Lebendige Seelsorge 2/2017

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Lebendige Seelsorge 2/2017
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INHALT

THEMA

Die Wahrheit im und am Krankenbett

Angst und Hoffnung teilen Von Ernst Engelke

Sterben ohne Angst – wie geht das?

Von Claudia Bausewein

Die Lebens- und Sterbenswirklichkeit wahrnehmen

Die Replik von Ernst Engelke auf Claudia Bausewein

Auch die Zeit des Sterbens kann Quelle der Hoffnung sein

Die Replik von Claudia Bausewein auf Ernst Engelke

„Sterbegröße“. Wie Literaten auf das Sterben blicken

Von Erich Garhammer PROJEKT

Professionspolitische Konkurrenz am Sterbebett

Die Frage des „würdigen“ Sterbens im 19. Jahrhundert Von Karen Nolte

INTERVIEW

Hebammendienst zur zweiten Geburt

Ein Gespräch mit Gottfried Amendt

PRAXIS

Die Würde des Sterbens auf der Palliativstation

Von Susanne Röder

Sterben in Würde aus Sicht der SAPV

Von Elisabeth Köhler

Zwischen Herausforderung und Gewöhnung: die Sicht einer Krankenschwester

Von Regina Raps

Sterbebegleitung im Kloster

Von Sr. Paula Helm OSB

Smart sterben – Tod 4.0

Sind End-of-Life-Center unsere Zukunft? Von Ernst Engelke

FORUM

Nicht nur am siebten Tage sollst du ruhen

Erholung aus pastoralpsychologischer Perspektive Von Martin Kempen

Kirchgänge

Alex Stock zum Gedenken Von Hermann Pius Siller

POPKULTURBEUTEL

Champing

Von Bernhard Spielberg

NACHLESE

Glosse von Annette Schavan

Buchbesprechungen

Impressum

EDITORIAL


Erich Garhammer Schriftleiter

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sterbende möchten leben und in ihrem Kampf gegen den Tod begleitet werden, so der Psychologe und Theologe Ernst Engelke. Aber von ihnen wird erwartet, in ihr Sterben einzuwilligen. Ein guter Begleiter dagegen teilt Angst und Hoffnung des Sterbenden, er weiß um seine Ambivalenzen. Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein betont die Kraftquellen und Ressourcen von Schwerkranken. Sie wollen die Zeit des Sterbens oft bewusst erleben und gestalten und eine Lebensbilanz ziehen. Deshalb warnt sie vor einem Schubladendenken in Sachen Sterben: Die Zustimmungsnötigung zum Sterben von Elisabeth Kübler-Ross hält sie genauso wenig zutreffend wie eine generelle Ablehnungsthese.

Erich Garhammer befragt Literaten auf ihre Einstellung zum Sterben und stößt auf bemerkenswerte Befunde. Der Begriff „Sterbegröße“ (Thomas Hürlimann) taucht ebenso auf wie der Wunsch, den letzten Weg als ein Abenteuer zu verstehen. „Der Weg, den du jetzt gehst, gehen alle, aber du zum ersten Mal“ (Adolf Muschg). Die Medizinhistorikerin Karen Nolte beschreibt die professionspolitische Konkurrenz der Helferberufe am Sterbebett im 19. Jahrhundert. Die Ärzte verstanden sich als die besseren Seelsorger, als die „Priester der Natur“ und sahen sich neben der medizinischen Sterbebegleitung auch zuständig für die religiöse Sterbebegleitung. Diese Zeiten sind längst vorbei: das therapeutische Team ist angesagt, in dem der professionelle Seelsorger eine spezifische Aufgabe hat. Gottfried Amendt versteht seine Rolle am Sterbebett als „Hebammendienst zur zweiten Geburt“.

Die Würde des Sterbens in der palliativen Arbeit nehmen Susanne Röder und Elisabeth Köhler aus ärztlicher und Regina Raps aus pflegerischer Perspektive in den Blick. Sr. Paula Helm schreibt über Sterbebegleitung im Kloster. Deutlich wird: die Begleitung in den letzten Lebenswochen ist eine der intensivsten Erfahrungen. Wenn sie gelingt, können alle gestärkt hervorgehen.

Dabei soll die Dimension der Überforderung nicht verschwiegen werden, die oft zu anderen Lösungen greifen lässt. So stellt Ernst Engelke in seinem Schlussbeitrag die provokante Frage, ob wir nicht auf dem Weg in eine Euthanasie mit gesundheitsökonomischer Selbsttötung sind. Seine Beobachtungen sind ein Aufruf, weiter personell, finanziell und kulturell in eine andere Richtung zu investieren: in die Würde des Sterbens.

Eine nachdenkliche, aber auch österlich geprägte Lektüre wünscht Ihnen Ihr


Prof. Dr. Erich Garhammer

Schriftleiter

THEMA

Die Wahrheit im und am Krankenbett

Angst und Hoffnung teilen

Was erlebt ein Mensch und wie verhält er sich, wenn sein Leben durch eine Krankheit bedroht wird? Diese Fragen haben Menschen zu allen Zeiten bewegt und sie sind sehr verschieden beantwortet worden. Die Antworten auf diese Fragen entscheiden mit darüber, wie Sterbenskranke und Sterbende begleitet werden. Ernst Engelke

Die Kommunikation zwischen gesunden und sterbenskranken Menschen erinnert oft an ein Spiel, in dem ein Schachspieler und ein Damespieler nach ihren eigenen Regeln an einem B(r)ett miteinander spielen. Das Spiel kann nicht gelingen: Sie verstehen sich nicht und spielen aneinander vorbei. Das Ziel gelingender Kommunikation ist aber, sich zu verstehen. Dadurch und durch gemeinsames Handeln entsteht Gemeinschaft. Darauf sind Sterbenskranke und Sterbende in besonderer Weise angewiesen.

Sterbenskrank ist jemand, dessen Leben von einer todbringenden Erkrankung bedroht ist. Sterbende haben nur noch wenige Tage oder Stunden zu leben. Sterbenskranke und Sterbende erleben ihre körperlichen Grenzen, die Bedrohung ihres Lebens und ihr Ausgeliefertsein an andere Menschen. Sie sind davon abhängig, dass gesunde Menschen sich auf sie einstellen und sich ihnen zuwenden.

STERBEN NACH PLAN?

In der modernen Medizin wird seit Johann Lukas Schönlein (1793–1864) Kranksein aus biologisch-medizinischer Sicht als Prozess verstanden und mit Stadien oder Phasen der Entwicklung beschrieben. In gleicher Weise wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts Sterben aus psychologischer Sicht ebenfalls als ein Prozess beschrieben, in dem der Sterbende bestimmte Phasen durchlebt. Das bekannteste Phasenmodell ist von Elisabeth Kübler-Ross 1969 vorgestellt worden. Das Modell ist mit seinen fünf Phasen in seiner Art deskriptiv, wird aber oft so verbreitet und aufgenommen, als sei es präskriptiv (ein Fahrplan für das Sterben). In der internationalen Sterbeforschung wurden von Anfang an gravierende, sozialwissenschaftlich fundierte Einwände gegen dieses Phasenmodell und generell gegen Modelle, die das Sterben mit gestuften Verhaltensweisen beschreiben, angeführt. Neben den methodischen Fehlern wird bemängelt: Mit der Generalisierung und Standardisierung des Verhaltens (leugnen, erzürnen, verhandeln, depressiv sein, zustimmen) werden das Persönliche des Sterbenden und seine Einzigartigkeit missachtet. Obgleich Kübler-Ross in ihrem Buch sogar

Ernst Engelke

geb. 1941, Dr. theol., Prof. em. für Soziale Arbeit in Würzburg, zuvor Klinikseelsorger; seit 2001 Engagement im Palliativ- und Hospizzentrum der Stiftung Juliusspital Würzburg; seit 1975 Publikationen zu Sterbeforschung, Palliative Care, Hospizarbeit und zur Sozialen Arbeit. selbst betont, dass Sterbende „ihren persönlichen Stil, ihre gewohnten Verhaltensweisen“ (Kübler-Ross, 36) auch im Sterben nicht aufgeben, besteht sie darauf, dass jeder Sterbende diesen Prozess durchmacht.

Die Studien der empirischen Sterbeforschung haben dagegen ergeben: Den Sterbenden gibt es nicht und ein gesetzmäßiger Verlauf des Sterbens, dem alle Menschen unterliegen, ist auch nicht zu erkennen. Mit dem Satz „Individualität und Universalität verbinden sich beim Sterben“ hat Richard Kastenbaum die Erkenntnisse der Sterbeforschung auf den Punkt gebracht (Kastenbaum, 126–149). Aus Sicht eines Sterbenskranken: „Das Faszinierende am Tode ist folgendes: Der Tod ist das Allgemeinste und zugleich das Individuellste“ (Noll, 109). So, wie das Leben eines jeden Menschen einzigartig ist, ist auch sein Sterben einzigartig. Dennoch gibt es Übereinstimmungen im Sterben aller Menschen: Typisches im Individuellen eben, Gemeinsames und Persönliches.

 

Gemeinsames: Jeder Sterbenskranke kommt zu Erkenntnissen, die für das Sterben typisch sind und die er nicht ignorieren kann. Da ist vor allem die Erkenntnis: „Mein Leben ist durch meine Krankheit bedroht.“ Jeder Sterbende muss Aufgaben, die für das Sterben typisch sind, lösen. So muss er zum Beispiel entscheiden, wie er mit seiner Lebensbedrohung umgehen will. Und jeder Sterbenskranke muss typische Einschränkungen, die mit seiner Erkrankung einhergehen, ertragen, zum Beispiel nicht mehr gehen zu können.

Persönliches: Jeder Mensch geht auf seine ganz persönliche Weise mit diesen für das Sterben typischen Erkenntnissen, Aufgaben und Einschränkungen um. Wie der Sterbende damit umgeht, hängt von vielen Faktoren ab. Das sind zum Beispiel seine Persönlichkeit, seine Biographie, seine körperlichen, psychischen, sozialen, finanziellen, religiösen und spirituellen Ressourcen, seine Einstellung zum Leben und zum Sterben, die Art, Schwere und Dauer der Erkrankung, die Therapie mit ihren Nebenwirkungen, die Qualität der ärztlichen Behandlung und der Pflege sowie die Einstellungen, Erwartungen und das Verhalten der Angehörigen, Pflegenden, Ärzte und der Gesellschaft (vgl. Engelke 2015, 63–70).

DER KAMPF GEGEN DEN TOD

Unheilbar erkrankte Menschen kennen in der Regel ihre Lage und sind sich bis auf wenige Ausnahmen ihrer Lebensbedrohung bewusst, ohne dass sie eigens von irgendjemandem darüber aufgeklärt werden müssen. Offen ist, ob sie ihr Wissen mitteilen, wem sie sich anvertrauen, wann und wie sie es tun. Der behandelnde Arzt bestätigt zumeist nur, was die Patienten schon befürchtet haben, ausgenommen bei Zufallsbefunden. Fast immer wird erwartet: Sterbenskranke sollen einsehen, dass sie sterben müssen, und dem zustimmen. Genau das können und tun Sterbenskranke und auch Sterbende aber nicht. Ärzte, Pflegende, Seelsorger und auch Angehörige sollten akzeptieren: Sterbenskranke und auch Sterbende wehren sich für gewöhnlich bis zuletzt gegen ihr Schicksal und hoffen immer noch auf ein Wunder. Sie möchten leben und in ihrem Kampf gegen den Tod begleitet werden. Sie geben ihren Widerstand erst dann auf, wenn sie vom Kampf erschöpft mit ihren Kräften am Ende sind.

Elementare Bedürfnisse dominieren die Sterbenskranken und besetzen ihre Aufmerksamkeit, ihre Interessen und ihre Valenzen. Wenn wir gesund sind, bemerken wir unseren Körper kaum. Das ist anders, wenn unser Körper nicht mehr funktioniert. Atemnot, Schmerzen, Durchfall oder Erbrechen stören und beherrschen uns. Dann sind wir nicht mehr offen für das Schöne und Leichte im Leben. Sterbenskranke kennen nur ein Thema: ihre lebensbedrohliche Erkrankung und den Wunsch zu leben. Sie sprechen fast nur noch von den schlechten Nachrichten, ihrem Protest und Zorn, ihren Schmerzen und Konflikten, ihren Ängsten und Hoffnungen, ihren Verlusten und ihrer Trauer, ihrem Wunsch nach Ruhe und Frieden. Die lebensbedrohliche Erkrankung scheint nicht nur den Körper, sondern auch die Gedanken zu besetzen; sie ist der rote Faden, der sich durch alles zieht. Sterbenskranke sind auf Menschen, die ihnen zuhören, angewiesen.

Der Lebensweg Sterbenskranker ist oft eine einzige Kette von Verlusten. Sie verlieren nach und nach alles, was für sie das Leben ausgemacht hat. Viele kleine Verluste überlagern sich und es gibt kaum Zeit und Raum, ausreichend und angemessen zu trauern – zumal Trauernde und Klagende nicht so gern gesehen sind wie Frohe und Zufriedene. Sterbende und alternde Menschen sind immer auch trauernde Menschen; ihr Trauern unterscheidet sich in der Regel von der (psychiatrischen) Depression. Die Sprache der Sterbenden ist eigen, kreativ und tiefgründig. Sterbenskranke erzählen und äußern sich, indem sie ihr Erleben, ihre Hoffnungen und Ängste mit Bildern, Symbolen, Metaphern und metaphorischen Vergleichen beschreiben. Diese stammen aus ihrem Leben und sind daher biographisch zu entschlüsseln und zu verstehen: Der Schriftsteller verschreibt die letzte Tinte. Der Arzt macht seine letzte Visite.

Die persönlichen Eigenschaften und Verhaltensmuster sowie die Kommunikations- und Beziehungsmuster werden durch die Bedrohung verstärkt: Ruhige Menschen werden zum Beispiel ruhiger, zornige Menschen werden zorniger. Eine lebensbedrohliche Erkrankung schweißt die betroffenen Menschen und ihre Partner nicht automatisch zusammen. Vielmehr gilt: Stabile Beziehungen werden stabiler und zerbrechliche Beziehungen werden zerbrechlicher. In der alten Umgebung (Wohnung, familiales Umfeld usw.) dauern alte Probleme an, potenzieren sich. In einer neuen Umgebung (Krankenhaus, professionelles Umfeld usw.) entstehen neue Probleme, viele alte Probleme bleiben.

Die persönlichen Eigenschaften und Verhaltensmuster werden durch die Bedrohung verstärkt.

DIE AMBIVALENZ VON ANGST UND HOFFNUNG

Jeder von uns empfindet in bestimmten Lebenssituationen Angst. Angst begleitet uns von der Geburt bis zum Tod. Sie gehört zu unserer Existenz und spiegelt unsere Abhängigkeiten. Jeder lebt Angst so, wie sie zu ihm und seiner Persönlichkeit passt. Wir können Angst nicht vermeiden oder ausschalten. Versuche, Angst zu unterdrücken, gelingen auf Dauer nicht. Wir sehnen uns nach einem angstfreien Leben und sind dankbar, wenn uns jemand verspricht, dass er uns unsere Angst nehmen kann. Das gilt insbesondere für unsere Angst vor dem Sterben. Denn die Angst vor dem Sterben spielt eine Schlüsselrolle in unserem Leben, auch wenn sie uns nicht immer bewusst ist. Auch Jesus kannte die Todesangst (Lk 22,39–44). Wir sollten uns bewusst sein: Die boomende Gesundheitsindustrie lebt letztlich von unserer Todesangst.

Unsere Angst kann uns lähmen, sie kann uns aber auch aktivieren. Wir können Gegenkräfte gegen sie entwickeln: Hoffnung, Mut, Vertrauen, Erkenntnis, Glaube und Liebe. Ängste werden dann am besten überwunden, wenn wir bereit sind, sie uns einzugestehen und auszuhalten, so lange, bis sie abnehmen. Das kann dauern. Die behutsame Begleitung durch jemanden, der jetzt gerade nicht von Angst besetzt ist, kann es erleichtern, Angst auszuhalten. Hoffnung ist eine unserer Grundempfindungen,

konträr zur Angst. Hoffnung ist ein Prinzip unseres Lebens, eine innerliche optimistische Haltung. Wir erwarten, dass etwas Gewünschtes in Zukunft eintritt, ohne dass es gewiss ist. Wir hoffen über den Tag hinaus und träumen von einem besseren Leben.

Hoffnung und Sehnsucht gehören auch zum Leben Sterbenskranker und Sterbender.

Hoffnung und Sehnsucht gehören auch zum Leben Sterbenskranker und Sterbender. Sie helfen ihnen, den Tag zu überleben. Und so träumen sie, dass eines Tages alles wieder gut sein wird. Dabei ist es gleichgültig, ob die Hoffnung realistisch und berechtigt oder trügerisch und unberechtigt ist. Sterbenskranke und Sterbende haben ein Recht auf Hoffnung und pochen auch darauf, noch Hoffnung haben zu dürfen. Sie hoffen auf die Hochleistungsmedizin, auf neue Therapien und Medikamente. Aus Sicht der Gesunden ist es Überversorgung, aus Sicht Sterbenskranker aber Grund ihrer Hoffnung, dass der Sterbezeitpunkt noch in weiter Ferne liegt. Wenn ein Sterbender überhaupt keine Hoffnung mehr zu erkennen gibt, ist das meistens ein Zeichen dafür, dass sein Tod unmittelbar bevorsteht.

Für gläubige Menschen ist Hoffnung kein gewöhnlicher Optimismus. Gläubige Menschen erhoffen, dass Gott eingreift. Die religiös begründete Hoffnung basiert auf dem Glauben, dass Gott den Tod des Menschen nicht will, der Tod nicht zum Leben gehört und der Mensch auch nach seinem Tod weiterleben wird.

Bei Sterbenskranken ist das Gleichgewicht von Angst und Hoffnung labil. Die Stimmung kann sehr schnell von der Hoffnung zur Verzweiflung und von der Verzweiflung zur Hoffnung kippen. Wenn die Begleiterscheinungen des Sterbens heftiger werden und der Lebensraum enger wird, gelingt es immer seltener, Angst und Hoffnung auszubalancieren, ausgeglichen zu sein.

Es ist ein alter Gedanke: Je schärfer und unerbittlicher wir eine These formulieren, desto unwiderstehlicher ruft sie nach der Antithese. Sterbenskranke reagieren heftig, wenn einseitig versucht wird, sie positiv aufzubauen. Wenn einem Sterbenskranken nur von Hoffnung, Optimismus, positivem Denken und guten Aussichten erzählt wird, dann wird er vermutlich antworten: „Ja, aber …“ und dem seine Angst entgegenstellen. Wenn ihm nur mit Angst, Pessimismus, negativem Denken und schlechten Aussichten begegnet wird, dann wird er geradezu gezwungen, von seiner Hoffnung zu erzählen: „Ja, aber mir geht es schon wieder besser.“ Für Entspannung kann das Wörtchen „und“ sorgen. Mit ihm wird die Verbindung von Hoffnung und Angst ausgedrückt: „Du hast Angst und Du hoffst.“

SOLL DIE BEGLEITUNG GELINGEN …

Dafür gibt es weder verbindliche Modelle noch feste Regeln oder Standardsätze. Gute Absichten allein reichen nicht aus. Die Kommunikation mit Sterbenskranken ist zu komplex. Mit festgelegten Vorgaben kann man sie nicht meistern. Begegnungen mit Sterbenskranken finden im Hier und Jetzt statt. Damit sind die unmittelbaren Vorgänge hier in diesem konkreten Krankenzimmer, in dieser Klinik, in diesem Heim und jetzt genau zu diesem Zeitpunkt gemeint. Im Hier und Jetzt zeigt sich, was Sterbenskranke und Sterbende bewegt und was ihnen wichtig ist. Die realen Bedingungen der jeweiligen Situation, die Lebenswirklichkeit und die Charaktereigenschaften aller Beteiligten sowie die Komplexität von Kommunikation überhaupt sind zu berücksichtigen. Immer konfrontieren die Begleiter die Sterbenden mit ihrer Gesundheit und die Sterbenden die Begleiter mit ihrem Sterben.

Ein wirklicher Begleiter geht einen kleinen Schritt hinter dem Sterbenskranken oder Sterbenden her, lässt ihm den Vortritt, folgt ihm bescheiden und geduldig. Im Gespräch nimmt sich der Begleiter zugunsten des Sterbenskranken zurück und lässt ihn „zu Wort“ kommen. Er fühlt sich nicht genötigt, den Sterbenskranken aus seiner Trauer zu reißen oder reinen Optimismus und positives Denken zu verbreiten, sondern hält den Zorn und die Trauer mit ihm aus.

Ein achtsamer Begleiter versucht zu erkennen, was den Sterbenskranken bewegt und umtreibt. Er weicht nicht von der Seite, wenn die Klagen über das Unglück nicht aufhören, die Angst vor weiteren Verlusten sich ausbreitet, der Neid auf die Gesunden und das Weinen über das eigene Los nicht aufhören.

Ein zugewandter Begleiter lässt den Sterbenskranken seine Einmaligkeit erfahren und teilt seine Angst und seine Hoffnung; denn er weiß: Trösten heißt treu sein. ■

LITERATUR

Engelke, Ernst, Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker. Wie Kommunikation gelingen kann, Freiburg i. Br. 2012.

Ders., Die Wahrheit über das Sterben. Wie wir besser damit umgehen, Reinbek bei Hamburg 2015.

Kastenbaum, Robert, Death, Society, and Human Experience, New York 2007.

Kübler-Ross, Elisabeth, On Death and Dying. What the dying have to teach doctors, nurses, clergy, and their own families, London 1969. (Deutsch: Interviews mit Sterbenden, 1972)

Noll, Peter, Diktate über Sterben und Tod. Mit der Totenrede von Max Frisch, München 2005 (1984).

Sterben ohne Angst – wie geht das?

Was passiert in den letzten Stunden des Lebens? Wie kann ein friedliches und angstfreies Sterben ermöglicht werden angesichts einer immer technischer werdenden Medizin, in der Sterben scheinbar keinen Platz hat. Die Palliativmedizin und Hospizarbeit widmen sich besonders der Begleitung von Menschen in den letzten Lebensmonaten und -wochen. Claudia Bausewein

In Deutschland sterben jährlich über 850.000 Menschen, die meisten an chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, nach einem Schlaganfall oder an Demenz (vgl. Destatis). Jeder Vierte stirbt an den Folgen einer Krebserkrankung. Der medizinische Fortschritt führt dazu, dass die Lebenserwartung weiter steigt, wobei das für viele Menschen bedeutet, dass sie im Lauf der Jahre unter mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden, die zu stärkeren Einschränkungen und Gebrechlichkeit führen. Der Wunsch der meisten Menschen ist es, zu Hause zu sterben. Tatsächlich verstirbt aber nahezu jeder zweite im Krankenhaus. Und immer mehr Menschen sterben in Alten- und Pflegeheimen. Diese Zahl wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen.

PALLIATIVMEDIZIN

Die Palliativmedizin hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Deutschland zunehmend als eigene medizinische Fachrichtung entwickelt. Ihre Aufgabe ist die ganzheitliche Begleitung von Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen und begrenzter Lebenserwartung mit dem Ziel, die Lebensqualität in der verbleibenden Lebenszeit zu verbessern, auch wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist. Dazu gehört die Beachtung der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte des Patienten. Die Begleitung schließt die Angehörigen mit ein, da diese von der Erkrankung und dem nahenden Lebensende des Patienten genauso mitbetroffen sind (vgl. WHO). Palliativbetreuung sollte schon frühzeitig im Krankheitsverlauf ab der Diagnose der Unheilbarkeit einer Erkrankung angeboten werden, auch in Verbindung mit anderen krankheitsorientierten Therapien. Es konnte gezeigt werden, dass frühzeitige Palliativbetreuung einen positiven Verlauf auf die Grunderkrankung nehmen kann und sogar lebensverlängernd wirkt (vgl. Temel). Zur Grundhaltung in der Palliativbetreuung gehört es, das Leben zu bejahen und das Sterben als normalen Prozess zu sehen. Der Tod soll nicht hinausgezögert, aber auch nicht beschleunigt werden (vgl. WHO).

 

Claudia Bausewein

geb. 1965 in München, Prof. Dr. med., Internistin; seit über 30 Jahren in der Hospizbewegung und Palliativmedizin; wiederholte Aufenthalte in England, darunter fünf Jahre am Cicely Saunders Institute des King’s College London; seit 2012 Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München und Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der englische Begriff „Palliative Care“ bringt noch besser zum Ausdruck, was hinter Palliativmedizin steckt. Das Wort „care“ – Fürsorge, Versorgung geht über die reine medizinische Betreuung hinaus und macht auch deutlich, dass es nicht nur um ärztliche Betreuung geht, sondern dass den vielfältigen und komplexen medizinischen, psychosozialen und spirituellen Problemen der Betroffenen oft nur durch ein multiprofessionelles und interdisziplinäres Team begegnet werden kann. Die Palliativmedizin und die Hospizbewegung sind eng miteinander verbunden, haben sie doch dieselben Wurzeln in Dame Cicely Saunders, die 1967 St. Christopher’s Hospice in London gründete.

Die Entwicklung der Hospizbewegung und Palliativmedizin in Deutschland in den letzten 30 Jahren ist beeindruckend. Aus einer Initiative Einzelner ist die Hospizbewegung mit über 80.000 ehrenamtlichen Helfern zu einer Bürgerbewegung geworden. Die Palliativmedizin hat sich als medizinisches Fachgebiet etabliert und durch die Einrichtung von Lehrstühlen Einzug in Universitäten gefunden.

Palliativmedizinische und hospizliche Betreuung wird in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens angeboten, abhängig von der Situation und den Bedürfnissen der Patienten. In den über 300 Palliativstationen werden Patienten mit komplexen Beschwerden betreut, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen. Ziel ist aber eine Entlassung nach Hause oder in ein stationäres Hospiz. Dort können die Patienten auch über einen längeren Zeitraum bleiben, bis sie sterben. Im ambulanten Bereich gibt es in vielen Gegenden Deutschlands immer mehr multi-professionelle Teams in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), die Patienten zu Hause betreuen und häufig ermöglichen, dass sie auch zu Hause sterben können. Unterstützt werden die spezialisierten Palliativdienste durch ambulante Hospizvereine mit vielen ehrenamtlichen Helfern.

LINDERUNG VON BELASTENDEN SYMPTOMEN

Im Fokus der palliativmedizinischen Betreuung steht die Linderung von belastenden Symptomen, die durch die Erkrankung entstehen, und nicht die Behandlung der Grunderkrankung (z. B. eines Tumorleidens). Die am häufigsten beklagten Symptome sind Schmerzen, Schwäche, Gewichtsverlust, Atemnot, Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung. Die Behandlung dieser Beschwerden erfolgt überwiegend über Medikamente, unterstützt durch Gespräche, Atemtherapie und Physiotherapie. Zudem haben Patienten oft Ängste und Sorgen, wie es weitergeht, oder leiden unter einer Depression. Aber auch spirituell-existentielle Fragen beschäftigen Menschen am Lebensende. Solange Patienten unter unkontrollierten Beschwerden leiden, ist es schwer für sie, sich mit wichtigen Fragen, die am Lebensende auftauchen, auseinanderzusetzen.

KOMMUNIKATION

Die Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen spielt eine große Rolle bei jeder medizinischen Behandlung. Am Lebensende bekommt sie aber noch einmal eine besondere Bedeutung, da es vielen Menschen schwerfällt, über Sterben und Tod zu sprechen. Es ist oft einfacher, über eine erneute Chemotherapie zu sprechen oder neue Untersuchungen anzuordnen, als über die Ernsthaftigkeit der Situation zu reden und, dass trotz aller medizinischen Bemühungen die Krankheit voranschreitet und das Leben vorzeitig beenden wird. Was Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen v. a. brauchen, ist ein wahrhaftes und einfühlsames Gespräch, in dem sie ihre Sorgen und Nöte äußern können. Sich als Mensch akzeptiert und verstanden zu fühlen, in seiner Ganzheit mit allen Freuden und Leiden, seien sie körperlicher, psychischer, sozialer oder spiritueller Natur. Die entscheidende Frage ist oft nicht, was dem Patienten gesagt wird, sondern wie der Kontakt gesucht wird. Durch einen wahrhaften Umgang mit all den Informationen, die der Patient braucht und möchte, bekommt der Patient die Möglichkeit, das zu regeln, was für ihn wichtig ist, und sich mit der Frage nach dem Sinn seines Lebens und Sterbens auseinanderzusetzen. Dabei bestimmt der Betroffene in der Begleitung und in den Gesprächen die Inhalte und die Intensität.

Entscheidend ist oft nicht, was dem Patienten gesagt wird, sondern wie der Kontakt gesucht wird.

BETREUUNG IN DER STERBEPHASE

In den letzten Lebenstagen ist es Aufgabe der Palliativmedizin, ein würdevolles und friedliches Sterben zu ermöglichen. Um unnötiges Leiden zu vermeiden, müssen die körperlichen Beschwerden, sei es bereits bestehende oder neu dazugekommene, weiter therapiert werden. Das ist in der Regel gut möglich.

In dieser Zeit brauchen die Angehörigen häufig mehr Unterstützung als der Patient. Die Zeit des Abschieds ist besonders schwer und viele wissen nicht, was sie erwartet, wenn ein Mensch stirbt. Erklärung, was in der Sterbephase passiert und welche Veränderungen voraussichtlich auftreten werden, gibt ihnen Sicherheit. Es ist wichtig, den Angehörigen Raum für ihre Sorgen und Ängste zu geben und sie zu unterstützen, beim Patienten zu sein, aber auch auf sich selbst zu achten.

WAS BEWEGT MENSCHEN AM LEBENSENDE? WAS HILFT IHNEN?

Das Sterben wirkt wie ein Brennglas für das Leben, vieles wird noch einmal dicht und konzentriert.

Die Fragen und Themen, die Menschen am Lebensende beschäftigen, sind so vielfältig wie das Leben selbst. Und doch gibt es eine Reihe von existentiellen Fragen, die immer wieder auftauchen, vielleicht aber nicht immer ausgesprochen werden. Warum bin ich krank geworden? Warum muss ich (jetzt schon) sterben? Warum kann ich meine Kinder nicht groß werden sehen? Was habe ich in meinem Leben erreicht? Habe ich die Menschen um mich herum genug geliebt? Warum lässt Gott das zu? Viele dieser spirituellen und existentiellen Fragen sind grundsätzliche Fragen des Lebens, die eigentlich nicht erst am Lebensende gestellt werden sollten. Das Sterben wirkt aber wie ein Brennglas für das Leben, vieles wird noch einmal dicht und sehr konzentriert. Dann bekommen diese Fragen unter Umständen eine besondere Vehemenz.

Viele dieser existentiellen und spirituellen Fragen haben keine Antworten, zumindest keine einfachen. Patienten erwarten auf diese Fragen von den professionellen Betreuern, seien es Ärzte, Psychologen oder Seelsorger, auch keine Antworten. Diese Antworten kann, wenn überhaupt, nur der Betroffene selbst finden. Aufgabe der Betreuer und Begleiter ist es vielmehr, einen geschützten Raum und eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen, damit die notwendigen Prozesse stattfinden können, um Antworten zu finden. Oder es mit auszuhalten, wenn es keine Antworten gibt. Damit Menschen ihren eigenen Weg am Lebensende gehen können, ist es wichtige Voraussetzung, unter möglichst wenig belastenden Krankheitsbeschwerden zu leiden, aber genauso ein offenes Ohr, Zeit und Absichtslosigkeit, den Patienten irgendwo hinführen zu wollen.

Häufig bewegen die Menschen auch Sorgen und Ängste: Was passiert beim Sterben? Werde ich starke Schmerzen haben? Gibt es einen Todeskampf? Viele fürchten die Zeit des Sterbens mehr, als tot zu sein. Für andere ist die Vorstellung des nicht mehr Seins äußerst beängstigend. Wichtig ist es zunächst, dass die Sorgen und Ängste ausgesprochen werden können. Oft hilft es schon, wenn sie abgeladen werden dürfen und ein anderer sie hört. Viele Ängste beruhen auf eigenen Vorstellungen, früheren Erfahrungen oder Erzählungen anderer, müssen aber nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen.

So ist Sterben selbst nicht automatisch ein schmerzhafter Prozess. Wenn Schmerzen auftauchen, hängen sie in der Regel mit der Grunderkrankung zusammen und waren vermutlich auch schon vorher da. Auch können wir eine Agonie im Sinn eines qualvollen Todeskampfs zumindest von außen nicht beobachten. Wenn ein Mensch unter Unruhe, rasselnder Atmung oder Verwirrtheit leidet, können diese Symptome in der Regel gut durch Medikamente gelindert werden. Oft hilft es den Patienten, wenn sie es wünschen, mit ihnen darüber zu sprechen, was erfahrungsgemäß in der Sterbephase passiert, dass sie immer schläfriger werden, die Wachphasen abnehmen, auch das Interesse an Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme abnimmt, und die meisten Menschen friedlich einschlafen. Das zu hören, beruhigt viele und so können manche Ängste genommen werden.

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