHEF: Bestens, bestens.

Verschwindet wieder in seinem Büro und schließt die Tür.

SIBILLE (murmelt): Danke, Herr im Himmel, dass mir so ein Schicksal erspart bleibt!

Ihr Blick fällt auf eine gerahmte Fotografie von Karsten auf ihrem Schreibtisch. Ein dankbares Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dann wird ihre Miene sorgenvoll.

SIBILLE (seufzt): Wenn du nur nicht immer so viel arbeiten müsstest. Hoffentlich kommen bald wieder bessere Zeiten – für uns!

Während ich diese schmalztriefende Liebeserklärung Sibilles an ihren Gatten in die Tastatur hämmere, kann ich nicht anders, als genervt von diesem Schwachsinn den Kopf zu schütteln. Was muss man Menschen antun, damit sie sich so etwas freiwillig ansehen? Wie verwirrt müssen sie sein – oder wie käuflich? Ich hege ernsthafte Zweifel daran, dass die von der Gesellschaft für Konsumforschung GfK ausgewählte Zuschauerstichprobe, mit deren Hilfe die Einschaltquoten erhoben werden, wirklich so repräsentativ und manipulationsresistent ist, wie immer behauptet wird. Genauer gesagt: Ich halte es derzeit für undenkbar!

Doch all das ändert nichts an meinem Auftrag und der heißt nun einmal Volksverblödung. Ich überlege wieder einmal, ob ich das mit meinem Gewissen als rechtschaffene Drehbuchautorin vereinbaren kann, und stelle fest, dass auch dieses käuflich ist. Also mache ich weiter und arbeite an der Charakterstudie zu Sibilles Chef, der in den nächsten ein, zwei Szenen sehr von sich überzeugt, arrogant und unsensibel im Umgang mit ihr und ihren Kollegen sowie gewissenlos bezüglich der nicht enden wollenden Abfolge von Liebesaffären daherkommt. Erst viel später wird sich herausstellen, dass all das nur die nach außen gezeigte harte Schale war, hinter der er sein sensibles wahres Ich versteckte … was für ein jämmerlicher Schmachtfetzen ist das bloß, den ich da verfasse!

Mit widerstrebender Faszination überfliege ich die Seiten, die ich heute geschrieben habe, und merze ein paar Tippfehler und unschöne Formulierungen aus. Dabei versuche ich meinen Verstand davon zu überzeugen, dass es eine spannende intellektuelle Herausforderung ist, den größtmöglichen Blödsinn zum denkbar hirnlosesten Drehbuch zu verwursten. Ich vermute, dass viele Vorabendserien-Söldner und auch die Erfinder der Tele-Tubbies das Gleiche tun, um sich ihre Tätigkeit schönzureden und nicht daran zu verzweifeln.

Anschließend fahre ich schweren Herzens den Rechner herunter. Gerade war ich so schön in Fahrt! Gerne hätte ich noch weiter an Karstens schlecht getarnter Untreue und an Billies Blindheit gefeilt, doch ich erwarte heute Abend Besuch. Deshalb muss ich meine Kreativität nun statt an der Tastatur an Herd und Backofen austoben mit dem Unterschied, dass dabei hoffentlich etwas Genießbares herauskommt.

Meine Freundin Maren wird in einer Stunde vor der Tür stehen. Vor ein paar Tagen haben wir uns zu einem entspannten Abend bei mir verabredet: Lecker essen, ein bisschen klönen – nichts Aufregendes. Leider ist das mit Maren so eine Sache: Zwar ist sie eine langjährige Freundin von mir und irgendwie mag ich sie auch. Sie kann jedoch zuweilen recht anstrengend sein und dann fordert sie meine volle Konzentration. Das macht Treffen mit ihr zu einem zwiespältigen Vergnügen. Doch wie dem auch sei, es ist jetzt nicht mehr zu ändern, und deshalb muss ich mich ein wenig sputen. Ich überzeuge mich noch schnell davon, dass wir uns meistens doch irgendwie ganz nett unterhalten und versuche, mich auf den Abend zu freuen. So schlimm kann es ja nicht werden!

*

Eine Stunde später klingelt es genau zur verabredeten Zeit, als ich den Nudelauflauf aus dem Ofen hole. Eilig stelle ich die heiße Auflaufform auf einen Untersetzer und laufe zur Wohnungstür. Als ich sie schwungvoll öffne, wirft Maren sich sogleich mit ausgestreckten Armen in Pose.

„Tada! Wie findest du es?“

Sie dreht sich mit lässig über die Schulter geworfener Jacke auf unserem Abtreter im Kreis, als wäre es ein roter Teppich. Auf diese Weise trägt sie einen knielangen, weiten Faltenrock mit großen gelben und blauen Blumen zur Schau. Dazu hat sie eine tiefblaue Bluse gewählt, die es leider nicht mehr in ihrer Größe gab. Da sie eine Winzigkeit zu knapp sitzt, betont das gute Stück etwas unvorteilhaft Marens Fett-Reserven über dem Rockbund und unter dem BH. Als zweifelhaften Ausgleich verfügt die Bluse jedoch über einen riesigen Ausschnitt, der ihr nicht ganz makelloses Dekolleté reich berüscht in Szene setzt. Weiße Schühchen, die früher in den Achtzigern noch Ballerinas hießen, komplettieren das gewagte Outfit. Ach nein, fast hätte ich den Haarreifen mit der großen gelb-weißen Stoffblume übersehen! Der gehört vermutlich dazu und ist nicht versehentlich auf Marens Kopf gelandet, was die Sache jedoch nicht besser macht.

Meine Freundin trägt oft interessante Kleider, aber wo, um Himmels willen, hat sie nur diese Kollektion aufgetrieben? Kein Laden, den ich jemals betreten habe, führt so etwas – da bin ich mir sicher!

Meine Freundin strahlt mich unterdessen siegesgewiss an. Und ich finde ... ja ich finde wirklich, dass man es würdigen soll, wenn sich jemand Mühe mit seiner Erscheinung gibt. Immerhin hat sie dafür bestimmt sehr viel mehr Zeit investiert als ich, die ich einfach nur eine Jeans und einen Pullover aus dem Schrank gezogen habe. Außerdem ist sie sichtlich stolz auf ihr Aussehen – anders lässt sich ihre Pose kaum deuten – und über Geschmack lässt sich nicht streiten, oder?

Also bemühe ich mich, so gut es eben geht, mein Begrüßungslächeln auch auf Marens Outfit auszudehnen und überlege fieberhaft, was ich Nettes dazu sagen kann, ohne sie direkt anzulügen. Bei aller Toleranz, die man dem Geschmack anderer schuldet – lügen ist dann auch wieder nicht okay, finde ich.

„Wow! Was für Farben!“, stoße ich hervor. „So frisch! Mal was anderes!“ Und um meine Neugier zu befriedigen füge ich hinzu: „Woher bekommt man so etwas? Das ist ja ganz … außergewöhnlich!“

„Meine Tante hat das Zeug bei einem Versandhaus bestellt und dann festgestellt, dass es für sie doch etwas zu gewagt ist. Deshalb hat sie mich gefragt, ob ich es ihr abkaufen will. Totschick, nicht wahr?“

Ich nicke unbestimmt und lächle. Dabei überlege ich, ob ich mir vorstellen kann, die gleichen Kleider anzuziehen wie meine Tante. Da ich jedoch keine Tante habe, kann ich mir das auch nicht vorstellen. Stattdessen sage ich „Klar!“, während ich den Eingang freigebe, um Maren mit stolzgeschwellter Brust an mir vorbeischweben zu lassen. „Komm doch ´rein“, rufe ich ihr hinterher, aber sie ist schon an mir vorbeigeschossen, um sich im großen Spiegel neben der Garderobe zu bewundern. Als sie damit fertig ist, wirft sie mir einen abschätzenden Blick zu.

„Du könntest auch etwas mehr aus dir machen“, meint sie nach einer kritischen Begutachtung meines Äußeren. „Du läufst `rum wie ein Mauerblümchen. Es gibt doch sooo viele schöne Sachen heutzutage!“

„Oh, danke, ich werde darüber nachdenken“, antworte ich und beginne, mich auf den Abend zu freuen. Das kann ja heiter werden! Wenn Marens Selbstbewusstsein in dieser Hochstimmung ist, dann ist ihre Gesellschaft nicht leicht zu ertragen.

Maren und ich kennen uns schon eine halbe Ewigkeit. Obwohl wir beide sehr verschieden sind, haben wir uns in den vielen Jahren unserer Bekanntschaft nie aus den Augen verloren. So viel haben wir gemeinsam erlebt und durchgestanden: Trennungen vom Freund, Probleme bei der Arbeit, Stress mit den Eltern – immer fanden wir bei der jeweils anderen ein offenes Ohr, um unser Leid zu klagen. Auch über gute Nachrichten konnten wir uns gemeinsam freuen: Wenn eine von uns ein Date hatte, dann war die andere fast ebenso aufgeregt und starb fast vor Neugier, bis auch das letzte Detail einer Verabredung ausdiskutiert war. Und wenn sich tatsächlich einmal ein beruflicher Erfolg einstellte, dann konnten wir auch das gemeinsam feiern – von Neid und Missgunst gab es keine Spur. So eine gemeinsame Vergangenheit verbindet – daran können auch modische Differenzen nichts ändern!

Allerdings hat sich etwas verändert in den letzten Jahren, auch wenn ich nicht weiß, was es ist. Bin ich es? Ist sie es? Oder sind einfach die Umstände andere als früher? Immer häufiger meine ich kleine, gegen mich gerichtete Spitzen in ihren Äußerungen zu hören, die ich anfangs für bloße Versehen hielt. Eigentlich halte ich sie immer noch dafür und schiebe sie darauf, dass Maren ein Einzelkind und damit nach landläufiger Meinung nur unzureichend sozialisiert ist. Doch die leichtfertig hingeworfenen Sticheleien beginnen mich zu nerven und lassen mich – ganz im Gegensatz zu früher – genauer prüfen, was ich sage und was ich lieber für mich behalte.

Gleichzeitig fällt es mir immer schwerer, Marens Meinung von sich selbst zu teilen, die mich oft in Erstaunen versetzt. Häufig schüttele ich heimlich den Kopf, wenn sie mir ihr Selbstbild präsentiert, das so gar nicht zu dem Bild passt, was ich von ihr habe. Dann wiederum wage ich den Gedanken, ob man mit der Gewissheit über die eigene Unfehlbarkeit nicht viel besser durchs Leben kommt und ob ich mir daran ein Beispiel nehmen könnte. Wozu sich mit der Realität befassen, wenn Selbstbescheißung viel besser für die Stimmung ist? Wirklich deprimiert habe ich Maren jedenfalls noch nicht erlebt – im Gegensatz zu mir.

Sei‘s drum: Eine Freundschaft, die schon einige Jobs und sogar Partner kommen und gehen gesehen hat, die hält etwas aus und die hält man in Ehren, auch wenn‘s manchmal schwer fällt. Vermutlich habe ich mir über die Jahre auch schon die eine oder andere Schrulle zugelegt – zum Beispiel, mich mit gut sitzenden Jeans und einem sauberen Pulli zuhause angemessen gekleidet zu fühlen!

Ich bugsiere Maren in die Küche, wo der große, schwere Holzküchentisch anlässlich ihres Besuchs bereits mit bunten Servietten und zwei Kerzen gedeckt ist. Für Konstantin und mich betreibe ich diesen Aufwand selten, da wir unser spätes Nachtmahl sowieso meistens im Wohnzimmer vor dem Fernseher herunterschlingen.

Ich gieße Rotwein in zwei große, schlichte Weingläser und reiche Maren eines davon. Fest entschlossen, den Abend trotz nicht ganz idealer Vorzeichen zu genießen, stoße ich mit ihr an. Dann wende ich mich den letzten Vorbereitungen für das gemeinsame Essen zu und Maren erzählt mir unterdessen von den neuesten Untaten ihrer Chefin, die unserer Meinung nach schon lange und zwar dringend therapeutische Hilfe benötigt, diese Meinung jedoch nicht mit uns teilt. Für uns ist die Frau immer wieder ein willkommener Gegenstand ausgiebiger Diskussionen, was vermutlich daran liegt, dass wir uns bei diesem Thema so herrlich einig sein können.

Als ich gerade den Salat zum Auflauf in die Schüsseln fülle, erscheint auch mein Liebster in der Küche. Maren, die sich bereits an den Tisch gesetzt hat, springt auf und tänzelt auf ihn zu, um ihn zur Begrüßung zu umarmen. Dann dreht sie sich vor ihm im Kreis und wirft ihm einen auffordernden Augenaufschlag zu.

Für einen Moment befürchte ich, dass mein Schatz von der Situation überfordert ist und gar nicht weiß, was das zu bedeuten hat. Manchmal ist er recht unempfindlich in Bezug auf die Bedürfnisse anderer, wenn diese sie nicht ausdrücklich formulieren. Ich weiß, wovon ich rede! Lange habe ich gebraucht, um zu lernen, klare Botschaften zu senden und mich dabei nicht schrecklich unhöflich zu fühlen. Doch ausnahmsweise scheint mein Täubchen in diesem Moment ganz genau zu wissen, was von ihm erwartet wird.

„Was für ein Glanz in unserer armseligen Hütte“, sagt er mit übertriebener Geste, nachdem er Marens Aufmachung zur Kenntnis genommen hat. Maren kichert wie ein Schulmädchen, und ich freue mich darüber, dass alle gut gelaunt sind und Konstantin für seine Verhältnisse geradezu tiefenentspannt wirkt. Wenigstens scheint heute von seiner Seite aus kein Stimmungstief zu drohen, denke ich, und sehe dem Abendessen zuversichtlich entgegen.

„Was gibt es?“, fragt mein Engel, als ich den Auflauf auf den Tisch stelle.

„Nudelauflauf“, antworte ich – überflüssigerweise. Denn ich weiß wirklich nicht, wonach das, was da in der feuerfesten Glasform vor sich hinschmurgelt, sonst aussehen soll.

Konstantin verzieht das Gesicht.

„Ich könnte auch mal wieder ein Stück Fleisch vertragen“, nörgelt er.

Erstaunt blicke ich ihn an. Meint er das im Ernst? Es ist doch sonst nicht seine Art, mein Essen zu kritisieren! Außerdem muss er es doch nur sagen, wenn er etwas anderes haben möchte – vorzugsweise bevor ich gekocht habe!

„Sieht nach einer ziemlich üppigen Kalorienbombe aus“, seufzt er dann und schaut kritisch auf den knusprigen goldgelben Käse, der sich über Bandnudeln, Blattspinat und Champignons in einer mit einem Hauch Sahne verfeinerten Tomatensoße ergießt.

Das mit meiner Zuversicht bezüglich eines entspannten Essens hat sich erledigt. Einmal mehr wundere ich mich darüber, woher ich immer wieder meinen grundlosen Optimismus nehme!

„Ich wusste nicht, dass du seit neuestem Kalorien zählst“, gebe ich leicht angefressen zurück.

Was ist das denn? Konstantin hat sich noch nie über zu viele Kalorien aufgeregt und schon gar nicht über angeblich zu viel Käse. Gerade für ihn konnten die Aufläufe bislang nie dick genug überbacken sein! Außerdem haben wir Besuch und so finde ich seine Kritik mir gegenüber unpassend. Das hätte er sich auch für später aufheben können! Aber gut, ich beiße die Zähne zusammen. Schließlich soll auch er klare Botschaften senden dürfen und sich nicht schlecht dabei fühlen müssen!

„Wer möchte ein Stück?“, frage ich in die Runde, als sei nichts gewesen.

„Oh bitte – für mich nur ein ganz kleines“, antwortet Maren und blickt verständnisvoll zu Konstantin hinüber. „Ich esse abends nicht so fett.“

Das war mir bislang entgangen. Außerdem sieht sie eigentlich nicht danach aus, denke ich und werfe einen Blick auf ihre Pölsterchen, die sich im Sitzen noch mehr über ihren Rockbund ergießen als im Stehen.

Böse Hanna! Ich rufe mich zur Ordnung. Jetzt reicht es aber! Wegen ein bisschen Gemecker und etwas wenig Würdigung meiner Bemühungen ums Essen werde ich doch jetzt keine schlechte Stimmung aufkommen lassen! „Ich bin ein Fels der Ruhe und der Gelassenheit“, pflegte meine Mutter immer zu sagen, wenn sie mich, meinen Vater oder irgendjemanden sonst am liebsten in der Spüle ertränkt hätte, und ich habe mir ihren Umgang mit emotionalem Stress zum Vorbild genommen. Also erinnere ich mich nun daran, ein Fels zu sein, und nur ein Fels und nichts als ein Fels und schlucke meinen Ärger herunter. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig.