Loe raamatut: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2», lehekülg 52

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Kapitel Sechs­und­dreißig

Besuch beim Kaffee

Freundliche Sitte wie jedwede in diesem gastfreien Land: besucht man in Brasilien ein Haus, so wird einem zu jeder Stunde des Tages Kaffee angeboten, köstlicher schwarzer Kaffee in kleinen Tassen, es ist hier eine Selbstverständlichkeit. Man trinkt ihn auf andere Art als bei uns – oder vielmehr, man trinkt ihn eigentlich gar nicht, sondern stülpt ihn mit einem einzigen scharfen Ruck hinunter wie einen Likör, ganz heiß, so heiß, daß, wie man hierzulande sagt, ein Hund heulend davonlaufen würde, wenn man ein paar Tropfen auf ihn schüttete. Wie viele solcher schwarzduftender, glühender Tassen ein Brasilianer durchschnittlich im Tage konsumiert, dürfte statistisch kaum festzustellen sein ich nehme an, zwischen zehn und zwanzig – und ebenso schwer wäre es, apodiktisch zu entscheiden, in welcher Stadt er am besten mundet. Mit homerischem Eifer fordern hier alle Orte den Ruhm der vorzüglichsten, der richtigsten Zubereitung für sich, und so habe ich ihn unparteilich mit gleicher Begeisterung getrunken in den kleinen Kaffeehäusern in Rio, wo die Tasse zweihundert Reis kostet (ein in unseren Währungen kaum münzbarer Betrag), und in der Fazenda selbst und in Santos, der Kaffeestadt, und sogar im Instituto do Café in São Paulo, wo seine richtige Zubereitung geradezu zur Wissenschaft erhoben wird und ich nach genommenem Kurs einen Sack Kaffee und die richtigste Kaffeemaschine zur weiteren Ausübung mitbekam – überall, an allen Stellen war er gleich zauberhaft würzig, stark und nervenbelebend, ein schwarzes Feuer, das die Sinne heller und die Gedanken leuchtkräftiger macht.

König Kaffee, so möchte man diesen schwarzen Potentaten hier nennen, denn er beherrscht noch immer ökonomisch dieses riesige Land und regiert von seinem Hafen in Santos aus mehr oder minder sämtliche Märkte und Börsen der Welt, sechzehn Millionen Sack von den vierundzwanzig, welche unsere Erde konsumiert, werden hierzulande gepflanzt und verschifft: im letzten sind diese winzigen perlgrauen oder rehfarbenen Körner die eigentliche Münze und Währung des Landes. Mit Kaffee kauft und bezahlt Brasilien die wenigen Rohstoffe, die ihm fehlen, Öl vor allem und Getreide, mit Kaffeekörnern (mit Milliarden Kaffeekörnern allerdings) die Maschinen und technischen Behelfe. Darum war der Weltmarktpreis des Kaffees das eigentliche Thermometer der brasilianischen Wirtschaft; stieg sein Wert, so blühte das ganze Land, drohte er zu sinken, so verbrannte die Regierung die überschüssigen Säcke oder warf die kostbaren Körner den unverständigen Fischen vor. Kaffee bedeutete hier durch ein Jahrhundert im letzten Gold und Reichtum, Gewinn und Gefahr; von seinem Wert und Walten hing bis zu einem gewissen Grade die Handelsbilanz des ganzen Landes ab; nicht der Milreis hat den Wert des Kaffees in manchen Jahren bestimmt, sondern der Weltmarktspreis des Kaffees den Wert des Milreis.

Dieser große Finanzpotentat Brasiliens, der Kaffee, ist wie so viele andere heute reiche Leute in diesem Lande ursprünglich ein Einwanderer, ein Immigrant. Seine eigentliche Heimat ist Arabien, das Mokka-Land, und die Legende erzählt, daß Hirten dort eines Tages mit Überraschung beobachteten, wie ihre Ziegen immer, wenn sie von einem bestimmten Strauch geknabbert hatten, lebendiger herumtollten. Bald versuchten sie selbst diese Bohnen und stellten fest, daß sie ohne jede Schädigung für die Gesundheit eine besondere Wirkung ausübten und die Müdigkeit minderten, weshalb sie das Gebräu aus diesen köstlichen Bohnen Kahma nannten (von kaheja, was Abhalten vom Schlaf bedeutet). Die Araber brachten das erfrischende Elixier den Türken, bei der Belagerung Wiens fielen den Österreichern ganze Säcke als Beute in die Hände, bald entstand in Wien das erste Kaffeehaus, und das braune Getränk wurde in ganz Europa Mode – eine flüchtige, wie die gute Madame de Sévigné irrigerweise meinte, als sie von Racine ärgerlich sagte:Cela passera comme le café. Aber der Kaffee blieb – Racine überdies gleichfalls und wanderte in die französischen Kolonien nach Guyana hinüber, wo die Pflanzen und Samen ängstlich als Handelsgeheimnis gehütet wurden. Wie tausend Jahre vordem die Chinesen das Urprodukt der Seide, den Cocon, vor allen Fremden versteckten und die Ausfuhr auch nur eines einzigen unverarbeiteten Cocons mit dem Tode bedrohten, bis dann zwei Mönche in einem ausgehöhlten Pilgrimsstab einen Cocon nach Europa schmuggelten – so hatte der Gouverneur von Cayenne strengen Auftrag, keinem Ausländer Zutritt zu den Pflanzungen zu gewähren. Glücklicherweise für Brasilien besaß dieser Gouverneur eine Frau, und diese schenkte 1727 in einer oder nach einer schwachen Stunde dem portugiesischen Sergeanten Major Francisco de Melo Palheta einige Sträucher und Wurzeln; damit war der braune Einwanderer nach Brasilien hineingeschmuggelt, und er fühlte sich wie alle Einwanderer bald heimisch in dem neuen Land. Zuerst siedelte er sich in Nordbrasilien im Amazonasgebiet und dem Maranhão bei seinen Vettern Zucker und Tabak an – Kaffee ohne diese Vetternschaft bleibt immer unvollkommener Genuß; allmählich rückt er 1770 nach Süden in die Gegend von Rio de Janeiro hinunter. Rings um die Hügel von Tijuca, wo heute schon die Hochhäuser den ländlichen Villen den Raum streitig zu machen beginnen, rafft er die Felder an sich und läßt sich von Tausenden von Sklaven hegen und pflegen; aber noch immer behagt ihm die Luft nicht ganz, und schließlich bemächtigt er sich der ganzen Provinz São Paulo, um nach tausendjähriger Wanderung von dort aus sein Imperium über die ganze Welt auszubreiten. Seinem orientalischen Ursprung gemäß entwickelte er sich immer mehr zum Tyrannen, er unterjocht die ganze brasilianische Wirtschaft von seinem Königsthron in São Paulo aus. Er läßt sich die herrlichsten Lagerhäuser errichten, befiehlt Schiffe aus der Welt heran, er diktiert den Preis des Geldes, jagt das Land in wilde Spekulationen und lebensgefährliche Krisen und ersäuft sogar seine eigenen Kinder – Tausende und Tausende Säcke – im Meer, weil die Welt ihm nicht den vollen Tribut zahlen will.

Einem so mächtigen Herrn und einem zumal, der sooft meine Arbeit gefördert und mir in ungezählten Stunden die Freuden der Geselligkeit erhöht, einen respektvollen Besuch abzustatten, hielt ich für meine gebotene Pflicht. Freilich um diesen Herrn und König in seiner Residenz aufzusuchen, muß man heute schon tiefer ins Land reisen als ehedem. Ursprünglich, als der Kaffee von den Portugiesen aus Afrika herübergebracht wurde – Heinrich Eduard Jacob hat die Sage dieser Weltwanderung in seinem Buche bezaubernd erzählt – lagen die Pflanzungen noch hart an der Küste. Die Täler um Santos und manche der herrlichen Parks von Tijuca, unmittelbar neben Rio de Janeiro, waren durch Jahrhunderte Kaffeeplantagen; von den Feldern wurden die Säcke auf dem Rücken der Neger geradenwegs zu den Schiffen gebracht. Aber in Jahrzehnten und Jahrhunderten, nachdem sie Milliarden und Abermilliarden dieser magischen Bohnen gezeugt und genährt, wurde die Erde dort allmählich müde, die Körner verloren an Größe, Kraft und Aroma. Achtzig Jahre, fast genau das patriarchalische Alter der Menschen, währt die Lebensdauer eines solchen Strauchs auf derselben Scholle. So verlegte man – an ungenütztem Boden hat Brasilien noch niemals Mangel gehabt – die Pflanzungen jeweils tiefer und tiefer hinein in das Land, von Santos nach São Paulo, wo die rote, kräftige Erde viermal soviel zeitigte als in Rio, von São Paulo nach Campinas, weiter und weiter und immer tiefer hinein. Also nun nach dem Kaffee, dorthin, wo er jetzt seine Heimat hat! Ihm nach von Rio de Janeiro eine zwölfstündige Nachtfahrt nach São Paulo, von dort wieder drei nach Campinas, dieser alten Kolonie der Jesuiten, und nun genügt ein Auto und man ist mitten im Kaffeeland und endlich auf einer Fazenda.

Fazenda oder hacienda – woher ist einem das Wort so geläufig? Warum rührt es einen so merkwürdig romantisch an und vertraut, warum weckt es in einem so vergessene, starke und mitschwingende Gefühle? Ach, man erkennt es wieder, nichts bleibt innerlich so verhaftet wie die Bücher, die man leidenschaftlich in seiner Knabenzeit gelesen; wie hatte man diese Fazendas oder Haciendas Brasiliens und Argentiniens in den Romanen Gerstäckers, Sealsfields, diese kleinen Gutshäuser mitten in tropischer Wildnis oder auf den unendlichen Pampas mit der Phantasie der Kindheit sinnlich gesehen, diese exotischen Fernen, immer umringt von Gefahren und unerhörten Abenteuern. Wie hatte man als Knabe geträumt, dies einmal zu erleben! Und nun ist man da; freilich nicht auf feurigem Mustang trabt man heran, sondern das Automobil steuert einen sacht durch die blumenüberhangene Einfahrt in den Hof; aber doch, genau wie auf den alten Stichen und in den Darstellungen der verschollenen Kindheitsromane sieht sie aus, die Fazenda, ein einstöckiges, flaches Haus inmitten des unübersehbaren Besitzes, nach allen vier Seiten von einer breiten, schattigen Veranda umrahmt. Siehe, und nahe davon stehen um einen viereckigen kleinen Platz die Häuser der Arbeiter, und man erinnert sich aus den Büchern, hier wohnten – es ist ja erst fünfzig Jahre her – die Sklaven, und abends saßen sie dann auf diesem Platz und sangen ihre melancholischen Lieder; vielleicht gedenkt noch einer oder der andere der weißhaarigen Neger, die hier still und zufrieden herumgehen, der verschollenen Zeit. Allerdings, tritt man ein in das gastliche Haus, so springt die Weltuhr sofort in die heutige Stunde; man sieht zwar noch die altgetäfelten Decken, den ererbten schönen Hausrat aus dem kostbaren, steinharten Jacarandaholz, die silbernen Schalen und Hausaltäre aus der portugiesischen Zeit pietätvoll bewahrt, aber längst sind diese Fazendas keine Einsamkeiten mehr, zu herrlichsten Lagerhäuser errichten, befiehlt Schiffe aus der Welt heran, er diktiert den Preis des Geldes, jagt das Land in wilde Spekulationen und lebensgefährliche Krisen und ersäuft sogar seine eigenen Kinder – Tausende und Tausende Säcke – im Meer, weil die Welt ihm nicht den vollen Tribut zahlen will.

Einem so mächtigen Herrn und einem zumal, der sooft meine Arbeit gefördert und mir in ungezählten Stunden die Freuden der Geselligkeit erhöht, einen respektvollen Besuch abzustatten, hielt ich für meine gebotene Pflicht. Freilich um diesen Herrn und König in seiner Residenz aufzusuchen, muß man heute schon tiefer ins Land reisen als ehedem. Ursprünglich, als der Kaffee von den Portugiesen aus Afrika herübergebracht wurde – Heinrich Eduard Jacob hat die Sage dieser Weltwanderung in seinem Buche bezaubernd erzählt – lagen die Pflanzungen noch hart an der Küste. Die Täler um Santos und manche der herrlichen Parks von Tijuca, unmittelbar neben Rio de Janeiro, waren durch Jahrhunderte Kaffeeplantagen; von den Feldern wurden die Säcke auf dem Rücken der Neger geradenwegs zu den Schiffen gebracht. Aber in Jahrzehnten und Jahrhunderten, nachdem sie Milliarden und Abermilliarden dieser magischen Bohnen gezeugt und genährt, wurde die Erde dort allmählich müde, die Körner verloren an Größe, Kraft und Aroma. Achtzig Jahre, fast genau das patriarchalische Alter der Menschen, währt die Lebensdauer eines solchen Strauchs auf derselben Scholle. So verlegte man – an ungenütztem Boden hat Brasilien noch niemals Mangel gehabt – die Pflanzungen jeweils tiefer und tiefer hinein in das Land, von Santos nach São Paulo, wo die rote, kräftige Erde viermal soviel zeitigte als in Rio, von São Paulo nach Campinas, weiter und weiter und immer tiefer hinein. Also nun nach dem Kaffee, dorthin, wo er jetzt seine Heimat hat! Ihm nach von Rio de Janeiro eine zwölfstündige Nachtfahrt nach São Paulo, von dort wieder drei nach Campinas, dieser alten Kolonie der Jesuiten, und nun genügt Hier allein hat die Technik noch nichts erfunden, um den Menschen überflüssig zu machen; wie vor hunderten Jahren werden von der Hand der Pflücker die Beeren vom Strauche genommen, und vielleicht singen die Arbeiter dieselben monotonen Lieder zu denselben monotonen Bewegungen wie einst die schwarzen Sklaven. Dann werden die Bohnen, als wäre es Sand, auf Wagen und Lastautomobile gekarrt, in die Fazenda gebracht und hier dem König Kaffee einige vorgeschriebene Zeremonien erwiesen, als da sind eine gründliche Waschung und darauf eine Trocknung in der prallen Sonne; dann erst werden mit Schüttelmaschinen die Hülsen von dem eigentlichen Kern gelöst und die entschälten, gereinigten Bohnen dann über Leitungen und Siebe in die Säcke verstaut.

Damit ist (oder scheint) die Arbeit zu Ende. Es ist kein romantischer Prozeß, nicht anders etwa, als wenn man Erbsen aus der Schote nimmt und trocknen läßt, und nur eines war mir bei allen diesen Prozeduren auf dem Felde und in der Fazenda und in der Fabrik überraschend – die totale Abwesenheit jedes Aromas. Ich hatte gemeint, wenn man eine Kaffeepflanzung mit Tausenden Büschen durchschreitet, müßte man einen Duft von diesem aromatischsten aller Getränke spüren, einen feinen Duft, der dies weite Grünen umwebt und überschwebt, einen Duft, wie man ihn doch selbst bei einem Getreidefelde spürt oder in jedem Wald und Holzschlag. Aber sonderbar: der Kaffee ist vollkommen stumm, er verbirgt hartnäckig sein Aroma im innersten Kerne. All die geheimnisvollen Salze und Öle und Ingredienzen, die sich, sobald die Körner geröstet sind, so stark und würzig lösen, bleiben vordem völlig tot und stumm; man kann in den Magazinen bis zu den Knöcheln in Kaffeebohnen waten, und es duftet so wenig wie wenn man in trockenem Sand stapfte, nicht einen Augenblick wüßte man mit verbundenen Augen auf einer solchen Fazenda, ob die verschnürten Bündel und Säcke Baumwolle enthalten oder Kaffee oder Kakao; es war eine kleine Enttäuschung für mich, der ich hier von einem süßen, narkotischen Brodem träumte, zu sehen, wie die Tausende Säcke dieser köstlichen Nervenwürze tot und stumm und duftlos übereinandergeschichtet lagen, als wären sie Zement.

Und die zweite Überraschung dann in Santos, dem großen Verladehafen Brasiliens; ich hatte gemeint, daß die ganze Prozedur mit der Einfüllung des Kaffees in Säcke schon beendet sei. Nun sah ich dort in den großen Betrieben, daß die Arbeit noch einmal beginnt. Denn die Welt will nicht da und dort den gleichen Kaffee, die einen bevorzugen die großen, die anderen die kleineren Körner, so wie man auch in den Schlachthäusern Argentiniens sieht, daß die Fleischsorten nach dem verschiedenen Geschmack der einzelnen Länder fett oder mager, Großvieh oder Kleinvieh gleich an der Exportstelle sortiert werden. Noch einmal muß in Santos, diesem großen, glühenden Backofen am Meer, jede einzelne Kaffeebohne heraus aus ihrem Sack. Noch einmal werden sie zusammengeschüttet zu riesigen Massen, die dann ein Rohr der fleißigste Kaffeetrinker der Welt – mächtig ansaugt, die Masse wird Strom und läuft aufwärts und abwärts durch ein Gefäll von Sieben, so daß die größeren Sorten von den kleineren Körnern getrennt werden, an laufenden Bändern picken gleichzeitig flinke braune Frauenhände während des Vorbeiströmens die wertlosen, verkümmerten Körner heraus; so wird die Qualität in einzelne Qualitäten gesondert, die Kaffeevölker werden uniformiert und mit einzelnen Sortennamen bedacht, immer genau fünfzig Kilogramm einer und derselben Art schüttet die selbsttätig wägende und zählende Maschine in einen neuen Sack, der schon Nummer und Qualitätsmarke trägt, und während der eben noch offene und blitzschnell angefüllte Sack weitergestoßen wird auf dem rollenden Band, vernäht eine andere Maschine das obere Ende des Sackes. Nun erst, nach diesen raffinierten und supertechnischen Verteilungen ist der Kaffee wirklich reisefertig und kann auf den wartenden Schiffen in alle Zonen der Erde fahren.

Aber auch diese letzte Etappe der Reise vom Lagerhaus in das Schiff ist noch erstaunlich anzusehen. Denn nicht mehr wie in verschollenen Zeiten wird Sack für Sack auf einen sonngebräunten Menschenrücken geschwungen und über das Laufbrett an Deck getragen. Nicht wie wir es sonst in Häfen gewohnt sind, reichen Krane in elegant leichter Drehung vom Kai die gehäufte Ware in den Frachtraum des Schiffes hinab, sondern hier wird auf Schienen eine Brücke aus Stahl herangeführt und der Höhe des Bordes angepaßt. Diese Brücke trägt ein Paternosterwerk, einen fließenden Teppich, auf dem nun direkt aus der Tiefe ihres Lagerhauses die Säcke (weit bequemer als die Passagiere) an Bord befördert werden. Es ist schön anzusehen, dieses lautlose, stille, mechanische Fließen; Wie eine Lämmerherde auf einem schmalen Pfad Rücken hinter Rücken zu wandern genötigt ist, so zieht hintereinander stundenlang ein weißer Sack nach dem andern erst vom Lagerhaus empor und dann sacht wieder ins Schiff hinein, wobei man eigentlich erst erkennt (denn Zahlen selbst bleiben immer abstrakt), welche phantastische Quantitäten an Ware ein Schiffsbauch für eine zweiwöchige Reise in sich einzuschlucken vermag; und da hier Schiff an Schiff täglich wartend steht, ahnt man auch, welche ungeheuren Massen unsere kaffeetrinkerische Menschheit in jeder Stunde verbraucht.

Endlich hat das gefräßige Schiff genug Kaffee in sich geschluckt. Ein Pfiff, und das flirrende Laufband stoppt, ein, zwei Säcke gleiten, von der Geschwindigkeit noch weitergestoßen, saumselig den andern nach. Dann schrillt das Zeichen des Dampfers, die Turbinen wettern los, langsam löst man sich von dem Kaffeestrand. Noch leuchten die Häuser in der Sonne, noch heben sich schlank die Palmen, aber immer ferner schimmert das große Grün dieser tropischen Welt, und bald sieht man nur ungewiß die Hügel mehr und schon ist auch dieses letzte Grüßen entschwunden aus dem Königreich des Kaffees. Vorüber! Vorbei und schon Erinnerung! Aber doch, wenn man daheim eine Tasse trinkt dieses köstlichsten und kunstfreundlichsten aller Getränke, wird man in dem zarten Duft jedesmal wieder all das besinnen, die tropische Sonne, die ihm das heimliche Feuer in den innersten Kern getrieben, das lodernde Licht, in dem hier alle Dinge des Daseins glühen, und jeden Baum und jede Bucht dieser fremden Landschaft, die, solange man in ihr weilt, unwiderstehlich den Sinn zum Träumen erzieht und in der Ferne ein Heimweh weckt nach diesen Zonen der frei und mächtig und unerschöpflich schaffenden Natur.

Kapitel Sieben­und­dreißig

Besuch hei den versunkenen Goldstädten

Vila Rica und Vila Real, im achtzehnten Jahrhundert die reichsten und berühmtesten Städte Brasiliens, sind heute auf keiner Landkarte mehr zu finden. Die hunderttausend Menschen, die sie bevölkerten zu einer Zeit, da New York und Rio de Janeiro und Buenos Aires noch unbeträchtliche Siedlungen waren, sind zerstoben, und selbst die prunkreichen Namen längst von ihnen gefallen. Vila Rica, im Volksmund später als Vila Pobre verhöhnt, heißt heute Ouro Preto und ist nichts als ein romantisches Provinzstädtchen mit ein paar Dutzend holprigen Straßen. An der Stelle von Vila Real steht ein armes Dorf, das sich bescheiden in den Schatten der neuen Hauptstadt der Provinz Minas Gerais, des modernen Belo Horizonte drückt. Ihr Glanz und ihre Größe haben knapp ein Jahrhundert gewährt.

Dieser flüchtige Glanz von Reichtum und Gold, der damals die ganze Welt überflammte, war aus dem kleinen Flüßchen Rio das Velhas geholt und aus den Flanken der Berge, die ihn umschließen: es ist ein einmaliges Abenteuer, von Abenteurern begonnen. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts dringt zum erstenmal in diese unwirkliche, düstere Zone ein Trupp von bandeirantes, jener verwegenen Gesellen, die von São Paulo aus das ganze Land auf der Suche nach Sklaven und Erzen durchwandern; tagelang, wochenlang streifen sie durch die weglosen Schluchten, ohne eine Siedlung, ohne eine menschliche Spur zu finden. Aber sie lassen nicht ab, denn die Berge funkeln an den brüchigen Stellen von blankem Metall, und die Erde leuchtet dunkelrot wie gesättigt von geheimnisvollen Kräften. Endlich winkt ihnen das Glück: der kleine Fluß Rio das Velhas, der von Ouro Preto nach Mariana in seinem ungeduldigen Lauf die Kanten der Berge abschürft, rollt in seinem Sande Gold mit sich, reines, volles Gold, und vor allem viel Gold; man braucht den Sand nur in hölzernen Schüsseln zu fassen und zu schütteln, und es bleiben die kostbaren Körner zurück. Nirgends auf Erden liegt im achtzehnten Jahrhundert das Gold so reich, so flach, so offen zutage als hier im brasilianischen Bergland. Einer derbandeirantes bringt die erste Beute im ledernen Säckchen nach Rio de Janeiro – damals zwei Monate entfernt, heute sechzehn Eisenbahnstunden – ein anderer nach Bahia, und sofort beginnt ein Sturm in die Wildnis, nur jenem bei der Entdeckung der Goldgruben Kaliforniens vergleichbar. Die Pflanzer verlassen ihre Zuckerplantagen, die Soldaten ihre Kasematten, die Priester ihre Kirchen, die Matrosen ihre Schiffe; auf Booten und Mauleseln und Pferden und zu Fuß drängt eine riesige Rotte heran und peitscht ihre schwarzen Sklaven mit; bald kommt der erste, der zweite, der dritte Zuzug aus Portugal, und allmählich sammeln sich solche Massen, daß eine Hungersnot auszubrechen droht in dieser Einöde ohne Viehzucht und ohne Vegetation. Ein wüstes Treiben hebt an, denn noch ist keine Autorität zur Stelle, das Gesetz zu verteidigen; leider fehlt uns der richtige literarische Augenzeuge, der brasilianische Bret Harte, um das Phantastische dieses ersten wildesten Tumults zu schildern, aber er muß ohnegleichen gewesen sein. Die paulistas, die ersten Entdecker, kämpfen gegen die emboabas, die fremden Eindringlinge. Nach ihrer Auffassung gehört ihnen das Gold allein als Lohn für die unzähligen Expeditionen, die ihre Väter, ihre Brüder vergeblich von São Paulo aus unternommen. Sie werden besiegt, aber das schafft keinen Frieden. Wo Gold ist, herrscht Gewalt. Mord, Raub, Diebstahl mehren sich von Stunde zu Stunde, und verzweifelt ruft der Priester Antonil in seinem ersten Bericht (1708) aus: »Kein vernünftiger Mensch kann einen Zweifel hegen, daß Gott in den Minen nur darum so viel Gold entdecken ließ, um damit Brasilien zu strafen.«

Zehn Jahre und mehr herrscht in diesem verlassenen Gebirgstal ein vollkommenes Chaos. Endlich greift die portugiesische Regierung ein, um sich selbst ihren Anteil an dem Gold zu sichern, das diese zuchtlosen Abenteuerer entweder verschwenden oder auf Schleichwegen aus dem Lande schaffen. Ein Gouverneur, der Conde de Assumar, wird über die neue capitania eingesetzt und rückt mit Fußtruppen und Dragonern an, um die Autorität der Krone zu wahren. Eine seiner ersten Maßnahmen ist, daß, um eine genaue Kontrolle zu sichern, kein Staubkorn Gold mehr aus der Provinz geschafft werden darf. Alles Gold muß zunächst an das Schmelzhaus, das er 1719 errichtet, abgeliefert werden, in dem die Regierung gleichzeitig den ihr gesetzlich zustehenden Anteil – ein Fünftel alles gefundenen Goldes – sofort in Abzug bringen kann. Aber den Goldgräbern ist jede Art Kontrolle verhaßt. Was kümmert sie in ihrer Wildnis der König von Portugal? Unter Führung Filipe dos Santos rotten sich zweitausend Männer, die ganze weiße oder halbweiße Bevölkerung von Vila Rica, zusammen und bedrohen den Gouverneur, der – von der unvermuteten Revolte völlig überrascht – den Aufrührern in einem aufgenötigten Vertrag alle Forderungen bewilligt. Aber heimlich zieht er zugleich seine Truppen zusammen und überfällt nun seinerseits die Aufständischen nachts in ihren Häusern. Der Aufrührer wird gevierteilt, ein Teil der Ortschaft niedergebrannt und von nun ab mit den strengsten und sogar grausamsten Methoden Ordnung in Minas Gerais erzwungen. Langsam beginnen sich inmitten des arbeitenden, schöpfenden, tragenden, schüttelnden Ameisenhaufens von Sklaven und Goldwäschern aus erbärmlichen Lehmhütten und flüchtig gezimmerten Zelten die Konturen einer wirklichen Stadt abzuzeichnen. Um den Palast des Gouverneurs, das Schmelzhaus und das nicht minder zur geordneten Verwaltung wichtige Gefängnis ordnen sich steinerne Häuser, enge Straßen umschließen den Hauptplatz; allmählich erheben sich die Kirchen, und zugleich mit dem unermeßlichen Reichtum, der von den Fünfzig- und sogar Hunderttausenden robotenden Sklaven aus der Erde geschüttelt und gegraben wird, hält ein absurder Luxus Einzug in diese Städte – ein frenetischer, kindischer Luxus, der im grotesken Gegensatz zur Abseitigkeit und Weltverlassenheit dieses öden Gebirgstals steht. In Vila Rica und Vila Real und Vila Albuquerque wird im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts allein mehr Gold gewonnen als in ganz Amerika einschließlich des viel berühmteren Mexiko und Peru. Aber innerhalb dieser Wildnis ist für Gold wenig zu kaufen; gierig stürzen sich die unseligen Narren des Goldes darum auf jeden pompösen Tand, den die Händler mit hundertfachem Gewinn in diese unzugänglichen Bergtäler herankarren. Abenteurer, die gestern noch Bettler waren, stolzieren in grellen samtenen Gewändern, prahlen mit seidenen Strümpfen und zahlen für eine eingelegte Pistole zwanzigfach mit Dukaten, was dieselbe Ware in Bahia in Silbermünzen wert ist; eine hübsche Mulattin kostet mehr als am Hof des französischen Königs die teuerste Courtisane. Alle Berechnungen, alle Maße werden durch die Fülle des allzu leicht geförderten Metalls hier absurd; schmutzige Gesellen verspielen mit Würfeln und Karten in einer Nacht Beträge, mit denen man in Europa die kostbarsten Gemälde eines Raphael und Rubens erwerben könnte oder ganze Schiffe ausrüsten und die wundervollsten Paläste erbauen. Aber am liebsten kaufen sie, längst zu vornehm, selbst einen Spaten in die Hand zu nehmen, für ihr Gold Sklaven und Sklaven, damit sie ihnen mehr und mehr Gold scheffeln. Der Sklavenmarkt in Bahia kann gar nicht genug heranschaffen, die Boote können kaum all diese schwarze Fracht befördern. Und so wächst die Stadt von Jahr zu Jahr, schon sind die ganzen Hügel mit den Hausungen der schwarzen Arbeitstiere wie mit Termitennestern besät, schon verschönern sich die Häuser der Sklavenbesitzer und Goldausbeuter. Sie steigen sogar – Zeichen besonderen Reichtums – bis zu zwei Stockwerken und füllen sich mit Möbeln und Schmuck. Künstler kommen, durch den erträumten Verdienst angelockt, von den Küstenstädten, um Kirchen und Paläste zu errichten und die Brunnen mit Skulpturen zu schmücken. Ein paar Jahrzehnte noch solchen wirbelnden Aufstiegs, und Vila Rica muß die reichste, die schönste und volkreichste Stadt Amerikas werden.

Aber ebenso irrlichthaft, wie er aufgetaucht, verschwindet der trügerische Zauber. Das Gold des Rio das Velhas war nur Schwemmgold, Alluvialgold gewesen, und nach fünfzig Jahren ist die kostbare Oberfläche abgeschöpft. Um das tückische Metall aus der Tiefe der Felsen zu holen, von denen Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende es in unsichtbarer Arbeit zu Sand zerrieben haben, fehlen diesen primitiven Goldwäschern die Kraft, das Werkzeug und vor allem die Geduld. Eine Zeitlang versuchen sie direkt in den Felsen Stollen zu treiben, um an das kostbare Metall zu gelangen, aber die Mühe bleibt vergeblich, und bald verläuft sich der nomadische Schwarm. Die Neger werden in die Zuckerplantagen zurückgetrieben, einzelne der Abenteurer machen sich in der »matta«, den tiefergelegenen, fruchtbaren Tälern seßhaft; nach ein oder zwei Jahrzehnten sind die Goldstädte verlassen. Die Lehmhütten, wo die Tausenden von Sklaven hausten, sinken spurlos in die Erde zurück, Wind und Regen verschwemmen die Strohdächer, die sie deckten, die Häuser der Stadt selbst verwahrlosen, und durch fast zwei Jahrhunderte wird kein neues mehr gebaut: wie in den Zeiten des Anfangs ist es wieder eine Mühe, zu diesen verschollenen, vergessenen Orten zu gelangen.

Bis zur gegenwärtigen Hauptstadt von Minas Gerais, der erst knapp in unserem Jahrhundert gegründeten Stadt, ist der Weg allerdings dank der modernen Technik leicht; ein Flugzeug schwingt einen in anderthalb Stunden von Rio de Janeiro zu dem Hochplateau von Minas Gerais hinüber, zu dem vordem die ersten bandeirantes zwei Monate wandern mußten und die Eisenbahn heute noch sechzehn Stunden benötigt. Diese neue Hauptstadt der Provinz, Belo Horizonte, ist – in Brasilien sind die eigenartigsten Varianten wie auf allen Gebieten auch auf dem des Städtebaus zu finden keine organisch gewachsene, sondern eine geplante, eine aus Willen, Überlegung und auf Jahrzehnte vorausblickender Berechnung geschaffene Stadt. Die ursprüngliche, die traditionelle Hauptstadt von Minas Gerais, das alte Vila Rica, das heute Ouro Preto heißt, zu modernisieren, hätte bedeutet, ein einzigartiges historisches Dokument brasilianischer Geschichte zu verderben; so entschloß sich die Regierung, lieber eine völlig neue Hauptstadt neben der alten zu konstruieren und zwar an der landschaftlich schönsten, geographisch wie klimatisch günstigsten Stelle. Ursprünglich sollte sie Cidade de Minas heißen, aber man zog vor, um ihres weiten Fernblicks willen – hier sieht man die schönsten Sonnenuntergänge Brasiliens – ihr den italienisch schönen Namen Belo Horizonte zu schenken. Aber längst vor der Namensgebung, längst ehe der erste Stein zur ersten Straße gelegt wurde, war diese Stadt in einem weit vorausblickenden Stadtplan völlig vorausmodelliert. Weder ihre Form noch ihre Entfaltung nichts sollte dem Zufall überlassen werden, jedem künftigen Wohnviertel war seine Bestimmung, jedem Straßenzug seine bestimmte Breite und Richtung von vornherein zugewiesen, und jedes öffentliche Gebäude mußte sich gleichzeitig prominent und doch harmonisch dem künftigen Stadtbild eingliedern; wie Washington ist Belo Horizonte das glückliche und vorbildliche Resultat einer freien, von keiner Vergangenheit gehemmten und nur der Zukunft entgegengewandten Planung. Mächtige Diagonalen schneiden den Kreis, in dem sich – regelmäßige Distanzen und Zwischenräume wahrend – die Stadt entfaltet hat und immer weiter entfalten wird, in sinnvoller und wohldurchdachter Ordnung ab. Im Zentrum liegen die Gebäude der öffentlichen Verwaltung beisammen, breite Gartenflächen führen die symmetrischen Straßenzüge allmählich ins Freie, und jeder Straßenzug ist abwechselnd nach den Städten, Landschaften, großen Persönlichkeiten Brasiliens benannt, so daß ein Spaziergang entlang der Peripherie zugleich einen systematischen Kurs heimischer Geschichte erteilt. Als Musterstadt von Anfang an gedacht, erfüllt Belo Horizonte diese Aufgabe durch vorbildliche Organisation und Sauberkeit; während man in den anderen Städten gerade von der Vielfalt der Kontraste, dem pittoresken Übereinander und Durcheinander verschiedener Zeit- und Kulturschichten bezaubert ist, überrascht einen hier die vollkommene und harmonische Einheitlichkeit. Eine durchaus schöne Stadt, weil aus einer Idee geboren, hat sich Belo Horizonte eine einzige Linienklarheit der Entwicklung bewahrt, und der Sinn dieser ihr eingebauten Idee: Hauptstadt einer Provinz zu sein, die selbst so groß ist wie ein europäisches Königreich, wird von Jahr zu Jahr offenbar; vor 1897 ein leeres, unbebautes Stück Landschaft, heute schon über 150 000 Einwohner zählend, ist sie um ihrer günstigen Lage und ihres vortrefflichen Klimas willen in raschem und dank des vorausschauenden Plans in durchaus harmonischem Wachstum. Wird erst die metalllurgische Ausbeutung dieser reichsten Provinz systematisch einsetzen und Minas Gerais seine Industriekraft entfalten, so ist trotz aller Vorberechnung nicht abzusehen, zu welcher Größe sie sich entwickeln kann: einer nächsten Generation wird jedenfalls dieser Name Belo Horizonte so vertraut sein wie der von Rio oder Sáo Paulo.

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