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Die sozioreligiöse Situation der Gegenwart und die Religiosität Jugendlicher heute

Eva Willebrand

Ins „Zentrum des Interesses“1 will Papst Franziskus mit der für 2018 geplanten Synode die Jugendlichen stellen, die von ihm in direkter Ansprache aufgefordert werden, „auf Dich aufmerksam zu machen, Dich auszudrücken, zu erzählen, wer Du bist und was Du über Dich mitteilen möchtest“2. Ein Anliegen, das umso dringlicher erscheint, nimmt man die Einschätzung der 1994 geborenen Katharina Weiß ernst, die sich und ihre Altersgenossen, die Jugendlichen des beginnenden 21. Jahrhunderts, wahrnimmt als eine Generation, „über die viel diskutiert wird, die aber selten zu Wort kommt“3. Papst Franziskus hat sich vorgenommen, dies zu ändern: Als Vorbereitung auf die Synode lässt er Jugendliche zwischen 16 und 29 Jahren aus aller Welt zu Wort kommen, indem er mittels eines Fragebogens nach ihren Überzeugungen und Einstellungen fragt. Was aber kennzeichnet die Generation der Befragten? Wen spricht der Papst eigentlich an? Wer soll hier zu Wort kommen?

Um diesen Fragen näher nachzugehen, wird im Folgenden ein Blick auf die sozioreligiöse Situation der Gegenwart und die Religiosität in Deutschland lebender Jugendlicher geworfen mit der Absicht, zu erarbeiten, welchen Bedingungen der angestrebte Dialog unterworfen ist und unter welchen Voraussetzungen er gelingen kann.

1. Die Globalisierung und ihre Dynamiken

Zur Charakterisierung der soziokulturellen Situation der Gegenwart werden in der Religionspädagogik wie andernorts allgemein bekannte Schlagworte gebraucht: ‚Globalisierung‘, ‚Säkularisierung‘ und ‚Pluralisierung‘ sind nur einige solcher schillernden Begriffe, deren Bedeutung hier zunächst geklärt und die zueinander ins rechte Verhältnis gesetzt werden sollen, um mit ihrer Hilfe gegenwärtige Prozesse beschreiben zu können.

Weitgehend verabschiedet zur Beschreibung des gegenwärtigen religiösen Wandels hat man sich in der Religionspädagogik von der Säkularisierungsthese, die davon ausgeht, „dass mit zunehmender Modernisierung der westlichen Gesellschaften zwangsläufig ein Bedeutungsverfall, vielleicht sogar das Ende von Religion verbunden wäre“4. Diese These „gilt als zu wenig differenziert, weil sie einen linearen Zusammenhang zwischen Modernisierung und Religion konstruiert, der der Vielschichtigkeit der tatsächlichen Zusammenhänge nicht gerecht wird“5.

Hilfreicher zur Beschreibung gegenwärtiger gesellschaftlicher Wandlungsprozesse ist dagegen der Begriff der Globalisierung, den Hans-Georg Ziebertz mit Bezug auf Chris Hermans wie folgt definiert:

„Globalisierung bezeichnet den Prozess der Ausdehnung des Lebens-, Erfahrungs- und Arbeitsraums des Menschen und der Gesellschaften auf den Horizont der Welt hin, wobei gleichzeitig eine Verengung auf das Hier und Jetzt zu beobachten ist.“6

Diese Definition sagt zunächst nichts über den Wandel von Religiosität aus, wohl aber lassen sich – wiederum mit Bezug auf Chris Hermans – fünf mit der Globalisierung verbundene gesellschaftlich-kulturelle Dynamiken nennen, die Konsequenzen auf das religiöse Feld haben und die Religiosität heutiger Jugendlicher beeinflussen:

Deinstitutionalisierung: Immer weniger richten die Menschen ihr Verhalten nach den Vorgaben einer Institution aus, wodurch deren Einfluss zunehmend sinkt. Dies gilt auch für die Institution Kirche, deren Glaubensüberzeugung und Lehre allgemein nicht mehr als sozial verbindlich betrachtet werden. Gerade in der Phase der Adoleszenz, die auch entwicklungspsychologisch mit der Infragestellung von Institutionen verbunden ist, schwindet die kirchliche Bindung beträchtlich, was Chance und Pflicht zugleich bedeutet: Weil „Institutionen nicht mehr die Verantwortung für individuelle Lebensentwürfe übernehmen können“7, dürfen und müssen Jugendliche dies selbst tun.

Detraditionalisierung: Durch die Entgrenzung von Räumen und den Einfluss anderer Kulturen verliert die Überlieferung eigener Traditionen an Verbindlichkeit. Dies birgt Chancen, da fremde Traditionen als individuell bedeutsam und bereichernd erfahren und in das eigene Selbstbild integriert werden können. Die Kehrseite der Medaille besteht jedoch in einem Verlust an Sicherheit und Orientierung, da es keine Tradition mehr gibt, der man sich fraglos anschließen kann; stattdessen wird jede Tradition – auch die eigene – auf ihre Plausibilität befragt.8

Pluralisierung: Mehr denn je kommen Menschen heute in Kontakt mit Traditionen aus nicht-christlichen Kulturkreisen, was ebenfalls Chance und Gefahr zugleich ist: Zum einen bietet der Kontakt mit fremden Kulturen und Traditionen die Möglichkeit eines Rückgriffs „auf ein Maximum verschiedener Identitätsmuster“9, zum anderen „relativiert Pluralität durch den Wegfall gültiger Orientierungspunkte die eigene religiöse und kulturelle Beheimatung“10.

Individualisierung: Die Frage nach der eigenen Identität stellt sich heute in nie da gewesener Schärfe, da die Verbindlichkeit von Lebens- und Wertoptionen sinkt und es eine unüberschaubare Auswahl an Weltanschauungen und Wertesystemen gibt, aus denen sich jeder einen „eigenen Sinn-Cocktail“11 herstellt. Dies bietet die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und individuelle Wünsche zu realisieren; zugleich wird eine individuelle Lebensgestaltung von jedem erwartet: „Der Mensch ist in diesem pluralen Gefüge von Deutungsmustern ein zur Suche und Selbstbestimmung Verdammter!“12 – ein Anspruch, der zur Überforderung werden kann.

Homogenisierung: Der Wunsch nach Zugehörigkeit führt auf unterschiedlichsten Gebieten zur Homogenisierung, was sich in besonderen ‚Trends‘ – etwa in Bezug auf Kleidung oder Musik – äußert. Das Anschließen an solche Trends stärkt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und die Abgrenzung zu Außenstehenden. Auch im religiösen Bereich gibt es solche einheitsstiftenden Phänomene, wozu etwa Weltjugendtage und die erlebte Gemeinschaft in Taizé gehören.13

Diese fünf Dynamiken überlappen einander und bedingen sich gegenseitig. Für die nachfolgenden Überlegungen zentral sind vor allem die Individualisierung und die Pluralisierung14, da diese fundamental die Religiosität heutiger Jugendlicher betreffen.

Welchen Einfluss diese allgemein gesellschaftlichen Prozesse für gegenwärtig aufwachsende Kinder und Jugendliche haben, haben die deutschen Bischöfe 2005 in ihrem Dokument „Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen“ realistisch beschrieben. Darin nehmen sie die „veränderte religiöse Situation der Kinder und Jugendlichen“15 gezielt in den Blick. Unumwunden konstatieren sie, dass eine wachsende Zahl Heranwachsender „kaum noch Erfahrungen mit gelebtem Glauben“16 macht, dass in der familiären religiösen Erziehung der Kinder und Jugendlichen „Glaubensunsicherheiten und religiöse Sprachlosigkeit eine wichtige Rolle spielen“17 und es eine gesellschaftlich „weit verbreitete Distanz zu Glaube und Kirche“18 gibt. Was den Kontakt zur Gemeinde betrifft, so wissen die Bischöfe darum, dass dieser bei den meisten Kindern und Jugendlichen nur punktuell stattfindet und somit „der Religionsunterricht in der Schule der wichtigste Ort der Begegnung mit dem christlichen Glauben“19 ist. Zugleich nehmen sie gesellschaftliche Prozesse einer religiösen Pluralisierung und Subjektivierung wahr, mit Heranwachsende konfrontiert werden.20

Dass diese von den Bischöfen nur skizzenhaft dargestellten gesellschaftlichen Phänomene eine durchaus realistische Einschätzung der Gegenwartssituation darstellen, lässt sich mittels aktueller empirischer Studien belegen und systematisieren. Drei miteinander in Beziehung stehenden Phänomenen soll hier näher Beachtung geschenkt werden: den Merkmalen der Religiosität im Jugendalter, dem Verhältnis von Jugend und Kirche und schließlich der religiösen Sprache Jugendlicher.

2. Die gewandelte Religiosität der Jugendlichen

Rahmendaten zur Religiosität heutiger Heranwachsender bieten die Shell-Jugendstudien, die seit 1953 in unregelmäßigen Abständen erscheinen und Auskunft geben über Stimmungen, Haltungen und Einstellungen Jugendlicher. Die 15. Shell-Studie von 2006, die sich intensiv mit jugendlicher Religiosität beschäftigt, kommt zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte aller Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahren religiös im weiteren Sinne ist. Insgesamt – so das Ergebnis der Studie – glauben 30 Prozent der Heranwachsenden an einen persönlichen Gott (Gruppe der Gottesgläubigen), 19 Prozent gehen von der Existenz einer überirdischen Macht aus (Gruppe der kirchenfern Religiösen), während 23 Prozent glaubensunsicher sind und 28 Prozent weder an einen persönlichen Gott noch an eine überirdische Macht glauben (Gruppe der Religionsfernen). Unter katholischen Jugendlichen gibt es eine größere Gruppe an Gläubigen: 41 Prozent glauben an einen persönlichen Gott, 22 Prozent an eine überirdische Macht.21

Die Shell-Studie von 2010 erhebt den Befund einer sinkenden Religiosität unter Jugendlichen – gerade auch unter Mitgliedern der katholischen Kirche: Von den katholischen Jugendlichen werden noch 32 Prozent zu den Gottesgläubigen und 22 Prozent zu den kirchenfern Religiösen gerechnet.22

Wie vielschichtig und plural die Religiosität Jugendlicher ist, zeigt auch die 2003 publizierte empirische Studie „Religiöse Signaturen heute“, deren Autoren – die Würzburger Religionspädagogen Hans-Georg Ziebertz, Boris Kalbheim und Ulrich Riegel – fünf Typen religiöser Orientierung ermitteln.23 In einer Weiterentwicklung der Studie von 2010 kommt Ziebertz zu dem Ergebnis, dass etwa 15 Prozent der Jugendlichen zum christlich-kirchlich religiösen Typus gehören. Ihr Glaube ist im Wesentlichen „der offenbarte Glaube, wie ihn die Kirche lehrt“24. Davon unterscheidet er den Typus der christlich orientierten Religiosität, dem etwa 25 Prozent der Jugendlichen angehören. Ihre Religiosität zeichnet sich aus durch eine kirchlichchristliche Prägung bei gleichzeitiger Betonung des Anspruchs „auf religiöse Autonomie“25. Die restlichen 60 Prozent der Jugendlichen werden zu gleichen Teilen dem religiös unbestimmten, dem funktional religiösen und dem nicht-religiösen Typus zugeordnet. Die Gruppe der religiös Unbestimmten hat kein biblisch-christlich geprägtes Gottesbild. Für sie gilt: „Wenn es Gott gibt, dann ist Gott eine Chiffre für eine ‚höhere Macht‘ oder ‚kosmische Energie‘, die dem Menschen absolut transzendent gegenübersteht. Und zugleich ist Gott etwas tief in einem selbst.“26 Die Funktional-Religiösen dagegen zweifeln stark daran, „ob das mit Gott und der Religion überhaupt wahr sein kann“27. Dennoch lehnen sie die Kirche nicht völlig ab, sondern bedienen sich an ihr und ihren Ritualen, etwa durch die Teilhabe an Sakramenten. Anders verhält sich die Gruppe der Nicht-Religiösen. Diese lehnt Religion dezidiert ab, distanziert sich von der Kirche und vom kirchlichen Leben und hat kein Interesse an religiösen Themen.28

 

Auch wenn diese Ergebnisse, die auf Erhebungen an Gymnasien in Unterfranken basieren, nicht deutschlandweit repräsentativ sind und die Verteilung der religiösen Typen mutmaßlich anders ausfiele, wenn man andere Regionen Deutschlands und andere Schulformen berücksichtigte, so lässt sich immerhin festhalten, dass nur noch ein relativ geringer Prozentsatz der Jugendlichen klassisch kirchlich religiös geprägt ist und im gleichen Zug die Vielfalt an religiösen Einstellungen wächst. Allgemein gilt: „Jugendliche sind zwar nicht nicht religiös, aber durchaus kirchenfern!“29 Diese meist kirchenferne religiöse Heterogenität ist im Dialog zwischen Jugendlichen und Kirche zu berücksichtigen.

3. Jugend und Kirche

Die genannten Befunde deuten es bereits an: Kirche und kirchlich verfasster Glaube verlieren zusehends an Einfluss auf Jugendliche, wenn es um die Ausprägung einer religiösen Identität geht. Werden junge Menschen direkt nach der Bedeutung der Kirche für ihr Leben gefragt, so fallen die Antworten insgesamt recht negativ aus.

So wurde im Rahmen der Shell-Studie von 2006 ermittelt, dass die Kirche zwar allgemein als wichtig erachtet wird: 69 Prozent der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahren bejahen die Aussage „Ich finde es gut, dass es die Kirche gibt“30. Nahezu genauso groß (68 Prozent) ist jedoch die Zahl derer, die angibt, Kirche müsse sich ändern, „wenn sie eine Zukunft haben will“31. Geht es um die Bedeutung von Kirche für einen selbst, so stimmen 65 Prozent der Aussage zu: „Die Kirche hat keine Antworten auf die Fragen, die mich wirklich bewegen“32.

Noch deutlicher dokumentieren die Sinus-Milieustudien die schwindende Beheimatung Jugendlicher in der Kirche. Bereits 1978 wurde das Sinus-Institut gegründet, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit Hilfe der Parameter der sozialen Lage und grundlegender Wertorientierungen eine Typologie jeweils aktueller gesellschaftlich vorhandener Lebensstile zu entwickeln. Im Auftrag des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und des Bischöflichen Hilfswerks Misereor erschien 2007 erstmals eine Studie, die sich speziell der Lebenswelt katholischer Jugendlicher zwischen neun und 27 Jahren widmet. Als eines der zentralen Ergebnisse halten die Sinus-Forscher fest, dass kirchliche Jugendarbeit nur drei bis vier von insgesamt zehn Jugendmilieus erreicht: die ‚Traditionellen‘ (4 Prozent aller katholischen Jugendlichen), die ‚Bürgerliche Mitte‘ (14 Prozent), Teile der ‚Postmateriellen‘ (6 Prozent) und vereinzelt die ‚Konsum-Materialisten‘ (11 Prozent).33 Der Großteil der Jugendlichen lässt sich dagegen für kirchliche Jugendarbeit gar nicht erst gewinnen:

Die quantitativ größten Milieus (Moderne Performer und Hedonisten: auch Experimentalisten), die zusammen 65% der Jugendlichen ausmachen, werden nicht oder nur singulär erreicht.

„Zwischen der katholischen Jugendarbeit (bzw. seines Images: seiner Ausstrahlung) und den großen jugendlichen Lebenswelten gibt es einen großen Graben.“34

Folgestudien des Sinus-Instituts – die Jugendstudien von 2012 und 2016 sowie die 2013 erschienene allgemeine Studie zu religiösen und kirchlichen Orientierungen – belegen die voranschreitende Entfremdung zur Kirche. Die Jugendstudie von 2012, die sich diesmal nur mit den Lebenswelten 14- bis 17-Jähriger befasst, kommt zu dem Ergebnis, dass Glaubensangebote unter Jugendlichen nur dann als „attraktiv“ gelten, „wenn der Grad der institutionellen Einbettung gering ist“35 – ein Befund, der sich mit dem genannten Phänomen der Deinstitutionalisierung deckt. Hinsichtlich der Beziehung zur Institution Kirche schlussfolgern die Forscher aus den erhobenen Befragungen: „Jugendliche sind – in fast allen Lebenswelten – der Kirche nur selten verbunden.“36 Was Jugendliche an Kirche kritisieren, sind etwa die erlebte Unnahbarkeit und Menschenferne der Kirche, ihre Bedeutungslosigkeit in der eigenen Lebensführung, ihre nicht zeitgemäße normative Grundhaltung, die ästhetische Erscheinung von Kirche sowie die Fremdheit ihrer Sprache.37

Die Milieustudie von 2013, die Glaube und Religion der Gesamtbevölkerung untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Milieus immer weiter ausdifferenzieren. Die Zusammengehörigkeit von Glaube, Religion und Kirche, die „in ihrer traditionellen Gestalt Rückhalt, Orientierung und Struktur“ geben und „für soziale Einbettung“38 sorgen, kennzeichnet (nur) noch die schrumpfenden Milieus der ‚Konservativ-Etablierten‘ (10 Prozent), der ‚Traditionellen‘ (15 Prozent) und eines Großteils der ‚Bürgerlichen Mitte‘ (14 Prozent).39 Doch selbst in ihnen gilt „die traditionelle (volkskirchliche) Frömmigkeit“ weitgehend als „unzeitgemäße, unkritisch-naive Haltung“40. Insgesamt hat sich „der Glaube individualisiert“ und ist „nicht an die katholische Religion und Kirche gebunden“41; gerade „in den jungen und unterschichtigen Milieus spielen Glaube und Religion im Alltag häufig gar keine Rolle mehr“42.

Diesen Befund bestätigt auch die jüngste Jugendstudie aus dem Jahr 2016, die zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft „in der Regel aus der familiären Tradition“43 begründe und in den wenigsten Fällen mit einer „,bewussten‘ Entscheidung“44 verbunden sei. Ausschlaggebend für eine Verwurzelung in der Kirche seien in erster Linie der direkte Kontakt mit ihren Angeboten sowie die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten:

Das Engagement in der Jugendarbeit und der Freundeskreis haben einen positiven Einfluss auf den Verbleib in der Glaubensgemeinschaft. Vor allem in traditionellen und bürgerlichen Lebenswelten tragen konkrete Gemeinschaftserfahrungen in der Jugendkirche dazu bei, der Glaubensgemeinschaft treu zu bleiben. Konservativ-Bürgerliche Jugendliche formulieren eindeutig, dass sie Mitglied der Kirche bleiben, solange sie weiter an den Gottesdiensten teilnehmen.45

Zugleich sei innerhalb der Beziehungen von Jugendlichen eine große religiöse Heterogenität festzustellen, wobei man die Religionszugehörigkeit kaum eine Rolle spiele; oftmals kenne man diese gar nicht genau und tausche sich kaum darüber aus: Religion und Glauben gehören nicht zu den Themen, über die man im Alltag viel mit seinen Freundinnen oder Freunden spricht oder für die man sich besonderes interessiert, auch wenn die Freundinnen oder Freunde einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören.46

4. Die Kommunikabilität von Religion und Religiosität

Neben den pluralen Erscheinungsformen jugendlicher Religiosität sowie der verbreiteten Entfremdung von der Institution Kirche und einem kirchlich verfassten Glauben zugunsten einer individualisierten Religiosität soll hier von einem weiteren empirischen Befund die Rede sein, der für das Verhältnis von Jugend und Kirche – näher: für die Kommunikation zwischen Jugendlichen und Kirche – bedeutsam ist: der Bedeutung von Sprache. Die Fremdheit religiöser Sprache ist seit den siebziger Jahren ein Dauerthema innerhalb der Religionspädagogik. So moniert etwa Erich Feifel bereits 1970:

Was heute in die Augen fällt, ist eine wachsende Diskrepanz zwischen Kirchensprache und Volkssprache, die sich in einem veralteten Wortschatz ebenso ausdrückt wie in einer dozierenden Selbstgefälligkeit und in der zur Schau gestellten Vertraulichkeit vorgeformter Sprachklischees.47

Ähnlich kritisch äußert sich auch Hans Zirker 1972: „Das meiste, was wir in christlicher Verkündigung hören, sind verbale Variationen, wenn nicht gar Repetitionen altbekannter Themen.“48 Neben dieser Inhaltsleere kritisiert er auch die „Erfahrungsferne“, die sich in „floskel-, klischee- und jargonhaften Redeweisen“49 manifestiere.

Auch gegenwärtig reißt die Diskussion um den religiösen Sprachverlust nicht ab. 2011 legte Stefan Altmeyer mit seiner Habilitationsschrift „Fremdsprache Religion?“ eine empirische Erhebung zum „konkreten Sprachgebrauch im Kontext von Glaubenspraxis und religiöser Bildung“50 vor. Altmeyer distanziert sich von der „generelle[n] Defizitdiagnose des Sprachverlusts der Religion und der religiösen Sprachlosigkeit der Menschen“ und modifiziert diese Diagnose. Seine Analysen ergeben, dass Jugendliche „nur mehr in sehr eingeschränktem Maß von biblisch geprägter Sprache und theologischen Begriffen Gebrauch“ machen, sie aber sehr wohl „über eine Sprache für Gott und eine Sprache, in der sie zu Gott sprechen können“51, verfügen. Was diese Sprache kennzeichnet, beschreibt Altmeyer wie folgt:

„Gott wird vor allem mit Hilfe allgemeiner positiver Erfahrungskategorien beschrieben, die ihn in Beziehung zum eigenen Leben verorten. Zugleich aber ist dieser Gott abstrakt und – mit Ausnahme der Gebete – ohne konkrete personale Züge. Eine Bezugnahme auf Jesus Christus fehlt daher fast völlig.“52

In diesem Befund spiegeln sich die Ergebnisse der vorangehend genannten empirischen Studien. Die christlich religiöse Sprache gibt es, wenn man den konkreten Sprachgebrauch Jugendlicher betrachtet, ebenso wenig wie das christliche Gottesbild, wenn man ihre Gottesvorstellungen und Religiosität betrachtet. Die wachsende Distanz zur Kirche und ihren Traditionen sowie zum kirchlich verfassten Glauben geht einher mit einer individualisierten, von Unsicherheiten begleiteten Suche nach einer eigenen Religiosität und einer erfahrungsbasierten religiösen Sprache.

5. Fazit und Konsequenzen

Das also sind wesentliche Kennzeichen der veränderten sozioreligiösen Situation und der Religiosität Jugendlicher am Beginn des 21. Jahrhunderts: Zusehends schwindet die Gruppe derer, die an einen personalen Gott glauben; im Zuge dessen wächst gerade unter jungen Menschen eine größere religiöse Heterogenität, die bei vielen zu einer Unsicherheit in Fragen des Glaubens führt. Parallel dazu ist bei einem Großteil der Jugendlichen eine Distanz zur Kirche zu verzeichnen; weite Teile werden durch sie gar nicht mehr erreicht; trotz Sakramentenempfang fühlen sich nur wenige der Kirche persönlich verbunden. Diese Kirchendistanz geht einher mit einer Distanz zur dort gesprochenen Sprache; Jugendliche sind keineswegs sprachlos, wenn es um Religiosität geht, jedoch sprechen sie eine andere – eher eine religiöse „Suchsprache“ als eine „Besitzsprache“53 – und lehnen die im kirchlichen Bereich gesprochene Sprache oftmals ab, da sie ihnen unverständlich und erfahrungsfern ist.

Worauf wird es also ankommen, wenn es darum geht, junge Menschen, ihren Glauben und ihre Einstellungen ernst zu nehmen? Wie kann der mit der Jugendsynode angestrebte Dialog zwischen Papst Franziskus und den Jugendlichen gelingen? Im Hinblick auf die vorangehenden Ausführungen scheinen dabei drei Aspekte zentral, die abschließend ausgeführt werden:

a) Ernstnehmen der religiösen Heterogenität

Die genannten Studien zeigen: Getauft zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, mit dem kirchlich verfassten Glauben vertraut zu sein und ein christliches Gottesbild zu haben. Zunächst einmal wird es also darauf angekommen, die religiöse Heterogenität zu berücksichtigen.

 

Der Fragebogen lässt durchaus Ansätze einer Wahrnehmung dieser Heterogenität erkennen: So bietet etwa die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft („Gehörst Du einer Religionsgemeinschaft an?“) nicht nur die Antwortmöglichkeiten „Ja, der katholischen Kirche“, „Ja, einer anderen christlichen Konfession“, „Ja, einer nicht-christlichen monotheistischen Religionsgemeinschaft“, „Ja, einer anderen Religionsgemeinschaft“54, sondern zur Auswahl stehen auch folgende Items: „Ja, ich fühle mich als Christ, aber ohne mich auf eine Religionsgemeinschaft festzulegen“, „Ja, ich glaube an eine höheres Wesen, aber ohne Bezug zu irgendeiner Religionsgemeinschaft“, „Nein und ich glaube auch an nichts Religiöses“, „Ich glaube, dass man sich über Religion nicht äußern kann.“ Auch die Frage nach Gott ist recht offen gehalten: „Wenn Du an Gott glaubst, welche der folgenden Begriffe verbindest Du mit ihm?“. Zur Auswahl hierfür stehen folgende Möglichkeiten: „Wahrheit“, „Zweifel“, „Vater“, „Pflicht“, „Nutzlosigkeit“, „Mutter“, „Heil/Rettung/Erlösung“, „Zärtlichkeit“, „Freiheit“, „Leben“, „Geheimnis“, „Glück“, „Liebe“, „Sünde“, „Angst“. Damit verbindet sich die Chance, sowohl den Glauben an einen personalen Gott zu artikulieren als auch eher apersonalen Gottesvorstellungen Ausdruck zu verleihen. Freilich bleiben mögliche Ergebnisse sehr vage und assoziativ. Sie bieten erst einzelne Ansatzpunkte, um die Gottesbilder von Jugendlichen näher zu erfassen. Konkreter dagegen ist die Frage nach der Bedeutung Jesu formuliert: „Wer ist Jesus für Dich?“ Auch hier bieten die verschiedenen Antwortvorschläge die Chance, individuelle Beziehungsmöglichkeiten zu Jesus auszudrücken: „Ein Revolutionär“, „Ein Vorbild“, „Jemand, der es gut mit mir meint“, „Eine Erfindung“, „Die Hauptfigur eines Buches“, „Niemand, er ist mir gleichgültig“, „Ein Meister des Lebens“, „Ein Wegbegleiter“, „Ein Orientierungspunkt“, „Der Retter“, „Der Sohn Gottes“, „Ein Weiser aus vergangenen Zeiten“, „Ein Gegner, den es zu bekämpfen gilt“, „Ein treuer Freund“, „Ein Prophet“, „Sonstiges: …“.

Fraglich ist, ob die religiöse Heterogenität Jugendlicher nicht noch weit größer ist, als innerhalb der Fragen und vorgeschlagenen Antwortmöglichkeiten berücksichtigt wird. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass in den Fragen eine Bereitschaft erkennbar ist, dem individualisierten Glauben der Jugendlichen überhaupt auf die Spur zu kommen.

b) Berücksichtigung der schwindenden Beheimatung in der Kirche

Das zentrale Problem im Verhältnis von Jugend und Kirche hat Papst Franziskus selbst in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ aus dem Jahr 2013 bereits benannt: „Die Jugendlichen finden in den üblichen Strukturen [der Jugendpastoral; EW] oft keine Antworten auf ihre Sorgen, Nöte, Probleme und Verletzungen“55 – eine Einschätzung, die sich mit den Ergebnissen der Shell- und Sinus-Studien deckt. Zugleich mahnt der Papst an, dass die Kirche es wagen müsse „die Initiative zu ergreifen“56 und „auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind“57.

Im Hinblick auf die bevorstehende Jugendsynode wird entscheidend sein, welcher Gestalt diese Neuausrichtung sein soll. Zweifelsohne verbindet sich mit ihr eine Gratwanderung: Auf der einen Seite gilt es, die Jugendlichen ernst zu nehmen und zu bestärken, die in der Kirche beheimatet sind, kirchliche Angebote nutzen, sich in ihrer Gemeinde engagieren und dadurch der Kirche ein Gesicht geben. Auf der anderen Seite ist nach Wegen zu suchen, auch solche Jugendliche anzusprechen, die sich von der Kirche entfremdet haben, ihr gleichgültig gegenüberstehen oder sich bewusst von ihr distanzieren.

c) Überwindung von Sprachbarrieren

Eine gemeinsame Sprache zu finden, mit deren Hilfe eine Verständigung auf Augenhöhe nötig ist – eine Sprache, die sich nicht einfach nur anbiedert, zugleich aber von den Jugendlichen verstanden wird – das ist vielleicht die größte Herausforderung, vor der die Jugendsynode steht.

Ein erster wichtiger Schritt zu einem ernsthaften Dialog zwischen Kirche und Jugend wurde bereits unternommen: Papst Franziskus zeigt Interesse, die Jugendlichen zunächst selbst zu Wort kommen zu lassen. Einerseits bleibt er dabei sowohl in dem an die Jugendlichen gerichteten Brief wie auch in einzelnen Formulierungen des Fragebogens der von Feifel monierten ‚Kirchensprache‘ sehr eng verhaftet58; andererseits wird erkennbar, dass er die ebenfalls beklagte ‚dozierende Selbstgefälligkeit‘ ablegt: nicht als ‚Lehrer‘, sondern eher als ‚Vater‘59 will er sich verstanden wissen. Ob er im bislang lediglich eröffneten Dialog mit den Jugendlichen tatsächlich den richtigen Ton trifft und die passenden Worte finden wird, bleibt abzuwarten.

1 Franziskus, Schreiben des Heiligen Vaters an die Jugendlichen zur Vorstellung des Vorbereitungsdokuments der XV. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/letters/2017/documents/papa-francesco_20170113_lettera-giovani-doc-sinodo.pdf [Zugriff am 15. August 2017].

2 So die einleitenden Worte zum im Vorfeld der Synode entwickelten Fragebogen „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“, abrufbar unter: https://survey-synod2018.glauco.it/limesurvey/index.php/147718 [Zugriff am 15. August 2017].

3 Weiß, Katharina, Generation Geil. Jugend im Selbstporträt, Berlin 2010.

4 Ziebertz, Hans-Georg, Warum die religiöse Dimension der Wirklichkeit erschließen, in: Ders./ Hilger, Georg / Leimgruber, Stephan (Hgg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. Neuausgabe, München 62010, 123-141, hier 124.

5 Ebd. Dass sich nicht alle Religionspädagogen dem anschließen, zeigt: Porzelt, Burkard, Grundlegung religiöses Lernen. Ein problemorientierte Einführung in die Religionspädagogik (12009), Bad Heilbrunn 22013, 148.

6 Ziebertz, Hans-Georg, Gesellschaftliche und jugendsoziologische Herausforderungen für die Religionsdidaktik, in: Ders. / Hilger Georg / Leimgruber, Stephan (Hgg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. Neuausgabe, München 62010, 76-105, hier 81.

7 Ebd., 82.

8 Vgl. ebd.

9 Ebd.

10 Ebd.

11 Hans Mendl, Religionsdidaktik kompakt. Für Studium, Prüfung und Beruf, München 2011, 17. Vgl. Ziebertz (wie Anm. 6), 82.

12 Mendl (wie Anm. 11), 17.

13 Ziebertz (wie Anm. 6), 82f.

14 Vertiefend hierzu: Heil, Stefan / Ziebertz, Hans-Georg, Pluralität und Pluralismus, in: Gottfried Bitter u. a. (Hgg.), Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, München 2002, 270-274. Porzelt, Burkard, Individualisierte Religiosität, in: Bitter, Gottfried u. a. (Hgg.), Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, München 2002, 275-279.

15 Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2005, 5.

16 Ebd., 13.

17 Ebd.

18 Ebd.

19 Ebd., 14.

20 Vgl. ebd., 14f.

21 Vgl. Gensicke, Thomas, Jugend und Religiosität, in: Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck, Frankfurt a. M. 2006, 203-239, bes. 207-211, Tabelle, 210.

22 Gensicke, Thomas, Wertorientierungen, Befinden und Problembewältigung, in: Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich, Frankfurt a. M. 2010, 187-242, hier 207.

23 Vgl. Ziebertz, Hans-Georg / Kalbheim, Boris / Riegel, Ulrich, Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung, Gütersloh/Freiburg i. Br. 2003, 390-394.

24 Ziebertz (wie Anm. 6), 101.

25 Ebd., 102.

26 Ebd.

27 Ebd.

28 Vgl. ebd.

29 Mendl (wie Anm. 11), 48.

30 Gensicke (wie Anm. 21), 216.

31 Ebd.

32 Ebd.

33 Zur Charakterisierung dieser Milieus vgl. Hobelsberger, Hans, Lebenswelten katholischer Jugendlicher. Die Sinus-Milieustudie U 27, in: KatBl 133 (2008), 291-300.

34 Wippermann, Carsten / Calmbach, Marc, Wie ticken Jugendliche? Sinus-Milieustudie U 27, hg. vom Bund der Katholischen Jugend und Misereor, Düsseldorf/Aachen 2008, 25.