Loe raamatut: «日本の夢 (Nihon no yume) - Okumuras Reisen zu den Grenzen des Vorstellbaren»
日本の夢
Okumuras Reisen zu den Grenzen des Vorstellbaren
Teil 1 – Die Pyramiden von Visoko
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Inhalt
Kapitel 1 – 出会い (Deai) – Begegnung
Kapitel 2 – 昔馴染 (Mukashi Najimi) – Ein alter Freund
Kapitel 3 – 誕生日 (Tanjoubi) – Geburtstag
Kapitel 4 – 御暇 (Oitoma) – Abschied
Kapitel 5 – 旅の道連 (Tabi no michi zure) – Weggefährten
Kapitel 6 – 海賊 (Kaizoku) – Piraten
Kapitel 7 – 緑月(Midoritsuki) – Grüner Mond
Kapitel 8 – 竜の球 (Ryū no Kyū) – Die Drachenkugeln
Kapitel 9 – 音信 (Inshin) – Eine Nachricht
Kapitel 10 – 英蘭 (Eiran) – England
Kapitel 11 – 茶の湯 (Cha no yu) – Heisses Wasser für Tee
Kapitel 12 – 精神療法 (Seishin-Ryoho) – Seelenheilung
Kapitel 13 – 桔梗 (Kikyo)
Kapitel 14 – 非公開 (Hikokai) – Privat
Kapitel 15 – 羈旅 (Kiryo) – Ausflug
Kapitel 16 – 質問 (Shitsumon) – Fragen
Kapitel 17 – 行色 (Koshoku) – Aufbruch
Kapitel 18 – 英国の滑稽 (Eikoku no kokkei) – Britischer Humor
Kapitel 19 – 蟹烏賊 (Kani ika) – Krabbenkrake
Kapitel 20 – 旅支度 (Tabijitaku) – Reisevorbereitungen
Kapitel 21 – 山伝いに ( Yama zutai ni) – Über die Berge
Kapitel 22 – 敵愾心 (Tekigaishin) – Anfeindungen
Kapitel 23 – 伏兵 (Fukuhei) – Hinterhalt
Kapitel 24 – 占 (Uranai) – Weissagung
Kapitel 25 – 炉辺で物語 (Rohen de monogatari) – Lagerfeuergeschichten
Kapitel 26 – 修道院に (Shudoin ni) – Zum Kloster
Kapitel 27 – 市場において (Shijo ni oite) – Auf dem Markt
Kapitel 28 – 歴史研究 (Rekishi kenkyu) – Geschichtsforschung
Kapitel 29 – 祭事 (Saiji) – Zeremonien
Kapitel 30 – 幽体離脱 (Yūtai ridatsu) – Astralreise
Kapitel 31 – 日のピラミダに探求(Hi no piramida ni tankyu) – Nachforschungen auf der Sonnenpyramide
Kapitel 32 – 間府 (Mabu) – Unterirdische Gänge
Kapitel 33 – 星に (Hoshi ni) – Zu den Sternen
Kapitel 34 – 切霜の舞 (Kirishimo no mai) – Kirishimos Tanz
Kapitel 35 – 倉卒に 帰リ(Sōsotsu ni Kaeri) – Eilige Heimkehr
Kapitel 36 – 新世界 (Shin sekai) – Neue Welt
Kapitel 1 – 出会い (Deai) – Begegnung
04. Mai 1919
Ich bin zusammen mit meinem Neffen Ryuichi am Bahnhof in Mito um meinen Bruder Yukio abzuholen, der aus Tokyo anreist. Ich bemerke eine europäische oder amerikanische Reisegruppe in Begleitung von Jennifer Tanogama, einer ortsbekannten Führerin für englischsprachige Reisegruppen. Ich glaube aus dem Augenwinkel einen alten Bekannten zu erkennen, aber vermutlich täuschen mich meine Sinne – es wäre ein großer Zufall.
Nein, es ist keine Sinnestäuschung. Ich bin mir ziemlich sicher – das ist Lieutenant Mycroft Winterbottom. Er war der Britische Verbindungsoffizier zu unserer Einheit während der Boxerebellion 1900. Ich wage es nach einer Weile, ihn anzusprechen. „Lt. Winterbottom?“, frage ich vorsichtig. Der Mann fühlt sich angesprochen, sieht mich aber zunächst etwas verwirrt an. „Colonel“, verbessert er mich, während er mich eingehend mustert. Es dauert nicht lange, bis sich bei ihm die Erinnerung einstellt. „Sanjuro!“, ruft er überrascht. Ich stutze. Sanjuro? So hat mich eine gefühlte Ewigkeit niemand mehr genannt. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber aus irgendeinem Grund hatten meine Kameraden bei der Armee mich mit diesem Spitznamen bedacht – auch zu der Zeit, als ich in China Dienst leistete. Der Lieutenant, ähm… Colonel… kennt mich nur unter diesem Namen.
Maikurofuto und seine Reisebegleiter sind auf dem Weg nach Naushua, einem kleinen Dorf am Rande des Aokigahara, dem Jukai, dem Meer der Bäume am Fuße des Fuji. Ich bin erstaunt, das ausgerechnet ein so makaberer Ort ihr Ziel ist. Es ranken sich dunkle Legenden um den Jukai, Geschichten von bösartigen Geistern und Dämonen, auf die ich persönlich nicht viel gebe, doch läßt sich der Fakt nicht von der Hand weisen, dass er etlichen Menschen Jahr für Jahr als Ort für ihre Selbstentleibung – bevorzugt durch Strangulation – dient. Das soll schon seit Jahrhunderten so sein. Warum ausgerechnet der Aokigahara, frage ich, es gibt weit lohnenswertere Ziele in Japan. Sie sind auf der Suche nach einer verschollenen Freundin, erklärt Maikurofuto, die Spur, der sie folgten, führte sie dorthin.
Es bleibt uns nicht viel Zeit für ein längeres Gespräch. Der Zug kommt gleich und Ryuichi läuft aufgeregt umher. Ich lade Maikurofuto ein, mich in Tokyō, wo ich ein Haus habe, zu besuchen, sofern seine Zeit es zuläßt. Ich wünsche ihm und seinen Freunden viel Glück bei ihrer Mission, bevor wir uns verabschieden.
Kapitel 2 – 昔馴染 (Mukashi Najimi) – Ein alter Freund
08. Mai 1919
Ich hänge wie so oft in letzter Zeit meinen Gedanken nach. Es ist wieder einer dieser Tage, an denen ich von Wehmut erfüllt kaum etwas mit mir anfangen kann. Seit meine Schwester vor dreieinhalb Jahren gestorben ist und ich meinen Dienst bei der Marine quittiert habe, hatte es schon einige solcher Tage in meinem Leben gegeben. Ich habe in den letzten drei Jahren alles mögliche versucht, um mich von diesen Gefühlen abzulenken – verschiedene Jobs, die mir alle nichts gaben und die ich eigentlich auch nicht nötig hatte, Frauen, Männer und andere Vergnügungen… All das brachte aber nur kurzzeitig Zerstreuung. Früher oder später kam ich immer wieder an diesen Punkt, an dem mich meine Einsamkeit einholte. Eine Zeit lang konnte ich den Schmerz mit Sake betäuben, aber dann kam die Erkenntnis, dass das auf Dauer keine Lösung, sondern nur eine Flucht ist.
Zu dieser Zeit – das ist jetzt etwa ein Jahr her – begegnete ich Mitsou. Mitsou war Mönch und in einem sehr langen Gespräch öffnete er mir irgendwie die Augen. Er lud mich ein, mit ihm zusammen zu meditieren. Zunächst war ich skeptisch. Mein Denken war zu rational. Was sollte das schon bringen? Doch dann ließ ich mich darauf ein, ließ mich von Mitsous sanften, ruhigen Worten führen und entdeckte tatsächlich etwas in mir, das absolut still war. Ich habe mich seitdem öfter mit Mitsou getroffen, lernte durch ihn neue Wege, die Welt zu betrachten und mir selbst und den Lasten, die ich mit mir herumtrug, weniger Bedeutsamkeit zuzumessen. Trotzdem gab es immer noch Momente wie diesen, in denen mein Leben mir als sinnlos erschien. Und tatsächlich wußte ich nicht wirklich, was ich mit meinem Leben als Zivilist anstellen sollte. Die Gesellschaft erwartet von mir auch weiterhin, dass ich meinen Beitrag zur Mehrung des Ruhmes der Nation leiste, aber das Feuer der nationalistischen Begeisterung in mir ist längst erloschen. Ich habe Probleme, mich den Konformitätszwängen, die fast überall herrschen, zu unterwerfen und ecke dadurch immer wieder bei anderen an. Immer öfter habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht mehr richtig hierher gehöre. Vielleicht sollte ich selbst auch Mönch werden, überlege ich, und mich in ein Kloster zurückziehen. Es ist nicht das erste Mal, dass mir dieser Gedanke kommt.Es läutet. Erschrocken springe ich auf. Was war das für ein Geräusch? Nach ein paar Sekunden fällt mir ein, dass es die Türglocke war. Sie läutet so selten, dass ich schon vergessen hatte, wie sie klingt. Eigentlich habe ich gar keine Lust, aufzustehen, doch dann raffe ich mich doch auf, gehe die Treppen hinunter und öffne die Tür. Vor mir steht Colonel Winterbottom.
„Maikurofuto!“, rufe ich überrascht. Er ist tatsächlich meiner Einladung gefolgt. Der Colonel sieht blass aus und wirkt ziemlich neben sich, als wisse er nicht, wer und wo er sei. Ich freue mich ehrlich über seinen Besuch, doch frage ich mich, was ihm widerfahren ist, dass es ihn so sehr aus der Bahn geworfen hat.
Wir lassen uns in meinem Garten bei Tee und Sake nieder. Maikurofuto stellt mir seltsame Fragen – ob ich seinen Namen wüßte, welches Datum wir hätten, ob ich mich daran erinnere, dass wir uns vor ein paar Tagen getroffen hätten… Diese Fragen irritieren mich, aber ich beantworte sie ihm und Maikurofuto beginnt sich nach und nach zu beruhigen. Was denn passiert sei, möchte ich wissen. Aber Maikurofuto winkt ab. Das sei eine lange und viel zu komplizierte Geschichte.
Wir sitzen noch einige Stunden zusammen, reden über alte Zeiten und berichten einander Geschichten aus unseren Leben. Zwischendrin liefern wir uns auch einen kleinen Trainingskampf. Es ist schon erstaunlich. Wir haben uns fast zwanzig Jahre nicht gesehen und trotzdem verstehen wir uns wie alte Freunde. Es zählt eben doch, wenn man einander gegenseitig m Kampf um Leben und Tod den Rücken freigehalten hatte – oder es ist tatsächlich so etwas wie eine karmische Verbindung über mehrere Lebenszyklen hinweg. Schon damals waren wir mehr, als einfach nur Kameraden.
Bevor Maikurofuto sich am späten Nachmittag verabschiedet, erinnert er mich an ein altes Versprechen. Bevor unsere Einheiten damals in China abgezogen wurden und sich unsere Wege wieder trennten, hatte wir uns versprochen, uns irgendwann einmal in der jeweiligen Heimat des anderen zu besuchen. Er habe seinen Teil der Abmachung erfüllt, jetzt sei es an mir. Er bietet mir an, direkt mit ihm und seinen Begleitern mit nach Europa zu kommen. Es könne sofort losgehen. Das sei jetzt etwas zu spontan, werfe ich ein. Europa liegt ja nun nicht gerade mal eben um die Ecke. Ein paar Tage brauche ich schon noch, um ein paar Angelegenheiten zu regeln. In vier Tagen habe ich Geburtstag, sage ich, danach könnten wir abreisen. Ich lade bei dieser Gelegenheit auch Maikurofuto ein. Gerne könne er seine Reisebegleiter mitbringen.
Europa… Warum eigentlich nicht? Hier in meinem eigenen Land fällt mir sprichwörtlich die Decke auf den Kopf. Japan ist kontinuierlich dabei, seinen Einfluss in der Welt zu vergrößern, ich selbst hingegen fühle mich eingeengt und unverstanden. Wenn ich es recht bedenke, ist unsere Nation irgendwie schizophren. Einerseits berufen wir uns auf nationale Werte und Ideale, anderseits schaffen wir unsere eigene kulturelle Identität Stück für Stück ab und ersetzen sie durch europäische Vorbilder.
Wie auch immer – ich habe jetzt die Gelegenheit, dieses „Europa“ selbst einmal direkt und ungefiltert kennen zu lernen. Vielleicht brachte mir diese Reise neue Erkenntnisse und Inspiration? Irgendetwas in mir sagt mir, dass mehr dahinter steckt, das diese Reise mehr sein wird, als nur ein einfacher Urlaubsausflug.
Kapitel 3 – 誕生日 (Tanjoubi) – Geburtstag
12. Mai 1919
Es neigt sich schon dem Abend zu, als ich mit meinen beiden Neffen im Schlepptau zurück nach Hause komme. Tsuki , die Frau meines Bruders Yukio, hatte mich am frühen Morgen aus dem Bett geklingelt und mich nach dem Frühstück, das sie auch gleich mitgebracht hatte, mit den Jungs aus dem Haus geschickt. Sie wollte in Ruhe zusammen mit ihrer Tochter Midori alles vorbereiten, um mir einen würdigen Geburtstag und Abschied vor der langen Reise, zu der ich mich entschlossen habe, zu bereiten. Ich hatte sie davon abhalten wollen, aber sie bestand darauf, mir etwas Gutes zu tun. Ich hatte mit den Kindern einen schönen Tag. Wir waren am Strand und im Zoo und sind zu guter Letzt auch noch zum Atago-Schrein hinaufgestiegen. Der fünfjährige Shiosuke schläft auf meinem Arm. Für ihn war der Tag sehr aufregend. Mein anderer Neffe Ryuichi ist der Sohn meiner verstorbenen Schwester Kikyō. Er ist sehr still für einen Zehnjährigen, was nicht verwunderlich ist. Er hat viel durchgemacht, seit er vier war. Zuerst wurde er von seinem Vater verlassen, dann starb seine Mutter und nun, vor etwas mehr als einem viertel Jahr, war nun auch seine Großmutter, die er über alles liebte, von uns gegangen. Nach Kikyos Tod hatten Yukio und Tsuki ihn ohne Diskussion bei sich aufgenommen. Ryuichi fühlte sich bei ihnen geborgen, doch – das hatte er mir im Vertrauen erzählt – hatte er Angst, dass er auch von ihnen eines Tages verlassen würde. Es muss hart sein, in so jungen Jahren eine solche Bürde mit sich herumtragen zu müssen.
Die Nachricht von meinen Plänen zu einer Europareise hatte meine Familie verschieden aufgenommen. Okumura Gōrō, mein Vater hielt nicht viel davon. Für ihn waren die Europäer und Amerikaner, die immer häufiger und zu immer mehreren nach Japan kamen, schon genug. Otosan [jap.: Vater] war über die Jahre immer verbitterter geworden – genauso wie mein Großvater Takeshi, der die letzten Jahre seines Lebens nur noch mit Bedauern zubrachte. Ich hoffe, dass ich nicht so enden werde.
Yukio hingegen begrüßte meine Idee, zu verreisen. „Ein Tapetenwechsel wird dir sicher gut tun, kleiner Bruder“, hatte er gesagt, als ich ihm von meinen Plänen berichtete, „ich bin gespannt, ob du jemals wieder zurück kommst.“ „Ich auch“, hatte ich geantwortet. Yukio kennt mich besser, als irgendjemand sonst. Schon oft ist es vorgekommen, dass er, wenn ich in Entscheidungssituationen steckte, wußte, welchen Weg ich einschlagen würde, bevor es mir selbst klar wurde.
Gegen acht kommen die ersten Gäste. Es sind zum Teil Menschen, die ich seit meiner Kindheit kenne. Als Maikurofuto eintrifft, richtet sich die Aufmerksamkeit meiner anderen Gäste dezent aber spürbar auf ihn und seine Begleiter. Maikurofuto stellt mir seine Freunde vor: Lord Carnarvon, Henry Walton Jones und Ragnar Hinrich Wigbold. Er erklärt mir, dass er seit einigen Jahren für den Lord arbeite und dass das Schiff, mit dem wir nach Europa reisen, die Almina, ihm gehört. Höflich bedanke ich mich bei Lorudo-san für die Reisemöglichkeit und sage ihm, dass ich mich sehr darauf freue, England bald kennenlernen zu können.
Raguna ist der Kapitän, der Senchō, der Almina. Henuri-san ist Historiker und Linguist. Er hat sich zur Feier des Tages festlich angekleidet. Er trägt eine Art knielangen Rock. Das sei ein Kilt, erklärt er mir, Teil der traditionellen schottischen Tracht. Schottisch, Schottland… Irgendwo habe ich das schon einmal gehört, aber ich weiß das gerade nicht so richtig einordnen. Henuri-san präsentiert mir seinen Versuch eines Gedichtes:
告別する 日本 時の人 青木ヶ原
Kokubetsusuru Nihon Jikanhyou Aokigahara (Lebewohl, Japan (deine) Pünktlichkeit (im) Aokigahara)
Ich bin ehrlich in meiner Meinung: es klingt etwas grob und holperig, sage ich, aber man könne den Sinn verstehen. Das ist schon mal eine ganze Menge für jemanden, der unsere Sprache kaum kennt. Yukio kommt zu uns und stellt sich meinen neuen Bekannten vor. Als Historiker versteht er sich auf Anhieb hervorragend mit Henuri-san. Lorudo-san läßt sich auf einem Gartenstuhl nieder und genießt den Anblick der Frauen in ihren kunstvoll gemusterten Kimonos.
Der Abend wird lang. Als schon alle Gäste nach Hause oder zu Bett gegangen sind, sitze ich mit Maikurofuto in tiefgründige Gespräche vertieft noch immer bei einer Partie Mayong. Erst gegen zwei Uhr am Morgen packen wir das Spiel ein. Es wird Zeit. In ein paar Stunden wollen wir den ersten Zug nach Mito nehmen und dann an Bord der Almina unsere Reise nach Europa antreten.
Tasuta katkend on lõppenud.