Das triadische Prinzip

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1.2Die drei Kernbedürfnisse Beziehung – Sicherheit – Autonomie

Jedes der Kernbedürfnisse ist im jeweiligen Körperzentrum implizit vorhanden bzw. wird dort körperlich generiert (siehe Abb. 3).

Jeder Mensch kann das an sich selbst erfahren:

Wenn er ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ins Herz, sprich den Brustbereich geht, dann fühlt er, dass das Herzzentrum für Gefühle zuständig ist. Diese entstehen automatisch, sobald man mit etwas oder mit jemandem in Kontakt und dadurch auch in Beziehung ist.

Wenn der Mensch ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Kopf geht, dann fängt er unwillkürlich an, sich zu orientieren. Das Kopfzentrum möchte Sicherheit erzeugen, indem es versucht, in den Strom der Sinneseindrücke und der kognitiven Informationen Überblick und Orientierung zu bringen.

Abb. 3: Die Kernbedürfnisse

Wenn er ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung im Bauch ist, dann spürt er seine eigene räumliche Grenze. Das Bauchzentrum ist darauf angelegt, Raum und Autonomie zu behaupten und sich dadurch Handlungsspielraum zu verschaffen.

Der Begriff Kernbedürfnis soll verdeutlichen, dass Beziehung, Sicherheit und Autonomie auch fundamentale Ressourcen sind. Bedürfnis wird hier also nicht primär als Mangel verstanden, sondern zugleich als Antrieb und Motivation.

Jedes der drei Kernbedürfnisse steht für sich und ergibt doch ohne die jeweils beiden anderen keinen Sinn, ähnlich den drei ungemischten Grundfarben: Erst durch die Mischung von Rot, Blau und Gelb entsteht ein lebendiges Farbenspektrum.

Das einzelne Kernbedürfnis kann man sich als Kontinuum mit zwei Polen vorstellen. Alle drei bilden entsprechend den sie erzeugenden Körperzentren Bauch, Herz und Kopf eine Triade (siehe Abb. 4). Um einen rein kognitiven Zugang zu dieser embodimental geprägten Triade zu erleichtern, wird für die nachstehende Erläuterung die Reihenfolge Beziehung – Sicherheit –Autonomie gewählt.

1.2.1Herz – Beziehung

Das Herzzentrum steht für Gefühle und es kann genauso nicht nicht fühlen, wie der Kopf nicht nicht denken kann. Es gibt den interessanten Irrglauben, man könne Gefühle außen vor lassen und auf der sogenannten Sachebene bleiben. Doch selbst eine Tabelle oder eine Statistik beinhaltet immer eine Auswahl, sie kann eben nicht die Wirklichkeit abbilden und enthält neben dem Glaubenskonstrukt dahinter auch einen emotionalen Aspekt. Gefühle sind das Bindemittel im Kontakt zu etwas oder jemandem und bilden damit auch den Bezugsrahmen für diesen Kontakt. Ob es sich um einen Menschen handelt oder ein Tier, einen Gegenstand oder eine Landschaft: Darauf bezogen kann man nur dann sein, wenn es einen Kontakt dazu gibt, und den stellt ein Gefühl her. Man findet z. B. irgendetwas schön oder hässlich und kann auch beschreiben, warum, aber jede Beschreibung ist untrennbar an ein Gefühl gekoppelt. Auch das Bedürfnis, sich selbst in Beziehung zur Welt wahrzunehmen, kann nur durch Gefühle erfüllt werden.

Abb. 4: Die Pole der Zentren

Zugleich sind Gefühle Motivatoren, um mit jemandem oder mit etwas in Kontakt zu treten. Man trifft sich eher mit Menschen, die man mag, und geht eher dort spazieren, wo es einem gefällt. Die Motivation muss aber nicht unbedingt positiv sein: Wenn man sich über jemanden ärgert, möchte man ihm gerne seine Meinung sagen, und auch ein Schüler, der den ganzen Nachmittag lang über einen Lehrer schimpft, ist intensiv in Kontakt mit der nichts ahnenden Person und setzt sich in Beziehung zu ihr.

Die Herzpole: Versteckte versus flutende Gefühle

Gefühle werden meist mehr oder weniger automatisch adaptiert. Situativ wägt man ab, unwillkürlich oder durchaus bewusst, wie sehr man seine Gefühle zeigt, ob im Umgang mit nahen oder weniger nahen Menschen, bei der Arbeit, der Erziehung von Kindern oder auch im Kontakt mit sich selbst. Man verhält sich vermeintlich oder tatsächlich und aus gutem Grund angemessen, obwohl man sich anders fühlt, das heißt, man kann seine Gefühle teilweise oder ganz verstecken. Wenn dies jemand dauerhaft und in hohem Maße tut, gilt er als gefühllos. Tatsächlich ist er seine Gefühle nicht los, sondern er hat sie so gut vor sich selbst versteckt, dass er keinen Zugang mehr zu ihnen hat. Somit steht ihm die Ressource Beziehung nur noch begrenzt zur Verfügung.

Am anderen Pol wird man von seinen Gefühlen so überwältigt, dass einem die Steuerungsfähigkeit abhandenkommt. Mit Ausnahme von intimen oder besonders ergreifenden Erlebnissen werden Gefühlsüberflutungen von einem selbst oder von anderen als eher unangenehm erlebt. Die Kontrolle darüber ist sehr unterschiedlich ausgeprägt und Menschen, die hier ein geringes Maß an Kontrolle besitzen, leiten daraus gerne ab, dass man seine Gefühle besser »wegsperrt ohne Wasser und Brot« (so das Originalzitat einer Klientin). Entsprechend dem Staudammeffekt brechen sie dann, in einem womöglich unpassenden Moment, umso heftiger wieder hervor, wodurch oftmals gerade das Kernbedürfnis Beziehung verlorengeht.

Das Herzzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es mit den beiden anderen Zentren kooperiert. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn man sich in seinen Gefühlen orientiert und ihnen einen adäquaten Raum lässt.

1.2.2Kopf – Sicherheit

Das Kopfzentrum ist für das Aufnehmen, das Verwalten und auch das Rekapitulieren kognitiver Informationen zuständig. Deren Verarbeitung erfolgt über Vorstellungen, die dabei helfen sollen, Orientierung und Überblick zu bekommen. Deshalb ist es ganz natürlich und auch notwendig, dass man projiziert, entsprechend einem Projektor, der ein Bild an die Wand wirft. Ohne Projektion ist es z. B. nicht möglich, an die Zukunft zu denken. Dafür nutzt man automatisch und unwillkürlich Informationen aus der Gegenwart oder der Vergangenheit. Wenn Vorstellungen einigermaßen kongruent mit dem Erleben sind, dann fühlt man sich orientiert und es entsteht das, was das Kopfzentrum unablässig sucht: Sicherheit. Aber auch noch so zutreffende Vorstellungen sind höchstens ähnlich dem, was dann tatsächlich erlebt wird. Und wenn die Realität ganz anders aussieht oder ein Realitätsabgleich nicht möglich ist, dann verliert man den Überblick und es entsteht automatisch Unsicherheit.

Das pure Abwägen von Zahlen, Daten, Fakten oder dem Für und Wider in einer Entscheidungsfrage ist oft eher quälend und bringt dann nicht das gewünschte Ergebnis. Das Bezugssystem bleibt auch bei vermeintlich rationalen Entscheidungen unser gesamtes Erleben. Die Kognition kann einem lediglich Orientierung verschaffen, und sie wird als Entscheidungsinstrument meist erheblich überschätzt. Ich möchte hier etwas provozierend sagen: Die Idee, man könne rein rationale Entscheidungen treffen, ist höchst irrational.

Die Kopfpole: Zu wenig versus zu viel Vorstellung

Beim Kopfzentrum wird besonders deutlich, dass durch die Fixierung auf das Kernbedürfnis – hier Sicherheit – gerade dieses verloren gehen kann, ähnlich dem Wertequadrat Schulz von Thuns (1989), demzufolge das Übertreiben eines Wertes zu einem Mangel wird. Wenn etwa diverse innere Stimmen unterschiedliche Interessen haben und so ein innerpsychischer Konflikt entsteht, dann wünscht man sich mehr Orientierung und Überblick. Im günstigen Falle entsteht ein integrativer Prozess und die inneren Anteile können sich auf eine Position einigen. Im anderen Fall erzeugt der Kopf einen steten Strom immer wieder ähnlicher Gedanken. Er kann damit nicht mehr aufhören und verliert zunehmend das, was er so dringend sucht: Sicherheit.

Am anderen Pol können einem die eigenen Fühl-, Denk- und Verhaltensprogramme (Ciompi 1997) eine Orientierung suggerieren, die scheinbar keiner weiteren Überlegungen bedarf. So kann auch das Vermeiden von Vorstellungen das Kernbedürfnis Sicherheit beeinträchtigen.

Das Kopfzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es die beiden anderen Zentren mit in der Wahrnehmung hat. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn man Handlungsimpulse und Gefühle ernst nimmt und die eigene Begrenztheit immer im Blick hat.

1.2.3Bauch – Autonomie

Im Bauchzentrum geht es um Grenzen, Abstand wahren, seinen Platz einnehmen, zusammengefasst: um Raum, mithin Handlungsspielraum. Mit diesem Begriff ist all das ausgedrückt, was »Autonomie« meint. Denn Handlungsspielraum braucht es, um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können. Naturgemäß ist das Kernbedürfnis Autonomie dem Verstand und dem Bewusstsein nicht immer direkt zugänglich.

Um eine Ahnung davon zu bekommen, stelle man sich einen überfüllten Bus oder Zug vor: Viele Menschen fühlen sich in einer solchen Situation eingeengt und manche berichten, dass sie ungeachtet der Luftqualität kaum atmen können, es wird also nicht nur eng im Außen, sondern der eingeschränkte Handlungsspielraum erzeugt auch Enge im Körper. Das erleben diese Menschen als reale Bedrohung ihrer Autonomie.

 

Wenn man von einer reinen Bauchentscheidung spricht, die man getroffen habe, meint man damit lediglich, dass es für diese Entscheidung keine wirkliche (bewusste) Begründung gab. Wenn es gut ausgeht, dann hat der Bauch »instinktiv richtig« gehandelt. Wenn es nicht so gut ausgeht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bauch ignoriert hat, was das Herz fühlte und was der Kopf dachte. Handlung entsteht durch spontane Impulse und diese kommen aus dem Bauchzentrum. Noch für die überlegteste und abgewogenste Handlung, wie und wo auch immer sie vorbereitet und beeinflusst wird, braucht es am Ende einen Entscheidungsimpuls. Wenn man versucht, Handlungen im Herz- oder Kopfzentrum zu generieren, gerät man unweigerlich ins Stocken.

Die Bauchpole: Gelähmte versus unkontrollierte Impulse

Wenn Spontaneität verloren geht, erscheint es einem nicht mehr möglich, eine autonome Entscheidung zu fällen. Manchmal wird man von sich selbst überrascht, wenn dann doch die schon erwähnte reine Bauchentscheidung greift. Aber meist übernimmt entweder der Kopf und rattert unentwegt auf der Suche nach Sicherheit oder das Herz, indem es auf parafunktionalen Gefühlen (Bohne 2010a) beharrt, oder gleich beide zusammen. Die sich im Bauch weiterhin anbahnenden Impulse werden nun als zu risikoreich eingeschätzt mit der Folge, dass sie entwertet oder zumindest rationalisiert werden. So haben sie nicht mehr genügend Raum, die Autonomie geht verloren und sie erlahmen. Dies kann punktuell vorkommen, so wie zum Beispiel fast jedem das Phänomen Prokrastination (Aufschieberitis) bekannt ist. Doch Menschen, die dauerhaft unter gelähmten Impulsen leiden, werden von sich selbst und ihrer Umwelt als zäh und langwierig empfunden. Sie sind keine guten Entscheidungsträger, denn es dauert einfach zu lange, bis sie zu einem fassbaren Ergebnis kommen. Das Kernbedürfnis Autonomie steht nur begrenzt als Ressource zur Verfügung.

Das Bauchzentrum agiert jedoch von Natur aus unwillkürlich und schnell. Manchmal so schnell, dass ein Impuls sich der Kontrolle entzieht, und damit befindet man sich am anderen Pol. Jeder kann dort mal hingeraten, z. B. wenn er jemanden ungewollt anschreit. Sehr impulsive Menschen bewegen sich häufiger in die Richtung dieses Pols und werden von daher als relativ unberechenbar erlebt.

Mangelhafte Impulskontrolle kann aber auch das Gegenteil von Autonomie erzeugen: Wer nicht an sich halten kann und dem Chef unverblümt »die Meinung geigt«, dem kann fristlos gekündigt werden. Was sich im ersten Moment vielleicht wie ein Befreiungsschlag anfühlt, endet womöglich in einer nur noch größeren Abhängigkeit, sei es der des Arbeitsmarktes oder von der Agentur für Arbeit. Oder er findet sich auf einer neuen Arbeitsstelle wieder, bei der er sich noch weit mehr unterordnen muss als vorher. Womöglich, weil er sich abermals impulsiv entschieden hat, ohne die anderen beiden Zentren ausreichend mit einzubeziehen.

Das Bauchzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es auch den beiden anderen Zentren Raum zugesteht und von deren ganz eigener Kompetenz profitieren kann. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn es ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kooperation und kognitiver Leistung gibt.

1.2.4Die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivation

Ich betrachte die Kernbedürfnisse als intrinsische Motivatoren. Sie können mangelhaft repräsentiert sein, aber sie entstehen nicht aus einem Mangel heraus, sondern sind ursprüngliche Kräfte, die uns unwillkürlich mehr oder minder unbewusst antreiben. In uns allen ist ein autonomes Selbst angelegt. Wir alle leben in Beziehung mit anderen. Wir alle brauchen Orientierung und Sicherheit. So gesehen sind die Kernbedürfnisse die drei Quellen, aus denen sich der strukturelle Raum der Psyche bildet und zugleich gespeist wird.

Die folgenden Beispiele sollen veranschaulichen, wie die Kernbedürfnisse im alltäglichen Miteinander andauernd vorhanden sind. Es kann spannend und aufschlussreich sein, sich ihre ständigen Wechselwirkungen auch bewusst zu erschließen.

(Im Folgenden: A = Autonomie, B = Beziehung, S = Sicherheit)

a) Peter und Petra treffen sich

Peter und Petra sind alte Schulfreunde. Sie haben sich lange nicht gesehen und sind am Bahnhof verabredet. Petra kommt mit dem Zug, er wartet in der Eingangshalle. Petra sieht ihn und geht noch »ganz schnell« zur Abfahrtstafel, um zu schauen, wann der letzte Zug zurückfährt (S). Peter ist irritiert, dass sie ihn nicht zuerst begrüßt (B). Als sie auf ihn zukommt, meint er etwas schnippisch: »Du kannst es wohl nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen«, er ist – wenn auch leicht – verletzt (B). Bei Petra entsteht Unsicherheit und sie fragt sich, warum Peter so »komisch« sei (S+B), trotzdem will sie ihn umarmen (B). Peter ist dabei etwas reserviert, für ihn ist ihr Verhalten jetzt etwas zu aufdringlich (A). Petra denkt: »Hat der sich aber verändert seit dem letzten Mal!« (Projektion: Sie möchte sich auskennen [S]). Sie weiß nicht recht, wie sie jetzt reagieren soll (A+S+B).

Es ist vorstellbar, dass diese klitzekleine Anfangssequenz Folgen für die weitere Beziehung hat, weil beide nicht wissen, was genau passiert ist.

b) Im Seminar

Genau diese Geschichte erzähle ich in einem Seminar. Kurz darauf ist Pause und eine Teilnehmerin kommt auf mich zu, während ich gerade dabei bin, am Laptop die nächsten Folien zu überprüfen (S). Während sie mich anspricht, schaue ich auf die Leinwand, worauf sie sagt: »Ich sehe schon, dass interessiert dich nicht« (B). Ich schaue zu ihr und sage: »Ich habe nur noch eine Folie gesucht« (S), aber da ist sie schon weg (A). Jetzt bin ich genervt: »Sieht die denn nicht, was ich gerade tue?! (B) Soll ich sofort parat stehen?!« (A). Ich gehe ihr nach und wir können im klärenden Gespräch über unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen lachen (B+S).

c) Wohnungsfinanzierung

Vor einiger Zeit habe ich zwecks einer Wohnungsfinanzierung ein Darlehen aufgenommen. Seither habe ich eine Lieblingsbank: Von Anfang an kann man entsprechend dem eigenen Bedarf das jeweils auftretende Kernbedürfnis stillen.

Autonomie:

Die Identitätsprüfung erfolgt via Skype, für mich entspricht das meinem Bedürfnis nach Handlungsspielraum, weil ich nicht auf der Post anstehen muss für die Ausweiskontrolle. Technisch gibt es ausreichend Möglichkeiten, Dokumente zu scannen und hochzuladen, ich kann also jederzeit das Nötige selbst tun.

Beziehung:

Bei Bedarf kann man anrufen und es steht jedes Mal eine sehr freundliche und kompetente Person zur Verfügung, die einem geduldig den Sachverhalt erklärt und Sätze sagt wie: »Das sind auch schwierige Begriffe, das verstehe ich, dass Sie da Unterstützung brauchen.«

Sicherheit:

Die Vertragsunterlagen sind übersichtlich und transparent gestaltet. Durch die gute technologische Unterstützung sehe ich jederzeit, inwieweit sie vollständig sind oder was noch fehlt. Die ganze Angelegenheit wird sehr zügig abgewickelt, ich bin stets orientiert über den Bearbeitungsstand und weiß, wie lange was dauern wird.

d) Der Nadeldrucker im Fokus der drei Kernbedürfnisse

Tag 1 – Die Teammitglieder

Beim Coaching mit dem 18-köpfigen Team einer großen Arztpraxis werden Brennpunktthemen gesammelt und auf Moderationskarten geschrieben. Diese sollen dann an der Pinnwand triadisch verortet werden, entsprechend den Kernbedürfnissen, die vorher natürlich erklärt wurden.

Ein Thema ist der alte Nadeldrucker, der interessanterweise in allen drei Bereichen angepinnt wird. Für die jeweiligen Teilnehmerinnen ist tatsächlich je ein anderes Kernbedürfnis betroffen:

Autonomie:

»Der stresst mich, weil er so laut ist. Man kann nicht in Ruhe arbeiten.«

Beziehung:

»Wir monieren den Drucker seit Langem immer wieder und die Chefs reagieren einfach nicht. Denen ist es einfach egal, mit welchen steinzeitlichen Maschinen wir hier arbeiten müssen.«

Sicherheit:

»Das Ding ist störanfällig und wir haben keinen passenden Kundendienst mehr für das Gerät. Mich stresst schon jetzt die Vorstellung, dass er mal wieder nicht geht.«

Drei unterschiedliche Perspektiven auf einen Drucker und damit natürlich auch unterschiedliche Werte, die im Vordergrund stehen. Es entsteht ein reger Austausch zwischen den Teammitgliedern, weil sie es spannend finden, wie das, wovon jemand selbstverständlich ausgeht, für den Nächsten ganz anders sein kann. Und weil sie erkennen, dass man den anderen zuvor eben nicht verstanden hat, wächst die Motivation und Fähigkeit des zirkulären Nachfragens untereinander. Die Kernbedürfnisse als ein Ordnungsprinzip zu nutzen, hilft ihnen, besser zu verstehen, wie anders der andere tickt.

Tag 2 – Die Chefs

Am nächsten Tag kommen die Praxisinhaber zum Teamcoaching und können an der Pinnwand die Moderationskarten lesen. Bisher ist der Nadeldrucker für sie ein unbedeutendes Sachthema gewesen und sie betrachten ihn als ein technisches Detail. Nachdem sie sehen, dass beim Praxisteam alle drei Kernbedürfnisse betroffen sind, erkennen sie die Wichtigkeit des Themas. Die Entscheidung, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, wird dann sehr zeitnah umgesetzt.

Übung: die Wahrnehmung von Bauch – Herz – Kopf

Für die Übung brauchen Sie sich nicht anzustrengen oder zu konzentrieren, es reicht die Vorstellung, dass das jeweilige Zentrum Augen habe. Es ist sehr hilfreich, diese Übung im Stehen oder Gehen durchzuführen und nicht im Sitzen. Bevor Sie mit Ihrer Wahrnehmung von einem Zentrum ins nächste wechseln, sollten Sie einen Platzwechsel vornehmen. Lassen Sie sich von sich selbst überraschen: Was verändert sich konkret, wenn Sie ganz bewusst und explizit versuchen, aus nur einem der drei Zentren wahrzunehmen?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Bauch: Geben Sie sich etwas Zeit. Wie nehmen Sie den Raum um Sie herum wahr? Wie erleben Sie sich selbst, wenn Sie ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung im Bauch sind? Wie ist Ihr Raumgefühl?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ins Herz (den Brustbereich): Wie sind Sie in Beziehung zu anderen Lebewesen, den Möbeln und Gegenständen im Raum? Wer oder was zieht Ihre Aufmerksamkeit auf sich? Wie nehmen Sie sich selbst wahr? Wie ist Ihre Beziehung zum Raum?

Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Kopf: Was genau und wie nehmen Sie wahr? Sehen Sie mehr oder weniger Details? Wohin geht Ihr Blick? Wie orientieren Sie sich im Raum? Haben Sie ausreichend Überblick?

Machen Sie, wenn Sie möchten, mehrere Durchgänge und hören Sie bei dem Zentrum auf, das (im Moment) am angenehmsten ist.

Übung: Spurensuche

Man neigt allgemein dazu, Inhalte zu beschreiben, das, was man erlebt hat, und dass es eben eher positiv oder eher negativ war. Oder man regt sich über andere auf bzw. lobt sie.

Bei der Übung geht es um die Suche nach dem zugrunde liegenden Kernbedürfnis. Vielleicht gibt es auch eine Präferenz in Ihrem Leben, sodass eines der drei Kernbedürfnisse für Sie einen besonderen Stellenwert hat.

Jetzt lade ich Sie ein, zwei Situationen in Ihrem Leben näher zu untersuchen. Zunächst eine unangenehme, schwierige und im zweiten Durchgang eine angenehme, positive Situation:

Wenn Sie jetzt an diese Situation denken, sich einfühlen, Ihren Körper wahrnehmen:

Was ist unangenehm/angenehm daran? Welches Kernbedürfnis war zuerst betroffen?

Einfach bei dieser Frage bleiben.

Natürlich darf man sich einfach ärgern oder freuen, aber spannend ist auch die triadische Reflexion, weil sie hilft, in einen Selbstklärungsprozess einzusteigen. Wenn man für sich geklärt hat, was triadisch gesehen bei einem abgelaufen ist, dann entsteht mehr Verständnis für die Gesamtsituation und man kann sich besser positionieren. So wächst der Raum der Möglichkeiten im Sinne von besserer Beziehung, mehr Überblick und größerem Handlungsspielraum.

 

Übung: Reflexion der drei Kernbedürfnisse im eigenen Leben

Vergegenwärtigen Sie sich die drei Begriffe: Autonomie, Beziehung, Sicherheit. Was meinen Sie, wie sehr diese drei zentralen Aspekte in Ihrem Leben aktiviert und integriert sind?

Wieder ist es hilfreich, zuerst mit der Aufmerksamkeit in den Körper zu gehen: Wenn Sie während der Reflexion Reaktionen aus Ihrem Körper wahrnehmen, ist das unterstützend.

1. Stellen Sie sich die Beziehung zu Ihrem Partner, einem Ihrer Kinder oder zu einer anderen nahestehenden Person vor.

Wie würden Sie die Beziehung zu dieser Person anhand der Triade einschätzen?

Autonomie: Hat jeder genügend Freiraum für sich?

Beziehung: Wie gut sind Sie in Kontakt miteinander? Sind Ihre Gefühle füreinander überwiegend positiv?

Sicherheit: Wissen Sie immer, woran Sie mit dem anderen sind und er mit Ihnen? Können Sie sich aufeinander verlassen?

Wie viel von welchem Kernbedürfnis bieten Sie an?

Wo würden Sie selbst gerne mehr oder auch weniger bekommen?

2. Denken Sie an Ihre Arbeit oder an das Unternehmen, in dem Sie tätig sind (auch als Hausmann/-frau). Was meinen Sie, wie stark die drei Kernbedürfnisse in Ihrem Arbeitsleben repräsentiert sind?

Sicherheit: Ist ausreichend Überblick und Orientierung vorhanden, was Ihren Arbeitsplatz, die Arbeitsplatzbeschreibung, Abläufe, Handlungsanweisungen, Richtlinien betrifft? Gibt es womöglich eine Überforderung?

Autonomie: Wie sieht es mit Handlungsspielräumen aus, der persönlichen Freiheit, Gestaltungsmöglichkeiten, selbstständigem Arbeiten?

Beziehung: Wie ist das Verhältnis unter Kollegen, im Team, zum Chef oder Vorgesetzten? Welchen Wert stellt das Betriebsklima dar? Wie ist der kollegiale Austausch?

Inwieweit ist einer der Bereiche durch die jeweils anderen beiden beeinflusst? Natürlich wirken immer alle drei Bereiche zusammen, aber wenn man sie separat und in ihrer Wechselwirkung betrachtet, wird einem oft klar, wo die Quellen für Schwierigkeiten oder Wohlergehen liegen.