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Der Müller von Angibault

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

29. Kapitel.
Die beiden Schwestern

Frau Bricolin hatte die Heimkehr der Ihrigen nicht so frühzeitig erwartet. Ihr Mann hatte ihr befohlen, das Haus zu hüten, ohne ihr etwas von dem durch ihn beabsichtigten Skandal zu sagen, weil er nicht wollte, dass sie die Majestät seiner Rolle vor dem Publikum durch ihr Gezänke schädige. Als sie ihn nun rot vor Zorn, atemlos und laut schnaubend zurückkommen sah, die ebenfalls heftig bewegte Rose, welche die Augen voller Tränen hatte, die sie nicht zu unterdrücken vermochte, am Arm nach sich ziehend, während die Großmutter, ihre Hände voll Bestürzung ringend, eiligst hintendrein kam, trat sie überrascht zurück, leuchtete dann den Ankommenden ins Gesicht und fragte:

»Was ist’s denn? Was hat es gegeben?«

»Mein Sohn hat großes Unrecht begangen und redet unvernünftig«, antwortete die Großmutter und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Ja, ja, so sagt die Alte immer«, murrte der Pächter, dessen Zorn beim Anblick seiner Ehehälfte teilweise wiederkehrte. »Doch genug des Schwatzens! Ist das Nachtessen bereit? Hast du Hunger, Rose, wie?«

»Nein, Vater«, versetzte das Mädchen ziemlich trocken.

»Hab’ ich dir etwa den Appetit vertrieben?«

»Ja, Vater.«

»Soll das ein Vorwurf sein, wie?«

»Ja, Vater, ich gesteh’ es.«

»Ei, sag’ doch, Rose«, fuhr der Pächter fort, der gegen sie so nachsichtig als möglich war, heute aber zum ersten Mal bemerkte, dass sie sich einigermaßen gegen ihn auflehnte; »du nimmst da sicherlich einen Ton an, der mir nicht gefällt. Weißt du wohl, dass deine üble Laune mir allerlei Gedanken machen könnte? Du wirst das nicht wollen, hoff’ ich.«

»Sprechen Sie, sprechen Sie doch, Vater. Sagen Sie, was Sie denken. Wenn Sie sich täuschen, ist es meine Pflicht, mich zu rechtfertigen.«

»Ich sage, Mädchen, dass es dir übel ansteht, die Partei eines Bauers von Müller zu ergreifen, auf dessen Rücken ich nächster Tage mein spanisches Rohr zerschlagen werde, so er sich unterstehen sollte, meinem Hause nahezukommen.«

»Vater«, entgegnete Rose feurig, »ich wage Ihnen zu sagen, ich – ja, und selbst auf die Gefahr hin, dass Sie Ihren Stock auf meinem eigenen Rücken zerschlagen sollten, dass das alles grausam und ungerecht ist, dass es mich gedemütigt hat, Ihrer Rachsucht vor den Leuten zu dienen, wie wenn ich für das Unrecht, welches man gegen Sie begangen oder nicht begangen hat, verantwortlich wäre, kurz, dass mir dies alles Kummer macht und, wie Sie wohl sehen, meine Großmutter betrübt.«

»Ja, ja, es betrübt und verdrießt mich«, sagte die Großmutter mit ihrem offenen und kurzen Ton, der indessen große Sanftmut und Güte verbarg – (und darin glich ihr Rose, dass sie ebenfalls lebhaft sprach und doch ein zärtliches Gemüt besaß). – »Ja«, fuhr die Greisin fort, »es macht mir die Seele bluten, mit Worten einen braven Burschen misshandeln zu sehen, den ich beinahe wie eines meiner Kinder liebhabe, ungeachtet, dass ich seit länger denn sechzig Jahren mit seiner Mutter und seiner ganzen Familie befreundet bin .... Eine Familie braver Leute, wahrhaftig, welcher der große Louis gewiss keine Schande macht!«

»Aha«, schrie Frau Bricolin ihrem Manne zu, »also um dieses artigen Herrn willen mault Eure Mutter und heult Eure Tochter? Seht einmal den Jammer! Ei, Herr Bricolin, da habt Ihr Euch ja eine hübsche Suppe eingebrockt mit Eurer Freundschaft für diesen großen Esel! Da habt Ihr den Dank! Seht doch, ob es nicht eine Schmach ist, dass Eure Mutter und Eure Tochter gegen Euch Partei nehmen und Tränen vergießen, wie wenn wie wenn … großer Gott! Ich will nicht mehr sagen, denn ich müsste rot werden.«

»Sagt alles, Mutter, sprecht!« rief Rose heftig und gereizt. »Da man heute einmal so gut im Zuge ist, mich zu demütigen, so halte man nicht länger hinter dem Berge! Ich bin ganz bereit, zu antworten, wenn man mich ernst und ehrlich über meine Gefühle für den großen Louis befragt.«

»Und was sind das für Gefühle, Jungfer?« fragte der Pächter aufgebracht und mit schreiender Stimme; »sagen Sie es uns schnell, wenn’s beliebt, da Ihnen die Zunge darnach juckt!«

»Meine Gefühle für ihn sind die einer Schwester und einer Freundin«, versetzte Rose, »und niemand soll mir dieselben nehmen!«

»Einer Schwester? Die Schwester eines Müllers!« sagte Herr Bricolin grinsend und die Stimme Roses nachäffend; »einer Freundin? Die Freundin eines Bauers! Das ist eine hübsche Sprache und sehr schicklich für ein Mädchen, wie Sie! Der Donner soll mich erschlagen, wenn heutzutage die jungen Mädchen nicht alle verrückt sind! Rose, Sie reden wie man im Narrenhaus redet!«

In diesem Augenblick widerhallte das durchdringende Geschrei der Wahnsinnigen in dem Gemach. Frau Bricolin erbebte und Rose wurde bleich wie der Tod.

»Hören Sie, Vater«, sagte sie, heftig seinen Arm drückend, »hören Sie wohl und wagen Sie noch von der Verrücktheit der jungen Mädchen zu sprechen? Sie machen Späße über die Narrenhäuser, Sie, der Sie ganz zu vergessen scheinen, dass ein Mädchen von unserem Rang einen Mann ohne Vermögen so sehr lieben kann, dass sie um dieser Liebe willen in einen Zustand verfällt, der schlimmer ist als der Tod!«

»Ha, sie gesteht es, sie bekennt es laut!« schrie Frau Bricolin, geteilt zwischen Wut und Verzweiflung; »sie liebt diesen Bauer, sie droht uns, aberwitzig zu werden, wie ihre Schwester!«

»Rose, Rose«, sagte Herr Bricolin erschrocken, »sei stille! Und Ihr, Thibaude«, setzte er befehlend hinzu, »seht nach der Bricoline!«

Frau Bricolin ging hinaus. Rose verstummte mit verstörtem Gesiebt und erschreckt durch ihre an den Vater gerichteten Worte.

»Meine Tochter, du bist krank«, sagte Herr Bricolin bewegt; »du musst wieder zu dir kommen!«

»Ja, Sie haben Recht, Vater, ich bin krank«, entgegnete Rose, in Tränen ausbrechend und sich ihrem Vater in die Arme werfend.

Herr Bricolin war erschrocken, aber dennoch der Rührung unzugänglich. Er umarmte daher seine Tochter wie ein Kind, das man beschwichtigt, nicht aber wie eines, das man liebt. Er war stolz auf ihre Schönheit, ihren Geist und mehr noch auf den Reichtum, womit er sie überhäufen wollte. Er hätte lieber gewollt, dass sie hässlich und dumm, aber durch ihr Geld Neid einflößend auf die Welt gekommen wäre, als schön, gut, arm und Teilnahme erregend.

»Kleine«, sagte er, »du hast heut’ Abend keinen Menschenverstand. Geh’ schlafen und schlage dir diesen Müller und eure saubere Freundschaft aus dem Sinn. Seine Schwester hat dich gesäugt, das ist wahr; aber, Parbleu, sie wurde dafür gut bezahlt. Dieser Bursche war in der Kindheit dein Kamerad, das ist ebenfalls wahr! Allein er war unser Dienstbote und tat nur seine Pflicht, indem er dich belustigte. Heutzutage beliebt mir’s, ihn wegzujagen, weil er ein hässliches Spiel mit mir getrieben hat, und es ist deine Pflicht, zu finden, dass ich Recht habe.«

»O, Vater«, versetzte Rose unter fortwährendem Weinen, »Sie werden diesen Entschluss aufgeben. Sie werden ihm gestatten, sich zu rechtfertigen, denn er ist nicht schuldig – das ist unmöglich – und Sie werden mich nicht zwingen, den Freund meiner Kindheit, den Sohn der guten Müllerin, welche mich so sehr liebt, zu demütigen!«

»Rose«, versetzte Bricolin, sich von seiner Tochter losmachend, »es ist doch zu einfältig, aus der Verjagung eines solchen Lumpenkerls eine Familienangelegenheit zu machen. Gib Frieden, ich bitte dich. Hör’ mal, wie deine arme Schwester brüllt, und kümmere dich nicht um Fremde, wenn wir so ein Unglück im eigenen Hause haben.«

»O, wenn Sie glauben, ich höre die Stimme meiner Schwester nicht«, erwiderte Rose mit erschreckendem Ausdruck, »wenn Sie meinen, diese Schreie sprächen nicht zu meiner Seele, so täuschen Sie sich, Vater! Ich höre sie wohl und denke nur zu viel dabei.«

Wankenden Fußes ging Rose hinaus, aber als sie sich dem Zimmer ihrer Schwester zuwandte, hörte man sie auf den Boden des Ganges niederstürzen. Die beiden Frauen Bricolin liefen erschreckt herbei. Rose war ohnmächtig und wie tot.

Man beeilte sich, sie in das Gemach zu tragen, wo Marcelle sie schreibend erwartete und vom Sturme, der sich über ihrer Freundin entladen, keine Ahnung hatte. Sie wandte der Ohnmächtigen sogleich die zärtlichste Sorgfalt zu, und sie allein hatte von allen so viel Geistesgegenwart, um in das Weiler zu senden, ob der Arzt sich wohl noch dort befände. Er kam und fand das junge Mädchen in einem heftigen Nervenkrampf.

Ihre Glieder waren starr, ihre Zähne verbissen, ihre Lippen blau angelaufen. Ihr Bewusstsein kehrte zwar zurück, nachdem man einige Vorschriften des Arztes in Anwendung gebracht, aber ihr Puls sprang aus seiner Erschlaffung in eine fürchterliche Heftigkeit über. Das Fieber funkelte in ihren großen schwarzen Augen und sie sprach heftig, ohne zu wissen, was.

Betroffen, die Kranke mehrmals hintereinander den Namen des großen Louis aussprechen zu hören, gelang es Marcelle, die betroffenen Verwandten aus dem Zimmer zu entfernen, und blieb mit Rose allein, während sich der Arzt zu der älteren Schwester begab, welche abermals Symptome eines Wutanfalls zeigte, der dem von gestern Abend ähnlich war.

»Liebe Rose«, sagte Marcelle, ihre Freundin in die Arme fassend, »Sie haben Kummer, das ist ihre Krankheit. Aber beruhigen Sie sich: morgen erzählen Sie mir alles und ich werde alles Mögliche tun, um Ihnen zu helfen. Wer weiß, ob ich nicht ein Mittel ausfindig mache?«

»Ach, Sie sind ein Engel, Sie!« versetzte Rose, sich an Marcelles Hals werfend. »Aber Sie können nichts für mich tun. Alles ist verloren! Louis ist aus dem Hause gejagt. Mein Vater, der ihn heute Morgen begünstigte, hasst und verflucht ihn heute Abend. Wahrhaftig, ich bin zu unglücklich!«

»Sie lieben ihn also?« fragte Marcelle erstaunt.

»Ob ich ihn liebe!« rief Rose aus; »kann ich denn ihn nicht lieben? Und wann haben Sie daran gezweifelt?«

 

»Gestern noch, Rose, wollten Sie es nicht eingestehen.«

»Das kann sein und vielleicht hätte ich’s nie gestanden, wenn man ihn nicht verfolgt, wenn man mich nicht zu einem Geständnis gedrängt hätte, wie man es heute getan. Stellen Sie sich vor«, fuhr sie fort, hastig sprechend und ihre glühende Stirn mit beiden Händen haltend, »dass sie versucht haben, ihn vor meinen Augen zu demütigen und herabzuwürdigen, weil er arm ist und mich zu lieben wagt! Diesen Morgen, als man ihn mit Spott überhäufte, war ich feige: ich war zornig und wagte doch nicht, es merken zu lassen. Ich ließ ihn verspotten, ohne daran zu denken, ihn zu verteidigen, ich schämte mich seiner beinahe. Von heftigem Kopfweh plötzlich erfasst, ging ich heim und fragte mich, ob ich wohl jemals den Mut haben würde, seiner wegen solchen Beschimpfungen zu trotzen. Ich bildete mir ein, ihn nicht mehr zu lieben, und doch fühlte ich sogleich, dass ich dann sterben müsste, und es kam mir nun vor, dieses Haus, welches mir immer schon geschienen hatte, weil ich darin aufgewachsen, und wo ich mich glücklich gefühlt, sei schwarz, unsauber, traurig und hässlich, wie ich ohne Zweifel Ihnen scheinen muss. Ich glaubte, in einem Gefängnis zu sein, und als diesen Abend meine arme Schwester mir in ihrem Wahnsinn sagte, unser Vater sei ein Gendarm, der uns hier bewache, um uns Schmerzen zu bereiten, war ich einen Augenblick lang selber wie wahnsinnig und bildete mir ein, zu sehen, was meine Schwester sah. O, wie tat das weh! Und als meine Besinnung wiederkehrte, fühlte ich wohl, dass ohne meinen armen Louis mein Leben unerfreulich und unerträglich wäre. Weil ich ihn liebe, deshalb vermochte ich bisher fröhlich meine Unannehmlichkeiten zu ertragen, die schrecklichen Launen meiner Mutter, die Unempfindlichkeit meines Vaters, die Last unseres Reichtums, welcher uns nur unglücklich macht und – uns Neider erweckt, den Anblick der furchtbaren Krankheiten, mit welchen schon so lange meine Schwester und mein Großvater behaftet sind. Das alles müsste für mich unerträglich sein, wenn ich allein wäre, nicht mehr zu lieben wagte und alles auf mich nehmen müsste, ohne den Trost zu haben, einem schönen, edeln, trefflichen Wesen teuer zu sein, dessen Anhänglichkeit mich für alles schadlos hielte. O, das wäre unmöglich! Ich liebe und will nicht mehr versuchen, dieser Liebe mich zu entschlagen! Aber ich werde daran sterben, sehen Sie, gnädige Frau Marcelle, denn sie haben ihn weggejagt und sind unerbitterlich, mag ich leiden, was immer ich will. Ich kann ihn nicht mehr sehen, und wenn ich ihn heimlich zu sprechen suche, so werden sie mich so lange schmähen und verhöhnen, bis ich den Kopf verloren haben werde, meinen armen Kopf, den ich für so gesund, für so stark hielt und der mir jetzt so weh tut, dass ich meine, er müsse zerspringen … O, ich lasse es mit mir nicht so weit kommen, wie mit meiner Schwester, seien Sie ruhig, teure, gnädige Frau Marcelle! Ich würde mich töten, sobald ich merkte, dass sich ihr Übel meiner bemächtigen wollte. Und doch, wenn ich sie schreien höre, so zerreißt es mein Herz und wandelt mein Blut abwechselnd in Feuer und in Eis. Eine Schwester, eine unglückliche Schwester! Sie ist von unserm Fleisch und Blut und ihr Weh erfüllt unsern Körper wie unsere Seele! O Himmel! Gnädige Frau, hören Sie sie? Horch! O, sie mögen immerhin die Türe verschließen, ich höre sie doch, höre sie immer! Wie sie leidet, wie sie liebt, wie sie schreit! Schwester, arme Schwester, die ich so schön, so klug, so sanft, so heiter gesehen und die jetzt heult wie eine Wölfin!«

Die arme Rose brach in Schluchzen aus und allmählich wurde ihr Weinen, das durch eine gewaltsame Anstrengung ihres Willens lange unterdrückt worden, zu unartikulierten Lauten, endlich zu durchdringendem Schreien. Ihr Gesicht rötete sich, ihre wirren Augen schienen sich zu verdrehen und erlöschen zu wollen, ihre krampfbefallenen Hände drückten Marcelles Arm bis zum Zerquetschen, und endlich barg sie ihr Gesicht in das Kopfkissen und schrie auf herzzerreißende Weise, durch einen verhängnisvollen Instinkt das furchtbare Geschrei ihrer unglücklichen Schwester nachahmend.

Von diesem traurigen Echo betroffen, verließ die Familie die ältere Schwester, um sich zu der jüngeren zu begeben. Auch der Arzt lief herbei, und da er von den Vorgängen des Abends unterrichtet war, schrieb er diesen heftigen Nervenkrampf nicht einzig und allein dem Eindruck zu, welchen der Wahnsinn ihrer Schwester auf die Einbildungskraft Roses gemacht hatte. Es gelang ihm, die Kranke zu beruhigen, und als er sich hierauf wieder mit den Bricolin allein befand, sprach er ein ernsthaftes Wort mit ihnen.

»Sie haben«, sagte er, »eine langdauernde Unklugheit begangen, das junge Mädchen in Gegenwart eines so traurigen Anblicks zu erziehen. Es wäre an der Zeit, ihr denselben zu entziehen, die ältere Schwester in eine Irrenanstalt zu bringen und die jüngere zu verheiraten, um die Schwermut zu zerstreuen, welche sich ihrer leicht bemächtigen könnte.«

»Wie, Herr Lavergne? Aber wissen Sie denn nicht, dass wir nichts anderes wünschen, als sie zu verheiraten? Sie hat schon dutzendmal dazu Gelegenheit gehabt und erst heute wieder war unser Vetter Honoré hier, der eine sehr gute Partie ist, denn er kriegt ein Erbteil von hunderttausend Talern. Wenn sie wollte, wäre er höchlich zufrieden und wir ebenfalls, allein sie will nichts davon hören und schlägt alle aus, die wir ihr vorschlagen.«

»Das kommt vielleicht daher, dass Sie ihr keinen vorschlagen, der ihr gefällt«, entgegnete der Doktor. »Ich weiß nichts davon und will mich keineswegs in Ihre Angelegenheiten mischen; allein Sie kennen doch wohl die Ursache des Unglücks Ihrer älteren Tochter und ich rate Ihnen daher ernstlich, mit der jüngeren anders zu verfahren.«

»Oh, die da!« sagte Herr Bricolin, »es wäre doch allzu schade um sie; ein so schönes Mädchen, hm.«

»Die andere war ebenfalls ein schönes Mädchen, erinnern Sie sich wohl daran!«

»Aber Herr«, sagte Frau Bricolin, durch die Offenheit des Arztes mehr erzürnt, als betroffen, »glauben Sie denn, meine Tochter sei letz im Kopf? Das Unglück der andern ist ein Zufall, dem Schmerz entsprungen, welchen ihr der Tod ihres Liebhabers verursachte.«

»Den zu heiraten Sie ihr nicht gestatteten.«

»Herr, was wissen Sie davon? Wir hätten es vielleicht zugegeben, wenn wir gewusst hätten, dass es so schlimm gehen würde. Aber Rose, Herr, ist ein gut organisiertes, verständiges Mädchen und, Gott sei Dank, das Übel in unserer Familie nicht erblich. Es hat, soviel ich weiß, weder unter den Bricolin noch unter den Thibaut jemals Narren gegeben. Ich habe stets den Kopf an der rechten Stelle gehabt, habe Töchter, die wie ich sind, ich begreife also nicht, warum Rose nicht auch so sein sollte.«

»Denken Sie, wie Sie wollen«, versetzte der Arzt, »allein ich erkläre Ihnen, dass Sie ein ernstes Spiel spielen, wenn Sie jemals den Neigungen ihrer jüngsten Tochter entgegentreten. Sie hat ein höchst reizbares Temperament und ihr Wesen ist dem der älteren sehr ähnlich. Überdies ist der Wahnsinn, wenn auch nicht erblich, doch ansteckend.«

»O, wir werden die andere in eine Heilanstalt bringen«, erwiderte Frau Bricolin; »wir wollen uns dazu entschließen, mag es kosten, was es wolle.«

»Und man muss der Rose nicht zuwider sein, hörst du, Frau?« bemerkte der Pächter, mehrere Gläser Wein hinunterstürzend, um sich über seine häuslichen Angelegenheiten zu betäuben. »Es hat gegenwärtig Komödianten zu la Châtre, man muss sie dorthin in die Komödie führen, ihr auch ein neues Kleid kaufen oder zwei, wenn’s sein muss. Sapristi, haben wir doch die Mittel, ihr nichts zu versagen!«

Herr Bricolin ward hier durch Frau von Blanchemont unterbrochen, welche ihn um eine Unterredung unter vier Augen bat.

30. Kapitel.
Der Vertrag

»Herr Bricolin«, sagte Marcelle, dem Pächter in eine Art von finsterem und übel aufgeräumtem Kabinett folgend, wo er in buntem Durcheinander seine Papiere, sowie verschiedene Ackergerätschaften und Samenmuster aufgehäuft hatte, »sind Sie aufgelegt, mich ruhig und friedsam anzuhören?«

Der Pächter hatte viel getrunken, um sich in die gehörige Stimmung zu versetzen, bevor er ging, um den großen Louis auf der Gemeindewiese zu beschimpfen. Von dort zurückkommend, hatte er dann abermals getrunken, um sich zu beruhigen und zu erfrischen. Einen dritten Trunk hatte er hierauf zu sich genommen, um die traurigen Gedanken zu verscheuchen, die sich seiner bemächtigen wollten. Seine halbporzellanene, mit blauen Blumen bemalte Flasche, welche unausgesetzt auf dem Küchentische stand, diente ihm gewöhnlich zur Beschwichtigung oder zur Steigerung des ersten Dusels der Trunkenheit. Als er sich nun mit Frau von Blanchemont allein und der Hilfsmacht seines weißen Weines beraubt sah, fühlte er sich höchst unbehaglich, machte mechanisch die gewohnte Bewegung, um sein Glas, welches nicht da war, und als er Marcelle einen Stuhl anbieten wollte, warf er dabei zweie um. Jetzt erst merkte Marcelle an seinen schwankenden Beinen, seinem roten Gesicht, dass er sich gehörig angetrunken. Aber trotz des Widerwillens, den ihr diese Verdoppelung seiner persönlichen Reize einflößte, beschloss sie, eine offene Auseinandersetzung mit ihm zu wagen, denn sie erinnerte sich des Sprichworts: in vino veritas.

Sie sah, dass er ihre ersten Worte kaum gehört, und wiederholte daher ihren Angriff. »Herr Bricolin, sagte sie, ich bin so frei gewesen, Sie zu fragen, ob sie dazu gestimmt und geneigt sind, einen ziemlich delikaten Antrag anzuhören, den ich Ihnen zu machen habe.«

»Was gibt’s denn, Madame?« antwortete der Pächter in wenig verbindlichem Ton, aber ohne Energie. Er war sehr aufgebracht auf Marcelle, aber zu schwer angetrunken, um es ihr zu zeigen.

»Herr Bricolin«, fuhr sie fort, »Sie haben den Müller von Angibault aus Ihrem Hause gejagt und ich wünsche die Ursache Ihrer Unzufriedenheit mit ihm zu wissen.«

Bricolin kam etwas außer Fassung durch diese freimütige Art, die Frage vorzubringen. Es lag im Äußern Marcelles eine gewisse offene Keckheit, die ihm stets peinlich war, besonders aber in einem Augenblick, wo er sich nicht ganz in seiner Gewalt hatte. Von einem dem seinigen überlegenen Willen beherrscht, tat er das Gegenteil von dem, was er nüchtern getan hätte: er sagte die Wahrheit.

»Sie wissen«, antwortete er, »die Ursache meiner Unzufriedenheit und ich brauche sie Ihnen nicht erst zu sagen.«

»Sie meinen also mich?«

»Sie? Nein. Ihnen werfe ich nichts vor. Sie haben Ihren Vorteil im Auge, wie ich den meinigen, aber ich meine, es ist schuftig, sich zu stellen, als wäre man mein Freund und unterdes Ihnen hinterrücks guten Rat gegen mich zu geben. Hören Sie auf diesen guten Rat, benutzen Sie ihn, bezahlen Sie ihn gut, Sie werden es nicht unterlassen. Ich aber, ich werfe den Feind, der mir bei Ihnen schadet, zur Tür hinaus. Das tu’ ich! Schlimm für die, die es schlecht finden … Ich bin Herr in meinem Hause, denn sehen Sie, Frau v. Blanchemont, am Ende ist doch jeder sich selbst der Nächste! Ihr Vorteil ist Ihr Vorteil und mein Vorteil der meinige, eine Kanaille aber ist und bleibt eine Kanaille. Heut’ alleweile denkt jeder an sich. Ich bin Herr in meinem Hause und in meiner Familie, Sie haben Ihre Interessen wie ich die meinigen; für guten Rat gegen mich, ich sag’s Ihnen ja, werden Sie natürlich…«

Und so trat er, sich stets wiederholend, ohne es zu bemerken, ganz dasselbe wohl zehn Minuten hindurch breit, denn bei jedem Wort, das er sagte, vergaß er, dass er das Nämliche schon hundertmal gesagt.

Marcelle hatte selten betrunkene Menschen in der Nähe gesehen, gesprochen aber mit keinem. Sie hörte ihm daher verwundert zu, fragte sich, ob er etwa plötzlich geistesabwesend geworden sei und dachte nicht ohne Angst daran, dass das Schicksal Roses und ihres Geliebten von einem Manne abhinge, der nüchtern hartherzig und eigensinnig, und wenn der Wein seine Rohheit gemildert, stumpfsinnig und taub war. Sie ließ ihn eine Weile dieselben unwürdigen Gemeinplätze wiederkäuen; als sie aber sah, dass dies Stück leicht so lange fortspielen könne, bis er auf seinem Stuhl einschlief, versuchte sie ihn zu entnebeln, indem sie plötzlich die für ihn empfindlichste Saite anschlug.

»Nun, Herr Bricolin, Sie wollen also schlechterdings Blanchemont kaufen? Und wenn ich nun das Gebot, welches Sie mir getan, annähme, wären Sie dann noch erzürnt?«

Bricolin strengte sich an, seine zugefallenen Augenlider zu öffnen und Marcelle, die ihn aufmerksam und fest anschaute, ebenfalls mit Festigkeit anzusehen. Allmählich erhellten sich dann die Augen des Pächters, sein aufgeblasenes und stupides Gesicht nahm einen festeren Ausdruck an und man hätte sagen können, der Schleier falle von seinen Zügen. Er stand auf und machte ein paar Gänge durch das Gemach, wie um seine Beine zu probieren und seine Gedanken zu sammeln. Als er sich hierauf wieder Marcelle gegenüber setzte, war die Stellung fest und sein Gesicht fast blass. So sagte er:

 

»Verzeihung, Frau Baronin, was haben Sie mir zu sagen die Ehre angetan?«

»Ich sage«, versetzte Marcelle, »dass ich fähig wäre, Ihnen mein Gut um den Preis von zweimal hundertundfünfzigtausend Francs zu überlassen, wenn…«

»Wenn was?« fragte Bricolin kurz und mit dem Blick eines Luchses.

»Wenn Sie mir versprechen wollen, Ihre Tochter nicht unglücklich zu machen.«

»Meine Tochter! Was hat meine Tochter dabei zu tun?«

»Ihre Tochter liebt den Müller von Angibault; sie ist sehr krank und kann den Verstand verlieren wie ihre Schwester. Hören Sie, verstehen Sie, Herr Bricolin?«

»Ich höre, verstehe aber nicht recht. Ich weiß wohl, dass meine Tochter eine Art Liebelei im Kopfe hat. Die kann ebenso schnell vergehen, wie sie gekommen. Aber was geht denn meine Tochter Sie an?«

»Was geht das Sie an? Wenn Sie auch nichts davon verstehen, wie man für ein reizendes Mädchen, welches unglücklich ist, Freundschaft und Mitleid hegen kann, so verstehen Sie sich doch gewiss auf den Vorteil, Eigentümer von Blanchemont zu sein?«

»Das ist ein Scherz, Frau Baronin. Sie machen sich über mich lustig. Haben Sie doch heute meinen größten Feind, den Notar Tailland gesprochen, welcher Ihnen sicherlich geraten hat, mir das Futter recht hoch zu stecken.«

»Er hat mir ohne alle Feindseligkeit gegen Sie einige notwendige Fingerzeige über meine Verhältnisse gegeben, wodurch ich allerdings in den Stand gesetzt bin, zu wissen, dass ich in Bälde einen Käufer finden und Ihnen, wie Sie sagen, das Futter hoch stecken könnte.«

»Und der Müller von Angibault hat dafür gesorgt, dass Sie hinter meinem Rücken so gut beraten wurden?«

»Was wissen Sie davon? Sie könnten sich sehr täuschen. Übrigens ist jede Erklärung hierüber überflüssig. Wenn ich mich mit Ihren Anerbietungen zufrieden erkläre, was kümmert Sie das Übrige?«

»Aber das Übrige … das Übrige – ist ja eben der Umstand, dass meine Tochter einen Müller heiraten soll!«

»Ihr Vater war ja auch ein Müller, bevor er bei meinen Eltern Pächter wurde.«

»Aber er hat sich ein Vermögen gemacht und heutzutage bin ich in der Lage, einen Schwiegersohn zu bekommen, der mir Ihr Gut kaufen hilft.«

»Um dreimalhunderttausend Francs und vielleicht um noch mehr?«

»Das ist also eine conditschio sinet quoi nomme22? Sie wollen, dass dieser Müller meine Tochter heirate? Welches Interesse können Sie dabei haben?«

»Ich habe es Ihnen schon gesagt: Freundschaft und das Vergnügen, Glückliche zu machen, freilich lauter Dinge, die Ihnen wunderlich vorkommen mögen; aber jeder nach seiner Art.«

»Ich weiß wohl, dass der verstorbene Herr Baron, Ihr Gemahl, zehntausend Francs für ein schlechtes Pferd, vierzigtausend Francs für ein schlechtes Mädchen gegeben hätte, wenn es ihm eingefallen wäre. Das sind so adelige Einfälle; aber man kann es noch begreifen, es war doch seiner wegen, es machte ihm Spaß: allein ein Opfer zu bringen, bloß um andern Vergnügen zu machen, Leuten, welche Sie nichts angehen, welche Sie kaum kennen…«

»Sie raten mir also, es nicht zu tun?«

»Ich rate Ihnen«, erwiderte Bricolin, erschrocken über seine Ungeschicklichkeit, lebhaft, »zu tun, was Ihnen gefällt. Über Geschmack und Ansichten ist bös’ streiten, aber endlich…«

»Aber endlich .... Sie misstrauen mir, das ist klar. Sie glauben also, ich meine es nicht aufrichtig mit meinen Vorschlägen?«

»Verdammt, gnädige Frau! Welche Garantien hätte ich? Das ist die Laune einer Königin, welche im nächsten Augenblick wieder versiegen kann.«

»Nun da müssen Sie sich eben beeilen, mich beim Wort zu nehmen.«

›Es ist, bei Gott, Vernunft in ihrer Narrheit‹, dachte Herr Bricolin, ›sie ist kaltblütiger als ich.‹ Dann sagte er:

»Lassen Sie sehen, Frau Baronin, welche Garantie geben Sie mir?«

»Eine schriftliche Verpflichtung.«

»Unterzeichnet?«

»Gewiss.«

»Und ich, ich soll Ihnen versprechen, meine Tochter Ihrem Schützling zur Ehe zu geben?«

»Sie sollen mir darauf Ihr Ehrenwort geben.«

»Mein Ehrenwort? Und dann?«

»Und dann sollen Sie es auf der Stelle in Gegenwart Ihrer Mutter, Ihrer Frau und Ihrer Tochter Rose geben.«

»Mein Ehrenwort? Rose ist also ganz närrisch verliebt?«

»Begreifen Sie es endlich?«

»Wenn es weiter nichts bedarf, um der Kleinen Freude zu machen…«

»Es bedarf noch mehr.«

»Wessen denn?«

»Sie müssen Ihr Wort halten.«

Das Gesicht des Pächters veränderte sich.

»Mein Wort halten, mein Wort halten…«, sagte er: »Sie zweifeln also daran?«

»Nicht mehr und nicht weniger, als Sie an dem meinigen zweifeln; aber da Sie von mir etwas Schriftliches verlangen, so verlange ich von Ihnen das Gleiche.«

»Und was soll denn das für eine Schrift sein?«

»Ein Eheversprechen, welches ich selber aufsetzen will und welches Rose unterzeichnen wird, wie auch Sie.«

»Und wenn Rose hintendrein eine Mitgift von mir verlangte?«

»Sie wird in derselben Schrift darauf verzichten.«

›Das wäre höchst ökonomisch‹, dachte der Pächter. ›Diese verteufelte Mitgift hätte mich am Ende noch verhindert, Blanchemont kaufen zu können. Rose nicht aussteuern müssen und Blanchemont für zweimal hundertundfünfzigtausend Francs zu bekommen, das macht einen Profit von hunderttausend Francs. Ei, da darf man sich nicht lange besinnen. Kommt dazu noch, dass wenn Rose verrückt würde, man ohnehin auf einen reichen Schwiegersohn verzichten müsste … und dann jahraus jahrein einen Arzt zu bezahlen und endlich, es wäre doch gar zu traurig, es würde mir zu viel Mühe machen, sie so hässlich und unsauber werden zu sehen, wie ihre Schwester. Es wäre eine Schande für uns, zwei verrückte Töchter zu haben. Die Rose wird freilich wunderlich gestellt sein… aber die Herrschaft von Blanchemont kann vieles gutmachen. Man wird uns von einer Seite kritisieren, aber von der andern beneiden. Wohlan, wir wollen ein guter Vater sein… Die Sache ist gar nicht so übel....‹

Hierauf sagte er:

»Frau Baronin, wollen wir einmal probieren, wie sich ein solcher Vertrag aufsetzen lassen wird? ’s ist in allweg ein närrischer Handel und ich kenne kein taugliches Muster.«

»Ich ebenfalls nicht«, versetzte Frau von Blanchemont, »und ich weiß nicht, ob in der modernen Gesetzgebung eines existiert. Aber was tut das? Mit gesundem Menschenverstand und redlichem Willen, wissen Sie, kann man eine festere Urkunde aufsetzen, als es alle die Leute vom Fach zu tun imstande sind.«

»Das sieht man alle Tage, bei Testamenten z. B. Das Stempelpapier allein tut’s noch nicht. Doch ich habe welches im Hause, ich habe immer welches, man muss dergleichen immer bei der Hand haben.«

»Lassen Sie mich ein Brouillon auf gewöhnlichem Papier entwerfen, Herr Bricolin, und entwerfen Sie auch Ihrerseits ein solches, dann vergleichen wir die beiden Entwürfe, verbessern das noch Ungehörige und übertragen dann das Ganze auf Stempelpapier.«

»Machen Sie’s so, machen Sie es«, sagte Bricolin, welcher nur mit Mühe schreiben konnte. »Sie haben mehr Geist als ich, Sie werden der Sache schon die gehörige Form zu geben verstehen, und dann wollen wir sehen.«

Während nun Marcelle schrieb, entdeckte Herr Bricolin in einem Winkel einen Wasserkrug, stellte denselben unvermerkt auf einen Eckschrank, neigte ihn und verschluckte eine ziemliche Quantität von dessen Inhalt. ›Es handelt sich darum‹, dachte er, ›den Kopf beisammen zu haben. Ich glaube zwar, ich hab’ ihn wieder beisammen, aber kaltes Wasser ins Blut zu gießen, ist sehr gut bei Geschäften, das macht klug und misstrauisch.‹

Durch ihre Herzensgüte begeistert und überdies in ihren edelmütigen Entschlüssen mit großer Einsicht und großem Scharfsinn begabt, entwarf Marcelle einen Vertrag, welchen jeder Jurist als ein Meisterstück von Klarheit hätte anerkennen müssen, obgleich dieser Vertrag, in gutem Französisch geschrieben, kein Wort jenes geheiligten Handwerksrotwelsches enthielt und vom redlichsten Herzen diktiert war.

22Der Pächter will sagen: eine conditio sine qua non (eine unumgängliche Bedingung), A. d. Ü.