Das triadische Prinzip

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1.3Die Begehung der Triade

Bei der Aktivierung der drei Zentren stehen die somatischen Marker im Zentrum. Durch die Aufteilung in Bauch, Herz und Kopf erfolgt eine Strukturierung, die diese Marker auf spezifische Weise erlebbar werden lässt.

»Die Hypothese der somatischen Marker geht von folgender Annahme aus: Gefühle markieren bestimmte Aspekte einer Situation oder bestimmte Ergebnisse möglicher Handlungen. Das Gefühl nimmt diese Markierung entweder offen vor, etwa als ›Bauchgefühl‹, als instinktives Empfinden, oder verdeckt mittels Signalen, die unterhalb der Bewußtseinsschwelle empfangen werden« (Damasio 2004, Pos. 159 f.).

1.3.1Die Aufstellung

Drei Bodenanker (Scheiben) in möglichst neutraler Farbe werden am Boden als Dreieck gelegt. Sie repräsentieren die Triade von Bauch, Herz und Kopf eines Menschen. Dieser stellt sich nacheinander auf die Scheiben und richtet seine Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in das entsprechende Zentrum. Es wird auf der Scheibe gestartet, die den Bauch repräsentiert. Das nächste Zentrum, welches aktiviert wird, ist Herz, dann folgt Kopf. Man dreht sich nicht im Kreis, sondern man geht im Dreieck. Der Gang durch die Triade bietet eine Orientierung darüber, wie zugänglich die jeweiligen Ressourcen sind. Der erste Schritt im Prozess ist es, eine Unterschiedlichkeit festzustellen. Erlebt jemand, dass die Wahrnehmung in den Zentren verschieden ist, so ist in aller Regel sein Interesse für die Triadenarbeit geweckt. Und erst recht, wenn er überrascht ist, wie zuverlässig der Körper seinen momentanen Zustand ausdrücken kann, und oft noch ziemlich präzise. Meist kommt die Person während der Begehung zu einer realistischeren Einschätzung dieses Zustands, oder er wird ihr überhaupt erst bewusst.

Eine Belastung betrifft selten alle drei Zentren, zumindest nicht gleich stark, und oft gibt es nur an einem Zentrum etwas zu tun. Dann erfährt man schon mal die gute Nachricht, dass nicht der ganze Körper/Mensch betroffen ist, sondern nur ein Drittel. Liegt nur eine geringe Belastung vor, egal in wie vielen Zentren, dann tritt im Allgemeinen alleine durch die Begehung eine Besserung ein. Ansonsten stehen die mit dem triadischen Prinzip entwickelten spezifischen Tools oder die darin integrierbaren anderen Methoden zur Verfügung.

Vorher können die Menschen nicht wissen, was bei einer Triaden-Begehung auf sie zukommt. Das ist logisch, da sie sie ja noch nicht erlebt haben und alles, was sie sich vorzustellen versuchen, nur eine Projektion sein kann. Deshalb möchte ich Sie jetzt einladen, es einfach auszuprobieren:

Übung: Bestandsaufnahme in der Triade

Ziel der Übung ist es, die Unterschiedlichkeit der Zentren zu erleben und Veränderungen im Körper wahrzunehmen. Ihr Körper ist eingeladen, autonom zu reagieren. Daher sollten Sie einfach nur rumstehen, also nicht intervenieren, sich nicht konzentrieren, keine Meditationstechniken oder Ähnliches anwenden. Lassen Sie sich von Ihrem Körper überraschen. Die Augen bleiben geöffnet, das unterstützt die autonome Körperreaktion, Augen schließen wäre schon ein Eingriff. Alles ist eingeladen, sich auszudrücken. Nichts wird geordnet oder gedeutet. Sie erfahren mehr über sich, wenn Sie nicht vorschnell interpretieren, sondern die Informationen, die Sie von Ihrem Körper erhalten, einfach sammeln. Sollte eine innere Stimme skeptisch sein oder Sorgen haben, weil sie nicht weiß, was auf Sie zukommt, dann laden Sie diese Stimme dazu ein, erst mal eine Erfahrung zu machen und nach der Übung das Geschehene zu reflektieren.

Sie legen drei Scheiben (Blätter/Moderationskarten) in Form eines Dreiecks auf den Boden. Sie definieren zuerst, welche Position Bauch repräsentiert (nicht beschriften, keine Zeichen). Dann folgen im Uhrzeigersinn die Position für Herz und schließlich die für Kopf.

Starten Sie mit dem Bauchzentrum: Sie stellen sich auf die entsprechende Position, lassen die Augen offen und richten Ihre Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in den Bauch. Wie nehmen Sie Ihren ganzen Körper wahr?

Sie gehen weiter auf der gedachten Linie zum nächsten Zentrum.

Herz:

Nun richten Sie ihre Wahrnehmung und Aufmerksamkeit ins Herz. Wie nehmen Sie Ihren ganzen Körper wahr? Auch hier wird wieder alles gesammelt, was sich bemerkbar macht.

Sie gehen weiter auf der gedachten Linie zum nächsten Zentrum.

Kopf:

Nun richten Sie Ihre Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in den Kopf. Wie nehmen Sie Ihren ganzen Körper wahr? Auch hier wird wieder alles gesammelt, was sich bemerkbar macht.

Sie gehen weiter zum Bauchzentrum für eine zweite Runde. Hier geht es darum, ob sich etwas verändert hat gegenüber der ersten Runde. Sie richten Ihre Wahrnehmung und Aufmerksamkeit wieder in das Bauchzentrum: Hat sich hier etwas verändert im Vergleich zum letzten Mal an dieser Stelle? Wieder wird nur gesammelt, dann folgen Herz und schließlich Kopf.

Sie können noch eine dritte Runde gehen und dabei innerlich Ihre Zentren fragen, welche Rolle diese in Ihrem Leben spielen.

Wie reagieren Ihr Bauch, Ihr Herz und Ihr Kopf körperlich, wenn sie die Frage hören?

Sind die Zentren auskunftsfreudig, kann in einer vierten Runde die Frage anschließen, wie Bauch, Herz und Kopf jeweils zu den beiden anderen stehen bzw. ob sie diese überhaupt kennen.

Für den Ausstieg aus der Triade gehen Sie zu dem Zentrum, das Sie als größte Ressource erleben.

Zusammenfassung:

1. Sie starten bei Bauch, im Uhrzeigersinn folgen Herz und dann Kopf.

2. Sie gehen mit der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in das jeweilige Zentrum, die Augen bleiben geöffnet.

3. Sie nehmen Ihre Körperempfindungen im ganzen Körper wahr. Sie sammeln nur und interpretieren nichts.

4. Erster Durchgang: Fokus auf Unterschiede in den Zentren. Zweiter Durchgang: Fokus auf Veränderungen im Vergleich zum ersten Durchgang.

5. Frage an die Zentren, welche Rolle sie spielen (dritter Durchgang).

6. Frage nach dem Verhältnis zueinander/der Kenntnis voneinander.

7. Ausstieg bei der stärksten Ressource.

1.3.2Die Flow-Richtung

Schon bei den ersten Experimenten mit dem neuen Aufstellungsformat wurde deutlich, dass bei der Begehung des Dreiecks die Richtung eine große Rolle spielt. Intuitiv begann ich mit der Reihenfolge Bauch–Herz–Kopf, und zwar im Uhrzeigersinn (siehe Abb. 5). Damit machte ich gute Erfahrungen in unterschiedlichen Beratungs- und Therapiesettings. Auffallend war vor allem, dass viele Klienten, die sich auf eine noch als Experiment etikettierte Begehung einließen, hinterher ein verändertes Embodiment hatten, ohne dass überhaupt eine Intervention erfolgte.

Ich vermied es instinktiv, in die andere Richtung zu gehen, alleine den Gedanken empfand ich als unangenehm. Aber das war noch nicht Grund genug für mich, diese Option sofort zu verwerfen, vielleicht würde es ja auch dafür eine Indikation geben. Bald wurde ich eines Besseren belehrt:

Abb. 5: Die Flowrichtung

Bei einem Aufstellungs-Seminar mit ca. 20 Personen hatte ich die Gelegenheit, mit der ganzen Gruppe durch die Triade zu gehen. Am Boden wurde ein großes Dreieck markiert und wir gingen zunächst zwei Runden in der bewährten Richtung. Übereinstimmend berichteten die Teilnehmer, dass sie in der Gruppe die Zentren noch intensiver wahrnehmen konnten und allein das Begehen der Triade die Wahrnehmung und Empfindung für den eigenen Körper in einem positiven Sinn intensivierte. Dann wurden sie gebeten, in die Gegenrichtung zu gehen, also vom Bauch zum Kopf zum Herz zum Bauch.

Schon bei der ersten Station, vom Bauch zum Kopf, gab es deutliche Befindlichkeitsstörungen und spätestens nach dem ersten Durchgang brach mehr als die Hälfte der Teilnehmer die Aufstellung ab wegen Schwindel, Übelkeit, Druck im Kopf und ähnlichen Körperreaktionen. Einige wollten, obwohl sie schon betroffen waren, aus Neugier und Interesse noch eine zweite Runde gehen. Die Folge war, dass sie sich nach mehreren Stunden am Ende des Seminartages noch nicht ganz und gar erholt hatten.

Im Lauf der Jahre gab es immer wieder Seminarteilnehmer, die das gegenläufige Begehen der Triade austesten wollten. Einzeln reagierte nicht jeder mit Körpersymptomen, aber alle berichteten von einer Verringerung der Wahrnehmung des eigenen Körpers/der Gefühle/der Umgebung bis hin dazu, »ganz abgestellt« zu sein. Hingegen habe ich noch nie erlebt, dass die Gegenläufigkeit zu einer Überflutung mit Gefühlen führte.

Es gab also ein Phänomen und keine Erklärung dazu.

Wir wandten uns als Institut mit dieser Frage an diverse Experten aus den Bereichen Medizin/Neurologie und Biologie. Sie wurde mit großem Interesse aufgenommen, aber der aktuelle Forschungsstand scheint eine profunde Antwort noch nicht herzugeben.

Während der ersten ca. 10 Jahre, in denen ich mit der Triade arbeitete, setzte ich ein paar wenige Male die Effekte der Gegenläufigkeit ein. Zum Beispiel hatte ein Klient unmittelbar vor einem wichtigen Gespräch mit seinem Chef ein Coaching gebucht. Er befürchtete zu Recht unerwünschte Gefühlsausbrüche und zog es vor, mittels Gegenläufigkeit in der Triade seine Gefühlskanäle ganz abzudrehen. Meist war solch eine Arbeit mit anschließenden Kopfschmerzen oder zumindest Kopfdruck verbunden. Heute biete ich das nur noch Klienten an, von denen ich den Eindruck habe, dass sie psychisch sowieso in der Gegenrichtung unterwegs sind. Also den Bauch nicht spüren und dann im Kopf nachdenken. So haben sie die Möglichkeit, die Erfahrung zu machen, dass dies meist mit einer Verringerung des Wohlbefindens einhergeht, sei es durch den erwähnten Kopfdruck oder anderweitige Körpersymptome oder eine abnehmende Wahrnehmung des Körpers. Nur sehr selten spürt jemand keinen Unterschied.

 

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es sehr empfehlenswert ist, die Triade in der richtigen Reihenfolge und im Uhrzeigersinn zu begehen. Allein durch die Begehung, also ohne überhaupt zu intervenieren, kann in aller Regel ein größeres Wohlbefinden erzeugt werden.

2Minimalinvasive Psychologie

»Es lohnt sich, geduldig zu beobachten, was in der Seele im Stillen geschieht, und es geschieht das Meiste und Beste, wenn es nicht von außen und oben hineinreglementiert wird. Ich gestehe es gerne: Ich habe eine solche Hochachtung vor dem, was in der menschlichen Seele geschieht, dass ich mich scheuen würde, das stille Walten der Natur durch täppische Zugriffe zu stören und zu entstellen« (Jung 2001b, S. 203).

Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten sich mit Freud, Jung, Adler, Reich etc. große Schulen der Psychotherapie. Mit der Erforschung des Unbewussten sowie der Erfindung und Erprobung von für psychische Störungen geeigneten Heilverfahren entwickelte sich das, was sich als Psychotherapie nach und nach in unserer Gesellschaft etabliert hat.

Die Krankenkassen gehen seit jeher davon aus, dass eine wirksame Behandlung psychischer Probleme lange dauert. Zugleich ist die Begrenzung der einzelnen Sitzungen auf 50 Minuten eine zeitliche Herausforderung für den Therapeuten und vor allem auch für den Klienten. Er soll während dieser Zeitspanne in einen psychischen Prozess finden, diesen produktiv weiterführen und schließlich sinnvoll ausklingen lassen.

Bisher gelten die Verhaltenstherapie sowie psychoanalytische Verfahren als anerkannte Psychotherapieverfahren. Seit Ende 2018 sind die Weichen gestellt für die Aufnahme der systemischen Therapie als weiteres Richtlinienverfahren. Viele Psychotherapeuten haben jedoch viel mehr in ihrem Methodenkoffer zur Verfügung als die bisher von den Kassen zugelassenen Verfahren.

Seit den 1970er-Jahren haben neue Ansätze frischen Wind in das Therapiegeschehen gebracht. Ganz wesentliche neue Impulse gab es durch die lösungsfokussierte Kurzzeittherapie von Steve de Shazer (1989). Die konsequente Orientierung weg vom Problem und hin zur Lösung brachte eine ganz andere Sichtweise von Psychotherapie mit sich. Es wurde immer mehr darauf vertraut, dass auch die Psyche über ein hohes Maß an Selbstheilungskräften verfügt.

Mit der zunehmenden Entwicklung systemischer Methoden entstanden neue und vielversprechende Konzepte. Körperresonanz, Embodiment und inhaltliche Abstinenz sind einige der Begriffe, die mich hier besonders interessierten. Diese komplexitätsreduzierenden Faktoren in Kombination mit dem minimalistischen Aufstellungsformat des triadischen Prinzips führten mich zu dem, was ich heute minimalinvasive Psychologie nenne.

Der Begriff minimalinvasiv stammt aus der chirurgischen Medizin. Er steht für punktgenaue Eingriffe, bei denen der ganze Körper weitestgehend geschont wird, und er steht für das geringstmögliche Risiko der Kontamination.

Die minimalinvasive Vorgehensweise auf Psychotherapie, Coaching und Beratung zu übertragen, klingt vielleicht etwas konstruiert. Doch wenn man sich vorstellt, dass die Psyche eines Menschen ein hochkomplexes und naturgemäß zu weiten Teilen nur begrenzt verstehbares Ökosystem darstellt, dann bietet dieser Begriff für Interventionen einen hilfreichen Rahmen.

Denn das Eingreifen in ein bestehendes Ökosystem birgt immer ein Kontaminationsrisiko. Egal mit welchen Methoden wir als Behandler/Begleiter arbeiten, die Gefahr ist immer gegeben, dass wir von außen unwillkürlich etwas in den Prozess bringen, das der Psyche des Klienten nicht dienlich ist oder sogar kontraproduktiv wirken kann. Das ist kein Problem, solange die psychische Immunabwehr stabil genug ist, um nicht hilfreiche, unpassende oder gar schädliche Einflüsse abwehren zu können. Ob das der Fall ist, können wir aber nicht immer zuverlässig wissen. Dazu kommt, dass die Psyche – so wie es auch beim Körper der Fall ist – nach Eingriffen eine Ruhezeit braucht für die Reorganisation.

Die Idee der minimalinvasiven Psychologie setzt auf die drei fundamentalen Ressourcen/Werte Autonomie, Beziehung und Sicherheit. Wenn diese zur Verfügung stehen, dann ist das psychische Immunsystem maximal gestärkt und fremde Inhalte sowie Infektionen aus dem Familiensystem etc. können automatisch besser abgewehrt werden.

Die folgenden Überlegungen und Konzepte sollen die Idee einer minimalinvasiven Vorgehensweise unterstützen und ihre Vorteile erhellen. Der Grundpfeiler der Betrachtungen ist die fortwährende Konzentration auf das Körpergeschehen.

2.1Rationalität als Fata Morgana

»Mangel an Gefühlen kann eine genauso wichtige Ursache für irrationales Verhalten sein« (Damasio 2004, Pos. 1191 f.).

Das, was wir als rational bezeichnen oder als eine überlegte Entscheidung ansehen, wird aus viel mehr Quellen gespeist, als uns meist bewusst ist. Wir empfinden aber subjektiv, wenn wir mal so richtig fokussiert nachdenken, dass wir einem stringenten Ablauf in unserem Kopf folgen.

Oft wird in Beratungssettings dem Kopf eine tragende Rolle zugeschrieben, weil er vermeintlich die sicherste Strategie hat, um etwas umzusetzen. Dabei versucht der Kopf, mit Nachdenken und mit Vorstellungskraft die beiden anderen Kernbedürfnisse von Beziehung und Autonomie selbst zu generieren. Ein heiß gelaufener Kopf ist ja hoch aktiv und wird dann womöglich noch als produktiv empfunden, obwohl es tatsächlich keinen oder nur verhältnismäßig wenig Output gibt oder so viel Output, dass man darin die Orientierung verliert.

Die Rationalisierung ist die »Mutter« aller Abwehren, weil wir uns am Ende alles irgendwie meinen erklären zu können. Aber für Gefühle ist nun mal das Herz zuständig und für Impulse der Bauch. Bei vielen Menschen hat der Kopf ein erhöhtes Risiko, die irrationalste Instanz zu sein, gerade weil er unbedingt ein Ergebnis braucht. Das Kernbedürfnis Sicherheit erzeugt fortwährend den Wunsch, sich auszukennen, und deshalb ist der Kopf auch ein Spezialist für Bedeutungszuschreibungen. Solche Gedanken finden unwillkürlich statt und dann folgt auf diese natürlich eine Schlussfolgerung. Ein Beispiel:

Man ist auf einer Wanderung und merkt, dass man schon länger keine Wanderzeichen mehr gesehen hat. Jetzt möchte man herausfinden, wo man sich befindet, ob man noch auf dem richtigen Weg ist, und schaut auf die Wanderkarte. Um sich zu orientieren, definiert man, wo man vermeintlich steht (in Zeiten vor Google Maps und Standortbestimmung). Ausgehend von dieser Bestimmung läuft man weiter auf dem Weg und hat einen Plan, wo es jetzt langgeht. Wenn dann die Karte irgendwann nicht mehr zur Wirklichkeit passt, kommt die Rationalisierung um die Ecke und erklärt, dass der Plan o. k. war, dass aber die Umstände sich geändert haben (»der Weg ist zugewachsen«, »ein neuer Weg wurde gebaut«, »es sind nicht alle Wege eingezeichnet«, gerne werden Höhenlinien für Wege gehalten etc.).

Wie schnell wir andauernd Zusammenhänge konstruieren, ist uns meist nicht bewusst. Hinzu kommt, dass die Erinnerung immer eine Gedächtnisleistung ist, auf die der Kopf angewiesen ist, um seine Berechnungen durchzuführen, was für die Zukunft das Sinnvollste ist. Sinnvoll in dem Sinne, dass für ihn (subjektiv) Orientierung, Überblick und Sicherheit entstehen.

Die rationalen Überlegungen des Kopfes gründen auf Vorstellungen aus der Vergangenheit oder über die Zukunft. Und ähnlich einer Fata Morgana kann das Vorstellungsvermögen jedes Szenario erschaffen. Ein vermehrtes Bewusstsein für diese Vorgänge lässt beim Kunden auch die Bereitschaft wachsen, sich auf eine Entdeckungsreise bezüglich der anderen beiden Zentren zu begeben. Denn die Vorstellung, dass der Kopf gemäß dem triadischen Prinzip tatsächlich nur 1/3 der Gesamt-Ressource ausmacht, erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit, und dem will der Kopf naturgemäß entgegenwirken.

2.1.1Alltagsillusionen

Chabris und Simons (2011) benennen in ihrem Buch Der unsichtbare Gorilla sechs Alltagsillusionen:

•Aufmerksamkeit

•Gedächtnis

•Selbstvertrauen

•Wissen

•Möglichkeiten

•Ursache und Wirkung

Sie schreiben über die Hartnäckigkeit der Alltagsillusionen:

»Selbst wenn wir wissen, dass wir mit unseren Überzeugungen und Intuitionen danebenliegen, verschwinden sie deshalb noch nicht. Wir nennen sie Alltags-Illusionen, weil sie unser Verhalten buchstäblich jeden Tag bestimmen« (Chabris u. Simons 2011, Pos. 108 f.).

»Manchmal nehmen wir nämlich auch dort Muster wahr, wo es keine gibt. […] Jedes Muster, das wir wahrnehmen, ob es wirklich existiert oder nicht, interpretieren wir nur zu leicht als Ergebnis eines ursächlichen Zusammenhangs. […] Die Ursachen-Illusion tritt auf, wenn wir in Zufälligkeiten Muster hineinsehen, und Muster sehen wir am ehesten, wenn wir zu verstehen glauben, was sie verursacht« (Chabris u. Simons 2011, Pos. 3090 f.).

Da wir uns alle dem nicht entziehen können und es ja auch durchaus sinnvoll ist, Muster zu erkennen, sollten wir zumindest ein partielles Bewusstsein dafür haben, dass das Bedürfnis, verstehen zu wollen und aus vermeintlich vorhandenen Mustern Bedeutung zu kreieren, auch in Beratung und Therapie ein gewisses Risiko beinhaltet.

Zwei der sechs aufgeführten Illusionen möchte ich hier kurz vorstellen und kommentieren:

a) Die Illusion über Ursache und Wirkung

»Korrelationen, lehrt die Statistik, haben nichts mit Kausalität zu tun. Das heißt: Wenn zwei Messgrößen sich irgendwie parallel entwickeln, dann heißt das noch lange nicht, dass die eine die Ursache für die andere ist. Der Zusammenhang kann rein zufällig sein, oder es kann eine verborgene dritte Größe dahinterstecken. […] Wenn viel Speiseeis verkauft wird, ertrinken mehr Kinder – nicht aufgrund des Eiskonsums, sondern weil in heißen Sommern mehr Eis gegessen wird und gleichzeitig die Kinder mehr schwimmen gehen.«2

Oft kann man nicht wissen, ob man die Eis-Ertrinken-Korrelation hergestellt hat, weil man z. B. den Faktor »Warmes Wetter – Baden« nicht kannte und/oder nicht berücksichtigt hat.

Ein weiteres Beispiel ist die Pest mit ihren Ursachenzuschreibungen: Im 14. Jahrhundert hat sie wohl ein Drittel aller Europäer »dahingerafft«, was eine Vielzahl an Deutungen/Erklärungen bezüglich der Ursachen mit sich brachte, um sich irgendwie zu orientieren: schlechte Winde, die Strafe Gottes, vergiftetes Wasser, »die Juden« etc. Die Pest wurde folglich u. a. mit dem Verbrennen von Kräutern, Aderlass, Geißelung und Niederbrennen von jüdischen Gemeinden »bekämpft«.3

So wie die Idee eines Pestbakteriums nicht existierte und deshalb ein anderer Zusammenhang entstehen musste, so kann man getrost davon ausgehen, dass einem immer wieder ein wesentlicher Teil an Information fehlt, der Verstand das aber nicht wissen kann und also aus dem Vorhandenen seinen kausalen Aberglauben konstruiert.

Jeder Therapeut und Berater kennt diese schnell hergestellten Illusionen von Ursache und Wirkung: Trotz hoher Kompetenz und viel Erfahrung und Wissen tragen die im Prozess aktivierten Inhalte dazu bei, Hypothesen zu bilden.

»Das kommt daher, weil der Vater, die Mutter …« Wenn diese Annahme einmal getroffen ist, wird sie oft nicht mehr infrage gestellt. Damit wird eine Wirklichkeit konstruiert, die zutreffend sein kann oder eben auch nicht.

Dass die Kindheit einen prägt, steht außer Frage. Jedoch mehren die Bedeutungszuschreibungen, die immer weitergeführt werden wie eine ewig wirkende Buchführung mit den entsprechenden Kontierungen, nicht den Raum der Möglichkeiten. Kontierung soll hier heißen: Man hat eine ganze Sammlung von Ereignissen, Begebenheiten und sieht diese als Ursache für gegenwärtige Probleme, Schwierigkeiten oder auch Fähigkeiten und vieles mehr.

 

Die Bemühung um eine gewisse Abstinenz von Inhalten und deren Deutung ist in der Beratung durchaus eine Herausforderung, denn unter Umständen findet der Kunde das unbefriedigend, schließlich wendet er sich an einen Experten und der sollte auch Bescheid wissen. Dann kann man die Illusion von Ursache und Wirkung als Thema in die Beratung mit einbringen und erläutern. Das schafft einerseits eine Atmosphäre von Humor und gleichzeitig ein gewisses Maß an Bewusstsein dafür, dass man sich dieser Illusion nicht entziehen kann.

Was die Hypothesenbildung betrifft, so kann man in der Triadenarbeit austesten, ob ein vermuteter Kontext oder eine angenommene Ursache auch Körperresonanz erzeugt. Man legt dafür einen Bodenanker (eine Scheibe) und prüft, ob eine schnelle, unwillkürliche Resonanz im Körper entsteht. Gibt es keine signifikante Reaktion, dann wird diese Scheibe wieder aus der Aufstellung entfernt, gleichgültig, ob der Klient nichts wahrnimmt, weil er blockiert ist, oder weil es einfach keine Relevanz gibt. Man kann es nicht wissen und muss aufpassen, dass man nicht einer weiteren Hypothesenbildung anheimfällt.

b) Die Unaufmerksamkeitsblindheit

Sehr eindrücklich zeigt diese das Gorilla-Experiment von Simons u. Chabris (Chabris u. Simons 2011):

Die Versuchspersonen schauten sich die Aufnahme eines Basketballspiels an und wurden instruiert, die Ballkontakte einer der Mannschaften zu zählen. Während des Spiels lief ein Mensch in einem Gorillakostüm durchs Bild. Fast die Hälfte der Versuchspersonen nahm den Gorilla nicht wahr und zudem bestanden diese meist darauf, dass da kein Gorilla gewesen sei. In anderen Versuchen wurde mittels Eye-Tracker (Augenverfolger) nachgewiesen, dass sowohl die Gorilla-Wahrnehmenden als auch die Gorilla-Überseher den Gorilla ca. eine Sekunde lang angesehen hatten.

Die Autoren beeindruckte besonders, wie überrascht die Probanden waren, als sie den Film nochmals sahen. Nicht wenige unterstellten den Versuchsleitern, dass es nicht der gleiche Film sei.

Chabris und Simons erläutern in vielen anschaulichen Beispielen, dass Kompetenz und Erfahrung vor dieser Art von Blindheit nicht schützen können, vor allem wenn es um Unerwartetes geht. Sie beschreiben bei ihrem Gorilla-Experiment, dass der Hinweis, es würde etwas Unerwartetes geschehen, ausreichte, dass alle Probanden den Gorilla sahen.

»Für das menschliche Gehirn ist Aufmerksamkeit im Wesentlichen ein Nullsummenspiel: Wenn wir einem Ort, Objekt oder Ereignis größere Aufmerksamkeit zuwenden, bleibt für andere zwangsläufig weniger übrig. Unaufmerksamkeits-Blindheit ist daher ein notwendiges, wenn auch unerwünschtes Nebenprodukt der normalen Funktion von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung« (Chabris u. Simons 2011, Pos. 851 f.).

Analog dazu besteht ein gewisses Risiko, dass sowohl Berater als auch Klient fixiert sind auf ein bestimmtes Geschehen und währenddessen ein »Scheunentor« übersehen. In der Triadenarbeit liegt der Fokus automatisch auf dem Unerwarteten: Ohne vorher zu wissen, was der Körper alles zu sagen hat, wird die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf das jeweilige Zentrum gerichtet. Mit den schnellen, unwillkürlichen Reaktionen geschieht dann das Unerwartete.