Seewölfe - Piraten der Weltmeere 11

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 11
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-149-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail:info@vpm.de

1.

Kurz vor achtzehn Uhr setzte die Ebbe ein und drehte die Hecks der beiden englischen Galeonen „Marygold“ und „Isabella“, die in der Mündung des Blackwater ankerten, seewärts.

Die „Marygold“, das Schiff Francis Drakes, die etwa dreißig Yards von der „Isabella“ entfernt lag, begann ein paar Sekunden früher herumzuschwingen, und ihr aufragendes Heck glittgefährlich nahe ander Bordwand der „Isabella“ vorbei.

„Holt das Ruder quer!“ schrie Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der „Isabella“, zu den Wachen auf dem Achterkastell der „Marygold“ hinüber.

„Paß lieber auf, daß dir dein großes Maul nicht ausfranst!“ rief einer der Männer herüber.

Ferris Tucker murmelte etwas, das mit Abstammung und Moral der Mutter des Mannes zu tun hatte und wäre beinahe glücklich gewesen, wenn die „Marygold“ wirklich ihr Ruder abgebrochen hätte.

Philip Hasard Killigrew grinste seinen Schiffszimmermann schadenfroh an. Er mochte den Riesen mit den roten Haaren und den harten Fäusten, und er wußte sehr gut, daß man ein Rauhbein wie Ferris Tucker brauchte, um die Männer der „Isabella“ in Trab zu halten. Aber dennoch freute er sich, wenn dem guten Tucker mal jemand über den Schnabel fuhr.

„Achte darauf, daß die Männer nicht einschlafen“, sagte er zu Ferris Tucker und lehnte sich an das Schanzkleid des Achterkastells.

„Aye, aye.“ Der Riese stieg den Niedergang hinunter, und Sekunden später hörte Hasard seine aufmunternde Stimme über das Hauptdeck schallen.

Philip Hasard Killigrew, den seine Männer, seine Freunde und seine Gegner respektvoll den „Seewolf“ nannten, blickte auf das Hauptdeck, auf dem Soldaten und Seeleute in voller Kampfbereitschaft hinter den Schanzkleidern hockten. Seit fast einer Woche hatten diese Männer gewacht und gekämpft, seit ihrer Ankunft in der Dungarvanbai im Südosten Irlands.

Francis Drake und sein Verband von drei Galeonen hatten den Auftrag gehabt, Waffen- und Munitionslager der aufständischen Iren aufzuspüren und zu vernichten. Und sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. Zwei Waffenlager der Iren in den Drum Hills hatte man entdeckt und in die Luft gesprengt. Ferner waren insgesamt acht Karavellen und zwei spanische Kriegsgaleonen in harten Seegefechten beziehungsweise durch Entern vernichtet worden.

Ein voller Erfolg also. Doch auf der Minusseite standen die Opfer der Kämpfe. Von den einhundertfünfzig Soldaten für das Landunternehmen waren einhundertsechsundzwanzig gefallen oder schwer verwundet. Ganze vierundzwanzig Mann waren übriggeblieben. Und die beiden Schiffe saßen in der engen Mündung des Blackwater in einer Falle der Iren und Spanier. Es war mehr als zweifelhaft, ob sie noch einmal entkommen würden.

Sie würden eine gehörige Portion Glück dazu brauchen, erkannte Hasard, und er hatte das Gefühl, daß sie bei diesem Unternehmen ihre Ration an Glück schon mehr als aufgebraucht hatten.

Er beugte sich über die Balustrade und starrte in das rasch ablaufende Wasser. Die Flut hatte den Blackwater aufgestaut, und mit Einsetzen der Ebbe floß das dunkle Wasser, von dem der Fluß seinen Namen hatte, immer rascher ab.

Aber noch nicht genug, um die heimtückische Sperre zu erkennen, mit denen die Iren sie hier festhielten. Nicht der kleinste Wirbel im dunklen Wasser verriet die Stelle, an der sie eine Barriere aus Kähnen und Fischerbooten errichtet hatten. Während die beiden englischen Schiffe und ihre Besatzungen weiter flußaufwärts damit beschäftigt gewesen waren, eine übriggebliebene spanische Galeone zu erledigen, hatten die Iren die mit Steinen vollbepackten Kähne in die Mündung geschleppt und dort versenkt.

Es war ein Glück, daß bei der Fahrt stromab zur Mündung des Blackwater die scharfen Augen Dan O’Flynns gerade noch rechtzeitig den weißen Schaumstreifen entdeckt hatten, der von der Unterwasserbarriere aufgeworfen wurde. Knapp dreißig Yards vor dem tödlichen Hindernis hatte der Anker die „Isabella“ festgehalten. Und Drakes „Marygold“, die etwas langsamer reagiert hatte, schwoite jetzt ganze zehn Yards vor dem künstlichen Riff an ihrem Buganker.

„Dan!“ rief Hasard zum Mars hinauf.

„Ist was?“ krähte die freche Stimme des fünfzehnjährigen Dan O’Flynn von oben.

„Das sollst du mir sagen, du Rotznase. Schon was von den Kähnen zu se hen?“

„Keine Spur. Die haben sich genauso verkrochen wie die Iren und die Dons.“ Dan steckte mitten im Stimmbruch, und seine Stimme wußte nicht, ob sie noch im knabenhaften Sopran oder schon im männlichen Bariton reagieren sollte.

„Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen, Dan. Halte die Augen offen.“

Die absolute Stille gefiel ihm nicht. Er trat von der Balustrade zurück und blickte sich nach allen Seiten um. Es war eine kühle, fast windstille Dezembernacht. Helles Mondlicht beleuchtete die felsigen, von Kieferngebüschen und kahlen Sträuchern bestandenen Ufer. Eine knappe Meile flußabwärts sah er die kleine Hafenstadt Youghal liegen. Fast unbeleuchtet und auch sie totenstill wie die dichtbewachsenen Ufer des Blackwater. Nicht einmal ein Hund bellte, selbst die Nachtvögel schwiegen.

„Es ist, als. ob alles den Atem anhält“, ließ eine Stimme hinter ihm seine eigenen Gedanken laut werden. Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“, lehnte an einer der beiden Drehbassen des Achterkastells und hob schnuppernd die Nase in den leichten Ostwind, als ob er eine Gefahr riechen könne. „Und die verdammte Warterei ist das Schlimmste.“

Hasard nickte schweigend und schlug dem alten Gefährten vieler Schlachten auf die Schulter. Ja, er hatte recht, es gab nichts Schlimmeres, als tatenlos warten zu müssen und dabei ständig das Gefühl zu haben, daß überall im Dunkeln unsichtbare Augen auf sie starrten, jede Bewegung verfolgten und auf eine Gelegenheit warteten, anzugreifen.

„Killigrew!“ hörte er einen Ruf vom Achterkastell der „Marygold“, die schräg Steuerbord achteraus vor ihnen ankerte.

Er wandte sich um und sah die Silhouette Kapitän Drakes an der Backbordbalustrade stehen. Der gefürchtete Privateer der englischen Königin, den die Spanier fast ehrfurchtsvoll „El Draque“, den Drachen, nannten, wirkte klein und fast unscheinbar in dem diffusen Licht.

„Sir?“ Der Seewolf legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief mit mäßiger Lautstärke, die gerade ausreichte, um auf der dreißig Yards entfernten „Marygold“ noch verstanden zu werden, keinesfalls aber bis zu den Ufern trug.

„Ich denke, daß wir gegen zehn Uhr anfangen können!“ rief Drake in der gleichen Lautstärke. „Um Mitternacht haben wir Niedrigwasser. Aber ich glaube, daß wir schon zwei Stunden vorher sehen können, wo das Zeug liegt.“

„Aye, aye, Sir“, sagte Hasard.

„Wir“ war gut. Die Arbeit würde der „Isabella“ ganz allein zufallen. Drakes Schiff war so nahe an die Sperre herangelaufen, daß sie im toten Winkel ihrer Geschütze lag. Aber das dachte er nur.

„Wie sieht es bei Ihnen mit Kugeln und Pulver aus?“ rief Drake.

„Es wird reichen“, antwortete Hasard und warf einen raschen Blick auf die Pulverfässer und Stapel von Eisenkugeln, die neben den beiden Drehbassen bereitstanden. Die Kämpfe gegen die spanischen Karavellen undder Beschuß von Dungarvan hatten große Löcher in die Bestände gefressen. Aber es würde reichen. Es mußte einfach reichen.

„Dann viel Glück – uns allen.“ Francis Drake hob grüßend die Hand und trat von der Balustrade zurück.

Viel Glück! In dieser Lage klang der Wunsch fast ironisch. Weil es gar nicht so viel Glück gab, wie sie brauchen würden, um diese Falle aufzuknacken.

Die Iren hatten alle verfügbaren Kräfte am Blackwater zusammengezogen, und was sich vonden versenkten spanischen Schiffen an Land gerettet hatte, war zu den Rebellen gestoßen. Es mußten mindestens fünfhundert Mann sein, schätzte Hasard, vielleicht sogar mehr, erheblich mehr, die dort irgendwo im Dunkel lauerten.

Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren.

Als er niemanden erkennen konnte, griff er unwillkürlich an dem Degen.

„Trinken, Sir?“ sagte eine Stimme, und ein weißes Gebiß blitzte aus dem Dunkel.

Batuti, der riesige Gambia-Neger, hatte im Dunkel wirklich eine Tarnfarbe. Vielleicht war das ein Grund, warum er Nachtkämpfe so besonders reizvoll fand. Womit nicht gesagt werden soll, daß er etwas gegen Kämpfe bei Tageslicht hatte.

„Danke, Batuti.“ Hasard nahm dem Neger den dampfenden Zinnbecher aus der Hand. Und erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, wie kalt es war, obwohl hier an der Südostküste Irlands auch im Dezember relativ laue Temperaturen herrschten. Aber eben relativ.

Er nahm einen langen Schluck von dem heißen Getränk und spürte, wie es feurig wärmend in seinen Magen rann. Es war Whisky, verdünnt mit heißem Wasser.

„Wo hast du den Whisky her, du schwarzer Hundesohn?“

Die weißen Zähne blitzten in einem breiten Grinsen. „Pures Glück, Sir. Ich gehen vorbei an Kombüse, denken, muß was Heißes holen für armen, frierenden Seewolf und sehe, Kutscher steht gerade an Schanzkleid und bewässert Fische. Ich denken, Kutscher da und Whiskyfaß hier, das ist Fügung Gottes. Wäre doch Sünde, wenn man nicht schnell …“

„Demnächst wird Gott verfügen, daß ich dir dein schwarzes Fell über die Ohren ziehe“, sagte Hasard und nahm genüßlich einen zweiten Schluck. „Da ist doch mindestens zur Hälfte Whisky drin.“

„Hälfte und noch bißchen.“ Batuti grinste fröhlich. „Kapitän starker Mann, braucht starkes Getränk, denkt Batuti.“

 

„Batuti sollte das Denken lieber lassen, es könnte gefährlich werden für seinen schwarzen Hintern“, sagte Hasard. Und dann, ernst: „Haben die Männer schon ihren Tee gehabt?“

„Kutscher will ihn gerade ausgeben. Sowie fertig mit Fischbewässern, denke ich.“

„Dann sag ihm, er soll den Männern auch einen gehörigen Schuß Whisky hineinkippen, klar?“

„Aye, aye, Sir. Sofort, Sir.“ Er jumpte schon den Niedergang hinab.

„Moment, Batuti!“ rief Hasard ihm nach. „Ich sagte, einen gehörigen Schuß, Einzahl – nicht Mehrzahl, verstanden?“

„Verstanden, Sir. Einzahl.“

Hasard blickte ihm nach, als er über das Hauptdeck zur Kombüse lief. Er sah die Männer an beiden Seiten hinter dem Schanzkleid hocken, in Decken und Mäntel gewickelt, die Musketen neben sich. Ab und zu wurde das Mondlicht von Metall reflektiert, von einem Helm, der Klinge eines Säbels oder eines Entermessers. Wenn nur endlich etwas passierte!

„Schaumstreifen Backbord voraus!“ schrie prompt Dan O’Flynn aus dem Mars.

Hasard mußte den Kieker zu Hilfe nehmen, um das schwache Branden des ablaufenden Wassers zu erkennen. Und auch jetzt sah er nur ein leichtes Kräuseln auf der Oberfläche, wo die scharfen Augen des Jungen schon Schaumstreifen erkannten.

Diese Veränderung der Wasseroberfläche begann ziemlich nahe am Ufer der knapp hundert Yards breiten Flußmündung, wahrscheinlich an der äußersten Grenze der Fahrrinne. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Borde der Schiffe sichtbar wurden, die direkt vor ihnen in der Mitte des Flußbettes lagen. Aber immerhin, es war ein erstes Zeichen. Bald würde es soweit sein, daß sie endlich wieder handeln konnten – in weniger als einer Stunde, schätzte Hasard.

Wieder wanderte sein Blick zu den beiden Flußufern. Wenn er nur wüßte, was die Iren vorhatten. Aber das würde sich wohl bald herausstellen.

Eine halbe Stunde später tauchten die Dollborde der in Ufernähe liegenden Kähne aus dem Wasser, und in der Mitte der Fahrrinne markierte weißschäumende Gischt die Lage der Sperre.

Al Conroy, der Geschützführer der „Isabella“, beugte sich etwas durch eine offene Stückpforte vor und starrte zu dem immer deutlicher werdenden Gischtstreifen hinüber. Auch hier, auf dem Geschützdeck der Galeone, war seit Stunden volle Gefechtsbereitschaft. Die Männer hockten oder standen bei den sechs Vierpfündern, deren Mündungen auf die beiden Ufer gerichtet waren. Glimmende Lunten befanden sich neben den Kanonen, mehrere Pulverfässer und über hundert Rundkugeln waren bereitgestellt.

Aber wahrscheinlich würden sie heute nacht nicht einen einzigen Schuß abfeuern, überlegte der dunkelhaarige, untersetzte Mann mißmutig. Auf die Sperren konnten nur die beiden Drehbassen des Achterkastells eingesetzt werden. Die Iren schienen sich verkrochen zu haben, so unwahrscheinlich das auch sein mochte. Aber vielleicht war es besser so. Er hatte kurz vor Dunkelwerden die Bestände kontrolliert. Pulver war noch reichlich da, aber die Kugeln gingen zur Neige.

Jetzt zeichnete sich deutlich ein dunkler Schatten in dem Gischtstreifen ab, die Bordwand des Schiffes, das die Mitte der Fahrrinne blockierte.

Al Conroy trat von der Stückpforte zurück, strich im Vorbeigehen mit seiner schwieligen Hand über das Bronzerohr der Kanone und sagte: „Ich gehe nach achtern. Du übernimmst hier inzwischen das Kommando, Schwede. Nur schießen, wenn es wirklich notwendig ist. Und seht zu, daß ihr trefft.“

„In Ordnung, Al.“ Der blonde Stenmark, ein hellhäutiger Riese, der wie ein direkter Nachfahre der Wikinger wirkte, nickte Al Conroy zu.

Conroy stieg zum Hauptdeck hinauf, ging an den Männern vorbei, die mit schußbereiten Musketen hinter dem Schanzkleid lagen, und kletterte auf das Achterkastell.

„Schiff voraus jetzt gut zwei Fuß aus dem Wasser!“ hörte er Dan O’Flynn aus dem Mars rufen. „Scheint ein Fischerboot zu sein!“

„Es war mal eins, wenn wir damit fertig sind!“ rief Ferris Tucker zurück und richtete seine Drehbasse auf den dunklen Streifen der Bordwand, die von weißem Gischt umbrandet wurde.

Al Conroy trat zu der zweiten Drehbasse, hinter der Hasard stand.

„Laß mich das tun, Hasard“, sagte er ruhig.

Der Seewolf funkelte ihn an. „Meinst du, daß du besser schießt als ich?“

Al Conroy kannte und liebte seine Waffen wie lebende Wesen, und Batuti hatte einmal behauptet, Al könnte einer Fliege das Auge herausschießen.

„Ich meine nur, daß die Iren zurückschießen werden“, sagte er ruhig, „vor allem auf die Männer an den Drehbassen.“

Hasard zögerte ein paar Sekunden. Dann sah er ein, daß Al Conroy recht hatte. Er war der Kapitän der „Isabella“ und hatte die Pflicht, sie aus dieser Falle herauszubringen. Und das schaffte er nicht, wenn er hier den Helden spielte. Außerdem, wie gesagt, war Al Conroy wirklich ein hervorragender Schütze.

Schweigend trat er zurück. Al Conroy überzeugte sich, daß der Dreipfünder geladen war. Er wußte, daß er geladen war, aber Conroy gehörte zu den Männern, die nichts glaubten, wovon sie sich nicht selbst überzeugt hatten.

Er blies das glimmende Ende der Lunte an, die neben dem Geschütz am Schanzkleid hing, und richtete sich auf.

„Fertig, Sir.“

Philip Hasard Killigrew nickte und blickte wieder zum Bordrand des versenkten Schiffes hinüber, das genau vor ihnen in der Mitte der Fahrrinne lag. Er sah, daß sich hier der meiste Gischt entwickelte. An dieser Stelle drückte der Ebbstrom also am stärksten gegen die Sperre, hier war ihr schwächster Punkt.

Er rief Al Conroy und Ferris Tucker zu: „Nehmt den Kahn in der Mitte auseinander! Feuer!“

Fast gleichzeitig drückten Conroy und Tucker die glimmenden Lunten auf die Pulverpfannen ihrer Waffen. Dröhnend wurden die schweren Eisenkugeln aus den Rohren geschleudert und schlugen dicht nebeneinander in die Bordwand des versenkten Kahns ein.

„Wir arbeiten von der Mitte nach außen!“ rief Al Conroy Tucker zu. „Du nach links, ich nach rechts.“

Conroy hatte seine Drehbasse als erster wieder feuerbereit. Der Schuß dröhnte, und die Kugel riß breite Holzfetzen aus der Bordwand des versenkten Fischerbootes, dicht neben der Bresche, die seine erste Kugel hineingeschlagen hatte.

Kurz darauf krachte auch wieder Tuckers Kanone, und auch sein Schuß lag gut, wenn auch nicht so genau wie der von Al Conroy.

„Ein Jammer, daß ich nicht ein paar Breitseiten mit den Vierpfündern ’reinfetzen kann!“ rief Conroy, als er wieder nachlud. „Dann könnten wir richtig aufräumen!“

„Sei nicht so vergnügungssüchtig!“ rief Ferris Tucker zurück. „Wir haben doch Zeit.“

Hatten sie nicht. Die Iren lagen zu beiden Seiten der Sperre an den Ufern, hinter Felsen und Gebüschen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie längst losgeschlagen. Sie hatten einen gesunden Haß auf die Engländer entwickelt, schließlich ging es hier um ihr Land und ihre Freiheit.

Nur mühsam war es den Spaniern gelungen, daß sie noch abwarteten. Sie hatten sich auch noch zurückgehalten, als die ersten vier, fünf Kugeln der Drehbassen in die Bordwand des versenkten Fischerbootes krachten. Aber als der zehnte Schuß Conroys den Hecksteven traf und die Reste der Bordwand vom Ebbstrom fortgerissen wurden, war ihre Geduld endgültig vorbei.

Al Conroys Ohren dröhnten noch vom letzten Abschußknall, es war der neunte oder zehnte, soweit er sich erinnern konnte, als er plötzlich einen wilden Fluch vom rechten Ufer hörte. Fast gleichzeitig knallte ein Musketenschuß.

Die Kugel strich dicht über seinen Kopf weg und schlug in den Besanmast. Unwillkürlich hatten er und die anderen Männer auf dem Achterkastell die Köpfe eingezogen. Das war ihr Glück. Denn in der nächsten Sekunde krachte es von beiden Seiten. Wie böse Wespen surrten an die hundert Kugeln über sie weg.

„Geduckt laden!“ rief Hasard den beiden Kanonieren zu. „Erst unmittelbar vor dem Feuern aufrichten!“

Er hätte sich diesen Befehl sparen können. Keiner der beiden Männer hörte ihn, weil im selben Moment das Abwehrfeuer der beiden Galeonen einsetzte.

2.

Die beiden Schiffe wurden zu schwimmenden Festungen, zu feuerspeienden Burgen, die nach beiden Seiten tödliches Blei spuckten.

Philip Hasard Killigrew stand geduckt hinter dem Schanzkleid, eine Pistole in der Hand, und wartete, bis es drüben wieder aufblitzte. Eine winzige Korrektur, und dann krachte sein Schuß. Ein Aufschrei am Ufer verriet ihm, daß er getroffen hatte.

Wieder einer weniger, dachte er grimmig, als er sich hinter die dicke Holzwand duckte und seine Waffe nachlud. Er hatte noch eine zweite Pistole im Gürtel, gebrauchte sie aber nicht. Der Seewolf hatte gelernt, daß es gut ist, für alle Fälle immer noch eine kleine Reserve zu haben.

Er füllte Pulver in den Lauf, stopfte es mit einem Pfropfen fest, stieß eine Kugel nach und richtete sich wieder auf.

Befriedigt sah er das stetige Aufblitzen der Mündungsfeuer von den Bordwänden der beiden Galeonen. Ein Glück, daß Drake so weit vorgelaufen ist, überlegte er, sonst würden wir uns jetzt gegenseitig im Weg liegen. Hat doch eben alles sein Gutes, dachte er, und drückte wieder ab.

Als er sich wieder aufrichtete, um nach einem Mündungsfeuer zu suchen, zischte etwas dicht an seinem Gesicht vorbei und fuhr mit einem trockenen, harten Aufschlag in das gegenüberliegende Schanzkleid. Hasard fuhr herum und sah den zitternden Schaft eines Pfeils im Holz stecken.

„Achtung! Pfeilschützen!“ rief er zur Kuhl hinunter.

„Auf Pfeilschützen achten!“ schrie Ben Brighton lauter als Hasard.

Aber die Warnung erfolgte zu spät. Dicht neben sich hörte er einen leisen Aufschrei. Lewis Pattern ließ seine Muskete fallen und umklammerte mit beiden Händen den Pfeilschaft, der aus seiner rechten Brustseite ragte.

„Kutscher!“ brüllte Ben Brighton. „Kutscher! Wo steckt dieser Affenarsch schon wieder?“ Wütend richtete er sich auf. „Kutscher!“

Er nahm den Kopf hastig wieder weg, als eine Kugel ihm fast einen zweiten Scheitel zog.

Lewis Pattern war zusammengesackt. Sein Gesicht war verzerrt, ein dünner Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel. Seine Hände zitterten und umklammerten den Pfeilschaft so fest, als ob er mit ihm sein Leben festhalten wollte.

„Kutscher!“ brüllte Ben Brighton noch einmal und noch lauter.

„Was schreist du denn so?“ Ein mittelgroßer, fast schmalbrüstig wirkender Mann kroch auf Händen und Knien über das Deck.

Ben Brighton deutete mit dem Daumen auf Lewis Pattern. „Arbeit für dich. Und wenn du Saftsack noch einmal so lange bummelst, wenn man dich ruft.“

Der Rest seiner Ansprache ging in einem ohrenbetäubenden Krachen unter. Die sechs Vierpfünder der „Isabella“ feuerten gleichzeitig. Das Deck vibrierte wie bei einer harten Kreuzsee.

„Das ging ins Volle!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Mars.

Tatsächlich, die unerwartete Kanonade schien den Iren und Dons die Sprache verschlagen zu haben. Ein paar Sekunden schwieg das Gewehrfeuer von den Ufern.

„Sorgt dafür, daß es so schön still bleibt, Männer!“ rief Ben Brighton den Kämpfenden hinter dem Schanzkleid zu. „Der beste Ire ist ein ruhiger Ire!“

Seine Muskete krachte. Vom Ufer her ertönte ein hohler, kehliger Schrei.

„Einer mehr von der ruhigen Sorte“, murmelte er befriedigt.

Der Kutscher kniete neben dem verwundeten Lewis Pattern und tastete vorsichtig über dessen Rücken.

„Das Ding ist fast durch“, sagte er mit dem professionelkühlen Ton, mit dem ein Arzt den Tod eines Kranken feststellt.

Der Kutscher hieß so, weil er einmal diesen Beruf ausgeübt hatte, bei Sir Freemont, einem bekannten Arzt in Plymouth. Und dem hatte er nicht nur einige Kniffe seines Handwerks abgeguckt, sondern auch dessen überlegenes, fast arrogantes Auftreten übernommen.

Und mit Recht, fand er. Schließlich war er etwas Besseres als diese ungehobelten Kerle, die nur fluchen, saufen und raufen konnten.

Seine ungewaschene Hand zog einen Beutel aus rohem Hanf näher, kramte etwas darin herum und holte ein etwa fußlanges Stück Weichholz heraus.

„Hier, beiß da ’rein, wenn es weh tut“, sagte er und schob Lewis Pattern das Holz zwischen die Zähne.

Es mußte schon vielen Männern unter der Behandlung des Kutschers weh getan haben, denn das Holzstück war zerbissen wie ein Knochen, um den sich mehrere Bernhardiner gebalgt hatten.

Er packte den Kopf des Verwundeten, zog ihn etwas von der Bordwand fort und trieb mit einem harten Faustschlag die Pfeilspitze ganz hindurch.

 

Lewis Pattern stieß einen erstickten Schrei aus, und das Holz knirschte zwischen seinen zupackenden Zähnen.

„Wir haben’s gleich, Junge“, sagte der Kutscher tröstend, brach die Stahlspitze des Pfeils ab und riß den hölzernen Schaft aus der Wunde.

„Na also, war doch gar nicht so schlimm“, kopierte er wieder eine Standardredewendung seines früheren Brotherrn Sir Freemont. „Aber anders hätten wir das Ding niemals ’rausgekriegt.“ Er hielt die blutverschmierte Pfeilspitze hoch. „Widerhaken wie eine verdammte Saufeder“, murmelte er kopfschüttelnd. „Diese Iren …“

Er verschluckte den Rest des Satzes, weil eine Kanonenkugel gemeingefährlich über ihre Köpfe wegsauste und auf der Backbordseite eine Handbreit des Schanzkleides mitnahm.

„Sind die Kerle auf der ‚Marygold‘ besoffen?“ schrie er wütend zum Achterkastell hinauf.

„Das war nicht die ‚Marygold‘!“ rief Dan O’Flynn aus dem Mars. „Das war eine von unseren eigenen Kugeln.“

„Das kannst du deiner Großmutter erzählen!“ Der Kutscher fühlte sich ehrlich verschaukelt. „Seit wann schießt denn eine Kanone im Kreis?“

Es war ein Abpraller gewesen. Die Bordwände des versenkten Schiffes waren unter dem präzisen Feuer der beiden Drehbassen zersplittert, und das ablaufende Wasser hatte die Steinladung freigelegt, auf die beide Kanonen jetzt feuerten, um sie zu zerschlagen und so eine Fahrrinne freizuräumen.

Schuß auf Schuß krachte in die Steinbarriere. Zerschlagene Felsstücke wurden emporgewirbelt, Steine rollten zur Seite und versanken klatschend im dunklen Wasser.

Und immer wieder, wenn die schweren Rundkugeln im zu steilen Winkel aufschlugen oder einen besonders schweren Felsbrocken trafen, flogen sie als Abpraller im flachen Bogen über das Wasser, oder sie zerplatzten und streuten ihre Trümmer wie eine Ladung aus gehacktem Blei.

Ein paar Male waren solche Abpraller mitten in den Stellungen der Iren gelandet und hatten noch einen guten Zweck erfüllt, überlegte Hasard Killigrew, als wieder ein Abpraller in flacher Bahn über das Wasser zog, aber dicht vor dem Bug der „Marygold“ einschlug. Wenn sie Pech hatten, konnten sie sich mit den eigenen Geschützen ein paar Löcher in die Bordwand schießen.

„Achtung! Feuer am Ufer! Backbord querab!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Mars.

„Auf Brandpfeile achten!“ rief Hasard zur Kuhl hinunter. „Das Feuer unter Beschuß nehmen!“

Die Feuer, hätte er sagen sollen, denn jetzt flackerten überall am linken Ufer kleine Brände auf.

Und dann zischte der erste Brandpfeil auf die „Isabella“ zu. Die Spitze mit dem ölgetränkten, brennenden Werg bohrte sich dicht neben dem Großmast ins Deck.

Ben Brighton riß ihn heraus und schleuderte ihn außenbords. Dann trampelte er die kleine Flamme aus, die sich in das Holz fressen wollte.

Drei Pfeile gleichzeitig. Einer zischte dicht über die Bordwand weg, einer fuhr durch die offene Geschützpforte aufs Deck, der dritte bohrte sich in das aufgegeite Großsegel. Flammen leckten über die Leinwand, bevor Ben Brighton den Pfeil herausziehen konnte.

„Wasser!“ schrie er, riß die Jacke herunter und schlug mit ihr auf die immer höher züngelnden Flammen ein. „Wasser!“

Irgend jemand schleuderte den Inhalt einer Segeltuchpütz in die Flammen. Aber das brachte nur wenige Sekunden Verzögerung. In dichten, weißen Dampfwolken verdunstete das Wasser. Der auffrischende Wind fachte die Flammen sofort wieder an.

Verzweifelt schlug Ben Brighton mit seiner Jacke auf das Feuer ein, aber kurz darauf brannte auch sie. Fluchend schleuderte er sie an Deck und trampelte die Flammen aus.

Währenddessen flogen immer mehr Brandpfeile auf die beiden Schiffe zu. Auch auf der „Marygold“ flackerten jetzt ein paar kleinere Brände auf.

Besonders gefährlich waren die Treffer in den Bordwänden. Um sie zu löschen, mußte sich jemand außenbords beugen und eine Pütz Wasser gezielt auf den Brand kippen.

Die Iren lauerten nur darauf, daß sich jemand über der Brandstelle zeigte, von den Flammen auch noch gut beleuchtet.

Es war reines Glück, daß sie dabei nur ein paar Streifschüsse erzielten, und wenn es dabei blieb, so war dies allein Blacky zu verdanken, der eine eigene Technik entwickelte. Er tauchte niemals direkt über dem Brandpfeil auf, sondern links oder rechts daneben und erstickte die Flammen mit einem wohlgezielten Wasserschwall.

Ben Brightons Hände waren von Brandblasen bedeckt. Immer wieder griff er in die Flammen und fetzte Stücke der brennenden Leinwand heraus. Aber er wußte, daß es vergebens war. Immer höher fraß sich das Feuer in das aufgegeite Segel, und es war ein Glück, daß Rahe und Mast aus Hartholz waren, sonst stünden sie längst in hellen Flammen.

Ein zweiter Brandpfeil fuhr in das Segeltuch. Mit einem Fluß riß Ben Brighton ihn herhaus und schlug die kleine Flamme mit der flachen Hand aus.

Eine Kugel pfiff dicht über seinen Kopf weg, eine zweite schlug in das brennende Segel und fetzte brennende Leinwand über Deck.

Die verdammten Iren hatten erkannt, daß sie hier eine Bresche geschlagen hatten, die sie nur zu erweitern brauchten.

Der Bootsmann duckte sich unwillkürlich, als drei, vier Kugeln dicht hintereinander über seinen Kopf strichen. Und das rettete ihn vor dem Brandpfeil, der Sekundenbruchteile später dicht unter dem brennenden Segel in den Mast schlug.

„Könnt ihr Hammel denn nicht die paar lausigen Iren in Schach halten!“ brüllte er wütend.

Er tat den Männern unrecht. Wann immer sich bei einem der Feuer ein Schatten zeigte, krachten mehrere Musketen. Es war für die Iren ein tödliches Unternehmen, ihre Brandpfeile anzustecken, besonders, nachdem der Schwede Stenmark und seine Kanoniere alle Feuer bis auf drei mit den Vierpfündern erledigt hatten – jeweils unter Mitnahme mehrerer Iren, wie Stenmark zufrieden feststellte.

„Die Iren verlegen ihre Feuer hinter die Hänge!“ meldete Dan O’Flynn aus dem Mars. „Hier vorn wird es ihnen zu ungemütlich!“

Kurz darauf setzte der Beschuß mit Brandpfeilen wieder ein, noch intensiver als zuvor. Aber er blieb fast wirkungslos. Die Iren schossen hinter der Deckung der Hügelkuppe in steilem Bogen und ohne ihr Ziel sehen zu können. Bis auf einige Zufallstreffer landeten alle Brandpfeile zischend im Wasser.

Ben Brightons Hände bestanden nur noch aus Brandblasen, die schwielige Haut hing stellenweise in Fetzen. Das schlimmste war, daß er keinen Erfolg hatte. Je mehr brennende Fetzen er aus dem Segel riß, desto weiter fraßen sich die Flammen. Es war nur der Mut der Verzweiflung, der ihn stur weitermachen ließ, trotz der Schmerzen in den verbrannten Händen, trotz der Kugeln, die wie wütende Hornissen an seinem Kopf vorbeisummten.

„Komm, laß mich mal, das kann ich besser als du“, sagte jemand hinter ihm und versuchte, ihn zur Seite zu drängen.

Der Bootsmann fuhr herum. „Wenn du dir einbildest, du könntest mir …“

Matt Davies hielt ihm schweigend einen dolchartigen Haken vor das Gesicht. Er saß an der Stelle, an der andere Menschen ihre rechte Hand haben – in einer Lederprothese.

„Das Ding brennt nicht“, sagte er sachlich, schob Ben Brighton aus dem Weg und begann, das brennende Segeltuch in großen Fetzen herunterzureißen.

„Auf die Idee hättest du auch eher verfallen können“, sagte der Bootsmann wütend und trampelte die brennenden Leinenfetzen aus.

„Hättest ja um Hilfe schreien können“, sagte Matt grinsend und schlug seinen eisernen Prothesenhaken wieder in das brennende Segel.

Ben Brighton hielt es für sinnlos, diese Unterhaltung fortzusetzen. Außerdem hatte er wirklich genug damit zu tun, die brennenden Segelfetzen auszutreten. Die verbrannten Hände taten abscheulich weh, merkte er erst jetzt. So beschränkte er sich darauf, ein paar zoologische Bezeichnungen, Matts Abstammung betreffend, vor sich hinzuknurren.

„Wasser her!“ schrie Matt Davies einem Mann zu, der gerade seine Pütz über Bord schwang. Als der herantrabte, riß Davies ihm die Segeltuchpütz aus der Hand und kippte ihren Inhalt über die nur noch glimmenden Reste des Segels.

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