Loe raamatut: «Fiona»

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Fiona

1. Auflage, erschienen 6-2021

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Nina S. Frithum

Layout: Romeon Verlag

ISBN (E-Book): 978-3-96229-811-1

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Fiona

Liebe ist viel mehr als ein Bühnenstück

„Die rasende Putzwolle hat mein Abendessen verdrückt“, rief Oscar beleidigt, als er hinter dem zotteligen, schwarzen Vierbeiner die Küche verließ. „Ich bringe dich ins Tierschutzhaus“, drohte er dem Hund, von dem er sowieso nicht viel hielt. Mister Finy war eigentlich Stellas Hund. Aber die Arbeit und was sonst so dazu gehörte, blieb natürlich an den Eltern hängen. Der Hund trottete keuchend mit hängender Zunge vom Tatort. An seiner Schnauze hingen Reste des Corpus Delicti. Das Tier hatte so viel gefressen, dass es ihm schwerfiel, sich zu bewegen. Nicht einmal das schlechte Gewissen konnte Mr. Finy zur Flucht überreden.

„Wer von den vielen Menschen, mit denen ich hier wohne, hat schon wieder die Küchentür offen gelassen?“, rief Fiona und wuchtete sich umständlich aus dem Sofa, um zur Tatortbesichtigung zu schreiten.

„Sprach die lebende Litfaßsäule“, maulte Oscar. Mit der lebenden Litfaßsäule war seine hochschwangere Frau Fiona gemeint. Fiona war gerade in der siebenunddreißigsten Schwangerschaftswoche und dick wie ein Fass. Sie hatte sich vorgenommen, in ihrer zweiten Schwangerschaft bewusst zu essen und die überdimensionale Gewichtszunahme wie bei ihrem ersten Kind zu vermeiden. Ungefähr in der Halbzeit hatte sie sich allerdings geschlagen gegeben. Der Hunger war stärker als Fionas Wille und mit Joghurt und Früchten nicht zu besänftigen. Fette Wurst, Schnitzel und Pasta mussten auf den Teller. Jetzt war ihr Gewicht auf einem absoluten Zenit angelangt und sie bewegte sich schon wie der vollgefressene Mister Finy.

In der Küche sah sie die Sauerei, die der Hund hinterlassen hatte. Fiona wurde von einem Lachanfall gebeutelt und musste sich auf den Besen stützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie hatte für ihren Mann liebevoll das Abendessen vorbereitet und es sich anschließend auf dem Sofa gemütlich gemacht. Der Hund hatte offensichtlich die Gunst der Stunde genutzt und sich über das Menü hergemacht. Nur noch ein paar Krümel waren auf der Platte zu sehen und die Brokkoli hatte er übrig gelassen. Und Unmengen haariger Beweise waren zurückgeblieben.

Was für ein Glück, dass das Biest kein Bier mag, dachte Fiona, wischte sich die Tränen aus den Augen und trank einen Schluck vom alkoholfreien Bier. Plötzlich spürte sie einen ziehenden Schmerz im unteren Rücken, den sie im ersten Moment ignorierte. Sie richtete für ihren Mann ein alternatives Abendessen her, als der Schmerz abermals kam. Das wird doch nicht schon …? Nein, es sind doch noch drei Wochen und in unserer Familie war noch nie jemand pünktlich, dachte sie, als sie das Ziehen wieder spürte. Unwillig sah sie auf die Uhr und stellte Oscars Essen auf den Tisch. Dann machte sich über das restliche Zaziki und ein türkisches Fladenbrot mit Oliven her. Sie kaute genüsslich, als abermals eine Wehe kam. Verdammt, nicht heute, bitte nicht heute. Ich habe doch gar keine Zeit, dachte sie. Dass das Kind in ihrem Bauch keine Rücksicht auf ihre Pläne nehmen würde, war ihr klar.

„Mami, geht es dir gut? Was ist mir dir, warum schnaufst du so?“, fragte Fionas Tochter Stella, die ebenfalls der Hunger in die Küche getrieben hatte.

„Nein, nein, alles in Ordnung Schätzchen. Hast du auch Hunger? Ich mache dir schnell etwas.“

Fiona bereitete auch Stellas Essen zu, zwischendurch schnaufte sie immer wieder und hoffte, dass es nur Senkwehen wären. Die regelmäßigen Abstände waren allerdings verdächtig. Instinktiv wusste sie, dass sie diese Nacht wahrscheinlich nicht in ihrem eigenen Bett verbringen würde.

Drei Stunden später war es dann so weit. Die Schwiegermutter war organisiert, sie würde auf Stella aufpassen. Der Hund war versorgt und schlief genüsslich grunzend und lautstark verdauend in seinem Körbchen.

Schnaufend stand Fiona neben ihrem gepackten Köfferchen, in der Haustür. „Komm schon, Oscar, ich kann kaum stehen, bitte bring mich zum Wagen.“

„Wie wär‘s mit rollen?“, fragte er grinsend und stützte seine Frau.

Verdammt, warum heute, ich wollte doch noch in der Nacht die Skizzen fertig machen, dachte Fiona, als sie im Auto saß. „Mit dir kann man auch nichts planen“, sagte sie zu ihrem ungeborenen Kind. Dann lehnte sie sich in die weichen Lederpolster des BMW und fügte sich in ihr Schicksal.

„Dr. Kent, ein Notfall, Sie werden auf der Entbindungsstation gebraucht, in OP 3,“ tönte es neben seinen Ohren. Dr. Angus Kent wurde von Schwester Ambrosia, der Oberschwester der Gynäkologie, aus seinen schönen Träumen gerissen. Als er die Schwester wahrnahm – groß, mächtig und sehr blond dachte er, er sei im Schlaf im Walhalla gelandet. Sie war zwar ein erschreckender Anblick, aber ausgesprochen kompetent und zuverlässig. Wenn sie von einem Notfall sprach, dann war es auch einer.

„Frau Fenton, Frau Fenton – können Sie mich hören?“ Fiona Fenton war der Ohnmacht nahe, nach zwanzig Stunden Wehen war sie erschöpft. „Frau Fenton, die Herztöne ihres Babys sind sehr schwach, wir werden einen Kaiserschnitt machen“, sagte die Ärztin.

„Egal, was Sie tun, nur helfen Sie meinem Baby“, war ihre Antwort.

Dann ging alles sehr schnell. Sie wurde in den OP gebracht. Dort stellte sich das Ärzteteam kurz vor. Dr. Angus Kent, der Anästhesist, war aus der Walhalla in die Realität zurückgekehrt und konzentriert bei der Arbeit.

Fiona zitterte am ganzen Körper. Wieder überkam sie eine Wehe. Diszipliniert atmete sie für ihr Kind gegen den Schmerz. Nichts wünschte sie sich mehr, als dass ihr Baby gesund geboren würde. Aber die Angst vor der Operation war groß. „Oh Gott, ich bin durstig, was gäbe ich jetzt für ein Bier“, sagte Fiona, während ihr Bauch geöffnet wurde, und dachte an die einsam zurückgebliebene volle Flasche auf dem Küchentisch. Seit man sie in den Kreißsaal gebracht hatte, hatte sie nichts getrunken, das war ungefähr vor fünfzehn Stunden. In diesem Moment vergaß sie fast, dass gerade ihr Baby geboren wurde. Durch die Betäubung der Rückenmarksnerven hatte sie keine Schmerzen mehr.

„Ja, es geht nichts über ein Bier an einem heißen Sommertag. Der erste Schluck ist der beste, der Rest ist nicht so wichtig. Nur der erste Schluck macht es aus“, sagte Fiona. Als sie schluckte, hatte sie das Gefühl, einen Klumpen trockener Watte im Mund zu haben.

„Da haben Sie recht, der erste Schluck ist wirklich der beste“, sagte Dr. Kent. „Aber eigentlich liebe ich Rotwein, am Abend in Ruhe ein Glas Wein und ein gutes Gespräch.“

Wenn da nicht die Verantwortung seiner Patientin gegenüber gewesen wäre, hätte er dieses Gespräch richtig genießen können. Doch die Konzentration auf seine Arbeit war wichtiger. Der Blutdruck der Patientin musste genau überwacht werden. Am Rande registrierte er, dass die Frau, für die er im Moment verantwortlich war, offensichtlich humorvoll und gebildet war. Angus Kent konnte sich wirklich vorstellen, dass sich unter der scheußlichen grünen OP-Mütze eine sehr hübsche Frau verbarg.

Zehn Minuten später durchdrang ein lauter Schrei die angespannte Stille. Das Baby war geboren und meldete sich lautstark – Fionas zweite Tochter war angekommen. Sie hörte die Gynäkologin sagen, das Baby sei gesund, als man ihr das kleine, zappelnde Bündel kurz zeigte. Fiona brach vor Glück in Tränen aus, dann übermannte sie der Schlaf. Die Beruhigungsmittel hatten sie müde gemacht.

Später, als die Wunde verschlossen und Fiona versorgt war, sagte Dr. Kent leise: „Ich werde in einer Stunde noch einmal nach Ihnen sehen.“

Kurz darauf kam Oscar mit Clarisse im Arm zurück. Sie war untersucht worden, gewaschen, abgewogen und gemessen. Das entzückende kleine Mädchen hatte dunkle Locken wie sein Vater, war kerngesund und lag nun schlummernd in Oscars Armen.

Als er sah, dass Fiona schlief, legte Oscar seine winzige Tochter in das kleine Bettchen, das am Bett der Mutter bereitstand. Dann verabschiedete er sich vom medizinischen Team mit der Bitte, seiner Frau auszurichten, dass er sie am Abend noch einmal besuchen wollte.

Als Fiona erwachte, stand Dr. Kent an ihrem Bett. Er hatte Clarisse aus ihrem Wägelchen genommen und sprach leise mit ihr.

Langsam aus dem Schlaf auftauchend registrierte sie diese rührende Szene und fragte: „Haben Sie Kinder?“

„Nein, leider nicht“, sagte er und zog die Brauen hoch.

Der Wachzustand gewann langsam die Oberhand und Fiona wurde neugierig. „Woran liegt es, dass Sie keine Kinder haben?“, wollte sie wissen.

„Ich habe noch nicht die Richtige gefunden“, war seine Antwort.

Mit dem Mut und der Neugier, die Oscar immer an ihr kritisierte, wagte sie sich einen Schritt weiter vor. Er wäre bestimmt ein guter Vater, so, wie er sich gerade mit ihrem Baby beschäftige, meinte sie.

„Ich bin nur ein guter Schauspieler“, sage er, legte Clarisse in ihr Bettchen und verschwand so leise, wie er gekommen war.

Fiona würde sich noch sehr lange an dieses Gespräch mit dem geheimnisvollen Anästhesisten erinnern.

Stella, Fionas und Oscar Fentons fünfjährige Tochter, saß trotzig auf dem blau-gelb gefliesten Boden des Vorraumes. Sie hatte es momentan nicht leicht. Da war die Übersiedlung in das neue Haus, weshalb sie den Kindergarten hatte wechseln müssen. Dann erzählte die Mami, dass sie bald ein Geschwisterchen bekommen würde. Das war zu viel auf einmal! Irgendwie konnte sie sich das gar nicht so richtig vorstellen. Mittlerweile hatte sie ihr Schwesterchen schon im Krankenhaus besucht und kennengelernt. Dieses kleine Wesen konnte noch gar nichts. Nicht einmal die Augen hatte Clarisse geöffnet, als Stella sie zum ersten Mal neugierig beäugte und an den kleinen Fingerchen zupfte. Wie lange es noch dauern würde, bis man mit diesem Winzling spielen konnte? Stella nahm sich vor, ihrer Schwester alles beizubringen, was sie nicht durfte! Dann würden die Eltern nicht mehr mit ihr schimpfen, sondern mit der kleinen Schwester – irgendwie praktisch, so ein Schwesterchen.

Vater und Tochter waren endlich fertig, Stella hatte es geschafft, ihre Schuhe anzuziehen und sich ihre beiden Lieblingskuscheltiere zu schnappen. Dann verließen sie das Haus in Richtung Krankenhaus, um die Mami und das neue Baby nach Hause zu holen.

Es hatte sich wieder so etwas wie ein normaler Alltag eingestellt, allerdings mit einer großen Veränderung. Sie waren jetzt zu viert. In dem großen, geräumigen Haus mit den hellen Parkettböden ging es jetzt lauter zu als vor der Geburt der zweiten Tochter.

Fiona hatte das Haus mit ihren geschickten Händen professionell und mit viel Gefühl für Farben zu einem behaglichen Heim gemacht. Von da und dort hatte sie wunderschöne Stücke zusammengetragen und dem Haus damit Gemütlichkeit und Wärme verliehen. Sie saß mit einer Tasse Tee an ihrem Lieblingsplatz in der Küche, von wo aus sie freie Sicht in den Garten hatte. Endlich fand sie ein paar Minuten Zeit, um in Ruhe ihren Tee zu trinken und sich etwas sich zu entspannen. Die Sonne schien durch die Terrassentür und erhellte die ganze Küche. Es war am späten Vormittag und der blau gestrichene Raum mit der hellen Holzeinrichtung war Fionas Refugium, um innezuhalten. Die Küche war das Herz des Hauses und ging nahtlos in das offene Wohnzimmer über. Fiona öffnete die Tür zum Garten und die geblümten Leinenvorhänge flatterten im Wind. Clarisse schlief, und so konnte sie ihre Pause genießen.

Fionas Leben war ziemlich hektisch und anstrengend geworden. Um den Anschluss nicht zu verpassen, hatte sie schon vier Monate nach Clarisses Geburt wieder zu arbeiten begonnen. Es war nicht einfach, alles unter einen Hut zu bringen, aber Fiona schlug sich tapfer. Immer musste alles perfekt organisiert sein, das Kindermädchen, die Arbeitszeit. Stella musste vom Kindergarten abgeholt werden, da war der tägliche Haushalt, und für ihren Ehemann wollte sie auch da sein. Oscar beschwerte sich mittlerweile schon, dass sie zu wenig Zeit für ihn hatte. Dabei übersah er, was sie leisten musste, um alles zu schaffen.

Mit den Kindern lief alles wunderbar. Clarisse war mittlerweile sieben Monate alt und entwickelte sich prächtig. Sie war eine richtige Persönlichkeit, die jede Menge Aufmerksamkeit forderte. Sie hatte das dunkle, lockige Haar vom Vater geerbt und sah ihm sehr ähnlich. Ihr sonniges Wesen war das genetische Erbe der Mutter.

Stella dagegen hatte Fionas glattes Haar. Es war heller als das ihrer Mutter, der sie wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie war ein sehr temperamentvolles Kind, das keine Konfrontationen scheute. Sogar im Kindergarten versuchte sie, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Für ihr Alter war Stella sehr groß. Dabei war sie zart wie eine Elfe, die ein Windstoß fortblasen konnte. Doch ihr Äußeres stand ganz im Gegensatz zu ihrem starken Charakter.

Fiona wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen. Clarisse hatte zu weinen begonnen und wollte nach ihrem Schläfchen aus dem Bett geholt werden. Heute war endlich wieder einmal ein freier Tag, den sie den Kindern und dem Haushalt widmen konnte. Sie würde Stella zeitig vom Kindergarten abholen und mit ihr Eis essen gehen. Damit konnte sie ihrer großen Tochter eine besondere Freude machen. Es war schon zwei Uhr und sie musste sich beeilen, um rechtzeitig bei Stella zu sein.

Oscar wollte heute mit ihr essen gehen, sie wollten sich wieder einmal Zeit füreinander nehmen und den Abend genießen. Fiona freute sich sehr darauf und überlegte, was sie anziehen würde. Sie entschied sich für ein bordeauxrotes Seidenkleid. Ziemlich sexy, dachte sie und war mit ihrem Spiegelbild zufrieden. Hoffentlich würde Anna, die Kinderfrau, pünktlich kommen.

Es war alles erledigt, Clarisse lag plappernd in ihrem Gitterbett, Stella war mit dem Abendessen beschäftigt und hatte schon ihren Bärenpyjama angezogen. Auch Anna war pünktlich eingetroffen. Einem Abend mit Oscar in einem schönen Ambiente bei gutem Essen und noch besserem Wein steht nichts mehr im Wege, dachte Fiona und seufzte glücklich. Langsam wurde sie ungeduldig, Fiona begann sich Sorgen zu machen. Er hatte sie um halb acht abholen wollen, mittlerweile war es zehn Minuten nach acht. Sie versuchte, Oscar am Mobiltelefon zu erreichen, hörte aber nur die freundliche Stimme seiner Sekretärin auf Tonband.

Zur selben Zeit drehte Oscar sich noch einmal um, hauchte dem blonden Wesen vor ihm einen Kuss auf den Mund und sagte: „Mäuschen, ich muss jetzt wirklich gehen, ich bin schon eine halbe Stunde zu spät!“

Caroline war stocksauer. Sie hatte seit einem halben Jahr eine Liaison mit Oscar Fenton. Immer wieder hatte er ihr versprochen, seiner Frau reinen Wein einzuschenken. Caroline war fünfundzwanzig, blond und hatte nicht enden wollende Beine. Sie war bildhübsch und träumte von einer Hochzeit in Weiß – mit Oscar. Das hatte sie sich in ihr hübsches Köpfchen gesetzt. Dass der Mann ihrer Wahl verheiratet war und zwei kleine Kinder hatte, störte sie kein bisschen. Es war ihre Natur, sich zu nehmen, was sie haben wollte. Und meist bekam sie es auch.

Es war dreiviertel neun, als Oscar zur Tür hereinschneite. Er küsste Fiona auf die Wange und murmelte eine Entschuldigung. Als sie im dunklen Auto saßen, fragte Fiona ihren Mann, was ihn aufgehalten hätte. „Ich hatte noch eine Besprechung mit einem Kunden“, sagte er knapp. Fiona nahm die Entschuldigung zur Kenntnis und dachte nicht mehr weiter darüber nach. Sie liebte Oscar sehr, aber sie entfernten sich immer weiter voneinander. Die Arbeit war wohl der Grund dafür, sie hatten immer weniger Zeit füreinander. Oscar war als Architekt sehr gut im Geschäft und hatte es zu ansehnlicher Klientel und der damit verbundenen Prominenz gebracht hatte. Fiona war nach einigen harten Jahren als Bühnenbildnerin sehr gut im Geschäft. Das hatte ihr Oscar nie zugetraut, er war der Meinung, dass ihr Beruf nicht mehr als ein kostspieliges Hobby war.

Er gab sich an diesem Abend besondere Mühe, sie zu verwöhnen. Er war immer noch ein wunderbarer Gesprächspartner und das Essen war ausgezeichnet. Als Abschluss wäre Fiona gerne in eine angesagte Bar in der Innenstadt gegangen. Oscar jedoch meinte ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, er sei müde und hätte morgen zeitig einen Termin auf einer Baustelle.

Als sie nach Hause kamen, war alles ruhig und man merkte, dass Anna alles im Griff hatte. Nur Mister Finy war noch wach und kroch müde aus seinem mit Taschentuchfetzen gefüllten Körbchen, um die beiden zu begrüßen. Oscar bot sich an, die Kinderfrau nach Hause zu bringen. Seltsam, dachte Fiona, ich dachte, er wäre so müde. Ich hätte Anna doch auch nach Hause bringen können.

Als Fiona gerade ins Bad gehen wollte, um zu duschen, tapste Stella ganz verschlafen mit ihrem Teddybären im Arm zur Tür herein und fragte mit suchendem Blick: „Wo ist denn der Papa?“

„Schätzchen, der Papa bringt Anna nach Hause“, antwortete Fiona. „Komm Mäuschen, ich bringe dich in dein Bett zurück“, sagte sie und hob ihre Tochter hoch.

Stella ließ sich widerstandslos in ihr Bett bringen, Fiona deckte sie liebevoll zu und sah zu Clarisse, die friedlich schlief und leise seufzte. Was für wunderbare Kinder wir haben, dachte sie und nahm genüsslich eine heiße Dusche.

Sie war schon lange im Bett und wachte auf, als die Haustüre geschlossen wurde. Oscar war zu Hause. Als er das Schlafzimmer betrat, stellte Fiona im schwachen Licht der kleinen Lampe auf ihrem Nachtkästchen fest, dass er noch immer sehr gut aussah. Als sie sich ineinander verliebt hatten, hatte er ungefähr zehn Kilo weniger und war ein schlaksiger, großgewachsener Junge – aber er sah nur aus wie ein Junge. Seine Art. sie zu umwerben hatte, ihre Meinung schnell geändert. Er war damals gerade fünfundzwanzig und hatte seine erste Stelle als Architekt in einer renommierten Firma bekommen.

Er verschwand im Badezimmer und sie hörte die Dusche rauschen. Er duscht doch sonst nicht, wenn er so spät nach Hause kommt, dachte sie. Fiona sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen. Sie wollte ihn spüren und hoffte, dass er bald zu ihr ins Bett kommen würde. So könnte der Abend romantisch ausklingen.

Als sie gerade am Einschlafen war, kam er ins Bett. Schlaftrunken wollte sie ihre Arme um ihn schlingen. Er entzog sich ihr mit den Worten: „Bitte jetzt nicht, ich bin wirklich erledigt.“ Dann rollte er sich auf die andere Seite und kurze Zeit später hörte sie, dass er tief und fest schlief.

Fiona lag noch lange wach und ihre Gedanken gingen im Kreis.

Der Patient war versorgt und hatte den Eingriff gut überstanden. Dr. Kent war zufrieden, aber total übermüdet. Er hatte einen Vierundzwanzig-Stunden-Bereitschaftsdienst hinter sich und wollte nur nach Hause, heiß duschen und ausschlafen. Die vergangene Woche war ein Horror gewesen. Jede Menge Unfälle und ungeplante Eingriffe, bei denen es öfters um Leben und Tod gegangen war.

Müde und gedankenverloren machte er sich auf den Heimweg. Er wohnte in der Innenstadt. Er hatte die große Dachwohnung seiner Eltern geerbt und diese, nachdem die Trauer über ihren Tod überwunden war, nach seinen Wünschen neu gestaltet. Die Wohnung war seine Rückzuginsel.

Im Wohnzimmer gab es eine Bücherwand, beleuchtet und in kräftigen Farben. In der Mitte des Raumes stand eine helle, unauffällige, aber umso bequemere Designercouch. Auch die Vorhänge waren in einem Naturton gehalten. Einige Pflanzen zierten die für diese Altbauwohnungen typischen hohen Fenster. Der Raum strahlte Ruhe und Wärme aus.

Angus ließ sich auf das Sofa fallen und seufzte tief. Zum Duschen war er fast zu müde. Hungrig war er auch, doch die Küche blieb heute wegen Müdigkeit geschlossen. Das für den nächsten Tag angesetzte Meeting mit dem Krankenhausvorstand ging ihm durch den Kopf. Dann schlief er unverrichteter Dinge auf dem Sofa ein.

Als Angus erwachte, war es schon zehn Uhr. Er streckte sich und freute sich auf ein Frühstück ohne Zeitdruck.

Clarisse, Fionas jüngere Tochter war jetzt schon fast ein Jahr. Die Zeit verging rasend schnell. Fiona übte immer noch den Seiltanz zwischen Familie und Beruf. In Kürze stand eine Premiere bevor. Sie hatte für diese schrille Boulevardkomödie das Bühnenbild gemacht. Es war eine sehr anstrengende Arbeit, aber auch eine Möglichkeit, alle Facetten ihres Könnens unter Beweis zu stellen.

Das Projekt war für sie fast abgeschlossen, jetzt musste nur noch am Samstag die Premiere gut über die Bühne gehen. Fiona war nervös, man konnte ja nie wissen, was noch schief gehen würde. Ihre Anspannung war so stark, dass sich ihre Unruhe auch auf die Familie übertrug.

Um aus diesem Strudel herauszukommen, hatte sie für den Nachmittag kurzerhand Anna organisiert. Sie wollte sich mit Stephanie, ihrer besten Freundin, in der Innenstadt zum Kaffee treffen und anschließend einen Bummel machen. Viel zu lange hatte sie schon auf das Vergnügen einer Verabredung mit einer Freundin verzichtet. Nachher würde sie auf einen Abstecher ins Theater gehen. Meist komplimentierte man sie bei dieser letzten Kontrollvisite aus dem Theater hinaus, aber sie brauchte diesen Besuch zu ihrer eigenen Beruhigung.

Mittlerweile war es zwei Uhr. Stephanie saß in ihrem gemütlichen Stammkaffee, las eine der Zeitungen, die sich immer in der Ecke türmten, und wartete auf Fiona. Die Tür ging auf und die Freundin schneite im wahrsten Sinne des Wortes herein. Draußen hatte sich ein richtiger Schneesturm zusammengebraut und Fionas violetter Mantel war bedeckt von weißen Flocken. Sie musste sich wie ein Hund schütteln, um sich der weißen Pracht zu entledigen. Als Fiona den nassen Mantel ausgezogen hatte, begrüßten sich die Frauen stürmisch. Sie hatten einander immer sehr viel zu erzählen, denn die Treffen waren viel zu selten.

Stefanie war erst vor Kurzem das zweite Mal geschieden worden und hatte keine Kinder. Fürs Erste hatte sie die Nase von den Männern voll.

„Weißt du, ich habe mir geschworen, so schnell macht sich keiner mehr bei mir in der Wohnung breit. Ich möchte dieses Szenario nicht noch einmal erleben“, sagte Stephanie.

„Ach ja, übrigens, mein Ex wird Vater. Stell dir das vor, mit mir wollte er nie Kinder, dieser Schuft!“, schimpfte Stephanie. Sie steigerte sich so richtig in ihren Redefluss hinein und war unglaublich wütend.

Fiona kannte die Vorgeschichte und war entsetzt. Das konnte doch wirklich nicht sein. Wolfgang, Stephanies geschiedener Mann, hatte sie wegen einer zehn Jahre jüngeren Frau verlassen. Und jetzt bekam seine Freundin ein Kind. Sie war bestürzt. Wolfgang und Stephanie waren immer ein Vorzeigeehepaar gewesen, niemand, schon gar nicht Stephanie, hatte damit gerechnet, dass gerade die beiden sich trennen würden. Fiona wurde nachdenklich.

Stephanie fragte vorsichtig: „Wie läuft es denn bei dir, meine Liebe? Ich denke, wir haben jetzt genug über Wolfgang geschimpft, jetzt bist du an der Reihe“.

„Was soll ich sagen?“, Fiona seufzte.

„Im Moment stehe ich unter Hochdruck wegen der Premiere am Samstag. Es ist jedes Mal ein Thrill – wird die Arbeit gefallen, was sagen die Kritiker? Und wenn …“

Stephanie unterbrach Fionas Redefluss. „Das weiß ich doch alles, vor jeder Premiere geht es dir so, du bist vor lauter Nervosität nicht zurechnungsfähig. Aber das will ich jetzt nicht wissen. Ich möchte wissen, wie es mit dir und Oscar läuft. Du hast einmal anklingen lassen, dass er sich komisch benimmt. Na, komm schon, lass dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen.“

Fiona war verunsichert, zaghaft begann sie zu erzählen. Oscar benahm sich in letzter Zeit tatsächlich eigenartig, er war wie verwandelt. Er war sehr selten zu Hause und begründete das damit, dass er wichtige Projekte zu bearbeiten hätte. Meetings und Geschäftsessen lösten einander ab. Ab und zu brachte er sogar Blumen mit. Sein Handy, das er früher nie finden konnte, verwahrte er seit einiger Zeit immer sorgfältig, sodass Fiona es nicht mehr für ihn suchen musste. Dadurch hatte sie auch über Oscars Telefongespräche keinen Überblick mehr.

Für das kommende Wochenende, gerade am Samstag der Premiere, hatte er einen Kundenbesuch mit anschließendem Jagdausflug eingeplant. Fiona war enttäuscht und verstimmt. Diesen Besuch hätte er auch zu einem anderen Zeitpunkt machen können.

Stephanie war erstaunt. „Hat er denn kein Interesse mehr an seiner Familie und dir? Das klingt tatsächlich seltsam. Bei Wolfgang war es ähnlich – mit den Meetings und so. Damit meine ich nicht, dass es sein muss, dass Oscar dich betrügt. Aber Wachsamkeit ist auch kein Fehler.“

„Ach, weißt du“, seufzte Fiona, „ich möchte da nicht zu viel hineininterpretieren, ein bisschen Vertrauen muss man schon haben.“

„Ja, meine Liebe, das ist ja recht nett, aber wo ist die Grenze zwischen Vertrauen und schlichter Blindheit?, meinte Stephanie, während sie sich lasziv durch ihr langes, kastanienbraunes Haar fuhr.

„Ich will jetzt nicht darüber reden, im Moment gibt es Wichtigeres!“ Damit war für Fiona das Thema abgeschlossen. „Lass uns spazieren gehen“, sagte sie. „Ich brauche sowieso noch ein paar Schuhe für die Premiere, man gönnt sich ja sonst nichts“, sagte sie lachend.

„Verdammt“, fluchte Angus. Das Shampoo rann über seine Augen und das schnurlose Telefon hätte bald mit ihm gemeinsam ein Vollbad genommen.

„Hallo, hallo, ach, du bist es“, sagte er.

Es war sein Freund Carlo, der beinahe am Ertrinkungstod von Angus‘ Telefon schuld gewesen wäre. Carlo war ein Freund aus der Studentenzeit, sie hatten sich auf der Uni kennengelernt und waren seither gute Freunde. Carlos Mutter war eine heißblütige Italienerin, von ihr hatte er sein Temperament und den Hang zu einem etwas verrückten Leben. Sie war Schauspielerin, durch sie hatte er alles kennengelernt, was in Film und Fernsehen Rang und Namen hatte. Er hatte sich nach dem Studium auf das Fach Gynäkologie spezialisiert und Angus war Anästhesist geworden. Die Frauenheilkunde war, was seine Chancen bei der Damenwelt betraf, nicht gerade ein Nachteil.

„Ciao, caro amico“, tönte es durch das Telefon. „Wollte ich mit dieser wunderbaren Frau, groß, blond, jung, am Samstag eine Theaterpremiere besuchen. Ich kenne den Regisseur. Geht aber jetzt nicht, ich habe Nachtdienst“, sang Carlo mit seinem italienischen Akzent ins Telefon.

Angus wischte sich den Schaum aus dem Ohr. Schon wieder so eine unnötige Premiere von einem von Carlos Freunden, dachte er. Meist waren die Theaterstücke nicht sehr erheiternd. Irgendein weiß geschminkter Clown hüpfte in einem schwarzen Umhang über die Bühne und rezitierte unverständliche Texte. Die anschließende Feier war meist ein einziges Gedränge um ein Glas Champagner und jede Menge Small Talk mit verrückten Hühnern aus der Theaterszene.

„Oh, bitte“, sagte Carlo, „geh doch mit meiner reizenden Claudia dort hin! Sie freut sich schon seit zwei Wochen auf dieses Event. Ich glaube, sie läuft mir davon, wenn ich ihr nicht männliche Begleitung besorge. Außerdem kann man das Mädchen nicht allein lassen, sehr gefährlich wäre das.“

Angus hatte für diesen Samstag eigentlich anderes im Sinn. Er wollte sich mit Fachliteratur über das Projekt, für das er ausgewählt worden war, beschäftigen. Man würde ihn in dieser Sache für ungefähr ein Jahr nach London überstellen. Aber wie immer ließ sich von Carlo überreden. Die Fachliteratur wurde auf Warteposition geparkt. Einziger Lichtblick: Die Damen, die Angus für Carlo ab und zu begleiten sollte, waren meist besonders charmant und hübsch dazu.

Hinter der Bühne herrschte hektische Nervosität. Die Truppe formierte sich zum Schlussapplaus, und wie üblich gingen bei der Premiere auch die im Hintergrund Tätigen auf die Bühne. Auch Fiona war dabei, sie hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Der Vorhang öffnete sich, gleißendes Scheinwerferlicht und tosender Applaus empfingen die Truppe. Ihr Herz schlug rasend schnell, der Applaus konnte nur Gutes bedeuten. Blieb noch die Meinung der Kritiker abzuwarten. Der Vorhang schloss sich wieder, dann mussten sie noch einmal nach vorne auf die Rampe.

Im Garderobenbereich schwirrten alle wild durcheinander. Halb bekleidete Schauspielerinnen und Schauspieler umarmten sich und führten wahre Freudentänze auf. Es wurde geschnattert, Thema Nummer eins war das Lachen der Zuschauer, das immer zum richtigen Zeitpunkt gekommen war. Die anschließende Premierenfeier würde in einem Lokal stattfinden, das ebenso verrückt war wie das Theaterstück. Jetzt hieß es nur noch, Nerven bewahren und sich den Fragen der Presse stellen. Dann konnte der entspannte Teil des Abends beginnen – einfach mit Kollegen zusammensitzen und die letzten Wochen Revue passieren lassen.

„Bravo“, rief der junge Mann neben ihm. Der Bursche im Rock war von seinem Sitz aufgesprungen und ließ seiner Begeisterung freien Lauf. Aber das Stück war auch verdammt gut und unglaublich lustig, fand Angus und klatschte begeistert.

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