Loe raamatut: «Geschichte meines Lebens», lehekülg 21

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Der Aufenthalt in Charleville erschien meinem Vater sehr langweilig, bis sich seine Geliebte daselbst einrichtete. Sie wohnte bei rechtschaffenen Bürgresleuten, denen sie ein geringes Kostgeld zahlte und bei denen sie für die heimlich angetraute Frau meines Vaters galt, was sie übrigens damals noch nicht war. Von dieser Zeit an trennten sich die Beiden fast nie mehr und fühlten sich an einander gefesselt.

Meine gute Großmutter wußte von alledem nichts; aber von Zeit zu Zeit machte Deschartres beunruhigende Entdeckungen, die er ihr nicht vorenthielt. Von Moritz erfolgten dann Erklärungen, welche die Mutter für einen Augenblick zufrieden stellten, aber nicht das Geringste in den Verhältnissen änderten.

Charleville, den 1. Messidor (Juni).

„... Mit unsern großen Federbüschen, unsern Vergoldungen und unsern schönen Rossen machen wir einen verteufelten Staat; man spricht von uns bis Soissons und bis Laon (der Heimath Jean Francis Deschartres')! Aber von so viel Ruhm werden wir wenig berührt und möchten lieber weniger zierlich sein, als unser Feuer auf der Parade abnutzen. Außerdem ist man hier eben so neugierig und schwatzhaft wie in la Châtre. Der General hat schon versucht, ein kleines Abenteuer einzuleiten, aber er hatte kaum zweimal mit derselben Frau gesprochen, als sich in den drei Stätten Sédan, Mézières und Charleville ein ungeheurer Lärm erhob ...“

Charleville, den 1. Thermidor (Juli).

„Mein General hat einen sonderbaren Einfall. Er wußte nur ganz oberflächlich, daß ich der Enkel des Marschalls von Sachsen bin und hat mich neulich weitläufig darüber befragt. Du kannst Dir nicht denken, welchen Eindruck es auf ihn gemacht hat, als er gehört hat, daß Du durch Parlamentsbeschluß anerkannt bist, und daß der König von Polen mein Ur-Großvater ist. Zwanzig Mal täglich spricht er davon und überhäuft mich mit Fragen; aber unglücklicherweise habe ich mich um das Alles niemals bekümmert und es ist mir unmöglich, ihm meinen Stammbaum vorzuzeichnen. Der Name Deiner Mutter ist mir entfallen und ich weiß durchaus nicht, ob wir mit den Löwenhaupt's verwandt sind. Du mußt Dich wohl seinem Wunsche anbequemen und mir über das Alles Rechenschaft geben. Er will mich nach Deutschland senden; will mir Empfehlungsbriefe des Ministers des Innern und der Generäle Marceau und Macdonald mitgeben, damit ich mich dort als den einzigen Abkömmling des großen Mannes anerkennen lasse.

„Ich werde mich wohl hüten, auf solche Extravaganzen einzugehen, aber ich will auch Dupont's Manie nicht bestimmt entgegentreten, denn er behauptet, daß ich meines Namens wegen Capitain werden müßte, und daß er sich dazu verpflichten wolle, mir diesen Rang sofort zu verschaffen. Da ich denselben durch mein Verhalten verdient zu haben glaube, will ich ihn gewähren lassen. Erinnerst Du Dich der Zeit, als ich nicht protegirt sein wollte? Das war noch vor meiner Dienstzeit; ich hatte noch Illusionen über das Leben und bildete mir ein, daß Klugheit und Tapferkeit zum Fortkommen genügten. Die Republik hatte mir diese thörichten Hoffnungen in den Kopf gesetzt; aber kaum habe ich mich im Leben etwas umgesehen, so habe ich auch erkannt, daß die Regierungsweise von ehemals nicht verschwunden ist und ich glaube, daß Bonaparte mehr dafür schwärmt, als man ihm ansieht.“

An Herrn Deschartres.

Charleville, den 8. Thermidor Jahr X.

„Sie sind sehr gütig, lieber Freund, daß Sie sich in meinen Angelegenheiten so viele Mühe geben. Seien Sie überzeugt, daß ich den Werth eines Freundes, wie Sie sind, zu schätzen weiß. Sie betreiben Alles, was mich betrifft, mit einem Eifer, den ich nicht genug anzuerkennen vermag — aber erlauben Sie, daß ich's Ihnen ohne Umschweife sage: in gewisser Beziehung geht dieser Eifer zu weit. Ich will Ihnen keineswegs das Recht absprechen, sich um mein Betragen zu bekümmern, wie Sie sich um meine Geschäfte und um meine Gesundheit kümmern, — es ist das Recht der Anhänglichkeit und ich werde dasselbe zu ertragen wissen, selbst wenn es mich verletzte, wie ich das schon in mißlichen Verhältnissen bewiesen habe. Aber in Ihrem Feuereifer sehen Sie die Dinge von der schwärzesten, tragischesten Seiten Sie sehen also falsch, und meine Freundschaft für Sie verpflichtet mich nicht, Ihren Irrthum zu theilen.

„Wenn Sie mir z.B. prophezeihen, das ich mit dreißig Jahren die Schwächen des Alters haben werde, und daß mich diese zu großen Dingen untauglich machen werden, weil ich in meinem vierundzwanzigsten Jahre eine Geliebte habe, so erschreckt mich das nicht sehr. Ueberdies ist es ein Fehlgriff, daß Sie mir in Ihren Ermahnungen das Beispiel meines Großvaters vorhalten. Er war von einer Galanterie, der ich nicht nahe komme und doch gewann er im Alter von fünfundvierzig Jahren die Schlacht von Fontenoy. Ihr Hannibal war ein Dummkopf, als er sich mit seinem Heere in Capua einschläfern ließ — aber wir Franzosen sind nie kräftiger und tapferer, als wenn wir aus den Armen eines schönen Weibes kommen; und was mich betrifft, so glaube ich viel klüger und keuscher zu sein, wenn ich mich der Liebe für eine Einzige hingebe, als wenn ich täglich in meinen Neigungen wechselte, oder indem ich Dirnen aufsuchte, wozu ich, wie ich Ihnen gestehen muß, durchaus keine Neigung habe.

„Nun gefällt es Ihnen zwar, der Consequenz wegen, das Wesen, mit welchem ich verbunden bin, eine Dirne zu nennen; aber es ist leicht einzusehen, daß Sie ebensowenig wissen, was eine Dirne ist, als Ihnen unbekannt zu sein scheint, was ein Weib ist. Ich will es Ihnen erklären, denn ich habe das Leben der Husaren so etwas kennen gelernt, und weil ich es kennen gelernt habe, beeilte ich mich, es zu verlassen. Freilich haben wir über diesen Gegenstand schon so viele Lanzen gebrochen, daß es kaum nöthig sein sollte, darauf zurückzukommen; aber da Sie darauf bestehen, die, welche ich liebe, anzuklagen, muß ich dabei beharren, sie zu vertheidigen.

„Eine Dirne — da ich es Ihnen nochmals auseinandersetzen muß, — ist ein Geschöpf, welches spekulirt und seine Liebe verkauft. Es giebt deren viele in der großen Welt, obwohl sie vornehme Namen und besuchte Häuser haben; mit diesen könnte ich nicht acht Tage leben. Aber eine Frau, die sich uns anschließt, wenn sie uns im Unglück begegnet; eine Frau, die uns widersteht, solange wir uns in einer scheinbar glänzenden Stellung befinden und die uns erhört, wenn wir mit Lumpen bedeckt sind, und dem Hungertode nah (— so war ich, als ich aus den Händen der Kroaten kam); eine Frau, die uns die vollständigste Treue bewahrt, seit dem Augenblicke, wo ihn Liebe für uns erwacht ist; eine Frau, die nicht gestattet, daß wir ihr einige Unterstützung gewähren, selbst nicht, wenn uns eine Erbschaft zugefallen ist; die uns die Bankbillets von hundert Louisd'or in's Gesicht wirft, sie mit Füßen tritt und sie nur aufnimmt, um sie weinend in's Feuer zu schleudern — nein! hundert Mal nein! ein solches Weib ist keine Dirne; wir dürfen sie treu und innig lieben und sie vertheidigen gegen Jedermann. Nur ein Nichtswürdiger könnte einer solchen Frau ihre Vergangenheit vorwerfen — dieselbe möchte gewesen sein, wie sie wollte, — nachdem er ihre Liebe genossen und ihre Hülfe angenommen hat; und Sie wissen recht gut, daß ich ohne V... sehr in Noth gewesen wäre, nach Frankreich zurückzukehren. Wenn wir in der ersten Jugend ohne Hülfsmittel und ohne Stütze sind, bestimmen oft die Verhältnisse über uns, gegen unsern Willen. Die Frauen besonders, die schwächer sind als wir, und durch uns verleitet werden — da wir einen Ruhm darin suchen, ihre Schwäche irre zu führen, können sich leicht vom rechten Wege verlieren. Aber umgebt die ersten Heiligen des Paradieses mit allen Arten von Verführungen; laßt sie mit Unglück und Verlassenheit ringen und Ihr werdet sehen, ob sie Alle so gut daraus hervorgehen werden, wie gewisse Frauen, deren Verdammung Ihr für eine heilsame Gerechtigkeit haltet!

„Sie irren sich also, mein Freund, und das ist Alles, was ich zu sagen habe, um die Rathschläge zu verwerfen, die Sie für gut halten und die ich als verderblich ansehe. Was meine Mutter betrifft, so bitte ich Sie, mich nicht zur Liebe für dieselbe aufzufordern; ich bedarf in dieser Beziehung der Aufmunterung keines Menschen, denn ich werde nie vergessen, was ich ihr schuldig bin und meine Liebe, meine Verehrung für sie können Allem widerstehen. Leben Sie wohl, mein lieber Deschartres; ich umarme Sie von ganzem Herzen — Sie wissen besser als jeder Andere, wie viel Anhänglichkeit es für Sie hat.

Moritz Dupin.“

Von Moritz an seine Mutter.

„Nun ja! meine gute Mutter, ich will es Dir gestehen, ich bin — wenn auch nicht traurig, wie Du glaubst — doch ziemlich unzufrieden über die Wendung, welche meine Angelegenheiten genommen haben. In den öffentlichen Zuständen sind große Veränderungen eingetreten [Das lebenslängliche Konsulat.] und diese versprechen uns nicht viel Gutes. Die Schwierigkeiten, welche der Tod des ersten Consuls herbeiführen konnte, werden dadurch freilich beseitigt, aber es ist eine vollständige Rückkehr zum alten Regime, und da die ersten Würden im Staate stabil werden, giebt es kaum noch ein Mittel sich aus bescheidenen Stellungen emporzuarbeiten. Man wird da stehen bleiben müssen, wohin uns der Zufall gestellt hat und es wird gerade so sein, wie ehemals, daß ein tapferer Soldat sein Leben lang Soldat bleibt, während ein Laffe nach den willkürlichen Bestimmungen des Gebieters zum Offizier wird. Du sollst sehen, daß Du Dich nicht lange über diese Art monarchischer Restauration freuen kannst, und daß Du meinetwegen wenigstens die Zufälle des Krieges und den großen republikanischen Wetteifer zurückwünschen wirst.

„Der Posten, den ich bekleide, ist an und für sich nicht unangenehm und in Kriegszeiten ist er glänzend, weil er uns der Gefahr aussetzt und uns zu thun giebt; aber in Friedenszeiten ist er ziemlich einfältig — und, unter uns gesagt, nicht gerade ehrenvoll. Wir sind eigentlich nichts, als höhere Lakaien. Von allen Launen des Generals sind wir abhängig; wenn wir ausgehen wollen, müssen wir dableiben — wenn wir dableiben wollen, müssen wir ausgehen. Im Kriege ist das ganz hübsch; da gehorchen wir nicht dem General, denn er ist der Repräsentant der vaterländischen Fahne, und er verfügt über unsere Freiheit zum Besten des Allgemeinen. Wenn er uns sagt: „Begeben Sie sich nach dem rechten Flügel; werden Sie dort nicht todtgeschossen, so gehen Sie nach dem linken Flügel und wenn Sie dort mit dem Leben davonkommen, so schreiten Sie vor“ — so ist das sehr gut, denn das ist im Dienste und wir sind ganz glücklich solche Befehle zu erhalten. Aber in Friedenszeiten, wenn er uns sagt: „Setzen Sie sich zu Pferde und begleiten Sie mich zur Jagd, oder dienen Sie mir als Gefolge, während ich Besuche mache“ — so ist die Geschichte nicht mehr so heiter; wir gehorchen seinem persönlichen Belieben, unser Selbstgefühl leidet dabei und das meinige befindet sich, wie ich gestehen muß, in einer harten Prüfung. Dupont ist freilich von ausgezeichnetem Charakter; wenige Generäle sind so wohlwollend und so mittheilsam — aber mit einem Worte: er ist der General und wir sind die Adjutanten. Wenn er uns nicht als Bedienten gebrauchte, würden wir ihm zu gar nichts nützen, denn es giebt nichts Anderes zu thun! Decouchy, welcher auch bei unserm Generalstabe ist, fügt sich in Geduld, obwohl er vorgestern eine arge Demüthigung erfahren hat. Der General war bei seiner Geliebten und hatte ihn drei Stunden lang im Hofe warten lassen. Es fehlte nicht viel daran, so wäre Decouchy fortgelaufen und hätte die ganze Geschichte zum Teufel gehen lassen. Morin ist sehr sorglos und antwortet immer nur: „Was thut's!“ man mag ihm sagen, was man will. Aber ich sage zu mir selbst: „Es liegt so viel daran, daß ich von all' Euern Gastmälern nicht das Geringste begehre — ich würde um diesen Preis selbst einen Schatz verschmähen.“

„Und zwar so sehr, daß ich die größte Lust habe zu meinem Regimente zurückzukehren, und daß ich deswegen an Lacuée schreiben will, welcher ein einflußreicher Mann und großer Reformator ist ...

„Auf Grund meiner ausgezeichneten Tapferkeit und meines guten Benehmens in allen Waffenproben, bin ich in diesen Tagen zum Gesellen ernannt und werde binnen Kurzem auch Meister werden.“

Siebzehntes Kapitel.
Fortsetzung der Liebesgeschichte. — Schmerzliche Trennung. — Rückkehr nach Paris. — Die "Damen". — Die schöne Welt. — Gunstbezeugungen. — Herr von Vitrolles. — Herr Heckel. — Eugen Beauharnais und Lady Georgina.

Erster Brief.

Von Moritz Dupin an seine Mutter.

Charleville, den 1. Vendémiaire, Jahr XI. (22. Sept. 1802.)

„Der Brief von Dir, den ich soeben erhielt, meine liebe Mutter, giebt mir das Glück vollständig wieder. Du predigst mir Moral und zankst mich ordentlich aus, aber Du thust es mit Deiner mütterlichen Liebe, die ich noch immer besitze, die mir nichts ersetzen könnte und über deren Verlust ich mich niemals zu trösten vermöchte — hörst Du wohl! weil nichts mich dafür entschädigen könnte. Aber trotz Deiner Unzufriedenheit hegst Du für mich immer dieselbe Zärtlichkeit; erhalte sie mir, meine gute Mutter, ich habe nie aufgehört ihrer werth zu sein. Ich will Dir gestehen, daß ich fürchtete, irgend ein neuer lügenhafter Rapport, irgend ein falscher Schein könnte sie für einen Augenblick in Deinem Herzen erkältet haben. Dieser Gedanke verfolgte mich überall; meine Seele war davon bedrückt, mein Schlaf war gestört — nun hast Du mich endlich dem Leben wiedergegeben!

„Und dieser wunderliche Deschartres schreibt mir vor zwei Tagen, daß Du mir vielleicht in langer Zeit nicht schreiben würdest, wegen des Kummers, den ich Dir verursache. Ich habe ihm bewiesen, daß er Unrecht hat und nun rächt er sich, indem er mir Schmerz verursacht, indem er mich an der empfindlichsten Stelle angreift. Trotz seiner vielen guten Eigenschaften ist er doch ein Bär, der uns mit den Krallen zerfleischt, wenn er uns nicht erdrücken kann. Im vergangenen Monate hat er mir ganze Bände geschrieben, um mir mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit zu beweisen, daß ich ein ehrloser Mensch und mit Schmutz bedeckt bin — weiter nichts! ein schöner Schlußsatz, würdig der Reden, mit denen er mich regalirte; aber ich vergebe ihm das von Herzen, wegen des Grundes, der seinen Zorn und seinen Eifer erregt. Ich habe auf seinen letzten Brief noch nicht geantwortet, aber ich behalte mir diese kleine Genugthuung vor und sende ihm ein schönes und gutes Gewehr mit zwei Läufen, damit er Dir Rebhühner zu essen geben kann — wenn er nicht zu ungeschickt dazu ist.

„Nein, meine gute Mutter, ich habe niemals meine Existenz von der Deinigen trennen wollen — und wenn ich, wie Du es mir vorwirfst, in den Lagern und Bivouaks ein Säufer und ein Liebhaber schlechter Gesellschaft geworden bin, was ich indessen nicht glaube, so sei wenigstens versichert, daß ich in diesem bewegten Leben meine Liebe für Dich nicht verloren habe. Wenn ich mich ohne Dich zu fragen an Lacuée gewendet habe, um die Rückkehr zu meinem Regimente zu erwirken, so habe ich das gethan, weil die Zeit drängte; ich hätte auf Deine Antwort warten und so die wenigen Tage verlieren müssen, die mir Aussicht auf ein günstiges Resultat gewährten. Jetzt ist Alles vorüber, Lacuée hat mir nicht die geringste Hoffnung gelassen. Nach den neuesten Bestimmungen muß ich bei Dupont bleiben; ich ergebe mich darein und die Freude, die Du darüber empfinden wirst, mildert in etwas meine eigene Unzufriedenheit. ...

„Lebewohl, meine liebe Mutter; sei überzeugt, daß Dein Glück allein das meinige ausmachen kann, und daß es immer vor allen andern Dingen meine Gedanken erfüllt und meine Handlungen leitet. Ich umarme Dich aus voller Seele.

„Mein Gott, wie betrübt mich der Einfall von Minmié ich kann mir das gar nicht vorstellen. Sprich mit ihr über mich, ich bitte Dich darum. [Minmié, das heißt Demoiselle Roumier, die alte Bonne, die er so innig liebte. Kaum hatte sie ihren rückständigen Lohn erhalten, als sie beschloß zu ihren Verwandten zurückzukehren und trotz der gegenseitigen Trennungsschmerzen fühlte sie diesen Vorsatz aus.]

„Und August ist zum Einnehmer der Stadt Paris ernannt! ich gratulire ihm dazu.“

Dritter Brief.

Von Sillery, bei Herrn von Volence (ohne Datum).

„Du hast es gewollt, Du hast es erzwungen, indem Du mich zwischen Deiner Verzweiflung und meiner eigenen wählen ließest. Ich habe Dir gehorcht, V... ist in Paris; ich habe das Unmögliche gewollt und vollbracht. Aber indem ich sie in dieser Weise entfernte, mußte ich wohl für ihren Unterhalt Sorge tragen. Ich habe mir also von dem Zahlmeister der Division sechszig Louisd'or von meinem Gehalt vorschießen lassen und dann habe ich verlangt, daß sie nach Paris zurückgehe, um zu arbeiten. Im Augenblick der Abreise hat sie mir das Geld zurückgeschickt; ich bin ihr nachgeeilt, habe sie zurückgebracht und dann haben wir drei Tage in Thränen miteinander verlebt. Ich habe ihr von Dir erzählt, habe ihr die Hoffnung gegeben, daß Du vielleicht aufhören würdest sie zu fürchten, wenn Du sie einst besser kennen lerntest — und sie hat sich darein ergeben und ist abgereist. Aber ich glaube, daß man nicht von einer Leidenschaft geheilt wird, indem sie solchen Prüfungen ausgesetzt ist. Uebrigens will ich für Dich thun, was menschliche Kräfte vermögen — aber rede nicht so viel von ihr, denn ich kann Dir noch nicht kaltblütig darauf antworten.“

Als meine Großmutter aus den folgenden Briefen sah, daß ihr geliebter Moritz bis zum Tode betrübt war, rief sie ihn zu sich und erwirkte ihm beim General Dupont die Erlaubniß nach Paris zu gehen, um Schritte für sein Avancement zu thun. Dies war indessen nur ein Vorwand, um ihn nach Nohant zu ziehen; aber er ging erst später dorthin, denn er wurde durch seine Liebe in Paris festgehalten und machte seiner Mutter gegenüber dieselben Geschäfte geltend, die ihm den Urlaub erwirkt hatten. Er wünschte damals lebhaft in die Garde des ersten Consuls einzutreten. Er machte einige vergebliche Anstrengungen, wie das vorauszusehen war, denn er war in anderer Weise zu sehr beschäftigt, um ein thätiger Bittsteller zu sein, und sein natürlicher Stolz erlaubte ihm nicht als Höfling sein Glück zu machen. Ich habe seine Freunde oft ihre Verwunderung darüber aussprechen hören, daß er mit soviel Tapferkeit, Intelligenz und Liebenswürdigkeit des Benehmens kein schnelleres Avancement gehabt hat, aber ich begreife das vollständig. Er war verliebt und mehrere Jahre lang war sein größtes Verlangen, geliebt zu werden; dann war er auch kein Hofmann und man erreichte bereits nichts mehr, ohne sich viele Mühe zu geben. Dann kamen für Bonaparte die ernsthaftesten Sorgen: der Proceß Pichegru's, Moreau's, Georges', der des Herzogs von Enghien, und diese Ereignisse erklären den Wechsel in seinem Geiste, indem sie ihm die Namen der Vergangenheit erst nahe brachten, sie dann von ihm entfernten und ihn endlich wieder darauf zurückführten, um ihn damit zu versöhnen.

Fortsetzung der Brieffragmente.

Paris, den 18. Frimaire. Jahr XI. (Decbr. 1802.)

„... Ich habe endlich Caulaincourt gesehen und zwar nicht ohne Mühe; aber ich habe, meiner Treu, den besten Einfall gehabt, als ich auf das Vergessen unserer kleinen Mißstimmungen zählte. Er hatte mich kaum erkannt, als er die ehemalige Ordonnanz des Vater Harville vertraulich umarmte und sich mit lebhaftem Interesse nach Dir erkundigte; und kaum hatte ich ihm gesagt, daß ich in die Garde einzutreten wünsche, als er sich erbot mir dabei behülflich zu sein, ohne zu erwarten, daß ich ihn darum ansprach. Mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit hat er Alles übernommen. Er hat mein Gesuch von mir verlangt und sich freiwillig anheischig gemacht, es morgen in St. Cloud dem ersten Consul zu überreichen und ihn zum Lesen desselben zu veranlassen. Er hat mir besonders empfohlen es in meiner Bittschrift so bemerklich als möglich zu machen, daß ich der Enkel des Marschalls von Sachsen bin; er versichert, daß dies nothwendig ist, um das Ziel zu erlangen. — Und die Schweiz und Marengo? sagte ich ihm. „Gut, gut“, gab er zur Antwort; „die Gegenwart ist viel, aber auch die Vergangenheit hat heutzutage bedeutenden Einfluß; reden Sie von dem Helden von Fontenoy, versäumen Sie nichts in dieser Beziehung.“ Sehr gut war es, daß ich am Tage zuvor bei Ordner gespeist hatte und von ihm mit offenen Armen empfangen war, denn Caulaincourt hat mich gefragt, wie ich mit ihm stände, und nachdem ich es ihm gesagt, hat er mir die Versicherung gegeben, daß Alles wie ein Uhrwerk gehen würde.“

Paris, den 29. Frimaire.

„.... Gestern hat August [August von Villeneuve.] das ernste Gewand eines Schatzmeisters der Stadt Paris angelegt. Er trug eine schwarze Kleidung, einen Degen, eine Börse, und wir haben uns über dies Kostüm fast todt gelacht. Aber er hat ein prächtiges Gesicht, dem Alles gut steht, und er trug sein Gewand mit vieler Würde. Es ist indessen gar zu drollig, die Kleider von ehemals wieder erscheinen zu sehen! René will nun Palastpräfect werden und seine Frau will Ehrendame sein. Ich habe gestern Beide geärgert, indem ich ihnen sagte, daß „große Damen“ sie sicherlich mit mißliebigen Blicken ansehen würden. Aber der erste Consul ist so liebenswürdig und aufmerksam gegen sie gewesen, daß sie der allgemeinen Bezauberung erlegen ist, und endlich eingestanden hat, daß alle jene großen Herren stolz und unverschämt sind, sie sind es um so mehr, da sie zum größten Theil die Gunst des Gebieters erstreben.“

Paris, den 12. Pluviose.

„... Zanke nicht mit mir; ich handle so gut ich es vermag. Aber wie ist's möglich an's Ziel zu gelangen, wenn man von Natur kein Höfling ist? Gestern habe ich Caulaincourt wiedergesehen und habe bei ihm frühstücken müssen. Er erzählte mir, daß er selbst meine Bittschrift in die Mappe des ersten Consuls gelegt und sogar mit ihm von mir gesprochen hätte, worauf ihm dieser die Antwort gegeben: „Wir werden das ansehen.“ Vielleicht ist das schon eine vorläufige Abweisung. Was kann ich nun dazu thun? Bonaparte hat mich dem Generalstabe einverleibt und Lacuée hatte mir dazu gerathen. Jetzt sagt Lacuée, daß dies etwas verteufelt Nichtsnutziges ist, und Bonaparte erlaubt mir doch nicht wieder auszutreten. Wenn ich es erlange, ist es eine große Gunst; aber ich bin nicht dazu geschaffen auf dem Bauche zu kriechen, um eine so einfache und gerechte Sache zu erlangen. Und doch kann ich mich nicht dazu entschließenden Plan aufzugeben, denn wenn der Frieden standhält, ist es mein größter Wunsch, mich in Paris niederzulassen. Wir würden uns dann so einrichten, daß Du den Winter in Paris zubrächtest — dann lebten wir doch nicht ewig getrennt, wodurch mein Zustand ebenso traurig wird, wie der Deinige. Ich bin in meinen Geschäften weder sorglos noch langsam — aber Du hast mich nicht zum Höfling erzogen, meine gute Mutter, und ich verstehe mich nicht darauf die Thüren der Mächtigen zu belagern. Caulaincourt benimmt sich ausgezeichnet gegen mich; in meiner Gegenwart hat er seinem Portier befohlen, mich immer eintreten zu lassen und möchte kommen wann ich wollte. Er weiß aber auch, daß ich nicht zu denen gehöre, welche davon Mißbrauch machen könnten, und wenn er mir wirklich behülflich sein will, ist es nicht nöthig, daß ich ihm lästig falle. Heute Abend gehe ich zum General Harville; es ist sein Empfangstag. Ich gehe dort hin mit dem Hut unter dem Arme, in Kniehosen, schwarzseidenen Strümpfen und grünem Frack, denn so will es jetzt der militärische Anstand ... Sage mir doch nicht mehr, daß Du Dich bemühen willst, so wenig als möglich an mich zu denken; ich bin schon ohne dies nicht sehr heiter, was sollte aber aus mir werden, wenn Du mich nicht mehr liebtest?'

Paris, den 27. Pluviose.

„Bei ***, welcher der Frau von Tourzelle ein äußerst glänzendes Souper gab, habe ich S*** getroffen und war davon entzückt. Uebrigens finde ich bei „Männlein und Fräulein“ immer dieselbe Hohlheit, dieselbe Dummheit. Die große Welt ist nicht verändert und wird sich nie verändern. Ich nehme nur einige Wenige aus und besonders Vitrolles, welcher Geist und Charakter besitzt.“ [In seinem scheinbaren Leichtsinn beurtheilte mein Vater die Menschen sehr richtig. Herr von Vitrolles gehört zu den seltenen Männern der royalistischen Partei, welche durch ihren Geist und ihren Charakter ausgezeichnet sind.]

Paris, den 7. Ventôse.

„Caulaincourt hat abermals mit dem ersten Consul von mir gesprochen. Er hat meine Bittschrift verlegt und will nun eine andere haben; heißt das etwa, daß ich hoffen soll? Ach! wenn der große Mann wüßte, wie sehr ich Luft habe ihn seiner Wege zu schicken und mich nicht mehr ohne Ruhm in seinem Dienst zu Grunde zu richten! Wenn ich Frieden mit ihm schließen soll, mag er uns wieder Ruhm geben. Aber unglücklicherweise ist ihm daran für den Augenblick nicht gelegen.“

Den 28. Ventôse (März 1803).

„Meinen Freund Heckel sehe ich oft; da er sehr fern von mir wohnt, macht jeder die Hälfte des Weges; wir treffen uns in den Tuilerien und durchschreiten plaudernd und philosophirend den ganzen Garten. Er ist in Wahrheit der gelehrteste und beredteste Mann, den ich jemals gekannt habe, und seine Ansichten sind so edel, daß ich mich immer besser fühle, wenn ich ihn verlasse, als wenn ich zu ihm trete. In diesem Augenblicke bewirbt er sich um die Stelle eines Professors bei einem Lyceum. Ich werde seine Bittschrift Bonaparte durch Dupont überreichen lassen. Ob ich etwas erreiche? Aus Liebe zu diesem würdigen Manne könnte ich wohl zum Intriguanten werden. Aber die Regierung befolgt den Grundsatz, nur denen etwas zu gewähren, die bereits etwas haben — und das ist so ziemlich die Geschichte jeder bedeutenden Macht ...“

Am Charfreitage.

„In diesen Tagen hat René ein glänzendes Frühstück gegeben, dem Eugen Beauharnais, Adrian von Man, Mylord Stuart, Madame Louis Bonaparte, die Fürstin Olgorouky, die Herzogin von Gordon, Madame d' Andlaw und Lady Georgina, Nichte der Herzogin von Gordon, beiwohnten. Das Ganze war im Interesse Eugen's veranstaltet, denn er ist in Lady Georgina, welche in der großen Welt als ein Stern der Schönheit gilt, verliebt und wird auch von ihr geliebt. Um ihren Ruf zu verdienen, fehlen ihr nur ein Mund und Zähne, aber in dieser Beziehung haben sich Eugen und sie nichts vorzuwerfen. Der Herzogin wäre es sehr erwünscht, sie mit ihm zu verheirathen, aber der gute Stiefvater Bonaparte sieht die Geschichte etwas anders an. Die Tante reist nun nach England zurück und die Liebenden sind in Verzweiflung. So macht die Größe das Glück der Menschen!“

Den 29. Germinal (April).

„In drei Tagen reise ich mit René nach Chenonceaux; schicke mir die Pferde bis St. Agnon und in fünf Tagen bin ich in Deinen Armen. Ja, ja! ich sollte schon lange bei Dir sein — Du hast durch die Verzögerung gelitten und ich auch. Nun wirst Du mich in Deinen neuen Gärten spazieren führen und wirst mir beweisen, daß der Froschteich ein Trasimenischer See geworden ist, daß die kleinen Wege große Heerstraßen, die Wiese ein Schweizerthal, und das kleine Holz ein Hercynischer Wald geworden sind. Ach! das ist Alles, was ich verlange — ich werde das Alles durch Deine Augen sehen und Alles wird mir schön erscheinen, wenn ich bei Dir bin.“

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