Ludwig Feuerbach
Das Wesen des Christentums
Das Wesen des Christentums
Ludwig Feuerbach
Impressum
Texte: © Copyright by Ludwig Feuerbach
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch, 2022
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
Vorworte
Einleitung
Erster Teil: Das Wahre, d. i. anthropologische Wesen der Religion
Zweiter Teil: Das unwahre, d. i. theologische Wesen der Religion
Vorworte
Die in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christentum, Theologie und spekulative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser in vorliegendem Werke konzentriert, aber jetzt ausgebildet, durchgeführt, begründet – konserviert und reformiert, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachgemäß und folglich notwendig war, aber keineswegs wohlgemerkt! vollständig
erschöpft
, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemeinheiten, wie bei allen seinen Schriften, so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte.
Vorliegendes Werk enthält die
Elemente
, wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im voraus erwarten läßt, einer Religionsphilosophie weder in dem kindisch phantastischen Sinne unserer christlichen Mythologie, die sich jedes Ammenmärchen der Historie als Tatsache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer spekulativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch-metaphysische Wahrheit demonstriert.
Die spekulative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie der Religion auf; jene macht die Religion zu einem Spielball der spekulativen Willkür, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus; jene läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion
anstatt
der Vernunft reden; jene, unfähig,
aus sich
herauszukommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eigenen
Gedanken
, diese, unfähig,
zu sich
zu kommen, die Bilder zu
Sachen
.
Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im allgemeinen, d.h. abgesehen von ihrer spezifischen Differenz, identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Religion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgendein Mensch etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Widersprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleichfalls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Mensch nicht mehr in Harmonie mit seinem Glauben ist, fühlt und denkt, der Glaube also keine den Menschen mehr penetrierende Wahrheit ist, nur dann erst wird der Widerspruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit besonderm Nachdruck hervorgehoben. Allerdings erklärt auch der mit sich einige Glaube seine Gegenstände für unbegreiflich, für widersprechend der Vernunft, aber er unterscheidet zwischen christlicher und heidnischer, erleuchteter und natürlicher Vernunft. Ein Unterschied, der übrigens nur so viel sagt: Dem Unglauben nur sind die Glaubensgegenstände vernunftwidrig, aber wer sie einmal glaubt, der ist von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten sie selbst für die höchste Vernunft. Aber auch inmitten dieser Harmonie zwischen dem christlichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiösen Vernunft bleibt doch immer ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube sich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft ist aber nichts andres als die Vernunft ϰατέξοχήν, die allgemei-ne Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen; der christliche Glaube oder, was eins ist, die christliche Vernunft dagegen ist ein Inbegriff besonderer Wahrheiten, besonderer Privilegien und Exemtionen, also eine besondere Vernunft. Kürzer und schärfer: Die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Kollision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Spezialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich, sättigen sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Überschuß von freier Vernunft, welcher für sich selbst, im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigstens in besondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psychologischen Tatsache.
Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt, begründet das
Wesen
des Glaubens, sondern das, wodurch er sich von ihr unterscheidet. Die Besonderheit ist die Würze des Glaubens – daher sein Inhalt selbst äußerlich schon gebunden ist an eine
besondere
, historische Zeit, einen
besonderen
Ort, einen
besonderen
Namen. Den Glauben mit der Vernunft identifizieren, heißt den Glauben diluieren, seine Differenz auslöschen. Wenn ich z.B. den Glauben an die Erbsünde nichts weiter aussagen lasse als dies, daß der Mensch von Natur nicht so sei, wie er sein soll, so lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationalistische Wahrheit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Mensch weiß, selbst der rohe Naturmensch noch bestätigt, wenn er auch nur mit einem Felle seine Scham bedeckt, denn was sagt er durch diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Individuum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zugrunde, aber das, was sie zu einem Glaubensobjekt, zu einer
religiösen
Wahrheit macht, dies ist gerade das Besondere, das Differente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Übereinstimmende.
Allerdings ist immer und notwendig das Verhältnis des Denkens zu den Gegenständen der Religion, als ein sie
be- und erleuchtendes
, in den Augen der Religion oder wenigstens der Theologie ein sie diluierendes und destruierendes Verhältnis – so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nachzuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zugrunde liegen –, aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht
sich selbst
expektorieren will. Die wesentliche Differenz der Religion von der Philosophie begründet aber das
Bild
. Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott selbst ist ein dramatisches, d.h. persönliches Wesen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist
als Bild
Sache.
Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Religion weder zu Gedanken – wenigstens nicht in dem Sinne der spekulativen Religionsphilosophie – noch zu Sachen gemacht, sondern
als Bilder
betrachtet – d.h. die Theologie wird weder als eine mystische
Pragmatologie
, wie von der christlichen Mythologie, noch als
Ontologie
, wie von der spekulativen Religionsphilosophie, sondern als psychische
Pathologie
behandelt.
Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist eine durchaus
objektive
– die Methode der
analytischen
Chemie. Daher werden überall, wo es nur nötig und möglich war, Dokumente teils gleich unter dem Text, teils in einem besondern Anhange angeführt, um die durch die Analyse gewonnenen Konklusionen zu legitimieren, d.h. als objektiv begründete zu erweisen. Findet man daher die Resultate seiner Methode auffallend, illegitim, so sei man so billig, die Schuld nicht auf ihn, sondern auf den Gegenstand zu schieben.
Daß der Verfasser diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christentum hat seine klassischen Zeiten gehabt – und nur das Wahre, das Große, das Klassische ist würdig, gedacht zu werden; das Unklassische gehört vor das Forum der Komik oder der Satire. Um daher das Christentum als ein
denkwürdiges
Objekt fixieren zu können, mußte der Verfasser von dem feigen, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahieren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der Heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe.
Das moderne Christentum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als – Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat – das hat es nicht
aus sich
–, es lebt vom Almosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christentum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegenstand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen können. Was nämlich in dieser Schrift sozusagen a priori bewiesen wird, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. »Die Geschichte des Dogmas«, allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt, ist die »Kritik des Dogmas«, der Theologie überhaupt. Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden. So hat die Geschichte realisiert, zu einem Gegenstande des Bewußtseins gemacht, was
an sich
– hierin ist die Methode Hegels vollkommen richtig historisch begründet – das Wesen der Theologie war.
Obgleich aber »die unendliche Freiheit und Persönlichkeit« der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem produzierenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphosiert ist, so spukt doch immer noch unsrer Zeit und Theologie, infolge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christentums wenigstens als ein
Gespenst
im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philosophische Interesse gewesen, wenn der Verfasser den Beweis, daß dieses moderne Gespenst nur eine Illusion, eine Selbsttäuschung des Menschen ist, zum Ziele seiner Arbeit sich gesetzt hätte. Gespenster sind Schatten der Vergangenheit – notwendig führen sie uns auf die Frage zurück: was war einst das Gespenst, als es noch ein Wesen von Fleisch und Blut war?
Der Verfasser muß jedoch den geneigten, insbesondere aber den ungeneigten Leser ersuchen, nicht außer acht zu lassen, daß er, wenn er aus der alten Zeit heraus schreibt, darum noch nicht in der alten, sondern in der neuen Zeit und
für
die neue Zeit schreibt, daß er also das moderne Gespenst nicht außer Augen läßt, während er sein ursprüngliches Wesen betrachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieser Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zugleich ein
therapeutischer
oder
praktischer
ist.
Dieser Zweck ist – Beförderung der
pneumatischen Wasserheilkunde
– Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des
kalten Wassers der natürlichen Vernunft
– Wiederherstellung der alten einfachen ionischen Hydrologie auf dem Gebiete der spekulativen Philosophie, zunächst auf dem der spekulativen Religionsphilosophie. Die alte ionische, insbesondere Thalessche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: Das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein
besonderes
Wesen assistiert, ist offenbar nur ein Zusatz des spätem heidnischen Theismus.
Nicht widerspricht das sokratische Γνϖϑι σαϑτόν welches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der ionischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wofür es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbstbewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges – das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhüllungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranaturalistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der ionischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astrotheologie.
Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers – hierin die Wohltätigkeit und Notwendigkeit der pneumatischen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst betörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großenteils das gegenwärtige ist.
Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Αριστον ύδωρ, allerdings; aber auch αριστον μέτρον. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begrenzte, in Maß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor allem inkurabel die Venerie, die
Lustseuche
der modernen Frömmler, Dichter und Schöngeistler, welche, den Wert der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohltätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheitslos, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange
schön
ist, solange sie für keine Illusion, sondern für
Wahrheit
gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Subjekte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleisnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen. Vorrede zur zweiten Auflage
Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keinesweges befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. Ich habe es durch diese Schrift mit Gott und Welt verdorben. Ich habe die
»ruchlose Frechheit«
gehabt, schon in dem Vorwort auszusprechen, daß »auch das Christentum seine
klassischen Zeiten
gehabt habe und nur das Wahre, das Große, das
Klassische würdig sei, gedacht zu werden
, das Unwahre, Kleine, Unklassische aber vor das Forum der Satire oder Komik gehöre, daß ich daher, um das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, von dem dissoluten, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahiert, mich zurückversetzt habe in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe«. Ich habe also die ruchlose Frechheit gehabt, das von den modernen Scheinchristen vertuschte und verleugnete wahre Christentum aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht wieder hervorzuziehen, aber nicht in der löblichen und vernünftigen Absicht, es als das Nonplusultra des menschlichen Geistes und Herzens hinzustellen, nein! in der entgegengesetzten, in der ebenso
»törichten«
als
»teuflischen«
Absicht, es auf ein höheres, allgemeineres Prinzip zu reduzieren – und bin infolge dieser ruchlosen Frechheit mit Fug und Recht der Fluch der modernen Christen, insbesondere der Theologen geworden. Ich habe die
spekulative
Philosophie an ihrer empfindlichsten Stelle, an ihrem eigentlichen Point d'honneur angegriffen, indem ich die scheinbare Eintracht, welche sie zwischen sich und der Religion gestiftet, unbarmherzig zerstörte – nachwies, daß sie, um die Religion mit sich in Einklang zu bringen, die Religion ihres wahren, wesenhaften Inhalts beraubt; zugleich aber auch die sogenannte
positive
Philosophie in ein höchst fatales Licht gesetzt, indem ich zeigte, daß das
Original
ihres Götzenbildes der
Mensch
ist, daß zur Persönlichkeit wesentlich Fleisch und Blut gehört – durch meine extraordinäre Schrift also die ordinären Fachphilosophen gewaltig vor den Kopf gestoßen. Ich habe mir ferner durch die
äußerst unpolitische
, leider! aber intellektuell und sittlich notwendige Aufklärung, die ich über das dunkle Wesen der Religion gegeben, selbst die Ungnade der Politiker zugezogen – sowohl
der
Politiker, welche die Religion als das politischste Mittel zur Unterwerfung und Unterdrückung des Menschen betrachten, als auch derjenigen, welche die Religion als das politisch gleichgültigste Ding ansehen, und daher wohl auf dem Gebiete der Industrie und Politik Freunde, aber auf dem Gebiete der Religion sogar Feinde des Lichts und der Freiheit sind. Ich habe endlich, und zwar schon durch die rücksichtslose Sprache, mit welcher ich jedes Ding bei seinem wahren Namen nenne, einen entsetzlichen, unverzeihlichen Verstoß gegen die
Etikette
der Zeit gemacht.
Der Ton der »
guten
Gesellschaften«, der neutrale, leidenschaftlose Ton konventioneller Illusionen und Unwahrheiten ist nämlich der herrschende, der normale Ton der Zeit –
der
Ton, in welchem nicht etwa nur die eigentlich politischen, was sich von selbst versteht, sondern auch die religiösen und wissenschaftlichen Angelegenheiten, id est Übel der Zeit, behandelt und besprochen werden müssen.
Schein
ist das
Wesen
der Zeit – Schein unsre Politik, Schein unsre Sittlichkeit, Schein unsre Religion, Schein unsre Wissenschaft. Wer jetzt die Wahrheit sagt, der ist
impertinent
, »ungesittet«, wer »
ungesittet
«,
unsitt-lich
.
Wahrheit
ist unsrer Zeit Unsittlichkeit. Sittlich, ja autorisiert und honoriert ist die
heuchlerische
Verneinung des Christentums, welche sich den
Schein
der
Bejahung
desselben gibt; aber unsittlich und verrufen ist die wahrhaftige, die
sittliche
Verneinung des Christentums –
die
Verneinung, die sich
als Verneinung
ausspricht. Sittlich ist das
Spiel der Willkür mit dem Christentum
, welche den einen Grundartikel des christlichen Glaubens
wirklich
fallen-, den andern aber
scheinbar
stehenläßt, denn wer
einen
Glaubensartikel umstößt, der stößt, wie schon
Luther
sagte,
alle
um, wenigstens dem Prinzipe nach, aber unsittlich ist der
Ernst
der
Freiheit
vom Christentum aus
innerer Notwendigkeit
, sittlich ist die
taktlose Halbheit
, aber unsittlich die
ihrer selbst gewisse
und
sichere
Ganzheit
, sittlich der
lüderliche Widerspruch
, aber unsittlich die
Strenge
der
Konsequenz
, sittlich die
Mittelmäßigkeit
, weil sie mit nichts
fertig
wird, nirgends auf den
Grund
kommt, aber unsittlich das
Genie
, weil es
aufräumt
, weil es seinen Gegenstand
erschöpft
– kurz, sittlich ist nur die
Lüge
, weil sie das Übel der Wahrheit oder – was jetzt eins ist – die Wahrheit des Übels umgeht, verheimlicht.
Wahrheit ist aber in unsrer Zeit nicht nur Unsittlichkeit, Wahrheit ist auch
Unwissenschaftlichkeit
– Wahrheit ist die Grenze der Wissenschaft. In demselben Sinne, als sich die Freiheit der deutschen Rheinschifffahrt jusqu' à la mer, erstreckt sich die Freiheit der deutschen Wissenschaft jusqu' à. la vèritè. Wo die Wissenschaft zur Wahrheit kommt, Wahrheit wird, da hört sie auf, Wissenschaft zu sein, da wird sie ein
Objekt der Polizei
– die Polizei ist die Grenze zwischen der Wahrheit und Wissenschaft. Wahrheit ist der Mensch, nicht die Vernunft in abstracto, das Leben, nicht der Gedanke, der auf dem Papier bleibt, auf dem Papier seine volle, entsprechende Existenz findet. Gedanken daher, die unmittelbar aus der Feder in das Blut, aus der Vernunft in den Menschen übergehen, sind keine wissenschaftlichen Wahrheiten mehr. Wissenschaft ist wesentlich nur ein unschädliches, aber auch unnützliches Spielwerkzeug der faulen Vernunft; Wissenschaft ist nur Beschäftigung mit für das Leben, für den Menschen gleichgültigen Dingen, oder, gibt sie sich ja mit nicht gleichgültigen Dingen ab, doch eine so indifferente, gleichgültige Beschäftigung, daß darum
kein Mensch
sich kümmert. Ratlosigkeit im Kopfe, Tatlosigkeit im Herzen – Wahrheits- und Gesinnungslosigkeit, kurz, Charakterlosigkeit ist daher jetzt die notwendige Eigenschaft eines echten, rekommandabeln, koschern Gelehrten – wenigstens eines solchen Gelehrten, dessen Wissenschaft ihn notwendig in Berührung mit den delikaten Punkten der Zeit bringt. Aber ein Gelehrter von unbestechlichem Wahrheitssinne, von entschiedenem Charakter, der eben deswegen den Nagel mit einem Schlage auf den Kopf trifft, der das Übel bei der Wurzel packt, den Punkt der Krisis, der Entscheidung, unaufhaltsam herbeiführet – ein solcher Gelehrter ist
kein
Gelehrter mehr – Gott bewahre! – er ist ein
»Herostat«
– also flugs mit ihm an den Galgen oder doch wenigstens an den Pranger! Ja, nur an den Pranger; denn der Tod am Galgen ist den ausdrücklichen Grundsätzen des heutigen »
christlichen
Staatsrechts « zufolge ein unpolitischer und
»unchristlicher«
, weil offen ausgesprochner, unleugbarer Tod, aber der Tod am Pranger, der bürgerliche Tod, ist ein höchst politischer und christlicher, weil hinterlistiger, heuchlerischer Tod – Tod, aber ein Tod, der nicht
scheint
Tod zu sein. Und Schein, purer Schein ist das Wesen der Zeit in allen nur einigermaßen kitzligen Punkten.
Kein Wunder also, daß die Zeit des scheinbaren, des illusorischen, des renommistischen Christentums an dem
Wesen
des Christentums einen solchen Skandal genommen hat. Ist doch das Christentum so sehr außer Art geschlagen und außer Praxis gekommen, daß
selbst
die offiziellen und gelehrten Repräsentanten des Christentums, die
Theologen
, nicht einmal mehr
wissen
oder wenigstens wissen wollen,
was
Christentum ist. Man vergleiche nur, um sich hievon mit
eignen Augen
zu überzeugen, die Vorwürfe, welche mir die Theologen z. B. in betreff des Glaubens, des Wunders, der Vorsehung, der Richtigkeit der Welt gemacht, mit den
historischen Zeugnissen
, die ich in meiner Schrift, namentlich in dieser zweiten, eben deswegen mit Belegstellen bedeutend vermehrten Auflage anführe, und man wird erkennen, daß diese ihre Vorwürfe nicht
mich
, sondern das Christentum selbst treffen, daß ihre »Indignation« über meine Schrift nur eine Indignation über den wahren, aber ihrem Sinne gänzlich entfremdeten Inhalt der christlichen Religion ist. Nein! es ist kein Wunder, daß in einer Zeit, welche – übrigens offenbar aus Langerweile – den abgelebten, den jetzt ach! so kleinlichen Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus – ein Gegensatz, über den jüngst noch der Schuster und Schneider hinaus war – mit affektierter Leidenschaftlichkeit wieder angefacht und sich nicht geschämt hat, den Hader über die gemischten Ehen als eine ernsthafte, hochwichtige Angelegenheit aufzunehmen, eine Schrift, welche auf den Grund historischer Dokumente beweist, daß nicht nur die gemischte Ehe, die Ehe zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern die Ehe überhaupt dem
wahren
Christentum widerspricht, daß der
wahre
Christ – aber ist es nicht die Pflicht der »christlichen Regierungen«, der christlichen Seelsorger, der christlichen Lehrer, dafür zu sorgen, daß wir alle wahre Christen seien? – keine andere Zeugung kennt, als die Zeugung im heiligen Geiste, die Bekehrung, die Bevölkerung des Himmels, aber nicht der Erde – nein! es ist kein Wunder, daß in einer solchen Zeit eine solche Schrift ein empörender Anachronismus ist.
Aber eben deswegen, weil es kein Wunder, so hat mich auch das Geschrei über und gegen meine Schrift im geringsten nicht aus dem Konzept gebracht. Ich habe vielmehr in aller Ruhe meine Schrift noch einmal der strengsten, ebensowohl historischen als philosophischen Kritik unterworfen, sie von ihren formellen Mängeln soviel als möglich gereinigt und mit neuen Entwicklungen, Beleuchtungen und historischen Zeugnissen – höchst schlagenden, unwidersprechlichen Zeugnissen bereichert. Hoffentlich wird man jetzt, wo ich oft Schritt für Schritt den Gedankengang meiner Analyse mit historischen Belegen unterbreche und unterstütze, sich überzeugen, wenn man
nicht stockblind
ist, und eingestehen, wenn auch widerwillig, daß meine Schrift eine getreue, richtige Übersetzung der christlichen Religion aus der orientalischen Bildersprache der Phantasie in gutes, verständliches Deutsch ist. Und weiter will meine Schrift nichts sein als
eine sinngetreue Übersetzung
– bildlos ausgedrückt: eine
empirisch- oder historisch-philosophische
Analyse, Auflösung des Rätsels der christlichen Religion. Die allgemeinen Sätze, die ich in der Einleitung vorausschicke, sind keine apriorischen, selbstersonnenen, keine Produkte der Spekulation; sie sind entstanden erst aus der Analyse der Religion, sind nur, wie überhaupt die Grundgedanken der Schrift, in Gedanken umgesetzte, d. h. in allgemeine Ausdrücke gefaßte und dadurch zum Verständnis gebrachte tatsächliche Äußerungen des menschlichen Wesens – und zwar des religiösen Wesens und Bewußtseins des Menschen. Die Gedanken meiner Schrift sind nur Konklusionen,
Folgerungen
aus Prämissen, welche
nicht wieder Gedanken
, sondern
gegenständliche
, entweder
lebendige
oder
histori-sche
Tatsachen sind – Tatsachen, die ob ihrer
plumpen Existenz in Großfolio
in meinem Kopfe gar nicht Platz hatten. Ich verwerfe überhaupt unbedingt die absolute, die
immaterielle
, die
mit sich selbst
zufriedne Spekulation –
die
Spekulation, die ihren Stoff
aus sich selbst
schöpft. Ich bin himmelweit unterschieden von
den
Philosophen, welche sich die
Augen
aus dem Kopfe reißen, um desto besser denken zu können; ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf
Materialien
, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken
aus dem Gegenstande
, aber
Gegenstand
ist nur, was
außer dem Kopfe existiert
. Ich bin
Idealist
nur auf dem Gebiete der
prak-tischen
Philosophie, d. h. ich mache hier die Schranken der Gegenwart und Vergangenheit nicht zu Schranken der Menschheit, der Zukunft, glaube vielmehr unerschütterlich, daß gar manches, ja wohl gar manches, was den kurzsichtigen, kleinmütigen Praktikern heute für Phantasie, für nie realisierbare Idee, ja für bloße Chimäre gilt, schon morgen, d. h. im nächsten Jahrhundert – Jahrhunderte im Sinne des einzelnen Menschen sind Tage im Sinne und Leben der Menschheit – in voller Realität dastehen wird. Kurz, die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend, hat mir nur
politische
und
moralische
Bedeutung; aber auf dem Gebiete der eigentlichen theoretischen Philosophie gilt mir im direkten Gegensatze zur Hegelschen Philosophie, wo gerade das Umgekehrte stattfindet, nur der Realismus, der Materialismus in dem angegebenen Sinne. Den Grundsatz der bisherigen spekulativen Philosophie: alles, was mein ist, führe ich bei mir selbst – das alte Omnia mea mecum porto kann ich daher leider! nicht auf mich applizieren. Ich habe gar viele Dinge
außer mir
, die ich nicht in der Tasche oder im Kopfe mit mir transportieren kann, aber gleichwohl doch zu
mir selbst
rechne, nicht zu mir nur als Menschen, von dem hier keine Rede ist, sondern zu mir als Philosophen. Ich bin nichts als ein
geistiger Naturforscher
, aber der Naturforscher vermag nichts ohne
Instrumente
, ohne
materielle Mittel
. Als ein solcher – als ein geistiger Naturforscher also schrieb ich denn auch diese meine Schrift, die folglich nichts andres enthält als das Prinzip, und zwar bereits praktisch bewährte, d. h. in concreto, an einem besondern Gegenstande – einem Gegenstande übrigens von allgemeiner Bedeutung – an der Religion dargestellte, entwickelte und durchgeführte Prinzip einer neuen, von der bisherigen Philosophie
wesentlich
unterschiednen, dem
wahren, wirklichen, ganzen
Wesen des Menschen entsprechenden, aber freilich gerade eben deswegen allen durch eine über-, d. h. widermenschliche, widernatürliche Religion und Spekulation verdorbenen und verkrüppelten Menschen widersprechenden Philosophie – einer Philosophie, welche nicht, wie ich mich schon anderwärts ausdrückte, den Gänsekiel für das einzige entsprechende Offenbarungsorgan der Wahrheit hält, sondern
Augen
und
Ohren
,
Hände
und
Füße
hat, nicht den Gedanken der Sache mit der Sache selbst identifiziert, um so die wirkliche Existenz durch den Kanal der Schreibfeder auf eine papierne Existenz zu reduzieren, sondern beide voneinander trennt, aber gerade durch diese Trennung zur
Sache selbst
kommt, nicht das Ding, wie es Gegenstand der abstrakten Vernunft, sondern wie es Gegenstand des
wirklichen, ganzen Menschen
, also selbst ein ganzes, wirkliches Ding i