Loe raamatut: «Der Schundfilm meines Lebens», lehekülg 4

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„Und du?“, wende ich mich an meinen Lebensgefährten und bemühe mich, nicht spöttisch die Augenbrauen hochzuziehen.

„Ein bisschen vielleicht“, sagt er gönnerhaft, während er mir seinen Teller hinhält. Als ich ihm dann eine Portion von der gleichen Größe wie der von Maren auf den Teller packe, rollt er mit den Augen.

„Verhungern will ich auch nicht!“, pflaumt er mich an. „Nun sei doch nicht so empfindlich! Man darf doch nochmal seine Meinung sagen, oder?“

„Natürlich darfst du das“, gebe ich mit betont sanfter Stimme zurück und bemühe mich um ein Lächeln. „Sei ein Fels, Hanna, ein Fels!“, beschwört mich meine innere Stimme. Jetzt bloß keinen Streit aufkommen lassen!

Maren kichert.

„Männer vertragen einfach mehr als Frauen. Das liegt an den vielen Muskeln. Die verbrauchen mehr Energie – sogar im Ruhezustand“, fachsimpelt sie, und fast bin ich ihr dankbar dafür, dass sie die Stimmung auflockert und Konstantin bei Laune hält. Ich bin dazu gerade nicht in der Lage.

„Du scheinst abgenommen zu haben“, plaudert sie weiter und schaut prüfend auf Konstantins Oberkörper. „Trainierst du?“, fragt sie dann mit einem Blick auf seine Oberarme, die in seinem engen weißen T-Shirt besonders gut zur Geltung kommen.

Was wird das denn jetzt?

Erstaunt blicke ich von Maren zu Konstantin. Hat er wirklich abgenommen? Ich schaue in das Gesicht meines Freundes, das jetzt geschmeichelt und ein bisschen verlegen lächelt. Sicher – er sieht zurzeit recht hager aus, aber das habe ich auf seine viele Arbeit und den Stress geschoben. Seinen Bauch kann ich gerade nicht beurteilen, weil er unter der Tischplatte verborgen ist. Kann es sein, dass mir diese Veränderungen an ihm entgangen sind?

„Ich achte auf mich“, antwortet Konstantin an Maren gewandt. „Männer in einem bestimmten Alter müssen etwas tun, um nicht aus der Form zu gehen.“

Dabei setzt er sich aufrecht hin, sodass seine breiten Schultern gut zur Geltung kommen, und grinst Maren an. Verschämt dreht sie den Kopf zur Seite und kichert.

Ich konzentriere mich auf den Auflauf auf meinem Teller. Hoffentlich reichen meine Fähigkeiten zur Anwendung der Fels-Selbsthypnose für den heutigen Abend aus! Ich finde die ganze Szenerie gerade äußerst befremdlich. Noch dazu ist es mir peinlich, dass Maren etwas bemerkt, was mir hätte auffallen müssen! Liegt es vielleicht daran, dass ich meinen Partner jeden Tag sehe und deshalb langsame Veränderungsprozesse nicht wahrnehme, wie zum Beispiel den Verlust einiger Pfunde bei gleichzeitigem Bizepswachstum?

Ich beschließe, meinen Lebensgefährten zukünftig wieder aufmerksamer anzusehen. Schließlich liebe ich ihn! Da sollten mir solche Veränderungen nicht entgehen. Er ist mir das Wichtigste, trotz seines heutigen, gewöhnungsbedürftigen Auftritts! Es könnte schließlich auch sein, dass eine Krankheit hinter seinen körperlichen Veränderungen steckt? Das würde auch sein launenhaftes Verhalten erklären, wenn er sich nicht wohlfühlte.

Sofort gewinnt die Sorge um meinen Schatz die Oberhand und ich habe ihm sein schlechtes Benehmen schon fast verziehen. Als er mir dann ein weiteres Mal den Teller hinhält, um ein Stück Auflauf einzufordern, sowieso. Wenn er mein Essen isst, dann ist doch alles in Ordnung, denke ich. Zusammen mit dem Auflauf schenke ich ihm ein strahlendes Lächeln, was Konstantin mit einem kurzen Zwinkern quittiert.

Erleichtert darüber, dass meine Welt nun wieder in Ordnung ist, fange ich an, über mein Drehbuch zu sprechen. Mittlerweile kann ich mich schon darüber amüsieren, dass ich – ausgerechnet ich! – mich dazu hinreißen lasse, das Skript für eine nullachtfünfzehn-Liebesromanze zu verfassen, wenn auch nur unter Zwang! Manche Dinge muss man mit Humor nehmen, wenn man nicht daran verzweifeln will. Also erkläre ich Maren und Konstantin, was der Creative Producer mir bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung geraten hat und wie ich dementsprechend die Charaktere angelegt habe. Als ich von Sibilles Chef berichte und davon, dass ich mich arg zusammennehmen muss, ihn bei all der schnöden Oberflächlichkeit und zur Schau gestellten Arroganz nicht zu unsympathisch erscheinen zu lassen, weil ich zum Schluss noch halbwegs überzeugend die Kurve vom Anti-Helden zum Frauenschwarm hinkriegen muss, bin ich bester Stimmung. Konstantin ergänzt meine Ausführungen um ein paar herrlich trockene Vorschläge zu typischen Chef-Eigenschaften und Maren lacht sehr über seine Ideen. Doch dann wendet sie sich mit ernster Miene an mich.

„Jetzt mal im Ernst, Hanna: Wie lange willst du eigentlich noch diesem Traum vom Filmemachen hinterherjagen? Wird es nicht Zeit, dass du dir wieder einen richtigen Job suchst? Es sieht ja nicht so aus, als würdest du bald von deiner Drehbuchschreiberei leben können.“

Ein sorgenvoller Blick liegt in ihren Augen.

„Wer weiß – vielleicht habe ich jetzt das Rezept für einen richtigen Blockbuster gefunden!“, antworte ich vergnügt und kippe den Rest Wein aus meinem Glas herunter. Ich will mir meine gerade wieder gebesserte Stimmung nicht vermiesen lassen – der Abend ist schließlich noch lang. Und so, wie ich meine beiden Gesellschafter bis hierher wahrgenommen habe, werden sie kaum viel zu seinem Gelingen beitragen. Darüber hinaus weiß ich selbst, dass meine berufliche Situation nicht rosig aussieht. Ich bin ja nicht plötzlich bescheuert geworden!

Doch Maren ist mit meiner Antwort nicht zufrieden und meint, mir ins Gewissen reden zu müssen.

„Na, ich weiß nicht“, unkt sie und schaut mich zweifelnd an. „Wie gut, dass du Konstantin hast und er nichts dagegen hat, dich mit durchzufüttern. Ohne ihn könntest du dir diesen Luxus nicht leisten!“

Was wird das denn jetzt? Entgeistert schaue ich Maren an. Wie kommt sie darauf, dass ich mich aushalten lasse? Wieso sagt sie so etwas?

„Ich lebe von meinen Ersparnissen. Von Konstantin nehme ich keinen Cent“, gebe ich kühl zurück und lächele gezwungen.

Sag‘ ich doch! An Abenden wie diesen gilt es, jeden halbwegs erträglichen Moment zu feiern – es könnte der letzte sein! Ich finde es unfassbar, was Maren mir unterstellt. Seit wann hat sie meinen Kontostand im Blick? Mit ihr habe ich noch nie über meine Finanzen gesprochen und habe das auch nicht vor! Oder bin ich zu empfindlich?

Ich merke, wie die Wirkung der Felshypnose nachlässt. Ich denke an meine Mutter und ertappe mich bei einem sehnsüchtigen Blick zur Spüle.

„Na klar“, antwortet Maren schnell, „aber trotzdem: Von irgendwas musst du ja leben“, ergänzt sie unbestimmt.

Ich beschließe, nicht darauf einzugehen, und mich stattdessen aufs Atmen zu konzentrieren. In schwierigen Situationen soll das wahre Wunder bewirken, hat mir einmal ein Yogalehrer erzählt. Und tatsächlich: Mit viel Konzentration und noch mehr Selbstbeherrschung schaffe ich es, mich davon zu überzeugen, dass Maren es sicher nicht böse meint, sondern einfach ist, wie sie ist, und ich sie deshalb nicht schlagen muss.

„Gibt es in deinem Drehbuch eigentlich auch eine Handlung?“

Nun ist es ausnahmsweise einmal Konstantin, der die Situation rettet.

„Bislang weiß ich nur von einer Sibille, die einen arroganten Chef hat. Verliebt sie sich zum Schluss etwa in den?“

Sofort bessert sich meine Laune. Ich freue mich darüber, dass mein Schatz Anteil an meiner Arbeit nimmt.

„Das kommt erst später. Aber prima geraten! Ich bin beeindruckt, wie gut du dich mit TV-Romanzen auszukennen scheinst“, ziehe ich ihn auf.

Sogleich doziere ich darüber, was außer einer durchschnittlichen Frau, die aber eigentlich etwas ganz, ganz Besonderes ist, und einem potenziellen Verehrer, der erst einmal ziemlich unsympathisch sein muss, noch zu einem Quotenhit im Fernsehen gehört. Ich berichte von Karsten König, dem Ehemann Sibilles, der sie nach Strich und Faden betrügt, ohne dass sie das mitbekommt. Dann erläutere ich, wie Sibille, gutmütig wie sie ist, sich sogar Sorgen um ihn macht, weil er so unglaublich viel arbeitet und immer häufiger auf Dienstreise gehen muss, sich zurückzieht, ständig müde und gereizt ist und sich auch sonst ganz anders verhält als früher. Dabei kringele ich mich vor Lachen über seine dummdreisten Ausreden, wenn Sibille ihn um ein Haar bei einer Lüge ertappt, und ihre Naivität, mit der sie jedes seiner Worte ungeprüft für bare Münze nimmt. Sogar Maren ist begeistert. Sie lässt jetzt für einen Moment ihre Seitenhiebe auf mich ruhen und lacht mit. Nur Konstantin reagiert erstaunlicherweise unwirsch.

„Wieso sollen Karstens Verhaltensweisen eigentlich so untrügliche Zeichen dafür sein, dass er seine Frau betrügt?“, fragt er beinahe aggressiv. „Darf ein Mann nicht mal länger arbeiten, ohne dass ihm gleich unterstellt wird, ein Verhältnis zu haben?“

„Natürlich nicht!“, antworte ich beschwichtigend. „Doch in dem Drehbuch muss er sie nun mal betrügen und die langen Arbeitszeiten sind sein Alibi.“

Damit gibt sich mein Schatz nicht zufrieden.

„Und wie du ihn beschreibst – als wäre er nur ein schwanzgesteuerter Idiot, der seiner vergehenden Jugend hinterher trauert. Vielleicht ist Sibille selbst nicht ganz unschuldig an dem Ganzen? Wer sagt eigentlich, dass nicht auch sie ihn betrügt?“

Jetzt wird er aber komisch! Was ist denn in meinen Konstantin gefahren?

„Aber darum geht es hier doch gar nicht! Es ist ein Film, einer von der hirnlosesten Sorte noch dazu, und der ist nun mal bis zum Anschlag gefüllt mit Klischees“, erkläre ich geduldig. „Deshalb betrügen darin die Männer die Frauen – oder zumindest der Mann die Heldin. Die ist jedoch von Grund auf gut und unschuldig, weil sich das so gehört“, sage ich und muss schon wieder grinsen. Ich scheine langsam einen Zugang zu den Gesetzmäßigkeiten von Schundfilm-Drehbüchern zu finden! Eigentlich eine bedenkliche Entwicklung, doch in meinem Fall absolut notwendig!

Auch Maren amüsiert sich und trägt ihren Teil dazu bei, Konstantin zu beschwichtigen: „Außerdem wird die Heldin als besonders treudoof hingestellt. Da würde ich lieber Betrüger sein als die dumme, gehörnte Ehefrau!“

„Auf jeden Fall!“, bekräftige ich. „Genau genommen ist so ein Film weder frauenfeindlich noch männerfeindlich, stattdessen aber eine grobe Beleidigung der Zuschauer, denen einige Sender so wenig Verstand zutrauen, dass sie es für richtig halten, immer wieder solche stumpfsinnigen Filmchen zu produzieren.“

Doch mein Lebensgefährte ist immer noch ungnädig. Langsam beginne ich daran zu zweifeln, ob er zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden kann. Ist er am Ende auch einer von denen, die sich bei der Arbeit über die letzte Folge von „Rote Rosen“ austauschen, als würde die Serie in der Realität passieren? Ob zu viel Stress zu derartigen Ausfällen führen kann?

„Ich finde es bedenklich, dass du Drehbücher schreibst, in denen alle Männer skrupellose Fremdgeher und alle Frauen harmlose Engel sind. Das ist ziemlich diskriminierend!“

„Schatz, in drittklassigen Schinken sind manche Männer so. Aber das spielt doch für mich keine Rolle! Ich weiß, dass du nie so wärst. Von dir würde ich das niemals annehmen. Ausgeschlossen!“, versuche ich ihn liebevoll lächelnd zu besänftigen. Meine Güte – dieser Abend ist wirklich eine Herausforderung – sogar mit Felsmeditation! Ich bin doch hier das Opfer! Ich muss diesen Schund schreiben, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen! Und ich hoffe inständig, dass Konstantins Projekt bald abgeschlossen ist, damit er endlich wieder normal wird!

„Ich kann damit nichts anfangen.“

Unwirsch stößt mein Lebensgefährte seinen Stuhl zurück und steht auf.

„Ich gehe ins Bett. Dann könnt ihr noch ungestört über Männer herziehen, die angeblich alle schwanzgesteuerte Mistkerle sind!“

Entgeistert schaue ich ihm hinterher, als Konstantin, ohne einen weiteren Kommentar, die Küche verlässt. Wieso bin ich eigentlich bis heute davon ausgegangen, dass drei erwachsene Menschen ein ganz normales Abendessen überstehen können, ohne dass am Ende einer weint? Manchmal kann mich meine eigene Naivität noch sehr überraschen!

Die Sache wird dadurch nicht besser, dass Maren Zeugin dieses komplett überflüssigen Zwistes ist. Ich frage mich, womit ich das verdient habe, und erhalte alsbald sogar eine Antwort darauf. Mein Gewissen, eine leider hochsensible Angelegenheit, wie ich schon des Öfteren zu beklagen Gelegenheit hatte, meint mit mir darüber diskutieren zu müssen, ob ich nicht eine Mitschuld an der Situation trage. Habe ich zu sehr auf dem betrügerischen Ehemann in meinem Drehbuch herumgeritten? Hätte ich das vielleicht ebenfalls persönlich genommen, wenn Konstantin so über eine – wenn auch fiktive – Frau gesprochen hätte?

Ich kläre mein Gewissen darüber auf, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, derart sensibel auf eine frei erfundene Geschichte zu reagieren, doch es ist nicht überzeugt. Zu meiner Verteidigung führe ich an, dass das alles doch nicht meine Meinung zu Männern widerspiegelt, sondern dass so eine Konstellation eben zu einer Schmonzette dazugehört. Ob das wirklich nicht deutlich geworden ist?

Statt meines Gewissens antwortet Maren.

„Au Backe!“, bricht sie das betretende Schweigen. „Vielleicht hast du es ein bisschen zu toll getrieben.“

Entgeistert schaue ich sie an. Was ist hier eigentlich los? Sind jetzt alle verrückt geworden?

Was habe ich getrieben?“, frage ich gereizt zurück und schließe mein Gewissen als Adressat dieser Frage mit ein. „Ich habe doch nur von meinem Drehbuch erzählt!“

„Das hat Konstantin aber wohl etwas anders aufgefasst.“

„Und was kann ich dafür?“, fauche ich meine Freundin und mein hypersensibles Gewissen gleichermaßen an.

Eine Weile sagen Maren und ich nichts. Auch mein Gewissen schweigt beleidigt. Dann tut es mir leid, dass ich so aus der Haut gefahren bin.

„Entschuldige bitte“, sage ich. „Ich wollte nicht, dass der Abend so verläuft. Irgendwie ist gerade der Wurm drin.“

„Schon gut“, sagt Maren. „Es ist sicher keine leichte Zeit für dich.“

Sofort bin ich versöhnt. Es tut gut, dass sie mich versteht. Fast fühlt es sich an wie früher, als wir nächtelang quatschten und uns über vergangene Partnerschaften oder eine unglückliche, weil nicht erwiderte Liebe austauschten.

„Aber du musst aufpassen, dass du das nicht an Konstantin auslässt!“

„Findest du, dass ich irgendetwas an ihm auslasse? Ich habe doch nur einen Scherz gemacht – über meine Arbeit, über ein Drehbuch, oder besser noch: Eine Figur aus einem Film.“

„Aber das kann doch Konstantin nicht wissen!“

Diese Bemerkung finde ich höchst unlogisch. Wieso kann er das nicht wissen? Wovon haben wir denn die ganze Zeit gesprochen? Darüber, dass ich mit einem promiskuitiven Partner gesegnet bin, der Karsten heißt, was sich ja fast wie Konstantin anhört? Meine Güte, manchmal ist es aber auch wirklich schwer, so ganz allein als Mensch unter Aliens zu leben.

„So ein Mann wie Konstantin – wirklich Hanna! Du kannst echt froh sein, dass du ihn hast!“

Da muss ich ihr recht geben. Ich bin froh, dass ich ihn habe! Er ist schließlich die Liebe meines Lebens. Das wusste ich vom ersten Moment an, als wir uns begegneten.

„So ein Mann wie er, und noch dazu so ein attraktiver ... da muss man sich eben ein bisschen anstrengen. Ich bin sicher, der könnte ganz andere Frauen haben, so, wie er aussieht. Sei froh, dass er bei dir bleibt, und verspiel‘ dir das nicht!“

Von einem Moment auf den anderen fühle ich mich wie vom Blitz getroffen. Moment mal – sagt das gerade eine Freundin von mir? Erklärt sie mir tatsächlich, dass ich Konstantin dankbar sein muss, weil er mich erwählt hat? Er, der Schöne, der mich, die Karre Mist, an seiner Seite duldet?

Ich schlucke und beschließe, diesem Abend keine weitere Chance zu geben, weil er es einfach nicht verdient. Hier gibt es nichts mehr zu gewinnen, und wenn ich nicht aufpasse, dann verliere ich auch noch etwas – nämlich meine Beherrschung!

Um mir nicht anmerken zu lassen, was für Gedanken mir durch den Kopf gehen, und weil ich jedes weitere Wort zu diesem Thema absolut überflüssig finde, schlage ich vor, nach draußen zu gehen, um eine Zigarette zu rauchen.

„Ich brauche Nikotin.“

„Gute Idee“, sagt Maren.

Wir nehmen unsere Gläser und gehen hinaus auf den mittlerweile dunklen Balkon.

Die Tage werden Ende September überraschend kurz, und ich hoffe, dass ich Gleiches auch von diesem Abend sagen und ihn baldmöglichst ohne weitere Zwischenfälle beenden kann.

*

Als Maren endlich gegangen ist – ich konnte sie ja nicht einfach hinausschmeißen, obwohl mir sehr danach war, genau das zu tun – versuche ich beim Aufräumen der Küche Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Was ist das nur für ein furchtbar verkorkster Abend gewesen? Und warum eigentlich? Bin ich zu sensibel oder ist mein Umfeld es zu wenig? Was genau ist eigentlich schief gelaufen?

Da ich keine zufriedenstellende Erklärung finde, beschließe ich, es auf den Vollmond zu schieben. Es heißt ja, das Menschen bei Vollmond zu Werwölfen werden können. Von daher habe ich wohl noch Glück gehabt. Meine Abendgesellschaft allerdings auch!

Letztendlich jedoch scheitern meine Versuche, mit dieser naheliegenden Erklärung mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen. Immer wieder wandern meine Gedanken zurück, mal zu dem einen, mal zu einem anderen Detail des Abends, das mir Unbehagen bereitet.

Beim Abwaschen der Küchenutensilien kaue ich auf Marens Bemerkung zu meinem nicht ausreichend unterwürfigen Verhalten Konstantin gegenüber herum. Wie kann sie mir nur so in den Rücken fallen? Wütend schrubbe ich immer noch auf den angesetzten Nudel- und Käseresten in der Auflaufform herum, als die sich schon längst im Spülwasser aufgelöst haben. Dabei schimpfe ich auf Frauen, die die hart erkämpften Ziele der Frauenbewegung sofort und ohne mit der Wimper zu zucken für das überhebliche Grinsen eines Mannes opfern, der sie zur Belohnung Bier holen schickt!

Doch leider bringt auch das die penetrante Stimme in meinem Kopf nicht zur Ruhe, die wohl meinem Gewissen gehört, sich aber verdächtig nach meiner Mutter anhört. Ständig wiederholt sie, dass ich die Ereignisse aus Marens Sicht betrachten sollte. Schließlich sei sie viel objektiver als ich, denn es sei meine Beziehung und ich stecke mittendrin und könne deshalb das Geschehen nur subjektiv beurteilen. Könnte es nicht sein, dass ich mehr Verständnis für Konstantins Reaktionen zeigen sollte? Dass ich wirklich zu gedankenlos auf Klischees über Männer herumgeritten bin und er sich dadurch angegriffen fühlen musste? Schließlich ist er zurzeit nicht in der allerbesten Verfassung bei dem Stress, den er beruflich hat. Außerdem hat Maren nicht ganz Unrecht, dass es sicher die eine oder andere Frau gibt, die ihn gerne übernehmen würde. Vielleicht sollte ich mich wirklich mehr um ihn bemühen?

„Du hast wohl einen Vogel!“

Meine eigene Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und katapultiert mich zurück ins aktuelle Jahrhundert. Empört werfe ich den Spülschwamm ins Becken. Wenn ich Konstantin nicht mehr gut genug bin, dann muss er eben gehen! Ich mache mich doch hier nicht zur Eva Herrmann!

Oh je. Dieser Abend hat mich wirklich in meinen Grundüberzeugungen erschüttert. Entsetzt über mich selbst komme ich zu dem Schluss, dass es womöglich mit der Gleichberechtigung wirklich nicht weit her ist – trotz einer Kanzlerin – wenn selbst deutsche Frauen ernsthaft erwägen, sich duckmäuserisch den Launen schlecht erzogener Männer unterzuordnen, um ihnen zu gefallen. Haben wir ein paar Jahrtausende zu lang in einer patriarchalisch geprägten Kultur gelebt mit dem Effekt, dass Unterwürfigkeit fest in den weiblichen Genen verankert ist? Zumindest für Maren würde ich das sofort unterschreiben. Da war ja selbst meine Großmutter – Gott hab‘ sie selig – emanzipierter! Darüber hinaus wirkte meine Freundin mit ihrem albernen Herumstolzieren in Kleidern ihrer Tante und der ständigen Kicherei über Konstantins Bemerkungen so, als könne sie sich nichts Schöneres vorstellen, als einem Mann die Puschen hinterherzutragen. Fast hätte man meinen können, sie versuchte mit Konstantin zu flirt…

Entgeistert blicke ich vom Spülbecken auf. Also nee – nie im Leben! Doch nicht Maren! Wir kennen uns schon so lange! Außerdem entsprechen große Blonde wie mein Konstantin nicht ihrem Beuteschema. Bei jeder anderen Frau würde ich nach dem heutigen Abend vielleicht anderes vermuten, aber Maren – nicht doch! Maren ist eben Maren. Sie denkt nicht viel nach über das, was sie tut oder sagt, sondern platzt mit allem heraus, was ihr gerade in den Sinn kommt, ganz ohne Zensur!

Ein fernes Grummeln tief in meinem Bauch scheint an dieser Erklärung zu zweifeln, aber das ignoriere ich. Stattdessen besänftige ich mich mit der Binsenweisheit, dass zu einem Flirt immer zwei gehören. Schließlich kann ich beim besten Willen nicht annehmen, dass Konstantin ernsthaft an kleinen, molligen Frauen interessiert ist, die optisch als seine eigene Mutter durchgehen könnten! Schon gar nicht, wenn sie sich wie Maren im Outfit eines Blumen-Schlumpfes präsentieren, falls es so etwas gibt. Er ist doch nicht blind!

Außerdem war mein Lebensgefährte für weibliche Schmeichelei schon immer völlig unempfindlich. So etwas bemerkt er nicht einmal! Ich schmunzele in mich hinein, als ich an Konstantins diesbezügliche Naivität denke, die er schon manches Mal an den Tag legte, wenn Frauen versuchten, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er wunderte sich dann darüber, dass sie wissen wollten, wie spät es ist, obwohl sie eben noch auf ihrem Smartphone herum getippt hatten. Oder er konnte ihre Schusseligkeit gar nicht fassen, wenn eine Frau ihn „versehentlich“ anrempelte und sich wortreich mit strahlendem Lächeln entschuldigte, obwohl sie doch genau gesehen haben musste, dass er neben ihr stand.

Doch dann kommt mir ein ganz anderer Gedanke. Was wäre, wenn … also wie würde es sein, wenn mein Freund und meine beste Freundin … also wenn die beiden tatsächlich ein heimliches Verhältnis hätten? Würde es dann nicht vielleicht zu ganz ähnlichen Situationen kommen wie gerade eben am Küchentisch?

Ich lasse die Idee kurz auf mich wirken und bin dann begeistert. Juhu! Genau das ist es! So könnte es sich abspielen.

Begeistert schnappe ich mir das Geschirrtuch und trockne eilig meine Hände ab. Der Abwasch ist noch nicht beendet, aber das kann warten. Ich habe gerade die optimale Idee, um Sibilles Leben tatsächlich auf allen Ebenen zu erschüttern. Karsten hat eine Affäre mit Sibilles ältester und bester Freundin!

*

Am nächsten Morgen erwache ich mit Kopfschmerzen. Draußen ist der Tag längst erwacht und die Helligkeit blendet unangenehm. Müde richte ich mich auf, blinzele ins grelle Morgenlicht und frage mich, woher die Migräne kommt, an der ich sonst nur leide, wenn ich mir am Tag vorher richtig die Lampen ausgeschossen habe. Der gest-rige Abend mit Maren war jedoch schnell vorbei gewesen. Gottseidank!

Dann setzt die Erinnerung ein. In bester Laune, weil ich diesen grandiosen Einfall mit dem Verhältnis von Billies Mann und ihrer besten Freundin hatte, und weil ich meinte, es könne meiner Kreativität nicht schaden, und weil ich dachte, dass ich es nach dem vorangegangenen katastrophalen Abend verdiente, hatte ich die zweite, noch unangebrochene Flasche Rotwein aus der Küche mit an den Schreibtisch genommen. Und ich meine mich daran zu erinnern, dass heute Nacht, als mir vor dem Rechner beinahe die Augen zufielen, nicht mehr viel davon übrig war.

Mannmannmann!

Vorsichtig lasse ich mich ins Kissen zurücksinken und beschließe, mir Zeit beim Aufstehen zu lassen.

Während ich so daliege, mehr tot als lebendig, fällt mir wieder ein, wie begeistert ich letzte Nacht in die Tasten gehauen habe. Die einzelnen Szenen schienen sich wie von selbst vor mir aufzubauen. Ich musste eigentlich nur noch notieren, was gerade in dem Film passierte, der vor meinem geistigen Auge ablief! Gestern jedenfalls war ich überzeugt davon gewesen, dass meine Ideen großartig waren. Würde ich das nüchtern genauso sehen?

Ob Konstantin noch schläft?

Ich taste vorsichtig hinüber auf die andere Seite des Bettes, doch meine Hände finden nichts als eine zusammengerollte Decke, unter der niemand liegt. Ist es schon so spät?

Ich wälze mich auf die Seite, um einen Blick auf meinen Wecker zu werfen. Es ist halb zehn. Das ist doch eigentlich recht früh – für einen Sonntag?

Das Verlangen nach einem großen Becher Kaffee mit Milch treibt mich aus den Federn. Für meinen Kopf ist die Suche nach meinen Puschen unter dem Bett eine fast unlösbare Aufgabe, aber ich reiße mich zusammen. So ein kleiner Kater wird mich ja nicht gleich umbringen, hoffe ich.

Bald habe ich die Treter gefunden und schlüpfe hinein. Mit steifen Gliedern und etwas unsicher auf den Beinen, was vermutlich auch daran liegt, dass ich meine Augen immer noch nicht richtig aufbekomme, stapfe ich in die Küche. Die Kaffeemaschine ist aus, nur ein kleiner Rest kalter Kaffee fristet sicher schon seit Stunden in der Glaskanne sein geschmackvernichtendes Dasein. Von Konstantin keine Spur – auch hören tue ich nichts von ihm.

Dunkel drängt sich die Erinnerung in mein Gedächtnis, dass Konstantin heute früh mit seinen Kumpels und den Mountainbikes ins nächstgelegene Gebirge fahren wollte. Vermutlich ist er längst fort?

Ich gehe zurück in den Flur und ein Blick auf das Schlüsselbrett neben der Tür bestätigt meine Vermutung: Sein Autoschlüssel ist weg.

Ob er immer noch sauer ist?

Plötzlich erinnere ich mich daran, dass ich ihm gestern Abend einen Zettel in die Küche gelegt habe, vermutlich weil ich da noch wusste, dass er heute früh wegfahren würde. Zwar bin ich der Meinung, dass Konstantin beim Abendessen eindeutig überreagiert hat, doch nachdem ich mit viel Vergnügen und in der Überzeugung, eine grandiose Eingebung zu haben, gleich mehrere Seiten über Karsten und sein nur schlecht verheimlichtes Verhältnis zu Sibilles bester Freundin verfasst hatte, war ich in äußerst friedlicher und nachgiebiger Laune. Ich dachte, dass ein Friedensangebot – auch wenn er es nicht verdient hat! – nicht schaden könnte. Zumindest war das besser, als einen weiteren Tag lang Konstantins schlechte Laune zu ertragen, und das war es mir wert. Also hatte ich ein Blatt Papier aus meinem Drucker genommen und Konstantin geschrieben, dass nicht er mit meinen lästerlichen Bemerkungen gemeint war, sondern ein gewisser Karsten König, und dass ich ihm, meinem allerliebsten Schatz, ein solches Verhalten niemals zutrauen würde. Ich hoffte sehr, dass wenigstens dieses schriftliche Bekenntnis meiner allerhöchsten Wertschätzung für seine Integrität zu ihm durchdringen würde – sicher war ich mir dessen bei seiner momentanen Verfassung allerdings nicht.

Eilig laufe ich zurück in die Küche und suche nach dem Zettel. Richtig: Da liegt er auf dem Küchentisch. Eine kurze Nachricht ist unter meine Zeilen geschrieben:

Entschuldigung angenommen!

Ich bin erleichtert und ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Aber nur im ersten Moment. Dann fällt mir auf, dass ich mehr erwartet habe. Schließlich habe ich mich nicht deshalb bei ihm entschuldigt, weil ich fand, dass ich einen Grund dazu hatte, sondern deshalb, weil ich Konstantin in der schweren Zeit, die er gerade durchmacht, Verständnis signalisieren und ihm ein Stück entgegenkommen wollte. Das ist ein Unterschied! So gesehen war es eine äußerst großmütige Geste von mir, ihm diese Nachricht zu schreiben. Das Mindeste wäre gewesen, dass er sich nun seinerseits für seine überzogene Reaktion entschuldigte!

Hat er aber nicht.

Müde lasse ich mich auf den Küchenstuhl fallen. Was ist nur los mit Konstantin? Eigentlich ist doch nur dieses blöde Projekt schuld an seiner gereizten Stimmung. Wann ist das endlich vorbei? Seit gefühlt einer Ewigkeit befindet sich mein Lebensgefährte schon „im Endspurt“ des Auftrags, ist gestresst, häufig geistig abwesend und gereizt. Es würde uns beiden gut tun, wenn wir wieder Zeit für uns hätten. Einfach mal raus – wenigstens für ein Wochenende! Doch so lange mein Liebster beruflich derart eingespannt ist, kriege ich eher ein Kamel durchs Nadelöhr, als meinen übellaunigen Mitbewohner zu einem Kurzurlaub!

Seufzend schaue ich mich nach meiner Zigarettenpackung um. Kaffee – selbst wenn er ungenießbar ist – und Zigaretten helfen eigentlich in jeder Lebenslage weiter. Außerdem werfe ich einen prüfenden Blick in die Müslipackung, die Konstantin auf der Arbeitsplatte stehen gelassen hat. Der Inhalt wird doch hoffentlich noch für ein Frühstück reichen? Doch weit gefehlt: Die Packung ist leer. Früher hätte Konstantin eine leere Packung wenigstens entsorgt, anstatt sie einfach stehen zu lassen. Er hätte sogar eine neue hingestellt oder einen kleinen Rest schwesterlich mit mir geteilt. Was ist bloß aus unserer einst so liebevollen Beziehung geworden?

Von jetzt auf gleich wandelt sich meine Stimmung von frustriert in äußerst ungnädig. Ich ärgere mich furchtbar über meine Nachgiebigkeit bezüglich unserer gestrigen Auseinandersetzung und darüber, dass ich die mentale Schwäche meines Partners, nicht zwischen Film und Wirklichkeit unterscheiden zu können, auch noch unterstütze. Er ist doch kein Vierjähriger in der Trotzphase und ich bin nicht seine Mami! Das habe ich nun davon! Eine „großmütige“ Annahme meiner Entschuldigung und eine achtlos geleerte und stehen gelassene Müslipackung. Projekt hin oder her – ich bin nicht seine Nanny! Und wieso dreht sich hier eigentlich alles um ihn? Habe ich keine Sorgen und Nöte? Ist meine berufliche Situation nicht schwierig? Was wäre wohl, wenn ich darüber alles vergäße und nur noch um mich selbst kreiste, wie mein Herr Lebensgefährte das selbstverständlich tut?

Wütend ziehe ich eine Zigarette aus der Schachtel, schnappe meinen Kaffeebecher, in den ich den traurigen, kalten Rest aus der Maschine gieße, und will gerade hinaus auf den Balkon, da überlege ich es mir anders. Wenn ich mir jetzt schon alleine mit meiner Wut den Sonntag versauen muss, während Konstantin sich mit seinen Freunden amüsiert, dann kann ich diese Erfahrung auch konstruktiv verarbeiten!

Tasuta katkend on lõppenud.