Loe raamatut: «Lebensansichten des Katers Murr», lehekülg 24

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Ist denn die jetzt in Gefahr gekommen! – fragte Kreisler gespannt.

Domine, sprach Pater Hilarius leise, indem er Kreislern vertraulich näher rückte. Domine dilectissime! Ihr seid lange genug bei uns um zu wissen, in welcher Eintracht wir leben, wie sich die verschiedensten Neigungen der Brüder in einer gewissen Heiterkeit einigen, die von allem, von unserer Umgebung, von der Milde der Klosterzucht, von der ganzen Lebensweise begünstigt wird. – Vielleicht hat das am längsten gedauert. Erfahrt es Kreisler! eben ist Pater Cyprianus angekommen, der längst erwartete, der von Rom aus dem Abt auf das dringendste empfohlen wurde. Es ist noch ein junger Mann, aber auf diesem ausgedörrten starren Antlitz ist auch nicht eine Spur eines heitern Gemüts zu finden, vielmehr liegt in den finstern abgestorbenen Zügen eine unerbittliche Strenge, die den bis zur höchsten Selbstqual gesteigerten Aszetiker verkündet. Dabei zeugt sein ganzes Wesen von einer gewissen feindseligen Verachtung alles dessen, was ihn umgibt, die vielleicht wirklich dem Gefühl einer geistlichen Übermacht über uns alle ihren Ursprung verdanken mag. Schon erkundigte er sich in abgebrochenen Worten nach der Klosterzucht und schien großes Ärgernis an unserer Lebensweise zu nehmen. – Gebt acht, Kreisler, dieser Ankömmling wird unsre ganze Ordnung, die uns so wohlgetan, verkehren! Gebt acht, nunc probo! Die Strenggesinnten werden sich leicht an ihn anschließen, und bald wird sich eine Partei wider den Abt bilden, der vielleicht der Sieg nicht entgehen kann, weil es mir gewiß scheint, daß Pater Cyprianus ein Emissar Sr. päpstlichen Heiligkeit ist, dessen Willen sich der Abt beugen muß! – Kreisler! was wird aus unserer Musik, aus Eurem gemütlichen Aufenthalt bei uns werden! – Ich sprach von unserm wohleingerichteten Chor und wie wir die Werke der größten Meister recht wacker auszuführen im Stande, da schnitt aber der finstre Aszetiker ein entsetzliches Gesicht und meinte, dergleichen Musik sei für die profane Welt, aber nicht für die Kirche, aus der sie der Papst Marcellus der Zweite mit Recht ganz verbannen wollen. – Per diem wenn es keinen Chor mehr geben soll und man mir vielleicht auch den Weinkeller verschließt so – doch vorderhand, bibamus! – Man muß sich vor der Zeit keine Gedanken machen, ergo – gluck-gluck.

Kreisler meinte, daß es sich wohl mit dem neuen Ankömmling, der vielleicht strenger schiene als er es wirklich sei, besser fügen und er seinerseits nicht glauben könne, daß der Abt bei dem festen Charakter, den er stets bewiesen, so leicht dem Willen eines fremden Mönchs nachgeben werde, zumal es ihm selbst an wichtigen, erfolgreichen Verbindungen in Rom gar nicht fehle.

In dem Augenblick wurden die Glocken gezogen, ein Zeichen, daß die feierliche Aufnahme des fremden Bruders Cyprianus in den Orden des heiligen Benedikt vor sich gehen solle.

Kreisler begab sich mit dem Pater Hilarius, der mit einem halbängstlichen: bibendum quid noch die Neige seines Römers schnell hinunter schluckte, auf den Weg nach der Kirche. Aus den Fenstern des Korridors, den sie durchschritten, konnte man in die Gemächer des Abts hineinschauen. Seht, seht! rief Pater Hilar, indem er den Kreisler in die Ecke eines Fensters zog. Kreisler schaute hinüber und gewahrte in dem Gemach des Abts einen Mönch, mit dem der Abt sehr eifrig sprach, indem eine dunkle Röte sein Antlitz überzog. Endlich kniete der Abt nieder vor dem Mönch, der ihm den Segen gab.

Hab ich recht, sprach Hilarius leise, wenn ich in diesem fremden Mönch, der mit einem Mal hinabschneit in unsre Abtei, etwas Besonderes, Seltsames suche und finde.

Gewiß, erwiderte Kreisler, hat es mit diesem Cyprianus eine eigne Bewandtnis, und mich sollt es wundern, wenn nicht gewisse Beziehungen sich sehr bald kundtun sollten.

Pater Hilarius begab sich zu den Brüdern um mit ihnen in feierlicher Prozession, das Kreuz vorauf, die Laienbrüder mit angezündeten Kerzen und Fahnen an den Seiten in die Kirche zu ziehen.

Als nun der Abt mit dem fremden Mönch dicht bei Kreisler vorüberkam, erkannte dieser auf den ersten Blick, daß Bruder Cyprianus eben der Jüngling war, den auf jenem Bilde die heilige Jungfrau aus dem Tode zum Leben erweckte. – Doch noch eine Ahnung erfaßte Kreislern plötzlich. Er rannte hinauf in sein Zimmer, er holte das kleine Bildnis hervor, das ihm Meister Abraham gegeben, er erblickte denselben Jüngling, nur jünger, frischer und in Offizier-Uniform abgebildet. Als nun —

Vierter Abschnitt

Ersprießliche Folgen höherer Kultur. – Die reiferen Monate des Mannes

Hinzmanns rührender Sermon, das Trauermahl, die schöne Mina, Miesmies Wiederfinden, der Tanz, alles das hatte in meiner Brust einen Zwiespalt der widersprechendsten Gefühle erregt, so daß ich, wie man im gewöhnlichen Leben gemeinhin sagt, mich eigentlich gar nicht zu lassen wußte und in einer gewissen trostlosen Bangigkeit des Gemüts wünschte, ich läge im Keller in der Grube, wie Freund Muzius. Das war nun freilich sehr arg und ich wüßte gar nicht, was aus mir geworden wäre, lebte nicht der wahre, hohe Dichtergeist in mir, der sofort mich mit reichlichen Versen versorgte, die ich niederzuschreiben nicht unterließ. – Die Göttlichkeit der Poesie offenbart sich vorzüglich darin, daß das Versemachen, kostet auch der Reim hin und wieder manchen Schweißtropfen, doch ein wunderbares inneres Wohlbehagen erregt, das jedes irdische Leid überwindet, so wie man denn wissen will, daß es sogar oftmals schon Hunger und Zahnschmerzen besiegt hat. Jener soll, da der Tod ihm den Vater, die Mutter, die Gattin raubte, zwar bei jedem Todesfall, wie billig ganz außer sich, aber doch bei dem Gedanken an das herrliche Trauer-Carmen, das er nun im Geist zu empfangen gedachte, niemals untröstlich gewesen sein und bloß noch einmal sich verheiratet haben, um die Hoffnung abermaliger tragischer Begeisterung derselben Art nicht aufzugeben. —

Hier sind die Verse, die meinen Zustand sowie den Übergang von Leid zur Freude mit poetischer Kraft und Wahrheit schildern.

 
Was wandelt horch! durch finstre Räume
In öder Keller Einsamkeit!
Was ruft mir zu: Nicht länger säume!
Wes Stimme klagt ein herbes Leid?
Dort liegt der treue Freund begraben,
Nach mir verlangt sein irrer Geist;
Mein Trost soll ihn im Tode laben,
Ich bin's, der Leben ihm verheiß!
 
 
Doch nein! – das ist kein flücht'ger Schatten,
Der solche Töne von sich gibt!
Sie seufzen nach dem treuen Gatten,
Nach ihm, der noch so heiß geliebt!
In alte Liebesketten fallen,
Rinaldo will's, er kehrt zurück,
Doch wie! – Schau' ich nicht spitze Krallen?
Nicht eifersücht'gen Zornes Blick?
 
 
Sie ist's – die Frau! – wohin entfliehen! —
Ha! welch Gefühl bestürmt die Brust.
Im keuschen Schnee der Jugend blühen,
Seh' ich des Lebens höchste Lust.
Sie springt, sie nah't, und immer heller,
Wird's um mich Hochbeglückten her.
Ein süßer Duft durchweht den Keller,
Die Brust wird leicht, das Herz wird schwer.
 
 
Der Freund gestorben – sie gefunden —
Entzücken! – Wonne! – bittrer Schmerz!
Die Gattin – Tochter – neue Wunden! —
Ha! sollst du brechen armes Herz?
Doch kann den Sinn wohl so betören,
Ein Trauermahl, ein lust'ger Tanz?
Nein – diesem Treiben muß ich wehren,
Mich blendet nur ein falscher Glanz.
 
 
Hinweg ihr eitlen Truggebilde,
Gebt höher'm Streben willig Raum.
Gar manches führt die Katz' im Schilde,
Sie liebt, sie haßt und weiß es kaum.
Kein Ton, kein Blick, senkt eure Augen,
O Mina, Miesmies, falsch Geschlecht!
Verderblich Gift, nicht will ich's saugen,
Ich flieh' und Muzius sei gerächt.
 
 
Verklärter: – ja bei jedem Braten,
Bei jedem Fisch gedenk ich dein!
Denk' deiner Weisheit, deiner Taten,
Denk' Kater ganz wie du zu sein.
Gelang es hünd'schem Frevelwitze,
Dich zu verderben edler Freund,
So trifft die Schmach blutgier'ge Spitze,
Es rächet dich, der um dich weint.
 
 
So flau, so jammervoll im Busen
War mir's, ich wußte gar nicht wie.
Doch hoher Dank den holden Musen,
Dem kühnen Flug der Phantasie.
Mir ist jetzt wieder leidlich besser,
Spür' gar nicht g'ringen Appetit,
Bin Muzius gleich ein wackrer Esser,
Und ganz in Poesie erglüht.
 
 
Ja Kunst! du Kind aus hohen Sphären,
Du Trösterin im tiefsten Leid,
O! Verslein laß mich stets gebären,
Mit genialer Leichtigkeit!
Und: Murr, so sprechen edle Frauen,
Hochherz'ge Jünglinge, o Murr:
„Du Dichterherz, ein zart Vertrauen,
„Weckt in der Brust dein süß Gemurr!“
 

Die Wirkung des Verslein-Machens war zu wohltätig, ich konnte mich nicht mit diesem Gedicht begnügen, sondern machte mehre hintereinander mit gleicher Leichtigkeit, mit gleichem Glück. Die gelungensten würd' ich hier dem geneigten Leser mitteilen, hätte ich nicht im Sinn, dieselben mit mehreren Witzwörtern und Impromptus, die ich in müßigen Stunden angefertigt und über die ich schon beinahe vor Lachen bersten mögen, unter dem allgemeinen Titel: Was ich gebar in Stunden der Begeisterung, herauszugeben. – Zu meinem nicht geringen Ruhm muß ich es sagen, daß selbst in meinen Jünglingsjahren, wenn der Sturm der Leidenschaft noch nicht verbraust ist, ein heller Verstand, ein feiner Takt für das Gehörige, die Oberhand behielt über jeden abnormen Sinnenrausch. So gelang es mir auch die plötzlich aufgewallte Liebe zu der schönen Mina gänzlich zu unterdrücken. Einmal mußte mir denn doch bei ruhiger Überlegung diese Leidenschaft in meinen Verhältnissen etwas töricht vorkommen; dann erfuhr ich aber auch, daß Mina des äußern Scheins kindlicher Frömmigkeit unerachtet, ein keckes eigensinniges Ding sei, die bei gewissen Anlässen den bescheidensten Katerjünglingen in die blanken Augen fahre. Um mir aber jeden Rückfall zu ersparen, vermied ich sorglich Mina zu sehen, und da ich Miesmies vermeintliche Ansprüche und ihr seltsames überspanntes Wesen noch mehr scheute, so hielt ich mich, um ja keiner von beiden zu begegnen, einsam im Zimmer und besuchte weder den Keller, noch den Boden, noch das Dach. Der Meister schien dies gern zu sehen; er erlaubte, daß ich, studierte er am Schreibtisch, mich hinter seinem Rücken auf den Lehnstuhl setzen und mit vorgestrecktem Halse durch den Arm in das Buch gucken durfte, welches er eben las. – Es waren ganz hübsche Bücher die wir, ich und mein Meister auf diese Art zusammen durchstudierten, wie z. B. Arpe, De prodigiosis naturae et artis operibus, Talismanes et Amuleta dictis, Beckers bezauberte Welt, Francisci Petrarca Gedenkbuch u. a. m. – Diese Lektüre zerstreute mich ungemein und gab meinem Geist einen neuen Schwung.

Der Meister war ausgegangen, die Sonne schien so freundlich, die Frühlingsdüfte wehten so anmutig zum Fenster hinein; ich vergaß meine Vorsätze und spazierte hinauf auf das Dach. Kaum war ich aber oben, als ich auch schon Muzius Witwe erblickte, die hinter dem Schornstein hervorkam. – Vor Schreck blieb ich regungslos stehen, wie eingewurzelt; schon hörte ich mich bestürmt mit Vorwürfen und Beteuerungen. – Weit gefehlt. – Gleich hinterher folgte der junge Hinzmann, rief die schöne Witwe mit süßen Namen, sie blieb stehen, empfing ihn mit lieblichen Worten, beide begrüßten sich mit dem entschiedenen Ausdruck inniger Zärtlichkeit und gingen dann schnell an mir vorüber, ohne mich zu grüßen oder sonst im mindesten zu beachten. Der junge Hinzmann schämte sich ganz gewiß vor mir, denn er senkte den Kopf zu Boden und schlug die Augen nieder, die leichtsinnige kokette Witwe warf mir aber einen höhnischen Blick zu.

Der Kater ist, was sein psychisches Wesen betrifft, doch eine gar närrische Kreatur. – Hätte ich nicht froh sein können, sein müssen, daß Muzius Witwe anderweitig mit einem Liebhaber versehen, und doch konnte ich mich eines gewissen innern Ärgers nicht erwehren, der beinahe das Ansehen hatte von Eifersüchtelei. – Ich schwor niemals mehr das Dach zu besuchen, wo ich große Unbill erlebt zu haben glaubte. Statt dessen sprang ich nun fleißig auf die Fensterbank, sonnte mich, schaute um mich zu zerstreuen auf die Straße herab, stellte allerlei tiefsinnige Betrachtungen an und verband so das Angenehme mit dem Nützlichen.

Ein Gegenstand dieser Betrachtungen war denn auch, warum es mir noch niemals eingefallen, mich aus eignem freien Antriebe vor die Haustüre zu setzen oder auf der Straße zu lustwandeln, wie ich es doch viele von meinem Geschlecht tun sah, ohne alle Furcht und Scheu. Ich stellte mir das als etwas höchst Angenehmes vor und war überzeugt, daß nun, da ich zu reiferen Monaten gekommen und Lebenserfahrung genug gesammelt, von jenen Gefahren in die ich geriet, als das Schicksal mich, einen unmündigen Jüngling, hinausschleuderte in die Welt, nicht mehr die Rede sein könne. Getrost wandelte ich daher die Treppe herab und setzte mich fürs erste auf die Türschwelle, in den hellsten Sonnenschein. Daß ich eine Stellung annahm, die jedem auf den ersten Blick den gebildeten, wohlerzogenen Kater verraten mußte, versteht sich von selbst. Es gefiel mir vor der Haustüre ganz ungemein. Indem die heißen Sonnenstrahlen meinen Pelz wohltätig auswärmten, putzte ich mit gekrümmter Pfote zierlich Schnauze und Bart, worüber mir ein paar vorübergehende junge Mädchen, die den großen, mit Schlössern versehenen Mappen nach, die sie trugen, aus der Schule kommen mußten, nicht allein ihr großes Vergnügen bezeugten, sondern mir auch ein Stückchen Weißbrot verehrten, welches ich nach gewohnter Galanterie dankbarlichst annahm. —

Ich spielte mehr mit der mir dargebotenen Gabe, als daß ich sie wirklich zu verzehren Anstalt machte, aber wie groß war mein Entsetzen, als plötzlich ein starkes Brummen dicht bei mir dies Spiel unterbrach, und der mächtige Alte, Ponto's Oheim, der Pudel Skaramuz vor mir stand. Mit einem Satz wollte ich fort aus der Türe, doch Skaramuz rief mir zu: Sei er kein Hasenfuß und bleib er ruhig sitzen; glaubt er, ich werd ihn fressen? —

Mit der demütigsten Höflichkeit fragte ich, worin ich vielleicht dem Herrn Skaramuz nach meinen geringen Kräften dienen könne, der erwiderte aber barsch: In nichts in gar nichts kann er mir dienen, Mosje Murr, und wie sollte das auch möglich sein. Aber fragen wollt' ich ihn, ob er vielleicht weiß, wo mein liederlicher Neffe steckt, der junge Ponto. Er hat sich ja wohl schon einmal mit ihm herumgetrieben, und ihr scheinet zu meinem nicht geringen Ärger ein Herz und eine Seele. Nun? – sag er nur an, ob er weiß, wo der Junge herumschwärmt; ich habe ihn schon seit mehreren Tagen mit keinem Auge gesehen.

Verlegen durch des mürrischen Alten stolzes wegwerfendes Betragen, versicherte ich kalt, daß von einer engen Freundschaft zwischen mir und dem jungen Ponto gar nicht die Rede sei und auch niemals die Rede gewesen wäre. Zumal in der letzten Zeit habe sich Ponto, den ich übrigens gar nicht aufgesucht, ganz von mir zurückgezogen.

Nun das freut mich, brummte der Alte, das zeigt doch, daß der Junge Ehre im Leibe hat und nicht gleich bei der Hand ist mit Leuten allerlei Gelichters sein Wesen zu treiben.

Das war denn doch nicht auszuhalten, der Zorn übermannte mich, das Burschentum regte sich in mir, ich vergaß alle Furcht, und prustete dem schnöden Skaramuz ein tüchtiges: Alter Grobian! ins Gesicht, hob auch die rechte Pfote mit ausgespreizten Krallen in die Höhe und zwar in der Richtung nach des Pudels linkem Auge. Der Alte wich zwei Schritte zurück und sprach weniger barsch, als vorher: Nun, nun Murr! nichts für ungut, ihr seid sonst ein guter Kater und da will ich euch denn raten, nehmt euch in acht vor dem Blitzjungen dem Ponto! Er ist, ihr möget es glauben, eine ehrliche Haut, aber leichtsinnig! – leichtsinnig! zu allen tollen Streichen aufgelegt, kein Ernst des Lebens, keine Sitte! – Nehmt euch in acht, sag' ich, denn bald wird er euch verlocken in allerlei Gesellschaften, wo ihr gar nicht hingehört und euch mit unsäglicher Mühe zu einer Art des sozialen Umgangs zwingen müßt, die eurer innersten Natur zuwider und über die eure Individualität, eure einfache ungeheuchelte Sitte, wie ihr sie mir eben bewiesen, zu Grunde geht. – Seht, guter Murr, Ihr seid, wie ich schon gesagt, als Kater schätzenswert und habt für gute Lehre ein williges geneigtes Ohr! – Seht! so viel tolle, unangenehme ja zweideutige Streiche auch ein Jüngling verführen mag, zeigt er nur dann und wann jene weichliche ja oft süßliche Gutmütigkeit, wie sie Leuten von sanguinischem Temperament immer eigen, so heißt es denn gleich mit dem französischen Ausdruck: Au fond ist er doch ein guter Kerl und das soll denn alles entschuldigen, was er beginnt gegen alle Sitte und Ordnung. Aber der fond, in dem der Kern des Guten steckt, liegt so tief und über ihm hat sich so viel Unrat eines ausgelassenen Lebens gesammelt, daß er im Keime ersticken muß. – Für wahrhaftes Gefühl des Guten wird einem aber oft jene alberne Gutmütigkeit aufgetischt, die der Teufel holen soll, wenn sie nicht vermag den Geist des Bösen in einer glänzenden Maske zu erkennen. Traut, o Kater, den Erfahrungen eines alten Pudels, der sich was in der Welt versucht und laßt Euch nicht durch das verdammte: Au fond ist er ein guter Kerl, betören! – Seht Ihr etwa meinen liederlichen Neffen, so möget Ihr ihm alles geradezu heraussagen, was ich mit Euch gesprochen, und Euch seine fernere Freundschaft gänzlich verbitten. – Gott befohlen! – Ihr freßt das wohl nicht, guter Murr?

Damit nahm der alte Pudel Skaramuz das Stückchen Weißbrot, das vor mir lag, hurtig ins Maul und schritt dann gemächlich von dannen, indem er mit gesenktem Haupt die lang behaarten Ohren an der Erde schleppen ließ und ein ganz klein wenig mit dem Schweife wedelte. —

Gedankenvoll schaute ich dem Alten nach, dessen Lebensweisheit mir ganz eingehen wollte. Ist er fort, ist er fort? So lispelte es dicht hinter mir, und ich erstaunte nicht wenig, als ich den jungen Ponto erblickte, der sich hinter die Türe geschlichen und so lange gewartet hatte, bis der Alte mich verlassen. Ponto's plötzliche Erscheinung setzte mich gewissermaßen in Verlegenheit, da mir des alten Onkels Auftrag, den ich jetzt eigentlich hätte ausrichten müssen, doch etwas bedenklich schien. Ich dachte an jene entsetzlichen Worte, die Ponto mir einst zugerufen: Solltest du es dir etwa beikommen lassen, feindliche Gesinnungen gegen mich zu äußern, so bin ich dir an Stärke und Gewandheit überlegen. Ein Sprung, ein tüchtiger Biß meiner scharfen Zähne würde dir auf der Stelle den Garaus machen. – Ich fand es sehr ratsam zu schweigen. —

Diese inneren Bedenklichkeiten mochten mein äußeres Betragen kalt und gezwungen erscheinen lassen, Ponto guckte mich an mit scharfem Blick. Dann brach er aus in eine helle Lache und rief: Ich merk es schon, Freund Murr! Mein Alter hat dir allerlei Böses vorgeredet von meinem Treiben, er hat mich liederlich, allen tollen Streichen und Ausschweifungen ergeben, geschildert. Sei nicht so töricht, von dem allem auch nur ein Wörtchen zu glauben. Fürs erste! Schau mich recht aufmerksam an und sage mir, was du von meiner äußern Erscheinung hältst? – Den jungen Ponto betrachtend fand ich, daß er nie so wohl genährt, so glau ausgesehen, daß nie diese Nettigkeit, diese Eleganz in seinem Anzuge, nie diese wohltuende Übereinstimmung in seinem ganzen Wesen geherrscht. Ich äußerte ihm dies unverhohlen.

Nun wohl, guter Murr, sprach Ponto, glaubst du wohl, daß ein Pudel, der sich in schlechter Gesellschaft umhertreibt, der niedrigen Ausschweifungen ergeben, der recht systematisch liederlich ist ohne eigentlichen Geschmack daran zu finden, sondern bloß aus Langeweile, wie es denn nun wirklich bei vielen Pudeln der Fall ist – glaubst du wohl, daß ein solcher Pudel so aussehen kann wie du mich findest? Du rühmst vorzüglich die Harmonie in meinem ganzen Wesen. Schon das muß dich belehren, wie sehr mein grämlicher Onkel im Irrtum ist; denke, da du ein literarischer Kater bist, an jenen Lebensweisen, welcher dem, der an einem Lasterhaften vorzüglich das Unharmonische der ganzen Gestaltung rügte, erwiderte: Ist es möglich, daß das Laster Einheit haben kann? Wundere dich, Freund Murr, nicht einen Augenblick über die schwarzen Verleumdungen meines Alten. Grämlich und geizig, wie denn nun einmal alle Oheime sind, hat er deshalb seinen ganzen Zorn auf mich geworfen, weil er par honneur einige kleine Spielschulden bezahlen müssen, die ich bei einem Wurstkrämer ausgeborgt hatte, der bei sich verbotenes Spiel duldete und den Spielern oft in Cervelaten, Grützen und Lebern (zu Würsten aptiert nämlich) bedeutende Vorschüsse machte. Dann aber denkt der Alte auch noch immer an eine gewisse Periode, in der meine Lebensweise eben nicht rühmlich war, die aber längst vorüber und dem herrlichsten Anstande gewichen ist.

In dem Augenblicke kam ein kecker Pinscher des Weges, guckte mich an, als hab' er meines gleichen noch niemals gesehen, schrie mir die gröbsten Insolenzen in die Ohren und schnappte dann nach dem Schweif, den ich lang aus von mir gestreckt, welches ihm zu mißfallen schien. Sowie ich aber hochaufgerichtet mich zur Wehre setzen wollte, war Ponto auch schon auf den ungesitteten Krakeeler losgesprungen, hatte ihn zu Boden getreten und zwei-, dreimal überrannt, so daß er unter dem jammervollsten Lamento, den Schweif fest eingeklemmt, schnell davonfuhr wie ein abgeschossener Pfeil.

Dieser Beweis, den Ponto mir von seiner guten Gesinnung, von seiner tätigen Freundschaft gab, rührte mich ungemein und ich dachte, daß hier das: Au fond ist er ein guter Kerl! welches der Onkel Skaramuz mir hatte verdächtig machen wollen, doch auf Ponto anzuwenden sei in besserm Sinne und ihn mit mehrerem Grunde entschuldigen könne, als manchen andern. Überhaupt wollt' es mich bedünken, daß der Alte gewiß zu schwarz gesehen und Ponto zwar leichtsinnige aber nie schlechte Streiche machen könne. Alles dieses äußerte ich meinem Freunde ganz unverhohlen und dankte ihm dabei dafür, daß er meine Verteidigung übernommen, in den verbindlichsten Ausdrücken.

Es freut mich, guter Murr, erwiderte Ponto, indem er, wie es seine Art war, mit muntren schalkischen Augen umherblickte, daß der pedantische Alte dich nicht irre gemacht hat, sondern daß du mein gutes Herz erkennst. – Nicht wahr, Murr, ich nahm den übermütigen Jungen tüchtig vor? – Er wird daran denken lange Zeit. Eigentlich habe ich ihm heute schon den ganzen Tag aufgepaßt, der Bengel stahl mir gestern eine Wurst und mußte dafür gezüchtigt werden. Daß dabei auch nebenher die Unbill gerächt wurde, die du von ihm erfahren, und daß ich in dieser Art dir meine Freundschaft bewähren konnte, ist mir gar nicht unlieb; ich schlug, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt, zwei Fliegen mit einer Klappe. – Nun aber wiederum auf unser voriges Gespräch zurückzukommen! – Betrachte mich, guter Katz, noch einmal recht genau, und sage mir, ob du denn gar keine merkwürdige Veränderung in meinem Äußern wahrnimmst? —

Ich schaute meinen jungen Freund aufmerksam an und – ach der Tausend! nun erst fiel mir das silberne zierlich gearbeitete Halsband ins Auge, das er trug, und auf dem die Worte graviert waren: Baron Alcibiades von Wipp. Marschallstraße Nr. 46.

Wie Ponto, rief ich erstaunt, du hast deinen Herrn verlassen, den ästhetischen Professor und dich zu einem Baron begeben?

Verlassen habe ich nun eigentlich den Professor nicht, erwiderte Ponto, sondern er hat mich von sich gejagt mit Fußtritten und Prügeln.

Wie konnte das geschehen, sprach ich, dein Herr bewies dir ja sonst alle Liebe und Güte wie nur möglich?

Ach, antwortete Ponto, das ist eine dumme ärgerliche Geschichte, die nur durch das sonderbare Spiel des neckenden Zufalls zu meinem Glück ausschlug. An der ganzen Sache war bloß meine alberne Gutmütigkeit schuld, der freilich ein wenig eitle Prahlerei beigemischt. In jeder Minute wollt' ich meinem Herrn Aufmerksamkeiten erweisen und ihm dabei mein Geschick, meine Ausbildung zeigen. Deshalb war ich auch gewohnt alles, was an Kleinigkeiten am Fußboden lag, dem Herrn ohne weitere Aufforderung zu apportieren. Nun! – Du weißt vielleicht, daß der Professor Lothario eine blutjunge und dabei bildhübsche Frau hat, die ihn auf das zärtlichste liebt, woran er gar nicht zweifeln darf, da sie es ihm jeden Augenblick versichert und ihn gerade dann mit Liebkosungen überhäuft, wenn er, in Büchern begraben, sich auf die zu haltende Vorlesung vorbereitet. Sie ist die Häuslichkeit selbst, da sie das Haus niemals vor zwölf Uhr verläßt da sie doch schon um halb elf Uhr aufgestanden und einfach in ihren Sitten verschmäht sie nicht mit der Köchin, mit dem Stubenmädchen die häuslichen Angelegenheiten bis ins tiefste Detail zu beraten und sich, ist das Wochengeld gewisser nicht etatsmäßiger Ausgaben halber zu früh aus dem Beutel entwischt und darf der Herr Professor nicht angegangen werden, ihrer Kasse zu bedienen. Die Zinsen dieser Anleihen trägt sie ab in kaum getragnen Kleidern, so wie diese und auch wohl Federhüte, in die die erstaunte Welt der Mägde Sonntags das Stubenmädchen geputzt sieht, als Lohn für gewisse geheime Gänge und andre Gefälligkeiten gelten dürften. Bei so vielen Vollkommenheiten mag wohl einer liebenswürdigen Frau die kleine Torheit (ist es überhaupt Torheit zu nennen) kaum verargt werden, daß ihr eifrigstes Streben, all ihr Dichten und Trachten dahin geht, stets nach der letzten Mode gekleidet zu gehen, daß ihr das Eleganteste, das Teuerste, nicht elegant, nicht teuer genug ist, daß sie, hat sie ein Kleid dreimal, einen Hut viermal getragen, den türkischen Shawl einen Monat hindurch umgehängt, eine Idiosynkrasie dagegen empfindet und die kostbarste Garderobe wegwirft um einen Spottpreis oder wie gesagt, die Mägde sich darin putzen läßt. Daß die Frau eines Professors der Ästhetik Sinn hat für schöne äußere Gestaltung ist wohl gar nicht zu verwundern, und nur erfreulich kann es dem Gemahl sein, wenn dieser Sinn sich darin offenbart, daß die Gemahlin mit sichtlichem Wohlgefallen den Blick der feuerblitzenden Augen auf schönen Jünglingen ruhen läßt, diesen auch wohl zuweilen etwas nachläuft. Manchmal bemerkte ich, daß dieser, jener junge Mann, der die Vorlesungen des Professors besuchte, die Türe des Auditoriums verfehlte und statt dieser die Türe, welche zum Zimmer der Professorin führte, leise öffnete und ebenso leise hineintrat. Beinahe mußte ich glauben, daß diese Verwechslung nicht ganz absichtslos geschah, oder wenigstens niemanden gereute, denn keiner eilte, seinen Irrtum zu verbessern, sondern jeder, der hineingetreten, kam erst nach einer guten Zeit heraus und zwar mit solch lächelndem zufriednem Blick als ob ihm der Besuch bei der Professorin ebenso angenehm und nützlich gewesen als eine ästhetische Vorlesung des Professors. Die schöne Lätitia (so hieß des Professors Frau) war mir nicht sonderlich gewogen. Sie litt mich nicht in ihrem Zimmer und mochte recht haben, da freilich der kultivierteste Pudel nicht dort hingehört, wo er bei jedem Schritt Gefahr läuft Florspitzen zu zerreißen, Kleider zu beschmutzen, die auf allen Stühlen umherliegen. Doch wollt es der Professorin böser Genius, daß ich einmal bis in ihr Boudoir hineindrang. Der Herr Professor hatte eines Tages bei einem Mittagsmahl mehr Wein getrunken als gerade dienlich und war darüber in eine hochbegeisterte Stimmung geraten. Zu Hause angekommen, ging er, ganz gegen seine Gewohnheit geradezu in das Kabinett seiner Frau, und ich schlüpfte, selbst wußte ich nicht, was für eine besondere Lust mich dazu antrieb, mit hinein durch die Türe. Die Professorin war in Hauskleidern, deren Weiße dem frisch gefallenen Schnee zu vergleichen, ihr ganzer Anzug zeigte nicht sowohl eine gewisse Sorglichkeit, als die tiefste Kunst der Toilette, die sich hinter dem Einfachen verbirgt und wie ein versteckter Feind desto gewisser siegt. Die Professorin war in der Tat allerliebst und stärker als sonst empfand dies der halb berauschte Professor, der ganz Liebe und Entzücken die holde Gattin mit den süßesten Namen nannte, mit den zärtlichsten Liebkosungen überhäufte und darüber gar nicht eine gewisse Zerstreuung, ein gewisses unruhiges Mißbehagen bemerkte, das sich in dem ganzen Wesen der Professorin nur zu deutlich aussprach. Mir war die steigende Zärtlichkeit des begeisterten Ästhetikers unangenehm und lästig. Ich kam auf meinen alten Zeitvertreib und suchte am Boden umher. Gerade als der Professor in der höchsten Ekstase laut rief: Göttliches, hehres, himmlisches Weib, laß uns – tänzelte ich auf den Hinterbeinen zu ihm heran und apportierte ihm zierlich und, wie bei diesem Akt jedesmal, ein wenig mit dem Stutzschweif wedelnd, den feinen pommeranzfarbnen Männerhandschuh, den ich unter dem Sofa der Frau Professorin gefunden. – Starr blickte der Professor den Handschuh an und rief wie plötzlich aufgeschreckt aus einem süßen Traum: Was ist das? – Wem gehört dieser Handschuh! wie ist er in dies Zimmer gekommen? – Damit nahm er den Handschuh mir aus der Schnauze, besah ihn, hielt ihn an die Nase und rief dann wieder: Wo kommt dieser Handschuh her? Lätitia, sprich, wer ist bei Dir gewesen? – Wie Du, erwiderte die holde treue Lätitia mit dem ungewissen Ton der Verlegenheit, den sie sich vergebens mühte zu unterdrücken, wie Du nun auch seltsam bist, lieber Lothar, wem soll, wem wird der Handschuh gehören. Die Majorin war hier und konnte bei dem Abschiede den Handschuh nicht finden, den sie auf der Treppe ausgestreut zu haben glaubte. – Die Majorin, schrie der Professor ganz außer sich, die kleine zart gebaute Frau, deren ganze Hand hineingeht in diesen Daumen! – Höll und Teufel, welcher Zierbengel war hier? – Denn nach parfümierter Seife riecht das verfluchte Ding! – Unglückliche, wer war hier, welcher verbrecherische Trug der Hölle zerstörte hier meine Ruhe, mein Glück! – Schändliches, verruchtes Weib! —

Die Professorin machte gerade Anstalt in Ohnmacht zu fallen, als das Stubenmädchen hereintrat und ich, froh des fatalen Ehestandsauftritts, den ich veranlaßt, entledigt zu werden, schnell hinaussprang.

Den andern Tag war der Professor ganz stumm und in sich gekehrt; ein einziger Gedanke schien ihn zu beschäftigen, einer einzigen Idee schien er nachzugrübeln. Ob er es nur sein mag! – Das waren die Worte, die dann und wann den verstummten Lippen unwillkürlich entflohen. Gegen Abend nahm er Hut und Stock, ich sprang und bellte freudig; er sah mich lange an, helle Tränen traten ihm in die Augen, er sprach mit dem Ton der tiefsten innigsten Wehmut: Mein guter Ponto! – treue ehrliche Seele! – Dann lief er schnell vors Tor und ich dicht hinter ihm her, fest entschlossen, den armen Mann aufzuheitern mittels aller Künste, die mir nur zu Gebote standen. Dicht vor dem Tor begegnete uns der Baron Alcibiades von Wipp, einer der zierlichsten Herren in unserer Stadt, auf einem schönen Engländer. Sowie der Baron den Professor gewahrte, kurbettierte er zierlich an ihn heran und fragte nach des Professors, dann aber nach der Frau Professorin Wohlbefinden. Der Professor stotterte in der Verwirrung einige unverständliche Worte hervor. In der Tat, sehr heiße Witterung! sprach nun der Baron und zog ein seidnes Tuch aus der Rocktasche, schleuderte aber mit demselben Schwunge einen Handschuh heraus, den ich gewohnter Sitte gemäß meinem Herrn apportierte. Hastig riß mir der Professor den Handschuh fort und rief: Das ist Ihr Handschuh, Herr Baron? Allerdings, erwiderte dieser verwundert über des Professors Heftigkeit, ich glaube, ich schleuderte ihn in dem Augenblick aus der Rocktasche und der dienstfertige Pudel hob ihn auf. So habe ich, sprach der Professor mit schneidendem Ton, indem er den Handschuh, den ich unter dem Sofa in der Professorin Zimmer hervorgesucht, ihm hinreichte, so habe ich das Vergnügen Ihnen den Zwillings-Bruder dieses Handschuhes, den Sie gestern verloren, überreichen zu können.

Vanusepiirang:
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21 mai 2019
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