Loe raamatut: «Always Look On The Bright Side Of Life»

Font:

Eric Idle

Always look

on the bright

side of life

Eine Art Autobiografie

Aus dem Englischen von Uli Twelker


www.hannibal-verlag.de

ZITAT

Das Leben hat ein simples Gesicht,

Erst weilst du hier, dann wieder nicht.

IMPRESSUM

Der Autor: Eric Idle

Deutsche Erstausgabe 2018

Titel der Originalausgabe:

„Always Look On The Bright Side of Life“ (ISBN 978 0 451 49646 1)

von Crown Archetype, einem Imprint der Crown Publishing Group, einer Division von Penguin Random House LLC, New York.

© 2018 by Rutland California Weekend, Inc.

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Buchcover und Foto Buchvorderseite:

Design: Michael Morris (in-house)

Kelch: Lord_Kuernyus/Stock/Getty Images

Wolke: Wallace Garrison/Photographer’s Choice/Getty Images

Coverfoto: AF archive/ Alamy Stock Photo

Übersetzung: Uli Twelker

Lektorat und Korrektorat: Dr. Matthias Auer

© 2018 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-658-2

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-657-5

Hinweis für den Leser:

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Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

INHALT

WIDMUNG

EINE ENTSCHULDIGUNG

ZITAT

1 KREUZIGUNG?

2 A SCAR IS BORN – GESTRESSTE EMPFÄNGNIS

3 VERDAMMTER GLÜCKSPILZ

4 SHOWBUSINESS!

5 WIEDERSEHEN MIT GATESHEAD

6 THE ARTFUL NUDGER: DER KNIFF MIT DEM KNUFFEN

7 UND NUN ZU ETWAS EIN KLEIN WENIG KOMPLETT ANDEREM

8 WOHIN DES WEGES, KANADA?

9 HERE COMES THE SON – DEM GÜLD’NEN SOHNE

10 DIE SCHEIDUNGSFEE

11 LIEBESLEBEN

12 DAS WUNDER DES BRIAN

13 DAS BRITISCHE IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK

14 EIN WIRKLICH BÖSER BUBE

15 DIE BOLLYWOOD-FALLE

16 THE MEANING OF WIFE – DER SINN DES WEIBES

17 KINO – HALB SÜNDE, HALB EINLAUF

BILDSTRECKE

18 WIEDERSEHEN MIT BRIGHT SIDE

19 DIE SUCHE NACH EINEM MUSICAL

20 DÜNNE WEISSE DAVID BOWIES

21 MACH DICH DAVON!

22 GUT BEIM DINIEREN

23 DIE WIEDERVEREINIGUNG DER PYTHONS?

24 GEORGE

25 DIE LEUCHTENDE SEITE DES BROADWAY

26 TONY-TUNTE UND TONY-FEE

27 DIVA LAS VEGAS

28 DIE BRIGHT SIDE WIRD NOCH BRIGHTER

29 WER ZULETZT LACHT

30 DER SPRINT DES LEBENS

31 ENDLICH WIEDERVEREINT … ZUM ALLERERSTEN MAL

32 BREXIT – DURCH DEN GESCHENKELADEN

UND ZU GUTER LETZT …

FOTONACHWEISE

DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN

WIDMUNG

Für Tania, Carey und Lily.

EINE ENTSCHULDIGUNG

Graham Chapman hat einmal gesagt: „Das Leben ist ein bisschen wie ein Boot in der Karibik. Es ist schon ganz gut, wenn man eins hat.“ Ich habe diese Reise am Puls des Lebens nun fünfundsiebzig Jahre lang mitgemacht und besitze noch immer keins, aber andererseits schrieb ich „Life’s a piece of shit, when you look at it“ – „Das Leben ist ganz schöner Mist, wenn du’s genau besiehst.“ Gleichzeitig habe ich aber alle ermahnt, auf die Sonnenseite des Lebens zu schauen – eine Zeile, die mindestens so alt ist wie Coleridge, wie ich kürzlich herausfand. Dieses Buch ist zum Teil die Geschichte jenes Songs und zum Teil die eines Jungen, der zu mir mutierte – wenn Sie wollen, handelt es sich dabei also um die Memoiren eines gescheiterten Pessimisten. Ich bleibe nach wie vor unverbesserlich optimistisch, selbst angesichts der bedrohlichen Klimaerwärmung, die mich etwas weniger berührt als persönliche Abkühlung. Und so habe ich meine Erinnerungen aufgeschrieben, ehe ich alles vergesse und die Schweinsneurose Ham-nesia bekomme, die man sich einfängt, wenn man ein alter Schauspieler ist.

Natürlich habe ich Fehler, aber davon werden Sie hier nichts lesen. Meine Mängel habe ich wegpoliert. Das ist doch der ganze Sinn einer Autobiografie. Sie ist ein klarer Fall für die Verteidigung. Aber ich gebe zu, dass ich nicht perfekt bin. Ich habe britische Zähne. Die sind wie britische Politik: Sie gehen in alle Richtungen gleichzeitig.

Über sich selbst zu schreiben, das ist eine merkwürdige Mischung aus Therapie und Lap Dance. Also, hier ist mein eigener, mickriger Beitrag zum Promi-Memoiren-Schatz. Auf Anraten meines Anwalts lasse ich die blamablen Details weg und auf Anraten meiner Frau die versauten Sachen. Aber wie bei meiner Karriere so üblich, werden Sie sich noch wünschen, weniger erhalten zu haben.

Wenn das hier nicht genau so ist, wie es sich zugetragen hat, so hätte es aber mit Sicherheit so passiert sein sollen.

ZITAT

„Schau stets auf die Sonnenseite …“

Samuel Taylor Coleridge


1

KREUZIGUNG?

Es ist Oktober 1978. Ich bin im Begriff, gekreuzigt zu werden. In Tunesien hänge ich in zehn Metern Höhe an einem Kreuz und singe „Always Look on the Bright Side of Life“. Unter mir – in einem höhlenartigen, fünfzehn Meter tiefen aus dem Erdboden gebuddelten Hof – fegt eine Araberin ihren Vorgarten. Sie schaut nie rauf. Wir sind seit drei Tagen hier. Es ist die letzte Szene in Monty Python’s Life of Brian (Das Leben des Brian), und mein Song hallt quer durch die Wüste von weit entfernten Hügeln wider. John Cleese hat die Grippe erwischt. Der Rest der Pythons scheint ganz gut drauf zu sein. Dreiundzwanzig von uns hängen an Kreuzen, und es gibt nur drei Leitern. Wenn du also pinkeln musst, bedeutet das eine elend lange Wartezeit. Ich vermute mal, falls das die einzige Sorge beim Gekreuzigt-Werden ist, hat man im Großen und Ganzen noch Glück gehabt.

Es hat schon etwas Abschreckendes, wenn man zur Arbeit kommt und ein Kreuz mit seinem Namen vorfindet. Schon klar, die haben keine echten Nägel benutzt, und wir hatten auch Fahrradsitze, auf denen wir hocken konnten. Aber drei Tage da oben in der Unterhose zu hängen und in die Wüste zu starren, das bringt einen schon ins Grübeln. Vielleicht sollte jeder einmal für ein paar Tage gekreuzigt werden – das ermöglicht einem einfach einen guten Blick auf das Leben an sich. Besonders wenn du einen Song bringst, den du selbst geschrieben hast, und der auch noch eine Anspielung auf dein eigenes Ableben enthält:

Just remember that the last laugh is on you … – Denk dran: Wer zuletzt lacht …

Und glauben Sie ja nicht, dass mir die Ironie entgangen war. Ich habe schon immer gewusst, dass dieses letzte Kichern auf meine Kosten irgendwo in der Zukunft liegt. Ich hoffe nur, dass genug Leute aufkreuzen.

Der Song sollte ironisch wirken, erwies sich dann aber als ikonisch. Also ich meine, ganz ehrlich, man kann in Sachen Zukunft kaum schlechter drauf sein, als wenn man gerade gekreuzigt wird. Aber die Leute fingen an, das Ding in realen Kriegen und in wirklicher Gefahr zu singen. Es hat wohl irgendwie einen Nerv getroffen, und jetzt singen sie es überall. Beerdigungen inklusive. Besonders bei Beerdigungen. Es ist der Song Nummer eins bei den britischen Bestattungen.

Ich hänge also oben am Kreuz in Tunesien und singe es gerade das erste Mal für Graham Chapman. Wie zur Hölle bin ich hierher gekommen?

2

A SCAR IS BORN –

GESTRESSTE EMPFÄNGNIS


Durch einen irren Zufall bin ich an meinem Geburtstag geboren. Am selben Ort wie meine Mutter, Harton Hospital, South Shields, County Durham, nur zum Glück nicht zur gleichen Zeit. Ich wurde einfach als Eric Idle geboren. Einen zweiten Namen konnten wir uns zu der Zeit gar nicht leisten. Es herrschte schließlich Krieg. Zur Zeit meiner Geburt versuchte Hitler mich zu töten, aber zum Glück traf er daneben. Das Knappste, wie er mir auf die Pelle rückte, gehört zu meinen frühesten Erinnerungen: ein Wellington-Bomber krachte in Flammen auf einen Acker neben meinem Kindergarten.

„Keine Sorge“, sagten die Schwestern, als sie uns reinmanövrierten.

Mit Sicherheit die furchterregendsten Worte, die du jemals zu hören bekommst. Dann fand ich dank meiner Mutter die Wahrheit heraus: „Der amerikanische Pilot hat auf dem Acker nach einer Notlande-Möglichkeit gesucht. Er hat die spielenden Kinder gesehen und ist abgedreht, hat das Flugzeug mit Absicht nach unten gerissen“, erklärte sie.

Ich habe die Amerikaner immer gemocht. Das sind tapfere Kerle.

Also, Adolf, nah dran, aber kein Hauptgewinn.

Falls man das Leben wirklich fast am meisten schätzen lernt, wenn man eine unglückliche Kindheit erlebt, dann hatte ich von Anfang an Glück. Wie wäre es hiermit in Sachen Ironie des Schicksals: Mein Vater wurde getötet, als er per Anhalter aus dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Hause wollte.


Er war seit 1941 in der Royal Air Force gewesen – auf dem gefährlichsten Posten eines Wellington-Bombers, dem des hinteren Funk-Kanoniers. Dem entkam er ohne einen Kratzer. Und doch kam er sieben Monate nach Ende des Krieges um, als er zu Weihnachten nach Hause trampte. Sie warteten darauf, ausgemustert zu werden, und wurden aufgefordert, die Hand rauszuhalten, weil die Züge wegen der Ferien voll waren und jeder ja für die Jungs in Uniform anhalten würde. Er wurde dann auf der Ladefläche eines Lasters samt Stahlladung mitgenommen. Etwas außerhalb von Darlington wich ein Wagen dem Gegenverkehr aus, und der Truck kam von der Straße ab. Die Stahlladung verschob sich – und zerquetschte meinen Vater. Er starb Heiligabend im Krankenhaus – mit meiner Mutter an seiner Seite. Ich war fast drei. Man sieht schon, dass Weihnachten bei uns zuhause nie so der ganz große Spaß war. Ich frage mich, ob ich deshalb Fuck Christmas geschrieben habe?

Nach meiner Geburt war mein Vater nur selten zuhause. So sind Kriege nun mal. In der peniblen Handschrift meines Vaters entdeckte ich die Worte Spam Exit – Raus mit ’ner Billig-Medaille, in seinem winzigen RAF-Tagebuch von 1945. Außerdem entdeckte ich ein paar Hinweise auf mich. Für den 7. Juli lautete der rührende Eintrag: „Erics erstes Planschen & Strandausflug.“


Das Grab meines Vaters befindet sich auf einem RAF-Friedhof. Sie sind alle in Gestalt akkurat aufgereihter Gedenkplatten angetreten. Auf ewig in Habacht-Stellung: Name, Dienstgrad, Ordnungsnummer, Todestag:

24. Dezember 1945. Darüber die lateinischen Worte des RAF-Mottos: „Per ardua ad astra.“ Durch harte Arbeit zu den Sternen. Das könnte auch die Parole der Menschheit beim Eintritt in das Weltraumzeitalter sein. Oder die eines jungen Mannes, der ins Showgeschäft strebt.

Meine Mutter verlor sich eine Zeitlang in Depressionen, und ich wuchs bei meiner Oma in Swinton in Lancashire auf. Ihr Mann, ein Zahnarzt, den ich Pop nannte, ging mit mir in Manchester in den Belle-Vue-Zirkus. Dort stellte sich erstaunlicherweise heraus, dass wir zum Zirkus-Adel gehörten. Mein Großvater war Henry Bertrand – während der 1880er Jahre ein berühmter Ringmeister, Zirkusdirektor und Manager. Ich bin noch immer im Besitz seines Briefpapiers, samt seinem imponierenden Bild mit Frack und weißem Binder, das verkündet, er sei Planungsmanager für Roby’s Midget Minstrels – Zwergen-Minnesänger. Erst später wurde mir dann klar, dass ich auch in einem Zirkus gelandet war: und dazu noch in einem fliegenden.

Als ich vor Kurzem etwas über ihn recherchierte, fand ich erstaunt heraus, dass er sein Leben als Comedian begonnen hatte. Ist das nicht ein wenig zu viel des Zufalls? In meinem Roman The Road to Mars (Die Reise zum Mars) habe ich dargelegt, dass dies den Beweis eines Comedy-Gens darstellt. Das war als Witz gemeint, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.

Egal, für mich als Kind war es spannend, im Belle-Vue-Zirkus hinter die Bühne mitgenommen zu werden, um die furchteinflößenden Clowns kennenzulernen. Die waren gegenüber Pop als einem der Bertrands sehr respektvoll und begegneten mir ebenfalls extrem freundlich. Pop nahm mich auch zu den verschiedensten Varieté-Shows im Manchester Hippodrome mit, wo ich die besten britischen Music-Hall-Comedians erlebte: Morecambe and Wise, Robb Wilton, Jimmy Edwards, Arthur Askey, Norman Evans, Mrs. Shufflewick, Norman Wisdom und die Crazy Gang. Das Unvergesslichste an den Varieté-Shows waren die tableaux vivants: Bei denen war die Bühne randvoll mit wunderschönen Mädchen, die dort still saßen oder standen: splitternackt. Dies war das erste Mal, dass ich eine unbekleidete Frau sah – und plötzlich waren da gleich vierundzwanzig von der Sorte. Man nannte das hier „Eine Winter-Szenerie“. Es fiel künstlicher Schnee, während die Damen mit nichts weiter als diskret platzierter Drapierung posierten. Das Orchester spielte auf, und jemand rezitierte ein blödes kleines Gedicht, während die Mädels einfach nur dasaßen. Sie durften sich nicht bewegen. Zu jener Zeit war es illegal, nackt auf der Bühne herumzulaufen. Wenn sie sich rührten, hätten sie verhaftet werden können. Blieben sie jedoch regungslos, war es in Ordnung, und alle klatschten Beifall. Ich kann mich entsinnen, dass ich dachte: Das ist toll, und seitdem bin ich immer ein absoluter Freund nackter Ladys gewesen. Dies ist also mein Background in Sachen Showgeschäft: Zirkusse, Clowns, Comedians und nackte Ladys.

1948, als ich fünf Jahre alt war, nahm mich meine Oma immer zu drei Filmen pro Tag mit. Ich hatte noch nie zuvor Spielfilme gesehen und war sofort wie gebannt. Wir sahen uns Joan of Arc (Johanna von Orleans) an, The Glass Mountain (Echo der Liebe) und einen Marx-Brothers-Film, einen Streifen nach dem anderen. Vierundzwanzig nackte Ladys auf einen Schlag – und dann drei Movies pro Tag. Kann man schon ahnen, welchen Kurs mein Leben nehmen sollte? Wir waren die Prä-TV-Generation. Wir sind mit dem Radio aufgewachsen, haben spannenden Serien gelauscht wie Journey into Space (Reise ins Weltall), Dick Barton Special Agent! und total witzigen Comedians wie Al Read:

„Kannst du Gas riechen, oder war ich das?“

Dann natürlich die unvergleichliche Goon Show: eine BBC Radio Comedy mit Peter Sellers, Spike Milligan und Harry Secombe.

Mein erstes Fernseh-Erlebnis war die Krönung von Königin Elizabeth II,

1953. Meine Schule hatte einen winzigen 8-Zoll-Schwarz-Weiß-Apparat besorgt, und wir saßen um den herum und betrachteten Leute, wie sie beim Ansingen von „Vivat Regina!“ in lustigen Kostümen hin und her liefen. Man schenkte uns massenhaft Krönungs-Spielzeug, Becher, goldene Kutschen und Papierkronen. Und an jenem Morgen verkündete die BBC im Radio, dass wir den Everest bezwungen hätten. Nun ja, einem Neuseeländer und einem tibetanischen Sherpa war das gelungen, aber es galt eben als eine britische Expedition.

Im Jahre 1948, als ich fünf Jahre alt war, schickte mich meine Mutter zum ersten Mal zur Schule. Sie arbeitete inzwischen als Krankenschwester in Cheshire. Es ging zur St. George’s School in Wallasey, einem kleinen Städtchen am Meer. Von Liverpool aus liegt es nur eine Fähre über den Mersey entfernt. Eines Tages wurde ich zuhause vermisst. Ich hatte einen Jungen namens George kennengelernt – beim Spielen in The Red Noses, den Sanddünen bei New Brighton. Die waren ein beliebtes Ausflugsziel für Liverpooler, und wir trafen uns immer mit Kindern von der anderen Seite des Mersey-Flusses. George und ich hatten den ganzen lieben langen Tag gespielt und völlig den Sinn für die Zeit verloren. Viele Jahre später, als ich George Harrison kennenlernte, hatte ich dieses intensive Gefühl, dass wir uns schon mal begegnet waren. Und ich habe mich oft gefragt, ob er der Junge war, der mit mir an jenem Tag geschwänzt hatte. Ich schätze, das werde ich wohl nie herauskriegen, aber als ich schließlich zuhause ankam, rastete meine Mutter total aus. Es war schwierig für sie, mit einem heranwachsenden Sohn und einem Vollzeitjob klarzukommen, und dass ich einfach so verschwunden war, jagte ihr einen gehörigen Schreck ein. Daher akzeptierte sie ein Angebot des RAF-Wohltätigkeits-Fonds The Benevolent Fund: Sie steckte mich im Alter von sieben Jahren in die Royal School Wolverhampton, die gerade erst ihren Namen The Royal Orphanage –Königliches Waisenhaus also – in den neuen geändert hatte. Der Krieg hatte dieser viktorianischen Institution Auftrieb gegeben, aber dem Sog der Ironie kann man nicht entkommen. Wir wurden zu einer Schule geschickt, für die die RAF zahlte – und wuchsen mit Jungs auf, die allesamt ihren Vater im Krieg verloren hatten. Wir nannten sie The Ophny, als Kurzform für Orphanage.

Während meiner ersten Nacht in der Schule fand ich mich in einem Schlafsaal voller weinender Jungen wieder. Ich nahm mir vor, da nicht mit einzustimmen. Wozu sollte das gut sein? Früh an jenem Tage hatte mich meine Mutter dort schlicht abgeladen, worauf sie einfach wegfuhr und verschwand. Sie sagte nicht Tschüs, sie machte sich einfach aus dem Staub. Später meinte sie dann: „Nun ja, ich wollte kein Aufsehen. Du warst so schön beim Spielen, also dachte ich, am besten ziehe ich mich zurück und vermeide eine Szene.“ Eine typische Mutter des Nordens eben. Eine Szene vermeiden, das steht über allem. Ich habe noch immer Albträume, in denen ich zurück im Ophny bin. Das war schon zu jener Zeit äußerst finster, und im Nachhinein furchtbar. Ich war dort, seit ich sieben war, bis es mir im Alter von neunzehn Jahren gelang zu entkommen. Für ein heranwachsendes Kind war es ein von körperlichem Missbrauch, Schikanen und Strenge bestimmtes Milieu. Die Quartale liefen über nicht enden wollende vierzehn Wochen. Im Alter von sieben schienen sie mir unendlich. Zwölf Jahre? Da kriegt man ja für Mord weniger.

In der Grundschule peitschte mir Miss McCartney ihr hölzernes Lineal quer über die Hand, weil ich ein Mathe-Problem nicht verstand. Erstaunlicherweise blieb ich in Mathe schlecht. Im Alter von elf Jahren ging ich nervös in die Sekundarstufe über. Mobbing war an der Tagesordnung. Die stubenältesten Präfekte durften uns mit ihren Slippers schlagen. Die Hausvorsteher, Masters genannt, konnten uns mit dem Stock prügeln. Für schwere Straftaten, wie etwa Kichern bei den Hausaufgaben, konnte man für „Sechs von den Besten“ zum Direktor geschickt werden. Einmal wurde ich aufgrund „stiller Anmaßung“ zur Prügelstrafe beordert. Hatte nicht mal was gesagt. Ich meine, was für eine Chance hast du da noch? Die Oberschule hatte einen hundert Meter langen Schlafsaal, und während der Nacht patrouillierten die Stubenältesten hin und her. Wenn sie jemanden nach dem Lichtausmachen quatschen hörten und keiner es gewesen sein wollte, mussten alle aus der Koje kommen und sich über ihre Betten beugen. Dann schritten sie die Reihe ab und prügelten den ganzen Saal durch. Und es war eiskalt. Ich fror, bis ich neunzehn war. Kein Wunder, dass ich nach Kalifornien gezogen bin.

Aber das Unglück dauert eben nie ewig. Es gab durchaus Glücksmomente. Süffisantes Lachen, wenn sie einem beim Prügeln auch noch sagten: „Es ist zu deinem eigenen Besten.“

„Ach ja? Und warum biete ich dir das nicht an?“

Ich war ziemlich witzig in der Schule, und Humor ist eine gute Waffe gegen Schikanen. Es ist schwierig, einen kleineren Jungen zu schlagen, wenn man am Lachen ist. Ich gewöhnte mich daran, mit Jungs-Cliquen umzugehen und unter schwierigen Bedingungen mein Leben auf die Reihe zu kriegen. Der perfekte Trainingslauf für einen Python.

Ich spürte noch lange eine Bitterkeit hinsichtlich meiner Schulzeit. Inzwischen glaube ich jedoch, dass ich dort alles gelernt habe, was ich brauchte, um im Leben klarzukommen. Es ist schon ein grausamer Scherz, wenn man in ein englisches Internat gesteckt und dann auch noch Idle genannt wird – also, hey: faul, träge, eitel. Unbrauchbar. Nutzlos. Mister Leerlauf. Aber es trainiert einen auch, mit Beleidigungen fertig zu werden, und ich hatte schon immer einen Stapel schlagfertiger Asse im Ärmel. Als ich mal in einer britischen Fernsehshow nach der Herkunft meines Namens gefragt wurde, spekulierte ich, er stamme aus Yorkshire und gehe auf den Leerlauf-Mechanismus der Woll-Webstühle zurück. Als ich zuhause ankam, erwartete mich eine Nachricht von George Harrison: „Hör doch auf. Du stammst ganz einfach aus einer langen Ahnenreihe von faulen Säcken.“ Später habe ich dann herausgefunden, dass sein Ursprung im altenglischen Wort Idel liegt, was so viel heißt wie „ungenutzter Boden“ oder „ein Stück Abfall.“

Hm. „Ein Stück Abfall.“ Da musste ich mir schon Schlimmeres anhören …

Im Alter von elf Jahren schenkte mir meine Oma eine Reiseschreibmaschine, und ich begann, Geschichten zu verfassen: The Mystery of the Missing Skull (Das Geheimnis des verlorenen Totenkopfes), eine Boudicca-Story aus Britannien in römischer Zeit, und endlose Kriegsabenteuer über heroische Royal-Air-Force-Männer. Ich habe mich schon immer für Wörter und Worte interessiert, denn in solch einem sterilen Umfeld muss man sich schon sein eigenes Vergnügen schaffen – und seinen eigenen Geist erforschen. Lesen war und ist meine beste Flucht aus dem Alltag. Mich begeisterte außerdem das Puppenspiel mit Schnurmarionetten, Sketche schreiben und lustige Stimmen wiedergeben. Mich hinter Charakteren zu verstecken oder meine Späße auf Kosten der Masters zu treiben. Wir waren sehr subversiv und erzielten wahre Lachsalven. Ich spielte in einem Schul-Musical mit, Toad of Toad Hall (Der Wind in den Weiden), in dem ich die Zweite Feldmaus spielte. Das Angebot, die Erste Feldmaus zu spielen, habe ich glatt abgelehnt, als ich herausfand, dass die Zweite Feldmaus mehr Text hat.

Ich entwickelte mich zum „Folkie“, spielte in einem Trio Mundharmonika. Mit den Sinfield-Brüdern an Banjo und Gitarre machten wir hauptsächlich Blues. Es kam mir schon immer merkwürdig vor, wie sehr wir uns mit dem Kampf der Schwarzen im Süden der USA identifizierten – wenn man bedenkt, dass wir äußerst weiße Jungs in einem englischen Internat waren, Tausende von Meilen vom tiefen Süden entfernt. Ihre Songs wurden jedoch auch zu unseren Protestsongs, und wir legten los und sangen zu Sonny Terry und Brownie McGhee. Wir spürten, dass wir unterdrückt wurden, und ich nehme an, dass die Seele und der Geist dieser Musik unseren Empfindungen sehr nahe kamen.

Dann erschien der Rock’n’Roll auf der Bildfläche. Elvis hat uns das Leben gerettet. Er schien direkt für uns zu singen. Mit vierzehn wollte ich sehnlichst Gitarre spielen. Mit fünfzehn war es dann so weit.

Elvis war schon erstaunlich. Wir himmelten ihn an. Das erste Mal hörten wir ihn, als er im Sommer 1957 aus jeder Jukebox im Butlins Holiday Camp in Skegness Heartbreak Hotel sang – dazu schnippten Teddy Boys mit den Fingern, und die Mädels swingten zu dieser unheimlichen Stimme: „Well since my baby left me …“ Bei Schulbeginn drückten wir uns aufgeregt um die Internats-Glotze herum, um herauszufinden, ob die Zeitungen recht hatten: Zeigten die Kameras ihn von der Hüfte abwärts nicht mehr? Er tanzte, er swingte, er schwang diese Hüften, und wir hörten das Kreischen der Mädels. Aber unterhalb der Gürtellinie wurde im Fernsehen nichts gezeigt. Vielleicht lag es an der Hose. Elvis blieb während meiner kompletten Schulzeit unser Idol, und wir lauschten ihm unter der Bettdecke mit unseren Transistorradios. Als er dann später zur Army ging, hing das wie ein Nebel über uns. Es schien, als hätten die gewonnen. Die hatten ihm die Haare geschnitten und ihn nach Deutschland ausgeflogen. Dann starb auch noch Buddy Holly. Es war alles zu viel.

Im Ophny mussten wir vom elften Lebensjahr an jeden Montagnachmittag so tun, als wären wir in der Army. Es war Pflicht, der CCF (der Combined Cadet Force) beizutreten: Wir sind elf Jahre alt, finden uns draußen auf dem Sportplatz in Armeestiefeln wieder. Marschieren in kratzigen Uniformen auf dem Hof hin und her und lassen uns von Profi-Feldwebeln der Walsall-Kaserne anbrüllen. Was zum Teufel ist da los? Das Gurtband der Gamaschen zwickt mich bis heute, und ich rieche diese Blanco-Politur, mit der wir sie in Khaki anmalten. Beim Stiefelwienern und Messingputzen waren wir nicht nur für unsere eigenen Uniformen zuständig, sondern auch für den Senior Boy, denn während unseres ersten Schuljahres waren wir alle fags – Diener. Im britischen Internats-Sprech ist ein fag der Erste-Schuljahr-Sklave für den Stubenältesten. Er macht ihm den Toast, putzt seine Schuhe und erledigt Botengänge für ihn. „Charakterbildung“ ist, glaube, ich der Ausdruck dafür. Im Alter von vierzehn beherrschte ich nicht nur den Waffen-Drill und wusste ziemlich präzise mit einem Kaliber .303 Lee-Enfield-Gewehr zu schießen. Ich konnte auch ein Bren-Sturmgewehr blind auseinandernehmen. Sie luden uns dann in voller Montur irgendwo in den walisischen Bergen ab und sagten Tschüs. Wenn man Glück hatte, stolperte man nach sechs Stunden in ein Militärcamp in Nord-Wales, nur mit einem Kompass und einem Stück Käse ausgerüstet. Äußerst nützlich für die allgemeine Lebenserfahrung. Und mit Sicherheit hat mich das für die Python-Filme gerüstet …

Also klar, das war schon hart. Aber wir haben uns gewehrt. Haben unser eigenes Nachtleben organisiert. Unter unserem Dach gab es eine Mädchenschule. Wir sahen die Mädels immer in der Kapelle, weil Kirchgang zwei Mal pro Tag Pflicht war. Aber die waren auf ihrer Seite der Kanzel und wir auf unserer. Als mit Hormonen vollgepumpte Teenager versuchten wir natürlich, ihnen während der langen und unendlich öden Psalmen Botschaften zukommen zu lassen. Währenddessen war Gott gerade grausam zu den Kindern Israels. Was sagten wir doch über die Kinder Israels? „Wann werden die jemals erwachsen?“

Ich meldete mich freiwillig für die Stelle des Postjungen. Jeden Nachmittag sammelte ich die offizielle Post ein und brachte sie runter zum Briefkasten in der Penn Road. Ich kam durch die hinteren Tore der Jungenschule raus, bog nach links und ging die fünfzig Meter zum hinteren Tor der Mädchenschule, wo stets eine Traube junger Weiblichkeit abhing. Dort pflegte ich den Austausch von Höflichkeiten und heimlichen Liebesbriefen, die nicht für den öffentlichen Briefkasten bestimmt waren. Da standen kryptische Akronyme drauf, wie etwa SWALK (Kuss-versiegelt: „Sealed With A Loving Kiss“) und BURMA („Be Undressed Ready My Angel“ – Halte dich entkleidet bereit, mein Engel). Bei meiner Rückkehr fand ich dann hastig gekritzelte Antworten vor. Durch Hilfsbereitschaft und Flirten hatte ich bald eine Freundin ganz für mich.

In dem langen Schlafraum nächtigten wir nach Nummern sortiert. In der Reihenfolge hätten sie uns wohl auch scheißen lassen, wenn es ihnen möglich gewesen wäre. Meine Nummer war 63, und neben mir lag nach dem Zufalls­prinzip die 64, Halls Junior. Ein wunderbar subversiver Kerl, der zum Glück in meiner Klasse war. Wir hatten uns angewöhnt, aus den hinteren Gärten hinaus zum Weinladen zu schleichen und flaschenweise Mitchells und Butlers Old-English-Stout-Bier zu kaufen sowie Caerphilly-Käse. All dies wurde dann nach dem „Licht-aus“-Kommando in der behaglichen Wärme des Metallofens der Wanderhütte verköstigt. Dort trafen sich die Pfadfinder tagsüber, während wir uns dort bei Nacht entspannten und Tabak der Sorte Balkan Sobranie in Tonpfeifen rauchten – oder Baby-Bottom-Tabak (Marke Kinderpopo) durch langstielige Rosenholz-Kirchenvorsteher-Pfeifen. In jenem Stadium legten Halls Junior und ich noch eine Schippe drauf. Es wurde uns klar, dass die Mädchenschule natürlich furchtbar verboten war, aber eben auch verdammt nah: Es gab keine richtigen Türen zwischen den Haupteingängen der Jungen- und der Mädchenschule. Alles, was wir tun mussten, war, fünfzig Meter Dunkelheit aushalten, schon waren wir da. Zum Glück hatte uns das Kadettenkorps ja beigebracht, wie man nachts geräuschlos umherschlich. Also gingen wir auf Erkundungstour, und es lief perfekt: Niemand war so früh am Morgen auf den Beinen. Derart ermutigt, enterten wir die Treppe zum Mädchenschlafraum und schritten zum Date mit unseren jeweiligen Liebschaften. Wir führten sie zur Wanderhütte, wo wir dann eine Flasche mit süßem Martini genossen und ein bisschen Babycham, einen billigen Birnen-Schampus.

Diese Mitternachts-Meetings liefen eine ganze Zeitlang, bis sich das dann schließlich herumsprach und auch andere Jungs anfingen, diese aufregende Chance zu nutzen. Am Ende war es nicht mal ungewöhnlich, dass man nachts von einem Mädchen aufgeweckt wurde, mit der Frage, wo Soundso denn schlafe. Am Ende war dieses heimliche Nachtleben der Schule so ausgefuchst, dass wir den Schlüssel zum Swimming Pool klauten und kopierten – dabei handelte es sich um ein stinkendes grünes, dampfendes Höllenloch. Wenn du mit den Mädels schwimmen wolltest, musstest du nur nach den Hausaufgaben deinen Namen auf einer Liste eintragen. Du wurdest dann geweckt und mit einer Taschenlampe durch die byzantinischen Korridore geführt – zum Pool hinunter, wo schon eine kleine Schar von Mädels in Morgenmänteln auf dich wartete.

Es ist schon irre, dass wir nie erwischt wurden. Der Grund war natürlich, dass die Stubenältesten beteiligt waren – dadurch natürlich total kompromittiert. Ganz schön schwierig, andere Jungs auffliegen zu lassen, wenn man selbst eine süße Begleitung im Bett hat. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie oft all dies zu vollem Verkehr führte. Ich glaube, ein großer Teil lief auf das hinaus, was man in jenen Tagen „heavy petting“ nannte. Denn abgesehen von all diesen Gelegenheiten schrieb ich mich als Jungfrau in Cambridge ein. Wenn ich es auch im Gegensatz zu Isaac Newton nicht dabei belassen habe …

€9,99

Žanrid ja sildid

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438 lk 98 illustratsiooni
ISBN:
9783854456582
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Bookwire
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Mustand
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