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Das schwache Herz

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»Aus Dank – dankbarkeit!« brachte Arkadij Iwanowitsch stotternd hervor.

Alle waren erstaunt, als sie diese Antwort hörten, und es erschien ihnen sonderbar und unwahrscheinlich, daß ein Mensch aus Dankbarkeit den Verstand verlieren könne. Arkadij erklärte so gut er konnte den Sachverhalt.

»Mein Gott, wie schade!« sagte schließlich Julian Mastakowitsch, »und dabei war die Arbeit, mit der ich ihn betraut habe, weder besonders wichtig noch dringend. So ist der Mensch wegen nichts zugrunde gegangen! Nun, man muß ihn ins Irrenhaus schaffen! … « Jetzt wandte sich Julian Mastakowitsch wieder an Arkadij und begann ihn von neuem auszufragen. »Er bittet,« sagte er auf Wassja zeigend, »daß man irgendeinem jungen Mädchen nichts davon erzähle … Ist es seine Braut?«

Arkadij erklärte ihm alles. Wassja schien angestrengt über etwas nachzudenken, oder sich auf eine sehr wichtige Sache besinnen zu wollen, die ihm in diesem Augenblick nützlich sein könnte. Zuweilen ließ er seinen gequälten Blick in der Runde schweifen, als erwartete er, daß ihn irgend jemand an das Vergessene erinnern würde. Dann heftete er seinen Blick auf Arkadij. Endlich schimmerte in seinen Augen etwas wie Hoffnung auf; mit dem linken Fuß vortretend, machte er drei Schritte auf Julian Mastakowitsch zu, so militärisch stramm, wie er es nur konnte und schlug, stehen bleibend, die Hacken zusammen, wie es die Soldaten tun, wenn sie auf einen Offizier zugehen, der sie angerufen hat. Alle erwarteten gespannt, was jetzt kommen würde.

»Ich habe ein körperliches Gebrechen, Exzellenz, ich bin klein gewachsen und schwach, und tauge nicht zum Militärdienst,« sagte er kurz und trocken.

Alle, die im Zimmer waren, alle ohne Ausnahme, hatten in diesem Augenblick das Gefühl, als ob ihnen jemand das Herz zusammenpreßte, und auch Julian Mastakowitsch, der ja sonst durchaus nicht weichherzig war, vergoß einige Tränen. »Führt ihn weg!« sagte er und winkte mit der Hand ab.

»Also tauglich!« sagte Wassja halblaut, machte linksum kehrt und verließ das Zimmer. Alle, die sich für sein Schicksal interessierten, stürzten ihm nach. Arkadij drängte sich mit den übrigen um Wassja, den man, in Erwartung der offiziellen Verfügung und eines Wagens, der ihn ins Spital bringen sollte, im Vorräume auf einen Stuhl gesetzt hatte. Er saß schweigend da und schien in größter Sorge zu sein. Sobald er jemanden erkannte, nickte er ihm, gleichsam Abschied nehmend, zu. Er sah jeden Augenblick nach der Türe und wartete wohl, daß jemand sagte: »Nun ist es Zeit!« Alle standen dicht um ihn gedrängt; alle schüttelten den Kopf, alle jammerten. Viele drückten ihr Erstaunen über die Geschichte aus, die ganz plötzlich allen bekannt geworden war. Die einen besprachen eingehend den Fall, die anderen bemitleideten Wassja und lobten ihn; sie sagten, er sei ein so bescheidener, stiller und vielversprechender junger Mann gewesen; man erzählte sich, wie strebsam und lernbegierig er gewesen sei, wie er nach Bildung und Wissen lechzte. »Mit eigener Kraft hat er sich aus niederem Stande emporgearbeitet!« bemerkte jemand. Man sprach mit Rührung von der Sympathie, die ihm seine Exzellenz entgegenbrachte. Einige versuchten eine Erklärung dafür zu finden, daß Wassja gerade darauf verfallen war, daß man ihn unter die Soldaten stecken würde, falls er seine Arbeit nicht beendete. Man erzählte sich, daß der Ärmste erst vor kurzem, dank der Verwendung Julian Mastakowitschs, der in ihm Talent, Gehorsam und einen ungewöhnlich sanften Charakter entdeckt hatte, aus dem Kleinbürgerstande, dem er angehörte, in die erste Beamtenklasse eingereiht worden war. Es gab mit einem Worte sehr viele Ansichten und Meinungen. Unter denen, die das Geschehnis besonders erschüttert hatte, machte sich ein auffallend klein gewachsener Kollege Wassja Schumkows bemerkbar. Er war durchaus nicht mehr jung, sondern so in den Dreißigern. Er war kreideblaß, zitterte am ganzen Körper und lächelte sehr sonderbar, vielleicht deswegen, weil jeder Skandal und jeder Unglücksfall den unbeteiligten Zuschauer nicht nur erschreckt, sondern zugleich auch irgendwie erfreut. Er lief immer um den Kreis herum, der sich um Wassja gebildet hatte, stellte sich, da er klein gewachsen war, auf die Zehenspitzen, faßte jeden, der ihm in den Weg kam, am Rockknopf, d. h. nicht jeden, sondern nur diejenigen, bei denen er sich das erlauben durfte, und sagte, daß er ganz genau wisse, wie alles gekommen sei, daß der Fall durchaus nicht so einfach, sondern sehr schwierig sei und daß man ihn nicht als erledigt ansehen dürfe. Dann stellte er sich wieder auf die Zehenspitzen, flüsterte seinem Zuhörer etwas ins Ohr, nickte mit dem Kopf und lief zu seinem nächsten Kollegen. Endlich fand die Szene ihren Abschluß: ein Amtsdiener und ein Heilgehilfe gingen auf Wassja zu und sagten ihm, daß es nun Zeit sei, aufzubrechen. Er sprang in großer Unruhe auf und folgte ihnen, sich immer im Kreise umsehend. Er suchte jemand mit den Augen! »Wassja! Wassja!« rief Arkadij Iwanowitsch schluchzend. Wassja blieb stehen, und Arkadij Iwanowitsch drängte sich zu ihm heran. Sie fielen sich zum letztenmal in die Arme, und umklammerten einander schwer und fest. Es war ein trauriger Anblick. Welch ein phantastisches Schicksal preßte aus ihren Augen diese Tränenfluten! Worüber weinten sie? Wo lag das Unglück? Warum konnten sie einander nicht verstehen?

»Da, nimm es, nimm es! Bewahre es auf!« sagte Schumkow und drückte Arkadij ein Stück Papier in die Hand. »Sonst werden sie es mir noch fortnehmen. Du kannst es mir später bringen, ja bringe es mir später! Verwahre es … « Wassja kam nicht weiter, denn er wurde gerufen. Er lief schnell die Treppe hinunter und nickte allen zum Abschied zu. Sein Gesicht drückte Verzweiflung aus. Schließlich setzte man ihn in eine Kutsche, und die Kutsche rollte davon. Arkadij öffnete hastig das Papier: es war die schwarze Locke Lisas, die Schumkow bei sich getragen hatte. Heiße Tränen traten Arkadij in die Augen: »Ach, arme Lisa!«

Nach Schluß der Kanzleistunden ging er nach der Kolomna-Vorstadt. Es ist gar nicht zu beschreiben, was dort vorging! Selbst Petja, der kleine Petja, der nicht recht verstehen konnte, was mit dem guten Wassja geschehen war, ging in eine Ecke, bedeckte sein Gesicht mit seinen kleinen Händen und begann aus vollem Kinderherzen zu schluchzen. Es dämmerte bereits, als Arkadij nach Hause ging. Am Newa-Kai blieb er für eine Weile stehen und warf einen durchdringenden Blick den Fluß entlang in die nebelige frostige Ferne, die im letzten Abglanz des Abendrots, das am grauen Horizont erstarb, in blutigem Purpur schwamm. Die Nacht senkte sich über die Stadt, und auf der ganzen weiten, vom hartgefrorenen Schnee angeschwollenen Fläche der Newa funkelten in den letzten Sonnenstrahlen unzählige Myriaden von Eisnadeln. Der Frost erreichte zwanzig Grad. Milchweißer Dampf stieg von den müdegehetzten Pferden und den laufenden Menschen auf. Die eisige Luft erzitterte vom leisesten Geräusch, und wie Riesen erhoben sich von allen Dächern auf beiden Seiten des Stromes Rauchsäulen in den kalten Himmel; sie flochten sich ineinander und lösten sich wieder, so daß über den alten Gebäuden neue entstanden, und sich in der Luft eine neue Stadt türmte … Es war, als ob diese ganze Welt, mit allen ihren Bewohnern, den Mächtigen und den Geringen, mit allen ihren Behausungen, den Bettlerherbergen und den goldstrotzenden Palästen – der Freude der Mächtigen der Erde, sich in dieser Dämmerstunde in einen phantastischen Märchentraum verwandelte, der jeden Augenblick entschwinden und sich im dunkelblauen Himmel als Rauch auflösen würde. Ein sonderbares Gefühl ergriff den verwaisten Freund des armen Wassja. Er fuhr zusammen, und über sein Herz ergoß sich plötzlich eine heiße Blutwelle, die von einem starken, ihm bis jetzt unbekannten Gefühl aufgepeitscht war. Erst jetzt begriff er den Sinn der ganzen Unruhe, und warum der arme Wassja, der sein Glück nicht tragen konnte, den Verstand verloren hatte. Seine Lippen zitterten, in seinen Augen brannte ein Feuer, er erblaßte, und es war ihm, als ob er jetzt eine neue Erkenntnis gewonnen hätte …

Von nun an wurde er schweigsam und verschlossen und verlor seine ganze frühere Fröhlichkeit. Die alte Wohnung wurde ihm unerträglich, und er zog in eine neue. Zu den Artemjews wollte er nicht mehr gehen; er konnte es einfach nicht. Nach zwei Jahren traf er einmal Lisa in einer Kirche. Sie war verheiratet, und ihr folgte die Amme mit ihrem Kinde. Sie begrüßten einander und vermieden es anfangs, vom Vergangenen zu sprechen. Lisa erzählte, daß sie, Gott sei dank, glücklich sei, daß ihr Mann ein vermögender und auch guter Mensch sei, den sie liebe … Doch plötzlich, mitten in der Rede, füllten sich ihre Augen mit Tränen, ihre Stimme versagte, sie wandte sich ab und kniete nieder, um ihren Kummer vor den Menschen zu verbergen …