Loe raamatut: «Geschichte meines Lebens», lehekülg 20

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Zwanzigster Brief.

Argenton.

„Ich bin in Blanc einen Tag länger geblieben, meine gute Mutter, als ich eigentlich wollte, und nun bin ich in Argenton bei unserem guten Freunde Scävola, welcher auch wünscht, daß ich zwei oder drei Tage bei ihm zubringe und ein großes Geschrei ausstößt, als er sieht, daß ich zögere, es ihm zu versprechen. Ach, liebe Mutter, wie verändert ist mein Leben seit drei Jahren! Es ist etwas Eigenthümliches. Ich habe alle diese Tage Musik, ja selbst gute Musik gemacht und werde mich auch jetzt noch damit beschäftigen, denn Scävola ist noch immer ein passionirter Dilettant und macht eben so viel Aufhebens von meiner Violine als von mir — aber sonst würde ich an nichts Anderes gedacht und über die Musik Alles vergessen haben, und jetzt macht sie mich traurig statt mich zu begeistern. — Ich fürchte den Frieden und wünsche die Wiederaufnahme des Kampfes mit einer Lebhaftigkeit, die ich selbst weder verstehen kann, noch zu erklären weiß. Dann denke ich wieder, daß ich Dir neuen Kummer bereite, indem ich fortgehe und dieser Gedanke vergiftet den an das Vergnügen, das ich im Gefecht und auf dem Schlachtfelde empfinden würde. Du wärest traurig und gequält und ich wäre es auch. Es giebt wohl kein Glück in dieser Welt? Ich fange an, das zu bemerken, und da ich als Narr, der ich bin, das ganz vergessen hatte, so bin ich von der schönen Entdeckung völlig verblüfft. Aber ich fühle, daß ich unfähig bin, mich ohne Krieg zu zerstreuen und zu betäuben. Nach solchen Aufregungen scheint mir jede andere schal. — Ich hatte nichts als Deine Zärtlichkeit, um sie mich vergessen zu lassen, und selbst dieses Glück mußte mir für einige Zeit vergiftet werden.

„Ich bin wie toll, wenn ich die Truppen defiliren sehe und den kriegerischen Klang ihrer Instrumente höre. Wir Kriegsleute sind eine Art Narren, deren Anfälle sich, wie die andrer Narren, verdoppeln, wenn sie etwas sehen oder hören, was sie an die Ursache ihres Wahnsinnes erinnert. — Das passirte mir gestern Abend, als ich eine halbe Brigade vorüber ziehen sah. Ich hielt meine Violine in der Hand und warf sie weit von mir. Adieu Haydn, Adieu Mozart, wenn der Tambour schlägt und die Trompete erschallt! Ich habe meine Unthätigkeit beklagt und beinahe vor Wuth geweint. Mein Gott, wo ist die Ruhe und Sorglosigkeit meiner ersten Jugend!

„Auf Wiedersehen, meine gute Mutter, in Deinen Armen werde ich mich trösten und beruhigen. Einen guten Abend für Deschartres. Sage ihm, daß er hier einen ausgezeichneten Ruf als gelehrter Ackerbauer und Erznotenfresser hat. Ich umarme Dich von ganzer Seele und auch meine Bonne, die gewiß keinen Stein auf mich geworfen hat! Möge sie Dich beruhigen und trösten, und mögest Du sie hören. Sie hat mehr gesunden Verstand als alle Andere.“

Ein zärtlicher Brief meiner Großmuteer führte Moritz für einige Zeit in die Heimath zurück. Deschartres empfing ihn mit verdrießlichem Gesichte und ziemlich trotzig — und als er sah, daß Moritz sich nicht näherte, um ihn zu umarmen, drehte er ihm den Rücken und ging, um den Gärtner wegen eines Salatbeetes auszuzanken. Eine Viertelstunde später sah er sich plötzlich in einer Allee seinem Schüler gegenüber. Moritz bemerkte, daß dem armen Schulmeister die Augen voll Thränen standen und warf sich in seine Arme. Beide weinten, ohne ein Wort zu sprechen und kehrten Arm in Arm zu meiner Großmutter zurück, die sie auf einer Bank erwartete und glücklich war sie mit einander ausgesöhnt zu finden. Aber Victorie schrieb! Sie konnte sich zu jener Zeit kaum schriftlich verständlich machen, denn ihr ganzer Unterricht beschränkte sich auf einige Stunden, die ihr 1788 ein alter Kapuziner ertheilt hatte, welcher armen Kindern umsonst lesen lehrte und den Katechismus hersagen ließ. — Einige Jahre nach ihrer Verheirathung schrieb sie Briefe, deren Natürlichkeit, Anmuth und Geist selbst meine Großmutter bewunderte; aber zu der Zeit, von der ich erzähle, mußte man die Augen eines Liebhabers haben, um das kleine Gekritzel zu entziffern und diese Ausbrüche eines leidenschaftlichen Gefühls zu verstehen, das keine Form finden konnte, um sich auszudrücken. Moritz verstand indessen, daß Victorie in Verzweiflung war, daß sie sich verbannt, betrogen und vergessen glaubte. Nun fing er wieder an, von der Reise nach Courcelles zu sprechen, und neue Befürchtungen, neue Thränen waren die Folge — aber dessen ohngeachtet reiste er am 28. prairial ab und schrieb von Courcelles:

Einundzwanzigster Brief.

Courcelles, den 28. prairial (Juni 1801).

„Gestern Abend bin ich hier angekommen, liebe Mutter, und habe den Weg mit dem Postwagen sehr unbequem, aber dafür auch sehr schnell zurückgelegt. — Das war eine traurige Reise. Deine Schmerzen, Deine Thränen quälten mich wie Gewissensbisse und doch sagte mir mein Herz, daß ich nicht strafbar bin, denn Alles, was Du verlangst, ist, Dich zu lieben, und ich fühle, daß ich Dich liebe. Ist es möglich, daß ich Dir thränen erpresse, ich, der Dich so glücklich sehen möchte! Aber warum betrübst Du Dich auch so? Es ist unbegreiflich und ich kann es nicht fassen. Diese junge Frau hat nie gedacht, daß ich sie heirathen würde, denn ich habe selbst noch nicht daran gedacht — was sie Deschartres gesagt hat, sagte sie im Zorne, der wohl durch die Härte gerechtfertigt ist, mit welcher er gegen sie auftrat. Ich kann nicht oft genug wiederholen, daß Alles dies nicht geschehen wäre, wenn er sich ruhig verhalten hätte. Ich würde sie ohne Aufsehen haben abreisen lassen, da ihre Gegenwart in la Châtre (um die Du Dich nicht zu kümmern brauchtest) so sehr Dein Mißfallen erregte. Aber da es nun einmal so ist, so verspreche ich Dir, daß ich niemals wieder eine Geliebte unter Deinen Augen haben will, und daß ich Dir niemals wieder etwas von meinen Abenteuern erzählen werde. Das wird mir weh thun, denn ich bin so gewöhnt, Dir Alles mitzutheilen, was ich erlebe und erfahre, daß ich nicht begreife, wie ich Geheimnisse vor Dir haben soll. — In welche traurige Notwendigkeit versetzt uns diese beklagenswerthe Geschichte und der unbesonnene Streich Deschartres'! Aber laß uns nicht mehr davon sprechen. Ich kann mich nicht mit ihm veruneinigen und möchte um Alles in der Welt keinen Unfrieden zwischen Euch stiften. Er wird seine Fehler nicht mehr ablegen und wir wollen ihn trotz alledem lieben und seine guten Eigenschaften anerkennen.

„Ich schweife hier durch den Wald und an den Ufern des Wassers umher — die Gegend ist ein Paradies auf Erden. — Man hat mich mit der zärtlichsten Freundschaft empfangen — René war mit seiner Frau auf einer Insel im Park; er kam mit dem Kahn, um mich zu holen und unsere Umarmung auf dem Wasser war so stürmisch, daß das Schiffchen beinahe umgeschlagen wäre. Adieu, meine gute Mutter, auf baldiges Wiedersehen. Gräme Dich nicht mehr, liebe mich immer und sei versichert, daß ich nicht glücklich sein kann, wenn Du es nicht bist, denn Deine Schmerzen sind die meinigen. Ich umarme Dich von ganzer Seele.“

Zweiundzwanzigster Brief.

Paris, 7. messidor (Juni 1801).

„Wie Du voraussahest, meine liebe Mutter, als Du mich nur eine Tagereise von Paris wußtest, habe ich dem Wunsche nicht widerstehen können, einige Augenblicke hier zu sein. Ich habe Beaumont und meinen General gesehen. Nein schönes Pferd Paméla geht morgen nach Nohant ab; der General reist nach Limousin. In etwa vierzehn Tagen wird er zurückkehren und hat mir versprochen, über Nohant zukommen, wo ich Dir helfen werde, ihn zu empfangen. Diesen Morgen sah ich Oudinot, der, da er mehr in Gnaden steht, als wir, auf Anstiften Charles His', hoffentlich den Hauptmannsrang für mich verlangen wird. Ich erhalte jetzt auch meinen Sold und der soll mir einen neuen Anzug verschaffen, damit ich den Cardinal Gonsalvi besuchen kann, der jetzt hier ist, um das Concordat abzuschließen. Es scheint, als hätte er sich nur sehr ungern zu dieser Reise entschlossen, als glaubte er unter die Guillotine zu gehen, wenn er Rom verließe. Charles His, der mich bei meiner „Gesandtschaft“ nach Rom begleitete, hat Se. Eminenz schon hier besucht und viele Umarmungen davongetragen. Siehst Du wohl, liebe Mutter, daß der kleine Ausflug, den Du schon als große Extravaganz betrachtetest, keinen verderblichen Einfluß auf mein Schicksal haben wird, meinen Verhältnissen vielmehr nützlich ist und Dich keinen Sou kostet. — Von den sechsundzwanzig Louisd'or, die mir Herr von Cobenzl zurückerstatten soll, habe ich noch nichts gehört. Ich werde morgen zu ihm gehen. Adieu, liebe Mutter, ich bin bald wieder bei Dir, und, wenn der Himmel will, als Hauptmann. Ich bitte Dich, gräme Dich nicht und zweifle niemals an der Zärtlichkeit Deines Sohnes.“

Moritz blieb in Paris bis an das Ende des Messidor; verschiedene Geschäfte mußten als Vorwand dienen: der Besuch bei Monsignore Gonsalvi, die sechsundzwanzig Louisd'or der Auswechselungscommission; allerhand Bemühungen um ein Avancement, auf das er nicht rechnete, und um das er sich eben nicht kümmerte, eine Verletzung des Pferdes, die Feierlichkeiten des 14. Juli — das waren die mehr oder weniger ernsten Gründe, welche die Tage, die er der Liebe weihte, mit einem nicht sehr geheimnißvollen Schleier umhüllten. Der arme Junge verstand das Lügen nicht und von Zeit zu Zeit machte sich seine Seele in lauten Klagen Luft: „Du willst nicht,“ schrieb er an seine Mutter, „daß ich mich für ein Weib interessire, das Alles für mich verlassen, Alles meinetwegen verloren hat! Das ist ja unmöglich! Du selbst, meine Mutter, Du verlangst dies wohl — aber Du würdest nicht einmal gegen einen Dienstboten gleichgültig sein können, der seine Stelle verloren hätte, um Dir zu folgen, und Du glaubst, daß ich gegen eine Frau undankbar sein könnte, deren Herz aufrichtig und edel ist? Nein, Du kannst einen solchen Rath nicht geben!“

Der Onkel Beaumont, der früher Abbé und Coadjutor bei dem Erzbisthum von Bordeaux gewesen war, dieser Sohn des Fräuleins von Verrières und des Herzogs von Bouillon, der Enkel Türenne's und folglich ein Verwandter des Herrn von Latour d'Auvergne, war ein geistreicher und verständiger Mann. Er hatte als junger Abbé ein glänzendes und stürmisches Leben geführt; er war schön, idealisch schön; von sprühender Fröhlichkeit; tapfer wie ein Husarenlieutenant; poetisch wie — der Musen-Almanach; herrschsüchtig und schwach, das heißt zärtlich und jähzornig. Auch er war eine Künstlernatur, ein Wesen, das in anderer Umgebung die Größe eines Gondi gewonnen haben würde, dessen Jugend er so ziemlich nachgeahmt hatte. Nach der Revolution zog er sich aus dem Geräusch und der Bewegung der Welt zurück, lebte in der Stille und schloß sich den „Ralliirten“ nicht an, die er ohne Bitterkeit und ohne Pedanterie etwas verachtete. In jener Zeit beherrschte eine Frau sein Leben und machte ihn glücklich. Für meine Großmutter war er immer ein treuer Freund und für meinen Vater war er zugleich ein Vater und ein Kamerad.

Die sittlichen Begriffe des schönen Abbés waren die der liebenswürdigen Männer seiner Zeit, und wenn diese Begriffe von den Männern unserer Zeit nicht weiter ausgedehnt werden, so sind diese doch nicht mehr so liebenswürdig, da liegt der Unterschied! Mein Großonkel war ein Gemisch von Trockenheit und Mittheilsamkeit, von Härte und unvergleichlicher Güte. Er fand es ganz natürlich, Victoriens edle Hingabe zurückzuweisen.

„Laßt sie reich sein, und sich amüsiren, sagte er in seinem sanften epicuräischen Cynismus. „Das ist viel klüger, als wenn sie mit dem Manne ihrer Liebe darbt. Moritz soll sie vergessen und diese romanhafte Hingebung nicht ermuthigen, das wird viel besser für ihn sein, als wenn er sich mit einer Wirthschaft belastet und seine Mutter quält.“

Er hat die Leidenschaft meines Vaters niemals ermuthigt, sich aber auch niemals lebhaft bemüht, dieselbe auszurotten, und als Moritz sich mit Victorie verheirathete, behandelte er diese wie seine Tochter und ließ sich's angelegen sein, sie meiner Großmutter zu nähern.

In den ersten Tagen des Thermidor (Ende Juli 1801) kam Moritz nach Nohant zurück und blieb daselbst bis Ende des Jahres. Hatte er sich entschlossen, Victorie zu vergessen, um die Kämpfe mit seiner Mutter zu beendigen? Dies ist kaum glaublich, denn sie erwartete ihn in Paris und fand ihn leidenschaftlicher, als je zuvor. Aber ich habe keine Spuren ihres Briefwechsels aus diesen vier Monaten. Wahrscheinlich wurde diese Correspondenz in Nohant etwas überwacht und die Briefe wurden deswegen nach und nach vernichtet.

Sechszehntes Kapitel.
1802. Brieffragmente. — Die „Beaux“ der schönen Welt. — Musikalische Studien. — Die Engländer in Paris. — Wiederkehr des Luxus. — Fest des Concordats. — Feierlichkeiten in Notre-Dame. — Haltung der Generäle. — Deschartres in Paris. — Adresse nach Charleville. — Antwort an Deschartres. — Widerwärtigkeiten der Adjutantenstellung in Friedenszelten.
1802.

Gegen das Ende des Jahres 1801 kehrte Moritz nach Paris zurück. Er schrieb seiner Mutter mit derselben Pünktlichkeit wie sonst, aber seine Briefe sind nicht mehr dieselben. Es sind nicht mehr dieselben Herzensergießungen, nicht mehr dieselbe Sorglosigkeit, oder wenn sich Sorglosigkeit zeigt, ist sie ein wenig erzwungen. Die arme Mutter hat jetzt ohne Zweifel eine Nebenbuhlerin; ihre zärtliche Eifersucht hat das Uebel, das sie befürchtete, zum Ausbruch gebracht.

Vom Frimaire des Jahres X bis zum Floréal desselben Jahres enthalten die Briefe meines Vaters interessante Bemerkungen über die Gesellschaft, mit welcher er verkehrt und welche er aufmerksam beobachtet. Ich weiß kaum, was ich auswählen soll, um hier einen Auszug zu geben, denn Alles ist anziehend. Er schildert die Pariser Gesellschaft, wie sie sich den Engländern präsentirte, die mit Fox nach Paris gekommen waren. Er erzählt von dem Feste des Concordats und seine persönliche Meinung darüber stimmt mit der der militairischen Umgebung überein, in welcher er sich befindet; aber ich werde hier nur die Stellen mittheilen, die auf sein eignes Leben Bezug haben.

Den 4. Nivose Jahr X.

„Heute haben wir den Jahrestag des berühmten Ueberganges [Den Uebergang über den Mincio.] gefeiert. Fast alle Offiziere des rechten Flügels waren bei meinem General versammelt —Keiner ahnte, daß es Lieder geben würde; aber ich hatte ein ganzes Packet schlechter Verse gemacht, das der Bediente des Generals während der Tafel überreichen mußte. Der General brach es neugierig auf und erstickte fast vor Lachen.

„Es war ein komisches Heldengedicht, das den ganzen Hergang schilderte. Er las es vor und Alle lachten wie er und wunderten sich über die Genauigkeit der Erzählung. Ich wurde schnell als der Verfasser errathen und sollte mein Werk absingen, aber ich wollte das schon Gelesene nicht auf's Neue beginnen und sang eine Litanei anderer Verse über dasselbe Thema. Das hat mich auf wohlfeile Art mit Ruhm bedeckt; lachend und singend standen wir vom Tische auf und als wir in den Salon zurückkehrten, haben wir uns Alle untereinander umarmt; der General Dupont schloß mich zuerst in die Arme. Wenn man jemals Gleichheit und Brüderlichkeit unter einigen Menschen findet, so ist es unter uns in solchen Momenten.“

„Alle Liebenswürdigen der ***Gesellschaft sind die ausgemachtesten Laffen, die ich kenne. Sie reden eine Stunde lang, um Nichts zu sagen; entscheiden über Alles auf's Gerathewohl und lassen sich's so angelegen sein — der schönen Manieren wegen — einander nachzuahmen, daß, wer den Einen kennt, mit Allen bekannt ist. Du sagst, daß man in der Gesellschaft leben muß, liebe Mutter, und das ist wohl möglich! aber es giebt nichts Einfältigeres, als alle diese Leute, deren einziges Verdienst in einem Namen besteht, dessen Glanz ihnen nicht zugehört.“

„... Viel besser, als in der Gesellschaft, unterhalte ich mich mit meinem gemietheten Klavier und mit dem Lehrer, der mich im Generalbaß unterrichtet. Wenn ich mich die ganze Nacht bis drei Uhr Morgens bei meinen musikalischen Arbeiten vergessen habe, fühle ich mich viel ruhiger und glücklicher, als wenn ich auf einem Balle gewesen wäre. Ich habe meinen Kopf darauf gesetzt, ein guter Tonsetzer zu werden und das soll mir gelingen. Ich vernachlässige aber auch meine Geige —ich liebe sie ja sosehr! Meine Finanzen sind nicht gerade im schönsten Stande, denn ich habe mich vom Kopf bis zu den Füßen neu equipiren müssen, um zur Parade gehen zu können. Aber da ich mir schmeichle, zu den Kindern Apollo's zu gehören, ist's in der Ordnung, daß ich arm bin.

„Im Theater habe ich Lejeune gesehen. Als er das Bild der Schlacht von Marengo malte, hat er mich in ganz Paris gesucht; er sagt, daß er sich nicht darüber trösten kann, meinen Kopf nicht unter Händen gehabt zu haben, um ihm einen Platz im Bilde zu geben.“

„Ich habe die Bekanntschaft einiger vornehmen Damen gemacht: der Madame d'Esquelbec, die, wie man mir sagt, die Gnade gehabt hat, mich sehr nett zu finden; der Madame de Flahaut, die einen Roman herausgegeben hat, welchen ich unhöflicher Mensch nicht gelesen habe; und endlich der Madame d'Andlaw. René ist immer der liebenswürdigste Freund; aber er hat den Fehler, Wasser zu trinken wie eine Ente. Glücklicherweise steckt das nicht an! ...“

„Ich schwöre Dir bei Allem, was heilig ist, daß V... arbeitet und mich nichts kostet. Ich begreife nicht, warum Du Dich so ängstigst. So lange ich ein armer Teufel bin, werde ich niemals eine Frau unterhalten, denn ich wäre genöthigt, es auf Deine Kosten zu thun. Ueberdies kennst Du sie gar nicht; Du beurtheillsft sie nach Deschartres' Berichten, der sie noch viel weniger kennt. Laß uns gar nicht mehr von ihr sprechen, ich bitte Dich darum, meine gute Mutter, wir würden uns doch nicht verstehen. Aber sei wenigstens überzeugt, daß ich mir lieber eine Kugel durch den Kopf jagte, als einen Vorwurf von Dir verdiente, und daß es mein tödtlichster Kummer ist, wenn ich Dir Schmerzen bereite.“

„... Ich käme nie zu Ende, wenn ich Dir alle Lächerlichkeiten dieser schönen Jugend mittheilen wollte. Die Engländer fühlen das auch und ich bin außer mir, wenn ich sie heimlich darüber lachen sehe und ihnen nicht Unrecht geben kann, daß sie im Grunde der Seele solche Pröbchen unserer Nation verachten. Andere suchen wieder die Engländer auf linkische Weise nachzuäffen und wissen nichts Besseres zu thun, als ihr Vaterland in Gegenwart der Fremden herabzusetzen. Das ist wahrhaft empörend, und die Fremden sind die Ersten, welche die Achseln dabei zucken. Alle diese jungen Lords, die in ihren heimischen Armeen dienen, befragen mich mit Begierde über unser Heer und ich antworte ihnen durch eine feurige Schilderung unserer unsterblichen Waffenthaten, denen sie ihre Bewunderung nicht versagen können. Ich empfehle ihnen auch beständig, die öffentliche Stimmung nicht nach den Redensarten zu beurtheilen, die sie in der Gesellschaft hören und ich behaupte fortwährend, daß das Nationalgefühl bei uns allen so stark ist, als bei ihnen — wenn unsere Siege nicht wären, würden sie doch daran zweifeln. Aber Du begreifst wohl, daß ich diese Gesellschaft immer trauriger und enttäuschter verlasse. Gute Nacht, meine liebe Mutter, ich liebe Dich mehr als mein Leben. Ich prügle den Ortsvorsteher und schicke meiner Bonne ihren Fingerhut „zum Nähen und Arbeiten.“

24. Pluviose.

„... Mit meinen Neffen ist nun Alles in Ordnung. Außer dem Hause bin ich nun im Besitz von 40,000 Francs. Teufel! ich hätte nie geglaubt, daß ich so reich sein könnte. Davon mußt Du nun gleich zehntausend Francs nehmen, um alle Deine Schulden zu bezahlen: Pernon, Deschartres und meine Bonne; [Der Gehalt des Lehrers und der Lohn der Bonne waren seit 1792 im Rückstande.] ich will nicht, daß sie länger warten; ich will, daß Du Dich von allen diesen kleinen Sorgen frei machst. Was Du für mich gethan hast, ist viel mehr und das kann ich Dir niemals erstatten. Also, meine liebe Mutter, keine Schwierigkeiten darüber! sonst mache ich Dir den Proceß und zwinge Dich zur Annahme des Geldes. Mit dem Ertrag des Hauses und meinem Sold habe ich nun eine Einnahme von 7,840 Francs, und das ist, meiner Treu, ganz nett! und man braucht sich darüber gerade nicht zu grämen. Mit dem Ertrage von Nohant bringen wir nun die Summe von 16,000 Francs jährlicher Einnahme zusammen, [Er war sehr im Irrthum über den Ertrag von Nohant.] deren wir uns nächstes Jahr ohne Schulden zu erfreuen haben werden. Das ist prächtig und ich bin ganz glücklich, Dich vor allen Sorgen gesichert zu sehen. Bezahle, bezahle Alles, was Du schuldig— wenn ich auch nur die Hälfte meiner 40,000 Francs behielte, so hätte ich genug ...

„Frau von Béranger hat Dir den Tod des Herzogs von Bouillon angezeigt. Beaumont ist sehr betrübt darüber, denn trotz ihrer Streitigkeiten liebten sie sich wie Brüder.“

Den 24. Ventôse (März).

„Mein General steht jetzt mit Bonaparte auf dem besten Fuße. Dieser hat ihn rufen lassen und hat ihm, nach einigen freundlichen Vorwürfen über seine Zurückgezogenheit, den Befehl über die zweite Militairdivision, die fünf und zwanzig tausend Mann enthält, übertragen. Sie steht in den Ardennen und in Luxemburg — und so sind wir denn wieder in voller Thätigkeit. Bonaparte hat hinzugefügt, daß er ihn um jede vortheilhaftere Stellung, die sich ihm bieten könnte, wieder angehen möchte.“ …

„Die Ankunft meines Pferdes hat mir viel Vergnügen gemacht. Das Holz von Boulogne ist wunderhübsch; es sind neue Wege darin angelegt und das Gedränge der Wagen und Kutschen ist so groß, daß die Wächter, wie in Longchamps, das Fahren beaufsichtigen müssen. Dieser Anblick hat etwas Unbegreifliches, wenn man kaum die Revolution überstanden hat, in welcher jeder Reichthum vernichtet zu sein schien. Aber, siehe da! der Luxus ist hundertmal größer, als unter dem alten Regime. Wenn ich bedenke, wie einsam es 1794 während meiner Verbannung nach Passy im Boulogner Holze war, glaube ich zu träumen, während ich heute von der Menge gleichsam fortgetragen werde. Da ist eine Anzahl von Engländern, von fremden Gesandten, von Russen u.s.w., welche eine große Pracht entfalten, die zu überbieten das Bestreben der Pariser Gesellschaft ist. Longchamps wird in diesem Jahre glänzend sein.

„... In diesem Augenblicke verkündigt der Donner der Kanonen die Unterzeichnung des Friedensvertrages. Die Mütter und Gattinnen freuen sich — und wir, wir machen etwas schiefe Gesichter.“

Den 23. Germinal (April).

„... Paris fängt schon an, mir langweilig zu werden. Es ist immer dasselbe: hochfahrende Mienen, große Eitelkeit, und ein übel verhehlter Ehrgeiz, dem nur ein wenig geschmeichelt zu werden braucht, um sich offen zu zeigen ...

„An der Porte-Maillot wird ein großes Frühstück vorbereitet. Alle „Liebenswürdigen“ werden daran theilnehmen. Sie bezahlen à Person einen Louisd'or, um für dreißig Menschen zwei Fenster zu haben. Es werden aber auch nur hochadelige Leute da sein: die Biron, die de l'Aigle, die Perigord, die Noailles [Da der Scherz ohne alle Bitterkeit ist, glaube ich diese Namen nennen zu dürfen.] — das wird charmant — — ich gehe gewiß nicht hin!“

Paris, den 30. Germinal Jahr X.

„... Die Zeitungen haben Dir gewiß einen pomphaften Bericht über die Feier des Concordats gebracht. Ich gehörte zu dem berittenen Gefolge des Generals Dupont, der mit allen in Paris anwesenden Generälen dazu commandirt war. So haben sie denn auch Alle dabei paradirt, ungefähr so wie Hunde, die dazu geprügelt wären. Während wir durch Paris zogen, hat uns der Zuruf der Menge begrüßt, die jedoch mehr von dem militairischen Gepränge entzückt war, als von dem Feste an und für sich. Wir Alle waren äußerst glänzend und was mich betrifft, so war ich prachtvoll — Pamela [Sein Pferd.] und ich vergoldet vom Kopf bis zu den Füßen. Der Legat saß in einem Wagen und vor ihm her, in einem andern Wagen, wurde das Kreuz gefahren. [„Die Legaten a latere pflegen ein goldenes Kreuz vor sich hertragen zu lassen, welches ein Zeichen der außergewöhnlichen Macht ist, die der päpstliche Stuhl solchen Gesandten verleiht. Den Absichten seines Hofes zufolge wollte der Cardinal Caprara den Gebräuchen des Kultus in Frankreich die größte Oeffentlichkeit geben; er verlangte, daß der Sitte gemäß das goldene Kreuz durch einen berittenen Offizier in rother Uniform vor ihm hergetragen würde. Aber dies war ein Anblick, den man sich scheute, dem Pariser Volke zu geben. Man unterhandelte und kam überein, daß dies Kreuz, in einem der Wagen, die vor dem Cardinal herfuhren, gehalten werden sollte. A. Thiers' Geschichte des Consulats und des Kaiserreiches III. Theil, Buch 14.] Erst an der Thür von Notre-Dame sind wir abgestiegen und alle diese schönen, reich gezäumten Pferde, die rings um die Kathedrale herumstanden, paradirten und sich neckten, boten einen wunderlichen Anblick dar. Wir betraten die Kirche bei dem Schall einer lebhaften Militairmusik, die plötzlich, beim Herannahen des Baldachins verstummte, unter welchen sich nun die drei Consuln begaben, um im tiefsten Schwelgen und zwar in etwas unbeholfener Weise zu der Estrade geführt zu werden, die für sie bestimmt war. Der Baldachin des Consulats sah aus wie ein Betthimmel in einem Wirthshause; er war mit vier schlechten Federbüschen und einer schmalen Franse verziert; der des Cardinals war viermal so kostbar und die Kanzel war auf's Reichste drapirt. Von der Rede des Herrn von Boisgelin hat man kein Wort gehört. Ich stand neben dem General Dupont, hinter dem ersten Consul und habe mich an der Schönheit des Anblicks und am Te Deum erfreut; aber Alle, die in der Mitte der Kirche waren, konnten nichts hören. Im Augenblicke der Monstranz-Erhebung haben die drei Consuln die Knie gebeugt; hinter ihnen standen wenigstens vierzig Generäle, unter ihnen Augereau, Massina, Macdonald, Oudinot, Baraguey d'Hilliers, Le Courbe u.s.w., keiner derselben ist von seinem Stuhle aufgestanden, was einen komischen Gegensatz bildete. Als wir die Kirche verließen, bestieg ein Jeder sein Pferd und ritt von dannen, so daß nur noch die Regimenter der Garde im Zuge blieben. Es war halb sechs Uhr und man war halbtodt vor Langerweile, Hunger und Ungeduld. Ich war schon um neun Uhr Morgens und zwar ohne Frühstück zu Pferde gestiegen, hatte auch wieder das Fieber, das mich noch immer plagt. Gestern habe ich bei Scävola gespeist und heute schreibe ich Dir in der Wohnung meines Generals. Ich habe Corvisart, den Arzt des ersten Consuls gesehen; er hat mir versprochen, daß ich in zwei bis drei Tagen so weit hergestellt sein soll, um reisen zu können, damit ich Dich vor der Uebersiedlung in unser Hauptquartier noch einmal umarme. Ich glaube, daß das Verlangen, Dich zu sehen, meine Genesung verhindert hat. Ich umarme den Ortsvorsteher, wie schön würde er sich mit seiner Schärpe und seinen Adjunkten bei der Feierlichkeit ausgenommen haben.“

Moritz verlebte einen Monat bei seiner Mutter; dann verließ er Nohant, brachte zwei oder drei Tage in Paris zu und begab sich endlich zu seinem General nach Charleville, wohin ihm Victorie bald nachfolgen sollte — trotz der Predigten des guten Deschartres, der, wie wir sehen, bei seinem Zöglinge kein besonderes Glück machte. Der arme Schulmeister ließ sich indessen nicht entmuthigen; er blieb dabei, Victorie für eine Intriguantin zu halten und Moritz für einen leicht zu täuschenden jungen Mann. Er begriff nicht, daß dies irrige Urtheil nur die Wirkung hatte, meinen Vater täglich mehr über die Uneigennützigkeit seiner Geliebten aufzuklären, und daß er ihr um so mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen und sich um so mehr an sie anschließen mußte, wenn sie mit Unrecht angeklagt wurde. Bei dieser Gelegenheit nahm Deschartres seine Geschäfte zum Vorwande und begleitete Moritz nach Paris. Er fürchtete vielleicht, daß derselbe sich dort aufhalten möchte, statt auf seinen Posten zu gehen. Zu gleicher Zeit sprach meine Großmutter gegen ihren Sohn den Wunsch aus, ihn verheirathet zu sehen und die Unruhe, welche ihr die Freiheit des jungen Mannes verursachte, gewöhnte denselben an den Gedanken, dieser theuern Freiheit zu entsagen. So diente Alles, was man unternahm, um ihn von dem geliebten Weibe zu trennen, dazu, den Lauf des Verhängnisses zu beschleunigen.

Während der kurzen Zeit, welche Deschartres mit seinem Zögling in Paris verlebte, glaubte er denselben keinen Augenblick verlassen zu dürfen. Das hieß einem jungen Prinzen gegenüber, der sich durch beschwerliche und ruhmvolle Feldzüge emancipirt hatte, etwas spät den Hofmeister spielen, aber mein Vater war gutmüthig, wie man auch schon aus seinen Briefen sieht und im Grunde des Herzens hatte er eine innige Liebe für seinen Lehrer. Er konnte ihn nicht ernsthaft zurückweisen und war überhaupt noch kindlich genug, um sich wie ein Schulknabe zu freuen, wenn er seiner komischen Ueberwachung einen Streich spielen konnte. Eines Morgens schleicht er sich aus ihrer gemeinschaftlichen Wohnung fort, um im Garten des Palais Royal mit Victorie zusammenzutreffen; sie hatten sich daselbst Rendez-vous gegeben, um mit einander in einer Restauration zu frühstücken. Kaum hatten sie sich gefunden, kaum hatte Victorie den Arm meines Vaters genommen, als Deschartres, der die Rolle der Medusa spielte, ihnen entgegentrat. Aber Moritz ist kühn wie er, macht gute Miene zum bösen Spiel und fordert seinen Argus auf, am Frühstück Theil zu nehmen. Deschartres geht darauf ein — er war kein Epikuräer, aber er liebte feine Weine und man ließ es ihm nicht daran fehlen. Victorie neckte ihn auf geistreiche, freundliche Weise und beim Dessert schien er etwas leutseliger zu werden. Aber als es an's Abschiednehmen ging und mein Vater seine Geliebte nach Haus begleiten wollte, verfiel Deschartres wieder in seine schwarzen Gedanken, und kehrte traurig in sein Hôtel garni zurück.

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