Seewölfe - Piraten der Weltmeere 290

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 290
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-687-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

„Vorwärts!“ sagte der Seewolf mit gedämpfter Stimme. Er winkte seine Männer hinter sich her und suchte mit den Füßen vorsichtig nach Halt im Geröll, das am Fuße eines Abhangs lagerte.

Es war kurz nach Mitternacht, man schrieb bereits den 11. November im Jahre des Herrn 1592.

Aus nordöstlicher Richtung war eine frische Brise aufgekommen. Die Kälte, die durch die Kleidung der Männer drang, erinnerte sie nachhaltig daran, daß auch im Gebiet der sonnigen Bretagne der Winter vor der Tür stand.

Die Nacht, deren turbulente Ereignisse Philip Hasard Killigrew sowie den Crewmitgliedern der beiden gekaperten englischen Galeonen „Hornet“ und „Fidelity“ lange Zeit in Erinnerung bleiben sollte, war klar und hell. Am Himmel blinkten zahllose Sterne, der Mond tauchte die kleine Felseninsel Mordelles, die der Küste der Bretagne in Höhe des Hafenstädtchens Concarneau vorgelagert war, in fahles Licht.

Ein plötzliches Rascheln im herbstlich kahlen Gestrüpp, das sich spärlich durch die wilde, zerklüftete Landschaft zog, ließ die entflohenen Gefangenen reflexartig zusammenzucken.

Edwin Carberry riß, während er einen drohenden Knurrlaut ausstieß, die Steinschloßpistole hoch. Im selben Augenblick huschte ein dunkler Schatten aus dem blattlosen Geäst und schwang sich mit flatterndem Geräusch in die Luft.

Die Männer, die ihre Schritte einen Augenblick verhalten hatten, atmeten erleichtert auf, denn es war nur ein Nachtvogel gewesen, den sie aufgescheucht hatten.

Old Donegal Daniel O’Flynn, ein altes Rauhbein mit faltigem, verwittertem Gesicht, lachte leise auf.

„Warum so schreckhaft, Ed?“ fragte er stichelnd und deutete mit der Krükke, die er wegen seines Holzbeins mit sich führte, auf Edwin Carberry, den bulligen Profos mit dem gewaltigen Rammkinn im zernarbten Gesicht. „Willst du vielleicht mitten in der Nacht auf Spatzen schießen, he?“

Edwin Carberry warf ihm einen bissigen Blick zu.

„Geht leider nicht“, brummte er schlagfertig. „Du verscheuchst ja alle, weil du ständig mit deiner wurmstichigen Krücke in der Luft herumfuchtelst!“

Philip und Hasard junior, die zwölfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, kicherten verhalten.

„Deshalb ist’s hier auch so verdammt windig!“ Philip konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.

Der alte O’Flynn drehte sich zu den beiden Jungen um und blickte sie tadelnd an.

„Ihr Grünschnäbel solltet schleunigst die Futterluken zuklappen“, sagte er. „Ihr habt sie beide zu weit aufgerissen, deshalb zieht’s hier so elendig. Außerdem solltet ihr nicht ständig quasseln, man hört euer Geschrei bis in den letzten Winkel des Piratennestes.“

„Waaas?“ protestierte Hasard junior. „Wir haben nicht halb so viel geredet wie …“

„Schluß jetzt!“ unterbrach der Seewolf seinen Sprößling. „Wenn neuerdings wegen jeder Fledermaus oder Nachteule ein Palaver abgehalten werden soll, erreichen wir Grammonts Rattennest frühestens nach Weihnachten.“

Diese Feststellung schien sogar Old O’Flynn einzuleuchten. Jedenfalls stieß er brummelnd mit seiner Krücke auf das lockere Gestein und setzte sich, gleich den anderen Männern, wieder in Bewegung. Wer jedoch in dem grantigen Alten nur eine Abart des herkömmlichen Großvatertyps vermutete oder ihn gar wegen seines Holzbeins bedauerte, täuschte sich gewaltig. Old O’Flynn war ein Mann aus Granit und Eisen – ein wilder Haudegen, der seinen ganzen Stolz darauf setzte, mit den jüngeren Seewölfen zu konkurrieren. Und wenn es auf Hieb und Stich ging, da langte er zu, daß die Fetzen flogen.

Die entflohenen Gefangenen bewegten sich still und geräuschlos vorwärts. Sie bildeten eine lange Schlange, die sich wie eine geisterhafte, nächtliche Prozession landeinwärts bewegte. Man hatte auch allen Grund dazu, sich möglichst rasch von den Piraten zu entfernen, die noch immer ratlos drüben an den Grotten standen und sich die Köpfe darüber zerbrachen, was wohl mit ihren Gefangenen geschehen war.

Das mit deftigen Flüchen und üblen Verwünschungen untermauerte Stimmengewirr wurde durch die ständig wachsende Entfernung zwar etwas leiser, aber es drang immer noch bis zu den Engländern herüber.

Jetzt flammten mehrere Fackeln auf und tauchten die Umgebung der Felsengrotten in gespenstisches Licht. Einige Kerle aus der wüsten Horde Yves Grammonts verschwanden mit den Pechfackeln im Inneren der Höhlen – auch in jenen, in denen man die Waffen- und Munitionsvorräte gelagert hatte.

Die Crewmitglieder der „Hornet“ und der „Fidelity“ drehten sich immer wieder um und warfen prüfende Blicke zu Grammont und seinen Galgenstrikken hinüber.

Old O’Flynn kicherte verhalten.

„Die Dummköpfe bringen es noch fertig und leuchten mit ihren Fakkeln in die Pulverfässer, weil sie sich einbilden, wir hätten uns darin versteckt“, sagte er. „Ha, das gibt vielleicht ein Tänzchen!“

„Na, ganz so hirnverbrannt werden sie wohl doch nicht sein“, meinte Gary Andrews, der hagere Fockmastgast aus den Reihen der Seewölfe. „Aber gakkern können sie auf jeden Fall wie eine Schar Hennen, die sich in Legenot befinden, weil ihre Eier etwas zu groß geraten sind.“

Der schlanke, sehnige Jerry Reeves, der den verräterischen Easton Terry als Kapitän auf der „Fidelity“ abgelöst hatte, verzog das Gesicht zu einem Grinsen.

„Da fehlen nur noch die Füchse im Hühnerstall“, sagte er leise, „dann würden erst ordentlich die Federn fliegen.“ Dabei dachte er nicht nur an die Schnapphähne, die Grammont zu den Grotten begleitet hatten, sondern auch an das Hüttenlager der Piraten, in dem sich die eigentlichen Drahtzieher aufhielten. Die Augen des nicht ganz dreißigjährigen Mannes blickten grimmig, als er sich ausmalte, wie man das Gesindel aus seinem Schlupfwinkel aufscheuchen würde.

Begonnen hatte alles mit einem geheimen Auftrag der englischen Königin, Elisabeth I., die die beiden Galeonen dem Kommando des Seewolfs unterstellt hatte. Aufgabe der Besatzungen war es, gegen die Störaktionen einzuschreiten, die immer wieder von französischen Freibeutern gegen englische Schiffe gestartet wurden, und zwar mit der finanziellen Unterstützung Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipps II. von Spanien.

Nach heftigen Seegefechten und einer Reihe von hochbrisanten Ereignissen waren Philip Hasard Killigrew und seine Männer sowie Jerry Reeves und der Rest der „Fidelity“-Crew, der nach dem Verrat Easton Terrys an Bord geblieben war, tags zuvor in einen Hinterhalt der Freibeuter geraten und gefangenengenommen worden.

Der hochgewachsene, muskulöse Korse Montbars, der sich zusammen mit Gustave Le Testu auf die Seite der Seewölfe geschlagen hatte und dem es als einzigem gelungen war, sich dem Zugriff der Piraten zu entziehen, hatte sich im Schutz der Dunkelheit an die Felsengrotten herangearbeitet und die Engländer befreit. Nachdem es diesen gelungen war, sich mit Waffen aus den Vorräten der Freibeuter einzudecken, setzten sie alles daran, Yves Grammont und seinen Kumpanen eine vernichtende Niederlage zu bereiten.

Der Seewolf hob plötzlich die rechte Hand.

Die dunklen Gestalten, die im trüben Mondlicht durch die felsige Landschaft schlichen, verhielten augenblicklich ihre Schritte. Dann konnten sie alle das laute Getrampel von zahlreichen Stiefeln hören. Außerdem wurde die Stille der Nacht von lauten Männerstimmen gestört, und zwar ganz in ihrer Nähe. Nur sehen konnten sie niemand, weil bizarre Felsformationen ihre Blikke behinderten.

Auf ein weiteres Zeichen Hasards hin, gingen die Männer lautlos in die Hocke, um nicht ihrerseits ins Blickfeld zu geraten. Reglos kauerten sie auf dem felsigen Boden und lauschten angestrengt in die Nacht.

Die Gesprächsfetzen, die an ihre Ohren drangen, wurden lauter.

Die Männer sahen sich stumm an, und wahrscheinlich empfanden sie alle das gleiche, als sie die Stimmen Easton Terrys und Halibuts vernahmen. Ja, es handelte sich unverkennbar um die Stimme des früheren Kapitäns der „Fidelity“, der den Geheimauftrag an die Piraten und ihre spanischen Auftraggeber verraten hatte, und eines ehemaligen Crewmitgliedes, das wegen Terry eine Meuterei angezettelt hatte.

Selbst unter Tausenden von Lauten hätten die Männer des Seewolfs und Jerry Reeves’ diese Stimmen wiedererkannt.

„Verdammt und zugenäht!“ hörten sie Halibut, jenen fiesen Kerl mit dem stumpfsinnigen Gesichtsausdruck, fluchen. „Was haben die Fakkeln zu bedeuten? Bei den Grotten scheint tatsächlich der Teufel los zu sein.“

„Ich dachte mir gleich, daß Killigrew auf irgendeine Art und Weise für Schwierigkeiten sorgen würde“, erwiderte Easton Terry. „Die Schüsse können jedenfalls nur an den Grotten abgefeuert worden sein!“

 

Wieder war Halibuts Stimme zu hören.

„Die Kerle mit den Fackeln – es scheint Grammont mit einigen Leuten zu sein. Er ist schon beim Krachen der ersten Schüsse losgestürmt. Oh, verdammt, hoffentlich sind die Bastarde nicht entwischt.“

„Wie sollten sie!“ tönte nun wieder Terrys Stimme durch die Nacht. „Da müßte schon der Teufel persönlich seine Hand im Spiel haben. Trotzdem sollten wir uns beeilen.“

Die Geräusche, die von den Schritten mehrerer Männer verursacht wurden, verstärkten sich. Dann hörten die Engländer einen anderen Mann, dessen Stimme sie nicht kannten, kurz auflachen.

„Nur keine Panik“, sagte er in französischer Sprache. „Diese Insel ist schließlich kein Kontinent. Selbst, wenn es euren ehemaligen Kumpanen gelungen sein sollte, aus den Grotten zu entwischen – was ich, wohlbemerkt, sehr bezweifle –, gelangten sie nicht weit. Wir würden sie in kurzer Zeit wie die Hasen zusammentreiben und niederschießen.“

Noch immer verhielten sich die Besatzungen der beiden englischen Galeonen mucksmäuschenstill.

Hasard und Jerry Reeves, die sich keine drei Yards von einander entfernt niedergekauert hatten, warfen sich stumme Blicke zu. Und der Seewolf begriff nur zu gut, was das plötzliche Aufflackern in Reeves’ Augen zu bedeuten hatte.

Während sich die linke Hand des jungen Kapitäns zur Faust ballte, tastete die rechte langsam zum Griff des Degens.

Hasard konnte verstehen, daß es Jerry Reeves in unmittelbarer Nähe Easton Terrys gewaltig in den Fäusten juckte. Auch den übrigen Männern von der „Fidelity“ war deutlich anzumerken, daß sie sich am liebsten mit lautem Gebrüll auf den Verräter und seine abtrünnigen Begleiter gestürzt hätten. Der Seewolf kroch deshalb sofort näher an Reeves heran und legte ihm schwer die Hand auf den Unterarm.

Jerry Reeves verstand, was Philip Hasard Killigrew mit dieser zwingenden Geste zum Ausdruck bringen wollte. Langsam, fast zögernd, steckte er die Waffe an ihren Platz zurück. Das war gleichzeitig das Signal für seine Leute, sich ebenfalls zurückzuhalten.

Niemand von den Seewölfen zweifelte daran, daß dazu eine ziemliche Portion Willenskraft gehörte, denn Terry hätte – wenn sein Verrat nicht rechtzeitig entdeckt worden wäre – die eigenen Leute bedenkenlos ans Messer geliefert. Zudem war es ihm nach seiner Überführung und Verurteilung unter üblen Umständen gelungen, sich mit seinem Anhang von der „Fidelity“ abzusetzen.

Die Schritte entfernten sich, auch die Gesprächsfetzen wurden leiser. Man hatte die entflohenen Gefangenen also nicht bemerkt. Dennoch wartete Hasard noch einige Minuten ab, bis er das Zeichen zum Weitermarsch gab. Ihm sollte es nur recht sein, wenn Terry und seine Halsabschneider erst einmal zu den Grotten marschierten, denn für ihn und seine Männer bedeutete das einen erheblichen Zeitgewinn. Außerdem verringerte sich dadurch die Zahl der Gegner, die sich noch im Piratennest befanden.

Schweigsam setzten die schwerbewaffneten Engländer ihren Weg durch das unwegsame Gelände fort. Auch der Hugenotte Gustave Le Testu und Roger Brighton, Bens jüngerer Bruder, die beide bei dem gestrigen Kampf mit den Piraten verletzt worden waren, wurden mitgeschleppt. Le Testu hatte einen Schultersteckschuß abgekriegt, und Roger Brighton hatte sich einen Oberschenkeldurchschuß eingehandelt. Aber dank der Künste des Kutschers, ihres Feldschers, waren sie in der Lage, an der waghalsigen Flucht – wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen – teilzunehmen.

Bis zum Lager der Piraten, die in einigen alten Steinhütten hausten, die einst von den keltischen Bewohnern der Insel errichtet worden waren, konnte es nicht mehr allzu weit seins Obwohl sich der Mond hin und wieder hinter einigen vorbeiziehenden Wolkenfetzen versteckte, erschien er doch immer wieder und erleichterte damit dem Seewolf und seinen Männern die Orientierung.

Philip Hasard Killigrew war sich natürlich darüber im klaren, daß man auf einer kleinen Insel nicht einfach davonlaufen konnte. Zumindest nicht für längere Zeit. Deshalb hatte er sich zur Offensive entschlossen. Um jedoch zu verhindern, daß sie erneut von den Piraten in die Zange genommen wurden, hatte er schon zu Beginn der abenteuerlichen Flucht einen kleinen Trupp aus den Männern der „Hornet“ zusammengestellt, zu dem Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Dan O’Flynn, Blacky, Batuti sowie Jack Finnegan und Paddy Rogers gehörten.

Diese acht Seewölfe hatten den Auftrag, sich zu der versteckten Bucht an der Südseite der Insel vorzuarbeiten und wenigstens eins der dort vor Anker liegenden Schiffe zu entern. Damit sollten sie dann die Ausfahrt blockieren, um zu verhindern, daß auch die übrigen drei Piratenschiffe in die Bucht einlaufen und den an Land agierenden Männern in den Rücken fallen konnten.

Natürlich hätte der Seewolf auch mit seinen kompletten Mannschaften eins der Schiffe entern und dann einen Ausbruch aus der Bucht wagen können – vielleicht sogar mit der „Hornet“ und der „Fidelity“ –, aber er wollte Mordelles nicht verlassen, ohne dem wichtigsten Spion der Spanier, dem gebürtigen Portugiesen Lucio do Velho und dessen Begleitern, die sich im Hüttenlager der Piraten aufhielten, einen Besuch abgestattet zu haben.

Sein Ziel war, die Spanier als Geiseln zu nehmen, den Schlupfwinkel der Piraten nach Möglichkeit in die Luft zu jagen und dann auf dem Landweg zur Bucht vorzudringen, wo seine gekaperten Galeonen an den Ankertrossen schwoiten.

Hasard und seine Männer wußten sehr wohl, daß sie sich eine ganze Menge vorgenommen hatten – trotzdem waren alle mit Eifer bei der Sache, denn eine bessere Gelegenheit, Grammont und seine Schnapphähne auszuschalten und damit ihren ursprünglichen Auftrag zu erfüllen, würde sich wohl kaum mehr bieten. Würden sie auf dem Seeweg fliehen, wäre es später ungleich schwieriger, wieder an die Insel heranzukommen, weil die Piraten sie mit ihren Kanonen, die in den Felswänden postiert waren, verteidigen würden. Also hatten sie sich für die bessere Strategie entschieden.

Als das Plateau mit den sechs alten, verwitterten Steinhütten etwa vierhundert Yards „Steuerbord voraus“ auftauchte, hob der Seewolf abermals die Hand. Die Männer schlossen auf und scharten sich um ihren Kapitän. Sie alle hatten mittlerweile den Piratenschlupfwinkel bemerkt, zumal vor den Steinhütten ein riesiges Lagerfeuer brannte.

„Wir sind also da“, stellte der alte O’Flynn überflüssigerweise fest. „Ha, wenn die Kerle ein Süppchen auf dem Feuer haben, werden wir es ihnen gründlich versalzen.“ Der unternehmungslustige Alte stützte sich auf seine Krücke und rieb sich unternehmungslustig die Hände.

„Nur langsam, Donegal“, erwiderte der Seewolf mit gedämpfter Stimme. „Erst müssen wir mal an den Suppenkessel heran. Am besten, wir teilen uns jetzt und bilden einen Kreis um das Lager. Damit können wir verhindern, daß uns jemand entwischt.“

„Aye, Sir“, brummte Edwin Carberry leise, „Entwischen lassen wir keinen. Schließlich haben wir die karierten Affenärsche sehr ins Herz geschlossen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wild ich darauf bin, das Rübenschwein do Velho wiederzusehen. Von unserem buckligen Freund Albert und dem liebreizenden blonden Engelchen Lucille ganz zu schweigen. Gerade der kleinen Kratzbürste wollte ich schon immer mal kräftig den Achtersteven versohlen.“

„Nichts da, Ed!“ ließ sich Old O’Flynn vernehmen. „Dafür habe ich mich bereits vormerken lassen. Auf der guten alten ‚Empreß of Sea‘ haben wir schließlich gelernt, wie man Wildkatzen zähmt …“

„Ho!“ unterbrach ihn Carberry. „Dann paß nur auf, daß sie dir nicht das Holzbein abschnallt und um die Ohren schlägt, du alter Lustmolch!“

Old Donegal Daniel O’Flynn blieb glatt die Spucke weg.

„Lustmolch!“ wiederholte er mit gewittrigem Blick. „Habt ihr das gehört? Lustmolch hat dieser alte Hurenbock zu mir gesagt! Da hört sich doch langsam …“

„Vielleicht könnt ihr eure hochgeistige Unterhaltung später fortsetzen!“ schaltete sich der Seewolf ein. „Mit Lustmolchen und Hurenböcken ist uns im Moment leider nicht gedient. Wenn unser Vorhaben beendet ist, könnt ihr euch immer noch darüber streiten, welcher der beiden Begriffe der ranghöhere Titel ist.“

Die Männer konnten nur mühsam ein lautes Gelächter unterdrücken. Doch die weiteren Befehle Philip Hasard Killigrews rissen sie rasch in die Wirklichkeit zurück.

Roger Brighton und Gustave Le Testu, die beiden Verletzten, wurden in einer Felsnische untergebracht. Die Zwillinge sowie Arwenack, der Bordschimpanse der Seewölfe, sollten ihnen dort für die Dauer der Aktion Gesellschaft leisten. Die anderen aber schwärmten aus, um die „Hochburg“ Yves Grammonts in die Zange zu nehmen.

2.

In der versteckten Bucht an der Südseite der Insel Mordelles herrschte Totenstille. Die Piratenschiffe, einschließlich der beiden gekaperten englischen Galeonen, lagen wie schlafende Ungeheuer im kabbeligen Wasser. Die Nacht war sternenklar, das Licht des Mondes verlieh der Wasseroberfläche einen silbrigen Glanz.

Ben Brighton und den Männern seiner Einsatzgruppe war es nach der Flucht aus den Felsengrotten gelungen, sich bis zur Ankerbucht durchzuschlagen und sich dort ein Boot zu schnappen, das auf dem schmalen Sandstreifen des Strandes gelegen hatte.

Auch das Entern der Schaluppe hatte bestens und reibungslos geklappt. Fünf Kerle waren von ihnen überwältigt, gefesselt und geknebelt und in eine der beiden achteren Kammern eingesperrt worden.

Als alles um sie herum ruhig blieb, gab Ben Brighton den Befehl, vorsichtig den Anker zu lichten. Das war auch geschehen.

Dann aber veränderte sich die Lage für die acht Seewölfe von einer Sekunde auf die andere. Noch bevor sie das Segel setzen konnten, trat das ein, was sie insgeheim befürchtet hatten.

Auf der „Louise“ und der „Coquille“, die ganz in der Nähe der Schaluppe vor Anker gegangen waren, mußten die Ankerwachen etwas bemerkt haben.

„He, was ist denn da drüben los?“ dröhnte plötzlich eine rauhe Stimme zu den Seewölfen herüber. Niemand konnte auf Anhieb unterscheiden, ob der Ruf von der „Coquille“ oder von der „Louise“, dem Flaggschiff Yves Grammonts, stammte. Aber das war im Moment auch unwichtig. Was jetzt zählte, war einzig und allein die Tatsache, daß man – wußte der Teufel, womit! – die Aufmerksamkeit der Ankerwachen erregt hatte.

Ferris Tucker versuchte zu retten, was noch zu retten war. Froh darüber, daß der Rufer sich der französischen und nicht der bretonischen Sprache bedient hatte, verstellte er seine Stimme und antwortete.

„Nichts ist los!“ rief er. „Wir haben gerade einige Ratten totgeschlagen und über Bord geworfen, das ist alles!“

„Ratten?“ war plötzlich eine andere Stimme zu vernehmen. „Seit wann veranstaltet man solchen Lärm, wenn man Ratten totschlägt?“

„Ach, plustert euch nicht so auf!“ rief Ferris Tucker, der einen Piraten mimte, zurück. „Ich hab dabei einen Weinkrug umgestoßen. Schade um das herrliche Gesöff!“

Offenbar waren die Kerle mit dieser Auskunft, die sich der rothaarige Schiffszimmermann aus den Fingern gesaugt hatte, nicht ganz zufrieden. Zumindest ließ das plötzliche Stimmengewirr auf den Piratenschiffen darauf schließen.

„Verdammt, die Burschen sind argwöhnisch geworden“, sagte Ben Brighton. „Wahrscheinlich haben sie die Geräusche gehört, die die Ankertrosse von sich gegeben hat. Leider hat dieser Mistkahn kein Spill, sonst wär’s weniger laut gegangen.“

„Das nutzt jetzt alles nichts“, sagte Big Old Shane verbissen. „Wenn die Franzmänner Ferris’ Story nicht schlucken, werden wir gleich eine Menge Ärger kriegen.“

„Du hast recht, Shane“, sagte Ben Brighton in seiner ruhigen, bedächtigen Art. „Wenn es Stunk gibt, müssen wir so schnell wie möglich das Segel setzen, damit wir Abstand gewinnen. Dan, Batuti, Paddy und Jack – das ist eure Aufgabe. Die anderen werden, falls nötig, Feuerschutz geben. Gut, daß wir zumindest die Waffen griffbereit haben.“

„Vielleicht ist außer den Ankerwachen niemand weiter da drüben“, meinte Dan O’Flynn.

Aber Ben war skeptisch.

„Mag sein, daß nur ein kleiner Teil der Besatzungen an Bord ist, aber mehrere Männer sind es auf jeden Fall, das merkt man schon an den Stimmen.“

„Und wenn schon“, sagte Jack Finnegan. „Wenn sich die Schnapphähne die Finger verbrennen wollen, dann sollen sie es nur versuchen.“ Der hagere und sehnige Mann war zuversichtlich.

 

„Sollen wir nicht gleich das Segel setzen, Sir?“ fragte Paddy Rogers.

„Nein, wartet noch“, entschied Ben Brighton. „Wir wissen noch nicht genau, ob sie sich mit Ferris’ Antwort zufriedengeben. Außerdem haben sie unseren Kahn bestimmt noch im Auge.“

Darin sollte er sich nicht getäuscht haben.

„He, ihr da drüben!“ meldete sich wieder die rauhe Stimme, die von der „Louise“ zu ertönen schien. „Wie heißt ihr? Nennt eure Namen!“

„Zum Teufel!“ entfuhr es Ferris Tucker leise. „Jetzt haben sie uns am Wikkel.“ Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken. Woher sollte er plötzlich die Namen der niedergeschlagenen Piraten wissen? Blitzschnell fragen konnte man sie nicht. Erstens waren sie in der Piek, und zweitens weilten sie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit noch im Reich der Träume. Wenn er auf gut Glück irgendwelche Vornamen nannte, konnte das sehr leicht in die Binsen gehen. Doch dann fiel ihm der Kerl mit dem dicken Bauch und den hervorquellenden Augen ein, der ihnen in der Burgruine in der Nähe von Concarneau in die Hände gefallen war.

„Ich bin Arzot“, rief er, „und mein Nebenmann heißt Norman! Er ist einer von den Engländern, die mit Terry zu uns übergelaufen sind.“ Er fühlte sich plötzlich erleichtert, weil ihm wenigstens diese fadenscheinige Ausrede eingefallen war.

Dennoch trennten sich jetzt die Geister.

„Der Kerl lügt!“ brüllte ein anderer Pirat. „Arzot ist an Land, das weiß ich genau!“

„Dreckskerl!“ zischte Ferris. „Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben.“

Weiter gelangte er nicht, denn seine Legende war nun endgültig geplatzt. Die Piraten schlugen Alarm.

„Nichts wie weg!“ sagte Ben Brighton, und jeder an Bord der Schaluppe wußte augenblicklich, was er zu tun hatte.

Dan, Batuti, Paddy und Jack rasten blitzschnell über das Deck, um das Segel zu setzen. Ben, Ferris, Shane und Blacky griffen nach den Musketen und Tromblons, die sie mit an Bord gebracht hatten.

Erst jetzt begriff man, warum Blacky für einige Minuten verschwunden war. Ohne ein Wort zu sagen, hatte er weitere Schußwaffen herbeigeschleppt, die er unter Deck gefunden hatte.

Von den Piratenschiffen drang bereits lautes Geschrei herüber. Augenblicke später begann der Feuerzauber.

Zunächst dröhnten Musketenschüsse durch die Nacht, dann mischte sich das Wummern der Tromblons dazwischen – jener gefürchteten Flinten, deren trichterförmig erweiterte Mündungen Blei und Eisen ausstreuten. Grelle Blitze zuckten durch die Nacht, rasch verbreitete sich der beißende Geruch des Pulverqualms über der Wasserfläche.

Auch die Seewölfe blieben nicht untätig.

„Feuer!“ befahl Ben Brighton.

Und im selben Augenblick begannen auch auf der Schaluppe die Schußwaffen zu dröhnen. Ben, Ferris, Shane und Blacky hatten zuerst die Tromblons abgefeuert, weil deren fürchterliche Streuwirkung die Gegner am ersten in Deckung zwang. Gerade das war zunächst ihr Hauptanliegen – zumindest so lange, bis das Segel gesetzt war.

Mehrfach versuchte Ben Brighton die vier Männer, die in den Wanten aufgeentert waren, angesichts des unerwartet massiven Angriffs zurückzupfeifen. Aber sie konnten ihn durch das Donnern und Fauchen der Waffen nicht hören. Außerdem dachten sie auch nicht daran, die Köpfe einzuziehen, denn sie waren sich darüber im klaren, daß sehr viel auf dem Spiel stand. Wenn sie sich nicht möglichst rasch von den Piratenschiffen trennten, würde man sie in Stücke schießen. Deshalb brachten sie ihre Arbeit trotz des hohen Risikos, von gehacktem Blei und Eisen getroffen zu werden, zu Ende.

Ben, der mit den restlichen Männern hinter dem Steuerbordschanzkleid in Deckung gegangen war, stellte mit Erleichterung fest, daß die Schaluppe, deren Anker man bereits hochgehievt hatte, langsam abgetrieben wurde. In wenigen Augenblicken würde sie der „Louise“ und der „Coquille“ nur noch das Heck zuwenden und den Piraten damit zwangsläufig weniger Angriffsfläche bieten. Die Männer verzogen sich deshalb eiligst auf das Achterdeck. Von dort aus nahmen sie die Karavelle und das Flaggschiff weiter unter Beschuß.

Als Jack, Paddy und Batuti damit begannen, die nötigen Segelmanöver auszuführen – Dan hatte die Ruderpinne übernommen –, atmete Ben Brighton fast hörbar auf. In erster Linie deshalb, weil keiner von dem waghalsigen Quartett einen Treffer abgekriegt hatte.

Geschickt brachten die vier Männer die Schaluppe vor den rauhen Wind, der jetzt das Tuch füllte. Jedem an Bord fiel ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, als der Einmaster raumschots auf den Ausgang der Bucht zusegelte – begleitet von einem Inferno aus Feuer und Musketendonner.

Aber es sollte noch viel dicker kommen.

Auf der „Louise“ und auf der „Coquille“ hatte man inzwischen die Stückpforten geöffnet und einige der schweren Culverinen ausgerannt. Schon kurze Zeit später rasten die ersten Geschosse fauchend und brüllend durch die mondhelle Nacht und klatschten in unmittelbarer Nähe der Schaluppe ins Wasser. Dabei rissen sie gischtende Fontänen auf.

„Jetzt wollen sie’s wissen“, sagte Ferris Tucker mit Galgenhumor. „Und der Lärm wird das ganze Gesindel, das sich an Land herumtreibt, anlocken. Hoffentlich fällt unseren Leuten was Passendes ein, sonst haben wir in kurzer Zeit die ganze Meute am Hals.“

„Ja, das kann lustig werden – sehr lustig“, meinte Big Old Shane. „Im Moment verholen wir uns zwar, aber wenn Grammonts Galgenvögel erst die Anker gelichtet haben, müssen wir echt die Köpfe einziehen, sonst gibt’s harte Beulen.“

Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, winkte geringschätzig ab, nachdem er sein Tromblon abgefeuert hatte.

„Soll Batuti Eisenkugeln auffangen und Piraten an die Affenärsche donnern, Sir?“ fragte er zu Ben Brighton gewandt.

Dieser fand trotz der brenzligen Situation Zeit für ein kurzes Lächeln.

„Wenn uns gar nichts anderes mehr einfällt, Batuti, kannst du uns in dieser Kunst unterweisen. Zunächst aber schlage ich vor, daß wir die vier Minions, die wir an Bord haben, auf Vordermann bringen. Vielleicht gelingt es uns, den Kerlen ein wenig einzuheizen, bevor wir außer Schußweite sind.“

Kaum hatte Ben ausgesprochen, da schlug eine Kanonenkugel in die Back. Die Schaluppe wurde durchgeschüttelt, als habe eine Gigantenfaust sie gepackt, dann flogen die Fetzen über das Deck. Noch einige Atemzüge später ging ein Splitterregen über den Seewölfen nieder.

„Noch so ein paar eiserne Grüße“, meinte Dan O’Flynn, „und wir können selber ans Ufer schwimmen.“

Nur wenig später wurde mit den Minions geantwortet. Die leichten Geschütze trugen Tod und Verderben zu den Piratenschiffen hinüber, zumindest ließen die Aufschreie, die dem Krachen und Bersten folgten, darauf schließen.

Rasch luden die Seewölfe ihre Waffen nach, dann leckten erneut gierige Feuerzungen über das Schanzkleid der Schaluppe. Der rollende Donner der Geschütze pflanzte sich weit über die nachtschwarze Wasserfläche fort. Manchmal erinnerte er die Seewölfe an die heftigen Tropengewitter, die sie, vorwiegend im Gebiet der Amazonasmündung, weit weg am südamerikanischen Kontinent, kennengelernt hatten.

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