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Loe raamatut: «Verwehte Spuren», lehekülg 34

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Zwanzigstes Kapitel. Um das Leben

Nach einem langen und tiefen Schlafe, dem Schlafe der Erschöpfung, trat Edgar am Morgen ins Freie.

Hell strahlte die Sonne vom Himmel hernieder und beleuchtete die Wälder, welche ringsum die Hügel krönten, die malerisch geordneten Behausungen der Huronen, den sanft hinströmenden Bach, an dessen Ufer sie lagen.

Edgar gewahrte nichts von der Schönheit des Morgens, und flüchtig nur berührte die Umgebung sein Auge.

Er ließ sich, in ernstes Sinnen verloren, auf einem Baumstumpf nieder.

Gleich einem wüsten Traum lagen die jüngsten Ereignisse hinter ihm, der selbst nach dem Erwachen noch sinnverwirrend nachwirkte.

Was hatte er in diesen Tagen erlebt, welche Gemütsbewegungen in einer kurzen Spanne Zeit sein ganzes Sein erschüttert?

Wirr kreuzten sich in ihm Gedanken und Erinnerungen, untermischt mit Sorgen um die Zukunft.

Die Vergangenheit stieg in schreckenvollen Bildern wiederum empor, und in tiefster Seele erbebte er, als er sich den furchtbaren Augenblick zurückrief, wo er die Schwester fand — irrsinnig.

Unter den Aufregungen, Gefahren, Gemütsbewegungen der letzten Zeit, ja des vergangenen Tages, konnte auch die stärkste Manneskraft wanken.

Dort jene Hütte barg die Arme, die ein so rauhes Schicksal in Geistesnacht gestürzt und bis in die ferne Wildnis geschleudert hatte.

Arme, arme Schwester.

Und mit welch rührender Liebe sie das Bild des Mannes bewahrte, dem sie einst ihr Herz geschenkt hatte! Ja, das war eine Liebe, welche alle Leiden dieses Lebens, welche selbst den Tod überdauerte.

O, welcher Ton des Entsetzens entrang sich gestern ihrem Munde, herzerschütternd, als vor den zerstörten Geist das Bild des Schreckens trat, welches ihn vor wenig Jahren so jäh zerrüttet hatte.

Die Feder im Triebwerk ihres Geistes war in jenem grauenvollen Augenblicke zersprungen — die Uhr stand still und gab nur noch die Zeit an, in welcher sie stehen geblieben war. Vergangenheit und Zukunft waren nicht vorhanden für sie.

Wie schön sie noch war! Der Körper hatte unter dem Leiden des Geistes nicht gelitten.

Rührung beschlich ihn daneben, wenn er gedachte, welche aufrichtige Liebe diese grausamen, blutdürstigen Wilden — der zarten Erscheinung aus einer andern Welt entgegengebracht hatten.

Seine Gedanken eilten dann nach der fernen Heimat.

Armer, greiser Vater, soll ich dir so die heißersehnte Tochter zuführen?

Wirst du das Furchtbare ertragen können?

Wenn er sich kurz vergegenwärtigte, in welche Reihe gräßlicher Ereignisse er von dem Augenblick an, wo er das Land der Ottawas betrat, widerstandslos hineingerissen wurde, deren schreckenvollste ihm die letzten Tage brachten, so bebte der tapfere Mann zusammen. Und doch — auch in der höchsten Not war stets die Hilfe nahe gewesen.

Gestern noch sah er mit trotziger Energie dem sichern Ende entgegen, fest entschlossen, Schwester und Neffen nicht den Wilden wieder in die Hände fallen zu lassen, sondern im letzten Augenblick gemeinschaftlich mit ihnen den Tod in den Fluten des Sees zu suchen.

Der so erschütternde Ausbruch des Wahnsinns seiner Schwester hatte die Freude über die wunderbare Errettung gedämpft.

Und wunderbar war sie genug.

War nicht Grund vorhanden, Gott innig dafür zu danken?

Er faltete die Hände und betete still. Seine Seele suchte den Ewigen, der zeitlos über den Steinen thront.

Und nach all den heftigen Stürmen, welche seine Brust durchtobten, kam eine sanfte Ruhe über ihn.

Gottes Stimme ist nicht im Sturm nur vernehmbar, auch im leichten Säuseln des lauen Windes.

Er blickte um sich und sah die reinlichen Blockhäuser und Hütten der Halbwilden, deren Gast er war. Schon erwachte im Dorfe das tägliche Treiben. Frauen und Mädchen erschienen im Freien, schöpften Wasser am Bach und zündeten Feuer an.

Aus der Hütte, in welche seine Schwester gebettet war, trat Frau Sumach, welche man ihr zur Pflegerin gegeben hatte.

Eilends schritt der Graf auf sie zu.

»Meine Schwester, Sumach?«

»Sie ganz wohl — Augen auf.«

»Ich will sie sehen.«

Er trat in die Hütte ein.

Auf dem von Fellen bereiteten Lager saß Luise und schaute ihn mit den großen schönen Augen aufmerksam, wie es schien, an.

Beim Anblick seiner Züge mochte ihr eine Erinnerung aufdämmern — sie sah sich ängstlich um und rief: »Willy! Willy!«

Der Knabe lag am andern Ende der Hütte und schlief.

Edgar weckte ihn.

»Willy! Willy!«

»Hier, Mama!«

Er eilte zu ihr, sie schloß ihn mit zärtlicher Besorgnis in die Arme und blickte ihn an.

»Willy! Mein Willy!«

Dann legte sie die Hand an die Stirne und schien nachzudenken.

»Sind sie fort?« fragte sie dann und sah scheu um sich. »Sind sie fort?«

»Wer, Mama?«

»Die Wilden.«

»Ja, weit fort.«

»O, das furchtbare Geschrei. Sie sind fort, ja, sie sind fort. Wo ist denn —« Ihr Auge suchte umher und blieb auf Edgar haften.

»Luise, meine teure Schwester.«

»Schwester? Schwester? Ja, den kleinen hübschen Bruder — wo war das doch?« Sie sann eifrig nach.

Dann rief sie wieder ängstlich: »Willy!« und schloß von neuem den Knaben an ihre Brust.

»Wo ist denn nur —?« und der Blick wanderte fragend durch die Hütte.

Dann verlor sie sich in Sinnen und sah starr und regungslos vor sich hin. Sie antwortete auf keine Frage, und Trauer im Herzen entfernte sich Edgar.

Draußen stand Heinrich, und sein betrübter Blick begegnete dem des Grafen.

»Ja, Heinrich,« antwortete dieser der stummen Frage, welche in dem Auge des treuen Mannes lag, »es ist sehr traurig, ich fürchte, dieser Geist ist für immer entflohen.«

»Wie entsetzlich für uns alle. Ich wollte mit Freuden unter hundert dieser heulenden Bluthunde stürzen und mich von ihnen in Stücke hacken lassen, wenn ich Gräfin Luise die Gesundheit wiedergeben könnte.«

»Ich weiß es, Heinrich.« Er drückte dem Jäger mann die Hand. »Unsre arme Luise, die holdeste Menschenblüte, welche je unserm Stamm entsprossen war, so wiederzufinden, ja, Heinrich, es ist entsetzlich.«

»Und der junge Herr?«

»O,« sagte fast durch Tränen lächelnd der Graf, »unser junger Halbindianer, ist er nicht ein prächtiger Junge?«

»Ein kluger, mutiger Knabe, Herr. Mich wundert, daß er, so jung unter diese Wilden geraten, sich so viel Deutsch noch bewahrt hat.«

»Er ist wohl wenig von der Seite der Mutter gekommen, in deren Umgang er es gepflegt hat, auch ist Willy aufgeweckt und bewahrt deutliche Erinnerungen an die Vergangenheit.«

»Er wird ein Mann werden, Herr Graf, er hat sich mit staunenswerter Ruhe auf unserm gefährlichen Marsch benommen.«

»Ich hoffe es auch. Er ist reif über seine Jahre und hat unter den roten Leuten wohl eine harte Schule durchgemacht.«

Indem kam Wilhelm aus dem Wigwam und sprang auf Edgar zu.

»Und die Mutter, Willy?«

»Sie sitzt auf ihrem Lager und blickt still vor sich hin. O Onkel, diese verwünschten Saulteux mit ihrem wilden Geheule haben Mama ganz krank gemacht.«

»Und doch sind sie, wie du sagtest, gütig gegen euch gewesen?«

»Das sind sie; sie haben Mama sehr geliebt, und auch gegen mich waren sie gut. Die Häuptlinge lehrten mich den Bogen führen, und ich sollte einst auch ein Häuptling werden.«

»Und wolltest du‘s?«

»O nein. Ich dachte immer an die weißen Leute und an den armen Vater und betete jeden Abend, daß doch jemand kommen möge, der uns wieder in die Ansiedlungen führte. Nun bist du endlich gekommen. Einmal war ein weißer Mann im Dorfe und da mußte ich im Wigwam bleiben. Ich kletterte aber auf die Felswand hinauf und habe ihn gesehen, ich rief ihn auch, aber er hat es nicht gehört, und da habe ich sehr geweint.«

»Und sprachst du oft mit der Mama?«

»Sie sprach immer nur vom Vater, und nähte für ihn, und kochte, und war betrübt, wenn er nicht kam. Dann aber war sie wieder vergnügt und sagte: ›Nun, er kommt morgen.‹ Abends ließ sie mich beten. O, ich habe so oft Tränen vergossen, wenn Mama sich auf gar nichts mehr besinnen konnte, was früher gewesen war, wie wir glücklich am Manistee wohnten, ehe diese roten Hunde kamen.«

»Entsinnst du dich eines Mannes Namens Baring?«

Der Knabe lachte vergnügt: »O, der good old man, der Onkel Baring — o ja, o ja — kennst du ihn?«

Edgar teilte ihm mit, daß er von diesem zuerst Nachrichten von ihm und seiner Mutter empfangen habe.

»O, wie hatten sie Mama lieb. Mister und Mistreß Baring — alle — alle. Du bringst uns doch wieder in die Ansiedlungen, Onkel?«

»Ich nehme euch mit nach Deutschland zum Großvater.«

»Aber der will doch nichts von uns wissen, sagte der arme Papa.«

»O ja, mein Kind, er sehnt sich sehr nach euch, nach der Mama und dir.«

»Gut, Onkel, und dann werde ich ein weißer Krieger, nicht? Kein Indianer,«

»Ja, Willy, du sollst ein Krieger werden in den Reihen unsrer Armee.«

»Bist du ein Farmer oder ein Krieger?«

»Ein Krieger!«

»Gut, dann lehrst du mich fechten nach weißer Männer Art, und dann,« setzte er mit funkelnden Augen hinzu, »sollen die Ottawas Skalpe lassen.«

»Das ist nicht weißer Männer Art, Willy.«

»Nicht? Die Saulteux sagen: Kein Sieg über den Feind sei vollkommen, wenn man nicht seinen Skalp gewänne. Sie nehmen ihn immer.«

»Nun, du wirst bald einsehen, daß indianischer Brauch sich nicht für uns eignet.«

»Ich will ganz tun, wie du sagst, Onkel, damit ich ganz wie du werde.«

Unter diesen Gesprächen schritten sie durch das Dorf.

Unweit desselben saß Athoree auf dem Stamm eines gefallenen Baumes. Edgar ging auf ihn zu und begrüßte ihn.

Die schon früher dem Grafen gegenüber ausgesprochene Vermutung, daß der Indianer im Unfrieden mit seinem Stamm lebte, war gestern zur Gewißheit geworden. Was die Ursache sei, welcher Art das vielleicht vorauszusetzende Vergehen Athorees war, wußte der Graf nicht.

Der Mann, den er am Muskegon als Trinker kennen lernte, hatte sich so treu, tapfer und zuverlässig benommen, daß der Graf ihm mit aufrichtiger Dankbarkeit ergeben war.

Wie aus dem ganzen Verhalten der Huronen hervorging, mußte der Zwiespalt zwischen ihnen und Athoree ein sehr tiefer sein, da selbst dessen aufopfernde Tätigkeit in dem Kampfe mit den Saulteux, welche allein die Huronen vor einer Niederlage bewahrte, ihn nicht beizulegen vermocht hatte.

Dennoch vermochte der Graf nicht zu glauben, daß hier etwas zu Grunde läge, was den Indianer seiner Teilnahme unwürdig mache.

Athoree saß ruhig und ernsthaft da und erwiderte den Gruß.

»Der Wyandothäuptling wird heute vor den Vätern seines Volkes erscheinen?« begann Edgar die Unterredung.

»So geschieht es.«

»Athoree wird sich entsinnen, daß er an Gutherz einen treuen Freund besitzt, und ihn rufen, wenn er ihn braucht.«

Der Indianer schwieg.

»Ist Athoree nicht mehr mein Freund?«

»Er ist dein Freund.«

»Was kann ich für ihn tun?«

»Kann das Bleichgesicht das Totenlied für den befiederten Pfeil der Wyandots singen?«

»Nein, Athoree, das werde ich nicht können, ob ich gleich die Taten, welche du unter meinen Augen vollbracht hast, in treuem und dankbarem Gedächtnis bewahre. Will der tapfere Häuptling dieses Volkes, der noch jüngst in seinen Reihen wie ein Held gekämpft hat, sterben, daß er von seinem Totenliede spricht? Ich denke, er wird noch lange leben, um eine Zierde der Wyandots zu sein.«

Der Indianer richtete den Blick in die Ferne und wandte ihn dann auf den Grafen zurück.

»Athoree war einst der Stolz seines Stammes, er ist es nicht mehr — er ist dem Tomahawk der Häuptlinge verfallen — weil er —. Athoree wußte es, als er mit dir über das Wasser ging, daß der Totenvogel ob seinen Häupten schwebte.«

»Und kann sein Freund Gutherz nichts tun, ihn zu verscheuchen?«

»Nichts. Es ist gut so. Drei Sommer und drei Winter habe ich unter den Blaßgesichtern gelebt und mit Rum die bösen Geister verscheucht, die meine Seele quälten. Dann kamst du und warst freundlich gegen den betrunkenen Indianer, den du zum erstenmal gesehen. Ich sah dich an am hellen Tage und las auf deiner Stirn das Zeichen des guten Geistes. Als du mich batest, mit dir nach Norden zu gehen, ging ich mit dir. Manitou sandte mich dorthin, denn ich fand Sumach, die alte Mutter.

»Dann fragtest du, ob ich dich hierher führen wolle, und mein Herz war wie ein schwankendes Rohr, denn ich fürchtete, hierherzugehen, und wünschte doch, hier an deiner Seite zu sein, denn ich liebte dich. Ich rief zu Manitou, er solle die Wolke von meinem Geiste nehmen, damit mein Auge klar blicke. Manitou schwieg. Sumach befragte die Medizin in der Nacht, und diese sagte, der befiederte Pfeil der Wyandots wird ruhmvoll zu seinen Vätern in die glücklichen Jagdgründe gehen. Ich ging zu dem Lande meiner Väter, ob auch des Totenvogels Flügelschlag über mir rauschte — ich bin da. Athoree wird sterben — und es ist gut.«

Der Graf war von seinem ernsten, gehaltenen Benehmen, von dieser Ergebung in ein, wie es schien, unvermeidliches Schicksal, bewegt, denn er fühlte aufrichtige Teilnahme für diesen roten, halbwilden Mann, der so tapfer seine Gefahren geteilt, der ihm solch große Dienste geleistet hatte.

Einen Augenblick trat selbst das Bild der Schwester in den Hintergrund.

»Und will Athoree einem Freunde nicht mitteilen, einem Freunde, dem er hierher gefolgt ist, welche Gefahren ihn bedrohen? Mein Ohr und mein Herz sind offen, um dich zu hören, und ich bin bereit, an deiner Seite zu stehen, wie du an der meinigen gestanden hast, als auch ob meinem Haupte der Todesbote schwebte.«

»Athoree kann nicht reden, Gutherz wird es hören, und dann vielleicht nicht mehr der Freund des roten Mannes sein.«

»Magst du getan haben, was du willst, ich werde dein Freund bleiben, und kann ich dir helfen, so rechne fest auf mich.«

Der Indianer reichte ihm mit dem Ausdrucke der Dankbarkeit die Hand.

»Jetzt gehen, Gutherz, nicht viel Zeit mehr, mit Sumach reden.«

In der Tat nahte diese und setzte sich neben ihren Sohn.

Der Graf, seinen Neffen an der Hand, welcher stumm und aufmerksam der Unterredung gelauscht hatte, entfernte sich, die beiden allein lassend.

»Warum will der Mann sterben?« fragte der Knabe, der den Inhalt der englisch geführten Unterredung im wesentlichen begriffen hatte. »Ich weiß es nicht, Willy, es muß ein dunkler Punkt in seiner Vergangenheit vorhanden sein, welcher ihn so ernstlich mit seinen Stammesgenossen entzweit, daß er den Tod von ihrer Hand zu fürchten scheint. Ich bedaure das sehr, denn Athoree hat sich als unser Freund erwiesen.«

»So wollen wir ihm helfen, Onkel.«

»Ich möchte es gern, wenn ich nur erst wüßte, auf welche Weise.«

Hayesta, der erste Häuptling dieses Teiles der Huronen, kam heran und begrüßte den Grafen.

»Ich hoffe, unser Gast fühlt sich wohl unter den Huronen. Er ist als Freund gern gesehen unter meinem Volke.«

»Ich bin dir dankbar, daß ich Zuflucht bei dir gefunden habe, Häuptling, und so wohl ich mich auch unter euch fühlen mag, so sehne ich doch den Augenblick herbei, wo der Zustand meiner Schwester erlaubt, den Weg zu den Wigwams meines Volkes anzutreten.«

»Was die Wyandots dir bieten können, Häuptling der Blaßgesichter, ist dein, bleibe bei uns, solange du magst, du bist willkommen, und willst du den Pfad zu den Leuten deiner Farbe nehmen, werden wir dich begleiten.«

»Gut, ich nehme es an.«

Edgar hatte nicht vergessen, daß ihn Hayesta schroff abgewiesen hatte, als er gestern nach Athorees Verhältnis zu seinem Stamme fragte, dennoch hielt er es im Interesse seines Führers für geboten, noch einmal darauf zurückzukommen.

»Entsinnt sich der Häuptling der Huronen, daß die weißen Männer es waren, welche auf die Bitte des befiederten Pfeils Feuer auf die Saulteux gaben.«

»Die Huronen werden es nie vergessen.«

»Wir hörten von dem Häuptling in Fort Mulder, daß die Huronen gerecht seien, und der große Vater in Washington mit freundlichem Auge auf sie blicke.«

Hayesta neigte das Haupt.

»Ich werde von hier nach dem Fort gehen und dann den Vater der Langmesser aufsuchen, der mich lieb hat, und gern will ich ihnen erzählen, daß die Huronen gerecht sind und daß nicht sie es waren, sondern ihre Feinde, die Saulteux, welche die Streitaxt ausgruben.«

»Das Blaßgesicht sagt dann die Wahrheit.«

»Wenn die Huronen gerecht und gütig sind, so werden sie auch Wohlwollen haben für ihren Bruder, den befiederten Pfeil, der mein Freund ist und mit mir unter dem Schutze des großen Vaters steht.«

Das Gesicht des Huronen, welches bislang eine höfliche Freundlichkeit zeigte, wurde sehr ernst, und mit Würde sagte er: »Der erste Häuptling der Langmesser, der große Vater in Washington, ist sehr groß und sehr mächtig. Er hat viele junge Männer, welche die Büchse tragen, zahlreich wie die Bäume des Waldes, er hat Pulver, Waffen und Decken, Korn und Vieh genug, um alle roten Männer reich zu machen, er ist sehr mächtig. Aber nicht mächtig genug, um zu verhindern, daß die Wyandots unter sich Gerechtigkeit üben. Der Freund des befiederten Pfeils wird den Spruch der Häuptlinge vernehmen, und Hayesta wird diesen ausführen. Wenn die Sonne hoch steht, wird Gericht gehalten werden, der Häuptling der Blaßgesichter ist mit seinen Freunden willkommen im Kreise der Hörer, er wird erfahren, daß die Huronen gerecht sind.«

Er grüßte durch eine Handbewegung und ging davon.

»Was kann Athoree verbrochen haben?« dachte der Graf, »sollte die Vermutung des Konstabels zutreffen, daß ein Mord sein Gewissen belaste, der jetzt, wo er sich in der Gewalt seiner Stammesgenossen befand, gesühnt werden sollte?«

Was es auch sein mochte, er fühlte sich verpflichtet, Athoree mit allen Kräften beizustehen, der ihm zuliebe sich in diese Gefahr begeben hatte.

In vergnüglicher Laune wandelte Michael O‘Donnel einher und schaute sich um im Dorfe der Huronen.

Unter den Ottawas war ihm nicht behaglich zu Mute gewesen, denn die Befürchtung, für seinen Heldenkampf mit Peschewa die Rache der Wilden zu erfahren, hatte ihn keinen Augenblick verlassen.

Seine tröstliche Zuversicht, daß nach allen seither glücklich überwundenen Gefahren ein gütiges Geschick sie auch aus der Höhle, in welche die Furcht vor den Saulteux, sie getrieben hatte, befreien werde, hatte ihn nicht getäuscht, und er sah nun allem Kommenden mit fröhlicher Gelassenheit entgegen.

Sollten ihnen noch mehr wunderbare Abenteuer in den Wäldern aufstoßen, an der Seite »Seiner Gnaden« wurden sie sicher sämtlich zu glücklichem Ende geführt.

»Nun, mein wackerer Bursche aus Leitrim,« redete ihn Edgar an, »wenn ich nach deiner Miene urteilen darf, so erfreust du dich des stillen Hafens, den wir nach heftigen Stürmen erreicht haben?«

»Ja, ich bin ganz vergnügt, Euer Gnaden, daß so alles glücklich hinter uns liegt, und der Zweck unsrer Fahrt erreicht ist. Sollten uns, ehe wir aus diesen wilden Gegenden heraus sind, die roten Menschen noch zu schaffen machen, so wird Michael O‘Donnel immer bei Euer Gnaden sein.«

»Ich glaube nicht, Michael, daß wir noch einmal mit den Rothäuten in feindliche Berührung kommen werden, der kriegerische Teil unsrer Abenteuer dürfte abgeschlossen sein, die Huronen hier sind unsre Freunde und werden uns sicher zum Fort geleiten.«

»Ich bin jetzt so recht darin. Euer Gnaden, und möchte gern, ehe mir wieder unter anständige Leute kommen, meinen Shillalah noch einmal spielen lassen, daß man hier noch später von Michael O‘Donnel erzählen kann. Wenn Euer Gnaden befehlen, will ich es zu jeder Zeit mit sechsen aufnehmen, so wahr ich meiner Mutter Sohn bin.«

»Einstweilen, Michael,« entgegnete er dem rauflustigen Sohne Erins freundlich, »wollen wir den Kampfstock ruhen lassen, wir haben genügend der Kriegstaten vollbracht, und unsre Odyssee naht sich dem Ende.«

»Wie Euer Gnaden meinen, ich bin vergnügt, wenn Euer Gnaden mit mir zufrieden sind und sagen: der Michael O‘Donnel war ein wackerer und treuer Bursche und hat mich nicht verlassen, als die roten Spitzbuben ihn an den Marterpfahl bringen wollten.«

»Ja, Michael, du bist ein wackerer treuer Bursche und hast in mir einen Freund, solange ich lebe.«

»Das freut meiner Mutter Sohn, Euer Gnaden.« Michael war ganz gerührt von dem warmherzigen Lobspruch des Grafen. »Und der Michael geht auch für Euer Gnaden durchs Feuer, denn Euer Gnaden sind ein richtiger Gentleman.« Er fuhr dann, sich den buschigen Kopf kratzend, fort: »Da ist der Athoree hier, der ist auch ein ganz guter Bursche, wenn er auch nur eine Rothaut ist, und wie ich höre, wollen ihm die Leute hier etwas am Zeuge flicken für eine alte Sache von früher her. Was das nun ist, geht mich gar nichts an, aber der Michael ist nicht der Mann, einen Freund in der Not zu verlassen, mag er auch einmal ein fremdes Pferd für sein eigenes angesehen oder irgend einem den Schädel eingeschlagen haben. Den Athoree haue ich heraus und wenn ich den sämtlichen roten Burschen den Schädel weich klopfen müßte.«

»Sei ruhig, Michael, was wir für ihn tun können, werden wir tun, aber wir dürfen uns nicht in die Rechtspflege der Leute hier mischen, und du siehst ja auch, daß unser Freund mit dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren einverstanden ist.«

»Nun, wenn Euer Gnaden die Sache in die Hand nehmen, so ist‘s schon gut, dann wird alles in Ordnung kommen.«

»Hoffen wir auf einen guten Ausgang.«

Edgar ging mit Wilhelm zu dem Wigwam seiner Schwester.

Sie saß still und sinnend auf ihrem Lager, ohne von den Eintretenden Notiz zu nehmen.

Der Knabe schmiegte sich zärtlich an sie.

Sie begrüßte ihn mit freundlichem Lächeln, blickte den Grafen mit forschender Aufmerksamkeit an und leise sagend: »Wenn ich nur — wo ist — wo ist?« versank sie wieder in Nachsinnen.

Es war klar, nach dem durch das Angriffsgeheul der Wilden während ihres Aufenthaltes in der Höhle hervorgerufenen schrecklichen Ausbruch war eine Veränderung mit Luisen vorgegangen. Die gleichmäßige stille Ruhe ihres früheren Zustandes war gewichen und ihr Geist kämpfte augenscheinlich mühsam, Erinnerungen zurückzurufen, welche ihm erstorben waren.

Das Kriegsgeschrei der Saulteux hatte ihr den grauenvollen Augenblick vergegenwärtigt, wo sie es zum erstenmal vor ihren Ohren gellen hörte, unter den entsetzlichen Umständen, welche mir kennen.

Die seelischen Kräfte waren, wie es dem Grafen schien, nach langer Erstarrung wieder tätig, ob zum Heil oder Unheil, wer konnte es sagen?

Sank dieser Geist in noch tiefere Nacht zurück?

Diese Gedanken zogen durch des Grafen Hirn, als er, mit mitleidsvollem Blick sie anschauend, vor ihr saß.

Er redete sie nicht an, sondern überließ sie ihrem Sinnen und entfernte sich still.

Als er hinaustrat, bemerkte er ringsum ein reges Treiben.

Gruppenweise standen und saßen Indianer beisammen und unterhielten sich in der ernsten gehaltenen Weise, die dieser Rasse eigentümlich ist, wenn nicht Leidenschaft sie bewegt.

Da ihm die große Anzahl von Männern auffiel, welche das Dorf belebten, erfuhr er auf seine Frage, daß Eilboten noch in der Nacht von allen weiter abliegenden Niederlassungen der Huronen die männlichen Bewohner herbeigerufen hatten.

In der Mitte des Dorfes lag ein freier, mit Gras bewachsener Platz, den eine alte gewaltige Eiche beschattete.

Vor dieser waren Steinsitze angebracht, welche durch Holzschemel vermehrt waren. Ein Feuer brannte in der Nähe.

Während der Graf sich noch umblickte, trat ein junger Indianer vor die Eiche und entlockte seinem Muschelhorn drei langgezogene, dumpfe Töne. Auf dieses Zeichen begaben sich alle anwesenden Männer nach der Eiche und bildeten dort einen größeren Kreis.

Frauen, selbst Kinder liefen herbei und standen in weiterer Entfernung umher.

Heinrich, Michael und Johnson gesellten sich zu den Männern.

Auch Wilhelm kam aus dem Wigwam, in welchem seine Mutter ruhte und schloß sich dem Onkel an.

Während alles in schweigender Erwartung harrte, schritten von der Ratshütte her, einem rohgefügten Balkenhause, welches sich unweit befand, zehn ältere Männer, an deren Spitze Hayesta ging, und nahmen unter der Eiche Platz.

Dem Grafen nahte ein jüngerer Indianer und sagte in gutem Englisch: »Die Häuptlinge lassen die Blaßgesichter laden, der Versammlung beizuwohnen, ich werde sie zu ihren Plätzen führen und ihnen in der Zunge der Engländer sagen, was die Huronen reden, damit er es dem großen Vater in Washington mitteilen kann.«

Der Mann hatte sein Englisch im Fort und von den Missionaren erworben.

Er führte die Weißen zur rechten Seite der Richter, wo ihnen Sitzplätze bereitet waren.

Die anwesenden Indianer kauerten auf den Boden nieder.

Auf einen Wink Hayestas blies der Indianer unter der Eiche noch einmal sein Horn.

Hierauf erschien am Ende des Dorfes Athoree, der mit raschen Schritten auf die Versammlung zuging.

Sein Haupt schmückten, wie beim Kampfe, die Falkenfedern, und um seine Hüften schlang sich ein seltsam verzierter Gürtel. Er war ganz waffenlos, wie alle Männer in der Versammlung, nur die alten unter der Eiche trugen die kleinen Streitäxte und ihre Messer im Gürtel, eine Büchse war nirgends zu schauen.

Mit stolz erhobenem Haupte schritt Athoree auf die Häuptlinge zu, ohne sonst irgend jemand zu beachten, und verneigte sich.

»Der befiederte Pfeil, der Sohn Oskanotos, der Enkel Meschepesches, steht vor den Vätern seines Volkes, er erwartet, was sie ihm sagen werden.«

Aller Augen waren auf ihn gerichtet.

Langsam sagte nach gemessenem Schweigen Hayesta: »Wir haben den befiederten Pfeil lange nicht gesehen, er war von seinem Volke gegangen, wir freuen uns, daß sein Fuß ihn zurückgeführt hat zu den Hütten der Wyandots, da er Antwort geben kann auf die Fragen der Häuptlinge. Ich weiß, der Enkel Meschepesches hat nur eine Zunge, es wird Wahrheit sein, was er spricht.«

Athoree neigte zustimmend das Haupt.

Hierauf erhob sich Hayesta und sprach unter dem tiefen Schweigen der ganzen Versammlung: »Männer der Wyandots, ihr alle wißt, vor mehr als drei Sommern wohnte unter uns Sumach, die Witwe Oskanotos, des Hirsches, der einst Häuptling unsres Volkes war, mit ihren beiden Söhnen, Othera, der dunklen Wolke, und Athoree, dem befiederten Pfeil.

»Eines Tages ward Othera erschlagen von der Streitaxt gefunden, in dem Wigwam Sumachs, und Athoree, der jüngere Bruder, hatte eilenden Fußes das Dorf der Wyandots verlassen.

»Da glaubten die Männer der Wyandots, daß Athoree den Bruder erschlagen habe, und sandten ihre jungen Leute aus, um ihn vor das Gericht der Alten zu laden; doch der befiederte Pfeil war nicht zu finden in den Wäldern, nicht in den Ansiedlungen, nicht im Fort, der befiederte Pfeil war verschwunden. Die Häuptlinge befragten Sumach, wer Othera erschlagen habe, doch sie blieb stumm und bald verließ auch sie die Dörfer ihres Volkes.

»Drei Sommer sind verflossen seit dem Tage, wo Othera erschlagen in seinem Wigwam gefunden wurde, drei Sommer schrie sein vergossenes Blut um Rache, und niemand konnte den Mörder bezeichnen, denn Athoree war verschwunden und seine Mutter stumm.

»Aber Manitou ist gerecht.

»Er sandte den befiederten Pfeil, er sandte Sumach zurück zu den Wyandots, die sie seit drei Sommern suchten, auf daß sie Antwort geben den Fragen der Häuptlinge und klar werde, wer die Streitaxt erhob gegen Othera, die dunkle Wolke.

»In unsrer Mitte steht der befiederte Pfeil und im Namen des Wyandotvolkes frage ich ihn, im Angesicht des großen Geistes: Wer erschlug Othera, die dunkle Wolke?«

Es war so still, daß man kaum einen Atemzug hörte.

Athoree begann deutlich vernehmbar, doch in einem Tone, der tiefe innere Bewegung verriet: »Häuptlinge der Wyandots, Männer meines Volkes, Athoree hat lügen nie gelernt. Othera, die dunkle Wolke, meinen Bruder, erschlug diese Hand,« und er streckte die Rechte empor.

Eine Bewegung, ein leises Flüstern ging durch die Gruppe, doch alsbald war die ganze Aufmerksamkeit der Hörer wieder auf Athoree und die Richter gewandt.

Graf Edgar, als ihm dieses durch den ihm zugewiesenen Dolmetscher übertragen war, erschrak: Das also war‘s? Ein Brudermord?

»Der befiederte Pfeil sagt es,« entgegnete dem Geständnisse der alte Häuptling, »es ist Wahrheit, was er spricht.«

»Darf der befiederte Pfeil reden?«

»Er rede.«

»Häuptlinge und Männer der Wyandots, öffnet eure Ohren,« begann Athoree mit tiefer Stimme. »Sumach, die Witwe Oskanotos, hatte zwei Söhne, die dunkle Wolke und den befiederten Pfeil, welche sie beide mit gleicher Liebe liebte, ungleich wurde die Liebe von den Söhnen erwidert. Sumach mag sagen, wer sie mehr liebte, Othera oder Athoree. Beide hatten die Pflicht, das Wigwam mit Fleisch zu versorgen, damit die Mutter nicht Hunger leide im Winter, wenn der Schnee die Wälder füllte und der Nordsturm raste. Sumach mag sagen, wer von den Söhnen seine Pflicht erfüllte, wer nicht.

»Oft war Streit zwischen Othera und dem befiederten Pfeil und fast immer war die Sorge für die Mutter die Veranlassung. Die Herzen der Brüder hielten nicht denselben Schlag.

»Da kam eines Tages Athoree, von langer Jagd zurückkehrend, erschöpft und müde in das Wigwam und fand die Mutter hungernd und frierend am Boden. Othera hatte sie während Athorees Abwesenheit verschmachten lassen, und niemand bekümmerte sich um die alte Frau.

»Da wurde Athoree zornig und gab dem Bruder harte Worte.

»Als dieser sie erwiderte und auch Sumach mit wilder Rede beschuldigte, sie sei durch giftige Worte Veranlassung meines Grimmes, und sie dann am grauen Haar faßte und emporriß, so daß Sumach schrie vor Schmerz, da faßte meine Hand nach der Streitaxt, sie entflog meiner Faust und begrub sich im Hirne des Bruders.

»Da erschrak meine Seele und ich entfloh in die Wälder und weiter zu den Leuten weißer Farbe.

»Manitou, du sagst es, Hayesta, hat mich zurückgeführt zu den Feuern meines Volkes, sprich dein Urteil über Athoree, er ist bereit, es zu empfangen.«

Er schwieg und die Häuptlinge flüsterten untereinander. Dann verkündete der Vorsitzende: »Wir wollen Sumach vernehmen, sie soll erscheinen.«

Die alte Frau, welche unweit wartete, wurde in den Kreis geführt.

»Du hast gehört, Sumach, was dein Sohn hier gesagt hat, sprich, hat er mit gerader Zunge geredet?«

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30 august 2016
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