Die Berliner Mauer

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Die Berliner Mauer
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Die Berliner Mauer







Geschichte eines monströsen Bauwerks 1961–1989








Herausgeber:





Michael Schaper



GEO

EPOCHE



Das Magazin für Geschichte



Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg

www.geo-epoche.de



Titelbild: Norbert Michalke/ullstein bild




Liebe Leserin, lieber Leser

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es sind im Herbst 2014 genau 25 Jahre vergangen, seit sich die Berliner Mauer öffnete. Doch trotz der kurzen Zeitspanne erscheint sicher vielen Menschen in Deutschland – und erst recht der seither aufgewachsenen Generation – im Rückblick das Bauwerk wie ein monströses Traumgebilde.



Aber all das hat es wirklich gegeben: einen 155 Kilometer langen Sperrgürtel, teils Betonwall, teils Metallzaun, mit Panzersperren, Stacheldraht und Postentürmen. Diese bis zu 500 Meter breite Demarkationslinie, die die frühere Hauptstadt zerschnitt und gesichert war durch Hundestreifen, Signaldrähte und Soldaten mit Schießbefehl. Die Grenzübergänge von Stadtteil zu Stadtteil, für die eine Hälfte der Berliner unpassierbar, für die andere nur nach demütigenden Kontrollen zu überschreiten.



In diesem eBook erzählt GEO

EPOCHE

 die Geschichte der Berliner Mauer. Es enthält zwei minutiöse Rekonstruktionen. „Die grausame Mauer“ schildert, wie die SED 1961 den Plan fasste, die Grenzen rings um West-Berlin abzuriegeln. Es war der Versuch eines taumelnden Regimes, die immer weiter anschwellende Massenflucht ihrer Bürger in den Westen zu beenden. Der zweite Text dieses Lesebuchs berichtet von der wachsenden Protestbewegung in der DDR, von der Herbstrevolution – und von jenen dramatischen Tagen im November 1989, als nach 28 Jahren die Berliner Mauer fiel.



Michael Schaper Chefredakteur

 GEO

EPOCHE






Inhalt







Bau des Grenzwalls









Die grausame Mauer









Von Mathias Mesenhöller







Herbstrevolution









Die Macht der Straße









Von Christoph Kucklick








Bau des Grenzwalls







Die grausame Mauer







Mehr als 50 Jahre ist es her, als die DDR über Nacht begann, ein Volk mit einem Bauwerk zu trennen und 17 Millionen Deutsche gefangen zu nehmen. Was geschah in jenen Tagen, die zu einem der ungeheuerlichsten Ereignisse unserer Geschichte gehören?









Von Mathias Mesenhöller





Berlin, August 1961.

 Wie ein Gefangener die Wände seiner Zelle abtastet, eine schwache Stelle sucht, so erkundet Günter Litfin die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin. Tag für Tag macht der junge Mann sich mit dem Fahrrad auf den Weg. Und jeden Tag wird das Sperrwerk dichter, das seit der Nacht auf den 13. August die Stadt zertrennt.



Von Altglienicke im Süden bis Schönholz im Norden stehen Postenketten, vor dem Brandenburger Tor und am Potsdamer Platz verwehrt Stacheldraht den Weg. Uniformierte bewachen die verbarrikadierten U-Bahnhöfe. Bauarbeiter reißen die Straßen auf, senken Betonplatten in den Grund und mauern sie mit Hohlblocksteinen auf. Verziegeln Fenster von Häusern, die auf der Grenze stehen. Die DDR-Oberen mauern ihr Volk ein.



Noch am ersten Tag der Abriegelung jagt ein Mann seinen Volkswagen auf die Barriere zu und bricht, Stacheldrahtrollen hinter sich herschleifend, in den Westen durch. Am 15. nutzt der Soldat Conrad Schumann einen unbeobachteten Moment, läuft mit geschultertem Sturmgewehr an und setzt über den Draht in die Freiheit. In der Bernauer Straße springen Menschen aus den Fenstern ihrer Wohnungen: Der Bürgersteig gehört bereits zum Französischen Sektor. Am 22. kommt eine Frau dabei um. Die Berliner Mauer hat ihre erste Tote.



Günter Litfin geht bedächtiger vor, sondiert. Er ist 24 Jahre alt, groß, schlank, dunkelhaarig. Maßschneider in einem Atelier am Bahnhof Zoo – im Westen. Litfin träumt davon, einmal Theaterschneider zu werden: einer von Millionen Träumen, denen das ostdeutsche Regime in diesen Tagen einen Riegel vorschiebt. Doch Litfin mag sich nicht abfinden.



Spannung liegt über der Stadt. Auf beiden Seiten des Stacheldrahts laufen Menschen zusammen; vom Westen gellen Beschimpfungen herüber, fliegen Steine. In die Wut mischt sich Angst. Mancher rechnet mit Krieg. Mit einem Showdown der Weltmächte, der atomaren Verwüstung Europas – ausgelöst zwischen Wedding und Pankow. Seit Jahren ist Berlin ein Unruheherd in der europäischen Nachkriegsordnung, nun erreicht die Reihe von Krisen ihren Höhepunkt. Und niemand weiß, wie es ausgeht.



Litfin indes treibt zunächst sein privates Schicksal um. Endlich findet er eine Lücke: den Humboldthafen, dessen Stege für Sand- und Kokskähne kaum mehr als eine Ausbuchtung des Spandauer Kanals bilden, gleich hinter der Charité. Auf seinen Erkundungen sieht Litfin hier nie eine Patrouille. Wohl aber eine Ausstiegsleiter auf der westlichen Kanalseite.



Am 24. August gegen 16 Uhr stiehlt er sich von der Charité her über das Gelände zwischen Friedrichstraße und Lehrter Bahnhof. Er erreicht die Wasserfront und lässt sich hinab. Diesmal aber sichert eine Streife das Gelände. Vermutlich bemerken die Polizisten ihn schon an Land, vielleicht auch erst im Wasser. Spätestens dort muss er die Aufforderung, umzukehren, hören, reagiert aber nicht. Volkspolizeimeister Herbert Plaul gibt Warnschüsse aus seiner Maschinenpistole ab, erst in die Luft, dann ins Wasser. Litfin schwimmt weiter.



Wie kann er auch ahnen, dass die Gefahr längst von den Handfeuerwaffen der ostdeutschen Polizei ausgeht – nicht von Panzern und Atombomben.



Denn in der Logik der Kabinette stellt der entstehende Todesstreifen keinen Kriegsgrund dar. Sondern eine Lösung. Mit jedem Meter Mauer wächst in den Stabsabteilungen die Zuversicht, dass die gefährlichste internationale Krise seit dem Zweiten Weltkrieg abklingen wird.



Gerade 16 Jahre

 ist es im Sommer 1961 her, dass amerikanische GIs und Rotarmisten einander bei Torgau an der Elbe die Hand gereicht und die Niederlage des Dritten Reiches gefeiert haben. Nach der deutschen Kapitulation besetzen Russen, Amerikaner, Briten und Franzosen je eine „Zone“ des Landes; analog teilen sie die Hauptstadt Berlin in vier „Sektoren“.



Schon früh versuchen die Sieger, ihr jeweiliges politisches System auf die Besatzungszonen zu übertragen: Demokratie und Kapitalismus im Westen, autoritären Staatssozialismus im Osten. Aus Verbündeten werden Rivalen.



Ebenso rasch finden die Gegner den Ort, an dem sie ihr Duell austragen: Berlin. Im Juni 1948 lässt Josef Stalin die Landwege nach Westen abriegeln, um die Alliierten zum Abzug zu zwingen.



Doch der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay überzeugt seine Regierung davon, die über zwei Millionen Einwohner der Westsektoren aus der Luft zu versorgen.



Bald landen die ersten Transporter auf dem Tempelhofer Flugfeld. Später gehen sie im Minutentakt nieder, entladen Lebensmittel, Kohle, Medizin, Spielzeug, die Bauteile für ein ganzes Kraftwerk.



Russische Jagdmaschinen bedrängen die alliierten Flieger, blenden sie, stören ihren Funkverkehr – schießen aber nicht. Denn die Amerikaner haben die Atombombe. Erst über ein Jahr später wird den Sowjets ein Nachbau gelingen.



Elf Monate dauert die Belagerung. Dann geben die Russen auf. Die Spaltung Deutschlands indes ist besiegelt. Noch 1949 wird aus den Westzonen die Bundesrepublik, aus der sowjetischen die Deutsche Demokratische Republik.



Deren Fundamente haben die sowjetischen Besatzer gelegt: Privater Großbesitz ist enteignet. Die Sozialdemokratie ist in eine „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) gezwungen; die übrigen Parteien des „antifaschistisch-demokratischen Blocks“ dienen nur als demokratische Staffage; Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kulturverbände sind gleichgeschaltet.



Der neue Staat

 erweist sich vom ersten Tag an als Diktatur. Zu den Menschen, die ihn ablehnen, gehört der Fleischermeister Albert Litfin aus Berlin-Weißensee. Streng, fleißig, gläubiger Katholik, ist er einer, der sich hochgearbeitet hat. Während des Krieges kontrolliert er Fleischfabriken im besetzten Dänemark; seine Frau zieht in Berlin die Söhne heran: die Zwillinge Alois und Günter, Jürgen und den kleinen Bernd. Bis 1943 Alois mit dem Roller stürzt, operiert werden muss und unter der Narkose stirbt. Der Arzt, lässt die Krankenschwester durchblicken, habe ihn wegen seiner dunklen Haare und Augen für einen jüdischen Jungen gehalten und absichtlich getötet. Die Eltern sind ohnmächtig.



Eine Ohnmacht, die sich nach der Eroberung Berlins wiederholt, als Albert Litfin auf dem Bürgersteig kniet, ein Gewehr am Kopf, und von den Russen als vermeintlicher NS-Funktionär verhaftet wird. Acht Wochen bleibt er in Haft, dann kehrt er abgemagert und seelisch erschöpft zurück. Sein Widerwille gegen autoritäre Ideologien, rechte wie linke, steht ein für alle Mal fest.



Im Sommer 1945 beteiligt er sich an der Gründung der Berliner CDU, und als der Druck auf alle nichtsozialistischen Parteien wächst, schließt er sich weder denjenigen an, die sich mit den Kommunisten arrangieren, noch flieht er wie so viele in den Westen. Er bleibt in der Gesamtberliner Union, die weiter illegale Kreisverbände im Ostsektor unterhält.

 



Ein konspiratives Leben beginnt. Fährt der Vater zu geheimen Parteitreffen in den Westteil, begleitet ihn die Familie: So sieht es wie ein harmloser Ausflug aus. Nach Einbruch der Dunkelheit radeln Günter und Jürgen regelmäßig zu einem Wertstoffhändler in der Pistoriusstraße. Dort liegen unter Altpapier versteckt Exemplare der CDU-Zeitung „Der Tag“. Die Jungen binden sie unter die Trainingshosen und fahren die verbotenen Hefte an die Abonnenten aus.



Albert Litfins Söhne lernen, dass man nicht mitmachen muss. Dass es gefährlich sein kann, eigene Überzeugungen zu haben, aber das Risiko wert ist.



Am 16. Juni 1953

 hören sie auf RIAS, dem „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“, von Unruhen in Ostberlin. Die Brüder steigen aufs Rad. Nahe der Stalinallee treffen sie auf streikende Bauarbeiter, die sich gegen eine Erhöhung der Leistungsnormen wehren. Bald ist ein Protestzug auf dem Weg ins Regierungsviertel. Rufe nach ehrlichen Wahlen werden laut. Dann fällt das Wort vom Generalstreik. Die Ersten skandieren es. Günter und Jürgen setzen sich ab.



In den Morgenstunden des 17. Juni strömen Zehntausende Arbeiter in die Ostberliner Innenstadt. Ganze Belegschaften marschieren heran; Passanten reihen sich ein. Als sie auf Absperrketten der Polizei treffen, kommt es zu Schlägereien. An der Sektorengrenze verbrennen Demonstranten vor westlichen Kameras eine rote Fahne.



Ähnliches spielt sich in Hunderten von Städten und Ortschaften der DDR ab: Die Menschen legen die Arbeit nieder, gehen auf die Straße und fordern bessere Lebensbedingungen, die Entlassung politischer Häftlinge, die Wiedervereinigung. Der Protest wird zum ersten Aufstand im sowjetisch beherrschten Mitteleuropa.



Am späten Vormittag schieben Günter und Jürgen Litfin ihre Räder durch die Menschenmassen zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor. Ein Abenteuer. Bis plötzlich russische Panzer auftauchen, Schüsse fallen. Günter versucht, sich und den Bruder aus dem Tumult herauszubringen, da gerät ein Junge, der eben noch bei ihnen stand, unter einen Panzer. Er wird zerquetscht. Entsetzt sehen die Brüder zu.



Um 13 Uhr verhängen die Sowjets das Kriegsrecht. Panzer rasseln durch überfüllte Straßen, die Polizei geht mit Knüppeln vor. Von der anderen Seite fliegen Steine. Aufständische versuchen, Balken in die Kettenlaufwerke zu schieben. Schüsse, Sprechchöre, Schreie von Verwundeten, der Lärm der Motoren erfüllen die Ostberliner Innenstadt.



Am Nachmittag ist die Revolte niedergeschlagen. Anderswo in der DDR dauert sie noch tagelang fort, flammt bis in den Juli immer wieder auf, besonders in den alten Hochburgen der Sozialdemokratie.



Der Schock bei den Mächtigen sitzt tief. Die selbst ernannten Führer der Arbeiterklasse haben vor den Kameras der Welt auf Arbeiter schießen lassen. Ihren Machterhalt verdanken sie nur den Truppen der Besatzer. Es ist ein Trauma, das eine ganze Funktionärsgeneration prägen wird: Ein 17. Juni darf sich um keinen Preis wiederholen.



Doch auch die Bevölkerung ist ernüchtert. Aus eigener Macht kann sie SED und Rote Armee nicht vertreiben, und vom Westen ist keine Hilfe zu erwarten. Die Demokratien mögen jeden Gesichtsverlust der Kommunisten begrüßen – zum Krieg sind sie nicht bereit.



Dem Aufstand folgen Festnahmen, Haftstrafen, Hinrichtungen. Zugleich indes senkt das Regime Arbeitsnormen und Preise, erhöht die Renten, schafft aus der Sowjetunion Lebensmittel heran. Die Repression wird subtiler: Das Ministerium für Staatssicherheit baut ein Netz von Spitzeln auf, die Unzufriedene melden sollen, bevor sie aufbegehren.



Zwar hat der junge Staat auch Anhänger. Überzeugte Sozialisten gehören dazu, aber auch die vielen, die erstmals Zugang zu Bildung und Aufstieg erhalten. Etliche sehen in Polikliniken und Kulturhäusern den sozialen Fortschritt.



Dennoch fliehen Jahr für Jahr Hunderttausende in den Westen. Zwischen Staatsgründung und Mauerbau werden es 2,7 Millionen sein – ein Sechstel der Bevölkerung, darunter viele Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler. Für den Einzelnen ist es eine riskante Entscheidung. Seit 1952 gilt die knapp 1400 Kilometer lange Grenze zur Bundesrepublik als Sperrzone. Fernstraßen wie Feldwege sind verbarrikadiert; Alarmfallen und Patrouillen sichern das Gelände. Aufgegriffenen „Republikflüchtlingen“ wird der Prozess gemacht. Wer es trotzdem wagt, lässt Familie und Besitz zurück.



Allein, in der Sperre klafft ein Loch: Berlin. Dort kostet der Weg in die Freiheit ein paar Pfennige – den Preis eines Tickets für den Nahverkehr.



Die Stadt mag geteilt sein, ihre Infrastruktur aber besteht fort. S- und U-Bahnen verbinden die Kieze ungeachtet der Systemzugehörigkeit. Freunde besuchen einander, „Ost“-Berliner verbringen den Abend im westlichen Tanzlokal; „Westler“ gehen im Ostsektor ins Theater, fahren übers Wochenende aufs sozialistische Land, wo mancher noch einen Garten hat oder ein Boot. Eine halbe Million Menschen überqueren täglich die Demarkationslinie.



„Grenzgänger“ leben im einen Teil und arbeiten im anderen. Pendler, die eigentlich gar keine sind, sondern einfach Menschen, die wie je zur Arbeit fahren. Bloß dass sie nun Kontrollpunkte passieren müssen und in zwei Währungen entlohnt werden. Mit DDR-Mark kaufen sie subventionierte Grundnahrungsmittel, Schallplatten und Bücher im Osten, mit D-Mark Nylonstrumpfhosen, Markenzigaretten und Haushaltsgeräte im Westen. Schmuggel ist Volkssport, Fluchten sind an der Tage

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