Loe raamatut: «Prothesengötter»
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FRANK HEBBEN
PROTHESENGÖTTER
SF-Storys
PROTHESENGÖTTER
fantastic episodes XIV
Die Erstausgabe dieses Buches erschien 2008 im Wurdack Verlag, Nittendorf
Text © 2013 Frank Hebben
© 2016 diese Ausgabe – Begedia Verlag
Lektorat – Armin Rößler
Satz und Gestaltung – Hardy Kettlitz
Umschlagbild – Carsten Dörr
ISBN – 978-3-95777-082-0 (epub)
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Inhalt
Titel
Impressum
Vorwort
MEMORIES
IM LABYRINTH DER NEONROSE
GELÉE ROYALE
DER WÜHLER
DAS BILD IM LEEREN RAHMEN
MARIONETTENTHEATER
OFF
AMETHYST
[002:32:45]
EXODUS 1906 AD
IMPERIUM GERMANICUM
DAS FEST DES HAMMERS IST DER SCHLAG
Ω
Quellen
Über den Autor
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Für Elli und für Jan
»Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen [...]«
(Freud: Das Unbehagen in der Kultur, 1930)
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Vorwort
Alle Autoren kennen diesen Typen: Eines Tages steht er, ein »Manuskript« unterm Arm, mit flackerndem Blick vor deiner Tür.
Bevor du denken kannst Wieso rücken diese Beknackten immer mir auf die Pelle? Warum nerven sie nicht mal Uwe Anton? sitzt er schon in deinem Bureau, schlappt deinen Kaffee, pafft dir die Bude voll, knallt das »Manuskript« aufn Tisch und fordert dich auf, den sechshundert Seiten umfassenden ersten Band seiner gerade im Entstehen befindlichen Roman-Tetralogie zu lesen.
Das, Alter, ist der Augenblick, in dem du den Tag verwünschst, an dem du dem ersten Clown in den Sattel geholfen hast, der heute Bestseller schreibt und so tut, als hätte er noch nie von dir gehört.
Ja, alle Autoren kennen diesen Typen: Er ist von dem Wahn besessen, Schriftsteller zu werden – obwohl er Triumph mit »pf«, Standard standardmäßig mit »t« schreibt und nicht weiß, welchen Zweck Bindestriche erfüllen und dass man Eigennamen nicht dekliniert.
Er ist doof wie ein Meter Feldweg, schreibt pausenlos Sätze wie »Ich war sichtlich irritiert« und lässt Figuren in der dritten Person über sich selbst nachsinnen (Er hätte in der Grundschule besser aufpassen sollen, dachte er). Dass seine Figuren sich in einer Sprache unterhalten, die im wirklichen Leben gar nicht vorkommt, hat folgenden Grund: Seine Inspirationen entstammen TV-Serien, die von gemeinen amerikanischen Schwachmaten geschrieben und von stiltauben deutschen Schwachmaten »übersetzt« werden. Zum Beispiel so:
EDDIE: Möchtest du noch ein Bier?
FREDDIE: Nicht wirklich.
Dieser Typ hat nix Originelles drauf. Er ist wie zehntausend andere – kein bissken kreativ. Er käut nur wieder. Er traut sich nix. Seine Charaktere sind Pappcharaktere. Er weiß nicht, was Neologismen sind, und würde sie nicht mal erkennen, wenn sie an seinem Schniedel nuckeln. Er hat keinen Klassiker gelesen. Bradbury hält er bestenfalls für Schokolade. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass er die SF erfunden hat. Und überhaupt: Sind nicht Lektoren für Kommata zuständig?
Ja, ja, wir kennen diese Typen. Wenn sie mit ihrem »Manuskript« vor der Tür stehen, geht jeder Autor, der was auf sich hält, sofort stiften.
Aber, du ahnst es schon: Frank Hebben gehört nicht dazu! Dieser Typ hat was auf dem Kasten! Er hat Witz. Er ist geistreich. Er hat ausgeflippte Ideen. Er ist zuverlässig. Er ist ein fleißiger Arbeiter. Er sieht teuflisch gut aus. [Momentan errötet er bis unter die Haarwurzeln.] Er hat eine Braut, der ich, wäre ich nicht anderweitig gebunden, sofort den Hof machen würde. Ich wette, er kommt noch mal groß raus. Im Gegensatz zu vielen Krampen, die in unserem Lande Bestseller schreiben, hat er es verdient.
Neulich traf ich in einer der Gossen, die wir SF-Autoren so frequentieren, meinen lieben Freund Michael, der die Stirn hatte, mir Folgendes ins Gesicht zu sagen: »Wennu dir ’n bissken anstrengen tust, könnte aus disch irschendwann eventuell auch mal ’n Frank Hebben werden.« *)
Danach lasset uns alle streben. Woll, Horsti?
Ronald M. Hahn
Wuppertal, am 7. 1. 2008
*) Woran man erkennen kann, welche Lektoratsarbeit diese SF-Preise abstaubenden Kanaillen ihren Lektoren wirklich machen.
MEMORIES
Die Stimme eines alten Films
Dumpfes Mono, zwei Takte Musik
Ein Regenlicht am Fenster
»Ich kaufe sie«, sagte das Mädchen mit den Schmetterlingsaugen. »Wie viele Fragmente wird das kosten?«
Der Händler beugte sich über den Transmitter, ein Gerät in der Form eines Kubus, links und rechts die Drähte und goldene Haftungen für die Stirn. »Fünfzehn.«
»Was, fünfzehn?« Mit zwei Fingern knibbelte das Mädchen die Haftung ab. »Das sind ja mehr als drei Erinnerungen.«
»In bester Qualität«, ergänzte der Händler und setzte sein Verkaufslächeln auf. »Glasklare Bilder, saubere Gefühle. Wir nehmen nur Alpha-Memories.«
»Teuer, teuer.«
»Und zu Recht!« Der Händler öffnete die Hände. »Diese Erinnerung stammt aus dem Jahr 1964, Westeuropa, Frankreich vielleicht; sie ist mehr als zweihundert Jahre alt.« Sein Lächeln wurde breiter. »La Bohème, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»La Bohème«, wiederholte das Mädchen nachdenklich. »Gut, okay, tauschen Sie auch schlechte?«
»Kommt drauf an.«
»Ich habe ein Erlebnis aus der Schulfabrik, zwei Nächte im Gefängnis und den Mord an meiner Mutter.«
Der Händler sog Luft durch die Zähne. »Mord? Wir sind ein seriöses Geschäft, so etwas können Sie hier nicht tauschen. Erinnerungen an Bücher, an Filme, die unsere Regierung vernichten ließ, das nehmen wir gerne. Sonnenuntergänge, Erinnerungen an Tiere und Pflanzen. Ein Picknick im Wald. Haben Sie solche Fragmente?«
»Nein«, antwortete das Mädchen traurig, und ihre Augen schillerten in tausend Farben. »Oh, ich hatte mal einen Hund.«
»Einen Hund? Dafür gibt es Sammler. Welche Rasse?«
»Weiß ich nicht. Er hatte ein königsblaues Fell.«
Der Händler winkte ab. »Keine Schöpfungen, tut mir leid.«
»Ich überleg es mir noch mal«, flüsterte das Mädchen. Sie stülpte die Kapuze ihres Plastikmantels über den Kopf und zerrte an den Bändern. »Auf Wiedersehen.«
»Beehren Sie uns, sobald Ihnen etwas Gutes widerfahren ist.« Der Händler nahm die Haftung ab. »Schönen Abend wünsche ich!«
Tropfen für Tropfen
Saurer Regen, manchmal Blut
Rotgefärbt durch Neonlicht
Ein Club in den Schatten
Drinnen waren die Stimmen künstlich abgedämpft, nur angenehmes Murmeln drang aus den Sitznischen. Das Mädchen hatte sich ans Schaufenster gesetzt und beobachtete die vorüber drängenden Menschen. Es regnete in Strömen.
»Was darf ich dir bringen?«, fragte die Kellnerin und stellte das Tablett mit den Tassen ab, um die Hände freizuhaben. Sie zückte Zettel und Stift, wartete.
»Sunburn ohne Eis.« Das Mädchen schaute sie nicht an. »Doppelt.«
»Schlechter Tag, was?«
»Schlechtes Leben.«
Der Regen fiel.
Zwei Männer gingen vorüber, eine Frau, ein Mann, ein Polizist. Hastig drehte sich das Mädchen weg.
»Wie heißt du?«, fragte die Kellnerin.
»Céline.«
»Kopf hoch Céline, bloß nicht unterkriegen lassen.«
»Sunburn ohne Eis, doppelt.«
»Kommt sofort.«
Céline streifte ihre Tasche und den Plastikmantel ab, hängte beide am Haken auf. Als die Kellnerin mit dem Drink zurückkam, bezahlte sie direkt und passend, gab kein Trinkgeld und verkroch sich dann im Winkel zwischen Polsterung und Fenster. Ihr Atem beschlug die Scheibe. Vorsichtig setzte sie das Glas an die Lippen und nippte daran. Sie schloss die Augen und dachte an ihre Lieblingserinnerung, die einzig schöne, die sie noch hatte; alle anderen waren verkauft:
Das Meer
Blau und weit
So kalt und klar
Sein gleichmäßiges Atmen
Ein und aus
Oben Vögel und die Sonne
Der Cocktail zeigte Wirkung, ein warmes Kribbeln im Bauch, wie Liebe, und Céline seufzte lustvoll; jetzt ging es ihr viel besser. Sie bestellte noch ein Glas.
»Sunburn?«, fragte die Kellnerin.
»Doppelt.«
»Kommt sofort.«
»Warte mal«, sagte Céline. »Ich suche jemanden, einen, der schlechte Memories eintauscht.«
»Willst sie loswerden, nicht wahr, Kleines? Was ist es, eine unglückliche Liebe? Herzchen, damit plagen wir uns doch alle rum!«
»Kennst du da jemanden?«, fragte Céline leise.
»Vielleicht nimmt sie die Nadel. Schlechte Erinnerungen und neue Rauschgifte, das hält sie am Leben, selbst kann sie nichts mehr fühlen. Probier es, biete sie ihr an. Sie lungert am Hafen, auf dem Flohmarkt der Träume.«
»Ich weiß, wo das ist.«
»Such hinter den Ständen. So, ich bring dir mal den Cocktail.«
»Danke.«
Als die Kellnerin zurück an den Tisch kam, kippte Céline das Getränk hinunter, bezahlte und stand auf. Sie griff nach ihrem Mantel und zog ihn über, nahm ihre Tasche und verließ die Bar. An der nächsten Ecke bog sie links ab und folgte den Straßen, bis sie den Flohmarkt am Hafen erreichte. Nach kurzem Suchen fand sie die Nadel, müde an eine Laterne gelehnt, eine Frau in den letzten Jahren, ausgemergelter Körper, die Wangen traten hervor.
»Man nennt dich die Nadel?«
»Wer will das wissen?« Ihre kristallblauen Augen durchbohrten sie; Neon-Implantate.
»Schlechte Memories, tauschst du sie?«, fragte Céline.
»Hast du dein Stofftier verloren?« Die Nadel zog die Lippen breit.
»Ich rede von Mord, an meiner Mutter.«
Kurzes Schweigen.
»Du dummes Ding«, sagte die Nadel. »Blutjung, und schon dein Leben versaut.«
»Nein, nein, ich war das nicht.«
»Ach so. Gute Qualität?«
»Denke schon.«
»Okay«, sagte die Nadel, »lass mal sehen.« Sie langte hinter die Laterne, wo ihre Habseligkeiten standen, holte einen Kubus hervor und klebte die Haftung an die Stirn. »Komm her, ich schau’s mir an.« Die Nadel winkte; Céline tastete nach ihrer Waffe, zögerte kurz und trat heran. »Ich will etwas Schönes dafür.«
»Was Schönes willst du? Eine Erinnerung an Schnee?«
»So etwas hast du?«, fragte Céline verblüfft.
»Ich?« Ein Lachen schüttelte die Nadel. »Na klar!«
»Was hast du dann?«
»Wie wär’s mit Clowns? Ein alter Traum mit Clowns.«
»Gut, warum nicht.«
»Komm näher.«
Nacht, dunkel ist die Gasse
Ein Skalpell, nein zwei
Gravierte Klingen
Ein Drache auf dem einen
Ein Teufel auf dem andern
Ritsch, ratsch!
Und Blut überall
»Jetzt ich«, sagte die Nadel und drückte auf den zweiten Transmitter-Knopf.
Haha!
Die Clowns
Bunt und lachend
Die Torten fliegen
Tatütata Tatütata
Seht da kommt
Die Feuerwehr!
Céline kicherte vergnügt. Sie wusste nicht, warum, doch sie fühlte sich erleichtert. Ein Schatten war von ihrer Seele gewichen. Entspannt nahm sie die Haftung ab. »Ein guter Tausch«, sagte sie zur Nadel.
»Gefällt’s dir? Ich bin auch zufrieden, starke Emotionen, Angst.« Sie dachte an die Nacht. »Ah, gut«, sagte sie und dann: »Moment mal, ich kenne diesen Kerl!«
»Wen?«
»Den mit den Skalpellen.«
»Keine Ahnung, wovon du redest.« Céline wandte sich zum Gehen.
»Vom Mörder, der deine Mutter auf dem Gewissen hat.«
Sie hielt inne. »Was?« Die Wirkung des Sunburns verpuffte.
»Salvador Dalí.«
»Dalí?«, fragte Céline und öffnete beiläufig den Verschluss ihrer Tasche.
»Ist sein Straßenname.« Die Nadel griff in ihren Mantel und kramte nach einer Dose, öffnete sie und steckte sich drei Pillen in den Mund. Ihre Pupillen flackerten, wurden erst gelb, danach blutrot. »Seit Jahren wildert er im goldenen Viertel, sammelt Organe und Haut für seine Kreationen. Es gibt Käufer für diese Art von ... Kunstwerken. Ich habe eine Ausstellung gesehen, erst neulich.«
»Ich will sämtliche Erinnerungen.«
»Mädchen, lass es, der ist wirklich gefährlich.«
»Ich will sie alle.« Céline zog ihre Pistole hervor. »Alle will ich, alle! Und meine will ich auch zurück!«
Blaues, weites Meereslicht
In der Halle
Bilder
Klar und kalt
Organe, Fett
Sein gleichmäßiges Atmen
Er lacht
Er lächelt
Gieriges Entzücken
Eine Frau
Will und kauft sie
Für DeLanys
Oben
Vögel und die Sonne
»Nein!«, schrie Céline, während sie die Haftung abriss. »Du hast sie mir versaut mit deinem Schrottgerät!« Sie setzte der Nadel die Pistole auf die Kehle.
»Ich …«, keuchte die Nadel. »Was habe ich ...«
Céline entsicherte die Waffe. »Nicht sie, alles nur nicht sie!«
»Es tut mir leid, ich wollte nicht ...« Langsam ging die Nadel auf die Knie. »Bitte.«
»Verfluchter Dreck!«, brüllte Céline und nahm die Waffe zurück. Zwei Tränen sickerten aus ihren Augen. »Ich hatte doch sonst nichts.« Weinend drehte sie sich um und rannte davon.
Häuser, Straßen, Menschen
Alles Schatten hinter Glas
Wut und Trauer
Und kein Weg
Aus dem Labyrinth
Die junge, stahlblonde Verkäuferin des DeLanys trug einen Arztkittel; warum, war für den gewöhnlichen Kunden nicht ersichtlich. Céline öffnete die gläsernen Türen des Ateliers und trat an das erste der ausgestellten Bilder heran; Der Magier, Tusche auf Karton, 2134.
»Ein wundervolles Porträt«, sagte die Verkäuferin hinter ihr. »Das Gesicht ist ausdrucksvoll, obwohl es leer erscheint, diese brennenden Augen, die skelettierten Wangen, hohl, aber markant.«
»Was kostet es?«, fragte Céline.
Die Verkäuferin lächelte künstlich. »Oh, das kannst du dir nicht leisten. Bei einer Versteigerung würde es mehr als achtundzwanzigtausend bringen.«
»Fragmente?«
»Ach was!«, lachte die Verkäuferin, »Cash!« Sie deutete auf einen Ständer mit 3D-Postkarten. »Aber wir führen erstklassige Abzüge, die du an deine Freunde schicken kannst.«
Céline wandte sich ab. »So gut gefällt mir das gar nicht.« Sie spähte zu einem arztgrünen Vorhang, der diesen Raum vom nächsten trennte. »Ich steh mehr auf organische Kunst.«
»Aah!«, machte die Verkäuferin, wobei sie ihr künstliches Lächeln aufsetzte; Céline fragte sich, wie viel das wohl gekostet hatte. »Du hast davon gehört?«
»Von Dalís Bildern?«
»Ja, genau.«
»Ich war Gast der letzten Ausstellung.«
»Und du willst sie noch mal sehen«, ergänzte die Verkäuferin. »Das verstehe ich. Er ist ein wahrer Künstler, macht einem eine Gänsehaut.«
»Besser kann man’s nicht beschreiben«, bejahte Céline. Sie versuchte, das Lächeln zu kopieren. »Kann ich sie mir jetzt anschauen?«
»Heute bin ich alleine im Laden, weißt du, ich habe keine Zeit für diese Art von Gefälligkeiten.«
»Bitte.«
»Okay, für dich mach ich mal ne Ausnahme.« Die junge Frau im Kittel zwinkerte ihr zu. »Aber nur kurz.«
»Vielen Dank«, sagte Céline.
»Keine Ursache, komm.« Sie teilte den Vorhang und ließ Céline passieren; beide gingen einen langen Korridor entlang, danach zwei Treppen hinab. Seitlich öffnete sich ein Atelier, das arktisblau ausgeleuchtet war. An den Wänden hingen Glaskästen, jeder war mit einem Tuch verhangen. Céline wurde zum größten der Exponate geführt.
»Davon haben wir keine Abzüge, also präg es dir gut ein«, lachte die Verkäuferin. »Hier.« Ruckartig riss sie das Tuch beiseite.
Eine schlechte Erinnerung mehr, dachte Céline noch, bevor der Schock sie übermannte. Es blieb nur ein Rauschen in ihrem Kopf, wie bei einem Fernseher ohne Bild. Sie starrte einfach auf den Kasten, unfähig etwas zu sagen.
»... ist natürlich vakuumversiegelt, die Haltbarkeit wäre sonst ...«
Kalter Schweiß auf ihrer Stirn.
»... Tod als Kunst, das ist eine Hauptaussage seiner ...«
Die Hände zitterten.
»... in der frühen Periode vor etwa sieben Jahren ...« Die Verkäuferin brach ab. »Hey, geht’s dir nicht gut?«
Céline nahm den Blick vom Kunstwerk und schaute zu ihr auf. »Was?«
»Ich sagte: Geht es dir nicht gut?«
»Oh … doch, doch, hier drin ist es nur so schrecklich kalt.«
Die Verkäuferin zog das Tuch über den Kasten. »Wir müssen diesen Raum kühlen, auch wegen der Haltbarkeit.« Sie ging zur Tür; Céline folgte ihr. »Mehr Zeit habe ich leider nicht, vielleicht morgen wieder.«
»Danke«, brachte Céline hervor, während sie versuchte, den Schwindel wieder abzuschütteln. »Ich hätte gern ein Autogramm.«
»Von mir?« Die Frau zwinkerte ihr zu. »Du meinst von ihm. Autogrammkarten führen wir leider nicht, da musst du ihn schon selber bitten.«
»Wann ist die nächste Ausstellung, heute?«
»Du meinst Vernissage. Nein, wie kommst du darauf?«
»Wo kann ich denn Salvador Dalí finden?«
»Mann, du bist wirklich schwer begeistert von ihm, was?« Die Verkäuferin lachte. »Ist selten, dass sich junge Mädchen so stark für moderne Kunst interessieren.«
Sie stiegen die erste Treppe hinauf; am Absatz der zweiten blieb Céline plötzlich stehen. »Wo finde ich den Künstler? Wo?«
»Namen und Adressen dürfen wir leider nicht herausgeben, nächste Woche hast du Gelegenheit ...«
Céline zog ihre Waffe aus der Tasche, zielte zuerst auf die Brust, dann auf den Hals der Verkäuferin. »Die Adresse von diesem Irren, sofort, das sage ich kein zweites Mal.«
»Du bist ja verrückt«, sagte die Frau gelassen. »Jetzt steck die Pistole weg und verschwinde, ansonsten hol ich die Polizei.« Sie drehte sich zur Treppe und stieg etwas höher, bis Céline ihr die Beine wegtrat. Hart knallte ihr Kinn auf die Stufen, sie schrie vor Schmerzen.
»Wo lebt dieses Schwein?«, presste Céline durch die Zähne. »Raus damit!«
»Er ist Arzt im St. John Hospital«, keuchte die Verkäuferin. Sie betastete ihr Nasenbein, um zu sehen, ob es vielleicht gebrochen war. »Er lebt und arbeitet dort.«
»Sein Name?«
»Dr. Randell, er heißt Dr. Randell.« Zögernd stand die Frau von der Treppe auf. »Du bist ja fanatisch, lass ihn in Ruhe!«
»Runter«, zischte Céline und streckte die Waffe vor. »Los!« Sie drängte die Verkäuferin die Treppe abwärts und in den Raum mit den Kunstwerken hinein. »Stell dich an die Wand.«
»Nein, bitte nicht«, flehte die Frau.
»An die Wand!«, schrie Céline. »Den Rücken zu mir.« Hastig griff sie in die Tasche und holte einen kleinen Kubus hervor. »Nimm die Haftung … du sollst die Haftung nehmen, verdammt! Kleb sie an die Stirn.«
Céline drückte sich selbst die Haftung fest. »So, ich will alle Erinnerungen an mich, die ganze letzte Viertelstunde! Hast du das kapiert?«
»Ja«, antwortete die Verkäuferin kleinlaut, und Céline betätigte den Knopf.
Ein Mädchen
Mit Tasche, Mantel
Schmetterlingsaugen
Traurig scheint sie
Allein in der Welt
Wie so viele andere
Auch
»Dreh dich nicht um.«
»Wer sind Sie?«, fragte die Verkäuferin verwirrt.
»Ich habe eine Waffe auf dich gerichtet; wenn du dich umdrehst, bist du tot.«
»Sie wollen die Bilder stehlen!«
»Diesen Dreck könnt ihr behalten!« Rückwärts schritt Céline auf den Ausgang zu. »Ich mache jetzt die Tür zu, du zählst bis hundert, danach kannst du die Bullen rufen. Bleib an der Wand, ich will dich nicht erschießen.«
»Ja, gut.«
Céline schloss die Tür hinter sich. Und dann rannte sie, die Stufen hinauf, durch den Laden, durch die Tür und hinaus in den Regen, links ab, rechts ab und weiter, immer weiter zum goldenen Viertel.
Leere Gesichter
Glänzend wie Glas
Das Neonlicht
Malt bunte Masken
Schamanen, Engel
Und Dämonen
Im Regen wirkte das Krankenhaus wie eine Kirche, ein breiter Bau, über allem leuchtete das Kreuz. Entschlossen schritt Céline auf das Hauptportal zu, durchquerte es und fragte nach der Rezeption. Dort sprach sie eine Schwester an. »Ich suche Dr. Randell.«
»Um was handelt es sich?«
»Er ist mein Vater, ich muss ihn sprechen. Meine Mutter ist gestorben.«
»Oh, herzliches Beileid.« Die Krankenschwester griff nach einer Liste, fuhr mit ihren langen Nägeln an den Zeilen entlang. »Dr. Randells Schicht ist gerade vorbei, wenn du dich beeilst, kannst du ihn vielleicht am Personalausgang abfangen, rechts raus und einmal um die Ecke.«
Céline hastete zurück, durch die Drehtür und an Werbesäulen vorbei in die Seitengasse. Ein Arzt lief ihr entgegen; sie hielt an. »Dr. Randell?«
»Ja?«
»Ich habe deine Bilder geseh’n, deine Kunstwerke aus Fleisch.«
»Und gefallen sie dir?« In einer Ahnung ging Dr. Randell auf Abstand.
»Nein«, erwiderte Céline und zog ihre Waffe. »Sie stoßen mich ab!«
»Das geht vielen so«, erklärte Dr. Randell, der sich Schritt für Schritt entfernte. Kurz spähte er zu einem geparkten Kleinbus an der Ecke. »Sie verstehen die Aussage nicht. Die umfassende Schönheit des Menschen, das will ich zeigen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Dafür tötest du Menschen? Das ist doch krank!« Céline verringerte die Distanz. »Bleib da stehen.«
»Töten? Ich nehme Leichen als Ausgangsmaterial.«
»Lüg mich nicht an!«, schrie Céline, worauf sie noch näher kam. »Du wilderst in der Nacht, suchst dir neue Opfer wie ein Tier! Ich hab’s gesehen, du perverses Schwein!«
Dr. Randell setzte eine freundliche Miene auf. »Unsinn, du verwechselst mich.«
»Gravierte Klingen, ein Drache und ein Teufel.«
»Verflucht«, rief Dr. Randell und eilte zum Kleinbus, dessen Tür er hektisch aufriss.
»Stopp!«
Zwei Schüsse hallten durch die Gasse, einer zersplitterte die Autoscheibe, der zweite ging in Dr. Randells Bein.
»Gott, was willst du von mir?«, schrie er, während er seinen Körper mühsam auf den Fahrersitz hievte.
Céline schoss ihm in den Arm.
Randell keuchte, zitterte und sackte auf dem Rinnstein zusammen.
»Was ich will?«, schrie sie heiser. »Endlich ein Leben, eine Bleibe, Familie und Freunde. Und all das hier vergessen! Sag dieser Welt Lebwohl, du irrer Psychopath!«
Ein Blutfleck auf der Brust
Groß wie eine Faust
Die Augen leer und weiß
Wie Plastik
Noch ein Atemzug
Und aus
»Meine Schwester, möchtet Ihr noch mehr loswerden?«, fragte der Priester sanftmütig. »Ich nehme sie alle, die traurigen, bösen, schlechten.« Er hob die Hände zum Himmel. »Für euch bin ich das Auffangbecken!«
»Nein, danke«, sagte Céline lächelnd und zog ihre Kapuze über den Kopf. »Mehr hab ich nicht zu beichten.«