Loe raamatut: «Praktische Fälle zum Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen»
Praktische Fälle zum Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen
100 Fälle mit Lösungen
Von
Ernst-Dieter Bösche
Bürgermeister a. D.
Stadtdirektor a. D.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© Verlag W. Reckinger GmbH & Co. KG, Siegburg, 2014
Umschlaggestaltung: Huwer Grafik Design, Hürth
Titelbild: © Igor Mojzer-fotolia.com Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt E-Book-Erstellung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH, Saarbrücken ISBN 978-3-7922-0159-6 1. Auflage 2014
Vorwort
Ziel des Buches ist es, die vielfältigen kommunalrechtlichen Probleme anhand von praktischen Fällen darzustellen und durch deren Lösung ein größeres Verständnis für die Zusammenhänge zu schaffen. Außerdem soll es veranschaulichen, welche Fallgestaltungen denkbar sind und der Übung für Klausuren dienen.
Die Fälle sind so konzipiert, dass jeweils mit einem Fall ein Problem dargestellt und bearbeitet wird. Daneben enthält das Buch umfangreichere Fälle, die mehrere verschiedene Problembereiche umfassen. Es wird empfohlen, sich zunächst selbst an der Lösung zu versuchen und erst danach die Lösung im Buch nachzulesen und nachzuvollziehen.
Das Buch richtet sich insbesondere an Studierende der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und der Studieninstitute für kommunale Verwaltung.
Erftstadt-Kierdorf, September 2014 | Ernst-Dieter Bösche |
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Abkürzungsverzeichnis
Abs. | Absatz |
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AöR | Anstalt öffentlichen Rechts |
Art. | Artikel |
BauGB | Baugesetzbuch |
BekanntmVO | Bekanntmachungsverordnung |
BesGr. | Besoldungsgruppe |
BGB | Bürgerliches Gesetzbuch |
d. h. | das heißt |
g. D. | gehobener Dienst |
gem. | gemäß |
GG | Grundgesetz |
ggf. | gegebenenfalls |
GO | Gemeindeordnung |
h. M. | herrschende Meinung |
i. S. d. | im Sinne des |
i. S. v. | im Sinne von |
i. V. m. | in Verbindung mit |
JustG | Justizgesetz |
KAG | Kommunalabgabengesetz |
KrO | Kreisordnung |
KWahlG | Kommunalwahlgesetz |
LBG | Landesbeamtengesetz |
LFBVG | Gesetz über den Vollzug Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständerechts |
LFGB | Lebensmittel-, Futtermittelgesetzbuch |
lt. | laut |
LVerf | Landesverfassung |
MG | Meldegesetz |
Nr. | Nummer |
NRW | Nordrhein-Westfalen |
NWVBl. | Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter |
OBG | Ordnungsbehördengesetz |
S. | Seite |
s. o. | siehe oben |
u. U. | unter Umständen |
usw. | und so weiter |
VA | Verwaltungsakt |
VerfGH | Verfassungsgerichtshof |
vgl. | vergleiche |
VGHG | Verfassungsgerichtshofgesetz |
VwGO | Verwaltungsgerichtsordnung |
VwVfG | Verwaltungsverfahrensgesetz |
z. T. | zum Teil |
zz. | zurzeit |
1. Fall: Selbstverwaltung, Eingriff durch Gesetz, Kommunalverfassungsbeschwerde
Sachverhalt
Der Landtag des Landes NRW plant, § 65 GO dahin gehend zu ändern, dass
1.die Amtszeit des Bürgermeisters fünf oder sieben Jahre beträgt und jede Gemeinde durch Hauptsatzungsregelung bestimmen kann, ob ihr Bürgermeister auf fünf oder sieben Jahre gewählt wird;
2.bei Beendigung des Beamtenverhältnisses des Bürgermeisters vor Ablauf seiner Amtszeit der Nachfolger für die Restwahlzeit durch die Bezirksregierung bestellt wird.
Aufgabe
Etliche Gemeinden fühlen sich durch diese beabsichtigten Regelungen bevormundet und in ihren Rechten beeinträchtigt.
Könnten sie nach Erlass des entsprechenden Gesetzes dagegen vorgehen und hätte ihr Vorgehen Aussicht auf Erfolg?
Lösung
Nach Art. 75 Nr. 4 LVerf, §§ 12 Nr. 8, 52 VGHG können Gemeinden grundsätzlich Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der Selbstverwaltung verletze.
Eine solche Verfassungsbeschwerde hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre.
A. Zulässigkeit
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt
a)Beteiligtenfähigkeit (§ 52 Abs. 1 VGHG),
b)tauglichen Beschwerdegegenstand (§ 52 Abs. 1 VGHG),
c)Beschwerdebefugnis (§ 52 Abs. 1 VGHG),
d)schriftlich begründeten Antrag (§ 18 Abs. 1 VGHG) und
e)Fristwahrung (§ 52 Abs. 2 VGHG)
voraus.
a) Als Gemeinden sind die betroffenen Gemeinden beteiligungsfähig.
b) Die Gemeinden wenden sich gegen eine landesrechtliche Gesetzesvorschrift, die sie für unvereinbar mit Art. 78 Abs. 1 LVerf halten. Folglich wäre die Beschwerde auch statthaft.
c) Beschwerdebefugnis ist nur gegeben, wenn die Behauptung erhoben werden kann, dass das Landesrecht die Vorschriften der Art. 78, 79 LVerf über das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht verletzt, zumindest darf die Möglichkeit einer solchen Verletzung nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Außerdem müssen die Gemeinden unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen sein.
Die Gemeinden können geltend machen, durch die beabsichtigte Änderung der GO in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 78 Abs. 1 LVerf insofern verletzt zu sein, als eine Verletzung der von diesem Selbstverwaltungsrecht umfassten Organisationshoheit möglich erscheint.
Alle Gemeinden in NRW sind Adressaten der GO, die unmittelbar nach Inkrafttreten die Wirksamkeit der neuen Regelung entfaltet.
Die Gemeinden wären nach Erlass des Gesetzes durch die Änderung also selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
Beschwerdebefugnis wäre folglich gegeben.
d) und e) Die Verfassungsbeschwerde müsste in schriftlich begründeter Form innerhalb eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden.
Die Verfassungsbeschwerde wäre damit zulässig.
B. Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde wäre begründet, wenn die angegriffene Rechtsnorm des Landes (Änderung GO) die Vorschriften der Landesverfassung über das Selbstverwaltungsrecht (Art. 78, 79) verletzt.
Das nach Art. 78 Abs.1 LVerf gewährleistete Recht auf Selbstverwaltung ist das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln. Dazu gehört auch die Organisationshoheit. Die Organisationshoheit beinhaltet u.a. das Recht, die eigenen Organe selbst zu wählen.
Die beabsichtigte Gesetzesänderung könnte in zweierlei Hinsicht die Organisationshoheit tangieren, und zwar
a)bezüglich der Dauer der Amtszeit und
b)hinsichtlich der Nachfolgebestimmung bei vorzeitigem Ausscheiden des Amtsinhabers.
a) Als Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht ist jede Beschneidung und Beschränkung des Rechts zu werten.
Durch die beabsichtigte GO-Änderung sollen die Gemeinden künftig selbst festlegen können, ob die Amtszeit ihres Bürgermeisters fünf oder sieben Jahre dauern soll. Nach der derzeitigen Regelung des § 65 GO beträgt die Amtszeit des Bürgermeisters für alle Gemeinden unabdingbar fünf Jahre. Die Möglichkeit künftig zwischen fünf und sieben Jahren wählen zu können, erweitert die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Gemeinden. Das Selbstverwaltungsrecht wird nicht beschränkt, sondern erweitert. Es liegt also gar kein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht vor.
Insoweit wäre eine Verfassungsbeschwerde gegen die Änderungsregelung nicht begründet.
b) Nach derzeitiger Rechtslage (§ 65 Abs. 5 GO) wird bei vorzeitigem Ausscheiden des Bürgermeisters je nach Zeitpunkt des Ausscheidens ein Nachfolger von den Bürgern für den Rest der laufenden Wahlzeit des Rates oder bis zum Ende der nächsten Wahlzeit gewählt. Innerhalb der letzten neun Monate der verbleibenden Wahlzeit findet keine Nachfolgewahl mehr statt (§ 65 Abs. 6 GO).
Durch die beabsichtigte Änderung wird den Gemeinden für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens des Bürgermeisters die Möglichkeit, selbst (durch die Bürgerschaft) einen Nachfolger zu wählen, gänzlich genommen. Das Recht, als Ausfluss der selbstverwaltungsrechtlich geschützten Organisationshoheit das gemeindliche Organ Bürgermeister selbst zu wählen, wird für diese Fälle beseitigt.
Insoweit läge ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vor.
Art. 78 Abs. 2 LVerf garantiert das Selbstverwaltungsrecht nur im Rahmen der Gesetze. Das Selbstverwaltungsrecht gilt also nicht uneingeschränkt. Der Gesetzgeber darf das Selbstverwaltungsrecht grundsätzlich einschränken. Der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers sind allerdings Grenzen gesetzt („Schrankenschranken").
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der „Kernbereich" der Selbstverwaltung unantastbar. Der Wesensgehalt der Selbstverwaltung darf nicht „ausgehöhlt" werden. Im „Randbereich" der Selbstverwaltung muss den Gemeinden (nach dem Eingriff) ausreichender Gestaltungsspielraum bleiben.
Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Eingriffs ist also zunächst zu prüfen, wie wesentlich der Eingriff ist. Ein Eingriff in den Kernbereich (Wesensgehalt) der Selbstverwaltung ist immer verfassungswidrig und damit unzulässig. Ein Eingriff in den Randbereich der Selbstverwaltung ist verfassungsgemäß und somit zulässig, wenn er verhältnismäßig ist.
Ein gesetzlicher Eingriff ist verhältnismäßig, wenn er
-einen legitimen Zweck verfolgt,
-geeignet ist,
-erforderlich und
-angemessen ist.
Ein legitimer Zweck wird verfolgt, wenn der Zweck dem Allgemeinwohl dient. Geeignet ist die Eingriffsmaßnahme, wenn der mit dem Eingriff verfolgte Zweck damit erreicht oder zumindest gefördert wird. Erforderlich ist der Eingriff, wenn es kein minder beeinträchtigendes Mittel gibt, um den Eingriffszweck zu erreichen. Angemessen ist die Maßnahme, wenn der angestrebte Zweck und der Nachteil, den die Gemeinden durch den Eingriff erleiden, in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen.
Es ist daher zu prüfen, wie wesentlich der Eingriff durch die beabsichtigte GO-Änderung wäre.
Die Gesetzesänderung würde in einem wesentlichen Teilbereich der Organisationshoheit, nämlich der Wahl der eigenen Organe, das Recht auf Selbstverwaltung nicht nur beschränken, sondern teilweise total beseitigen. Im Falle der Anwendung der beabsichtigten Gesetzesregelung gäbe es Gemeinden mit staatlich eingesetzten Organwaltern, die mehrere Jahre (je nach Zeitpunkt des vorzeitigen Ausscheidens des Amtsvorgängers) als Bürgermeister der betroffenen Gemeinden amtieren würden, ohne durch die Bürgerschaft legitimiert zu sein. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 GO wird die Bürgerschaft u.a. durch den Bürgermeister vertreten. Dieses elementare Recht der Bürger, ihre Vertretung (Art. 28 Abs. 2 Satz GG) zu wählen, wäre u. U. für einen durchaus nicht unerheblichen Zeitraum nicht mehr vorhanden.
Die beabsichtigte Änderung des § 65 GO würde insoweit einen Eingriff in den Kernbereich der Selbstverwaltung darstellen. Dieser Eingriff wäre verfassungswidrig und damit unzulässig.
Die Verfassungsbeschwerde wäre insoweit begründet.
Die Verfassungsbeschwerde hätte folglich bezüglich der Regelung über die Nachfolgebestimmung Aussicht auf Erfolg.
Anmerkung: Es empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Nachbearbeitung des 1. Falles das Urteil des VerfGH NRW vom 15. Januar 2002 - VerfGH 40/00 - NWVBl. 2002, 1502 zu lesen.
2. Fall: Aufgaben der Gemeinde, Anweisung zur Beanstandung eines Ratsbeschlusses
Sachverhalt
Da in der Praxis und in der öffentlichen Diskussion in letzter Zeit wiederholt über unzureichende Lebensmittelkontrollen geklagt worden ist, beschloss der Rat der kreisangehörigen Stadt St, in eigener Regie Lebensmittelkontrollen aufgrund des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) durchzuführen. Der Bürgermeister beabsichtigt, zur wirksamen Umsetzung dieses Beschlusses u.a. zwei Lebensmittelkontrolleure für das Ordnungsamt einzustellen. Die stellenplanmäßigen Voraussetzungen dafür liegen vor.
Die zuständige Aufsichtsbehörde erhält Kenntnis von dem Beschluss und weist den Bürgermeister an, den Beschluss zu beanstanden.
Aufgabe
Ist diese Anweisung rechtmäßig?
Lösung
Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 GO kann die Aufsichtsbehörde den Bürgermeister anweisen, Beschlüsse des Rates, die das geltende Recht verletzen, zu beanstanden. Die Anweisung wäre also rechtmäßig, wenn der Ratsbeschluss rechtswidrig wäre.
Nach § 2 GO sind die Gemeinden in ihrem Gebiet ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung, soweit Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Das bedeutet, dass die Gemeinden grundsätzlich berechtigt sind, in ihrem Gebiet sämtliche öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Nur in den Fällen, in denen Gesetze etwas anderes bestimmen, ist ihnen dies untersagt.
Eine solche gesetzliche Bestimmung könnte § 1 des Gesetzes über den Vollzug des Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständerechts NRW (LFBRVG NRW) sein. Danach obliegt der Vollzug des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), also auch die Lebensmittelkontrolle, den Kreisordnungsbehörden als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung.
Die Aufgaben der Kreisordnungsbehörden nehmen nach § 3 Abs. 1 OBG die Kreise und kreisfreien Städte wahr.
Die Stadt St ist eine kreisangehörige Stadt. Der Ratsbeschluss verstößt somit gegen § 1 LFBRVG NRW i. V. m. § 3 Abs. 1 OBG.
Die Anweisung der Aufsichtsbehörde, den Ratsbeschluss zu beanstanden, ist folglich rechtmäßig.
3. Fall: Aufgaben, Konnexitätsprinzip
Sachverhalt
Der Landtag des Landes NRW erlässt ein „Gesetz zur sozialpädagogischen Betreuung an allgemeinbildenden Schulen". Danach sind die Gemeinden als Schulträger verpflichtet, an jeder Schule in gemeindlicher Trägerschaft mindestens eine Vollzeitstelle für die sozialpädagogische Betreuung der Schülerinnen und Schüler einzurichten und entsprechendes Fachpersonal einzustellen. Hinsichtlich der Kosten sieht das Gesetz folgende Regelung vor: „Die Kosten trägt die Gemeinde".
Die Gemeinden begrüßen grundsätzlich die verpflichtende Einführung einer sozialpädagogischen Betreuung an allen Schulen. Sie halten allerdings die Kostenregelung für verfassungswidrig.
Aufgabe
Ist die Auffassung der Gemeinden bezüglich der Kostenregelung zutreffend?
Anmerkung: Die Verfassungskonformität (neue Aufgabe mit Personalverpflichtung) ist zu unterstellen und nicht zu prüfen.
Lösung
Die Kostenregelung wäre nicht verfassungsmäßig, wenn diese neue Aufgabe zu einer wesentlichen Belastung der betroffenen Gemeinden führen würde. Nach Art. 78 Abs. 3 Satz 1 LVerf i. V. m. § 3 Abs. 4 Satz 2 GO ist bei der Übertragung neuer Aufgaben, die zu einer wesentlichen Belastung der betroffenen Gemeinden führen, durch das Gesetz aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die entstehenden notwendigen durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen (striktes Konnexitätsprinzip).
Die Verpflichtung, pro Schule eine sozialpädagogische Vollzeitstelle dauerhaft zu schaffen, bedeutet eine wesentliche Belastung der gemeindlichen Haushalte. Folglich bedarf es einer gesetzlichen finanziellen Ausgleichsregelung. Die bloße Feststellung der Kostenträgerschaft („die Kosten trägt die Gemeinde") genügt der Anforderung der Schaffung eines gesetzlich geregelten finanziellen Ausgleichs nicht.
Die Kostenregelung ist somit nicht verfassungsgemäß.
4. Fall: Gleichstellungsbeauftragte
Sachverhalt
Die Gemeinde G hat im Mai vergangenen Jahres die 10.000-Einwohnermarke überschritten. Zurzeit hat sie 10.103 Einwohner. Der Bürgermeister hat nach anfänglichem Zögern auf Drängen aller im Rat vertretenen Fraktionen die Stelle zur Wahrnehmung der Aufgabe zur Gleichstellung von Frau und Mann hausintern ausgeschrieben. Daraufhin ging lediglich die Bewerbung von Paul P ein. P ist Gemeindehauptsekretär und derzeit im Standesamt als Sachbearbeiter und stellvertretender Standesbeamter tätig.
Da P über gute Dienstzeugnisse verfügt, beabsichtigt der Bürgermeister, ihn zum Gleichstellungsbeauftragten der Gemeinde G (BesGr. A 9) zu bestellen. Die stellenplanmäßigen Voraussetzungen liegen vor.
Der Personalrat der Gemeinde G hält aufgrund der Aufgabenstellung die Besetzung der Stelle mit einer Frau für besser.
Aufgabe
Der Bürgermeister beauftragt das Personalamt vor Fertigung der Versetzungsverfügung für P mit der rechtlichen Überprüfung der Angelegenheit. Sie sind Sachbearbeiter im Personalamt und erhalten den Auftrag zu prüfen, ob Bedenken gegen die Bestellung von P bestehen.
Lösung
Ob P zum Gleichstellungsbeauftragten bestellt werden darf, bestimmt sich nach § 5 GO. Nach § 5 Abs. 1 GO sind in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern hauptamtlich tätige Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen.
Die Abs. 3, 4 und 5 des § 5 GO verwenden einheitlich die Formulierung: „die Gleichstellungsbeauftragte". Der Gesetzgeber geht also eindeutig davon aus, dass zur Gleichstellungsbeauftragten nur eine Frau bestellt werden darf.
Folglich wäre die Bestellung von P zum Gleichstellungsbeauftragten nicht zulässig.
5. Fall: Bezeichnung der Gemeinde
Sachverhalt
In der Stadt St sind bei Ausgrabungen zahlreiche Nachweise römischer Besiedlung gefunden worden.
Auf Antrag des Geschichtsvereins in St befasste sich der Rat der Stadt St in seiner letzten Sitzung mit der Änderung der Bezeichnung in „Römerstadt St".
Der Rat der Stadt St hat einschließlich Bürgermeister 45 Mitglieder. Bei der Abstimmung über die Änderung der Bezeichnung stimmten von den 35 anwesenden Mitgliedern 30 für die Änderung, fünf stimmten dagegen.
Aufgabe
Der Bürgermeister beauftragt Sie als Mitarbeiter des Ratsbüros zu prüfen, welche weiteren Schritte erforderlich sind, damit die Bezeichnung „Römerstadt" geführt werden kann.
Lösung
Die weiteren Verfahrensschritte könnten sich nach § 13 Abs. 3 GO bestimmen. Danach bedarf die Änderung der Bezeichnung der Genehmigung des für Inneres und Kommunales zuständigen Ministeriums.
Die Genehmigung setzt voraus, dass die Bezeichnungsänderung zulässig ist. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 GO können die Gemeinden außer der Bezeichnung Stadt auch andere Bezeichnungen führen, die z. B. auf der Geschichte der Gemeinde beruhen. Nach dem Sachverhalt war die Stadt römisch besiedelt. Die Bezeichnung „Römerstadt" hätte also einen nachweislich historischen Bezug und wäre gem. § 13 Abs. 3 Satz 1 GO zulässig und genehmigungsfähig.
Dafür wäre erforderlich, dass die Änderung der Bezeichnung durch den Rat ordnungsgemäß beschlossen worden ist.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 2 GO kann der Rat mit einer Mehrheit von drei Vierteln seiner Mitglieder die Bezeichnung ändern. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Rates der Stadt St ist 45. Zur wirksamen Änderung der Bezeichnung wäre ein Beschluss mit einer Zustimmung von mindestens 34 Mitgliedern erforderlich. Für die Änderung der Bezeichnung stimmten 30 Mitglieder. Folglich ist die zur Änderung der Bezeichnung erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden. Die Änderung ist somit nicht beschlossen worden. Es bleibt bei der Bezeichnung „Stadt" St.
Weitere Schritte zur Bezeichnungsänderung kommen nicht in Betracht.
6. Fall: Satzungsrecht, Bekanntmachung von Satzungen
Sachverhalt
In seiner Sitzung am 17. April hat der Rat der Stadt St u.a. die Änderung des § 7 der Hauptsatzung (öffentliche Bekanntmachungen) dahin gehend beschlossen, dass statt der bisherigen Form der öffentlichen Bekanntmachung in der „Rundschau" (Tageszeitung) öffentliche Bekanntmachungen im Amtsblatt der Stadt St erfolgen sollen.
Die Satzungsänderung wurde am 22. April im Amtsblatt der Stadt St öffentlich bekannt gemacht.
Die nächste Ratssitzung fand am 13. Juni statt. Zeit und Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung wurden am 27. Mai im Amtsblatt der Stadt St veröffentlicht.
In der Sitzung am 13. Juni wurden 16 Beschlüsse gefasst.
Aufgabe
Sie sind Sachbearbeiter im Ratsbüro der Stadt St und haben am Tag nach der Ratssitzung den routinemäßigen Auftrag zu prüfen, ob Bedenken gegen die Ausführung der Beschlüsse bestehen.
Lösung
Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 GO führt der Bürgermeister die Beschlüsse des Rates aus. Allerdings setzt dies voraus, dass diese Beschlüsse rechtmäßig sind. Rechtswidrige Beschlüsse hat der Bürgermeister gem. § 54 Abs. 2 GO zu beanstanden.
Eine Rechtswidrigkeit der Beschlüsse könnte sich daraus ergeben, dass Zeit und Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung möglicherweise nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sind.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 4 GO sind Zeit und Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung öffentlich bekannt zu machen. Gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 BekanntmVO legt die Hauptsatzung die Form der öffentlichen Bekanntmachung fest. Durch Änderung des § 7 der Hauptsatzung der Stadt St erfolgen Bekanntmachungen durch Veröffentlichung im Amtsblatt.
Fraglich ist aber, ob diese Änderung zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung von Zeit und Ort der Sitzung sowie der Tagesordnung (27. Mai) in Kraft war. Bedenken könnten sich hinsichtlich der bei der Bekanntmachung der Änderungssatzung praktizierten Bekanntmachungsform ergeben.
Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 GO sind Satzungen öffentlich bekannt zu machen, und zwar in der in der Hauptsatzung vorgeschriebenen Bekanntmachungsform.
Die Änderungssatzung mit der Festlegung der neuen Bekanntmachungsform (Amtsblatt) ist am 22. April im Amtsblatt bekannt gemacht worden. Am 22. April galt aber noch die bisherige Fassung des § 7 der Hauptsatzung mit der Festlegung der „Rundschau" als Bekanntmachungsorgan. Die Änderungssatzung hätte also noch in der „Rundschau" bekannt gemacht werden müssen. Die Änderungssatzung ist folglich nicht in der durch Hauptsatzung (zu dem Zeitpunkt noch) vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden. Die Änderung des § 7 der Hauptsatzung (mit der Änderung der Bekanntmachungsform) ist somit nicht in Kraft getreten.
In St galt also weiterhin als amtliche Bekanntmachungsform nach der Hauptsatzung (§ 7, ungeänderte Fassung) die Veröffentlichung in der „Rundschau". Zum Zeitpunkt der Bekanntmachung von Sitzungszeit, Sitzungsort und Tagesordnung (27. Mai) waren also Bekanntmachungen in der „Rundschau" verbindlich vorgeschrieben.
Durch Veröffentlichung im Amtsblatt sind Zeit und Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung somit nicht rechtswirksam bekannt gemacht worden. Eine rechtmäßige Beschlussfassung im Rat setzt aber eine solche wirksame Bekanntmachung voraus.
Folglich sind sämtliche in der Sitzung am 13. Juni gefassten Beschlüsse rechtswidrig. Sie sind zu beanstanden und dürfen nicht ausgeführt werden.