Loe raamatut: «Texturen 2021»

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Gabriele Gäbelein (Hrsg.)

Texturen 2021

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Editorial

Der Dicke bin ich - Annett Fürste

Always look on the bright side - Nina Lischke

METAPHERN - Michael Stief

Autorinnen und Autoren

Impressum neobooks

Editorial

Jetzt ist es endlich passiert! Schon seit Jahren leite ich Schreibwerkstätten, in denen Mitwirkende nach einem Impuls Texte und Geschichten verfassen. Teilnehmende freuen sie sich darauf Gleichgesinnte zu treffen und sich über eigene Texte auszutauschen. Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis zu sehen, wie viele unterschiedliche Texte auf einen Impuls hin entstehen. So sind wahrscheinlich hunderte Geschichten und Geschichtsanfänge entstanden. Die meisten sind verborgen in Kladden, Heften, auf einzelnen Blättern oder vielleicht auf irgendeiner Festplatte abgespeichert.

Das soll jetzt anders werden. Texturen von Schreibkultur.Online will nun zumindest einem Teil der Texte Gelegenheit geben von anderen gelesen zu werden. Auch wenn nicht alle Geschichten ihren Weg an die Öffentlichkeit finden, ihn manchmal auch gar nicht finden sollen, dann wird dieser kleine Teil die Oberfläche sein, unter der noch viel mehr verborgen ist.

Diejenigen, die hier ihre Geschichten veröffentlichen, sind keine professionellen Schreiber oder Schreiberinnen im eigentlichen Sinn. Oder vielleicht sind sie es nur noch nicht. Sie haben Spaß am Schreiben. Schreiben ist ihr Hobby oder eins ihrer Hobbys. Was sie teilweise nicht davon abhält den Traum von einem eigenen Buch nicht nur zu träumen, sondern auch umzusetzen.

Soweit der Vorrede.

Schon jetzt freue ich mich auf die Geschichten, die in 2022 entstehen werden.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen dieser kleinen Auswahl an unterschiedlichen Texten.

Herzliche Grüße


Der Dicke bin ich - Annett Fürste


Man muss Reserven haben. Wenn man krank ist, muss man Reserven haben. Das war der Lieblingsspruch meiner Mutter. Okay, Reserven hatte ich reichlich. Ich war nur nie krank.

Dass ich nicht ganz so aussehe wie andere, fiel mir lange nicht auf. In meiner Familie waren alle, auch die entferntesten Verwandten, im wahrsten Sinne rundum glücklich. Alle Babys der Grundmanndynastie wurden Wonneproppen genannt und bis ins Erwachsenenalter hieß man bei uns „Knackwurscht“. Auf allen Familienfotos lächeln rotwangige runde Gesichter in die Kamera.

Wäre ich mit sechs etwas weiter für mein Alter gewesen, hätte ich vielleicht schon früher gewusst, dass Oberarme nicht zwangsläufig eine Wulst über dem Ellenbogen bilden müssen.

„Warum hat die Tante so wenig Haut?“ Meine jüngere Schwester Silke zeigte mit ihrem Finger auf den Fernseher. Jetzt war ich als großer Bruder gefordert. Ich ließ Silke wissen, dass die Menschen im Fernsehen keine echten Menschen sind. Was ja auch gar nicht ginge, denn dafür wäre der Kasten ja viel zu klein. An den Film kann ich mich nicht erinnern, aber an die schmalgesichtige Protagonistin. Offensichtlich war nicht genügend Haut da, um unterzubringen, was zu einer Knackwurscht gehört. Ich erklärte das damals mir und vor allem meiner Schwester dadurch, dass ja in so einer Sendung oft nicht nur einer, sondern viele auftauchen. Würde man die aussehen lassen wie ganz echte Menschen, wäre es einfach zu eng im Fernseher. Ein halbes Jahr später widerlegte Bud Spencer zwar meine Theorie, aber Silke hatte das Interesse an der Klärung dieser Frage verloren.

Als geborene „Knackwurscht“ hatte ich die schönste Kindheit. Wirklich! Meine Jahre zu Hause waren voll mit weichen Umarmungen. Vielleicht lässt die Liebe die Pölsterchen gedeihen? Jeder Kuss ein Pfund? Ach, mir war das egal. Ich war glücklich.

Die Idylle zerbrach erst, als ich mit meiner Zuckertüte im Arm meinen mir zugewiesenen Platz in der Schulbank einnehmen wollte. „Neben dem Fettwanst will ich nicht sitzen!“ Gregor verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Strichmund, nachdem er den Satz ausgestoßen hatte. Der Fettwanst, das sollte ich sein, und der Rest der Klasse lachte. Gregor war zwei Köpfe kleiner, aber eben auch zwei Gregors dünner als ich. Mit der Bemerkung, dass es tatsächlich ein wenig eng werden könnte, bekam ich eine Bank für mich ganz allein. Fräulein Pigorsch jedenfalls – meine Klassenlehrerin über vier Jahre – verpasste mir damit mein erstes traumatisches Erlebnis. Bis heute habe ich ihr das nicht verziehen. Das letzte Mal sah ich Fräulein Pigorsch zum Jahrgangstreffen meiner Schule und nickte ihr nur von weitem grüßend zu. Fräulein Pigorsch ist immer noch eine Frau mit sehr wenig Haut und immer noch Fräulein, was meine These über die Liebe irgendwie bestätigt.

Tasuta katkend on lõppenud.