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Loe raamatut: «Ein Legat», lehekülg 6

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Achtes Capitel

»Wie wir vernehmen,« so lautete einige Tage später ein Bericht in der Helmstadter Zeitung, »ist hier am Orte ein Gemälde des berühmten Memmeling entdeckt worden und beabsichtigt der Besitzer, dies Meisterwerk der niederländischen Schule dem hiesigen Museum zum Geschenk anzubieten.«

Niemand achtete darauf. Als aber alle Zeitungen diesen Bericht nachdruckten und selbst die größten fremden Blätter die Gelegenheit ergriffen, um kunsthistorische Notizen über den berühmten Memmeling beizufügen, da begannen die Einwohner von Helmstadt zu begreifen, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handle, und es wurde nun überall von dem gefundenen Gemälde und über die Einzelheiten der Entdeckung desselben geredet.

Da erschien plötzlich ein eingesandter Artikel in der Helmstadter Zeitung, welcher das Publicum auf die rechte Spur bringen sollte.

»Herr Redacteur,« lautete dieser Artikel, obschon Jedermann wußte, daß so etwas, wie ein Redacteur, in Helmstadt gar nicht vorhanden war und die alte Wittwe, welche die Druckerei mit ihrem Obergehülfen fortführte, Alles in das Blatt aufnahm, wenn ihr der Einsender nur bekannt war. – »Herr Redacteur, in Ihrem vielgelesenen Blatte wird von einem Gemälde berichtet, welches man hier gefunden haben soll. Ich will nicht behaupten, daß die ganze Sache eine Erfindung ist, aber ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß in der letzten Zeit viele nachgemachte Gemälde in den Handel gebracht worden sind. Es ist schwer anzunehmen, daß alte, gute Bilder sich so mir nichts dir nichts finden, denn ein wirklich werthvolles Bild pflegt man sorgfältig zu bewahren und nicht zum Aufhängen in eine Thurmstube zu verschenken, wo einige Copien sich befinden, die ohnehin bald verkauft werden sollen. Für die Aufnahme dieser Zeilen würde Ihnen dankbar sein.

Ein aufmerksamer Leser.«

Die Zeitungsnummer, in welcher dieses »Eingesandt« erschien, war ein Ereigniß in Helmstadt. Jeder las den Artikel und die Meisten bewunderten den gesunden Verstand des »aufmerksamen Lesers«. Andere allerdings theilten diese günstige Ansicht nicht, am wenigsten Walther, und in einer der nächsten Nummern las man:

»Der »aufmerksame Leser« würde besser gethan haben, zu untersuchen, bevor er spricht, denn sein Geschreibsel beweist seine große Unkenntniß in Sachen der Kunst. Ich habe das Meisterstück des Memmeling genau studirt und hege nicht den mindesten Zweifel über seine Echtheit. Wohl werden Gemälde verfälscht, aber in gewinnsüchtiger Absicht, wovon hier keine Rede sein kann. Der Finder hat das Bild in uneigennütziger Weise dem Museum überlassen und die Art, wie er selbst es erhielt, läßt keine Fälschung vermuthen. Ueberdies, wie bereits gesagt, ist das Stück echt, wie ich nach meiner Untersuchung versichern kann. Was die Bemerkung betrifft, daß man werthvolle Bilder sorgfältig bewahre, so scheint der »aufmerksame Leser« nicht zu wissen, wie Hunderte, ja Tausende der ausgezeichnetsten Meisterstücke gefunden wurden, nachdem sie jahrelang im Besitz von Personen waren, die ihren Werth nicht kannten. Man kann sehen, daß der Mann keine andere Zeitung liest als die, deren »aufmerksamen Leser« er sich nennt. Die irrige Vorstellung von dem Verkauf des Museums und sonstige Anspielungen halte ich der Beantwortung nicht werth; der Schreiber hätte besser gethan, seinen Namen unter den Artikel zu setzen, wie dies geschieht von

I. J. Walther, Custos des städtischen Museums

zu Helmstadt.«

Das schlug ein. Der »aufmerksame Leser« hatte jedenfalls Unrecht; der Artikel von Walther, von diesem unterzeichnet, widerlegte ihn in allen Theilen. Walther war ein ausgezeichneter Mensch, das hatte man immer gesagt, der Andere wird es nun wohl bleiben lassen.

Der Andere ließ es denn auch dabei. Aber ein Dritter mischte sich ein und die Zeitung brachte folgenden Artikel:

»Ich halte es nicht für nöthig, meinen Aufsatz zu unterzeichnen, denn es ist mir um die Wahrheit und nicht um Personen zu thun. Herr Ignatius Johannes Walther mag seinen Namen unter die Antwort an den »aufmerksamen Leser« gesetzt haben, damit Jedermann über seine Kunstkenntniß und Erfahrung in Erstaunen gerathe. Herr Ignatius hat das Bild untersucht, darum, Ihr Bewohner von Helmstadt, darum ist es so! Die Aussprüche dieses Herrn sind unfehlbar, wie die des Papstes, und fordern Unterwerfung und Glauben.

»Wir unsererseits huldigen einer solchen Autoritätslehre nicht, wir unsererseits erkennen jedem Individuum das Recht zu, seine eigene Meinung zu haben, und selbst wenn Ignatius von Loyola sagen würde: »so ist es,« blieben wir doch bei der Frage: wo ist der Beweis? und dieser Beweis ist nicht geführt.

»Wie die Sache sich auch verhalten mag, wir bedauern, daß ein Mann, dessen gesellschaftliche Stellung ihn zu doppelter Behutsamkeit veranlassen sollte, wissentlich oder unwissentlich darin mitgewirkt hat. Wir sind die Letzten, welche in Sachen des Glaubens einseitig oder gehässig auftreten möchten, aber wer berufen ist, einer Gemeinde zum Führer zu dienen, sollte sich alles dessen enthalten, was seinem Rufe einen Makel anheften kann.

Ein Freund der Wahrheit.«

»Walther kann hierauf nicht schweigen,« versicherte ein Herr im Club einige Tage darauf.

»Walther kann hierauf nicht antworten,« sagte ein Anderer, »es ist Hohn und Schimpf.«

»Hohn und Schimpf! Ich glaube, daß er dem Lästermaul Eins versetzen wird,« sagte ein Dritter, »die Jesuiten sind so, es braucht Einer dem Anderen nur einen Wink zu geben und es geschieht.«

»Reden Sie mir nicht davon,« sagte der Rath Sander, »ich kenne das von meinen Reisen her; aber der Das geschrieben hat, hat Haare auf den Zähnen. Wer, glauben Sie wohl, mag es sein?«

Der Gefragte zuckte die Achseln mit vielbedeutendem Lächeln und blickte seitwärts nach einem Tischchen, wo ein Officier und ein junger Advocat saßen. »Meinen Sie?«

»Ich halte den Hauptmann für den »aufmerksamen Leser« und den Anderen für den »Freund der Wahrheit«.«

»Haben die Herren schon die Reichszeitung gelesen?« fragte ein Vierter, der, den Stuhl in der rechten und die genannte Zeitung in der linken Hand, den Anderen sich näherte.«

»Nein, was steht darin?«

»Hören Sie: In Helmstadt ist ein kostbares Gemälde entdeckt, welches als ein großer Gewinn für die Kunst betrachtet werden kann. Man hat die Entdeckung dem Herrn Walther zu danken, einem Manne, der sein stilles, ganz der Kunst geweihtes Leben dort in Zurückgezogenheit verbringt und sich ausschließlich mit der ausgezeichneten Gemäldesammlung beschäftigt, welche das Eigenthum der Gemeinde ist. Das Bild ist vier Fuß breit – Nun ja, hier kommt eine Beschreibung des Bildes, die den Herren wohl gleichgültig sein wird. Aber dann folgt: Es versteht sich von selbst, daß in Helmstadt die unverständige Menge den Namen Memmeling nicht kennt und das Publicum nicht begreifen kann, wie ein werthvolles Stück verloren gehen und nachher wiedergefunden werden kann. Einige Schreiber haben die Helmstadter Zeitung zu ihrem Werkzeuge erkoren, um ihre Dummheit vollkundig zu machen. Einer, der sich »Freund der Wahrheit« nennt, hat bei dieser Gelegenheit wie ein Schuljunge über Dinge abgeurtheilt, von denen der Bursche nicht den geringsten Begriff hat, wir wollen nicht näher darauf eingehen, denn Herr Walther steht zu hoch, um sich über das Raisonniren von Menschen zu ärgern, die zu früh der Schule entlaufen sind.«

»Habe ich es nicht gesagt, daß die Jesuiten zusammenhängen wie Kletten? Kaum ist an den Bienenstock angestoßen, so kommen sie alle heraus, um ihren Stachel zu gebrauchen.«

Die »Reichszeitung« ging drei Tage lang von Hand zu Hand. Dann kam die »Fackel« an die Reihe, welche den Artikel des »Freundes der Wahrheit« vollständig abgedruckt und als Bemerkung beigefügt hatte: »Dies ist ein neuer Beweis, wie sehr man vor den Ränken einer gewissen Partei, die im Finstern schleicht, auf der Hut sein muß. Leider hat dies der dabei betheiligte Geistliche nicht beherzigt und sich als ungetreuer Hirte seiner Gemeinde gezeigt.«

»Ich habe es immer gesagt, daß du das Gemälde nicht hättest fortgeben sollen,« sagte Frau Nadering zu ihrem Manne.

»Ja, Kind,« antwortete der Pastor, »aber das sagtest du doch mehr des Geldes wegen, nicht wahr?«

Die Pastorin machte ein böses Gesicht und erwiederte nichts. Ihr Mann schien es darauf abgesehen zu haben, ihr Unrecht zu geben.

Neuntes Capitel

Der Gemeinderath hatte sich wieder einmal versammelt, und diesmal stand die Berathung, den Verkauf des Museums betreffend, auf der Tagesordnung.

Pastor Nadering hatte den Kirchendiener Nohr abgesandt, um auf den Verlauf der Verhandlung zu achten und dann sofort Bescheid zu bringen, denn das Ehepaar im Pfarrhause erwartete mit Spannung den Schluß. Der ungeschickte Kirchendiener kam jedoch zu früh zurück und brachte die Nachricht, daß der Antrag zurückgezogen sei. Er konnte jedoch weder die Auskunft geben, welcher Antrag, noch ob irgend etwas Weiteres verhandelt worden, und so ließ der Pastor ihn gehen und war froh, als der Mann fort war, denn er fühlte, daß die Einfalt desselben ihn fast zornig machte.

Kaum war Nohr hinaus, so klingelte Walther. Das Dienstmädchen folgte der erhaltenen Weisung, indem es versicherte, daß der Herr Pastor nicht zu sprechen sei. Bei sich selbst glaubte sie, dies ganz besonders geschickt gemacht zu haben, und ging in diesem Bewußtsein zur Frau Pastorin, die an der Studirstube stand, um zu hören, wer geschellt habe.

»Wer?« fragte Nadering seine Frau.

»Walther!«

»Walther – laß ihn sofort eintreten.«

»Das Mädchen hat ihn fortgeschickt.«

Dem Herrn Pastor entschlüpfte ein halblauter Fluch. Noch nie war er so böse gewesen und er eilte in seinen Pantoffeln an die Hausthür und riß sie auf.

»Herr Walther!« rief er, so laut er konnte, und sobald die Vorübergehenden sahen, daß der Pastor Jemanden rufe, stimmten sie mit ein.

»Warten Sie nur, Herr Pastor, ich werde ihn holen,« sagte der Bäckerjunge und ließ seinen Wagen stehen, um Walther nachzulaufen.

»Der Pastor ruft Sie, Sie sollen gleich zu ihm kommen,« sagte der Bäckerjunge, welcher der Ansicht war, daß der Pastor der Erste in der Gemeinde sei und überall zu befehlen habe.

»Sage deinem Pastor, daß er zu mir kommen kann,« antwortete der Maler und wollte weitergehen, aber glücklicherweise kam ein anderer Mann, der mehr Menschenkenntniß besaß, und brachte die Sache in Ordnung. Einige Augenblicke später war Walther in Nadering's Studirstube. Aber der ganze Vorfall war nicht unbemerkt geblieben und es war vorauszusehen, daß die Helmstadter Zeitung und die »Fackel« ihre Meinung darüber aussprechen würden.

»Man kann Ihnen wohl gratuliren, Herr Walther,« sagte der Pastor, »die Sache ist ja wohl zu Ende?«

»Das heißt, Herr Pastor, der Verkauf wird vorläufig noch nicht beschlossen, wie ich voraussagte, und mein Abschied ist auch noch nicht angenommen. Alles Uebrige ist vorläufig unentschieden.«

»Nun, ich werde den Abschluß hier wohl nicht mehr erleben. Ich gehe nach Riethausen, wie Sie vielleicht schon gehört haben, und da mein College Rodermann, aus Malice gegen den Bürgermeister und mich, die Bibelstunde nicht wieder einführen will, so wird es wohl dabei bleiben, daß das Legat an das Museum fällt. Wer ist denn nichts über das Gemälde gesagt worden?«

»Kein Wort!«

»So – kein Wort. Ei, ei!« Der Pastor rückte sein Käppchen hin und her. »Wissen Sie, was der Bürgermeister ist –,« sagte er dann – »aber wir wollen nicht darüber sprechen. Hoffentlich finde ich in Riethausen einen anderen Gemeindevorstand. Sie müssen einmal nach Riethausen kommen, Herr Walther. Im dortigen Rathhause befindet sich eine Folterbank und andere Alterthümer, eine sehr werthvolle Sammlung! Ich bin mit meiner Frau drei Tage dort gewesen, als der jetzt verstorbene Prediger daselbst wohnte.«

Walther versprach es und verließ darauf das Pfarrhaus. Als er zu Hause ankam, fand er eine Bestellung von Nohr, welcher bitten ließ, ihn im Vorbeigehen zu besuchen, und da Walther selbst den Wunsch hatte, Anna zu erzählen, was geschehen war, beeilte er sich sofort, der Einladung zu folgen.

»Was ist denn nun beschlossen worden, Herr Walther?« fragte Anna, indem sie den Maler mit gespannter Aufmerksamkeit anblickte.

»Alles geht vortrefflich,« entgegnete Walther, indem er ihr die Hand reichte. Anna faßte tief bewegt diese Hand, während ihr die hellen Thränen aus den Augen liefen.

»Gott sei Dank!« sagte sie mit einem tiefen Seufzer. »O, Herr Walther, wenn Sie wüßten, in welcher Sorge ich um Sie gewesen bin.«

»Ja, wahrhaftig,« bestätigte Nohr, »sie hat ganze Nächte nicht geschlafen.«

Walther blieb bewegungslos stehen und hielt Anna's Hand noch immer in der seinigen. Es wurde ihm so sonderbar zu Muthe. Er, der sein Lebenlang nur an sich selbst und seine Liebe zur Kunst gedacht hatte, der in den Menschen ausschließlich feindlich gesinnte Wesen gesehen, und der so einsam stand, wie selten Jemand, entdeckte mit einem Male, daß ein Wesen für ihn fühlte und wegen seines Schicksals in lebhafter Sorge war, ja, fast mehr als er selbst an dem, was ihn betraf, Antheil nahm. Aber auch Anna empfand in diesem Augenblicke, daß sie zu viel gesagt hatte; ein tiefes Roth bedeckte ihr sonst so blasses, schön geschnittenes Gesicht und sie entwand sanft ihre Hand der des Malers, dessen dunkles, durchdringendes Auge auf sie gerichtet blieb. Sie ahnte, was in ihm vorging, denn zum ersten Male in ihrem Leben hatte ein solcher Blick sie getroffen. Aber ach! zum ersten Male empfand sie auch recht drückend ihr Unglück; denn wie gern würde sie sich diesen Blicken entzogen haben, wenn ihre gelähmten Glieder es ihr gestattet hätten.

Ihre Aufregung überwältigte sie und sie brach in lautes Schluchzen aus. Walther hatte Mitleid mit ihrer Lage und wollte sich entfernen.

»Nun,« sprach er gutmüthig und tröstend, »ich komme bald einmal wieder und erzähle Ihnen das Uebrige.«

Aber Anna that sich Gewalt an und sagte rasch: »Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu entfernen, es ist schon vorbei, mir ist ganz wohl und ich schäme mich, daß ich mich so kindisch betragen habe.« Dabei versuchte sie, ihn lächelnd anzusehen.

Walther nahm nun Platz und erzählte den ganzen Verlauf der Angelegenheit. Alles war hängen geblieben und verschoben worden, so daß die Sache nur zurückgezogen zu werden brauchte, um wieder in Ordnung zu sein, und das war auch für die Herren vom Gemeinderath das Bequemste.

»Sie werden nun gewiß mit doppeltem Eifer die Gemäldesammlung in Ordnung bringen,« sagte Anna, ohne den Maler anzusehen, denn sie war noch fortwährend befangen darüber, daß sie ihm vorher ihre Gefühle verrathen hatte.

»Ja,« versetzte Walther seufzend, »das werde ich thun; aber hier in Helmstadt wird nach wie vor Niemand außer Ihnen, Anna, Interesse daran nehmen.« – Und wieder blieb sein Blick an ihr haften, und wenn er sich nicht rasch entschlossen hatte, seinen Besuch zu beenden, so würde er sofort bereits etwas gesagt haben, worüber er doch lieber noch erst einmal nachdenken wollte, obgleich er eigentlich schon fest entschlossen war.

»Auf Wiedersehen, Nohr,« sagte er, und zu Anna gewendet: »Ich komme bald einmal wieder.«

An der Thür blieb er noch einen Augenblick stehen und wollte etwas sagen, aber es kam nicht dazu. »Sollte die gute Anna wirklich . . .?« dachte er, und der Gedanke erfüllte ihn so sehr, daß er in der Nacht viele Stunden lang wach blieb. Auch Anna that kein Auge zu.