Loe raamatut: «Nur Flausen im Kopf? - Jugendliche verstehen», lehekülg 3

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»Subito Fun« oder »Geduld bringt Rosen«?

Nach einem neuen Modell der Lustbewertung im Gehirn finden sich »Lustzentren« über das gesamte Gehirn verteilt, auch in Cortexregionen. Einen wichtigen Teil übernehmen dabei der Nucleus accumbens und das ventrale Pallidum (beide gehören zum limbischen System). Der orbitofrontale Cortex spielt bei der Verarbeitung von Lust und Freude ebenfalls eine wesentliche Rolle. Von dieser Hirnregion ist schon länger bekannt, dass sie an der emotionalen Bewertung von Sinnesreizen beteiligt ist. Ob wir schmecken, tasten, sehen oder hören – alle diese Signale wandern von den Sinnesreizen zunächst zu den entsprechenden sensorischen Feldern der Großhirnrinde und dann über die Bahnen des Opioid- und Dopaminsystems zum orbitofrontalen Cortex. Er entscheidet ferner auch, »wann wir es leid sind, einem Genuss zu frönen. Verantwortlich dafür ist ein Effekt, den Forscher als ‹reizspezifische Ermüdung› bezeichnen. Irgendwann verliert eben auch die schönste Belohnung ihren Reiz. Vermutlich hat dies mit nachlassender Aktivität der Lustzellen im orbitofrontalen Cortex zu tun. (…) Vielleicht wirken harte Drogen deshalb so verhängnisvoll, weil sie den orbitofrontalen Cortex umgehen und die Opioid- und Dopaminsysteme direkt anzapfen. So würde die natürliche Notbremse ausgeschaltet – und der Genuss zur Sucht« (Philipps 2007, S. 24).



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Das schwankende Selbstbild in der Adoleszenz

Auch die Hirngebiete, die mit der Entwicklung eines kohärenten, stabilen Selbstbildes zu tun haben und für das Selbstbewusstsein verantwortlich sind, befinden sich während der Adoleszenz in einem »Umbauprozess«. Diese neuronalen »Selbstrepräsentationen« sind über mehrere Hirnregionen verteilt. Beteiligt sind namentlich die in Abbildung 1-15 (Seite 36) dargestellten Areale. Vor allem sind es Gebiete auf der Innenseite der Hirnhälften, an der cortikalen Mittellinie. Aber auch cinguläre, orbitofrontale und präfrontale cortikale Regionen sind beteiligt, zusätzlich Gebiete des Scheitellappens, die Amygdala und die Insula.

Die heutige Psychologie versteht das »Selbst« als dynamisches Konstrukt, das sich ständig verändert und dennoch ungemein stabil ist. Wir erleben uns im Alltag biologisch, psychologisch und biografisch als etwas Konstantes, es ist ein »Gefühl der Vertrautheit mit uns selbst«. Dies führt zu einer verlässlichen Selbstwahrnehmung. Nur so können wir uns als Handelnde psychisch und physisch in und mit unserer Umwelt erleben. Das Selbsterleben ist, hirnphysiologisch betrachtet, ein sehr komplexes Geschehen, es sind Bereiche des Gehirns beteiligt, die von den »Umbauprozessen« während der Adoleszenz mitbetroffen sind. Schwankungen des Selbstgefühls und die intensive Beschäftigung mit dem äußeren Körperselbst, gepaart mit ständigen Neubewertungen, sind hirnphysiologisch offensichtlich normal, vor allem während der Adoleszenz.

Welche Hirnstrukturen sind am Zustandekommen des Selbst oder des Selbstgefühls beteiligt? Antonio Damasio (2009) hat dazu drei Ebenen definiert, die zusammen die Erfahrung eines persönlichen Selbst ermöglichen: Damasio unterscheidet ein »Protoselbst«, ein »Kernselbst« und ein »autobiografisches Selbst«.

Das Protoselbst stellt eine Art neuronale Grundlage des Organismus dar. Diese Funktionen bleiben völlig unbewusst. Sie sind für die körperlichen Abläufe zuständig und vermitteln das »Hintergrundgefühl« – im Sinne eines inneren Gleichgewichts. Nur wenn in diesen Bereichen Probleme auftreten, werden höhere Hirnzentren aufmerksam. Störungen des Protoselbst können sich als innere Unruhe ausdrücken, oder man hat das Gefühl, dass »etwas mit einem nicht stimmt«. Die Zentren für das Protoselbst sind tiefe Strukturen des Gehirns, nämlich der Hirnstamm, das Mittelhirn und der Hypothalamus. Signale des Protoselbst erzeugen im Kernselbst zum Beispiel Hungergefühle usw.

Die mittlere Ebene bezeichnet Damasio als Kernselbst. Dieses bewusste Selbst vermittelt uns ständig ein zeitliches und örtliches Präsenzgefühl im »Hier und Jetzt«. Das Thema des Kernselbst ist die Interaktion mit der Umwelt. Dabei erlebe ich mich immer als eine dieser Umwelt gegenüber abgegrenzte, körperliche und geistige Einheit. Fallen diese Funktionen aus, dann entstehen dramatische Veränderungen in der Selbstwahrnehmung. Der Neurologe Oliver Sacks (2009) schildert einen Patienten, der eines Morgens ein »fremdes Bein« neben sich im Bett vorfindet. Der Patient denkt zuerst an einen üblen Scherz des Krankenhauspersonals. Als er das »fremde Bein« aus dem Bett werfen will, fällt er selbst aus dem Bett: Das »fremde Bein« ist sein eigenes. Er gerät daraufhin derart außer sich, dass er das halbe Krankenhaus zusammenruft. Auf dem Boden liegend und wild gestikulierend, wird er von Oliver Sacks vorgefunden. Das Kernselbst des Patienten hat ihm das Gefühl, dass sein Bein zu ihm gehört, nicht mehr liefern können. Wenn man das eigene Gesicht unter Fremden auf einer Fotografie betrachtet, werden übrigens auch die Hirnregionen aktiviert, die das Kernselbst erzeugen, namentlich Thalamus, Amygdala, cingulärer Cortex, Insula und medianer präfrontaler Cortex.

Die oberste Ebene des Selbst ist bei Damasio das autobiografische Selbst. Dank ihm können wir unser Verhalten reflektieren und gezielt beeinflussen. Im Gegensatz zum Kernselbst, das für den Vollzug der Interaktion mit der Umwelt wesentlich ist, ermöglicht das autobiografische Selbst auch eine Art Außensicht. Ich kann mich in einer Situation gleichzeitig als Zuschauer und als Agierender auf der Bühne des Geschehens wahrnehmen. Dafür braucht es ein »sprachliches Bewusstsein«. Aus diesem Grund ist beim autobiografischen Selbst, neben dem präfrontalen Cortex und dem Hippocampus, auch das Broca-Areal (das motorische Sprachzentrum) beteiligt. Da das autobiografische Selbst auch fremdes Verhalten reflektiert, sind neben präfrontalen Regionen auch parietale Regionen (Scheitelbereich) aktiviert, die für die Wahrnehmung fremder Bewegungen zuständig sind.

Warum entwickelt sich etwas wie ein Selbst, und welche Bedeutung hat dieses Selbst für die Persönlichkeitsentwicklung während der Jugendphase?

Es ist für einen Organismus wichtig, dass er die Fähigkeit zu »selbstreflexiven Prozessen« besitzt. Der Hauptvorteil liegt in der Gefühlskontrolle. Indem wir uns der eigenen Gefühle bewusst werden, können wir sie bewerten, also unter Umständen auch neu bewerten oder sogar modulieren. Dadurch bekommen die Kontrollprozesse mehr Handlungsspielraum – ein situationsgerechtes Verhalten wird möglich. Wenn die Hirnprozesse, die für das Selbsterleben zuständig sind, noch nicht stabil sind, weil sie sich in einer neuronalen Umbauphase befinden, kann dieses Selbsterleben dramatischen Schwankungen unterliegen. »Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt« ist eines der Phänomene, die in der Jugendzeit vermehrt auftreten. Starke Schwankungen des Selbstgefühls, wie Selbstüberschätzung, -überhöhung, aber auch -entwertung – man findet sich plötzlich nicht mehr liebenswert – bis hin zu Suizidgedanken, sind »Hirnentwicklungsphänomene«, die typisch für die Jugendzeit sind.

Abbildung 1-15 (a und b) zeigt, welche Hirnregionen für die verschiedenen Ebenen des Selbst zuständig sind. Es lässt sich daraus erahnen, wie komplex und damit auch störungsanfällig die psychischen Prozesse sind, die das »innere Gefühl« eines kohärenten und stabilen Selbstbildes vermitteln.

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Das »frontale Phänomen« im Überblick

Während der Adoleszenz finden im Gehirn dramatische Entwicklungsprozesse statt. Betroffen sind vor allem die Regionen im Frontalhirn, die es uns ermöglichen, zielgerichtet zu handeln. Viele Autoren sprechen pauschal vom Frontalhirn, meinen aber alle Regionen, die für die modulierenden (hemmenden und lenkenden) Prozesse zuständig sind. Das sind, neben andern frontalen und cingulären Hirnarealen, der präfrontale und der orbitale Cortex (vgl. Abbildung 16 ). Wenn im Folgenden einfachheitshalber vom Frontalhirn gesprochen wird, dann sind besonders diese Areale gemeint.

Damit zielgerichtetes Handeln überhaupt möglich ist, müssen verschiedene alternative Handlungsoptionen differenziert und Strebungen unterdrückt werden; gewisse Wünsche und Bedürfnisse bleiben unbefriedigt. Manchmal gilt es, zielgerichtet zu handeln, unabhängig von der Motivationslage, von der Umgebung oder gar von Schmerzen. Hier hat das Frontalhirn eine wesentliche Funktion, und zwar, indem reflexhaftes oder triebhaftes Verhalten gehemmt oder moduliert wird:

»Mein Frontalhirn sorgt dafür, dass ich nicht immer gerade das tue, was ich von meinen körperlichen Bedürfnissen her jetzt und hier unmittelbar eigentlich am liebsten tun würde. Ich kann die Zeit zwischen Input und Output überbrücken, etwas einschieben oder aufschieben, mich also von der Umittelbarkeit des Augenblicks in meinen Handlungen lösen. Mein Frontalhirn sorgt dafür, dass mein Handeln nicht nur von der unmittelbaren Umgebung geleitet wird, also beispielsweise von dem Duft guten Essens, sondern zusätzlich von wichtigen Rahmenbedingungen meines Lebens. Im Frontallappen ist der, wie man heute allgemein gern sagt,Kontext meines Handelns repräsentiert. Dieser Kontext ist ganz konkret diejenige hierarchisch geordnete Struktur von Fakten, Zielen, Gefühlen und Rahmenbedingungen, die mein Handeln leiten. Ein wichtiger Teil dieses Kontextes sind die Mitmenschen und meine Einschätzung von deren Gedanken, Zielen und Bedürfnissen. Wie wir gesehen haben, ist ein wesentlicher Motor kooperativen Verhaltens das Einplanen der Gefühle und Handlungen. Daher ist das Frontalhirn wesentlich für funktionierendes Sozialverhalten und das Sich-in-andere-hinein-Versetzen, die Empathie« (Spitzer 2002, S. 331).

Was bedeutet all dies für Lernen, Erziehung und Unterricht?

Nach der Pubertät (mit ca. 11 bis 15 Jahren) und während der ganzen Adoleszenz (mit ca. 16 bis 21 Jahren) befinden sich die frontalen Hirnregionen, die für wesentliche Exekutivfunktionen zuständig sind, noch in Entwicklung. Der Begriff Baustelle trifft tatsächlich zu, denn es ist die »Hardware«, die sich während der Jugendzeit neu formiert und strukturiert. Die massive Umbauphase erreicht ihren Höhepunkt etwa mit 12 bis 15 Jahren, aber die »Neu- und Umverkabelung« dauert weit länger, nämlich bis über das 20. Lebensjahr hinaus. Danach sind die Umstrukturierungsprozesse nicht mehr derart verhaltensbestimmend.

Wenn man sich überlegt, welches die steuernden, kontrollierenden und ausführenden Funktionen (Exekutivfunktionen) sind, die sich hirnphysiologisch während der Jugendzeit erst noch entwickeln müssen, wird auch nachvollziehbar, warum Jugendliche aus der Sicht Erwachsener oft so unberechenbar, launisch und unmotiviert erscheinen. Sie lassen sich schnell ablenken, verfügen zuweilen über wenig Durchhaltevermögen und können unzuverlässig sein. Sie haben Mühe, Verbindlichkeiten einzuhalten, nicht weil sie diese nicht einhalten wollen, sondern weil sie je nach Stimmungslage und Befindlichkeit nicht die notwendige Disziplin aufbringen können. Jugend­liche stehen sich manchmal selbst verständnislos gegenüber; sie können oftmals keinen Grund für ihre Stimmungsschwankungen und ihre Spontanhandlungen nennen. Sie führen Handlungen durch, die sie in größte Schwierigkeiten bringen und die ihnen im Nachhinein selbst absurd vorkommen. Anders ausgedrückt: Sie können sich selbst nicht erklären, wer oder was sie zu einer Handlung veranlasst hat, nur, dass sie diesen Impulsen keinen Widerstand entgegenstellen konnten. Es wird nachvollziehbar, warum die meisten Gewalttaten Jugendlicher in alkoholisiertem Zustand stattfinden, da durch den Alkohol kontrollierende Hirnprozesse zusätzlich beeinträchtigt werden. Zwischen der verrückten Idee und dem Ausführen einer Handlung ist dann keine Instanz mehr dazwischengeschaltet.

Überraschende Ausfälle (unangemessene Vorkommnisse) und fehlende Impulskontrolle können genauso mit der Hirnentwicklung zusammenhängen wie plötzliche Überemotionalität. Selbstverständlich können Grenzüberschreitungen, Störungen des Unterrichts, Distanzlosigkeit oder zum Beispiel eine erhöhte Eskalationsbereitschaft nicht geduldet werden. Diese Vorkommnisse müssen aber auch aus neurologischer Sicht betrachtet werden: Eine/n Lernenden verurteilen wir also wegen solcher Verhaltensweisen und einzelner Vorkommnisse nicht, es geht nicht um Charaktermängel, sondern eher um »Betriebsstörungen« des jugendlichen Gehirns.

Eine pädagogisch abgestützte Intervention erschöpft sich nicht darin, jugendliches Fehlverhalten nicht zu tolerieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vielmehr sollte sie das Erlernen einer alternativen Verhaltensweise ermöglichen. Wichtiger als eine Sanktion ist das Gespräch mit dem/der Jugendlichen, in dem geklärt wird, wie die Impulskontrolle bei der nächsten ähnlichen Situation funktionieren könnte – damit es immer weniger solche Ausfälle gibt und das jugendliche Gehirn lernt, mittels Impulskontrolle, Ratio­nalisierung und emotionaler Verarbeitung (statt affektiven Ausagierens) sozial angepasstes Verhalten zu zeigen. Hilfreich können ritualisierte Vereinbarungen sein – zum Beispiel ein Zeichen, das für jede/n das Recht auf ein kurzes Time-out anzeigt. Oder eine Linksdrehung, wenn man merkt, dass die Wut hochsteigt, oder der Einsatz von gelben und roten Karten, die ein unerwünschtes Verhalten stoppen. Der/die Jugendliche muss dabei erkennen, dass diese Hilfsmittel dem Lernprozess dienen, also das Lernen von erwünschten Verhaltensweisen erleichtern.

Welche Funktionen und Kompetenzen sind von der Umbauphase betroffen?

Die folgende Zusammenstellung zeigt das breite Spektrum der Funktionen und Kompetenzen, die es während der Adoleszenz zu entwickeln und zu fördern gilt. Ihre neuronalen Grundlagen sind in dieser Zeit noch nicht voll betriebstauglich, diese »frontalen Funktionen« müssen sich erst noch herausbilden. Die Inhalte der Tabelle wurden aus vielfältigen Quellen der Fachliteratur zusammengestellt, wobei der Wortlaut möglichst beibehalten wurde. Es werden in der Literatur teilweise gleiche oder ähnliche Funktionen beschrieben, die aber durch ihre verschiedenen Nuancen feine qualitative Unterschiede sichtbar machen und Hinweise auf spezifisches Verhalten geben. So gesehen, kann diese Sammlung der verschiedenen frontalen Hirnfunktionen auch als Basis für ein Diagnoseinstrument verwendet werden.



Dem Gehirn beim Umbau helfen!

Im Umgang mit Jugendlichen können aus der Sicht der Gehirnentwicklung Erzieherinnen und Erzieher nur eines tun: dem Gehirn beim Umbau helfen, Struktur und Sicherheit gewähren, aber auch viele Trainingsmöglichkeiten für die »Feinverdrahtung« anbieten. Dies kann nur gelingen, wenn die erwachsenen Bezugspersonen bereit sind, beim »Gerüstbau« zu helfen, aber nach »Bauabschluss« das »Gerüst« auch wieder zu entfernen. Konkret heißt das: Diskussionen, Wertediskussionen, ethische Fragen erläutern, Verhalten hinterfragen, Konsequenzen aufzeigen, Probleme strukturieren helfen, Modell sein …

Die Tatsache, dass Jugendliche sich in einer schwierigen Entwicklungssituation befinden, impliziert also nicht, dass die Umwelt mit übertriebener Nachsicht und Rücksicht oder gar mit überzogener Toleranz reagieren soll. Im Gegenteil: Die steuernden und kontrollierenden Funktionen müssen immer wieder neu geübt werden, und dazu braucht es möglichst viele Gelegenheiten. Es geht dabei nicht um militärischen Drill oder um Machtdemonstrationen, die nur kontraproduktiv wirken und Resistenz erzeugen: Widerstand. Es gilt also die Devise: Unterstützung und Förderung vor Repression und Strafe. Dabei ist es wichtig, dass die noch weniger entwickelten Funktionen immer wieder trainiert werden können, zum Beispiel: Aufmerksamkeit, Selbstkontrolle, Emotionskontrolle, aber auch das Arbeitsgedächtnis, Planen und Organisieren. Der Reifungsprozess erzwingt nach Jäncke (2009) gleichsam eine »sinnvolle pädagogische Stimulation«. Denn die Reifung hängt entscheidend davon ab, welche neuronalen Netzwerke während der Reifung stimuliert werden und welche nicht. Der Reifungsvorgang ist für Jäncke so etwas wie ein Bonsai-Gärtner, der den Frontalcortex in Abhängigkeit von bestimmten Rahmenbedingungen modelliert. Am wichtigsten sei dabei der Gebrauch der jeweiligen Netzwerke. Netzwerke, die gebraucht würden, etablierten sich im Zusammenhang mit der Reifung und würden nicht eliminiert, während ungenutzte Netzwerke ihre Verbindungen abbauten. Kinder und Jugendliche, die vom Frontalcortex kontrollierte Funktionen häufig nutzten, würden diese Funktion und ihre kontrollierenden Netzwerke besser etablieren. »Für den Schulalltag (aber auch für die Erziehung im Allgemeinen) bedeutet dies, dass die LehrerInnen, die Schulorganisation und insbesondere die Eltern sich diesen Gegebenheiten anpassen« (Jäncke 2009, S. 43).

Das Bild der »Baustelle im Gehirn« taugt gut für den pädagogischen Umgang mit Jugendlichen. Wer schon einmal gebaut oder umgebaut hat, weiß, dass es normal ist, wenn nicht immer alles nach Plan verläuft. Dennoch werden Mittel und Wege gesucht, den Bau voranzutreiben. Wenn aber Fehler übersehen werden, wirken sich diese in späteren Bauphasen unter Umständen massiv aus. Ein allzu nachlässiger Umgang mit den Sicherheitsbestimmungen auf der Baustelle, aber auch bei statischen Berechnungen kann katastrophale Folgen haben. Auf der andern Seite muss auf der Baustelle Vertrauen in die Mitarbeiter vorausgesetzt werden, man kann niemanden auf Schritt und Tritt überwachen.

Die ständige Kontrolle des Architekten und des Bauführers ist eine wichtige Voraussetzung, damit das geplante Gebäude in der vorgegebenen Zeit erstellt wird. Dennoch kann es zu Verzögerungen in den Bauphasen kommen. Dies gilt analog für den »Umbau« des Jugendlichengehirns: Entwicklungsfortschritte sind zwar zu erwarten, so können Eltern und Lehrpersonen davon ausgehen, dass in einem bestimmten Lebensalter der Grundanstand eingehalten wird und sich langsam Fähigkeiten entwickeln, die ein Miteinander erleichtern. Diese Fähigkeiten sind aber nicht immer auf tragfähigen neuronalen Strukturen aufgebaut, und es kann zu »Kurzschlüssen« kommen. Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen müssen mit dieser gegenseitigen Zumutung umzugehen lernen. So sind es nicht die Lehrenden und Erziehenden auf der einen Seite, die die Jugendlichen auf der andern Seite erziehen und belehren. Der Umgang miteinander auf der Baustelle erfordert vielmehr gegenseitige Lernbereitschaft.

»Absicherung der Baustelle« – Merkpunkte

• Statt Schuldgefühle zu generieren, orientiert man sich besser an Lösungen und entwickelt gemeinsam Ziele und Lösungswege.

• Strukturierungshilfen geben, wo der/die Jugendliche sich noch nicht genügend/angemessen selbst strukturieren kann, und zwar, wenn erforderlich, bis ins junge Erwachsenenalter hinein.

• Humanistische Fehlerkultur, d.h. angemessene Fehlertoleranz – Möglichkeiten schaffen, aus Fehlern zu lernen (Reflexion fördern).

• Langsam »Selbsthilfeprogramme« entwickeln.

• Weder über- noch unterfordern.

• Sinnvolle soziale Beiträge ermöglichen.

• Selbst- und Impulskontrolle aufbauen helfen.

• Lernwirksame Feedbacks geben.

• Lernaufgaben definieren, Zielvereinbarungsgespräche führen.

• Orientierungshilfen mit Auswahlcharakter geben, sodass Hilfen tatsächlich als Hilfen und nicht als Zwang verstanden werden.

• Entscheidungssituationen ermöglichen.

• Aufmerksamkeitsspanne langsam ausbauen, Konzentrationsphasen trainieren.

• Aufbau von selbsttätigem Handeln.

Tasuta katkend on lõppenud.