Loe raamatut: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 60»

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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-377-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Wie ein stolzer Schwan pflügte die „Isabella VIII.“ durch das blaugrüne Wasser. Ihre Bugwelle, ein langer weißer Bart, schäumte und rauschte geheimnisvoll. Der Bug der stolzen, ranken Dreimastgaleone wurde in sanftem Rhythmus hochgehoben, gleich darauf sank er zurück in sein Element, und schon hob er sich wieder aus der glitzernden Fläche.

Dieser ständige Rhythmus bei achterlichem Wind sah nach Frieden und Behaglichkeit aus, aber das schien nur so.

Der Seewolf konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, wenn er den Profos sah. Ed Carberry war heute ganz anders als sonst, alle waren sie anders, fand Hasard. Bedrückt, sich immer wieder mißtrauisch umschauend, den Blick zeitweilig zum Himmel gekehrt. Jeder schien auf ein Wort des anderen zu warten – und der andere schwieg zumeist.

Der Profos aber schlich umher, als müsse er alle seine Freunde persönlich beerdigen.

Seine mächtige Gestalt lehnte am Steuerbordschanzkleid, sein Rammkinn war vorgeschoben, die Augen mißtrauisch zusammengekniffen, sein Mund nur ein schmaler Strich. Hasard sah jede einzelne Narbe in seinem kantigen Gesicht. Immer wieder sog Ed Carberry prüfend die Luft ein und schüttelte dann den Kopf.

Hasard winkte ihn zu sich heran, aufs Achterkastell. Carberry schob sich in der lauernden Haltung eines Verfolgten näher.

„Was ist los, Ed?“ fragte Hasard. „Steckt dir die Geschichte von den Azoren noch in den Knochen?“

Bevor der Profos antwortete, warf er einen schnellen Blick zu Pete Ballie, der diesmal nicht am Kolderstock, sondern am Ruder stand. Ja, die „Isabella“ hatte ein Ruder, diese Neuerung hatte Ferris Tucker auf der Werft des alten Hesekiel Ramsgate verlangt, dem sie das neugebaute Schiff abgekauft hatten. Es hatte viel Mühe und Überlegung gekostet, dieses Ruder mit dem dazugehörigen Ruderhaus zu bauen. Aber jetzt hatten sie es, und der Rudergänger war nicht mehr Wind und Wetter, überkommenden Seen und den anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt.

Der Profos grinste, aber das Grinsen erlosch so schnell, wie es erschienen war. Sein Gesicht verdüsterte sich fast augenblicklich.

„Nein, das ist vergessen“, beantwortete er Hasards Frage. „Wir haben vereinbart, daß wir darüber nicht mehr sprechen.“

Hasard wollte auch nicht mehr gern daran erinnert werden, obwohl im selben Moment noch einmal die Bilder vor seinen Augen abliefen.

Der Stunk mit den Engländern, die um jeden Preis die „Isabella“ versenken wollten, die Meuterei der Besiegten auf den Azoren, dann die Wilden und schließlich Scinders, der immer wieder versucht hatte, die Reparaturarbeiten an der „Isabella“ zu sabotieren, was ihm auch mit Hilfe von Pulver und Feuer mehrmals gelungen war. Und dann hing dieser Scinders, der Kommandant der zerschossenen Karavelle „Hermes“, eines Morgens in der ersten Dämmerung an einer Rah des Fockmastes. Wer ihn dort aufgehängt hatte, war nicht zu erfahren gewesen. Die vom Schuften todmüde Mannschaft hatte nichts bemerkt. Daraufhin hatte der Seewolf die Untersuchungen eingestellt.

„Was ist es dann?“ fragte Hasard weiter, der sich schon vorstellen konnte, was den Profos und die anderen so bewegte.

„Das Wetter ist es“, sagte Carberry grollend. „Das verdammte Wetter, und dieses dreimal verfluchte Sargasso-Meer. Wir segeln in Richtung Echo-Bank, und von hier ab geht es immer los. Sieh dir nur den Himmel an!“

Carberrys riesiger Daumen stach unmißverständlich nach oben, dreimal hintereinander und nachdrücklich.

Hasard hatte das natürlich längst bemerkt, genau wie die anderen. Sargasso-Meer! Das jagte jedem Seemann einen kühlen Schauer über den Rücken. Das Meer von den Bermudas bis hinunter nach Westindien war nicht geheuer. Sagen und Aberglaube gingen um. Jeder kannte eine haarsträubende Geschichte aus dieser Ecke der Welt, und jeder schmückte sie nach seinem eigenen gutdünken immer weiter aus.

Es hatte auch jetzt etwas Unheimliches an sich. Selbst der so gelassene Seewolf konnte sich diesem unaussprechlichem Etwas nicht entziehen.

Über ihnen schimmerte der Himmel längst nicht mehr in azurner Bläue. Dieses Blau war einem leichten Fahlgelb gewichen, das den Horizont verwischte, so daß man zwischen Himmel und Erde keinen genauen Unterschied mehr sah. Alles verschmolz ineinander, die Kimm mit dem Himmel, der Himmel mit dem Wasser.

Die Dünung wurde immer länger. Rollend hob sie das Schiff hoch, eine Bö knallte in die Segel und erstarb sofort wieder, noch bevor der Rudergänger reagieren konnte.

Auch der achterliche Wind begann sich unmerklich zu drehen. Mal blieb er ganz aus, dann wieder schob er die Galeone mit sanfter Gewalt vor sich her durch das Wasser, dessen Färbung sich allmählich dem Fahlgelb des Himmels anpaßte.

Es lag etwas in der Luft. Jeder spürte das überdeutlich, und jeder machte sich sogleich seine Gedanken darüber.

Hasard winkte ab. Es sollte geringschätzig aussehen, aber der gewiefte Profos erkannte deutlich die Geste der Sorge, die der Seewolf damit zum Ausdruck brachte.

„Es wird einen kleinen Sturm geben“, sagte Hasard. „Na und? Den reiten wir spielend ab. Hat vielleicht jemand Angst?“

„Bei diesem Schiff bestimmt nicht“, versicherte Carberry. „Und wer hat schon vor einem Sturm Angst? Von uns keiner!“

„Na also, dann ist ja alles in Ordung. Gib auf die Segel acht, Ed. Der Wind dreht ständig.“

„Aye, aye, Sir!“

Hasard runzelte die Stirn. Der „Sir“ blieb ihm sekundenlang im Hals stekken, denn wenn der Profos damit anfing, dann stimmte etwas nicht. Im nächsten Augenblick zuckte Hasard zusammen, als Carberrys brüllendes Organ aufklang.

„Himmel, Arsch und Sargassosee!“ schrie der Profos. „Das hat uns noch gefehlt, genau das! Dieser verfluchte Bastard soll doch gleich tot vom Himmel fallen!“

Verblüfft sah der Seewolf auf seinen Profos, der die mächtigen Fäuste zum Himmel hob und sie drohend schüttelte.

„Hau ab, du verdammtes Teufelsvieh, der Satan soll dich holen!“

„Na, da kann er uns ja gleich mitnehmen“, hörte er gleich darauf Ferris Tuckers Stimme. Auch der rothaarige Schiffszimmermann blickte mit entsetzt aufgerissenen Augen nach oben.

Und da schwebte er schon heran, ein Albatros, ein riesiger Sturmvogel mit einer Spannweite von über vier Yards. Thermische Aufwinde, die ihn getragen hatten, veränderten sich. Der riesenhafte Vogel schien in ein Luftloch zu fallen. Mit weit ausgebreiteten Schwingen sauste er im Sturzflug nach unten, genau auf die „Isabella“ zu.

An Deck zogen alle die Köpfe ein, als er dicht über die Masten dahinstrich, dann wild mit den schweren Flügeln schlug und wieder Auftrieb erhielt. Er segelte gegen den Wind und schraubte sich langsam höher, dann begann er, weite Kreise um das Schiff zu ziehen.

Dem abergläubischen Profos fuhr der Schreck gewaltig in die Knochen.

„Das bedeutet nichts Gutes“, versicherte Carberry in der Kuhl jedem, der es hören wollte. Sie drängten sich förmlich danach und hingen begierig an des Profos Lippen, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Stenmark, Dan und die anderen.

„Das ist einer der Vögel, die auf ihren Flügeln schwebend schlafen“, erläuterte Carberry. „Sie rufen Sturm hervor. Sie können sehr lange schweben, ohne die Schwingen zu regen, sie ändern die Richtung, indem sie einen Flügel so leicht bewegen, daß es niemand sieht. Wir kriegen Unglück, sage ich euch!“

„Und wenn wir ihn mit einer Muskete abknallen?“ fragte Smoky, der Deckälteste erregt.

„Um Himmels willen.“ Der Profos winkte ab. „Einen von ihnen zu schießen, ist bedenklich, sehr bedenklich sogar. Ich kenne keinen Fall bei dem die Reise hinterher gut verlaufen ist. Man kann ihn aber mit einem Stück Speck angeln und ihn dann an Deck sterben lassen. Das ist ganz etwas anderes.“

Als Carberry geendet hatte, wurde die Stimmung noch gedrückter. Voller Unbehagen sahen sie dem Riesenvogel nach, der immer noch seine Kreise zog, mal hinter dem Schiff herflog, es dann wieder überholte.

Smoky kannte auch ein paar Geschichten, in denen einzelne Vögel Unglück über ein Schiff gebracht hatten.

„Fast alle sind hinterher gesunken“, sagte er. „Und jetzt kann man den Sturm schon fast riechen“, setzte er hinzu.

Dan O’Flynn pfiff erregt durch die Zähne. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn obwohl ihn an Bord jeder als vollwertigen Mann akzeptierte, war er für den Profos plötzlich wieder das Bürschchen.

„Bist du wahnsinnig, du Rotznase?“ schrie der Profos. Mit einem Satz war er bei Dan, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn durch.

„Das Mistvieh da oben kündigt den Sturm an, und jetzt mußt du ihn auch noch herbeipfeifen! Weißt du nicht, daß Pfeifen erst recht Stürme herbeizieht?“

Dan war so verdattert, daß er erst gar nicht versuchte, sich aus dem Griff zu befreien.

„Das habe ich nicht gewußt“, sagte er kleinlaut.

„Dann merk dir das verdammt gut! Wen ich jetzt noch einmal pfeifen höre, dem ziehe ich persönlich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch. Habt ihr das alle verstanden?“

Sie hatten alle verstanden. Keiner lachte über Carberrys Lieblingsspruch, Dan schon gar nicht, dem der Schreck jetzt auch gehörig in die Knochen gefahren war.

„Der Todesvogel“, murmelte Tukker und zeigte auf das große Tier, das sich gerade wieder anschickte, die „Isabella“ zu umkreisen.

„Wenn er sich auf dem Mast niederläßt, sind wir verloren.“

Ein paarmal sah es so aus, als wollte der große Albatros sich auf der Mastspitze niederlassen, aber das Gebrüll der Männer verscheuchte ihn noch rechtzeitig.

Selbst Hasard sah jetzt besorgt zum Himmel.

„Sieht verdammt so aus, als würden wir in ein schweres Wetter hineinsegeln. In dieser merkwürdigen Farbe allerdings auch noch nie gesehen.“

Ben Brighton, der neben ihm auf dem Achterkastell stand, seufzte. Mit halben Ohr lauschte er den Schauermärchen, die Carberry unermüdlich vom Stapel ließ.

„Dieser Vogel bereitet mir auch Sorgen“, sagte er. „An der Geschichte ist wirklich etwas Wahres dran.“

Die Dünung war jetzt länger als zuvor. Der Himmel war von einem Gelb, das wie reiner Schwefel aussah. Die Luft schien sich zu dicken Klumpen zu ballen. Schwül und zäh wie ein feuchter Schwamm, legte sie sich den Männern beklemmend auf die Lungen. Ein paar Meilen weiter schien das Meer unvermittelt in den Himmel überzugehen.

Und dann erschienen übergangslos Kreuzseen. Von zwei Seiten rollte die Dünung auf die „Isabella“ zu, langgezogene Wellen, kleine Schaumkronen auf den Häuptern, stürmten sie heran, klatschten gegen die Bordwände und trafen dann zusammen.

Das Schiff schüttelte sich. Eine Fallbö stieß von schräg oben nieder, ein Segel killte, hing ganz schlaff und knatterte dann plötzlich los, daß die Männer sich unwillkürlich duckten. Erst dann blähte es sich wieder.

Und plötzlich befand sich der ranke Rahsegler in einem Zentrum der absoluten Windstille. Kein Laut war mehr zu hören, unnatürliche Ruhe breitete sich aus.

Bevor Hasard den Befehl geben konnte, die Marssegel zu reffen, füllten sie sich langsam mit Wind, bauschten auf und schoben das Schiff erneut vorwärts.

In der Kuhl standen die Männer, ohne sich zu rühren. Der einzige, der sich bewegte, war Arwenack, der Schimpanse. Er stieg aus dem Großmars abwärts, beschämt und so verängstigt, als hätte man ihn gerade beim Klauen von Früchten in der Kombüse erwischt.

Er gab keinen Laut von sich, bleckte nur die Zähne, sah immer wieder nach oben und schlich dann geknickt unter das Vordeck.

Die Seewölfe sahen ihm bestürzt nach.

„Der weiß, was uns bevorsteht“, sagte Carberry. „Tiere merken das viel früher als Menschen. Jetzt verkriecht er sich. Nicht mal Dan schaut er an, seinen Liebling.“

„Kein Wunder“, erboste sich Blakky, „der Idiot hat ja mit seiner verdammten Pfeiferei das alles herbeigepfiffen.“

Dan O’Flynn ging sofort auf Blakky los und hielt ihm drohend die Faust unter die Nase.

„Sag bloß, ich bin an dem Wetter schuld, Mann! Oder an der dunkelgelben See! Ich bin auch froh, wenn ...“

„Klar bist du daran mitschuldig“, unterbrach der Profos. „Du und der Vogel. Im Sargasso-Meer pfeift man nicht, denn jeder weiß, daß man bei leichtem Wind nicht pfeifen soll. Bei Windstille ist das etwas anders, aber genauso gut kann man dann dreimal am Fockmast kratzen. Der Teufel ist ein reizbarer Geselle, der das Pfeifen für eine Störung oder Herausforderung hält, die er sich nicht gefallen läßt. Hast du das jetzt endlich begriffen?“

Dan wurde immer kleinlauter, zumal die anderen ausnahmslos auf des Profos Seite standen. Sogar Batutis Stirn hatte sich umwölkt.

„Nicht gut, wenn Dan pfeifen“, sagte er vorwurfsvoll. „Großes Vogel auch nicht gut. Auch nicht gut, wenn gehen Freitag in See. Dann alle sterben.“

Dan O’Flynn kratzte sich verlegen den Kopf.

„Ich löse Stenmark im Großmars ab“, sagte er, „vielleicht kann ich das dann wieder einrenken.“

„Seid ihr alle verrückt geworden?“ dröhnte in ihrem Rücken plötzlich Hasards Stimme auf, der in der Kuhl erschienen war. „Was steht ihr herum und quatscht vom Teufel, he? Habt ihr nichts besseres zu tun? Achtet auf die Segel, damit uns nicht eine Bö umwirft!“

Seine Stimme war laut, doch die anderen sahen ihm an, daß auch er sich nicht wohl fühlte. Der beste Kapitän war schließlich nicht vom Aberglauben verschont, und so sorgte sich auch Hasard, allerdings nicht in dem Ausmaß wie die anderen.

Er wollte sie ablenken, beschäftigen, denn wenn sie nur noch herumstanden und unkten, wurde alles nur noch schlimmer.

Es wurde noch dunkler. Jetzt war der Himmel gelbbraun, und die Luft schien zu knistern. Immer wieder entstanden Kreuzseen, zwischendurch schlief der Wind ein. Kehrte er wieder, dann heulte er mit klagenden Tönen durch die Takelage, pfiff in den Pardunen, jaulte durch die Wanten, blähte blitzartig die Segel.

Und auf der „Isabella“ fanden sich die Männer zusammen, berieten, flüsterten, erzählten – und hatten Angst. Gegen die Elemente konnten sie sich nicht wehren, da waren sie hilflos allem ausgeliefert. Sie konnten nicht kämpfen, die Seewölfe, sie mußten das hinnehmen, was das Sargassomeer für sie bereit hielt, und das war es, was sie das Fürchten lehrte.

Zu allem Überfluß tauchte auch noch der alte Donegal Daniel O’Flynn mit seinem Holzbein in der Kuhl auf. Auf seinen beiden Holzkrücken humpelte er heran, ein verwitterter, rauhbeiniger Bursche. Schon vorhin hatte er ein paar Brokken vernommen, Wortfetzen, die ihm mehr als genug sagten.

Er hob eine Krücke hoch und drohte damit in den Großmars, wo Dan Ausguck bezogen hatte.

„Warte, du lausiger Hurenbock!“ rief er zu seinem Sohn hinauf. „Dir werde ich deine verdammte Pfeiferei noch austreiben. Weiß der Teufel, was du alles heraufbeschworen hast!“

„Vielleicht ist dein verdammtes Holzbein an dem Sauwetter schuld“, fluchte Dan.

Der Alte war nicht zu bremsen.

„Ich seh schwarz“, knurrte er, „pechschwarz. Man kann ja Himmel und Wasser nicht mehr voneinander unterscheiden. Sind wir jetzt oben oder unten? Ich glaube, das verdammte Schiff wird immer größer, und wir segeln direkt in den Wolken wie die ‚Mary Dun of Dover‘, die wurde auch immer größer.“

„Erzähl mal“, forderte ihn Carberry auf. „Was war mit dem Kahn?“

Old O’Flynn senkte seine Stimme, verstohlen sah er sich nach allen Seiten um.

„Ihr kennt die Geschichte nicht? Die ‚Mary Dun of Dover‘ geriet in ein ganz merkwürdiges Wetter, so wie wir jetzt. Vielleicht ist sie zwischen zwei Welten geraten, wer weiß das schon! Jedenfalls wurde sie immer größer und länger, ein richtiges Wolkenschiff. Die aufenternden Schiffsjungen kamen alle als Greise wieder herunter und der Kapitän mußte seine Befehle vom Achterzum Vordeck durch berittene Seeleute überbringen lassen. Sie paßte nicht mal mehr durch die Straße von Dover durch, und erst als sie mit Seife geschmiert wurde, da ging es mit Mühe und Not. Noch heute sieht man die waagrechten Streifen an den Kreidefelsen von Dover ganz deutlich. Und weil das Meer nicht tief genug für sie war, warfen sie einen Teil Ballast über Bord. So, entstand die Insel Bornholm, und von der Asche die aus der Kombüse geworfen wurde, entstand die kleine Insel Christiansö. Jetzt kennt ihr die Geschichte“, schloß der Alte.

Carberry peilte zum Achterkastell. Er hatte das Gefühl, als wäre die „Isabella“ tatsächlich ein ganzes Stück länger geworden. Dieses merkwürdige fahle Licht, das nicht Nacht und nicht Tag war, ließ alle Maße ganz anders erscheinen. Auch die anderen blickten zuerst mißtrauisch auf Old O’Flynn, dann zum Achterkastell. Sichtlich beeindruckt nickten sie schweigend.

Und in die tiefe Stille, die nach O’Flynns Worten herrschte, dröhnte Dans Stimme aus dem Großmars.

„Land backbord voraus!“

Alle Köpfe drehten sich ruckhaft herum.

Land? Hier, vor der Echo-Bank im Sargasso-Meer? Das gab es nicht.

Hasard, der genau wußte, daß er sich auf Dans scharfe Augen unbedingt verlassen konnte, sah in die angegebene Richtung. Er mußte die Augen zusammenkneifen, um den winzigen schmalen Strich zu erkennen. Eine Täuschung – hervorgerufen durch das Licht?

Brighton reichte ihm das Spektiv. Hasard zog es auseinander und sah lange hindurch.

„Könnte eine kleine Insel sein“, sagte er dann. „Welcher Kurs liegt an, Ben?“

„Südsüdwest liegt an. Soviel ich weiß, gibt es hier keine einzige Insel.“

„Seltsam“, meinte Hasard. „Wir sind allem Anschein nach nicht abgedriftet und dennoch taucht hier Land auf. Ich kann mir das nicht erklären.“

„Steuerbord querab, Land in Sicht!“ rief Dan erneut aus dem Großmars. „Scheint sich um eine kleine Inselgruppe zu handeln.“

„Das wird ja immer merkwürdiger“, sagte Ben. Auch er blickte angespannt durch das Spektiv, bis ihm die Augen tränten.

Das Licht war jetzt so diffus geworden, daß jeder an eine optische Täuschung glaubte. Ein Himmel, der so aussah, als fiele er jeden Moment herunter, ein Meer, das so erschrekkend in seiner gelbbraunen Farbe wirkte, das es aussah, als stiege es dicht vor ihnen in den Himmel. Hasard hatte mitunter das Gefühl, als habe sich ein Tor zu einer unbekannten Welt geöffnet und gestatte ihnen einen kurzen Einblick in etwas gänzlich Fremdes.

Und dann diese kleinen Inseln. Sie wußten nicht – waren sie weit weg oder nahe daran, waren es Inseln, oder war es etwas anderes?

Je länger der Seewolf durch das Spektiv blickte, desto mehr entfernten sich die kleinen Eilande. Er wollte dieses Phänomen ergründen, schon um seinen Männern zu beweisen, daß hier alles mit rechten Dingen zuging und sie endlich damit aufhörten, sich gegenseitig Schauermärchen zu erzählen.

„Etwas abfallen, Pete!“ rief er dem Rudergänger zu. „Halte Kurs auf die kleine Insel!“

„Aye, aye, Kurs auf die Insel“, wiederholte Pete Ballie.

In der Kuhl reckten sie die Köpfe, als die „Isabella“ auf den neuen Kurs ging. Sie schwenken nur schwerfällig herum, denn der Wind war schon wieder am Einschlafen. Nur die ungemütliche Dünung hob und senkte den Bug des Schiffes, und allen drängte sich der Vergleich mit einem schlafenden Riesen auf, dessen Brust sich unter den Atemzügen hebt und wieder senkt.

Eine knappe Stunde lang segelte die „Isabella“ der kleinen Insel entgegen, ohne sie zu erreichen. Das Eiland rückte auch nicht näher.

Hasard preßte die Lippen zusammen.

„Hast du schon mal eine Insel gesehen, die sich entfernt, wenn man auf sie zusegelt, Ben?“

Brightons Gesicht war blaß. Immer wieder rieb er seine Hände an der Hose und schüttelte den Kopf.

„Das – das kann keine Insel sein“, erwiderte er heiser. „In was, verdammt und zugenäht, sind wir da hineingeraten?“

Ferris Tucker enterte aufs Achterkastell. Unverwandt starrte er zu dem kleinen Eiland, das sich nicht näherte.

„Ob wir festsitzen?“ fragte er. „Es sieht zwar so aus, als liefen wir gute Fahrt, aber in Wirklichkeit sitzen wir auf Grund, ohne daß wir es bemerkt haben, und nur die Strömung streicht an der Bordwand vorbei. Deshalb rückt das verfluchte Land auch nicht näher.“

Hasard und Ben Brighton sahen sich betroffen an. So unrecht hatte der gute Ferris vielleicht gar nicht einmal.

Aber wenn sie auf Grund saßen, weshalb hatte es dann niemand bemerkt?

„Tiefe ausloten!“ befahl der Seewolf.

Smoky warf die Lotleine über Bord. Das Bleistück versank sofort.

„Acht Faden, zehn, fünfzehn, zwanzig“, meldete er. „Kein Grund unter dem Schiff.“

„Verdammt! Miß auch noch auf der anderen Seite, Smoky!“

Das Ergebnis blieb das gleiche, und damit wurde das Rätsel um die geheimnisvolle Insel noch größer. Ja, mehr noch, es wurde ihnen immer unheimlicher und mulmiger zumute. Der kleinen Insel, der sie entgegensegelten, wie sie glaubten, folgte die andere Insel in genau der gleichen Geschwindigkeit. Der Abstand veränderte sich nicht.

Dan hockte oben im Großmars und rührte sich nicht mehr. Schluckend fragte er sich, ob vielleicht doch seine verdammte Pfeiferei an allem schuld sei.

„Kurs Südsüdwest!“ befahl Hasard.

Er hatte genug von diesen geheimnisvollen Inseln und wollte ihnen nicht den ganzen Tag nachsegeln. Der Teufel sollte die merkwürdigen Gebilde holen.

Eine weitere halbe Stunde danach waren die Inseln verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

Erst nach weiteren zwei Stunden tauchten sie wieder auf, verwaschene kleine Flecken, unheimlich und geheimnisvoll anzusehen im diffusen Halbdämmer einer Zone des Sargassomeeres.

Hasard grübelte stundenlang darüber nach, doch zu einem Ergebnis gelangte er nicht. Die immer wieder weit entfernt auftauchenden Inseln nervten die Seewölfe. Sie konnten diese Gebilde nicht einordnen. Auf den Inseln schien nichts zu wachsen, keine Palmen, keine Büsche, nicht einmal eine spärliche Vegetation. Vögel ließen sich nicht auf den Eilanden nieder.

In ihrem Kielwasser folgte der Albatros. Lautlos glitt er immer wieder hinter dem Schiff her, auf seinen Flügeln schwebend schlief er, wie Carberry immer wieder betonte.

Tasuta katkend on lõppenud.

Žanrid ja sildid

Vanusepiirang:
18+
Objętość:
120 lk 1 illustratsioon
ISBN:
9783954393770
Kustija:
Õiguste omanik:
Bookwire
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