Loe raamatut: «Geschichte meines Lebens», lehekülg 9

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Moritz an seine Mutter:

2. Oct. 1796.

„... Gestern bin ich in einem sehr schönen Concerte gewesen, das im Theater Louvois stattfand. Gunnin und der alte Garigny leiteten das Orchester.“

„Du erinnerst Dich unsers alten Garigny, der zur Zeit des „Devin du village“ mit meinem Vater und mit Rousseau so gut bekannt war, und der während meiner Verbannung nach Passy auf so sonderbare Weise meine Bekanntschaft gemacht hat? Nun wohl! das Publikum hat eine Wiederholung seines Liedes verlangt und er hat seine Sachen so gut gemacht, daß er im vollen Sinne des Wortes mit Beifall überschüttet wurde. Für einen Mann von fünfundsiebenzig Jahren ist das wirklich nicht übel und es hat mir große Freude gemacht.“

„Nun gebe ich Dir noch zu rathen, wen ich in diesem Concerte getroffen und erkannt habe. In einem ganz modernen Kleide, mit ausgeschnittenen Schuhen und großen Locken habe ich den Sansculotten S... gesehen und habe mit ihm gesprochen. Er ist jetzt ein Merveilleux — das sind Begegnungen, um vor Lachen zu sterben! er hat viel nach Dir gefragt; im Jahre zwei war er nicht so fein!“

„Leb wohl, mein Mütterchen! die Zeit drängt, ich gehe in die Oper. Du fehlst mir in jedem Augenblicke und alle Freuden, die ich fern von Dir genieße, sind unvollkommen. Ich umarme Dich tausendmal und schicke Dir tausend Grüße für das „gute Thierchen“, meine Wärterin.“

Den 3. Oct.

„Ich verließ Dich neulich, um in die Oper zu gehen. „Corisande“ sollte gegeben werden — aber man gab Renaud. Doch einem Provinzbewohner ist Alles recht — und vom Anfang bis zum Ende habe ich mit dem größten Vergnügen zugehört. Ich saß im Orchester; Herr Heckel kennt Ginguené, Direktor des Kunstausschusses, der ihm zu jeder Aufführung zwei Orchesterbillets schenkt. Das ist der Platz, zu dem sich Alles drängt, was man jetzt „die gute Gesellschaft“ zu nennen pflegt. Man sieht da reizende Frauen von wunderbarer Eleganz, aber thun sie den Mund auf, so ist Alles verloren. Da hörst Du: „Potztausend, das ist gut getanzt!“ oder: „das ist ja eine verteufelte Hitze!“ Gehst Du hinaus, so erblickst Du glänzende, lärmende Wagen, in welchen diese schöne Welt von dannen fährt, während die braven Leute zu Fuß gehen und sich durch Spöttereien rächen, wenn sie mit Koth bespritzt werden. Da wird gerufen: „Platz für den Herrn Lieferanten der Gefängnisse! — Platz für den Herrn Siegelabnehmer!“

„Aber man geht weiter und lacht darüber. Obwohl Alles verändert ist, kann man eben so gut wie früher sagen: „Der rechtschaffene Mann ist zu Fuß und der Schurke in einer Sänfte.“ — Es sind jetzt andere Schurken — das ist Alles!“

„Leb wohl, meine gute Mutter, ich gehe wieder in die Oper. Zum Mittagessen führt mich Heckel mit dem Herzoge zusammen. Ich umarme Dich, wie ich Dich liebe.“

Den 15.

„Obwohl zu Fuß, macht sich der rechtschaffene Mann in Paris nicht das Geringste aus schlechtem Wetter! Es giebt so viel zu thun und zu sehen! Morgens gehe ich in die Gemäldeausstellung, von drei bis sechs Uhr wird langsam, in guter Gesellschaft gegessen und Abends gehe ich in's Theater. Bei Frau von Ferrières habe ich mit allen Deinen Freundinnen gespeist und bin mit offenen Armen empfangen. Ach! wie hat man dort von Dir gesprochen! Das Diner war köstlich, in Silber servirt — die Republik hat doch nicht Alles genommen. Die Weine waren vorzüglich, und es waren viele so lustige junge Leute da, daß wir sogar den Herrn de la Dominière zu lautem Gelächter gebracht haben. Abends bin ich im Theater Faydeau gewesen, um l'Ecole des Péres und les folles Confidences zu sehen. Das letzte Stück wird noch eben so gespielt, wie vor 93; Fleury trug dieselbe Kleidung; Dazincourt ebenfalls.“

Den 17.

„Wie gut Du bist, Dich noch in Deiner Einsamkeit zu langweilen, um mich einige Tage länger in Paris zu lassen! Welche zu gütige Mutter! wenn Du bei mir wärest, würde ich mich freilich noch besser amüsiren. Heute habe ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden und mir ist, als hätte ich mich über mich selbst erhoben. Mein Freund Heckel hat mir zwei moralische Abhandlungen vorgelesen, die eine über die Unsterblichkeit der Seele, die andere über das wahre Glück. Alles darin ist bewunderungswürdig, tief, kurz, deutlich, eindringlich. Er hat sie im vergangenen Winter geschrieben und versichert, daß er keine andere Absicht dabei gehabt hat, als mir die Grundzüge der Tugend zu entwickeln.“

„Bei Frau von Chabert habe ich den Oedipus mit ganz außerordentlichem Erfolge gesungen. Und wem verdanke ich diesen Erfolg? meiner guten Mutter, die sich mit meinem Unterricht gequält hat und die mehr versteht, als alle Lehrer der Welt! Nach der Musik wurde getanzt; wir waren Alle in Stiefeln, woran Du nicht Anstoß nehmen darfst, denn das ist jetzt so Sitte. Aber wie schlecht läßt sich's in Stiefeln tanzen! Nachher ist man darauf gekommen, Thee zu trinken, was jedenfalls das nüchternste und billigste Abendessen ist, das man haben kann. Leb wohl, liebe Mutter, ich umarme Dich aus voller Seele und schicke meiner Wärterin dreiunddreißig Grüße.“

Den 19.

„Heute Morgen habe ich wieder mit dem Herzoge und meinem Freunde Heckel gefrühstückt; wir haben gegessen wie Menschenfresser und gelacht wie verrückt. Und denke Dir, als wir drei über den Pont-neuf gegangen sind, haben uns die Fischweiber umringt und haben den Herzog als den Sohn ihres guten Königs umarmt. Du siehst, wie sich der Volksgeist geändert hat. Aber ich will mit Dir „mündlich davon sprechen“, wie Bridoison zu sagen pflegt.“

„Jetzt will ich herumlaufen, um meine Abschiedsbesuche zu machen; denke nur nicht, daß ich mich nach Paris zurücksehne, ich komme ja zu Dir zurück.“

„Meiner Wärterin sage ich tausend Grobheiten: sie kann sich darauf vorbereiten, mich zu rasiren, denn hier hat man mir den Bart gestutzt — ich erschreckte alle Welt — und nun wächst er aus Trotz um so ärger.“

„Deschartres hat sich vergebens bemüht, einen Lehrer für den Sohn der Frau von Chander zu finden. Er hält die Sache für unausführbar in dieser Zeit und meint, das Geschlecht der Lehrer wäre zu Grunde gegangen. Alle jungen Leute, die sich dem Erziehungsfache widmeten, suchen jetzt Aerzte, Chirurgen oder Advocaten zu werden und die kräftigsten dienen der Republik. Seit sechs Jahren hat Niemand gearbeitet, wie man gestehen muß, und die Bücher waren vom Uebel. Nun sieht man überall Leute, welche Lehrer für ihre Kinder suchen, aber nicht finden. So wird es denn in einigen Jahren viele Esel geben und ich wäre auch einer wie die andern, ohne Deschartres — — aber was sage ich! ohne meine gute Mutter, die ganz allein schon fähig gewesen wäre, meinen Geist und mein Herz zu bilden.“

Den 31.

„Morgen reisen wir ab. Deschartres entschließt sich endlich dazu, seine ehrenwerthen Beine in Stiefeln zu stecken; es ist ja nicht möglich, gegen den Strom zu schwimmen. Zu Pferde ist das auch recht bequem, aber nur nicht zum Ball; die Contretänze werden auch nur noch gegangen. Sage meiner Bonne, daß ich mich dafür entschädigen werde, indem ich sie — freiwillig oder gezwungen — hüpfen und springen lasse. Und nun ein Lebewohl für Paris und Dir ein baldiger Bewillkommnungsgruß, meine gute Mutter! Ich komme noch toller von hier zurück, als ich herging; Jeder ist hier etwas verrückt und wer nur den Kopf auf den Schultern fühlt, hält sich schon für glücklich. Die Parvenüs geben sich ihrer Herzensfreude hin und das Volk sieht aus, als ob ihm Alles einerlei wäre. Der Luxus ist nie so groß gewesen als jetzt. Aber fort, fort mit allen diesen Eitelkeiten! meine gute Mutter langweilt sich und sehnt sich nach mir; das wird mein Pferd empfinden! So werde ich Dich nun endlich wieder umarmen; vielleicht bin ich schneller bei Dir, als dieser Brief!“

„Moritz.“

Sechstes Kapitel.
Fortsetzung der Geschichte meines Vaters. — Beharrlichkeit der philosophischen Ideen. — Robert, der Banditenchef. — Beschreibung von La Châtre. — Schiller's Räuber.

Ich werde mit der Geschichte meines Vaters fortfahren, da er im vollen Sinne des Wortes der Verfasser meiner Lebensgeschichte ist. Dieser Vater, den ich kaum gekannt habe, der in meiner Erinnerung als eine glänzende Erscheinung geblieben ist, dieser junge Künstler und Krieger lebt fort in dem Schwung meiner Seele, in dem Verhängniß meiner Organisation, in den Zügen meines Gesichtes. Mein Wesen ist ein zwar abgeschwächter, doch ziemlich vollständiger Wiederschein des seinigen. Aber durch die Verhältnisse, in denen ich gelebt habe, sind manche Veränderungen desselben herbeigeführt. Meine Fehler sind also nicht sein Werk allein, aber meine Eigenschaften sind ein Erbtheil, das er mir hinterlassen hat. Mein äußeres Leben ist von dem seinigen eben so verschieden gewesen, als der Zeitabschnitt, in der es sich entwickelt hat, von der Epoche seines Daseins war — wäre ich aber ein Mann und hätte ich 25 Jahre früher gelebt, so bin ich überzeugt, daß ich in allen Dingen gefühlt und gehandelt haben würde, wie mein Vater. [Wenn wir von der Vergangenheit sprechen, drängen sich unwillkürlich mancherlei Reflexionen aus unserer Feder hervor. Wir vergleichen die Vergangenheit mit der Gegenwart und diese Gegenwart, der Augenblick, in welchem wir schreiben, ist schon Vergangenheit für die, welche uns nach einigen Jahren lesen. Auch die Zukunft faßt der Schriftsteller zuweilen in's Auge, und wenn sein Werk erscheint, sind seine Vorhersagungen bereits erfüllt oder widerlegt. Ich habe an diesen Reflexionen und Vorhersagungen nichts ändern mögen, weil ich glaube, daß sie zu meiner Geschichte eben so gut gehören, wie zur Geschichte Aller — und so werde ich mich darauf beschränken, die Zeit ihrer Entstehung dabei zu bemerken.]

Welche Pläne meine Großmutter in den Jahren 97 und 98 für die Zukunft ihres Sohnes hatte, weiß ich nicht, aber ich vermuthe, daß sie sich darüber ganz im Unklaren befand, und daß es so mit der Zukunft aller jungen Leute eines gewissen Standes war. Jede Laufbahn, die unter Ludwig XVI. durch Gunst erschlossen wurde, war unter Barras durch Intrigue zugänglich. Nur die Persönlichkeiten waren in der Beziehung anders geworden, und so hatte mein Vater eigentlich nur zu wählen zwischen dem Leben im Felde und dem am häuslichen Herde. Seine Wahl würde nicht zweifelhaft gewesen sein, aber bei meiner Großmutter war seit 1793 eine sehr begreifliche Reaktion gegen die Verfügungen und Leiter der Revolution eingetreten.

Wunderbarer Weise war indessen ihr Glaube an die philosophischen Ideen, welche die Revolution hervorgebracht hatten, nicht erschüttert und im Jahre 97 schrieb sie an Heckel einen vortrefflichen Brief, den ich gefunden habe und hier mittheile.

Frau Dupin an Herrn Heckel.

„Sie verabscheuen Voltaire und die Philosophen, weil Sie glauben, daß diese an den Uebeln Schuld sind, die uns bedrücken. Aber sind etwa alle Revolutionen, welche die Erde verwüstet haben, durch kühne Ideen hervorgerufen? Ehrgeiz, Rache, Eroberungssucht und Intoleranz haben weit öfter die Länder verheert, als die Liebe zur Freiheit oder die Verehrung der Vernunft. Unter einem Könige wie Ludwig XV. haben alle diese Ideen existiren können, ohne irgend etwas umzustürzen. Unter einem Könige wie Heinrich IV. würden die Gährungen der Revolution nicht zu dem Wahnsinn und zu den Excessen geführt haben, die wir erleben mußten, und die ich hauptsächlich der Schwachheit, der Unfähigkeit und der Unredlichkeit Ludwig's XVI. zuschreibe. Dieser fromme König ertrug sein Leiden zur Ehre Gottes und seine engherzige Resignation hat weder seine Anhänger, noch Frankreich, noch ihn selbst gerettet. Sie bewundern Friedrich und Katharina, weil diese ihre Macht aufrecht erhalten haben — aber was sagen Sie zu deren Glauben? Sie waren die Beschützer und Verbreiter der Philosophie und doch hat es in ihren Reichen keine Revolution gegeben. Den neuen Ideen dürfen wir also weder das Unglück unserer Zeit, noch den Fall der französischen Monarchie zuschreiben, denn wir müssen sagen: daß der Herrscher, der diese Ideen verwarf, gefallen ist, und daß diejenigen, welche sie gefördert haben, heute noch aufrecht stehen. Wir dürfen nicht Unglauben und Philosophie verwechseln; man hat den Atheismus benutzt, um die Wuth des Volkes anzustacheln, wie man dasselbe zur Zeit der Ligue zu ähnlichen Greuelthaten getrieben hat, um die Lehren der Kirche zu vertheidigen. Der Entfesselung böser Leidenschaften dient Alles zum Vorwande. Die Bartholomäusnacht gleicht so ziemlich dem Blutbade der Septembertage und die Philosophen sind in gleicher Weise unschuldig an diesen beiden Verbrechen gegen die Menschheit.“

Mein Vater hatte sich immer nach der militärischen Laufbahn gesehnt. Schon während seiner Verbannung nach Passy hatte der sech[zehn]jährige Knabe in den langen einsamen Tagen, die er in seinem Stübchen verlebte, die Schlacht von Malplaquet studirt. Aber seine Mutter begehrte, ehe sie auf dies Verlangen einging, die Wiederkehr der Monarchie oder die Ruhe einer gemäßigten Republik. Da er nun zu jener Zeit den Gedanken gar nicht fassen konnte, ohne ihre vollständige Einwilligung zu handeln, nahm er sich vor, wenn er sie seinen geheimen Wünschen abgeneigt fand, ein Künstler zu werden, zu componiren, Opern oder Symphonien zur Aufführung zu bringen, und dies Verlangen werden wir mit seinem kriegerischen Feuer gleichen Schritt halten sehen, so wie auch seine Violine mit seinem Säbel in's Feld zog.

Im Jahre 1798 zeigt sich in der Geschichte meines Vaters ein scheinbar geringfügiger Umstand, der aber die größte Wichtigkeit erlangte und zu jenen lebhaften Jugendeindrücken gehörte, die oft auf das ganze Leben zurückwirken, und die, ohne daß wir es wissen, unser Schicksal bestimmen.

Mein Vater hatte in der Gesellschaft der benachbarten Stadt Verbindungen angeknüpft. Ich muß gestehen, daß trotz der Lächerlichkeiten und Fehler, die dem Leben der Provinz eigenthümlich sind, das kleine La Châtre sich immer durch eine Menge sehr verständiger und sehr gebildeter Persönlichkeiten ausgezeichnet hat, die theils zu seinen Bürgern, theils zu seinen Arbeiterklassen gehören. Im Allgemeinen ist man dort freilich sehr dumm und sehr boshaft, weil man denselben Vorurtheilen, denselben Interessen und denselben Eitelkeiten unterworfen ist, die sich überall geltend machen, die sich aber in kleinen Orten unbefangener und unversteckter zeigen, als in großen. Die Bourgeoisie von la Châtre ist wohlhabend, ohne Ueberfluß zu besitzen — und da sie nie gegen einen anmaßenden Adel und nur selten gegen ein bedürftiges Proletariat zu kämpfen hat, befindet sie sich in einem Elemente, das geistiger Entwickelung sehr förderlich ist, obwohl es das Herz zu ruhig und die Einbildungskraft zu kalt läßt.

l798 war mein Vater also mit etwa dreißig jungen Leuten beiderlei Geschlechts bekannt, mit einigen derselben innig befreundet und spielt mit ihnen Komödie. Diese Unterhaltung ist zugleich ein ausgezeichnetes Studium und ich werde später sagen, wie nützlich und förderlich ich dasselbe für die Entwicklung der Jugend halte. Größtentheils sind freilich die Gesellschaften der Dilettanten, wie die der Schauspieler von Profession, durch lächerliche Ansprüche und kleinliche Eifersucht zerrissen; aber das ist die Schuld der Individuen, nicht die der Kunst. Und da meiner Ansicht nach die Schauspielkunst diejenige ist, welche alle andern in sich faßt, so giebt es für einen Freundeskreis keine interessantere Beschäftigung als diese; aber zweierlei wäre nöthig, um sie zu einem vollkommnen Genusse zu machen: ein aufrichtiges Wohlwollen, das jede eifersüchtige Eitelkeit zum Schweigen brächte und ein tiefes Verständniß der Kunst, durch welches diese Versuche glücklich und lehrreich würden.

Es ist anzunehmen, daß diese Bedingungen zu der Zeit, von welcher ich erzähle, in La Châtre erfüllt wurden, denn die Versuche gelangen sehr gut und die Schauspieler blieben Freunde. Den meisten Erfolg hatte ein jämmerliches Stück, das damals sehr beliebt war und das die dramatischen Talente meines Vaters plötzlich auf das Glänzendste offenbarte. Es heißt „Robert, der Banditenchef“ und hat mich, als Probestück von historischer Färbung, auf das Lebhafteste interessirt.

Dies nach dem Deutschen bearbeitete Drama ist nur eine elende Nachahmung der Schiller'schen Räuber — eine Nachahmung, die gleichwohl von einiger Wichtigkeit ist, denn sie enthält ein ganzes Lehrgebäude. Das Stück wurde 1792 zum ersten Male in Paris gegeben; es enthält einen Auszug des Systems der Jacobiner, Robert ist das Ideal eines Anführers der Bergpartei und ich fordere meine Leser auf, das Buch als bemerkenswerthes Denkmal des Geistes jener Zeit zu lesen.

Die Räuber von Schiller sind und bedeuten viel mehr. Sie sind ein großes, edles Werk, voll ungestümer Fehler zwar, wie die Jugend selbst (denn es ist, wie Jedermann weiß, die Arbeit eines vierundzwanzigjährigen Jünglings) — aber wenn wir darin Chaos und Wahnsinn finden, so ist es auch eine Dichtung von hoher Bedeutung und tiefem Sinn.

Durch diese theatralischen Vorstellungen, welche die Mußestunden der Gesellschaft von la Châtre einige Monate lang ausfüllten, wurde meines Vaters Einbildungskraft mehr erhitzt, als meine Mutter vorhergesehen hatte. Die Heldenthaten der Bühne wollten ihm nicht mehr genügen und er vertauschte bald darauf sein Schwert von vergoldetem Holze mit dem Säbel des Husaren.

Um den Robert zu spielen, hatte man Statisten angeworben und die Räuber wurden durch Croaten gegeben, die sich als Kriegsgefangene in Frankreich befanden und in la Châtre einquartirt waren. Sie mußten ein Scheingefecht aufführen und man gab ihnen zu verstehen, daß sie nach dem Kampfe verwundet scheinen müßten. Sie verabredeten sich nun so gut und waren so gewissenhaft in der Ausführung, daß sie Alle mit demselben Fuße hinkten, als sie bei der Vorstellung aus dem Treffen kamen.

So kommandirte mein Vater als Räuberhauptmann auf dem Theater, wo die Mönche geschmaust und die Bergpartei ihre Sitzungen gehalten hatten, gefangene Croaten und Ungarn — zwei Jahre später war er selbst Gefangener der Croaten und Ungarn, die ihn durchaus nicht Komödie spielen ließen, sondern ihn auf das Härteste behandelten. Das Leben ist ein Roman, dessen Vergangenheit und Zukunft Jeder in sich trägt.

Inmitten der Unentschlossenheit meiner Großmutter über die Laufbahn ihres Sohnes wurde das berühmte, von Jourdan vorgeschlagene Gesetz vom 2. Vendémiaire VII (23. Sept. 1798) publizirt. welches jeden Franzosen nach Recht und Pflicht für die ganze Dauer des Lebens zum Soldaten erklärte.

Der Krieg, welcher kurze Zeit geruht hatte, drohte auf allen Punkten wieder loszubrechen. Preußen schwankte in seiner Neutralität; Rußland und Oestreich rüsteten sich mit aller Macht; Neapel stellte seine ganze Bevölkerung unter Waffen. — Das französische Heer war durch Kämpfe, Krankheiten, Desertion dezimirt. — Sobald das Gesetz erdacht und angenommen war, ließ das Direktorium es ausführen und befahl sofort eine Aushebung von 200,000 Mann. Mein Vater war damals zwanzig Jahr alt.

Seit langer Zeit schlug sein Herz vor Ungeduld — die Unthätigkeit drückte ihn. Der junge Mann war unruhig und wünschte — wie meine Großmutter sich ausdrückte — eine „dauerhafte“ Regierung herbei, die ihm erlaubte, Dienste zu nehmen. Für sich selbst kam ihm allerdings auf die Dauer der Dinge nichts an. — Als die Zwangs-Requisitionen ihm sein einziges Pferd raubten, sagte er mit dem Fuße stampfend: „Wenn ich Militair wäre, würde ich das Recht haben, zu reiten; ich würde dem Feinde die Pferde für Frankreich nehmen, statt mich, wie ein schwaches, unnützes Wesen aus dem Sattel gehoben zu sehen.“

Lag es an seinem abenteuerlichen, ritterlichen Sinne, oder bestachen ihn die neuen Ideen; war es Sorglosigkeit des Temperaments, oder vielmehr, wie seine Briefe bei jeder Gelegenheit bezeugen, die gesunde Urtheilskraft eines klaren, ruhigen Geistes, genug er bedauerte nie das alte Regime und den Ueberfluß seiner ersten Jahre. Ruhm war für ihn ein unbestimmtes, geheimnißvolles Wort, das ihm den Schlaf raubte, und wenn seine Mutter sich bemühte, zu beweisen, daß es keinen wahren Ruhm im Dienste einer schlechten Sache geben könne, wagte er nicht zu widersprechen, aber er seufzte tief und sagte sich leise, daß jede Sache gut sei, die zur Vertheidigung des Vaterlandes und zum Widerstande gegen den Andrang fremder Gewalt diene.

Wahrscheinlich fühlte das auch meine Großmutter, denn sie bewunderte die Waffenthaten der republikanischen Armee und kannte Jemappes und Valmy eben so gut, als Fontenay und das alle Fleurus, aber sie konnte ihre Logik nicht mit der Furcht, ihr einziges Kind zu verlieren, vereinbaren. — Sie hätte ihren Sohn wohl an der Spitze eines Regimentes sehen mögen, aber nur unter der Bedingung, daß es keinen Krieg gebe. — Der Gedanke, daß er sich eines Tages mit Soldatenkost begnügen und auf freiem Felde schlafen müßte, trieb ihr die Haare zu Berge und bei dem Gedanken an ein Gefecht fühlte sie sich dem Tode nahe. — Ich habe niemals eine Frau gekannt, die muthiger für sich selbst und schwächer für Andere gewesen wäre, als meine Großmutter. Sie war eben so ruhig in persönlicher Gefahr, als kleinmüthig bei den Gefahren derer, die sie liebte. Als ich noch ein Kind war, unterrichtete sie mich so gut im Stoicismus, daß ich mich geschämt haben würde, in ihrer Gegenwart zu weinen, wenn ich mir weh gethan hatte, war die theure Frau aber Zeuge davon, so war sie es, die in lautes Geschrei ausbrach.

Ihr ganzes Leben verlief unter diesen rührenden Widersprüchen, und da Alles, was gut ist, etwas Gutes hervorbringt, wie das, was von Herzen kommt, auch wieder zum Herzen geht, so brachte ihre zärtliche Schwäche auf ihre Kinder keine ihren Lehren entgegengesetzte Wirkung hervor. Man fand mehr Stärke in dem Willen, ihr Schmerz und Schreck zu ersparen, indem man kleine Leiden verbarg, als man vielleicht gehabt haben würde, hätte sie nicht soviel Schmerz und Schreck gezeigt. Meine Mutter war ganz das Gegentheil von ihr.

Streng gegen sich selbst und gegen Andere, besaß sie jene kostbare Kaltblütigkeit und bewunderungswürdige Geistesgegenwart, die Hülfe herbeischaffen und Vertrauen einflößen. — Jede dieser Handlungsweisen ist wahrscheinlich gut, obgleich sie sich ganz entgegengesetzt sind — es lassen sich daraus alle möglichen Schlußfolgerungen ziehen. Ich meinestheils habe niemals Theorien bei der Erziehung der Kinder anwendbar gefunden. Sie sind so bewegliche Geschöpfe, daß wir uns eben so beweglich machen müssen (wenn wir das können), oder sie entschlüpfen uns mit jeder Stunde ihrer Entwicklung.

In den letzten Tagen des Jahres VI war mein Vater durch Geschäfte nach Paris geführt und in den ersten Tagen des Jahres VII erschien das fürchterliche Conscriptionsgesetz, das ihn wie mit einem elektrischen Schlage berührte und das Schicksal seines Lebens bestimmte. Ich habe die Unruhe der Mutter und die heimlichen Wünsche des Jünglings bereits angedeutet und werde ihn nun selbst reden lassen.

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