Loe raamatut: «Lebensansichten des Katers Murr», lehekülg 15

Font:

Nun faßte der Prinz Julias Arm, und beide schritten dem Fischerhäuschen zu. Dicht vor demselben trat aber Kreisler aus dem Gebüsch, schritt auf das Paar zu und sprach, indem er sich vor dem Prinzen tief bückte: ein herrlicher Abend, eine ungemein heitere Luft, ein erquickliches Aroma darin Sie müssen sich gnädigster Herr hier befinden, wie in dem schönen Neapolis. – „Wer sind Sie mein Herr?“ fuhr ihn der Prinz barsch an. Doch in demselben Augenblick machte sich auch Julia los von seinem Arm, trat freundlich auf Kreislern zu, reichte ihm die Hand und sprach: o wie herrlich, lieber Kreisler, daß Sie wieder da sind. Wissen Sie wohl, daß ich mich recht herzlich nach Ihnen gesehnt habe? – In der Tat, die Mutter schilt, daß ich mich gebärde wie ein weinerliches ungezogenes Kind, wenn Sie nur einen einzigen Tag ausbleiben. Ich könnte krank werden vor Verdruß, wenn ich glaube, daß Sie mich, meinen Gesang aus der Acht lassen. „Ha, rief der Prinz, giftige Blicke schießend, auf Julien, auf Kreislern, ha, Sie sind Monsieur de Krösel. Der Fürst sprach sehr günstig von Ihnen!“ Gesegnet, sprach Kreisler, indem sein ganzes Gesicht in hundert Falten und Fältchen seltsam vibrierte, gesegnet sei der gute Herr dafür, denn so wird es mir vielleicht gelingen, das zu erhalten, warum ich Sie gnädigster Prinz anflehen wollte, nämlich Ihre angenehme Protektion. – Ich habe die kühne Ahnung, daß Sie mir auf den ersten Blick Ihr Wohlwollen zuwandten, da Sie im Vorübergehen aus höchst eigner Bewegung, mich zum Hasenfuß zu kreieren geruhten, und da nun Hasenfüße zu allem nur Ersinnlichen taugen so – „Sie sind, unterbrach ihn der Prinz, ein spaßhafter Mann.“ – Ganz und gar nicht, fuhr Kreisler fort, ich liebe zwar den Spaß, aber nur den schlechten, und der ist nun wieder nicht spaßhaft. Gegenwärtig wollt' ich gern nach Neapel gehen, und beim Molo einige gute Fischer- und Banditenlieder aufschreiben ad usum delphini. Sie sind, bester Prinz, ein gütiger kunstliebender Herr, sollten Sie mir vielleicht durch einige Empfehlungen. „Sie sind, unterbrach ihn der Prinz auf's neue, Sie sind ein spaßhafter Mann, Monsieur de Krösel, ich liebe das, ich liebe das in der Tat, aber jetzt mag ich Sie in Ihrem Spaziergange nicht aufhalten – Adieu! – „Nein, gnädigster Herr, rief Kreisler, ich kann die Gelegenheit nicht vorüberlassen, ohne mich Ihnen in meinem vollsten Lüstre zu zeigen. Sie wollten in das Fischerhäuschen treten, dort steht ein kleines Pianoforte, Fräulein Julia ist gewiß so gütig, mit mir ein Duett zu singen!“ „Mit tausend Freuden, rief Julia und hing sich an Kreislers Arm. Der Prinz biß die Zähne zusammen und schritt stolz voran. Im Gehen flüsterte Julia Kreislern ins Ohr: Kreisler, welche seltsame Stimmung. O Gott, erwiderte Kreisler ebenso leise, und Du liegst eingelullt in betörenden Träumen, wenn die Schlange sich naht, Dich zu töten mit giftigem Biß? – Julia blickte ihn an im tiefsten Erstaunen. Nur ein einziges Mal, im Moment der höchsten musikalischen Begeisterung, hatte Kreisler sie Du genannt. – Als das Duett geendet, brach der Prinz, der schon während des Gesanges öfters Brava, bravissima gerufen, aus in stürmischen Beifall. Er bedeckte Julia's Hände mit feurigen Küssen, er schwor, daß kein Gesang jemals so sein ganzes Wesen durchdrungen, und bat Julien, es zu verstatten, daß er einen Kuß auf die Himmels-Lippen drücke, über die der Nektarstrom der Paradieseslaute geflossen.

Julia wich scheu zurück. Kreisler trat vor den Prinzen hin und sprach: „Da Sie mir, Gnädigster! auch nicht ein Wörtlein des Lobes zuwenden wollen, das ich als Komponist und wackerer Sänger ebensogut verdient zu haben vermeine, als Fräulein Julia, so merke ich schon, daß ich mit meinen schwachen musikalischen Kenntnissen nicht stark genug wirke. Aber auch in der Malerei bin ich erfahren, und werde die Ehre haben, Ihnen ein kleines Bildnis zu zeigen, das eine Person vorstellt, deren merkwürdiges Leben und seltsames Ende mir so bekannt ist, daß ich alles jedem erzählen kann, der es nur hören will.“ – „Überlästiger Mensch!“ murmelte der Prinz. Kreisler zog ein Kästchen aus der Tasche, nahm ein kleines Bildnis heraus, und hielt es dem Prinzen entgegen. Er blickte hin, alles Blut schwand von dem Antlitz, seine Augen starrten, seine Lippen bebten, zwischen den Zähnen murmelnd: Maledetto! stürzte er fort.

„Was ist das? rief Julia zum Tode erschrocken, um aller Heiligen willen, was ist das, Kreisler – sagen Sie mir alles!“

„Tolles Zeug, erwiderte Kreisler, lustige Streiche, Teufelsbannerei! Sehn Sie, teures Fräulein, wie der gütige Prinz mit den allerlängsten Schritten, deren seine gnädigsten Beine mächtig, über die Brücke läuft! – Gott! er verleugnet ganz seine süße idyllische Natur, er schaut nicht einmal in den See, er verlangt nicht mehr, den Schwan zu füttern, der liebe gute – Teufel!“

„Kreisler, sprach Julia, Ihr Ton geht eiskalt durch mein Inneres, ich ahne Unheil – was haben Sie mit dem Prinzen?“

Der Kapellmeister trat von dem Fenster weg, an dem er gestanden, schaute tief bewegt Julia an, die vor ihm stand, die Hände gefaltet, als wolle sie den guten Geist anflehen, daß er die Angst von ihr nehme, die ihr Tränen aus den Augen preßte. „Nein, sprach Kreisler, kein feindlicher Mißton soll den Wohllaut des Himmels verstören, der in Deinem Gemüt wohnt, du frommes Kind! – In gleisnerischer Verkappung gehen die Geister der Hölle durch die Welt, aber sie haben keine Macht über Dich, und Du darfst sie nicht erkennen in ihrem schwarzen Tun und Treiben! – Sein Sie ruhig, Julia! – lassen Sie mich schweigen, es ist nun alles vorüber! —“

In dem Augenblick trat die Benzon hinein in großer Bewegung. „Was ist geschehen, rief sie, was ist geschehen? – Wie rasend stürzt der Prinz dicht bei mir vorüber, ohne mich zu sehen. Dicht bei dem Schloß kommt ihm der Adjutant entgegen, sie sprechen beide heftig miteinander, dann gibt der Prinz, so glaubt' ich zu bemerken, dem Adjutanten irgendeinen wichtigen Auftrag, denn indem der Prinz in das Schloß schreitet, stürzt der Adjutant in größter Eil nach dem Pavillon, in dem er wohnt. – Der Gärtner sagte mir, Du hättest mit dem Prinzen auf der Brücke gestanden, da überfiel mich, selbst weiß ich nicht warum, die fürchterliche Ahnung irgend etwas Entsetzlichen, das sich begeben – ich eilte her, sagt, was ist geschehen?“ – Julia erzählte alles. „Geheimnisse?“ fragte die Benzon scharf, indem sie einen durchbohrenden Blick auf Kreislern warf. „Beste Rätin, antwortete Kreisler, es gibt Augenblicke – Lagen – Situationen vielmehr, mein' ich, in denen der Mensch durchaus das Maul halten muß, da er, sobald er es öffnet, nichts herausbringt, als konfuses Zeug, das die vernünftigen Leute irritiert! —“ Dabei blieb es, unerachtet die Benzon verletzt schien durch Kreisler's Schweigen.

Der Kapellmeister begleitete die Rätin mit Julien bis an's Schloß, dann begab er sich auf den Rückweg nach Sieghartsweiler. Sowie er in den Laubgängen des Parkes verschwunden, trat der Adjutant des Prinzen aus dem Pavillon und verfolgte denselben Weg, den Kreisler genommen. Bald darauf fiel tief im Walde ein Schuß!

In derselben Nacht verließ der Prinz Sieghartsweiler, er hatte sich bei dem Fürsten schriftlich beurlaubt, und baldige Rückkehr versprochen. Als am andern Morgen der Gärtner mit seinen Leuten den Park durchsuchte, fand er Kreisler's Hut, an dem blutige Spuren befindlich. Er selbst war und blieb verschwunden. – Man —

Zweiter Teil

Dritter Abschnitt

Die Lehrmonate. Launisches Spiel des Zufalls

(M. f. f.) Sehnsucht, heißes Verlangen erfüllt die Brust, aber hat man endlich das gewonnen, nach dem man rang mit tausend Not und Sorgen, so erstarrt jenes Verlangen alsbald zur todkalten Gleichgültigkeit, und man wirft das errungene Gut von sich, wie ein abgenutztes Spielzeug. Und kaum ist dies geschehen, so folgt bittere Reue der raschen Tat, man ringt aufs neue und das Leben eilt dahin in Verlangen und Abscheu. – So ist einmal der Katz. – Richtig bezeichnet dieser Ausdruck mein Geschlecht, zu dem sich auch der hochmütige Löwe zählt, den deshalb auch der berühmte Hornvilla in Tiecks Oktavian einen großen Katz nennt. – Ja, wiederhole ich, so und nicht anders ist einmal der Katz, und das katzliche Herz ein gar wankelmütiges Ding.

Des ehrlichen Biographen erste Pflicht ist, aufrichtig zu sein, und sich beileibe nicht selbst zu schonen. Ganz aufrichtig, Pfote aufs Herz, will ich daher gestehen, daß trotz des unsäglichen Eifers, mit dem ich mich auf die Künste und Wissenschaften legte, doch oft der Gedanke an die schöne Miesmies plötzlich in mir aufstieg und mein Studium unterbrach ganz und gar.

Es war mir, als hätte ich sie nicht lassen sollen, als hätte ich ein treuliebendes Herz verschmäht, das nur von einem falschen Wahn augenblicklich verblendet. Ach! oft, wenn ich mich an dem großen Pythagoras erlaben wollte, (ich studierte zu der Zeit viel Mathematik) verschob plötzlich ein zartes, schwarzbestrumpftes Pfötchen alle Katheten und Hypotenusen, und vor mir stand sie selbst, die holde Miesmies, ihr kleines, allerliebstes Samtkäppchen auf dem Haupt, und aus dem anmutigen Grasgrün der schönsten Augen traf mich der funkelnde Blitz des zärtlichsten Vorwurfs. – Welche niedliche Seitensprünge, welches holdselige Wirbeln und Schlängeln des Schweifs. – Umpfoten wollt' ich sie mit Entzücken neu entflammter Liebe, doch verschwunden war die neckende Truggestalt. —

Nicht fehlen konnt' es, daß dergleichen Träumereien aus dem Arkadien der Liebe mich in eine gewisse Schwermut versenkten, die der gewählten Laufbahn als Dichter und Gelehrter schädlich werden mußte, zumal sie bald in eine Trägheit ausartete, der ich nicht zu widerstehen vermochte. Mit Gewalt wollte ich mich herausreißen aus diesem verdrießlichen Zustande, einen raschen Entschluß fassen, Miesmies wieder aufzusuchen. Doch, hatte ich schon die Pfote auf die erste Treppenstufe gesetzt, um hinaufzusteigen in die obern Regionen, wo ich die Holde zu finden hoffen durfte, so wandelte mich Scham und Scheu an, und ich zog die Pfote wieder zurück, und begab mich traurig unter den Ofen.

Dieser psychischen Bedrängnisse unerachtet, erfreute ich mich indessen doch eines außerordentlichen körperlichen Wohlseins, ich nahm merklich zu, wo nicht in Wissenschaften, so doch in der Stärke meines Leibes, und bemerkte, wenn ich mich im Spiegel anschaute, mit Vergnügen, daß mein rundbackiges Antlitz nächst der jugendlichen Frische etwas Ehrfurchtgebietendes zu erhalten begann.

Selbst der Meister gewahrte meine veränderte Stimmung. Es ist wahr, sonst knurrte ich und machte lustige Sprünge, wenn er mir schmackhafte Speisung reichte; sonst wälzte ich mich zu seinen Füßen, kabolzte und sprang auch wohl auf seinen Schoß, wenn er, nachdem er morgens aufgestanden, mir zurief: Guten Morgen Murr! – Jetzt unterließ ich das alles und begnügte mich mit einem freundlichen Miau! und jener anmutig stolzen Erhebung des Rückens, die dem geneigten Leser unter dem Namen ‚Katzenbuckel‘ bekannt sein wird. Ja, ich verachtete jetzt sogar das mir sonst so liebe Vogelspiel. – Es möchte für junge Gymnastiker oder Turner meines Geschlechts lehrreich sein zu sagen, worin dieses Spiel bestand. – Mein Meister band nämlich eine oder ein paar Schreibfedern an einen langen Faden, und ließ sie schnell in der Luft auf und absteigen, ordentlich fliegen. Im Winkel lauernd und die richtigen Tempos wahrnehmend, sprang ich nun so lange nach den Federn, bis ich sie erwischte und wacker zerzauste. Dies Spiel riß mich oft ganz hin, ich hielt die Federn wirklich für einen Vogel, ich geriet in Feuer und Flammen, so daß Geist und Körper zugleich in Anspruch genommen, sich bildeten und stärkten. – Ja selbst dies Spiel verachtete ich jetzt, und blieb ruhig auf meinem Kissen liegen, der Meister mochte seine Federn fliegen lassen, soviel er wollte. „Kater, sprach der Meister eines Tages zu mir, als ich, wenn die Feder, an meine Nase streifend selbst auf mein Kissen flog, kaum blinzelnd die Pfote darnach ausstreckte, Kater, du bist gar nicht mehr wie sonst, du wirst mit jedem Tage träger und fauler. Ich glaube, du frissest, du schläfst zu viel.

Ein Lichtstrahl fiel bei diesen Worten des Meisters in meine Seele! – Nur dem Andenken an Miesmies, an das verscherzte Paradies der Liebe, hatte ich meine träge Traurigkeit zugeschrieben, nun erst gewahrte ich aber, wie das irdische Leben mich mit meinen aufwärts strebenden Studien entzweit, und seine Ansprüche geltend gemacht hatte. Es gibt Dinge in der Natur, die es deutlich erkennen lassen, wie die gefesselte Psyche dem Tyrannen, Körper genannt, ihre Freiheit hinopfern muß. Zu diesen Dingen rechne ich nun ganz vorzüglich den wohlschmeckenden Brei von Mehl, süßer Milch und Butter, sowie ein breites, mit Roßhaaren wohlgepolstertes Kissen. Jenen süßen Brei wußte die Aufwärterin des Meisters gar herrlich zu bereiten, so daß ich jeden Morgen zum Frühstück zwei tüchtige Teller voll mit dem größten Appetit verzehrte. Hatte ich aber dermaßen gefrühstückt, dann wollten mir die Wissenschaften gar nicht mehr munden, sie kamen mir vor, wie trockene Speise, und nichts half es auch, wenn ich davon ablassend mich rasch in die Poesie warf. Die hochgepriesensten Werke der neuesten Autoren, die gerühmtesten Trauerspiele hochgefeierter Dichter, konnten meinen Geist nicht festhalten, ich geriet in ein ausschweifendes Gedankenspiel, unwillkürlich trat die kunstfertige Aufwärterin des Meisters in Konflikt mit dem Autor, und es wollte mir gemuten, als verstehe jene sich viel besser auf die gehörige Gradation und Mischung der Fettigkeit, Süße und Stärke als dieser. – Unglückliche, träumerische Verwechselung des geistigen und leiblichen Genusses! – Ja, träumerisch kann ich sie nennen, diese Verwechslung, denn Träume stiegen auf, und ließen mich jenes zweite gefährliche Ding, das breite mit Roßhaaren gepolsterte Kissen suchen, um sanft darauf zu entschlummern. Dann erschien mir das süße Bild der holden Miesmies! – Himmel, so stand wohl alles im Zusammenhange, Milchbrei, Verachtung der Wissenschaften, Melancholie, Polster, unpoetische Natur, Liebesandenken! – Der Meister hatte recht, ich fraß, ich schlief zu viel! – Mit welchem stoischen Ernst nahm ich mir vor, mäßiger zu sein, aber schwach ist des Katers Natur, die besten, herrlichsten Entschlüsse scheiterten an dem süßen Geruch des Milchbreies, an dem einladend aufgeschwellten Polster. – Eines Tages hört' ich den Meister, da er zum Zimmer herausgetreten, auf dem Flur zu jemanden sagen: Mag es sein, meinetwegen, vielleicht heitert ihn Gesellschaft auf. Aber macht ihr mir dumme Streiche, springt ihr mir auf die Tische, schmeißt ihr mir das Tintenfaß um, oder sonst was herab, so werf ich euch alle beide zum Tempel hinaus. Darauf öffnete der Meister die Türe ein wenig und ließ jemanden herein. Dieser Jemand war aber kein anderer, als Freund Muzius. Beinahe hätte ich ihn nicht wieder erkannt. Seine Haare, sonst glatt und glänzend, waren struppig und unscheinbar, die Augen lagen ihm tief im Kopf und sein, sonst zwar etwas rauhes, aber doch ganz leidliches Wesen, hatte etwas Übermütiges, Brutales angenommen. „Na, prustete er mich an, na, findet man euch einmal! Muß man euch aufsuchen hinter euerm verfluchten Ofen? – „Doch mit Verlaub!“ – Er trat an den Teller und verzehrte die Backfische, die ich mir aufgespart hatte zum Abendbrot. „Sagt, sprach er dazwischen, sagt mir nur in's Teufels Namen, wo ihr steckt, warum ihr auf kein Dach mehr kommt, euch nirgends mehr sehen laßt, wo es munter hergeht?“

Ich erklärte, daß, nachdem ich die Liebe zur holden Miesmies aufgegeben, mich die Wissenschaften ganz und gar beschäftigt hätten, weshalb denn an Spaziergänge nicht zu denken gewesen wäre. Nicht im mindesten sehne ich mich nach Gesellschaft, da ich bei dem Meister alles hätte, was mein Herz nur wünschen könne, Milchbrei, Fleisch, Fische, ein weiches Lager usw. Ein ruhiges, sorgenfreies Leben, das sei für einen Kater von meinen Neigungen und Anlagen das ersprießlichste Gut, und um so mehr müßt' ich fürchten, daß dies, ginge ich aus, verstört werden könne, da, wie ich leider wahrgenommen, meine Inklination zur kleinen Miesmies noch nicht ganz erloschen, und ihr Wiedersehen mich leicht zu Übereilungen hinreißen dürfe, die ich nachher vielleicht sehr schwer zu bereuen haben würde.

„Ihr könnt mir nachher noch einen Backfisch aufwichsen!“ So sprach Muzius, putzte sich mit gekrümmter Pfote nur ganz obenhin Maul, Bart und Ohren und nahm Platz dicht neben mir auf dem Polster.

„Rechnet, begann Muzius, nachdem er zum Zeichen seiner Zufriedenheit ein paar Sekunden gesponnen, mit sanfter Stimme und Gebärde, rechnet es euch, mein guter Bruder Murr, für ein Glück an, daß ich auf den Einfall geriet, euch zu besuchen in eurer Klause, und daß der Meister mich zu euch ließ ohne Widerrede! Ihr seid in der größten Gefahr, in die ein tüchtiger, junger Kerl von Kater, der Grütz' im Kopfe hat, und Stärke in den Gliedern, nur geraten kann. Das heißt: ihr seid in der Gefahr, ein arger, abscheulicher Philister zu werden. Ihr sagt, daß ihr den Wissenschaften zu strenge obliegt, um Zeit übrig zu behalten, euch umzusehen unter Katern. Verzeiht Bruder, das ist nicht wahr, ihr seht, rund, gemästet, spiegelglatt, wie ich euch finde, gar nicht aus, wie ein Bücherwurm, wie ein Lukubrant. Glaubt mir, das verfluchte bequeme Leben ist es, was euch faul und träge macht. Ganz anders würde euch zu Mute sein, wenn ihr euch wie unsereins abstrapazieren müßtet, bis ihr einmal ein paar Fischgräten erwischtet, oder ein Vögelein finget.“ —

Ich dachte, unterbrach ich den Freund, daß Ihre Lage gut und glücklich zu nennen, Sie waren ja sonst —

„Davon, fuhr mich Muzius zornig an, ein andermal, aber nennt mich nicht Sie, das verbitt' ich mir, sondern Ihr, bis wir Schmolles getrunken haben. – Doch Ihr seid ein Philister und versteht Euch nicht auf den Komment.“

Nachdem ich mich bei dem erzürnten Freunde zu entschuldigen gesucht, fuhr er sanfter fort: Also wie gesagt, Eure Lebensart taugt nichts, Bruder Murr. Ihr müßt heraus, Ihr müßt heraus in die Welt. —

Himmel! rief ich voll Schreck, was sprecht Ihr, Bruder Muzius! in die Welt soll ich? – Habt Ihr vergessen, was ich Euch vor einigen Monaten im Keller davon erzählte, wie ich einst hinaussprang aus einem englischen Halbwagen in die Welt? Welche Gefahren mir von allen Seiten drohten? wie mich endlich der gute Ponto rettete und zurückbrachte zu meinem Meister? Muzius lachte hämisch. – Ja, sprach er dann, ja, das ist es eben, darin liegt es eben, der gute Ponto! – Der stutzerische, superkluge, narrenhafte, stolze Heuchler, der sich eurer annahm, weil er gerade nichts Besseres zu tun wußte, weil es ihn gerade belustigte, der, suchtet Ihr ihn auf in seinen Assembleen und Koterien, Euch gar nicht wiederkennen, ja Euch, weil Ihr nicht seinesgleichen seid, herausbeißen würde! der gute Ponto, der statt Euch einzuführen in das wahre Weltleben, Euch unterhielt mit albernen, menschlichen Geschichten! – Nein, guter Murr, jenes Ereignis hat Euch eine ganz andere Welt gezeigt, als die ist, in welche Ihr hineingehört! Glaubt mir auf's Wort, all Euer einsames Studieren hilft Euch ganz und gar nichts, und ist Euch vielmehr noch schädlich. Denn Ihr bleibt dennoch ein Philister, und es gibt auf der ganzen weiten Erde nichts langweiligeres und abgeschmackteres als einen gelehrten Philister!

Aufrichtig gestand ich dem Freunde Muzius, daß ich den Ausdruck Philister, sowie seine eigentliche Meinung nicht ganz fasse. „O mein Bruder, erwiderte Muzius, indem er anmutig lächelte, so daß er in dem Augenblick sehr hübsch aussah, und wieder ganz der alte propre Muzius schien, o mein Bruder Murr, ganz vergeblich würde der Versuch sein, Euch dieses alles zu erklären, denn nimmermehr könnt Ihr begreifen, was ein Philister ist, solange Ihr selber einer seid. Wollt Ihr indessen zur Zeit mit einigen Grundzügen eines Katzphilisters vorlieb nehmen, so kann —

(Mak. Bl.) – – gar seltsames Schauspiel. In der Mitte des Zimmers stand Prinzessin Hedwiga; ihr Antlitz war leichenblaß, todstarr ihr Blick. Prinz Ignatius trieb sein Spiel mit ihr, wie mit einer Gliederpuppe. Er hob ihr den Arm in die Höhe, der stehen blieb, und sank, wenn er ihn niederbeugte. Er stieß sie sanft vorwärts, sie ging, er ließ sie stehen, sie stand, er setzte sie in den Sessel, sie saß. So vertieft war der Prinz in dies Spiel, daß er die Eintretenden gar nicht bemerkte.

„Was machen Sie da, Prinz!“ – So rief ihm die Fürstin zu, da versicherte er kichernd und fröhlich sich die Hände reibend, daß Schwester Hedwiga jetzt gut und artig geworden und alles tue, was er wünsche, auch ihm gar nicht so widerspreche und ihn ausschelte, wie sonst. – Und damit begann er auf's neue, indem er militärisch kommandierte, die Prinzessin in allerlei Stellungen zu bringen, und jedesmal, wenn sie wie festgezaubert in der Stellung blieb, die er ihr gegeben, lachte er laut und sprang vor Freuden in die Höhe. „Das ist nicht zu ertragen, sprach die Fürstin leise mit zitternder Stimme, indem Tränen ihr in den Augen glänzten, doch der Leibarzt trat auf den Prinzen zu, und rief mit strengem, gebietendem Ton: lassen Sie das bleiben, gnädigster Herr! Dann nahm er die Prinzessin in die Arme, ließ sie sanft nieder auf die Ottomane, die im Zimmer befindlich, und zog die Vorhänge zu. „Es ist, wandte er sich dann zur Fürstin, zur Zeit der Prinzessin nichts nötiger, als die unbedingteste Ruhe, ich bitte, daß der Prinz das Zimmer verlasse.

Prinz Ignatius stellte sich sehr ungebärdig an, und klagte schluchzend, daß jetzt allerlei Leute, die gar keine Prinzen wären, und nicht einmal vom Adel, sich unterfingen, ihm zu widersprechen. Er wolle nun bei der Prinzessin Schwester bleiben, die ihm lieber geworden sei als seine schönsten Tassen, und der Herr Leibarzt habe ihm gar nichts zu befehlen.

„Gehen Sie in Ihre Zimmer, lieber Prinz, sprach die Fürstin sanft, die Prinzessin muß jetzt schlafen, und nach der Tafel kommt Fräulein Julia.

„Fräulein Julia! rief der Prinz, indem er kindisch lachte und hüpfte, Fräulein Julia! – Ha, das ist schön, der zeige ich die neuen Kupferstiche und wie ich abgebildet bin in der Geschichte vom Wasserkönig als Prinz Lachs mit dem großen Orden! – damit küßte er der Fürstin zeremoniös die Hand und reichte die seinige mit stolzem Blick dar, dem Leibarzt zum Kuß. Der faßte aber die Hand des Prinzen und führte ihn zur Türe, die er öffnete, sich höflich verneigend. Der Prinz ließ es sich gefallen, auf diese Art hinausgewiesen zu werden.

Die Fürstin sank, ganz Schmerz und Erschöpfung, nieder in den Lehnstuhl, stützte den Kopf in die Hand und sprach mit dem Ausdruck des tiefsten Weh's leise vor sich hin: Welche Todsünde lastet auf mir, daß mich der Himmel so hart straft. – Dieser Sohn zu ewiger Unmündigkeit verdammt – und nun – Hedwiga – meine Hedwiga! – Die Fürstin verfiel in trübes, düstres Nachdenken.

Der Leibarzt hatte indessen mit Mühe der Prinzessin ein paar Tropfen irgend einer heilsamen Arzenei eingeflößt und die Kammerfrauen herbeigerufen, die die Prinzessin, deren automatischer Zustand sich nicht im mindesten änderte, fortbrachten in ihre Zimmer, nachdem sie von dem Leibarzt die Weisung erhalten, bei dem kleinsten Zufall, den die Prinzessin erleiden könne, ihn sogleich herbeizurufen.

Gnädigste Frau, wandte sich der Leibarzt zur Fürstin, so höchst seltsam, so höchst besorglich auch der Zustand der Prinzessin scheinen mag, so glaube ich doch mit Gewißheit versichern zu können, daß er bald aufhören wird, ohne die mindesten gefährlichen Folgen zu hinterlassen. Die Prinzessin leidet an jener ganz besondern wunderbaren Art des Starrkrampfs, die in der ärztlichen Praxis so selten vorkommt, daß mancher hochberühmte Arzt niemals in seinem Leben Gelegenheit fand, dieselbe zu beobachten. Ich muß mich daher in der Tat glücklich schätzen – Der Leibarzt stockte —

Ha, sprach die Fürstin mit bitterm Ton, daran erkenne ich den praktischen Arzt, der grenzenloses Leiden nicht achtet, wenn er nur seine Kenntnis bereichert.

Noch vor ganz kurzer Zeit, fuhr der Leibarzt fort, ohne den Vorwurf der Fürstin zu beachten, fand ich in einem wissenschaftlichen Buche das Beispiel eines Zufalls, der ganz dem gleich ist, in den die Prinzessin verfallen. Eine Dame (so erzählt mein Autor) kam von Vesoul nach Besançon um einen Rechtshandel zu betreiben. Die Wichtigkeit der Sache, der Gedanke, daß der Verlust des Prozesses die letzte, höchste Stufe der empfindlichsten Widerwärtigkeiten, die sie erduldet, sei, und sie in Not und Elend stürzen mußte, erfüllte sie mit der lebhaftesten Unruhe, die bis zu einer Exaltation ihres ganzen Gemüts stieg. Sie brachte die Nächte schlaflos zu, aß wenig, man sah sie in der Kirche auf ungewöhnliche Weise niederfallen und beten, genug, auf verschiedene Art tat sich der abnorme Zustand kund. Endlich aber an demselben Tage, da ihr Prozeß entschieden werden sollte, traf sie ein Zufall, den die anwesenden Personen für einen Schlagfluß hielten. Die herbeigerufenen Ärzte fanden die Dame in einem Lehnstuhle unbeweglich mit gen Himmel gerichteten, funkelnden Augen, offenen und unbeweglichen Augenlidern, mit erhobenen Armen und gefalteten Händen. Ihr vorher trauriges, bleiches Gesicht war blühender, heiterer, angenehmer als sonst, ihr Atemzug ungehindert und gleich, der Puls weich, langsam, ziemlich voll, beinahe wie bei einer ruhig schlafenden Person. Ihre Glieder waren biegsam, leicht, und ließen ohne den geringsten Widerstand sich in alle Stellungen bringen. Aber darin äußerte sich die Krankheit und die Unmöglichkeit irgendeiner Täuschung, daß die Glieder von selbst nicht aus der Stellung kamen, in die sie versetzt worden. Man drückte ihr Kinn abwärts – der Mund öffnete sich und blieb offen. Man hob einen Arm, nachher den andern auf, sie fielen nicht abwärts, man bog sie ihr nach dem Rücken hin, streckte sie hoch in die Höhe, so daß es jedem unmöglich gewesen sein würde, sich lange in dieser Stellung zu behaupten, und doch geschah es. Man mochte den Körper so sehr herabbeugen, als man wollte, immer blieb er in dem vollkommensten Gleichgewicht. Sie schien gänzlich ohne Empfindung, man rüttelte, kneipte, quälte sie, stellte ihr die Füße auf ein heißes Kohlenbecken, schrie ihr in die Ohren, sie werde ihren Prozeß gewinnen, alles umsonst, sie gab kein Zeichen des willkürlichen Lebens von sich. Nach und nach kam sie zu sich selbst, doch führte sie unzusammenhängende Reden. – Endlich —

Fahren Sie fort, sprach die Fürstin, als der Leibarzt innehielt, fahren Sie fort, verschweigen Sie mir nichts und sei es das Entsetzlichste! – Nicht wahr? – in Wahnsinn verfiel die Dame!

Es genügt, sprach der Leibarzt weiter, hinzuzufügen, daß ein sehr böser Zustand der Dame nur vier Tage hindurch anhielt, daß sie in Vesoul, wohin sie zurückkehrte, völlig genas und nicht die mindesten schlimmen Folgen ihrer harten ungewöhnlichen Krankheit verspürte. —

Während die Fürstin aufs neue in trübes Nachdenken versank, verbreitete sich der Leibarzt weitläufig über die ärztlichen Mittel, die er anzuwenden gedenke, um der Prinzessin zu helfen und verlor sich zuletzt in solche wissenschaftlichen Demonstrationen, als spräche er in einer ärztlichen Beratung zu den tief gelehrtesten Doktoren.

Was, unterbrach endlich die Fürstin den wortreichen Leibarzt, was helfen alle Mittel, die die spekulierende Wissenschaft darbietet, wenn das Heil, das Wohl des Geistes gefährdet.

Der Leibarzt schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er fort: Gnädigste Frau, das Beispiel von der wunderbaren Starrsucht jener Dame in Besançon zeigt, daß der Grund ihrer Krankheit in einer psychischen Ursache lag. Man fing, als sie zu einiger Besinnung gekommen, ihre Kur damit an, daß man ihr Mut einsprach und ihr den bösen Prozeß als gewonnen darstellte. – Einig sind auch die erfahrensten Ärzte darüber, daß eben irgendeine plötzliche starke Gemütsbewegung jenen Zustand am ersten hervorbringt. Prinzessin Hedwiga ist reizbar bis zum höchsten ungewöhnlichen Grade, ja ich möchte den Organismus ihres Nervensystems manchmal schon an und für sich selbst abnorm nennen. Gewiß scheint es, daß irgend eine heftige Erschütterung des Gemüts auch ihren Krankheitszustand erzeugte. Man muß die Ursache zu erforschen suchen, um psychisch mit Erfolg auf sie wirken zu können! – Die schnelle Abreise des Prinzen Hektor. – Nun, gnädigste Frau, die Mutter dürfte vielleicht tiefer schauen als jeder Arzt, und diesem die besten Mittel an die Hand geben können zur heilsamen Kur.

Die Fürstin erhob sich und sprach stolz und kalt: Selbst die Bürgerfrau bewahrt gern die Geheimnisse des weiblichen Herzens, das Fürstenhaus erschließt sein Inneres nur der Kirche und ihren Dienern, zu denen der Arzt sich nicht zählen darf.

Wie, rief der Leibarzt lebhaft, wer vermag das leibliche Wohl so scharf zu trennen von dem geistigen? Der Arzt ist der zweite Beichtvater, in die Tiefe des psychischen Seins müssen ihm Blicke vergönnt werden, wenn er nicht jeden Augenblick Gefahr laufen will zu fehlen. Denken Sie an die Geschichte jenes kranken Prinzen gnädigste Frau —

Genug! unterbrach die Fürstin den Arzt beinahe mit Unwillen, genug! – Nie werde ich mich bewegen lassen eine Unschicklichkeit zu begehen; ebensowenig als ich glauben kann, daß irgendeine Unschicklichkeit auch nur in Gedanke und Empfindung die Krankheit der Prinzessin veranlaßt haben kann.

Damit entfernte sich die Fürstin und ließ den Leibarzt stehen.

Wunderliche Frau, sprach dieser zu sich selbst, diese Fürstin! Gern möchte sie andere ja sich selbst überreden, daß der Kitt, womit die Natur Seele und Körper zusammenleimt, wenn es darauf ankommt etwas Fürstliches zu bilden, von ganz besonderer Art sei, und keineswegs dem zu vergleichen, den sie bei uns armen Erdensöhnen bürgerlicher Abkunft verbraucht. – Man soll gar nicht daran denken, daß die Prinzessin ein Herz hat, so wie jener höfische Spanier, der das Geschenk von seidnen Strümpfen, das gute niederländische Bürger seiner Fürstin machen wollten, deshalb verschmähte, weil es unschicklich sei daran zu erinnern, daß eine spanische Königin wirklich Füße habe wie andere ehrliche Leute! – Und doch: zu wetten ist es, daß in dem Herzen, dem Laboratorio alles weiblichen Weh's, die Ursache des fürchterlichsten aller Nervenübel zu suchen ist, das die Prinzessin befallen. —

Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
21 mai 2019
Objętość:
550 lk 1 illustratsioon
Õiguste omanik:
Public Domain
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip