Loe raamatut: «Final Shutdown - Teil 1: Mysteriöse Todesfälle», lehekülg 2

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Ende eines netten Abends

Es war schon recht kühl an diesem Abend, kühler als üblicherweise zu dieser Jahreszeit. Frank Becker ging zurück zu seiner Wohnung. Besser traf der Begriff ›torkeln‹ die Art seiner Fortbewegung.

Er hatte einen netten Abend verbracht. Netter, als sämtliche Abende der vergangenen zwei Jahre, wenn er es richtig nahm. Im ersten Jahr, nachdem Kristin ihn verlassen hatte, zog er noch mit der Clique durch die Kneipen. Dann fiel er ohne Vorwarnung in dieses tiefe Loch. Er verspürte einfach keine Lust mehr, in Kneipen herumzuhängen und Frauen anzubaggern, die ja doch kein Interesse an ihm hatten oder an denen er das Interesse verlor, sobald sie den Mund aufmachten. Seine Freunde von damals gab es auch nicht mehr. Das heißt, die Jungs gab es schon noch, nur dass er jetzt nicht mehr zu ihnen gehörte.

Vielleicht hätte er damals nicht so laut seine Meinung sagen sollen. Was hatte Kristin noch so schön gesagt, als er sie das letzte Mal getroffen hatte? Er müsse aufpassen, mit seiner miesepetrigen, besserwisserischen Art, nicht auch noch seinen letzten Freund zu verlieren. Das war ein Jahr her, bei ihrem letzten Scheidungstermin. »Sie hat damit nicht ganz richtig gelegen«, dachte Frank zynisch. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon keine Freunde mehr.

Jedenfalls war er zwei Jahre lang nicht mehr feiern oder wenigstens ein Bier trinken gegangen. Auch an diesem Abend hatte er nicht vorgehabt, unter Leute zu gehen. Aber dann kam er an der Gaststätte vorbei, die auf seinem Heimweg von der Arbeit lag und in die er früher häufig eingekehrt war. Diese Kneipe hatte ihn in den letzten zwei Jahren nicht mehr gereizt, genauso wenig wie irgendeine andere.

An diesem Abend stand Tom vor dieser Gastwirtschaft. Tom gehörte früher auch zu der Clique. Allerdings hatte Frank ihn noch nie sonderlich gemocht. Der Kerl war ein Spinner, dazu noch einer von der üblen Sorte, rücksichtslos, und verlassen konnte man sich auf ihn auch nicht.

Normalerweise ging Frank dem Kerl, wenn es sich machen ließ aus dem Weg. An diesem Nachmittag ließ es sich nicht machen. Er stand ihm direkt im Weg.

»Äh Alter, was machst du denn hier?«, begrüßte er Frank, obwohl der Kerl ganz genau wusste, dass er von der Arbeit kam.

Er wollte schon etwas Knallhartes erwidern, aber bevor er nur zu Wort kam, hatte Tom ihn schon auf ein Bier eingeladen. Das war allerdings schon komisch, vielleicht ein Omen, früher hatte er sich immer nur durchgeschnorrt. Normalerweise wäre Frank trotzdem nicht mitgegangen. Eigentlich hatte er in den letzten Jahren immer eine Ausrede erfunden, wenn sich jemand mit ihm treffen wollte. Er verspürte einfach keine Lust, mit irgendwem über irgendwelche Oberflächlichkeiten zu reden. Darauf lief es doch immer hinaus. So gut kannte er mittlerweile niemanden mehr, dass er sich mit ihm über tiefsinnigere Dinge unterhalten konnte.

Aber an diesem Abend war es anders. Vielleicht lag es an dieser Sache. Endlich standen sie vor dem großen Erfolg und dann das! Ausgerechnet jetzt musste Thomas diesen Unfall bauen. Er hatte ja schon immer gewusst, dass dieser Spießer sich irgendwann mit seinem bescheuerten Sportwagen totfahren würde. Aber musste das ausgerechnet jetzt sein? Die ganzen letzten Jahre hätte er den Idioten am liebsten in die Wüste geschickt und jetzt, wo er tot war, fehlte er ihm. Mit wem sollte er jetzt noch über die Sache reden?

Vielleicht spürte er tatsächlich Trauer, vielleicht lag es aber auch an dem Mädchen, das Tom im Schlepptau hatte. Sie lächelte ihn so nett an und bettelte fast darum, dass er mitkäme. Jedenfalls hielt er es plötzlich für eine gute Idee, ein Bier zu trinken.

Gut, die Bezeichnung Mädchen traf vielleicht nicht ganz zu. Bei näherer Betrachtung handelte es sich dann doch eher um eine Frau in seinem Alter. Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen, wie bei ihm selbst, aber sie sah trotzdem ungemein attraktiv aus. Auch egal, jedenfalls lächelte sie ihn dankbar an, als er mitkam. Es war ihm lange nicht mehr passiert, dass eine Frau ihn so anlächelte. Ihm wurde ganz warm in der Brust.

Der Gastraum der Kneipe war mit riesigen Fenstern in der Größe von Schaufensterscheiben ausgestattet. Als er dort noch als Stammgast ein- und ausging, hatte ihn das nicht gestört. Später fand er es schrecklich, dort zu sitzen und von jedem draußen begafft zu werden. Allerdings stieß es ihn genauso ab, in einer dieser geschlossenen Höhlen zu sitzen.

Egal, jedenfalls setzten sie sich in eines dieser Schaufenster. Frank wusste nicht, was er sagen sollte, dafür quatschte Tom umso mehr, irgendeinen Schwachsinn von alten Zeiten und so. Tom ging ihm dermaßen auf die Nerven, dass er froh war, als der Kerl endlich ging. Die Frau, von der er angenommen hatte, dass sie zu Tom gehörte, blieb sitzen. Er wollte schnell austrinken, aber da brachte der Wirt schon zwei neue Biere. Die hatte Tom bestellt und, man höre und staune, sogar bezahlt.

So saßen diese Frau und er sich gegenüber, beide mit einem vollen Glas Bier vor sich. Sie lächelte ihn noch immer warm an. Er fragte sich, was er mit ihr reden solle. Seit Kristin war er schließlich mit keiner Frau mehr zusammen gewesen. Und seit zwei Jahren redete er im Prinzip nur noch mit seinen Arbeitskollegen während der Arbeitszeit. Aber auch denen ging er aus dem Weg, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Er war verlegen und wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Aber dann regelte sich alles von allein. Sie gehörte offensichtlich nicht gerade zu der schüchternen Sorte und hatte drauf los erzählt, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie hieß übrigens Jasmin, wie er wenig später erfahren sollte.

Mann, Mann, Mann, das war eine Frau! Frank musste sich kurz an einem Laternenpfahl festhalten. Der Fußgängerweg begann doch ganz beängstigend unter seinen Füßen zu schwanken. Er konnte wirklich nichts mehr vertragen. Die letzten zwei Jahre hatte er so gut wie keinen Alkohol mehr getrunken. Dass er allerdings so aus der Übung war, erstaunte ihn doch.

Jedenfalls beruhigte es, dass eine Frau wie Jasmin Interesse an ihm zeigte. Er musste zugeben, er war in den letzten drei Jahren ein wenig aus den Fugen geraten. Das hatte auch Kristin gesagt, damals vor einem Jahr, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er könnte sicher ein paar Kilo abspecken. Der nicht gerade berauschende Kantinenfraß in der Woche und das Fast Food am Wochenende trugen nicht gerade zu einem besonders ansprechenden Körper bei. Durch besonderen sportlichen Ehrgeiz hatte er sich ja noch nie hervorgetan, aber wenigstens ein bisschen Fahrradfahren oder Spazierengehen hätte er sich in den vergangenen drei Jahren gönnen sollen. Auch konnten seine Haare die eine oder andere zusätzliche Wäsche vertragen. Das wäre zumindest heute Abend von Vorteil gewesen. Vielleicht sollte er überhaupt mal zum Friseur gehen, mal etwas ganz Neues ausprobieren. Wer lief heute noch mit so einer Matte herum?

Frank stieß sich von dem Laternenpfahl ab und nahm schwankend seinen Weg wieder auf.

Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass Jasmin etwas an ihm gefunden hatte. Sie musste seinen inneren Kern auch durch die etwas derangierte Hülle gespürt haben. Sie hatten sich jedenfalls prächtig unterhalten. Sie war eine Frau, die zuhören konnte. So etwas gab es nicht oft. Schon gar nicht, wenn er von seiner Arbeit erzählte. Aber Jasmin hatte ihm zugehört. Sie stellte sogar interessiert Fragen. Natürlich verstand sie vom Fach nichts, musste ja auch nicht sein. Sie stellte so herrlich naive Fragen. Aber sie wollte wirklich wissen, was er beruflich machte.

Es hatte lange niemanden mehr gegeben, der ihm zuhörte, wenn er über die Dinge sprach, die ihn wirklich beschäftigten. Gut, das lag sicher auch daran, dass er sich nur noch für seine Arbeit interessierte, sonst passierte in seinem Leben ja nicht viel. Jasmin hörte ihm zu, sie fragte nach und er erzählte ihr alles. Natürlich trug er etwas dick auf, machte seinen Job spannender, als er wirklich war. Ein klein wenig musste man die Sache natürlich schon interessant machen. Die Realität sah schließlich trübe genug aus. Das fanden zumindest die meisten Leute, denen er bis dahin von seiner Tätigkeit erzählt hatte.

Er sah das natürlich anders. Es war einfach spannend jemand anderem auf die Schliche zu kommen. Früher gehörte er selbst einmal zu denen, die unbedingt überall hinein wollten. Er hatte mehr als einen Rechner geknackt. Schon damals hatte es nur zwei Sorten von Menschen gegeben: Die einen, die es spannend fanden in einen fremden Rechner einzudringen, und die anderen, die es todlangweilig fanden, sich stundenlang mit den meist gescheiterten Versuchen zu beschäftigen. Die Letzteren konnten einfach nicht verstehen, wie es sich anfühlte, wenn man danach fieberte, endlich die Lösung zu finden, den Schlüssel, mit dem man in verbotene Zonen vordrang.

Jetzt stand er auf der anderen Seite. Er gehörte zum Team für IT-Sicherheit. Er versuchte diejenigen zu erwischen, die versuchten, in ›seine‹ Systeme einzudringen. ›Seine Systeme‹ waren eigentlich die Rechnersysteme der Bundesverwaltung. In den letzten Jahren hatte er sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. Meistens konnte man einen Angriff abfangen, indem man neue informationstechnische Sicherheitsbarrieren aufbaute, die Firewalls neu konfigurierte oder Ähnliches. Er hatte sich aber auch schon ein Mal direkt auf die Jagd begeben und einen Hacker erwischt. Natürlich lieferte er nur die Zuarbeit, die Daten. Den Rest hatte dann das BKA übernommen.

Aber in der Vergangenheit hatte es sich nur um Peanuts gehandelt. Diesmal ging es um ein wirklich großes Ding. Durch reinen Zufall war er der Sache auf die Spur gekommen. Wer hätte auch gedacht, dass ausgerechnet aus dieser Richtung Gefahr drohte. Er deutete Jasmin die Geschichte natürlich nur an. Wirklich erzählt hatte er nichts. Dafür kannten sie sich dann doch noch nicht gut genug.

Frank fummelte mit seinem Schlüssel am Schloss der Eingangstür herum. Verdammt! Hätte er nicht ein bisschen weniger trinken können? Dabei war es gar nicht so viel gewesen, soweit er sich erinnerte. Gut diese zwei Schnäpse zum Schluss hätten es wirklich nicht mehr sein brauchen. Aber nachdem Jasmin eine Runde ausgegeben hatte, musste er sich ja schließlich revanchieren.

Endlich bekam er den Schlüssel ins Schloss und öffnete sie. Er schlüpfte hindurch. Die Haustür fiel krachend zu. Oh je, hoffentlich gab das keinen Ärger mit den Nachbarn. Der Schließmechanismus zog viel zu stark. Die Hausverwaltung hatte alle Bewohner des Hauses angehalten, die Eingangstür nachts leise zu schließen. So etwas war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. Er hatte wirklich zu viel intus. Gut, dass Jasmin nicht hatte mitkommen wollen, er fühlte sich wirklich nicht in der Verfassung für eine erste Nacht. Jasmin musste ganz gut was wegstecken können. Sie hatte noch ganz nüchtern gewirkt, obwohl sie das Gleiche getrunken hatte wie er. Wirklich eine Teufelsfrau!

»Bis zum nächsten Mal. Du weißt ja, wo du mich findest«, hatte sie zum Abschied gesagt. Damit konnte nur die Kneipe gemeint sein. Wo sie wohnte, wusste er nicht. Wenn er es recht bedachte, hatte sie über sich fast nichts erzählt. Dafür hatte sie ihn ganz schön ausgefragt. Egal, das würde ihm nicht wieder passieren. Beim nächsten Mal würde alles anders werden. Er musste sich von seinem egozentrischen Verhalten lösen. Das hatte auch schon Kristin gesagt. Beim nächsten Treffen würde er sie ausfragen, einfach an ihrer Person Interesse zeigen.

Aber wie sollte er gerade jetzt diesen Vorsatz umsetzen? Diese Sache besaß einfach ein zu großes Ausmaß, sie nahm seinen ganzen Kopf ein. Und er hatte noch Größeres damit vor. Im Grunde war es sogar gut, dass er auf Thomas keine Rücksicht mehr nehmen brauchte. Der Spießer hatte doch nur an seine Karriere im Amt gedacht. Der hatte doch gar nicht kapiert, dass es sich dabei nur um Peanuts handelte. Und selbst wenn er es kapiert hätte, wäre der zu spießig gewesen, zuzugreifen. Er hätte sich sogar noch mit Ehrenhaftigkeit und Unbestechlichkeit herausgeredet. Thomas, der Gutmensch, wirklich zum Kotzen! In Wirklichkeit hätte der sich nie getraut, mal wirklich etwas zu riskieren.

Da war er selbst ganz anders. Er wusste, dass man aus dieser Sache ganz andere Dinge herausholen konnte. Er würde bald nicht mehr in diesem Loch von einer Wohnung hausen müssen. Die Schulden, die Kristin ihm während seiner Ehe eingebrockt hatte und die er seitdem mitschleppte, würden in ein paar Monaten der Vergangenheit angehören. Dann würde er über solche Beträge nur noch schmunzeln.

Er stand vor seiner Wohnungstür. Wieder fummelte er am Schloss herum. Diese blöden Sicherheitsschlösser, warum mussten diese Schlüssellöcher auch so klein sein? Warum hatte man nicht die schönen, großen, altmodischen Schlüssel für die Haustüren behalten können?

Endlich nahm er auch diese Hürde. Die Eingangstür führte in einen kleinen Flur. Er betätigte den Lichtschalter, aber es blieb dunkel. Schon wieder die Birne kaputt! Das hatte er morgens gar nicht bemerkt. Vielleicht war es aber auch besser, dass er sich im Dunkeln nur als Schatten im Spiegel sah. So blieb ihm das schlimmste Elend erspart. Das musste wirklich alles besser werden. Er würde sich ab morgen um seine Wohnung kümmern, neue Birnen in die Lampen schrauben, aufräumen, abwaschen. Ja vor allem putzen und abwaschen. Irgendwie roch es merkwürdig in seiner Wohnung. Auch das war ihm am Morgen noch nicht aufgefallen. Erstaunlich, was ein Gespräch mit einer Frau, einer sehr attraktiven Frau, ausmachen konnte. Und dieses Lächeln erst!

Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Auch hier brannte kein Licht. War die Sicherung durchgebrannt? Wirklich gut, dass Jasmin nicht mitgekommen war. Was hätte sie zu diesem Dreckloch gesagt. Morgen würde alles anders werden. Er würde die Wohnung in Ordnung bringen und sich selbst. Wenn er sie wiedertraf, wäre alles vorbereitet. Auch sein Äußeres würde hergerichtet sein, soweit sich das in ein oder zwei Tagen machen ließ, hieß das.

Er torkelte durchs Wohnzimmer zur Küche. Die Wohnung besaß keinen idealen Schnitt, man kam vom Flur ins Wohnzimmer. Von dort gingen Küche und Schlafzimmer ab. Das Bad befand sich sogar noch hinter der Küche. Ja, es wurde wirklich Zeit, dass er sich etwas anderes suchte.

Jetzt musste er erst mal in die Küche. Dort befand sich aus unerfindlichen Gründen der Sicherungskasten in diesem Altbauloch. Etwas trinken musste er auch. Dieser Schnaps hatte ihm die Kehle ausgetrocknet. Außerdem musste irgendetwas in der Küche sein. Von dort kam ein ganz merkwürdiger Geruch. Irgendwie kam ihm der bekannt vor, aber sein Hirn funktionierte nicht richtig, alles wirkte wie vernebelt. Konnte das wirklich von dem bisschen Alkohol kommen?

Er öffnete die Küchentür. Der Geruch wurde stärker. Ohne eine Wirkung zu erwarten, betätigte er den Lichtschalter. Als Letztes hörte er einen Knall, der ihm im wahrsten Sinne des Wortes das Trommelfell zerriss, und sah einen grellweißen Blitz.

Alte Freundschaft

Es schrillte laut und anhaltend. Der Ton drang schmerzhaft in sein Bewusstsein. Marko Geiger tauchte aus den Tiefen eines Traums auf, den er im gleichen Moment wieder vergaß. Fast orientierungslos tastete er nach dem Wecker auf seinem Nachttisch. Der Raum lag noch in vollkommener Dunkelheit, sodass er nichts sehen konnte. Endlich bekam er das Gerät zu fassen. Er drückte den Knopf, der das Wecksignal beenden sollte. Es funktionierte nicht. Erst nach dem zweiten Versuch erstarb der Ton.

Was war los? Marko drehte sich stöhnend auf den Rücken. Warum klingelte der Wecker mitten in der Nacht? Nicht einmal der zarteste Lichtschimmer erhellte das Zimmer. Wieso hatte er den Wecker gestellt? Es gab doch keinen Termin am nächsten Morgen.

Es schrillte erneut. Er war jetzt immerhin so weit wach, dass er realisierte, dass es nicht der Wecker, sondern die Türklingel war, die dieses schreckliche Geräusch produzierte. Im nächsten Moment begann es auch noch zu klopfen und zu hämmern, als wolle jemand die Wohnungstür einschlagen.

Marko stieg vorsichtig aus dem Bett. Automatisch zog er sich einen Morgenmantel über und schlich zur Tür. Er überlegte, womit er sich bewaffnen könnte. Sollte dort ein wütender Ehemann vor der Tür stehen? Er hatte so etwas einmal erlebt. Aber seine letzte Affäre lag schon Monate zurück und die junge Frau besaß keinen Ehemann, zumindest nicht zum Zeitpunkt der Liaison.

Ohne Licht zu machen, spähte er durch den Türspion. Er sah zwar keinen betrogenen Ehemann, aber der Anblick, der sich ihm bot, begeisterte ihn auch nicht gerade. Wütend riss er die Tür auf.

»Was willst du denn hier?«, schnauzte er zur Begrüßung den späten Gast an. Oder handelte es eher um einen frühen Gast? Marko hatte noch nicht auf die Uhr gesehen.

Sein Besuch ließ sich nicht beirren, stieß die Tür ganz auf und marschierte an ihm vorbei. Marko sah ihm hinterher, als er mit seinen ungepflegten Straßenschuhen ins Wohnzimmer auf den hellen Langhaarteppich marschierte.

Einen halben Kopf kleiner als er selbst, leicht übergewichtig, die dünn gewordenen Haare zu lang und zu ungepflegt und graugrüne, unstete Augen, die ängstlich und unermüdlich den ganzen Raum absuchten: Olli Vogt, wie er leibte und lebte. Marko verspürte große Lust, ihn einfach am Kragen zu packen und aus der Wohnung zu werfen. Aber man benahm sich ja zivilisiert und Marko war dann doch eher ein Mann des Wortes. Er wollte auch gerade ansetzen, etwas zu sagen, etwas Vernichtendes, versteht sich, da kam ihm Olli zu vor.

»Du must mir helfen!«, bat er nachdrücklich und sah Marko aus flehenden Augen an.

»Ich muss dir helfen? Warum sollte ausgerechnet ich dir helfen?« Vor Wut war Marko jetzt immerhin hellwach.

»Vielleicht, weil wir gute alte Freunde sind?« Olli klang schüchtern und alles andere als sicher.

»Du meinst, weil ich so ein Idiot bin und einem Penner wie dir vertraut habe«, presste Marko zwischen den Zähnen hervor. Er musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um den Kerl nicht anzubrüllen. Für eine ausgewählte Wortwahl reichte die Kraft allerdings nicht mehr.

»Hör mal, du spielst doch nicht auf diese alte Geschichte von damals an. Das ist doch schon ewig her«, wehrte Olli ängstlich ab.

»Lange her?« Markos Stimme klang jetzt wirklich gefährlich. Außerdem machte er unwillkürlich einen Schritt auf seinen Besucher zu. An dem ängstlichen Blick und daran, dass Olli in die hinterste Ecke des Sofas rutschte, auf das er sich mittlerweile gesetzt hatte, erkannte Marko, dass er tatsächlich wütend aussah.

»Lange her?«, fragte er noch mal. »Wenn ich in der Redaktion aufkreuze, lachen die immer noch. Jedes Mal, wenn ich denen eine Story verkaufen will, fragen die mich grinsend, ob das wieder so ein Tipp von diesem Computergenie ist, das ich doch so gut kenne.«

»Ich habe mich geirrt damals. Das kann doch mal passieren«, erwiderte Olli kleinlaut.

»Geirrt?« Marko gab jetzt jeglichen Versuch, die Kontrolle zu behalten, auf. Seine Stimme wurde leise und klang gefährlich. Er stand mittlerweile direkt vor Olli, der noch immer ängstlich auf dem Sofa saß. »Mir haben Fachleute – und ich meine: richtige Fachleute – erklärt, dass so etwas, wie du behauptet hast, technisch nicht möglich ist. Sie haben gesagt, jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung von der Materie hat, weiß, dass so etwas nicht geht! Du weißt genau, dass ich mich mit diesen technischen Dingen nicht auskenne. Ich habe mich auf dich verlassen! Ich wusste ja nicht, dass du auch keine Ahnung hast! Wie bist du bloß an deinen Job gekommen? Oder hast du mich ganz bewusst verarscht?«

»Hör mal, das …«

»Ich habe dich für diesen Tipp bezahlt. Ging es nur darum?«

»Du, diesmal …«

»Was ist? Bist du wieder pleite? Willst du mir Blödmann noch ein paar Euro aus der Tasche ziehen oder was?« Marko packte Olli am Kragen und zog ihn auf die Beine. »Es ist jetzt besser, du gehst, bevor ich richtig sauer werde.«

»Nein Marko, warte! Es geht um etwas ganz anderes. Es geht um mein Leben. Die wollen mich umbringen«, rief Olli ängstlich. Marko zerrte ihn schon in Richtung der Haustür.

»Ach, hast du auch noch andere verarscht. Richte ihnen aus, dass ich ihnen viel Glück wünsche. Sie sollen es schön langsam machen und möglichst schmerzvoll«, erwiderte Marko leichthin. Er hatte eine Hand an der Türklinke.

»Marko, hör mir zu!« Olli drückte sich neben der Haustür mit dem Rücken an die Wand. »Das ist kein Spaß. Das sind Profis. Und ich hab mit der Sache nichts zu tun. Sie werden mich trotzdem umbringen.«

»Olli, du hast deine Chance gehabt. Du glaubst doch nicht, dass ich noch mal auf eine von deinen Geschichten hereinfalle.«

Marko packte ihn fester.

»Bitte Marko, du musst mir helfen! Das ist wirklich ernst. Vielleicht springt für dich auch 'ne Story raus.«

Das hätte Olli nicht sagen sollen. Marko zog kräftiger und öffnete die Tür, aber Olli konnte sich im letzten Moment so dagegenstemmen, dass sie wieder ins Schloss fiel.

»Bitte Marko. Was willst du hören? Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Ich zahle dir alles zurück. Sobald ich es zusammengekratzt habe, heißt das. Aber du musst mir helfen, bitte.«

Vielleicht beschwichtigte ihn dieser ängstliche Blick. Marko hatte schon immer ein zu großes Herz besessen, vor allem für solche Spinner. Wahrscheinlich überzeugte ihn aber das Angebot, die zu unrecht erhaltene Summe zurückzuzahlen. Auf so eine Idee war Olli bisher noch nie gekommen. Es musste ihm wirklich dreckig gehen.

»Gut!«, lenkte Marko grimmig ein. »Du hast genau fünf Minuten, mich von deiner Geschichte zu überzeugen. Aber denk dir was Gutes aus, sonst bist du danach draußen!«

Er ließ Olli, der seine Jacke wieder zurechtrückte, los.

»Können wir uns da rein setzen? Hast du was zu trinken?«

»Nein! Die ersten dreißig Sekunden sind rum!«

»OK, OK!« Olli schluckte hart. »Sie haben zwei Kollegen von mir umgebracht. Dahinter muss die Software-Mafia stecken, die NSA oder der BND. Vielleicht auch alle zusammen.«

Marko sah ihn stumm an. Seine Geduld neigte sich dem Ende zu. Er hätte seinem ersten Impuls folgen und den Spinner rausschmeißen sollen.

»Ich weiß, das klingt komisch«, sagte Olli. Panik stand in seinen Augen. »Kannst du dich noch an meine beiden Kollegen erinnern, Thomas Krüger und Frank Becker. Thomas ist letzte Woche bei einem Autounfall umgekommen. Jedenfalls ist das die offizielle Version. Heute Nacht ist die Wohnung von Frank in die Luft geflogen, Gasexplosion. Komischer Zufall, oder?«

»Es gibt manchmal komische Zufälle«, erwiderte Marko. Sein Ärger legte sich.

»Waren das Freunde von dir?«, fragte er mitfühlend.

»Na ja, Freunde nicht direkt. Es waren eben Kollegen. Aber das kann kein Zufall sein. Die beiden waren an einer ganz großen Sache dran, das kannst du mir glauben.«

»An was für einer Sache?« Marko wurde wieder misstrauisch.

»Um was es genau ging, weiß ich auch nicht. Die beiden haben mir nichts erzählt.« Olli sah nicht besonders glücklich aus.

»Redet ihr bei euch auf dem Amt nicht miteinander? Wie viele seid ihr eigentlich bei euch in der Abteilung?«

»Also wir sind zu dritt in der Gruppe, die sich direkt mit Angriffen von außen beschäftigt.« Olli machte den Eindruck, als verstärke sich sein Unwohlsein noch.

»Und von euch Dreien arbeiten zwei zusammen und du als Dritter weißt von nichts?« Marko sah ihm fest in die Augen.

»Lass uns mal da rein setzen«, schlug Olli unbehaglich vor. Er marschierte wieder ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. »Hast du nicht doch was zu trinken?«

Marko schüttelte ungläubig den Kopf. Der Kerl sah ihn so bittend an, dass er schon wieder weich wurde. Außerdem bekam er langsam selbst Durst. Er holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und stellte eine vor Olli auf den Tisch. Er selbst nahm einen Schluck aus der anderen.

»Also, was ist?«, fragte er, während Olli die Hälfte seiner Flasche in einem Zug leerte.

»Ich bin in den letzten Monaten nicht so richtig in Form gewesen«, wich Olli aus. Als Marko ihn nur fragend ansah, fügte er hinzu: »Na ja, ich hatte einfach eine schlechte Zeit. Und ich bin auch nicht so richtig mit den beiden klargekommen. Thomas war ein totaler Streber, so einer im Anzug und mit Sportwagen. Du verstehst schon.«

»Ja, du meinst einer, der auf sein Äußeres achtet und sein Leben im Griff hat.« Marko konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. Er selbst zog sich ganz gerne gut an.

»Nein, so meine ich das nicht!«, protestierte Olli. »Ich meine, er war ein Wichtigtuer, der sich bei der Chefin eingeschleimt und sich bei allem vorgedrängelt hat, was den eigenen Aufstieg fördert. Ich meine jemanden, der seine Großmutter verkauft hätte, wenn er dadurch eine Stufe höher auf der Gehaltsleiter geklettert wäre.«

»Klingt nach 'nem wirklich guten Freund von dir«, bemerkte Marko trocken. »Und was ist mit dem anderen?«

»Der war sozusagen das Gegenteil. Der arbeitete und lebte völlig chaotisch. Hat kaum geredet. Keine Freunde, keine Frauen, wenn du verstehst, was ich meine. Wenn der überhaupt mit jemand ins Bett gegangen ist, dann garantiert mit seinem Rechner.«

»Deine Trauer scheint sich wirklich in Grenzen zu halten. Wie passt du da rein? Wieso haben die beiden zusammengearbeitet und du nicht mit ihnen?«

Olli fuhr sich unsicher durch die dünnen Haare. »Weißt du, ich habe einfach gemerkt, dass der Job nicht so ganz das Richtige für mich ist. Der Thomas war doch nur geil drauf, irgend so einen armen Schlucker zu erwischen, der sich einen Spaß draus gemacht hat, so ein kleines Programm einzuschleusen. Das sind doch alles Schüler oder andere kleine Wichte.«

»Die einen gewaltigen Schaden anrichten, wenn ich mich nicht irre«, ergänzte Marko kopfschüttelnd. Er ging zum Kühlschrank holte ein weiteres Bier heraus.

»Und was ist mit diesem Frank Sowieso. Warum hast du zu dem keinen Kontakt?«, fragte er, während er die Flasche öffnete.

»Der? Das ist doch ein totaler Spinner! War, heißt das. Dem hat doch nur die Jagd im Netz Spaß gemacht. Über Konsequenzen und daran, was das für die Kids bedeutet, wenn er sie erwischt, hat der keinen Gedanken verschwendet.«

Marko stellte die Flasche vor Olli auf den Tisch. Seine eigene war noch immer zu mehr als der Hälfte gefüllt.

»Du willst doch sicher noch eine, oder?« Er erwartete keine Antwort. »Du hättest es ihm doch erklären können«, nahm Marko das Thema wieder auf.

»Dem? Du hast Frank nicht gekannt«, antwortete Olli empört. »Den hat so etwas nicht interessiert. Der hat dir gar nicht zugehört. Den interessierte nur, was auf seinem Bildschirm abgelaufen ist.«

»Gut, aber was machst du denn so den ganzen Tag, wenn dich dein Job nicht interessiert?«, fragte Marko grinsend.

»Also ich ...« Olli fuhr sich nervös durch die Haare und rutschte unruhig auf der Couch herum. »Also, ich war doch in diesem Hackerklub und dann habe ich damals diesen Wurm programmiert. Naja, und dann haben sie mich erwischt. Sie haben mir diesen Job angeboten. Für mich war es damals die einfachste Möglichkeit, aus dem Schlamassel wieder herauszukommen. Ich dachte, es wäre sicher ganz lustig, mal auf der anderen Seite zu stehen. Aber es ist nicht lustig. Es ist langweilig und ich habe auch ein schlechtes Gewissen meinen alten Freunden gegenüber.«

»Wie? Sind da denn noch Leute von damals dabei? Das muss doch schon Jahre her sein, mindestens ein ganzes Jahrzehnt.«

»Das sind natürlich nicht mehr die gleichen Personen, aber es ist doch noch dieselbe Szene, du verstehst?«

Marko verstand gar nichts. Er kannte sich in dieser Szene nicht aus und wollte, wenn er ehrlich war, mit diesen Spinnern auch nichts zu tun haben. Er nickte trotzdem. Olli nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche.

»Gut, jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin mit dir«, sagte Marko nachdenklich. Er starrte stumm auf den Boden.

»Wie meinst du denn das?«, fragte Olli ängstlich nach.

»Du hast in Wirklichkeit keine Ahnung. Du tust nur so und quatschst dummes Zeug.«

»Also, so kann man das auch nicht sagen. Ich bin nur ein wenig aus der Übung«, protestierte Olli.

»Damals mit dieser Sache, die du mir verkauft hast, warst du sicher auch ›ein wenig aus der Übung‹.« Markos Stimme troff vor Spott. Dann wurde er wieder ernst. »Warum hast du mir damals nicht einfach gesagt, dass du von der ganzen Sache keine Ahnung hast?«

»Ich habe mich einfach nicht getraut«, erklärte Olli kleinlaut.

Marko starrte eine Weile stumm auf den Boden und schüttelte den Kopf. Da hatte er ja damals wirklich eine Super-Niete gezogen. Er wollte einfach nicht mehr darüber nachdenken.

Ernst sah er Olli an.

»Und was haben deine beiden Kollegen herausgefunden, dass du glaubst, sie sind dafür umgebracht worden«, wechselte er das Thema.

»Das weiß ich doch nicht! Ich habe dir doch gerade erklärt, dass ich mit ihnen nichts zu tun hatte. Und sie wollten mich auch nicht dabei haben.«

»Und wie kommst du dann darauf?« Marko wurde langsam ungeduldig.

»Weil sie so geheimnisvoll taten. Es muss sich um ein ganz großes Ding gehandelt haben, so wie sie sich aufgeführt haben. Wenn ich auch nur in die Nähe ihrer Rechner gekommen bin, haben sie so getan, als wolle ich ihnen das Patent des Jahrhunderts klauen.«

»Du meinst, sie haben etwas Wichtiges entwickelt, irgend so ein Superprogramm, Wurm – oder wie ihr das nennt – geschrieben?«

»Quatsch! Das war doch nur so ein Spruch. Unser Job ist die Abwehr von Angriffen von außen auf unsere IT-Infrastruktur«, sagte Olli.

»Auf was?«, fragte Marko verständnislos.

»Na auf alles, was mit Rechnern, Rechnernetzen und dem Internet zu tun hat. Es geht darum, zu verhindern, dass hier alles von irgendeinem Spinner lahmgelegt wird.«

Olli nahm einen letzten kräftigen Schluck und stellte die leere Flasche auf dem Wohnzimmertisch ab. Das Bier schien ihm gut getan zu haben. Er sah mittlerweile ein ganzes Stück entspannter aus.

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